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Als man 1490 schrieb, hatte Herzog Christoph mehr' Angelegenheit zu München, kam demnach dahin und nahm seinen Aufenthalt in der alten Ludwigsburg, mittlerweile sich Herzog Albertus und Kunigunde in der Neuveste hielten.
Da war ihm weiters ganz frumm heiter zumute, dachte aber, sobald als tunlich wieder nach Schongau zu reiten, denn er wollte nicht viel mit der Kunigunde zusammenkommen – nicht so fast seiner selbst wegen – und sonst wußte er im Grund auch nicht, warum. – Wie's aber geht, es war ihm, als sei es besser, wenn er fern bliebe.
So er nun mit ihr in des Bruders Gegenwart doch zusammentraf, verhielt er sich freilich auf das best Ritterliche, wußt' es jedoch immer so zu richten, daß er mehr mit dem Albertus sprach, denn mit ihr.
Zu München selbst hielt er sich allerorten tapfer, huldsam und freigebig, und wo er nur stand oder dahinschritt, freute sich jeder, pries ihn als Helden und frummen Fürsten, dem nichts ankönne – hätt' aber doch gerne gesehen, daß er noch zum Altar trete und etwan auch so treffliche Söhne gewinne, wie er selbst seinem Vater einer geworden.
Da hoffte und wünschte aber jeder vergebens. Denn obschon Herzog Christoph, wie gegen alle, so auch die Jungfrau'n heiter und froh erschien, so schrieb sich das gleichwohl von nichts anderem her, denn seiner Freundlichkeit. Die wurzelte tief in seinem Herzen und trieb stets neue Blätter und Blüten – ans Heiraten dacht' er gleichwohl nie und nimmer, wieviel treffliche Fürstentöchter auch auf ihn schauten.
Weil nun Herzog Christoph in allem und überall siegte, so weit Gras wächst, Wasser lauft und Gottes blauer Himmel prangt, anbei aber in denselben süßen Apfel heiliger Ehe gar nit beißen wollte, weil ihm die nicht zuteil geworden, so ihn hätte beglücken können – bemühte sich hinwieder der böse Feind desto mehr, ihm seine Sinne zum Liebesfrevel anzureizen.
So war es sicher nur sein Werk, daß dem Herzog einstmals im Traum eine Jungfrau vorkam, so wunderschön, daß sein unvorbereitetes Herz hätte von Marmor sein müssen, wär' es nicht dennoch von heftiger Glut ergriffen worden, und ich brauche wohl nicht zu sagen, daß ihr der böse Feind eine ganz andere Tracht gegeben, als die der Frauen und Jungfrauen zu Dachau, so schon dazumal an die zwanzig Ellen ober den Knien pampeln ließen und gern noch mehr umgehängt hätten, wär's nicht zu schwer geworden und zu teuer wohl auch.
Herzog Christoph deucht' es aber, er sähe die Erscheinung durch einen schönen Rosengarten wandeln, dabei sie ihm von Zeit zu Zeit holdselig zuwinke. Sein Widerstand wurde mit einemmal federleicht, und es zog ihn schier Sehnsucht nachzuschleichen, um das schöne Kind solang als möglich zu sehen, und soviel auch als er nur könne zu erschauen und zu erlugen. Und als er so immer folgte, war er zu einem schönen, grünen Hain gekommen und fühlte urplötzlich einen solchen, nie empfundenen Übermut, daß er sich nichts geringeres vornahm, als das reizende Bild seiner Sinne gefangen zu nehmen und einen heißen Kuß zu erobern. Also machte er in seinem Traum nit wenig große Schritte und streckte schon die Arme aus – sah aber mit einemmal einen Abgrund vor sich, das Ziel seiner Wünsche aber war jenseits und winkte mildspottend herüber.
Da wurde Herzog Christoph ganz zornig über den Riß in der Erde und dachte daran, wie er doch sonst allerwegen über die Bäche und Waldwasser gesetzt, und dachte alsogleich an einen gewaltigen Satz. Aber er fühlte, daß er nicht hinüberkäme, weshalb er sich einen verzweifelten Schwung geben wollte, drüber er aus dem Schlaf emporfuhr, sein fürstliches Antlitz gen den rotseidenen Betthimmel gekehrt und die Hände zu beiden Seiten angestemmt.
Lange saß er so da und fuhr einigemal über die Augen, um zu erfahren, ob er in seinem Bett in Ludwig des Strengen Hofburg oder schon im bewußten Abgrunde befindlich sei. Da er sich aber genugsam überzeugt, daß ihm kein Leids widerfahren, schlug er fürwahr grimmig auf die damastene Decke und rief: »Da hat man es – o Weibsen, mit euch gibt's nichts, denn Not und Gefahr und große Schwachheit! Christoph, was für ein geringer Held bist du gewesen heute Nacht! Gib Gott heißen Dank, daß es kein christlicher Mensch weiß, wie du da in die Falle gingst und daß du dabei eine gute Lehr' empfangen. Nehm' ich's mit Hand und Fuß mit der ganzen Welt auf, sollte mein frommmutiges Herz schwächer sein? Mit nichten! Und läg' ich draußen unter den Bäumen bei Menzing und käm', noch lockerer gewandet, die heidnische Göttin Venus selber des Weges daher, sie sollte mir wohl nichts anhaben!«
Drauf legte er sich wieder zur Ruhe und suchte zu schlummern.
Als er andern Tages erwachte, war er der besten Vorsätze voll und bannte den Traum aus seinen Sinnen soviel er nur konnte. Die schönen Jungfrauen und Frauen am Hof seines fürstlichen Bruders, denen er hie und da ein gnädiges Wort spendete, bekamen hinfür keinen Blick mehr und grämte sich manche sehr, daß die Sonne seiner Huld gar nicht mehr leuchten wolle.
Es war aber nicht lange nach dem Traum, daß Herzog Christoph eines schönen Maitages durch den Bogen schritt, der vom Rathausturm zu Sankt Peter führt, nahebei, wo die wohlweisen Herren auf- und abstolzierten, wenn sie oben im wohlgetäfelten Saale wichtige und noch wichtigere Sachen zu besprechen und zu schlichten hatten.
Als Herzog Christoph um die Ecke bog, wär' er bald mit Herrn Florian Hundertpfund zusammengestoßen, der in geziemender Kundgebung seiner persönlichen und Amtsmajestät die Treppe herabgekommen war, nachdem er oben einen großen Vortrag gehalten und Antrag gestellt hatte: »Daß dem Bildschnitzer Hans Heidelolf das Bürgerrecht gewährt werde«. Er hatte es auch durchgesetzt, trotzdem er Gegner in Menge hatte, und der nasenweise, junge Ratsherr Herr Hans Stupf ihm sogar zu verstehen gab: »Es möchte an der großen Wärme wohl des Bildschnitzers schönes Töchterlein teilhaben – sintemalen der Herr Kollega bis in die letzten Zeiten, ungeachtet seiner ehrwürdigen Scheitel, noch immer gern auf Freiersfüßen gewandelt und es notorisch sei, daß er zum Lobe einer oder der anderen schönen Jungfrau sich noch gern auf den Pegasum setze und einen ganz starken Trab reite«.
Herr Florian hatte aber, wie alle, insonderheit diesen Gegner und boshaften Angreifer mit deutschen und lateinischen Kraftsprüchen gänzlich zu Boden geschmettert, so daß männiglich sagte: »Es sei seit Menschengedenken keine solche Rede gehalten worden« – und die Sache alsbald abgetan war. Worauf Herr Florian sogleich von dannen ging, um sich ins »Tal« an die Hochbrücke zu begeben, dem Bildschnitzer sein Glück zu verkünden und sich einen Stein ins Brett zu setzen. Denn wenn ein Mensch für Hans Heidelolfs Tochter in Feuer und Flammen stand, so war es Herr Florian Hundertpfund, und hatte der naseweise Kollega nicht ins Blaue getroffen, da er einen so boshaften Bolz auf ihn geschossen.
Als er nun, wie gesagt, mit Herzog Christoph zusammentraf, stotterte er: »Bitte tausendmal um Vergebung, gnädigster Herr Herzog!« und machte eine so tiefe Reverenz, als es sein wohlgenährter Leib zugab. Weil Christoph aber, der ihm nicht besonders hold war, ohne weiters gen die Peterskirche ging, drehte sich Herr Florian möglichst schnell um und ließ eine noch tiefere Reverenz mit großer Ausdauer nach der Seite erfolgen. Als er nun aufblickte und von Christoph nichts mehr gewahr wurde, drückte er sich an die Mauer, machte sich den Gang hinab und lenkte in das Tal ein, wo er in freier Luft wieder zu einiger Fassung kam.
Herzog Christoph aber wandte sich mittlerweil' zur alten »Wieskapelle«, der sie heutzutag Verderben zudachten, gerad' über von der Rathausstiege. Er war fast daran vorübergeschritten, als er flüchtigen Blickes eine Jungfrau gewahr geworden, die in tiefster Andacht ganz einsam in einer Ecke kniete und überreich an Schönheit war, – dabei dem Herzog wie im Blitz der Gedanke auffuhr, daß sie seinem Traumbild auf das äußerste ähnlich sei. Hatten ihn aber damals die bösen Sinne gereizt, so war er hinwieder von der ausnehmenden Zucht und Reinheit dieses Werkes weit heiliger und edler berührt. So trieb es ihn einzutreten und erst, da er sie eine Weile belauscht und ihm darauf seine Vorsätze wieder lebhaft vor die Seele gekommen, wollte er, aber recht ungern, fort. Dabei machte er jedoch ohne Willen mit den Sporen ein kleines Geräusch, so daß sich die Jungfrau erschreckt umschaute und ihn erblickte, wie er, das Auge auf sie gerichtet, am Fortschreiten war. In rechter Glut überströmte es ihr Antlitz und Herzog Christoph war auch, jenen Traum ausgenommen, nie so rot geworden. Das holde Kind sah ihn aber nicht lange an, senkte schnell die Augen darnieder, bekreuzte sich und wollte am Herzog vorüber und ihres Pfades gehen.
Er vertrat ihr jedoch mit feiner Sitte den Weg und sprach: »Mein Leben lang hab' ich kein Wesen frommer beten gesehen. Euch möchte ja wohl der Himmel nichts abschlagen. Haltet's allzeit so! Doch sprecht, wie heißt Ihr?«
»Heiß' Gertraud, gnädiger Herr,« sagte jene mit beklommener Stimme, »und bin des Bildschnitzers Hans Heidelolfs Tochter.«
»Hab' ich Euch doch nie gesehen unter der Zier unserer Stadt!«
»Gehör' ja wohl nicht zur Zier einer Stadt,« entgegnete sie, »könnt mich auch nicht leicht gesehen haben, da ich erst wenige Zeit hier bin zu München mit meinem Vater, der gern Bürger würde, wenn es die wohlweisen Herren nur gestatten wollten.«
»Verlaßt Euch auf mich,« sagte Christoph, »ich vermag was bei den Ratsherren und Zunftmeistern, weil ich an Herzog Albrechts Hof gut angeschrieben bin.«
»Möcht' wohl zu spät sein,« meinte Gertraud, »denn jetzt gerad' entscheiden sie drüber, soviel's ihnen zusteht, ob's sein soll oder nicht!«
»Und da habt Ihr gebetet, daß die Sache guten Verlauf nehme –?«
»Das hab' ich.«
»Nun, so hoffen wir vordersamst das Beste!« sagte Christoph. »Und wo seid Ihr dahier zu Hause?«
»Wo – ich –?«
»Wo Ihr mit Eurem Vater wohnt?« verbesserte Christoph.
»Was kühne Frage, Herr!« fiel die Jungfrau rasch ein. »Gelobt sei Jesus Christus!« Dabei bekreuzte sie sich.
»In Ewigkeit!« sagte Herzog Christoph rasch. In dem Augenblicke war Gertraud zur Kapelle hinaus – weg war sie.
Herzog Christoph stand eine Weile betroffen und es tat ihm leid, daß er das fromme Kind willenlos beleidigt.
»Gertraud!« sumste er dann, »heißt sie?« Er stand in Erinnerung an ihre Schönheit versunken. »Ich muß sie wiedersehen – doch, was ist das? Will ich etwa meine Vorsätze nun auch im Wachen opfern? Traun, jetzt gilt es Mut zeigen, da zum neuen ein so großes Gewitter über meine Seelenruhe heraufgezogen und mein Blut schier größere Brandung am Herzen tut, denn allzeit zuvor. Sie ist ja wohl ein wahrer Engel – beim Himmel, sag' ich, ich wüßte nicht, was ich täte, wär' sie eines Fürsten Tochter!«
Er trat heraus und wandte sich wieder zur Rathausstiege. Dran standen die wohlweisen Herren in guter Zahl und machte einer dem anderen so viele Reverenzen, als ob sie gar nicht vom Platze kommen wollten. Nun sie Herzog Christoph wahrnahmen, beugten sie sich noch tiefer und samtlich zugleich um ihn, als sei da ein Kornfeld, drein der Wind von allen Seiten wehte.
»Gott zum Gruß, ihr Herren,« sagte Christoph freundlich, »was habt ihr heute zustande gebracht?«
»In Untertänigkeit zu melden,« entgegnete der erste, »haben wir für gut befunden, Hans Heidelolf, Bildschnitzern von Landsberg, zurzeit hie wohnhaft an der Hochbruck', in die Stadt und wohlehrsame Bürgerschaft aufzunehmen.«
»Dran habt ihr gut getan,« sprach Christoph, »allzeit gereicht es zum Nutzen kunsterfahrene Männer einzusammeln. Somit Dank für die Nachricht und dazu alle Huld und Gnade!« Darauf er sie verließ und den Gang hinab der Hofburg zuschritt, er nicht minder erfreut über das, was er vernommen, denn die Ratsherren über sein gnädiges Antlitz. –
In wenigen Tagen war die Werkstatt zurechtgerichtet und der Bildschnitzer fleißig an der Arbeit von früh bis spät.
»Dem Hundertpfund sind wir Dank schuldig«, sagte er am dritten Tage, das Schnitzmesser weglegend, als Gertraud den Tisch deckte, um ein schlichtes Essen aufzusetzen. »Geld kann ich ihm keines geben – wie wär' es, wenn ich ihm den heiligen Johannes verehrte, der da hinten steht?«
»Wie Ihr meint, Vater!« warf Gertraud freundlich hin.
»Und du mußt ihm den heiligen Johannes überreichen!«
»Ich, Vater? – Nun, wenn's sein muß!« Gertrauds Stirne hatte sich umwölkt.
»Nun, was bist du so finster, Traud? Er nimmt's halt zuliebst aus deinen Händen, du gefallst ihm gar gut, Traud!« – In dem Augenblicke klopfte es und der grundgütige, wohlweise Herr Florian Hundertpfund trat gnädig schmunzelnd ein.
»Ei, ei, ei!« rief er. »Da komm' ich gerade zur Essenszeit – wahrlich, speiste ich nicht heute an des Herzog Christophs Tafel, ich lüd' mich bei euch zu Gast, he, he, he!«
»Das wär' mir eine große Ehr',« erwiderte Meister Heidelolf, »so aber – Gertraud, trag' das Essen hinaus!«
»Aber laßt Euch doch nicht stören, Meister Hans!« – sagte Herr Florian.
»Kenn' die schuldige Ehrfurcht«, entgegnete der Bildschnitzer, und flüsterte der Tochter was zu. Sie nahm die zwei Schüsseln vom Tisch, machte dem Herrn Hundertpfund einen Knix und ging ein wenig unmutig zur Tür' hinaus, sich auf des Vaters Gebot in Staat zu werfen, um den Johannes mit Ehren überreichen zu können.
Herr Florian, der nicht wußte, welche Bescherung ihm zuqedacht sei, war mit des Töchterleins Verschwinden keineswegs zufrieden, fand aber für besser seinen Zorn zu verbeißen, als zu zeigen, und fing an großes und breites zu Gertrauds Lob zu verkünden.
Gertraud war kaum in die Küche getreten, als sie Schritte die Treppe herauf vernahm, und da sie einen Blick hinablenkte, hätte sie schier beide Schüsseln fallen lassen, solch einen Riß gab's ihr, halb in Schrecken, halb in Wonne. Der aber heraufkam, hatte sie auch schon gesehen, er sprang, was er springen konnte, streckte die Arme weit aus und jauchzte mit mühsam unterdrückter Stimme: »Ja grüß dich Gott, meine herzallerliebste Gertraud! O je, wer hätt' denn gedacht, daß wir uns da wiedersehen!«
»Ja, bist du es wirklich, Philipp,« lispelte Gertraud entzückt, »ist's kein Traum?«
»Warum nicht gar,« jubelt es ihr entgegen, »wahr ist's, vor dir steh' ich mit Fleisch und Blut!«
Gertraud hatte die Schüsseln weggestellt und dafür auf ihre Hände die schönere Last heißer Küsse genommen. »Ich weiß nicht, wo mir der Kopf steht vor lauter Freud',« stammelte der Spender derselben, der Gertraud aber standen die hellichten Tränen in den Augen und über und über voll Seligkeit konnte sie kaum reden.
»Aber sag' mir nur – wie – wie kommst denn nach München?« fragte sie endlich.
»Ja, weißt es denn nicht, Gertraud? Hab' dir's ja sagen lassen, ist schon vor einem halben Jahr gewesen –!«
»Ich hab' nichts gehört und vernommen!«
»Ja durch'n Dirnberger Fritz –?«
»Kein Wort hat er mir gesagt – aber – heiraten hätt' er mich gern mögen!«
»O der Hauptspitzbub! Ah, da lernt man aber seine Freunde kennen! Also deswegen hab' ich nichts von dir gehört? Und ich hab' auch nichts mehr hören lassen, weil ich geglaubt, du hast mich aus deinem Herzen gestrichen – o du Hauptspitzbub', sag' ich!«
»Ja aber sag' nur, Philipp, wie schaust denn du aus, was hast denn du für'n schönes Gewand an?«
»Ja, kennst es denn nicht, Traud? In Herzog Christophs Diensten bin ich, und wenn's gut geht, werd' ich noch was Rechtes, denn lieb hat er mich für sein Leben!«
»Gott sei's gedankt! Aber wie hast denn erfahren, daß ich hier bin?«
»Ja, vom Herzog hab' ich's erfahren.«
»Ja freilich, Traud! Geh zum Bildschnitzer Heidelolf von Landsberg, an der Hochbrück', hat er gesagt, und meld ihm, daß ich um die vierte Stunde komm'. Das sind seine Worte. Ja was wär' denn das, hab' ich mir gedacht – Heidelolf? Da wär' am End' die Gertraud auch dabei und ich wüßt' nichts davon, daß sie hier sei! Es wird doch, meiner Seel', nicht noch einen Heidelolf geben! Und fort bin ich wie der Wind. Und richtig, 's gibt nur einen und bei dem ist die Gertraud! Aber jetzt laßt der Philipp Springer auch nimmer nach, bis du sein bist, und wenn alle Strick brechen, so sag' ich's dem Herzog Christoph, der muß helfen – o du meine liebe, gute, du meine schöne Gertraud!«
»Aber jetzt mußt zum Vater hinein, Philipp, – ich komm' bald nach, muß mich nur anzieh'n.«
»Bist ja schon angezogen!«
»Aber nicht schön genug, meint der Vater. Weißt, 's ist der Ratsherr drin, der ihm 's Wort gesprochen. Dem muß ich den heiligen Johannes überreichen und da soll ich –«
»Wie heißt denn der Ratsherr, Traud?«
»Florian Hundertpfund heißt er.«
»Was sagst? Flo– Florian Hu– Hundertpfund? Das ist ja ein Hauptunglücksstifter!«
»Ein Hauptunglücksstifter?«
»Der ist ja noch ärger als der Dirnberger Fritz!
»Ja, ich weiß nicht – du meinst also?«
»O du, dem ist auf der Welt gar nichts heilig, jetzt wirst mich doch verstehen! Traud, dem dreh' ich den Hals um, wenn er dir ein unrechtes Wort sagt!«
»Aber Philipp, der Mann mit seinem schneeweißen Haar – dem tust aber gewiß unrecht!«
»Nicht wahr ist's, Traud, der hat's hinter den Ohren! Wirst schon seh'n, was er uns noch für Herzleid antut!«
»Meinst? Freilich hat der Vater manches Wort vom alten Herrn gesprochen, wie ich ihm gar wohl gefiel' – aber selb bedeut' nichts, sei nur ohne Sorgen und jetzt geh hinein zum Vater!«
»Ich geh schon, Traud, aber einen Kuß zum Willkomm krieg' ich –« und kaum gesagt, wollte er sie umschlingen. Aber sie schlüpfte in die Kammer. Philipp stand da und wischte sich über die Lippen. »O Philipp,« sumste er vor sich hin, »da hast du wieder falsch angeklopft. Ei was, freut mich doch, denn krieg' ich keinen Kuß, darf der Herr Florian mit seinen vergilbten Scheiteln bis an das End' der Welt warten! Dem Vater wird mein Anblick nicht viel Freud' machen. Nun, was ist's, jetzt bin ich halt doch ein anderer Philipp, als dazumal zu Landsberg, und will er den Herzog zum Kunden, so darf er seinen liebsten Diener und allerbesten Schützen, Ringer und Springer auch nicht gradweg vor den Kopf stoßen!«
»Gertraud,« raunte er durch die Kammertür', »um die zehnte Stunde schau' ich allzeit zu deinem Fenster. Merk' auf, sonst kannst nicht schlafen dieselbige Nacht, oder 's kommt dir der rothaarige Dirnberger Fritz und der weißkopfige Hundertpfund im Traume vor – hast es gehört, du böse, du herzige Maid?«
Drauf klopfte er an die Türe der Werkstatt, ein tüchtiges »Herein« des Bildschnitzers erklang und Philipp trat ein.
Meister Hans machte große Augen, da er Philipp erkannte.
»Ihr seid es?« sagte er.
»Ja, ich bin's, Meister!« entgegnete jener.
»Was steht zu Diensten?«
»Mir steht nichts zu Diensten, Ihr sollt zu Diensten stehen. Selb mein gnädigster Herr, der Herzog Christoph, läßt Euch sagen, er wollt' Euch um die vierte Nachmittagstunde besuchen und Euer künstliches Geschnitz beschauen.«
»Der Herzog kommt zu mir?« rief Heidelolf. »Ja will denn ein guter und schöner Stern nach dem andern für mich aufgeh'n hie zu München, gleich in der allerersten Woch!? Aber – Ihr – Ihr seid in des Herzogs Diensten? So habt Ihr's doch noch zu was gebracht? Ich hätt' keinen Heller für Eure ganze Hoffnung gegeben. Nichts für ungut, aber das Treiben gefiel mir gar nicht und dacht', 's müß Euch bald schlecht geh'n, weil sich die Armut nicht leicht darniederringen läßt, das Glück nicht wie der Vogel in der Luft fliegt, daß es der bessere Schütz' allzeit herunterschießt, und Geld kann einer auch nit erspringen! Nun mich freut's, daß es Euch gut geht. Und nun sagt dem gnädigsten Herzog meine Untertänigkeit und sei ganz zu seinen Diensten!«
»Behüt' Euch Gott, Meister!« sagte Philipp, nebenbei den Ratsherrn kalt grüßend. Dann, sich wendend, warf er einen Blick auf den heiligen Johannes. »Den Johannes kauft Euch der Herr Herzog ab,« warf er hin, »er hätte längst gern einen schönen gehabt für die schwarze Kapell'. Sollt sehen, er kauft ihn. – Gott befohlen, Meister Hans!«
Damit ging er. Dem Herrn Florian standen die kalten Schweißtropfen auf der Stirne, denn es war rein erlogen, daß er beim Herzog zur Tafel geladen sei.
»Ihr kennt also den Philipp?« fragte er, die Stirne wischend, den Bildschnitzer, dem die Worte über den heiligen Johannes ein besseres Ziel vor Augen setzten.
»Freilich kenn' ich ihn, wohlweiser Herr,« entgegnete er, »ich kenn' ihn nur gar zu gut und was er möchte. Er bildete sich zu Landsberg schon ein, meine Gertraud sei wie für ihn gewachsen – und nun er wieder da ist – –!«
»Der kecke Bursche, der,« sagte Herr Florian – »wo er nur den Mut hernimmt, der unerfahrene und wie man augenscheinlich sieht, höchst leichtsinnige Mensch und äußerst windflüchtige Geselle!«
»Da tut Ihr ihm unrecht, wohlweiser Herr!« entgegnete der Bildschnitzer. »Er ist, was seine Sitten betrifft, vor allem Tadel sicher. Gestattet mir jetzt nur einen Augenblick nach der Gertraud zu sehen –«
In diesem Augenblicke trat sie ein.
»Nichts ist's mit dem heiligen Johannes,« flüsterte er ihr zu, »sag' dir schon, warum!« Drauf wendete er sich zu Herrn Florian und sagte: »Wohlweiser Herr, seid nicht befremdet, daß Ihr meine Tochter in besserem Gewande seht – es ist nur Eurer Gegenwart zu Ehren.«
Herrn Florian Hundertpfund fuhr es wie in fünftausend güldenen Hoffnungen durch den Kopf und er sagte ihr alles mögliche Schöne, was ihn noch verhaßter machte, als er ihr beim Eintreten geworden – da er eine so glückselige, dabei lüsterne Miene gezeigt, als einem Graukopf gar am schlimmsten steht, und so zuckersüß gelächelt, als ob ihm das ganze Gesicht aus dem Leim gehe.
Meister Hans schritt, ein und anderes ordnend, in der Werkstatt hin und her, und Herrn Florian schien die Gelegenheit zu günstig, als daß er nicht versucht hätte, einen Kuß auf Gertrauds Hand zu drücken. Sie wurde ihm aber rasch und unwillig entzogen, und die Bemühungen, ihre zornglühenden Wangen zu streicheln, fielen erst ganz übel aus.
»Ei, ei,« flüsterte der lüsterne Ratsherr kichernd, »was Ihr doch furchtsam seid!« Er blinzelte nach dem Vater, der, mit Gedanken an Herzog Christoph beschäftigt, wie gar nicht da war. Darauf Herr Florian, zu Gertraud gewendet, äußerst pfiffig die Augenbrauen hinaufzog und mit dem Zeigefinger der rechten Hand drohend, raunte: »Ich weiß alles. Aber laßt es nur gut sein, er soll Euch nichts anhaben. Ihr verdient etwas ganz anderes!«
»Ich versteh' Euch nicht«, sagte Gertraud mit lauter Stimme, so daß der wohlweise Herr Hundertpfund zusammenfuhr, während er zugleich auf den Vater blickte, der von nichts Bösem träumte.
»Desto besser, wenn Ihr mich nicht versteht,« raunte jener überfreundlich – »Nachts um die zehnte Stunde werdet Ihr mich oft an Eurem Fenster sehen, mein süßes Leben!«
Sie warf ihm einen Blick der Verachtung hin und ging, gleichsam ihn wegbannend, auf den Vater zu, während der alte Sünder, süßlächelnd und mit der ringblitzenden Rechten ihr unausgesetzt Grüße zuwinkend, auch dahin folgte.
»Also schnitzt mir den Apostel Petrus, Meister Heidelolf,« sagte er, »wie ich ihn bestellt. Ich werde schon nachschauen – haben vielleicht noch – he he – gar manches zu besprechen. Gott befohlen, holde Gertraud!«
»Seid nur nicht seltsam,« sprach der Bildschnitzer ehrerbietig, »und wohl mund' es Euch an des Herzogs Tafel!«
»Pst, das laßt,« fiel der Ratsherr ein, »es handelt sich um geheime Konferenzen und das Essen wird wohl die Nebensache bleiben. Ich hab' es Euch zudem in ganz besonderem Vertrauen gesagt –«
»Versteh'!« entgegnete jener – und alsbald keuchte der wohlweise Herr Florian die Treppe hinunter.
In ihrem ganzen Leben war Gertraud nie so unmutig geworden und sie nahm sich fest vor, den kecken Ratsherrn beim Vater zu verklagen. Sie trug die zwei Schüsseln wieder herein. Über Mittag kam kein Wort aus des Bildschnitzers Mund. Als sie aber gegessen, sagte Heidelolf: »Du, Gertraud, behalt' dein schönes Gewand an, denn der Herzog Christoph kommt!« Dabei sah er sie fest an. Sie sagte nichts.
»Ich glaub' gar, du weißt es schon?« fuhr er fort.
»Freilich weiß ich's, Vater!«
»So weißt etwan auch – wer dagewesen ist?!«
»Wohl weiß ich's, Vater. Der Philipp war da, der hat mir's gesagt.«
»Da soll ja gleich –! Gertraud, ich rat' dir, setz' dir nichts mehr in den Kopf, weil dir der Philipp da wieder in Wurf gekommen. Es war nichts, ist nichts und wird nichts. Gleich sagst du mir, was er gesprochen hat!«
»Soll ich, Vater?«
»Ich will's haben!«
»Nun denn, wenn's sein muß – vom Herrn Hundertpfund hat er gesprochen, und daß er ein wilder, heimtückischer Feinspinner sei, der 's dick hinter den Ohren hat – und gar nichts ist ihm wert –«
»Hat er gesagt?«
»Und gar nichts heilig –«
»Hat er gesagt?«
»Und ich glaub' er hat recht, Vater! Denn der Herr Florian hat heut' wildfeurige Blick' auf mich geschossen –«
»Hat er –?«
»Alleweil' wollt' er mir die Hand küssen und drücken –«
»Was sagst –?«
»Und die Wangen wollt' er mir streichen –«
»Was? Das hätt' er gewollt?«
»Und alleweil' hat er hinübergeblinzt, ob Ihr's nicht seht, Vater!«
»Ja, da soll ja den Herrn Hundertpfund der Teu– aber – Gertraud, er hat's doch wohl nit so bös gemeint, – er hat mir so was fallen lassen von – verstehst mich, vielleicht hat er im Sinn –«
»Aber Vater!« flehte Gertraud und eilte gegen die Türe.
»Ja, aber wenn er dich heiraten wollt'?«
»Heilige Mutter Gottes!« stammelte Gertraud, nahm schnell die zwei leeren Schüsseln und verschwand.
Nun war wenige Tage früher ein fremder Kaufherr namens Kunrath gen Hof gekommen. Mit dem hatte auch Herzog Christoph zu verkehren, zeigte sich ihm recht geneigt, weil jener ein angenehmer, in keiner Weise kriechender, junger Mann war, und fragte nun der fürstliche Gönner: »Wie's komme, daß er noch kein eheliches Weib habe, so er doch sicher nur wählen dürfe?«
Da lächelte der junge Kaufherr und sagte: »Ja, gnädigster Herr Herzog, wenn's so fortgeht wie bis jetzt, gewinn' ich mein Leben lang keine Hausfrau. Denn es ist mir noch gar kein weiblich Wesen schön genug vorgekommen, daß ich es der Anfrage wert gehalten, und hab' doch schon viele treffliche Jungfrauen gesehen zu Venedig und Amsterdam, auch vieler anderen Orte. Fänd' ich aber einmal die Rechte und Echte, ja, die dürfte so arm sein wie ich reich, ich nähm' sie, und kostete es wahre Wagnisse und Heldentaten, ich wollte keine Gefahr scheuen, bis ich sie eroberte.«
»Ihr werdet mir auch schöne Wagnisse und Heldentaten verrichten,« sagte Herzog Christoph, »trefflicher Herr Kunrath!«
»Da irrt Ihr, mit Verlaub«, sprach Herr Kunrath. »Ich wär' ja wohl weit lieber ein Ritter denn ein Kaufherr, zu dem ich einmal geworden bin, weil sich's so geschickt hat. Glaubt mir nur, Herr Herzog, ich nehm's im Reiten und Springen, im Werfen und Schießen mit gar vielen auf und wär' Euer Geschick und große Kraft nicht gar zu wohl bekannt, so möcht' ich Euch selbst in ein' oder dem andern Stück zum Wettstreit auffordern!«
»Wer weiß, dazu kann noch Gelegenheit werden«, sagte Herzog Christoph lächelnd.
Als der Kaufherr wieder zu Herzog Christoph kam, ließ er sich vernehmen: »Gnädigster Herr Herzog, ich glaub', ich geh' nicht aus München fort, ohne daß ich meine Ehhälfte errungen – oder viel Herzleid von hinnen nehm'.«
»Das wäre,« sprach Herzog Christoph, »uns wollt Ihr die Ehr' antun?! Wer ist denn die Auserwählte?«
Und mit allem Feuer erzählte ihm Herr Kunrath, wie er im Tale vor drei Tagen um die Nachmittagsstunde eine Jungfrau erblickt, die alles an Schönheit übertroffen, was er je gesehen, und da er sie in der Freude seines Herzens beschrieb, merkte Herzog Christoph, daß es sich um Gertraud handle; der Kaufherr wußte auch schon alles zu sagen, wie sie heiße, woher der Vater, und wo der wohne, so viele Nachfrage hatte er gepflogen und schwur unvermutet hinzugehen und sie aus der Armut in die schwindelnde Höhe seiner Reichtümer zu heben.
Herzog Christoph hatte Gertraud bis zu der Stunde nicht wiedergesehen, aber bei des Kaufherren Liebesflamme wurde auch sein Gemüt trotz allem Widerstand entzündet, eine Art Eifersucht trieb ihn, so sie auch zu gar nichts führen konnte, und ohne weiters ging er hinaus und gab dem Philipp den schon bekannten Auftrag sich zu Meister Heidelolf zu begeben. Philipps Gesicht war bei dem Namen Heidelolf ganz verklärt worden, so daß es dem Herzog auffiel, auch sah jener voll Dankes gen Himmel und jagte mit einem Diensteifer dem Tale zu, der dem Herzog Christoph gar zu groß dünkte.
»Was soll es sein,« sprach er für sich, am Fenster stehend, »warum eilt der Philipp gar so glückselig durch die Burggasse? Dem Bildschnitzer zulieb geschieht es nicht – kennt etwa er auch die Gertraud? Nun, das fehlte mir, daß der Diener des eigenen fürstlichen Herrn Nebenbuhler würde. Doch was sag' ich von mir! Mein kann sie doch nicht werden – aber du armer Teufel von Philipp, was willst du ausrichten gegen den jungen Kaufherrn, der sich vorgenommen, den güldenen Apfel seiner Wünsche zu pflücken, so ihn auch eine ganze Schar Drachen bewachte.«
Als er wieder ins Gemach zurückkehrte und der Kaufherr sich beurlauben wollte, sagte Christoph: »Nun habt Ihr mir da alles wohl und lang erzählt und ich wünsche Glück – vielleicht kann ich Euch selbst etwas verkünden, denn Ihr müßt wissen, daß mir die tugendhafte Jungfrau bekannt ist, und daß ich heute um die vierte Stunde beim Vater einspreche.«
Herr Kunrath war betroffen, als er hörte, der Herzog gehe zum Bildschnitzer. Christophs Wandel war aber weltbekannt, drum schob er die Sorgen weg und sprach: »Wohl, Herr Herzog, ich leg's in Eure Hand und auf alle Weise will ich werben, wie sich's gehört.«
»Herr Kunrath,« versetzte der Herzog, »macht Euch nicht zuviel und zuwenig Hoffnung. Möglich, daß Ihr bald am Ziel seid – aber wenn es so wär', wie ich mir gerade was gedacht, kämet Ihr kaum ohne Wagstück und lustig große Tat davon und hättet sodann die beste Gelegenheit Eure Kräfte zu zeigen.«
»Ich versteh' Euch nicht ganz, gnädigster Herr Herzog,« sagte der Kaufherr lächelnd, »aber wie's komme, ich bin zu allem bereit, denn mein Herz ist ganz in der Jungfrau Gewalt.«
Darauf verabschiedete er sich.
Herzog Christoph ging mit langen Schritten auf und nieder, bis Philipp zurückkam, ihm erzählte, was da an Schnitzerei beim Meister Hans zu sehen sei und mit großer Teilnahme vom heiligen Johannes sprach. Als er sich entfernen wollte, sagte Herzog Christoph: »Bleib', Philipp!« Er trat mit verschränkten Armen vor ihn hin, sah ihm fest ins Auge und fuhr fort: »Ich hab' dich nie so froh gesehen. Hat dich was Glückliches betroffen?«
»Gnädigster Herr Herzog,« entgegnete Philipp, »allezeit ich auf der Welt bin, ist heut' mein glücklichster Tag!«
»Macht dich die Minne so froh?«
»Erraten habt Ihr's, gnädiger Herr Herzog!« stammelte Philipp.
»Brennt dein Herz gen's Tal zu?«
»Wohl, gnädigster Herr Herzog! Gen's Tal brennt's zu, und alles Wasser an der Hochbruck' kann die Flamm nit löschen – aber –«
»Ist's etwa gar die Gertraud –?«
»Getroffen, gnädigster Herr Herzog! Gertraud heißt sie, aber –«
»Des Bildschnitzers Heidelolf Tochter?«
»Ja, bei Gott, sie ist's und keine andere. Aber wer kann's Euch gesagt haben, gnädigster Herr Herzog!?«
»Liebt sie dich?«
»Und wie!!«
»Weiß es der Vater?«
»Wohl weiß er es, aber –« und in einem Zug erzählte Philipp – glückselig dem Herzog seine Schmerzen und Freuden anvertrauen zu dürfen – alles, vom ersten Beginn seiner Liebe bis zu der Stunde, dazu alle seine Besorgnisse wegen des wohlweisen Ratsherrn Florian, und so bis auf das letzte, wie weiter oben die Sache ihren Verlauf nahm und getreu erzählt worden ist.
Herzog Christoph erwog, wie billig seines treuen Philipp Wünsche seien, und beschloß ihn glücklich zu machen, wenn es sein könne. Er ließ sich aber noch nichts merken, weil er ihm die große Liebe der Gertraud noch nicht ganz glaubte, und sagte kalt hin: »Philipp, du hast einen noch mächtigeren Nebenbuhler als Herrn Florian, schau' zu, daß du nicht verspielst!«
»Einen noch mächtigeren Nebenbuhler als Herrn Florian –?« lallte Philipp. Christoph winkte ihm; unter tausend Zweifeln trat er ab, und mit ganz anderen Augen denn vorher sah er den Besuch des Herzogs beim Bildschnitzer an. »Sollte er, er selbst –?« träumte er vor sich hin – »nein, nimmermehr – aber wer sonst –? O meine Gertraud, jetzt wird sich's zeigen, ob du mich treu liebst oder nicht!«
Herzog Christoph aber stand da in tiefem Sinnen – das Bild der holden Jungfrau schwebte zauberisch an seiner Seele vorüber und er drängte es nicht zurück, als wollt' er sie für ewig von hinnen scheiden seh'n und würf' ihr nur noch einen wehmütigen Blick nach.
»So ist mir auch jetzt der Liebe Glück nicht beschieden«, flüsterte er. »Der Traum ist wahr geworden! Da steh' ich am Abgrund, über den ich nicht setzen kann, als da ist der Stand der Holden, ihre Liebe – und Nebenbuhler, mit denen Herzog Christoph nicht streiten kann. So fahr' denn hin, du reizendes Bild, leb' wohl, du süße Maid, mit deinem heiterfrommen Engelsantlitz und deinen Augen, drin der offene Himmel ausgegossen liegt – leb' wohl, du letzter Traum der Minne! Nur eines will ich noch tun: dich glücklich machen, wenn du's werden willst durch Philipp – – oder den reichen Kaufherrn? Ja, nun wird es sich zeigen, ob ihre Seele auch so schön ist wie ihr Leib – und ob ich in späteren Jahren einst mit Freuden dran denken darf, wie sie mir einst so nah zum Herzen getreten!«
Vom Turm der Heiligen-Geist-Kirche klang die vierte Nachmittagsstunde nieder. Da stand Heidelolf an der Haustür in seinem besten Rock und Wams und wartete auf den Herzog.
Gertraud aber war in ihrer Kammer und nahm noch das beste um, was sie im Schrein finden konnte.
»Seid Ihr Meister Heidelolf?« redete Herzog Christoph den Bildschnitzer an, der ihn in seinem schlichten, schwarzen Gewande nicht vermutete.
»Euch zu dienen, gnädiger Herr!« versetzte er halbzweifelnd.
»So kommt herauf,« sprach Christoph, »und zeigt mir Euere künstlichen Werke, ich bin der Herzog Christoph.«
»Vergebt, daß ich Euch nicht erkannte, gnädigster Herr Herzog!« sprach Heidelolf, sich tief verbeugend. »Nie hatte ich ja das Glück Euch zu sehen. Wollt Ihr mir die hohe Ehre erweisen, so tut gnädigst den Vortritt, ich folge Euch!«
Schweigend stieg Herzog Christoph die steile Treppe hinauf und trat in die Werkstatt. Meister Hans zeigte ihm eins ums andere. Der heilige Johannes ward bald des Herzogs. Drauf dann viel anderes belobt und einiges bestellt war, sagte der Herzog: »Meister, Ihr habt ja eine Tochter – wo ist sie denn?«
»Mit gnädigstem Verlaub, sogleich soll sie erscheinen,« entgegnete Heidelolf und, die Tür' öffnend, rief er hinaus: »Gertraud, komm gleich herein, der gnädigste Herr Herzog Christoph will dich sehen – komm,« sagte er, als sie scheu mit niedergeschlagenen Augen eintrat, indem er sie an der rechten Hand nahm, »fass' nur Mut, er ist uns wohlgewogen!«
Gertraud stand da, den Herzog ehrfurchtsvoll begrüßend.
Sie hatte die Augen noch nicht erhoben.
»Warum gönnt Ihr mir keinen Blick, holde Jungfrau?« sagte Christoph sanft.
Der Ton der Stimme schreckte Gertraud auf. »Heilige Maria« – rief sie, rasch aufschauend – »steh' mir bei!« setzte sie zitternd hinzu, als sie dem Herzog ins Auge sah.
»Was hast du, Gertraud?!« rief der Vater erschrocken. Leichenblässe hatte ihr Angesicht überzogen. Sie dachte an die Wieskapelle beim Rathaus und vermochte nicht auch nur ein Wort zu sprechen.
»Fürchtet Euch doch nicht, Jungfrau!« sprach Christoph mild und erzählte dann dem Vater, scheinbar fröhlich, wie er Gertraud zum erstenmal getroffen, wie sie sich bekreuzt und »Gelobt sei Jesus Christus!« gerufen habe, als ob er der böse Feind sei. –
Gertraud atmete wieder auf.
»Hat mir kein Wort davon gesagt!« rief der Bildschnitzer heiter. »'s ist halt ein alter Spruch: Ist nichts so fein gesponnen, kommt's doch an die Sonnen. Merk' dir's Gertraud!«
»Das ist freilich ein wahrer Spruch«, entgegnete Christoph.
Er ging einige Schritte ab und zu – dann sah er Heidelolf freundlich, aber fest ins Gesicht und trat vor ihn mit verschränkten Armen. »Seht,« fuhr er fort, »darum ist's auch an die Sonnen gekommen, daß Ihr Euere Tochter meinem Philipp nicht geben wollt!«
»Das ist auch an die Sonnen gekommen?« stotterte Meister Hans, sich beugend und mit der Rechten verlegen über den kahlen Scheitel fahrend. Gertraud aber starrte den Herzog freudig an, denn die Worte, die er gesprochen, klangen ihr wie Worte aus dem Himmel.
»Was wollt Ihr in der Sache tun?« fragte Herzog Christoph. »Ich hab' keinen meiner Leute so lieb, wie den Philipp, doch wenn's was werden sollte, so möcht' ich dem Glücklichen ja wohl gern einen Platz geben, daß Ihr zufrieden wäret, Meister Heidelolf.«
»O Ihr allerbester, allergnädigster Herr Herzog!« stammelte Gertraud und warf sich in ihrer unaussprechlichen Überraschung und Freude zu Christophs Füßen.
Meister Hans aber sagte ehrfurchtsvoll: »Solche Worte wären mir freilich alle Zeit Gebot.«
»Das hör' ich gern«, entgegnete Christoph, den armen Leibknecht um sein Glück beneidend, von der Jungfrau, die zu seinen Füßen lag, so heiß geliebt zu werden und erhob Gertraud sanft.
»So ist denn also der Philipp wirklich all dein Glück und Leben?« fragte Meister Hans.
»All mein Glück und Leben!« lispelte Gertraud.
»Nun, so geb' ich denn all dein Geschick in des hohen Herrn Willen und Hand«, versetzte der Vater.
Herzog Christoph stand schweigend eine Weile und weidete sich an der Wonne der Jungfrau und ihrem heißen Danke. »Die Probe habt Ihr gut bestanden, Jungfrau!« sagte er dann. »War auch nicht schwer abzulegen. Wir sind aber noch nicht zu Ende – macht Euch jetzt auf eine härtere bereit!«
»O allergnädigster Herr Herzog!« sprach Gertraud, ihre Engelsblicke freundlich, vertrauensvoll in die seinen versenkend, »was könnt' denn jetzt das für eine Prob' sein, die ich nicht für den Philipp bestünd'?«
»Das werden wir sogleich sehen«, entgegnete der Herzog. »Darben sollt Ihr wohl nicht, so Ihr den Heißgeliebten wählt, aber es steht Euch ganz etwas anderes bevor. Nun, daß Ihr dem wohlweisen Herrn Florian Hundertpfund nicht grün sein wollet, dem Ihr, wie ich vermuten darf, wohl gefällt, selb will ich wohl glauben –«
»Das habt Ihr wohl erraten!« unterbrach Gertraud leise.
»Aber 's ist ein anderer Mann zu München,« fuhr Christoph fort, »der Euch besser anstehen dürfte.«
»Als der Philipp?« fragte Gertraud, ihm lächelnd und voll Unschuld ins Antlitz sehend und ihr schönes Haupt zauberisch hold und leise schüttelnd.
»O, hört nur erst«, entgegnete Christoph. »Zu Amsterdam und Venedig, da stehen zwei große Paläste. Der erste ist mit Talern gepflastert, im zweiten sind so viele Reichtümer aufgehäuft, daß alle Kaufherren von München zusammen nicht halb soviel aufzuweisen haben. Der, dem dies alles und noch weit mehr gehört, ein junger, schön stattlicher Herr, ein guter Ringer, Fechter, Schütze, was weiß ich, wohl Tänzer auch daneben, der hat Euch gesehen, Jungfrau, und sich fest vorgenommen, um Euere Gunst zu werben und Euch als seine Ehehälfte von dannen zu führen.«
»Nimmermehr,« rief Gertraud flehend, »nimmermehr, gnädigster Herr Herzog!«
»Tochter, Tochter,« fuhr Meister Hans, die Hände zusammenschlagend, auf, »was tust du! Du die Frau eines reichen Kaufherrn – ich bitte dich, wie kannst du nein sagen? Das ist ja ein unerhörtes Glück! Bedenk' doch, des Himmels Gnade wegstoßen, ist ja die größte Torheit und Sünde wohl gar auch!«
»Die Sünde nehm' ich auf mich, Vater!« sagte Gertraud, ihm die Hand drückend. Dann trat sie zu Herzog Christoph, legte die Rechte auf das Herz und sprach feierlich mit sicherer Stimme: »So wahr Gott über mir ist, ich nehme den Kaufherrn nicht, und wär' er reicher als alle Kaufherren zu Venedig und Amsterdam zusammen, und schöner, denn alle Engel im Himmelreich!«
»Jetzt ist's aus,« sagte Heidelolf ernst, »du hast geschworen, und ein ehrliches Christenkind bricht seinen Schwur nicht!«
Herzog Christoph sah mit Rührung auf die wundersam treue Maid.
»Jungfrau,« sprach er, »das tun Euch nicht viele nach! Gottes Segen wird Euch dafür anders lohnen. Wer weiß auch, ob Ihr da gut getan hättet vom Philipp abzulassen. So bringt Ihr gleicheren Teil zu – aber eines reichen Mannes arme Frau zu sein, reicht in Freuden gar selten viele Jahr' hinter die güldenen Flitterwochen.«
»So mag's wohl sein,« setzte Heidelolf ehrerbietig bei, »und da 's nicht sein soll, so sei's für allezeit abgetan – ja und trät' er jetzt gleich herein, so sagt' ich: Viel Ehr', aber 's kann halt nicht sein! Ist's so recht, Gertraud?«
Sie flog an seine Brust. Er küßte sie auf die Stirn' und wischte sich die Tränen aus den Augen. »Weiß ja wohl, was die Liebe ist,« sagte er, »was ich gerannt bin meilenweit, und wieviel ich Holzblöcke verschnitten hab' in der Verwirrung meiner Sinne, bis ich deine selige Mutter errungen. Hätten sie mir doch auch die reichste, schönste Jungfrau bieten dürfen, 's hätt' halt auch nichts gefruchtet, denn ich wollte halt auch nur die Elsbeth und gar keine andere auf der ganzen Welt als gerad' die Elsbeth.«
Herzog Christoph legte dem biederen Bildschnitzer in vertraulicher Gnade und Teilnahme die Hand auf die Schulter, dabei er ihm tief in das feuchte Auge sah. »So sei es denn, sprach er drauf, »da Ihr Euer Wort so treu haltet, will ich auch das meine halten, Frau Försterin!«
»Försterin?« riefen Vater und Tochter.
»Und das letzte soll es nicht sein, was ich für ihn tu'!« fuhr Christoph fort. »Doch umsonst und sonder einige Plage soll er Euch nicht gewinnen. Auch könnt' ich es nicht verantworten, daß ich dem Kaufherrn in den Weg getreten. So hört denn, was ich mir da als das beste denke, und wie es sich der Kaufherr Kunrath selbst zuzuschreiben hat, so er Euch nicht gewinnt. Denn daß der Philipp den Sieg davontragt, das wollt ihr wohl selber nicht minder glauben denn ich!«
Und entdeckte beiden sein ganzes Vorhaben.
»Aber wann er halt doch nicht das Beste gewinnt – was dann?« seufzte Gertraud.
»Wie soll denn der Philipp nicht gewinnen«, tröstete sie Herzog Christoph. »Ich wüßt' in allen deutschen Landen keinen, der mit ihm in die Wette werfen dürft' oder springen!«
»So 's denn Euer gnädigster Wille ist, Herr Herzog, so muß es wohl geschehen,« entgegnete Gertraud halb verzagend – »aber was gräm' ich mich, Ihr werdet ja wohl am besten wissen, was der Philipp vermag – also in Gottes Namen, und Euer Wille, hoher Herr, geschehe!«
»Somit Gott befohlen,« sprach Christoph, »und meine fürstliche Gnade bleibt Euch allezeit. Hier die Zahlung, Meister Hans, für den Johannes;« – er legte zwölf Goldgulden hin, viermal mehr, denn bedungen – »noch heute bringt ihn in die Hofburg – dem Philipp sagt ihr von nichts!« Und freundlich den Vater grüßend, dem bei dem vielen Gold fast schwindelte, heftete er noch einen Blick auf Gertraud, die wohl nicht ahnte, wie ihre Schönheit und Anmut den fürstlichen Herrn ergriffen, und welchen großen Sieg er errungen, fast so groß als der, welchen sie in ihrer Treue erfochten – da er für einen anderen sorgte, wo er ja gerne für sich selber hätte werben mögen. Dann ging er vom Bildschnitzer begleitet die Treppe hinab, und lief es gar schnell durch die Nachbarschaft, der Herzog Christoph sei bei Meister Hans von Landsberg gewesen. Gertraud aber lag oben auf den Knien und betete in herzinnigster Andacht: »O du guter Gott, lass' doch den Philipp recht weit werfen und springen!«
Es war Nacht. Der Himmel hatte sich umwölkt und viel Regen stand bevor. Da schlich einer vor Gertrauds Fenster auf und nieder, bald nah', bald ferne am Haus, drüben oder herüben.
Es war Philipp.
Wie er nun einmal stillstand und, an die Häuser gelehnt, der zehnten Stunde harrte, dabei in der tiefsten Seele träumte, was es schön wäre, wenn er um die Zeit bei der Gertraud sein dürfte, sah er eine Gestalt nahen, die, gleich ihm, in einen Mantel gehüllt, sich des Bildschnitzers Wohnung nahte und, den Blick auf Gertrauds Fenster gerichtet, schwerfällig auf- und abging.
»Das ist ja gar der verwünschte Herr Florian Hundertpfund!« raunte Philipp zornig vor sich hin – »Ratsherr, ich sag' dir, mach' mich nit scheu, sonst sollst du merken, wer hinter dir steht!«
Es währte aber nicht gar lange, so kam noch ein anderer, auch in einen Mantel gewickelt, daher. Der ging auch still auf dasselbe Haus zu, und wie tief er auch den Hut ins Gesicht gedrückt hatte, Philipps Falkenauge erkannte doch sogleich, daß es der Kaufherr sei, der beim Herzog zugesprochen. »Alle Heiligen!« raunte er wieder, »was soll das? Wär' am Ende er der mächtige Nebenbuhler?!« Er meinte, er müsse vor lauter Schreck umfallen. Aber er fiel nicht um, denn der Zorn hielt ihn aufrecht. Während er sich so das alles betrachtete, war der Kaufmann zur Seite des Herrn Florian getreten und hatte ihn fest angeblickt. Dem wohlweisen Herrn ward dabei nicht wohl, und er schritt etwas weiterab hin und her in der Meinung, der andere sollte seiner Wege gehen. Der Kaufherr tat auch dergleichen. Da aber Herr Florian wieder beim Fenster stand, stand der andere alsbald auch wieder bei ihm und fragte plötzlich: »Herr, was habt Ihr da zu tun und wem gilt Eure Schildwach'?«
»Das wird Euch wenig kümmern!« versetzte Herr Florian Hundertpfund zornig. »Vielmehr frag' ich Euch, was habt Ihr da zu tun und wem gilt Eure Schildwach'?«
»Das wird Euch wenig kümmern!« entgegnete Kunrath noch zorniger. »Macht, daß Ihr von hinnen geht, sonst sollt Ihr so trocken nicht nach Hause ziehen, als Ihr dahergekommen!«
»Dazu müßt Ihr den Regen abwarten«, höhnte Herr Florian.
»Mit nichten,« herrschte ihn jener an, der sich seines starken Armes gar wohl bewußt war, »merkt Euch, dort ist viel Wasser, das vorüberfließt!«
»Was!« rief der wohlweise Ratsherr, »Ihr Wegelagerer, Ihr Nachtschleicher, Ihr höchstverdächtiges Individuum, Ihr wagt meiner unbetastbaren Person mit einiger freventlichen Gewalt und Schmach zu drohen? Nehmt Euch in acht, daß ich nicht die Nachtwache rufe und Euch in den Falkenturm werfen lasse!«
»Herr,« donnerte ihn Kunrath an, »ein Wort mehr, und ich halte Wort! Auf der Stelle sagt Ihr, was Ihr da zu suchen habt! Doch am Ende sucht Ihr ganz was anderes, denn ich und wir können in Frieden beisammen bleiben.«
Das leuchtete Herrn Florian sehr ein. »Wohlan,« sagte er, »nichts für ungut, was ich in des Zornes Hitze gesprochen, aber Ihr wißt, die Minne verwirrt die Sinne!«
»So, Euch treibt die Minne?« höhnte Kunrath.
»So ist es,« sagte Herr Florian, »und da ich – nehmt mir nur nichts für ungut, was ich gesprochen – Euch für einen verschwiegenen Ehrenmann halte, so will ich Euch entdecken, daß mich die Sehnsucht nach des Bildschnitzers Hans Heidelolf Töchterlein Gertraud hergetrieben.«
»Was,« fuhr der Kaufherr auf, »nach Gertraud?! Herr, nun auf der Stelle fort, denn mich treibt die Sehnsucht nach des Bildschnitzers Tochter auch daher, und Ihr werdet Euch wohl nicht träumen lassen, daß ich, der Fürsten und Königen – doch wozu Euch da mehr sagen. Fort, oder Ihr liegt im nächsten Augenblick im geschwollenen Bach!«
»Das laßt Ihr bleiben,« kochte Herr Florian auf, »Ihr Verführer, Ihr kecker Abenteurer, Ihr Unschuldverderber!«
Dabei riß er den Stoßdegen heraus.
»Ich bin kein Verführer,« donnerte ihn Kunrath an, »und wollt Ihr wissen, wer ich bin, gegen den Ihr nutzlos die Scheide lichtet und der Euch in den geschwollenen Bach wirft, so wißt es denn: Ich bin Kunrath, der reiche Kaufherr zu Amsterdam und Venedig, der Gertraud zu seinem ehelichen Gemahl erwählt!«
»Das geht mich nichts an!« geiferte Herr Florian, »das kann ein jeder sagen! Ihr lügt, und wärt Ihr derselbige Kaufherr, so bekämt Ihr die Gertraud doch nicht, denn sie wird mein – jetzt habt Ihr's gehört!«
»So möcht' ich den sehen, der sie mir streitig machte!« rief der Kaufherr in höchstem Groll und packte Herrn Florian – in demselben Augenblicke fühlte er sich aber selbst an Brust und Knie gepackt. Denn Philipp war wie der Blitz herübergeschossen und donnerte seinerseits: » Ich mache sie Euch streitig –« gab ihm einen Schwung und schleuderte ihn in den Bach. »Und Euch mach' ich sie auch streitig!« ging es nun gen Herrn Florian. Der hatte nicht Zeit zweimal zu atmen, als Philipp ihn schon ergriffen und unter vergeblichem Zappeln und Schreien fortgeschleppt, hup, lag auch Herr Florian im Bache, daß das Wasser hoch aufgischte.
»Hütet euch vor mir,« rief Philipp, »denn wenn ich euch wieder da treffe, geht's mit dem Wasserbad nicht ab!« In dem Augenblick öffnete sich Gertrauds Fenster. Er sah es und raunte hinauf: »Gute Nacht, mein Engel, leg' dich nur ohne Sorgen nieder, ich hab' da nur zwei Herren ins Wasser geworfen, die dich gern sähen, mir aber ist nirgends nichts geschehen. Schlaf' wohl, Traud!« Dazu schwenkte er sein Spitzbarett und ging gen das Rathaus zu seiner Wege, derzeit der wohlweise Ratsherr und wohlreiche Kaufherr mühsam und unter vielen Rückfällen aus dem Wasser stiegen, der eine diesseits, der andere jenseits.
»Wo ist er!« wütete Herr Kunrath. »Ich muß ihm den Hals brechen! Ha, Ihr« – schleuderte er auf Herrn Florian hinüber – »Ihr auch noch da? Wohl, so will ich mit Euch anfangen!«
Dabei suchte er den Weg über die Brücke.
Herr Florian Hundertpfund hatte aber für diesmal mehr als genug. Triefend über und über, holte er aus, so heftig er konnte und verschwand in kurzem am Gäßlein bei der Heiligen-Geist-Kirche, allwo er in ungeheuerer Wut das Wasser aus dem Mantel wand, soweit er zukonnte und drohte: »Wartet, Herr Philipp, das bricht Euch den Hals – ich geb' es nicht nach, bis Ihr auf dem Rade liegt, daß Euch die Raben fressen – die Raben!«
Herr Kunrath, der, des Wegs ohnedies unkundig, länger brauchte, bis er durch die Fässer, Balken und Schragen an der Brücke herüberfand, hörte deshalb zu keiner Zeit auf zu rufen: »Wo ist der verwegene Raufer? Wenn's keine schlechte List gilt, steh' ich allerwärts zu Feld! Wo bist du, wo seid ihr beide?«
Er zog den Stoßdegen, fuchtelte im größten Grimme links und rechts an den Häusern herum, wo er nur einen schwarzen Fleck sah, konnte aber nichts finden von seinen Gegnern, wieviel er auch focht und donnerte bis zum Rathausturm und noch weiter. Aus allen Fenstern fuhren Köpfe mit allerhand schwarzen und bunten Schlafmützen. Auch der Bildschnitzer sah hinaus, schüttelte den Kopf und sagte zur Gertraud, die alles mitangesehen: »Da schau', Gertraud, ich glaub' gar, da ist einer narret worden!«
Dann legte er sich wieder zu Bett.
Gertraud aber meinte, sie möchte vor Angst vergehen. Schon sah sie Philipp in Ketten und im Falkenturme. Die ganze Nacht schloß sie kein Auge und seufzte gar oft halblaut: »O du lieber Gott, was hast du denn gar so'n bösen Bub'n draus gemacht!«
Am nächsten Tage stand der Kaufherr frühzeitig vor Herzog Christoph. Sein Zorn hatte nachgelassen und er erzählte mit lachendem Munde, was ihm begegnet sei, auch wie er getobt habe, daß er den Mond vom Himmel gestochen hätte, wär' er zu sehen gewesen. Herzog Christoph dachte an niemand anderen als an Herrn Florian und seinen Philipp. Er lächelte und sagte: »Also wollet ihr keine Rache nehmen?«
»Nein, gnädigster Herr Herzog!« entgegnete jener. »Aber kennen möcht' ich den verwegenen Gesellen, und weil er den verwünschten, dicken Nebenbuhler auch ins Wasser geworfen, möcht' ich ihn heute lieber belohnen, denn strafen.«
»Ich glaub', er ist nicht so gar ferne von Euch!« sagte Christoph.
Herr Kunrath sah ihn groß an und es fiel ihm recht heftig ein, daß der Herzog gestern gesagt, er kenne die Jungfrau und gehe zum Vater, mehr anderes auch dazu. »Gnädigster Herr Herzog,« sprach er lachend, »sagt mir zu Gunst – aber nein, es wär' ja zu toll!« –
»Was meint Ihr, Herr Kunrath?«
Der Kaufherr lachte immer heftiger.
»Was soll's?« fragte Christoph betroffen.
»Man erzählt sich soviel Ungeheueres von Eurer Kraft –«
»Beim heiligen Christoph!« rief jener, »Ihr glaubt am Ende gar, ich hätt' Euch in den Bach geworfen? Da seid Ihr weit wegab gekommen, Herr Kunrath!«
Der Kaufherr war bestürzt, hatte aber keine Zeit zu Entschuldigungen, denn im Vorgemach wurde ein großer Lärm hörbar, an dem der wohlweise Herr Florian Hundertpfund schuld war, welcher den Philipp in großem Zorn angefallen hatte und drohte, die Stunde der Rache sei da. Ohne weiters kam er auch mit brennrotem Gesichte keuchend herein und kniete mit Hilfe seines Stoßdegens vor dem Herzog nieder.
»Rache, Rache«, flehte er. »Rache, allergnädigster Herr Herzog! Ich bin entsetzlich beleidigt, die Amtsmajestät, die Würde des Magistrats, die Würde der Stadt, alles ist verloren, wenn Ihr nicht helft! Denkt, welche unerhörte Tat – kaum vermag ich es zu sagen! Denkt, ein Elender hat gestern Nachts gewagt mir zu drohen, mich in den Bach unter die Hochbruck zu werfen und ein anderer hat mich – o Greuel, o Schandtat, o unglaublicher Frevel – ein anderer hat mich wirklich hineingeworfen! Beil, Galgen, Schwert, Rad, Vierteilen, alles recht, nichts zu viel für den Frevler – Rache, Rache, gnädigster Herr Herzog!«
Jetzt sah also Herr Kunrath seinen ersten Feind beim Tageslicht, Herr Florian aber fuhr in einem Strome fort zu erzählen, und so erfuhr Herzog Christoph zu dem, was er schon wußte, das, was er sich dazu gedacht, daß es sich um seinen Philipp handle.
»Wohlweiser Herr,« sagte er, »ich begreife Eueren Zorn – Philipp!« rief er.
Herr Florian stand mühselig auf.
»Was befehlt Ihr, gnädiger Herr Herzog?« sprach Philipp eintretend.
»Hast du gestern zwei Herren ins Wasser geworfen?
»Das hab' ich, Herr Herzog!«
»Wer waren die Herren?«
»Ja wie sollt' ich sie kennen, gnädigster Herr Herzog? Es war stockfinstere Nacht. Sie haben zwar viel und mehr durcheinander gestritten und geschrien, aber in der Wut verändert sich die Stimm', da kann man wieder nit jeden erkennen. So hab' ich nur vernommen, daß sie es beide auf des Bildschnitzers Gertraud abgesehen – und da der eine verlauten ließ, ›den möchte er sehen, der ihm die Gertraud streitig mache‹, so fuhr ich geradeswegs auf ihn zu, rief: Ich mach' sie dir streitig, hab' dick und dünn je beide ins Wasser geworfen – und wären Ihrer noch sechse gewesen, 's wäre ihnen meiner Seel' nicht besser gegangen!«
Jetzt sah Herr Kunrath seinen Hauptfeind beim Tageslicht.
»Also Ihr behauptet mich nicht gekannt zu haben?« rief Herr Florian Hundertpfund in großem Grimme.
»Was tausend, wohlweiser Herr! Ihr wär't es gewesen? Ei, ei, das tut mir aber leid!« sagte Philipp.
»Und mich auch nicht?« rief Kunrath lachend.
»Was Blitz tausend, Ihr wär't es gewesen? Ei, ei, das tut mir aber leid!« wiederholte Philipp.
Herr Florian aber trat majestätisch auf den Kaufherrn zu und sprach: »Also Ihr seid es gewesen, Herr, der mir drohte?«
»Ich war es,« entgegnete Kunrath, »dafür steh' ich Euch sogleich zu Zweikampf und Sühne!«
Herr Florian Hundertpfund schlug sehr heftig auf das Gefäß seines Stoßdegens, maß den Kaufherrn von oben bis unten und ging dann, als sei ihm sein Gegner nicht genug bedeutend, wieder an seinen alten Platz.
»Liebe Herren,« sagte Herzog Christoph, »selb ist eine böse Sache! Der Philipp ist eben einmal in die Gertraud verliebt, sowie ihr auch. Was euch gerecht, ist anderen billig. Ihr, Herr Kunrath, wolltet den alten Herrn ins Wasser werfen, der alte Herr hätte Euch gerne totgestochen und den Philipp wohl auch gerne ins Wasser geworfen –«
»Einen Mühlstein um den Hals, soll man ihn in den Starnberger See versenken, wo er am tiefsten ist!« schnaubte der wohlweise Ratsherr.
»Also Ihr«, entgegnete Herzog Christoph, »hättet allerwegen noch schlimmeres im Sinn! Zudem hat er euch beide nicht gekannt. So vergebt euch vorläufig einander! Seht, in der Lieb' gibt's viel Ungemach und Abenteuer, das darf keiner scheuen, der fürder will auf dem Pfade. Das habt ihr schon erfahren. Ja und damit ist's noch nicht abgetan. Als hätt' es die Jungfrau vorausgesehen, wie die Herren gar wilde Helden seien, hat sie einen Entschluß gefaßt, der euch vielleicht absonderlich deucht, aber die Jungfrauen haben einmal zu mancher Zeit solche Grillen und eigensinnige Vorsätze – das beste aber dabei ist, es führt euch zum Ziele. Kurz ab, wer das vollführt, was Gertraud bestimmt, der gewinnt sie. Seid ihr nun bereit Frieden zu halten, so will ich euch die Prob' verkünden!«
»Ich bin bereit,« sagte Herr Florian mit einem fürchterlichen Blick auf seinen Nebenbuhler, »obschon ich nicht allzeit im Sinne gehabt – alle Untertänigkeit für Euch, Herr Herzog – mit einem Diener im Solde zu streiten.«
»Habt Euch nicht zu schämen,« sprach Christoph, »denn er ist von der Stund' an mein erster Förster.« – Herr Florian wollte sich vor Zorn und Schrecken in die Haare fahren, Philipp dem Herzog in unbändiger Freude zu Füßen fallen. Der winkte ihm ab, und da sich nun Kunrath und Philipp auch bereit erklärt hatten, sprach der fürstliche Schiedsrichter:
»An der hohen Mauer drüben liegt der große, schwarze Stein. An derselben Mauer ließ ich heute drei Nägel einschlagen zu verschiedener Höhe. Wer den Stein am weitesten wirft und zum höheren Nagel springt, so daß er ihn mit der Ferse herabschlägt, der führt Hans Heidelolfs Töchterlein zum Traualtar. Also will es Gertraud, und jetzt habt ihr's vernommen. Heute um die vierte Nachmittagsstunde findet der Kampf statt.«
»Viktoria!« rief Philipp. »Gnädigster Herr Herzog, dann ist die Gertraud ja freilich mein!«
»Das fragt sich, Herr Förster!« wendete Kunrath ein.
»Wie, Ihr wolltet mich hinspringen und werfen?« lachte Philipp.
»Das wird sich zeigen!« entgegnete der Kaufherr.
»Und Ihr, wohlweiser Herr,« sprach Christoph, sich zu Herrn Florian wendend, »was seid Ihr zu tun gesonnen?«
»Eure fürstliche List hat mich betört und Euerer gnädigst guten Laune beliebt' es mich zu Scherz und Kurzweil zu gebrauchen«, sagte Herr Florian Hundertpfund. »Ich bin zwar nämlich nicht ungeneigt irgend einen Stein zu werfen – aber daß ich im Springen nicht gut zu befinden, möchte Euch, Herr Herzog, wohl deutlich sein, zudem es auch gänzlich gegen das Decorum wäre, einer eigensinnigen Jungfrau zulieb', coram publico größere oder aber kleinere Sprünge zu machen. Was also meine Personalklage und sonstiges Recht betrifft, werde ich die nötigen Schritte nicht versäumen, es bis in das peinlichste hineintreiben und es in keiner Weise beruhen lassen, bis ich nicht abschreckende Strafe der Übeltäter erwirkt und mir allseitige, sattsame Satisfaktion erobert habe.« Worauf er sich beurlaubte und unter vielen Reverenzen, dabei zornige Blicke auf seine Feinde hinschleudernd, abging.
Als er fort war, sagte der Kaufherr zu Philipp: »Sei's verziehen, was gestern geschah. So laßt denn sehen, wer heute das Beste gewinnt!« Er verabschiedete sich, Philipp aber brachte dem Herzog seinen Dank dar und schwamm mit all seinem Wesen in Hoffnung und Seligkeit.
Herr Florian Hundertpfund hingegen hatte einen heroischen Entschluß gefaßt.
Er schritt gegen die hohe Mauer, dran der Stein lag und die drei Nägel wirklich eingeschlagen waren. Dort schaute er sich um, ob ihn niemand sehe, und da er sich sicher fühlte, stülpte er die Ärmel auf und versuchte es beiläufig, ob er dem Steine nicht Herr werden könne. Aber er brachte ihn nicht einen Zoll weit von der Erde – und da er nach den Nägeln sah und einen kleinen Sprung zu machen versuchte, so ging es ihm noch schlechter, denn er kam dermaßen aus dem Gleichgewichte, daß er wider Vermuten auf der Erde saß, was ihm eine heftige Erschütterung beibrachte. Als er sich ein wenig erholt hatte, sah er ängstlich um, ob noch kein Zeuge seiner Niederlage da sei, und nachdem er sich viele Mühe gegeben, wieder auf seine wohlweisen Beine zu kommen, aber ebenso oft wieder in die frühere Lage gelangt war, glückte es ihm zuletzt auf die Knie zu geraten, drauf er sich unter vielem Keuchen und Herunterfließen sehr großer Schweißtropfen am schwarzen Stein emporarbeitete.
Nun suchte er sich bestmöglichst des vielen Staubes zu entledigen, solches ihm aber, was den Rücken betraf, nicht ganz gelingen wollte und schlich, sich mit dem Taschentuche noch viel schlagend, in der Hoffnung, daß es seinen Nebenbuhlern auch nicht so leicht werden dürfte, durch die abgelegensten Gassen und auf weiten Umwegen nach Hause, allwo er seinen Unmut an einer großen Hammelskeule ausließ.
Es war vier Uhr, als Herzog Christoph zur Mauer trat, mit ihm Albrecht der Weise und Kunigunde, denen er alles mitgeteilt, und Ritter und Damen folgten. Meister Hans war auch schon zur Hand, ihm zur Seite Gertraud, die so schön aussah in ihrer großen Scheue, daß männiglich sagte, sie sei die anmutigste Jungfrau, so man zu irgend einer Zeit in München gesehen. Zumal drängten sich die Damen alle zu ihr her, sagten ihr viel Liebes und Gutes und lachten und scherzten gnädig. Herzog Albrecht war auch gar aufgeräumt an dem Tag und ausnehmend huldsam.
Herzog Christoph, dem vor Liebespein sein Herz zerspringen wollte, nahm sich nun wacker zusammen, dachte sich, es sollte einmal nicht sein und rief: »Fürstlicher Herr Bruder, Frau Herzogin und ihr alle rings – ihr wißt, was es hie gilt und was geschehen soll. Also laßt uns nicht säumen! Wo seid Ihr, Herr Kunrath – wo seid Ihr, Herr Förster Springer?«
Und alsbald traten die beiden, sich tief verneigend, vor. Drauf grüßten beide die Gertraud. Philipp raunte ihr zu: »Hab' Mut, Traud, 's wird alles recht, hast gehört, was ich bin, mein Leben?« – »Das hab' ich schon vor dir gewußt, mein Philipp,« lispelte sie dem Erstaunten zu, »wirf nur recht weit, und spring' nur, so hoch d' kannst!« – Dann trat Herr Kunrath zu ihr und sagte fein: »Holde Jungfrau, 's ist eine eig'ne Prob', die Ihr mir auflegt, aber so Gott will, gewinn' ich wohl den Preis!«
»Auf den wohlweisen Herrn Florian Hundertpfund dürfen wir wohl nicht warten,« sprach Herzog Christoph, »also frisch begonnen, ihr Herren!«
Gertraud klammerte sich an den Vater.
Philipp traf die Prob' zuerst. Er sah einmal zum Himmel, dann in unbeschreiblicher Liebe auf Gertraud und ging auf den Stein los. Er pachte ihn, und so er gleich 364 Pfund wog, hob er ihn doch auf und warf ihn zwei Schritte weit weg. Kaum lag er ruhig, so rief er: »Jetzt den Sprung!« Mit einem Anlaufe sprang er und schlug den ersten Nagel mit der Ferse aus der Wand – neunthalb Schuh hoch steckt' er.
»Und damit wollt Ihr prunken?« rief Kunrath. »Ei, Herr Förster, das tut Euch der Kaufherr gleich und besser!« Er ging zum Stein, faßte ihn und warf ihn vier Schritte weit weg.
»Gott sei mir gnädig!« rief Philipp, voll Entsetzens auf Gertraud schauend, welche totenbleich geworden.
»Und jetzt den Sprung!« rief Kunrath. Mit gleichem Anlaufe war er alsbald in der Luft und schlug den zweiten Nagel mit der Ferse aus der Mauer – zehnthalb Schuh hoch steckt' er.
Gertraud war ohnmächtig, Philipp zerraufte sich die Haare. Herr Kunrath aber eilte entzückt auf die Geliebte zu und wollte sie in großer Sehnsucht umfangen. Sie kam zu sich, wich ihm, wie einem Gespenste aus, und wankenden Trittes, ihre Augen von ungestüm hervorbrechenden Tränen überströmt, warf sie sich Herzog Christoph zu Füßen nieder und flehte: »Helft mir, gnädigster Herr Herzog, wenn Ihr's vermögt, mit Fürbitt' und Überredung, sonst ist alles mein Glück dahin und habt Ihr selbst so großes Unheil und Jammer gestiftet ohne es zu wollen! Ich hätte ja nimmer eine Prob' verlangt! Macht den Philipp wieder zu dem, was er vorerst war, lieber hab' ich ihn doch als alle Kaufherren auf der ganzen Welt!«
»O du treue, du herzige Maid,« rief Philipp verzweifelnd, »und ich muß dich verlieren!«
Da waren alle ringsum wohl aufs tiefste gerührt – Herr Florian Hundertpfund ausgenommen, der hinter einem Pfeiler das Ganze mit angesehen, sich nun boshaft vergnügt die Hände rieb und wie der Böse lächelte.
Herr Kunrath aber sprach zu Christoph: »Ja, was soll das sein, gnädigster Herr Herzog? Was soll der große Gram, von dem ich keine Ahnung, noch einigen Vorbericht gehabt? Was ließt Ihr mich eine so harte Prob' ablegen, wenn Ihr wußtet, daß mich die Maid nimmer lieben könnte?«
»Ja liebster Herr Kunrath,« sagte Herzog Christoph, »daß Ihr so wacker werfen und springen könntet, hab' ich nicht vermutet und keineswegs geglaubt, und allzeit dacht' ich, müß' der Philipp den Preis davontragen. Aber daß Ihr weder von Eurem Recht ablassen noch zur Großmut gezwungen seid, will ich persönlich den Streit mit Euch ausfechten. Wißt Ihr, was bedungen? Wer zu weitest wirft und zum höheren Nagel springt, der führt Hans Heidelolfs Gertraud zum Altar. So will ich denn selber um die Ehr' mitwerben, dann ist auch Euer Wunsch erfüllt mit mir einen Wettstreit zu tun!«
Ein freudiges Gemurmel durcheilte die Reihen rings. Gertraud fiel wie betend auf die Knie, Philipp verging Hören und Sehen und Hans Heidelolf war ganz aus dem Konzept gekommen.
»Zur Tat!« rief Herzog Christoph und trat zum Stein.
Als wär's eine Schieferplatte, nahm er ihn ruhig mit flachen Händen auf und schwang ihn ein paarmal. »Beiseite, zurück, ihr Herren und Frauen!« rief er – alles stürzte weg – und hui warf er den schwarzen Klotz mannshoch in die Luft, daß er neun Schritte weit dahinflog und niederdonnerte.
»Allergnädigster Herr Herzog,« rief Philipp, in Seelenpein Gertrauds rechte Hand wildverzweifelt ergreifend – »habt Erbarmen!«
Herzog Christoph aber horchte nicht auf. »Jetzt springen wir!« rief er, und mit der Hälfte Anlaufs fuhr er, wie der Blitz, hinauf und schlug den höchsten Nagel aus der Wand – zwölf Schuh hoch steckt' er.
Lautes Gejubel umtönte Herzog Christoph, Albrecht der Weise schüttelte ihm freundlich und großen Beifall spendend die Hand. Philipp aber war außer sich vor Schrecken, denn er glaubte, der Herzog habe die Probe für sich getan. »Also wollt Ihr mir die Gertraud rauben, gnädigster Herr Herzog?!« rief er. »So leb' denn wohl, meine Gertraud, von mir hörst nichts mehr!« Und fort wollte er. Aber Herzog Christoph hielt ihn auf und sagte: »Halt' ein, närrischer Gesell', du machtest die Gertraud etwa gar noch zu des Kaisers Frau selber, so hoch hältst du sie. Ja, ich führ' sie zum Altar, aber nicht, daß sie mein – sondern daß sie dein werde!«
»Hör' ich recht, ist's wahr?« stotterte Philipp, im Wonnetaumel die Gertraud an sich ziehend. »O, so seid gesegnet von Gott mit seinem besten Segen, weil Ihr soviel Müh' gewaltet um einen Diener, als noch kein fürstlicher Herr auf der ganzen Welt, und von Eurem Wurfe soll man reden und wird es, solange München steht, und von Eurem Sprung auch soviel und lange noch, wenn man von Philipp Springer nichts mehr weiß.«
»Nein, so tun wir nicht!« sagte Herzog Christoph. »Ihr, Förster habt vom Glück das allerbeste davongetragen, die holde Jungfrau. Aber was die Kunst betrifft, dürfen wir den Kaufherrn nicht auch noch berauben und Euch noch der Schand' ausnehmen. Hie wird eine Tafel aufgerichtet. Zu öberst kömmt mein Wurf – denn, mit Verlaub, was ihr getan, ist wenig wert. Alsdann darunter kommt der Sprung – und da weist sich unter uns dreien der Philipp Springer als der letzte und unterste aus, wie er auch das Letzte gewonnen.«
»Ja, da ist ja die Ehr' doch noch größer, als die Schand'!« rief Philipp.
»So dächt' ich eben auch!« sagte Herzog Christoph gnädig lächelnd. »Also hab' ich's vollbracht«, fuhr er fort. »Aber das eine glaubt mir alle. Wieviel ihr mir Ehre gönnt, daß ich den Stein so weit geworfen, und soviel es mich freut – es ist doch nichts gegen die bessere Ehr' und größere Freud' in meiner Brust, daß ich vom Herzen dieser schönen und frommen Jungfrau den viel größeren Stein des Liebessorgen gewälzt und vom Herzen meines treuen Philipps auch. Dafür braucht es wohl keine Denktafel – denn ich will es nimmer vergessen – und in Eurer Brust hoff' ich bleibt's auch ohne Worte eingeschrieben, was ich für Euch getan!«
Wie 's da einem jeden ward und den Liebenden zumeist in Freude, Dankbarkeit und hoher Rührung, könnt' wohl nicht genugsam beschrieben werden.
Herzog Christoph nahm den Kaufherrn beiseite und sprach: »Seht, lieber Herr Kunrath, da hilft kein Geld und Gut. Tröstet Euch. Mir hat die Maid auch wohl gefallen, und wer weiß, ob ich weniger Herzleid hab' denn Ihr! Ich hab' Euch bezwungen in Wurf und Sprung. Damit ist's vorbei. Aber ich hab' mich vorerst schon selber bezwungen, wie schon in mehr Dingen. Tut mir's darin gleich – bezwingt Euren Schmerz mit Großmut und Versöhnung!«
»O edler Fürst und Herr,« sagte Kunrath gerührt, da er auch Christophs Liebe erkannt, »ich will Euch folgen, wenn ich's Euch auch in keinem Stück gleichtun kann, was Leib und Seel' betrifft, da Ihr immer soviel mehr besitzt, als kein Sterblicher zu ahnen vermöchte. Versöhnung und keinerlei Unmut zwischen uns!« sprach er freundlich zu Philipp. »Eine Hochzeit will ich Euch ausrichten, wie noch keine gewesen zu München, und ein Geschenk darbringen, wie noch wenig Försterinnen empfangen. Dafür geleit' ich den Philipp zum Altar, so der gnädige Herzog mir's gestattet!«
Viel Lob und Dank ward ihm da zuteil, alles umringte die Glücklichen und von allen war nicht einer mißvergnügt, als – Herr Florian Hundertpfund, der wohlweise Ratsherr, der die in seiner Bosheit gewonnen gedachte Sache gar ungern verloren sah, da er die Gertraud doch noch weit eher dem Kaufherrn, den sie nicht – als dem Philipp gegönnt hätte, welchen sie so heiß liebte. Mit zornbrennendem Kopfe schlich er davon und ließ am nächsten Tage sogleich den heiligen Petrus abbestellen.
Meister Hans segnete Philipp und Gertraud, darauf alle ihres Weges ziehen wollten. Da rief Herzog Christoph in seinem heiteren Übermute: »Halt, ihr Herren und Damen, was wär' das! Der Stein muß wieder hin, wo er herkam, und wer noch einen Stein auf dem Herzen, der mach' es, wie ich mit dem!« Er kehrte rasch zurück: »Aus dem Weg!« Er setzte die Ferse an, nahm den Platz ins Auge, an dem der Stein zuerst gelegen – und schob denselben mit solcher Gewalt dahin, daß er all die fünfzehn Schritte donnernd unaufhaltsam zurückrollte und da stillestand, wo er in früheren Zeiten gewesen, auch zur Stunde noch angeschmiedet – damit ihn keiner mitnimmt – zu sehen ist, – nächst dem Brunnhof im Schloß, ober ihm zur Rechten die steinerne Tafel, darauf zu lesen:
»Als nach Christi Geburt gezehlt war
Vierzechenhundert Neunzig Jar,
Hat Herzog Christoph hochgeboren,
Ein Held auß Bayrn außerkoren,
Den Stain gehebt von freyer Erdt
Und weit geworffen ohn Geferdt,
Der wiegt dreihundert vier und sechzig Pfund,
Das gibt der Stein und schrift Urkunt.
Drey Nägel stecken hie vor Augen,
Die mag ain jeder Springer schauen,
Der höchste zwelf Schuech vo' der Erdt,
Den Hertzog Christoph Ehrenwerth
Mit seinem fueß herab thet schlagen.
Kunrath luef bis zum ander' Nagel,
Wol vo' der Erdt Ze'hethalb schuech.
Neunthalben Philipp Springer luef
Zum dritten Nagel in der Wandt.
Wer höher springt, wird auch bekannt.«