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XV.
Sidonia von Cleve.

1.

Ein Gärtner hegt und pflegt alle seine Blumen, freut sich der Pracht einer jeden und ihres Duftes – und doch ist ihm oft eine die liebste.

Das kömmt daher.

Alle anderen Blumen hat er froh in des Himmels leicht geschenkter Huld auferzogen. Dieselbe eine aber aus Frost, Gewittern und viel anderem Ungemach errettet. Nun meint er schier, sie müsse es wissen, was Müh' und Sorgfalt er an sie verwendet habe, so daß sie's ihm wohl danke. Weil aber holder Dank so selten ist und von selbst wieder Lieb' und Anerkennung verdient, liebt er dieselbe Blume wie alle – und doch wieder mehr.

Gerade so war's auch bei Herzog Christoph und seiner Mutter, der Anna von Braunschweig. Sie liebte ihn auch mehr als ihre anderen Kinder, denn er wußte und dankte es ihr, was sie für ihn getan. In großen Gefahren war er ihr geschenkt worden, und in Sorgen und Gefahren hatte sie ihn erzogen. Dazu starben ihr in der Heimat viele Lieben, daß ihr Herz hätte brechen mögen; der Vater Albertus lag auch in wilden Fehden, und was sonst Kummer und Gram hereinbrechen kann, das war damals alles über sie gekommen. Aber ihrer Zärtlichkeit und Muttertreue hatte das alles keinen Abbruch getan. Kein Wunder, daß sie dann später in Herzenswonne auf ihn und seiner Jugend frohen Übermut schaute, und daß er in so vielem vor seinen Brüdern im Rechte war.

Also war er ihr Stolz und ihre Freude, und sie dachte lange, die Freude sollte ihr niemand stören.

Doch es kam anders, und wie ihr zumute war, da der Brüder Zwist begann, kann jeder leicht ermessen. Da spendete sie wohl treu besten Rat und suchte des Sohnes Albertus starren Sinn zu beugen. Aber er gab nicht nach. Zeit um Zeit verging in bitteren Sorgen, schier bitterer als in Christophs frühester Jugend, und oft bedeuchte es sie nun, er sei nur gerettet worden, um in späterer Zeit als Opfer schnöder List zu fallen – wie die liebste Blume des Gärtners.

Zu der schleicht sich etwan in der Nacht ein neidisch boshafter Frevler, und wann der Gärtner am Morgen hintritt – ist die Blume geknickt oder entführt.

So ahnte die Mutter Christophs – und ihre Ahnung traf ein.

* * *

In selber Zeit lebte, fern von Bayern gegen Flandern zu, ein ritterlicher Graf. Der stand schon in höheren Jahren und sein Name war Otto von Cleve.

Seine Nichte aber, die ihm zur Seite lebte, hieß Sidonia. »Die wilde Sidonia von Clev', so zaubern kunnt.«
Chronic. Kunde vom Rhein.

Die war jach und kühn wie der kühnste Mann. Das wildeste Roß bändigte sie, und im Weidwerk kam ihr kein Jäger gleich. Dabei tobte sie durch Wald und Flur, kein fremdes Eigen verschonend; mit stolzester Verachtung hörte sie der Landleute Flehen, und traf sie einen in des Grafen Gehegen, der mochte schnell die Flucht ergreifen, sonst schoß sie ihn tot. Da war schon mancher ihr Opfer geworden. Aber niemand wagte sie beim Grafen anzuklagen, und jedesmal hatte dann die Tat ein anderer vollbracht.

Also war sie schon dadurch stets böser und ein rechter Fluch des Landes. Der folgte ihr auch allüberall, und sie wußte es – doch sie lachte darüber.

So schreckbar sie sich in all dem benahm, so schön war sie aber an Gestalt. Weitaus kam ihr kein Ritterfräulein und keine Fürstentochter an Leibesvorzügen gleich, und wer sie nicht kannte und im rechten Augenblick sprechen hörte, hätte eh' auf einen Engel denn Teufel geraten. Drin wär' er gleichwohl mächtig fehlgegangen. Denn wie im wilden Waldesleben ging ihr auch im Reiche der Liebe, dem holden, List, Untreue und Grausamkeit über alles, und so herrlich ihr Äußeres war, so bös war ihr ränkeerfülltes, stolzes Herz.

Schon vielen hatte sie Hoffnung auf ihre Hand gegeben, alle stets getäuscht, und es war, als ob sie nichts wolle denn der Männer und Jünglinge feurige Gemüter demütigen und brechen, drauf aber der ohnmächtigen Verzweiflung und Rachelust spotten.

Davon wußte der Graf wohl, und viel Kummer schuf sie ihm. Er hatte sie auch schon mehrmals mit donnerndem Worte zur Rede gestellt, sie aber stets dazu gelacht, und einmal sagte sie gar: »Solang es mir möglich ist, will ich sie quälen, wie ich bisher tat, und reichte keine irdische Gewalt mehr, so möcht' ich keine übernatürliche verschmähen, diesen kecken Bewerbern ihren Lohn zu geben.« Über diese Worte bekreuzte sich der fromme, alte Graf, hielt ihr voll gerechten Unmuts ihrer Worte Frevel vor und drohte mit Gottes Strafgericht, wenn sie je so arge Schritte wage und sich auf schwarze Kunst einließe. Dann strafte er sie mit Kälte, ließ verlauten, er wolle sie enterben, mit ihr selbst aber sprach er wenig. So hoffte er sie zu bekehren.

Weil sie nun meisterlich zu heucheln wußte, gab sich der Graf in Zeit eines Jahres wieder besserm Glauben hin.

Aber er täuschte sich in allem.

Denn was die Sidonia vorher mit seinem halben Wissen angesponnen und dann zu seinem Kummer vollendete, das unternahm sie später insgeheim – und eh' er in letzter Zeit das Geringste ahnte, hatte sie ihre Netze wieder über zwei geworfen.

Davon war der eine der Graf Niklas von Abensberg. Der hatte sie zu Köln gesehen, ihr Jawort gewonnen und erwartete die Zeit, in welcher sie dem Grafen von Cleve ihre Wahl verkünden wolle.

Der zweite war ein geheimnisvoller Welscher, der nannte sich Graf Rainald von Melanin.

Gar wundersam hatte er sich ihr genaht, war einmal im Schloßgarten vor sie getreten, hatte ihr seine Liebe erklärt und vorausgesagt, daß er nimmer und nimmer von ihr ablassen wolle. Dann war er urplötzlich wie verschwunden gewesen. Es hatte ihn aber niemand aus dem Schlosse kommen und niemand hatte ihn vorher eintreten sehen.

Wort hielt er.

Von selber Zeit an verfolgte er die Sidonia wundersam allüberall und in Nähe oder Ferne, wo sie ihn am mindesten vermutete, erschien er plötzlich vor ihr, gleichviel zu Tag und Nacht. Das schreckte sie zuerst. Dann reizte es sie halb zum Groll, daß er so bestimmt sprach – halb zur Wonne, denn er rühmte sich der Magie. Zugleich sah sie mit schauerlichem Entzücken in sein bleiches Antlitz – sooft er erschien, erschien es ihr bleicher – auf sein reich wallendes, rabenschwarzes Gelocke und in sein tief schauend, finster und doch sprühendes Auge. Darin lag was dämonisch Gewaltiges, und so er dahinschritt, war's, als ob der Sohn eines Königs hinschritte.

Einen solchen Mann zu fesseln, ihn harren und hoffen zu lassen, ihm seine Geheimnisse abzulauschen und, ob Liebe gewährend, ob nicht, ihn sicher zu demütigen – das war ihr Hochgenuß.

Niemand wußte vom Grafen Rainald von Melanin.

Auch was sie dem Grafen von Abensberg versprochen hatte, sollte tiefes Geheimnis bleiben.

Aber der hatte es selbst verraten, denn die Zeit rückte näher und näher, daß seine Hoffnung wahr werden sollte. Da vergaß er das Gebot des Schweigens.

Wer seines eigenen Geheimnisses nimmer Herr ist, ist dessen bei anderen nimmer Meister – und so erfuhr es Herzog Christoph, daß die Sidonia von Cleve dem Abensberger ihre Hand zugesagt habe.

* * *

Mittlerweil' es so stand und es im Land Bayern bald Fehde, bald Friede war, hielt sich Christophs Bruder, der Herzog Siegmund, nicht allzuferne von München auf. Etwan zu Grünwald oder Dachau Schloß Dachau, jetzt nicht mehr vollständig erhalten, steht über dem gleichnamigen, an der Amper gelegenen Markt, einige Stunden von München entfernt. Es gab eine eigene »Dachauer« Linie. Stifter war Pfalzgraf Arnulf, vierter Sohn Pfalzgraf Ottos I. von Scheyern und der Jutta. Er machte einen Feldzug Kaiser Heinrichs III. gegen die Böhmen mit. Seine Gemahlin hieß Beatrix. Von ihren zwei Söhnen bekam Konrad Dachau. Die Gemahlin desselben hieß Wilburga. Ihre zwei Söhne Konrad II. und Arnulf II. († 1158 und 1175) hatten nacheinander Dachau in Besitz. Nach des letzten kinderlos Gestorbenen Tod kam das Schloß durch Kauf an Herzog Otto I. von Wittelsbach., am liebsten aber zu Menzing im Schlößlein Blutenburg.

Das hat seinen Namen von einer Schlacht und weil da herum viel Blut geflossen war.

Im selben Schlößlein hatte er sich's gerichtet, wie er dem Bruder Albertus vorausgesagt, als er ihm das Regiment abtrat. Hielt also dort fürstlichen Hof – so er nicht zu München war, um beim Bau der Liebfrauenkirche nachzuschauen – hatte viel Freunde, ihre Gesponse und Töchter um sich, weiters gute Poeten, Kantores und Harfen- oder Mandolinspieler, denn bei Singen, Saitenspiel und dem Anblicke holder Frauen war ihm wohl. Auf dem Burganger, in Zwinger und Gärten wimmelte es von seltsam anmutigen oder lustigen Tierlein, sonderlich waren weiße Tauben, schöne Pfauen, Schwäne und auch Meerschweinlein zu sehen. So ein guter Maler des Weges kam und zusprach, wurde ihm Arbeit im Schlößlein oder in der Kirche, wenn er nicht etwas auf Pergament malen mußte, denn Herzog Siegmund verschenkte gern Heiligenbildlein. Oft kamen dann gelahrte Herren, geistliche und weltliche, zu ihm. Mit denen lustwandelte er unter den schönen, üppigen Bäumen am Wasser dahin und sprach von erhabenen Dingen in lateinischer oder welscher Sprache. Wenn ihn das nicht mehr freute, ging er her, setzte sich aufs Roß und ritt davon auf die Beize oder sonst auf die Jagd in Nähe und weiterhin. Oder er fischte. Kurz, was ihm wohlig zu Sinn stand, das tat er, und hatte kein Mensch etwas entgegen, sondern freute sich seines Glückes. Denn er war gar gut und friedsam, hatte Gott beständig vor Augen und tat an jedermann Gutes, soviel er nur immer konnte.

Zu mancher Zeit kam Herzog Christoph zu ihm, von selbst oder auf des Bruders freundliches Entbieten. So dann Herzog Siegmund schrieb und ihn zu Gast lud, gebrauchte er oft frohe Reime. Weil nun just Ruhe im Lande war, hatte er ihm wieder geschrieben, und als er mit dem Briefe zu Ende, wieder mit Reimen geschlossen, die waren ganz fürtrefflich wahr und schön und lauteten:

»Gutter Imbiß, wein und schön holdselige Frau'n
Mag Jeder von herzen geren schau'n,
Benebst gueten Singern und tapfern genossen,
Das het weiters Keinen nimmer verdrossen.«

Dabei dachte er nicht, was Böses dem Christoph aus selbem Besuch erwüchse, und Herzog Christoph ahnte es auch nicht. Das ist der Lauf der Welt. Aus Trauer ersteht die Lust, und wo sich einer nichts Bösen versieht, da erreicht ihn sein böses Schicksal.

Während sich Herzog Christoph anschickte, seinen Bruder zu besuchen, sprachen von weither wieder mehr fremde Grafen, ihre Frauen und Töchter im Schlößlein Blutenburg ein. Unter diesen Fremden befand sich der Graf von Cleve und seine Nichte, die Sidonia.

Als die vernahmen, daß Herzog Christoph komme, waren sie begierig, ihn kennenzulernen, blieben länger, als sie vorgehabt, und ward ihm viel Lob und Preis. Mit Verwunderung kam es aber auch zur Sprache, daß er in der Liebe so unbezwingbar sei.

Über diese Worte empörte sich der Sidonia stolzes Herz. Sie nahm sich vor, ihn zu erobern, dem Grafen von Abensberg das Wort zu brechen und den Grafen Rainald von Melanin von sich zu bannen, sobald er wieder vor sie trete.

Wie nun Kunde von Herzog Christophs Ankunft eintraf, kleidete sie sich auf das prächtigste und ritt ihm an der Seite ihres Oheims mit allen entgegen. Ihr Gewand von hochroter Seide rauschte in die Lüfte an ihrem schneeweißen Roß entlang, viel reiches Kleinod hatte sie durch die rabenschwarzen Haare geflochten, eitel Perl, Rubin und Schmarald, die funkelten herrlich in der Sonne, ihre Augen jedoch rangen allen Glanz und Schimmer darnieder, wann sie freundlich schaute – und wann hie und da anders, war's, wie geheimnisvolles Wetterleuchten.

Gar freundlich begrüßte Herzog Siegmund seinen Bruder, und alle rings taten das gleiche in ehrerbietigster Weise und hielten sich ein wenig entfernt. Das Fräulein von Cleve aber hielt es anders. Kühn ritt sie von des Oheims Seite voran, sehr nahe auf Herzog Christoph zu, und was Reizendes sie in ihr Antlitz zu legen wußte, das gab sie alles preis. So betrachtete sie ihn, wie von seinem Anblick besiegt, zugleich ihn besiegen wollend, und in ihrer Züge Spiel war zu lesen: »Du sollst mir nimmer entrinnen!«

Als Herzog Christoph solches bemerkte und aus einigen fallenden Worten vernahm, wer sie sei, ergrimmte er in seinem Innersten, daß des Grafen von Abensberg still versprochene Braut einen anderen so kühn betrachte. Auch entsann er sich gar wohl vieler Dinge, die er von ihr vernommen hatte, und dachte sich, was er gehört und nun sehe, es stimme wohl auf eines zusammen – sie sei ein schöner Teufel. Ließ sich indessen nichts merken, grüßte alle Frauen und Jungfrauen fein artig und sagte scherzend, nachdem er die Sidonia absichtlich zuletzt begrüßt hatte: »Wißt ihr wohl, edle Frau'n und Fräulein, daß mir mein vielliebster Bruder alle Sicherheit versprochen hat! – Wie verhält sich das mit dem, was ich hie um mich seh', all in großer Schönheit und so vieler Jugendzier?«

Über diese Worte errötete manches Fräulein, und hätte eine jede gerne gewußt, welcher von ihnen er den Preis zuerkenne.

Der Sidonia von Cleve aber flammten vor Stolz die Wangen, auf keine andere als sich bezog sie seine Worte, und mit allem Zauber, dessen sie fähig war, sagte sie: »Euer Lob ist entzückend, Herr Herzog, seht Euch nur vor, daß der Scherz nicht zum Ernste wird.« Darauf lächelte sie, heftete ihre glanzvollen Blicke auf die seinen und meinte, er sollte seine Wimpern besiegt darniedersenken.

Das hätte er auch gerne getan, denn so viel Teuflisches lag in jenem ihrem süßen Blick, daß ihm in der Seele bange ward. Aber er dachte, dem Satan siehst du ins Gesicht. Schaute dem Fräulein gewaltig in die Augen und schier bis in die innersten Gedanken ihrer Seele, so daß es jene nicht ertragen konnte. Drauf sagte er halb spottend: »Mich bedünkt, Fräulein von Cleve, Euch zu entgehen bedürfe es viel Mutes und Geschicks. Laßt ab von mir, wozu einen mehr besiegen?«

»Was meint Ihr da, Herr Herzog?«

»Das solltet Ihr allein nicht wissen, Ihr grausame Schöne? Ihr seid fürwahr sehr gefährlich – hätt' ich doch schier Lust umzulenken, daß mich mein flüchtiges Roß von hinnen trag', eh' meine Ruhe zu weit voraus entflieht!«

»Ihr seid sehr witzig, Herr Herzog!« fiel die Sidonia triumphierend ein. »Die Flucht wäre etwan doch vergebliche und wäre Euere Ruhe von dannen nur auf zwei Schritte – Ihr holtet sie nimmer ein, wie schnell Euer Roß sprengte – ich aber holte Euch ein, wie weit Ihr auch voraus!«

»Das möcht' ich sehn und erfahren!« antwortete Christoph. »Sprengt fort, stolzschönes Fräulein, das aller Männer Herz entführt, und tausend Schritte gönn' ich Euch voraus, statt deren zwei. Mich bedünkt, ich hol' Euch ein und meine Ruhe!«

Da lachte die Sidonia halbzornig und sprengte fort. Als sie weit genug entfernt war, hielt sie an und spottete herüber. Da jener allgemach folgte, ließ sie ihr Roß tanzen und tummeln, dann sprengte sie wieder weiter. Herzog Christoph aber gab seinem Roß plötzlich die Sporen, brauste mit Sturmeseile hinter ihr her, holte sie ein und rief: »Stolzes Fräulein, das mir mein Herz entführen will, Ihr reitet gut, ich aber reite besser, und Ihr gebietet nicht mir, ich gebiete Euch!« Und ergriff sofort ihre güldenen Zügel, lenkte um und sprengte zurück und sogleich auf Blutenburg zu. Er voran, die Sidonia ihm zur Seite und ein paar Schritte hinterher.

Als sie ankamen, waren alle anderen schon da und empfingen die Sidonia mit heiterem Spott. Herzog Christoph schwang sich aus dem Sattel und sagte: »Erlaubt mir, daß ich Euch vom Zelter lüpfe!«

»So wenig, als Ihr mir den Apfel dort bringt« – rief die Sidonia.

»Den sollt Ihr haben, so auch in zwei Hälften!« fiel Herzog Christoph ein. Er nahm die Armbrust von seinem Roß, legte an und zerspalten flog der Apfel darnieder.

»Ihr seid doch zu allem fähig!« rief die Sidonia

»Zu vielem wohl, schönes Fräulein«, entgegnete Christoph. »Doch zu keinem Verrat.«

»Ich versteh' Euch nicht« – bei diesen Worten verließ die Sidonia ihr Roß, und während sie sich auf des Herzogs Arm stützte, entsandte sie halb im Zorn, halb in sündigem Verlangen einen Blick, der hätte Felsen zerschmettern können – doch nicht Herzog Christophs tugendhaftes Herz.

Drauf schritten alle in die Blutenburg. –

Wie nun Stunde um Stunde verstrich und die Sidonia von Cleve stets bemüht war, Herzog Christophs Herz zu erobern, ward er stets mehr ergrimmt.

Der Graf von Cleve hingegen ahnte nichts von des Herzogs Widerwillen, vielmehr tauchte eine schöne Hoffnung in seiner Seele auf, und während Herzog Christoph mit der Sidonia verkehrte, um zu sehen, wie weit sie es triebe, sah jener etwas ganz anderes darin.

Darüber verstrich der Tag, die Sonne neigte sich darnieder und die Zeit des Abendmahles rückte heran. Dort und da schritten die Gäste, die meisten kehrten schon ins Schlößlein zurück. Das Fräulein von Cleve aber ging in tausendfacher Schmeichelrede an Herzog Christophs Seite dahin.

Unter einem wunderschönen Baume, durch dessen Wölbung die Abendsonne spielte, war ein einsamer Ruhesitz, und der war von Gebüsch umgeben. Da blieb die Sidonia von Cleve stehen und sagte: »Herr Herzog, ich bin ermüdet. Setzt Euch ein weniges an meine Seite.« Dabei wollte sie seine Hand ergreifen und ihn sanft darniederziehen. So macht es die Lorelei am Rhein und andere Wassernixen. Haben sie erst eines Mannes Hand ergriffen, alsbald entbrennt sein Herz in bös lüsternen Wünschen, und wenn einer seinen Tod vor Augen hat, er läßt nimmer ab. Das ist aber sonst auch so. Wer der Stimme der Verführung folgt, der kommt von einem zum anderen, und dann ist's zu spät.

Weil aber Herzog Christoph das wußte, ließ er sich von der Sidonia nicht berühren, und da sie ihn zum zweitenmal aufforderte, sich an ihrer Seite niederzulassen, trat er um einen halben Schritt zurück, damit ihn das Gebüsch nicht verberge, so einer aus der Ferne hersähe, und sagte mit zornbebender Stimme: »Ich bin nicht müde.«

Aber das Fräulein nahm das Zittern seiner Stimme nicht für Zorn, sondern sein Zurücktreten für Scheu und beschloß, stärkere Waffen zu gebrauchen. Schwieg demnach einen Augenblick, als ob sie verletzt wäre und es nicht verraten wolle, dann aber tat sie dergleichen, als vermöge sie es doch nicht, und sagte mit holdseligstem Groll: »Ihr habt gesagt, Ihr seid nicht müde, Herr Herzog. Ich aber bin müde zu langen Spiels. Täuscht Euch und mich nicht länger. Ich weiß, was Ihr empfindet, und wie Euch nur Scheu zurückhält – oder es ist nicht Scheu, sondern Stolz – und ich denke Euch doch genug gesagt zu haben. Ja, in Euerem Blick seh' ich es: Es ist Stolz, und weil Ihr manche lügenhafte Kunde von mir vernommen habt, seid Ihr mißtrauisch oder wollt mich mit Euerem Trotz quälen und strafen. Aber es ist alles vergebens. Was ich empfinde und was Ihr, es wird wahr und soll und muß eintreffen.«

»Wie versteht Ihr das –?« fragte Christoph.

»Das will ich Euch wohl sagen!« fiel die Sidonia ein. »Ein Löwe paart sich zum scheuen Reh nimmer, der Löwe sucht sich seine Löwin.«

»Und ich wäre der Löwe und Ihr die Löwin?« versetzte jener.

»So ist es!« In reizend wilder Hast sprach es das Fräulein. »Ihr seid der kühnste Ritter und Fürst, und Euch kann's nicht genehm sein, gähnend ein überfrommes Lamm zu gängeln. Ihr seid ein Held und bedürft eines Heldenweibes – und keine ist Euer würdig, denn ich! Ich liebe Euch, und ich will und weiß es, daß Ihr mich wieder liebt!«

Sich halb erhebend, ergriff sie rasch seine Hand. Nicht minder rasch aber zog er die Hand zurück und wollte die Versucherin eben mit einem Wort vom Grafen von Abensberg in Vernichtung stürzen – als er nicht zu ferne Schritte vernahm.

Im Gespräche kamen Herzog Siegmund und der Graf von Cleve daher. Die Rede war auf Christoph und die Sidonia gefallen. Gar manches Wort, was der Graf gesprochen, hatte Herzog Siegmund lächelnd verneint. Da er seinen Bruder mit der Sidonia wieder allein sah, bedünkte es ihn gleichwohl seltsam. Er tat aber nichts dergleichen, als fiele ihm etwas auf; so kam er mit dem Grafen von Cleve allgemach näher und mahnte zum Heimkehren.

Alsbald saß Herzog Siegmund mit Bruder und Gästen an der Tafel. An fürstlicher Bewirtung fehlte es nicht, an frohem Gespräche minder und von Zeit zu Zeit erklangen schöne Weisen in Gesang, Flöten oder Saitenspiel.

Mittlerweil' neigte sich das Fräulein von Cleve oft und öfter zu Christoph und flüsterte ihm mit verführerischer Stimme zu, wie sie noch keinem vor ihm zugeflüstert. Unfähig, an ihrer Reize Ohnmacht zu glauben, hielt sie seine Kälte für Stolz, seinen Widerstand für Scham, ihr so bald zu unterliegen. Auf das bestimmteste sah sie ihren Sieg voraus, und hatte sie noch jeden getäuscht, hier wollte sie wahr sein, und sooft er ihr ein warnendes Wort hinwarf, nie bezog sie es auf den Grafen von Abensberg und beteuerte aller anderen Gerüchte Lügenhaftigkeit.

Wie sich nun das Gespräch hin und wieder wandte, kam's auch auf alte Zeiten und was schön, erlustigend oder herzerhebend Kunde und Mär' aus denselben seien. Dazu sagte Herzog Siegmund, er wisse viele Märlein und gab etliche zum besten. Drauf wandte er sich zum Herzog Christoph und bat ihn, auch dergleichen zu erzählen, denn der war in schönen Sagen überaus bewandert.

Als die Sidonia von Cleve das hörte, sprach sie: »Das gefällt mir wohl, hoher Herr, was es Treffliches gibt, darin ist Herzog Christoph zu Hause. Wie weit aber sein Wissen in solchen Mären geht, mir soll er wohl nichts anhaben. Er hat mich heute bei seiner Ankunft besiegt und besiegt bis zu diesem Augenblick. Vielleicht läßt er mir darin den Sieg.«

»Das gibt ja einen scharfen Kampf,« sagte Herzog Siegmund – »auf gerechtes Urteil dürft Ihr wohl gefaßt sein, schönes Fräulein, doch nehmt es nicht zu leicht. Mein Bruder will's etwan gern im Unsicheren lassen, wer von Euch zweien die beste Kunde wisse. Doch so Ihr ihn zum Kampf herausfordert, müßt Ihr's dann tragen, wie auch das Urteil falle.«

»Das will ich und will ihn sicher besiegen,« rief das Fräulein, »und ist er seiner Sache so gewiß wie ich, mag er die Prob' erschweren lassen. Ich erzähle eine Märe, ob froh, ob düster, und er erzählt stets das Gegenteil. Wollt Ihr's wagen, Herr Herzog?«

»Wie's Euch beliebt«, versetzte Christoph.

Alsbald ward's ringsum still, daß man eine Nadel hätte fallen hören.

Leicht und mit blendend weißer Hand über die Stirne streifte das Fräulein von Cleve, wie unschlüssig, was zuerst wählen aus ihrer Gedanken übergroßem Reichtum.

Dann begann der Wettstreit.

Da war's, als ob vergangener Jahrhunderte Gestalten wieder auflebten, ob sie, ob Herzog Christoph erzählte. Was immer aber die Sidonia bot, Herzog Christoph hielt die Probe und gab das Gegenstück. Also floß da von beider Munde viel freudensame Kund' und Nachricht von fahrenden Rittern, gewaltigen Bischöfen und frommen Pilgern, an arglistigen Zauberern ließ es zumal das Fräulein nicht fehlen, sonst aber gab's viel Sage von mutigen Frauen, dem Herzleid verlassener Burgfräulein – oder was sich in einsamen Klöstern zugetragen.

Wie trefflich nun alles lautete, was die Sidonia erzählte – was Herzog Christoph zum besten gab, trug überall den Preis davon. Da dachte sie, von Zorn und Eifersucht insgeheim durchtobt, sich arg zu rächen, und als die Reihe wieder sie traf, hatte sie schon etwas ersonnen. Das war von einem Ritter in fernen Landen, der vermeintlich übermütig auf der Frauen Geschlecht sah und seinen Stolz dareinsetzte, sich nicht besiegen zu lassen. Dabei schilderte sie mit allmöglicher Kunst, wie er aber doch ganz anders gewesen sei, als er erschien, also daß sein Herz, wie jedes anderen Mannes Herz, für Schönheit glühte, daß er aber die Fesseln der Treue fürchtete. Da sei er einst mit einem Fräulein zusammengekommen. Die habe sein wahres Herz entdeckt und sein Geheimnis in alle Welt getragen.

Als sie dies in Unbefangenheit und süßbitterem, leisem Hohn vorgebracht, sagte Herzog Christoph, er wisse eine gute Mär' dagegen, und erzählte seinerseits von einem Fräulein, das in Übermut und vermeintlichem Männerhasse alle Ritter überlistete und verhöhnte, bis sie an einen geriet, den sie in ihrem Stolze fürwahr erobern wollte – der habe ihres wahren Wesens Geheimnis entdeckt, und hätte er gewollt, wär's ihm ein leichtes gewesen, sie vor aller Welt zu beschämen und zu vernichten.

Wie Herzog Christoph so erzählte, erhob sich die Sidonia zornig lächelnd und sagte, aber mit ganz bewegter Stimme: »Was soll die Mär', Herr Herzog! Ich will Euch zugestehen, ich hab' die Sage erfunden, so laßt von weiters ab und gesteht dasselbe für Euch. Was beides wir letzt erzählt, ist uns mißlungen, das gesteht ein – im ganzen aber laßt mir den Sieg, sonst will ich Euch mein Leben lang gram sein – und stürbt Ihr vor Sehnsucht, ich ließe Euch drin vergehen.«

Als sie sprach, sahen sich alle Frauen und Jungfrau'n betroffen an und die Grafen sämtlich desgleichen. Denn die Worte waren unglaublich kühn und lauteten, als hätte Herzog Christoph dem Fräulein einen Liebesantrag gestellt.

Herzog Christoph aber erhob sich und sagte: »Gräfin von Cleve, aller Dinge ist ein Maß. Euere Kühnheit aber hat keines. Denn hätt' ich Liebe verraten, nimmer dürftet Ihr es wagen, so zu sprechen. Ob ich Euch liebe, wird sich zeigen. Daß Ihr aber mir anwollt, das behaupte ich, und was ich spreche, da hat mich noch keine Seel' Lügen gestraft. Ihr stellt mir nach, wie ein Gleiches nie geschehen, es sei denn durch Euch selbst – und nicht auf mild sanfte Weise, wie es jeder Jungfrau gestattet ist, ihres Herzens Empfinden zu verraten, vielmehr mit schier zauberhaften Künsten in Stimme, Wort und Gebärden – dafür ist schon mancher zum Opfer gefallen, dem Ihr Hoffnung gegeben, wo nicht Euer Wort.«

»Und wenn?« fiel die Sidonia ein. »Ihr gebt Euch gewaltig, wie Ihr seid, und ich mich gewaltig, wie ich bin. Ich bin kein gewöhnliches Weib und setze keinen Wert auf Schwächlinge in Männern und in Weibern. Die vor mir seufzen, verachte ich; die stolz gegen mich verfahren, die achte ich, bis sie gleichfalls vor mir seufzen, dann schleudre ich sie hinweg. Euch aber werd' ich nimmer seufzen hören, drum will ich Euch besitzen. Was wollt Ihr mir zum Vorwurfe machen, was mein höchster Stolz ist? Euch will ich und keinen anderen. Was kümmert's mich, wenn manche hofften. Mein Wort hat keiner aufzuweisen« – dabei erhob sie sich – »so ist es und das kann ich beschwören. Wollt Ihr noch länger zweifeln?«

»Das läßt sich hören«, antwortete Herzog Christoph. »Ich hätte demnach gute Sicherheit, Euch zu besitzen – und wohin ich Euch führte, ging't Ihr mit?«

»Ihr erschreckt mich nicht, Herr Herzog!« rief Sidonia, und ihre Blicke leuchteten vor Wonne des Sieges. »Sprecht ein Wort, und ich folge Euch durch die ganze Welt!«

»In Himmel und in Hölle –?«

»In Himmel und in Hölle!«

»So folgt mir im Geist in den Himmel,« sprach Christoph, »folgt mir bis zu des Allmächtigen Thron und schwört mir eines!«

»Und was soll ich Euch nicht schwören?« warf das Fräulein verächtlich hin.

Schier in heiligem Schauer rings lauschten alle.

Herzog Christoph aber trat um einen Schritt zurück und sagte mit feierlichstem Ernst und auf sie deutend: »Wohlan, Fräulein Sidonia von Cleve, schwört mir vor Gottes, des Allmächtigen und Allwissenden Antlitz, daß Ihr frei seid von allen Banden – und daß Ihr dem Grafen von Abensberg Euere Hand nicht zugeschworen habt.«

»Was sagt Ihr da –?« lallte die Sidonia. »Wie kommt Ihr da auf den Grafen von Abensberg? Ihr könnt mir einen Eid auflegen, daß ich Euch wahrhaft liebe und nicht täuschen will, zu anderem seid Ihr nicht berechtigt – ich will nichts anderes schwören und werde nicht, und nichts weiß ich von einem anderen Versprechen!«

»Aber ich weiß es!« herrschte sie Herzog Christoph an. »Noch ein Mond soll verfließen – dann habt Ihr Euerem Oheim das Geheimnis zu entdecken, und der Graf von Abensberg soll Euch heimführen.«

Ein Gemurmel unheimlichen Erstaunens irrte von Mund zu Mund.

Wie vernichtet stand Sidonia, die Hand aufgestützt, und ihr Angesicht überzog bald Totenblässe, bald die Flamme der Wut.

»Ihr wurdet falsch berichtet – Herr Herzog –« mehr brachte sie nicht über die Lippen.

»Es ist, wie ich sage«, entgegnete Christoph mit zermalmendem Blick. »Der Graf von Abensberg ist nicht mein Freund, er ist mein ärgster Feind. Aber wie ich meinem ärgsten Feinde die Erkorene seines Herzens nicht raube – kann ich seine Mannheit vor ihrem schnöden Verrate wahren, so tu' ich es! Ich weiß es, er wird Euch von sich stoßen – und meiner Seel, er tut recht daran –«

»Er mag tun, was er will!« rief die Sidonia. »Lüge ist, was Euch berichtet wurde, und ich schwöre zu Gott, daß –«

»Haltet ein!« Mit donnernder Stimme unterbrach sie Herzog Christoph. »Der Ring, den Ihr an der Hand tragt, so Ihr frevelnd zu Gott erhebt, ist des Grafen Geschenk, und einen gleichen trägt er. Wollt Ihr noch mehr? Ihr sollt sehen, daß ich wohl berichtet bin.«

»Das ist zuviel!« rief jene. Wie aus den tobenden Wellen begierig die Hand des Versinkenden nach einer Felsenspitze greift, so griff das Fräulein in Blitzesschnelle nach dem Dolche an ihrer Seite. Aus dem Hefte fuhr die Klinge und auf Herzog Christoph zuckte die Spitze.

Ein Schrei des Entsetzens hallte rings auf.

Herzog Christoph aber hatte schon des Fräuleins Hand ergriffen, und in ohnmächtiger Wut stand jene, von seiner Gewalt gefesselt.

»Bemüht Euch nicht«, sagte er. »Gott und Menschen treulose Maid! Euer Dolch soll mir nicht schaden.«

Er nahm ihn aus ihrer Hand, zerbrach ihn in zwei Stücke und warf ihn zu Boden.

»Nicht mein Dolch« – lallte die Sidonia mit fiebernder Lippe – »doch büßen sollt Ihr's, Herr Herzog! Ich will es Euch lohnen, wo Ihr's am mindesten vermeint und ahnet, ich vernichte Euch und wäre mein Lohn die Hölle!« Zurück wankte sie und ließ sich auf ihren Sitz darnieder in drohend gewalttätiger Wendung.

»Jetzt zeigt Ihr Euch ganz in Euerer wahren Gestalt«, sagte Christoph. »Wohl jedem, der Euch nicht gewann! Mit Bösen wird der Gute ins Verderben gerannt.«

Hochatmend in unbändigem Grimme, sandte das Fräulein die Blicke umher. Rasch erhob sie sich und eilte auf ihren Oheim zu. Der wies sie unmutvoll von sich und schritt auf Herzog Christoph zu.

»Nie kam eine Lüge von Eueren Lippen, geht die Kunde,« sagte er, »und ich glaube es fest und heilig – aber ist es dennoch so, wie Ihr sprecht –?«

»Beim lebendigen Gott sei's geschworen!« sagte Christoph.

Der Graf von Cleve bedeckte sein Angesicht mit beiden Händen.

»Traun, es schmerzt mich, Euch solches anzutun,« fuhr jener fort, »und zu jeder Genugtuung steh' ich Euch bereit, so viele Ihr gegen mich senden wollt. Ich konnte und durfte nicht anders. Die Tücke und Treulosigkeit dieser Maid mußte ich strafen. Wollte Gott, es erginge desgleichen einer jeden, die mit Männerherzen Spiel treibt, und minder nicht den Frevlern unter uns, die einer Frauen Herz betören und betrügen!«

Verzweiflungsvollen Unmut in seinem Antlitz, wandte sich der alte Graf zum Fräulein und sagte: »So wie Ihr dem Grafen von Abensberg Liebe und Treue verspracht und brachet, so verspracht Ihr mir, von Eueren Tücken abzulassen, und Euer Wort habt Ihr gebrochen. Oft und oft drohte ich Euch mit Schmach vor Gott und den Menschen über mich und Euch – nun ist es eingetroffen.«

»Wie?!« rief Sidonia in der Sinne wildester Aufruhr, »auch Ihr wollt mich schmähen? So ich Euch zuwider bin, kann ich Euch wohl meines Anblickes entheben! Valet, ihr Herren, Frauen und lammfrommen Jungfrau'n, die ihr meint, eines Mannes Besitz sei des Lebens höchstes Gut, dafür ihr euere goldene Freiheit opfern mußtet und allen selbstigen Sinn, der euch zu eigen bleiben kann, so ihr nur wollt! Ha, ihr Törinnen, die ihr vor mir erschreckt oder mich beklagt – erschreckt, höhnt oder wimmert, wie ihr wollt, ich verachte euch alle – Euch aber, Herzog Christoph, hasse ich, und Ihr, Stolzer, sollt erfahren, was es bedeute, wenn Sidonia von Cleve haßt.«

Rasch verließ sie den Saal.

In kurzem sprengte sie aus dem Burgtor.

Ein Diener folgte ihr. –

* * *

2.

Es war zehn Tage später. Herzog Albertus hatte seines Bruders Aufenthalt zu Blutenburg erfahren und ließ ihn freundlich nach München entbieten, weil er ihm etliche Vorschläge zu machen habe. Drauf gab Herzog Christoph einige Hoffnung, daß er kommen werde.

Mittlerweile war das Fräulein von Cleve auf ihres Oheims Schloß angelangt. Sie war aber nicht zwei Tage da, so kam ein Schreiben vom Grafen von Abensberg, darin ihr für ewige Zeiten Valet gesagt wurde. Denn Niklas von Abensberg hatte vom ganzen Hergang Nachricht erhalten, nicht minder, daß das Fräulein heimgekehrt sei.

Am Tage nach dem Eintreffen des Schreibens kam der Graf von Cleve. Der sprach kaum zehn Worte mit der Sidonia und schickte sich an, das Schloß bald wieder zu verlassen, denn er wollte gen Köln am Rhein. Dort war der Erzbischof sein Freund aus früher Jugend, bei dem gedachte er sich einige Zeit zu halten und ihn um Trost und Rat zu bitten.

Ehe er vom Schlosse schied, trat er noch einmal vor die Sidonia, mahnte sie, während seiner Abwesenheit über ihr vergangenes Leben nachzudenken, sich eine Lehre daraus zu ziehen und reuig ihren Sinn zu verändern. Sie wandte sich aber finster ab und ließ den Greis ohne Abschied.

Schon war der Graf daran, das Gemach zu verlassen, als er sich noch einmal wandte und sagte: »Sidonia, Ihr habt Mann um Mann betrogen. Ihr waret daran, einen falschen Eid zu schwören, und Euere grauenvoll drohende Rede zu Herzog Christoph stimmt wohl mit dem zusammen, was Ihr einst bei mir fallen ließ't. Ihr sinnt auf teuflische Dinge. Sidonia, Sidonia! Laßt ab, sag' ich Euch, und versucht die Hölle nicht, sonst ist Euere Seele rettungslos verloren – – versprecht mir, Gottes eingedenk zu sein!«

Sie antwortete nicht.

Auf dies sprach der Graf: »Ich hab' mir nichts vorzuwerfen, und vor meines Bruders Geist im Himmel werd' ich alles zu verantworten wissen. Denn ich hab' Euch gehegt und gepflegt, als wärt Ihr mein selbsteigen Kind, und hab' mich bemüht sonder Rast, Euch in Lehr' und Beispiel die Pfade der Tugend und des christlichen Sinnes zu weisen. Aber es war vergebens. Ihr habt mein alterndes Haupt mit Kummer und Gram schneeweiß gebleicht und Schmach und Schande drüber ausgegossen. Das sei Euch aber vergeben und verziehen, wenn Ihr Euch zum Guten und zu Gott wenden wollt, denn da kann und wird Euch Gott selbst auch verzeihen, weil er die Reuigen wieder annimmt, wenn sie vom Bösen für immer das Antlitz wenden.« Er schwieg eine Weile, erwartend, daß die Sidonia antworte. Sie sagte nichts und wandte sich nicht. Da wollte er schon fort, aber noch einmal kehrte er sich zu ihr und sprach mit wehmütig bewegter Stimme: »Sidonia – was grollt Ihr mir? Schaut auf und seht mir ins Gesicht – wer weiß, ob Ihr mich wiederseht – mein Herz ist gebrochen und meine ganze Kraft – Sidonia, ich bin alt und meine Tage sind gezählt – es könnte Euch zu spät reuen!« Noch eine Weile blieb er stehen, keine Antwort erfolgte, und die Sidonia blieb abgewandt.

Drauf streckte der Graf die Hand gen Himmel und sagte feierlich: »Dein war ich, du allmächtiger Gott, von je, und in Ehrfurcht vor dir und allem, was den Menschen heilig, wollte ich sie auferziehen. Ich wasche meine Hände in Unschuld!« Nach diesen Worten verließ er, gebeugt von Kummer, das Gemach und bald darauf das Schloß, seines Weges gen Köln.

Das Fräulein aber lehnte am Erker und sah ihm höhnisch lächelnd nach, als wollte sie sagen: »Du alter Tor mit deinen frommen Sprüchen und deinem Geseufze, was frag' ich nach deinem Gott und deinen kummergebleichten Haaren!«

In Rachegedanken verbrachte sie den Tag. Als es Abend wurde, ging sie in den Garten, ließ sich unter einem Baume darnieder und sah voll finsterer Gedanken hinaus in den rotgüldenen Sonnenniedergang.

Da stand plötzlich Graf Rainald von Melanin vor ihr.

Ganz bleich war sein Antlitz, und sein Auge war, als wär's eine lodernde Flamme.

»Ihr seid hier?!« rief Sidonia voll Freude. »Ha, Ihr kommt erwünscht, ich erwarte Euch in Sehnsucht!«

Dämonischer Spott zuckte über das bleiche Antlitz des Grafen.

»Ei, so große Sehnsucht habt Ihr nach mir? Wollt Ihr mein werden?«

»Ich will!« rief das Fräulein. »Alles Glück, darnach Ihr Euch sehnt, ist in Euere Hand gegeben, und nur eines beding' ich mir aus. Drum laßt Euch erzählen, was vorgefallen ist.«

»Ich weiß es« – gab jener zurück. »Ihr wolltet wieder einem treulos werden – und dafür haben Euch zwei mit Verachtung von sich gestoßen –«

»Das wißt Ihr?« fiel die Sidonia ein und lachte. »So viel ich seh', habt Ihr nicht vor, mir ein Gleiches anzutun.«

»Nein!« antwortete Graf Rainald von Melanin. »Im Gegenteil. Je mehr Ihr anderen Treue brecht, desto besser gefallt Ihr mir.«

»Das lautet gut und gefällt hinwieder mir«, sagte jene. »Ihr seid der rechte Mann. Wollt Ihr mir nun helfen, mich zu rächen? Laßt uns einen Vertrag schließen. – Kommt, laßt Euch nieder an meiner Seite!«

»Das ist ein Baum und Rasensitz wie in der Blutenburg« – erwiderte jener – »was töricht war doch Herzog Christoph, Euch zu verschmähen!«

»So genau wißt Ihr alles –?!«

»Ich war dabei.«

»Ich sah Euch nicht!«

»Das glaub' ich wohl – – doch was begehrt Ihr, daß ich tue?«

Er ließ sich an des Fräuleins Seite nieder. »Was ich vermag, soll geschehen, doch Ihr gehört dafür mir.«

Mit unheimlicher Stimme hatte er es gesprochen. In wundersamem Schauer zuckte es durch des Fräuleins Herz, zugleich in Zorn über seiner Worte Bestimmtheit. Aber sie unterdrückte ihren Groll, mit zärtlicher Gebärde legte sie dem Grafen ihre Rechte auf die Schulter und sagte: »Ihr seid zu Hause in der Kunst der Magie. Das habt Ihr mir früher selbst verraten, jetzt hab' ich volles Vertrauen. Was ich nun vorhabe, das sollt nicht Ihr mit Euerer Kunst vollbringen, sondern ich will es selbst durchführen. Gebt mir demnach von Euerer Gewalt, soviel Ihr vermögt, und ginge meine Seele darüber ins Verderben, ich habe den Mut dazu!«

»Und welches Pfand gebt Ihr mir für Euere Liebe zu mir – was zieht Ihr vor, zwei – Tröpflein Bluts – oder einen Kuß?«

In wilder Bewegtheit erhob sich Sidonia von Cleve.

»Tut Ihr doch, als wärt Ihr der Satan selbsteigen!« rief sie, mit Schaudern einen Schritt zurücktretend. »Keines von beiden sollt Ihr haben!« So wird Siegmund von Fütterer, Arnpeckh u. a. geschildert. Adlzreiter fügt bei: » Minus affectus erat ad Philosophiæ gravitatem.« Anderwärts heißt es: »Bei gueter lust zum leben was er tapfer frumen Hertzens und machet sich vil kumert, daß er nit frumb vnd reiner sei. Dann sein pest ziel was danach Gotz ruhmb vnd der hl. Jungfrawen zu verkünden ... was ein milter Herr wol erbieten, redsam kurzweilig, nit langs leybes, leget viel auff Gotzdienst, hät sein aigene Briester vnd singer in rotten kappen vnd deren viel gantz fürstlich vnd mit antlaß von dem Babst begabt mußten ime alle horas singen. ...«

»Das heißt, Ihr wollt auch mich betrügen!« erwiderte der Graf. »Diesmal seid Ihr in die Falle gegangen. Wohlan, Ihr versagt mir ein Pfand, so versag' ich Euch meine Macht« – allgemach erhob er sich – »und Ihr rächt Euch an Eueren Feinden nicht!«

Schadenfroh schaute er halb abgewendet auf sie.

Einen Augenblick, wie vor einem furchtbaren Abgrund entrinnen wollend, schwankte Sidonia zurück. Aber wie der Wanderer, von dämonischem Schwindel ergriffen, sich selbst hinabstürzt in die Schlucht, der er entfliehen will, so riß es sie plötzlich zum Grafen. Hinsank sie, ihn umklammernd, und drückte ihm einen Kuß auf die Lippen. Die waren kalt wie Eis, und dennoch war's, als ob Flammen aus ihnen zuckten. Dann sank das Fräulein auf den Rasensitz und lallte: »Erfüllt ist Euer Wunsch – nun seid Ihr mir verpflichtet.«

»Das bin ich,« sagte jener, »und Ihr seid es mir, sobald ich Euch gewährt habe. Was verlangt Ihr?«

»Dreifaches will ich!« antwortete rasch die Sidonia. »Ich will die Macht, unsichtbar zu werden, wie Ihr von Euch behauptet. Ich will ein Roß, das kein irdisches Roß einzuholen vermag, und ich verlange einen Trank, der, gering genossen, alle Kraft zerstört – und mehr davon bring' einen Mann in der Liebe verzehrende Raserei!«


Historische Anmerkung

Von der Möglichkeit sich » unsichtbar« zu machen ist im Mittelalter viel die Rede und man findet verschiedene Winke es zu erzielen. Als ganz besonderes Mittel galt ein mit gewissen geheimnisvollen Zeichen versehener Ring oder eine verkehrt aufgesetzte Haube, gefertigt aus den Haaren eines Gehenkten und eingetaucht in Widehopfblut. Als Mittel, die Person, welche sich unsichtbar gemacht, gleichwohl zu erkennen, galt ein mit dem heiligen Kreuz gesegneter Spiegel. – Die » Kraft« eines Menschen glaubte man durch gewisse Tränke oder durch Zaubersprüche brach zu legen. Als Mittel gegen angezauberte » Schwäche« galt besonders die Brühe eines Lammes, welches auf der Weide während des Grasens enthauptet und mit Haut und Haaren gesotten würde. In der Brühe müßten sein geschälte Beenkörner oder ägyptischer Schleedorn, als Zugabe sechs Tropfen Kampferöl. – Die » Sinne« zu erregen und » Leidenschaft«, nicht nur im allgemeinen, sondern auch für eine bestimmte Person zu entflammen, nutzte man verschiedene Präparate zu einer Tinktur, welche man jemanden in das Getränk träufelte.
Gegen die Wirkung eines solchen » Liebestrankes« wurde besonders angeraten:
» Rec. In der Sunn gedorrte grüne Laubfrösch, die stoß du zu Pulver vnd nimb sie ein vnd trink dazu ein Wein mit Aggliawurzel angesetzet oder aber Milch von pulverten Krebsen. – Oder nimb pulverte Nierenstein ein vnd trink darzu distillirt Brunnkreßwasser. Oder aber nimm Theriak zerriebenen in Johanneskrautwasser. Vnd daß die wild phantasei vm so fast mehr ablaß, soll man dem Patienten alle Haupthaar abschneiden mit einem Scheermesser vnd ihme einen Vmbschlag vmb sein Haubd machen mit Haselnuß- vnd Lactucablättern. Oder aber ist auch für Haupt, Herz vnd Pulß ganz dienlich ein Vmbschlag mit einer Laugen von Meisterwurz vnd Tillkrautsamen fünf Tag lang. Muß aber der Kopf dann alle Tag mit einem Tüchlein abgetrocknet werden, so mit Mastix, Agtstein vnd Aloëholz ist eingeräuchert worden. Item vnd kannst auch machen ein Vmschlag von Magsamen, Borax, Melissenwasser, Brotbröslein mit drei Eierdottern, Sauerrampfer, Ambra, Bisam, roten Essig vnd gestoßenen Perlein. Ist das sicherste Remedium, aber der Perlein wegen fast kostbar, also daß es für die geringeren Leut nicht so fast ist, als für die fürnehmben, die sich solcher Aufwands versechen könnend.« –
Dr. Mylli, geh. Arzneymittel wider die Hexerli etc., u. a.


»Ihr verlangt eben nicht wenig. Doch es sei Euch gewährt. Bedenkt indessen wohl, was Teuflisches Ihr vorhabt! Rasch ist die Tat versucht und getan, und was geschehen, das bleibt geschehen, so Euer Ziel auch nicht erreicht wäre.«

»Ich habe bedacht – und will nicht länger bedenken.«

»Wohlan, so tut, was Euch bedünkt, Ihr sollt das Verlangte haben. Ich gönne Euch zu allem acht Tage Zeit und Frist. Dann frag' ich mich zum letztenmal an. Und wolltet Ihr mir auch nicht folgen, Ihr müßtet dennoch mit mir fort – ich habe ja Euer Pfand. Das gibt einen weiten Ritt.«

»Wo ist Euer Schloß und wohin wollt Ihr mich führen?«

»Was kümmert es Euch und habt Ihr doch nie darnach gefragt.«

»Nun aber will ich es wissen.«

»Ei, was Ihr hochfahrig drängt und befehlt, süß Liebchen! Ich sag' es Euch nicht und nicht mehr als dies: Ihr sollt wundersam überrascht sein. Denn das Schloß ist uralt und dennoch ganz neu – nahe liegt es und dennoch fern – und 's ist klein und dennoch wieder groß, daß viele Menschen darin Raum finden. Gar mancher, so dran vorüberschritt, scheute sich, es zu betreten, und dennoch, wer es betreten, der bliebe gar gerne darin, so er nicht mehr heraus müßte.«

»Tut Ihr doch, als wär's das Grab«, höhnte die Sidonia. »Ihr finsterer Träumer legt es drauf an, mich zu erschrecken, und wohl weiß ich, Ihr möchtet mir in Euerem Geize das Verlangen nach begehrter Macht verleiden. Das soll Euch wahrlich nicht gelingen. Ich befehle Euch, mir zu dienen. Bedünkt mich's, Euch nach eines Mondes Verfluß zu folgen, werd' ich Euch kühn folgen, und ist mir Euer Schloß zu gering, mögt Ihr's sicher bald verändern, sonst würde ich Euch zu strafen wissen.«

»Und stürb' ich vor Sehnsucht, Ihr ließ't mich drin vergehn wie den Herzog Christoph – –«

»Ja – das waren meine Worte zu ihm, und so sollt' es Euch werden!« Stolz, hastig hatte es das Fräulein dahingesprochen, dann schnell besonnen lenkte sie anmutiger ein und schob die Schuld ihrer Bewegtheit auf Rainald von Melanin. Doch blieb sie lächelnd bei ihrer Forderung und weissagte, des Schlosses Dach sollte von Gold blitzen, die Wände von Marmor und von eitel Kristall die Fenster. So sie dann auszögen zum Gejaid durch Wald, Tal und Flur, müßten sie ein Gefolge haben wie die Könige, und hallen und schallen müsse es, als käme das wilde Heer gezogen.

Aufs unheimlichste lächelte der Graf von Melanin.

»Zur Tat!« sagte er dann.

Er erhob sich, sprach etlich abenteuerlich klingende Worte, dazu zog er einen Kreis mit seinem Schwert um sich. Drauf stampfte er auf den Boden. Da fuhr es in heißem Qualm empor, in den griff jener, und als sich der Qualm zerteilte, erblickte die Sidonia ein mutiges, kohlschwarzes Roß, das sich wild bäumte. Der Graf aber hielt es fest am Zügel, bis es ruhig stand. Hierauf nahm er aus seiner Brust ein Gläslein und vom Finger einen Ring. Dazu sprach er: »Das alles ist Euer eigen. Hier ist das Roß, hier die Tinktur und hier der Ring. Kein irdisches Roß holt dieses Roß ein – diese Tinktur verwüstet, wie Ihr begehrt, der Menschen Sinn – dieser Ring macht Euch und was Ihr anfaßt unsichtbar, so Ihr den Schild nach innen kehrt. Das will ich Euch beweisen.«

Er steckte den Ring an, und im Augenblick verschwand der Graf vor des Fräuleins Blicken. Als er den Schild nach oben wandte, erschien er ihr wieder wie früher.

»Viel Dank!« rief die Sidonia. »Ihr habt mich so reich beschenkt, daß Euch nicht viel übrigbleiben mag.«

»Nicht viel«, war die Antwort.

»Und wenn ich nun mein Wort nicht hielte?« Lachend verbarg sie das Gläslein, den Ring steckte sie an den Finger – und rasch wurde derselbe Ring enger und drückte sich fest an, als ob er für sie gemacht wäre – nahm dem Grafen die Zügel aus der Hand und schwang sich auf das Roß.

»Fahr wohl, Vielliebster« – und ritt durch den Garten. Die Zugbrücke war eben niedergelassen – den Ring wandte Sidonia – und mit dem langen Zügel einen Streich über das Roß. Das stürmte zur Burg hinaus. Der Wächter hörte staunend den Hufschlag, aber er sah nichts. –

Als das Fräulein vom Garten nicht ins Schloß zurückkehrte und keiner gesehen hatte, wie sie dasselbe verlassen, wollte der eine dies, der andere jenes bemerkt haben – und grauenhafte Worte fielen.

* * *

Eben als sich Christoph bereitmachte, seines Bruders Albertus Einladung zu folgen, war Herzog Wolfgang gleichfalls zu Blutenburg eingetroffen, gesellte sich zu ihm und ritt auch mit gen München. Ihr ganzer Troß bestand aber nur aus etlichen Grafen und zehn Reisigen.

Aus dem Wege fragte Herzog Wolfgang, ob er wisse, wer jüngst beim Bruder Albertus gewesen sei, und da es jener verneinte, sagte Wolfgang: »Der Graf Niklas von Abensberg. Er ist aber wohl wieder fort.«

»Das will ich wohl glauben«, entgegnete Christoph lächelnd.

Das verhielt sich aber nicht so. Wohl hatte der Graf von Abensberg die Sidonia von sich gestoßen, dafür war sein Haß gegen Herzog Christoph, wenn möglich, noch größer geworden. Früher, sooft es Friede war, sah er es ungern und machte, daß es wieder zu Spänen kam; in der Fehde tat er den Leuten Christophs Abbruch, wo er konnte, ihm selbst aber hätte er längst gerne etwas recht Arges bereitet. Bisher hatte sich nun keine Gelegenheit gegeben, auch war er nie zu München gewesen, während sich Herzog Christoph zeitweise dort befand. Nun er dem Herzog Albertus klagte, wie ihn dessen Bruder gezwungen habe, vom Fräulein von Cleve abzulassen, und erfuhr, daß derselbe zu München eintreffe, beschloß er, anstatt von München zu ziehen, wie er wohl sonst getan hätte, zu bleiben und den Albertus zu hetzen, damit es zu keiner Versöhnung komme. Herzog Albertus ließ sich aber allererst nicht viel ein, was immer auch der Graf in kluger Weise vorbrachte, um den Christoph zu verschwärzen. Zuletzt gab er dem Grafen selbst einen Wink, er möchte sich von München entfernen. Aber der Graf von Abensberg ließ sich nicht dazu bestimmen und dachte: »Wenn das alles nichts half, was ich vorbrachte, so hilft vielleicht etwas anderes.« Und weil er in Erfahrung gebracht hatte, daß Herzog Christoph stets freudig vom Volk empfangen worden, sooft er in Friedenszeit nach München gekommen, beschloß er, es zu nützen. Wußt' es demnach durch die Seinen wohl anzugehen, die zu München in überaus freudige Bewegtheit zu bringen, und als Herzog Albertus dem Christoph und Wolfgang entgegenritt – ihm zur Seite ganz unbefangen Graf Niklas von Abensberg – erkannte der letzte alsbald, daß sein Auftrag wohl erfüllt worden sei. Denn kaum wurde das Volk Herzog Christophs von ferne ansichtig, so strömte es ihm entgegen und erhob ein Jubelgeschrei, das gar nicht enden wollte, und so allüber den Weg bis in die Stadt und zur Hofburg.

Als die Anna von Braunschweig in kurzem das Jauchzen der Menge innewurde, war ihr mütterliches Herz innig entzückt, denn sie erkannte wieder, wie lieb die Münchner den Sohn Christoph hatten.

Dem Herzog Albertus aber war so fast froh nicht zu Gemüt, und er sagte zum Abensberger, eh' Christoph ganz herankam: »Sie haben ihn immer wohl und freudig empfangen. So wie diesmal aber noch nie. Fehlte ja wenig, daß sie ihn zum Herzog im Regiment ausriefen anstatt meiner.«

Der Graf von Abensberg sagte nicht viel auf diese Worte, aber in seinem Herzen war laute Freude. Gar wohl sah er, daß er das rechte Mittel gewählt habe, und dachte sich: »Groll', soviel du willst, überkluger Herzog, dir ist beizukommen wie anderen! Hilft da kein Teufel, so hilft der Eifersuchtsteufel – der soll mich für die geraubte Braut rächen!« Ließ sich sofort auf nichts ein, und da Albertus noch etliche Worte zu ihm sagte, so daß er wohl antworten mußte, erwiderte er: »Allerdings, hoher Herr, das Geschrei ist groß genug, und seine Freunde haben trefflich gehetzt.«

»Meint Ihr?« warf jener hin.

»Das mein' ich nicht, sondern glaub' es fest« – war des Grafen Antwort, »ich hab' mir genug gehört. Doch was schadet's? Laßt sie schreien! Wollt' er's etwan nützen, sind wir auch da.«

Indem sie so sprachen, sagte Christoph zum Wolfgang: »Soviel ich seh', haben wir uns getäuscht. Dort ist der Abensberger.«

»Des hätt' ich mich nicht versehen«, entgegnete Herzog Wolfgang. Drauf ritten die zwei und Herzog Albertus zueinander.

Mit erzwungener Freundlichkeit empfing der letzte seine zwei Brüder und sagte: »Willkommen! Nun seid Ihr schon mehrmals zugeritten und wieder fortgezogen, ohne daß wir übereins wurden. Vielleicht ist diesmal mehr Segen beim Handel. So Ihr Euch billig zeigt, Herzog Christoph, möcht's wohl gelingen. Für Lust und Zeitvertreib ist auch wohl gesorgt.«

»Was soll's denn geben?« fragte Herzog Wolfgang.

»Ei genug, vielliebster Herr Bruder«, gab Albertus zurück. »Bankett und Tanz auf dem Rathaus, da mögt Ihr mit einem Windlicht reigen, und wann Ihr nicht zu schläfrig seid, könnt Ihr mitstechen im Burghof, da geht's aus Türkenköpfe. Sonst findet Ihr auch gute Bekannte und Freunde zur Zwiesprache.«

»Das seh' ich«, sagte Herzog Christoph. »Da ist gleich ein guter Freund.« Dabei deutete er auf den Grafen von Abensberg.

»Und warum nicht, Herr Herzog?« versetzte der Graf lächelnd. »Ihr schlagt mir die Treue zu meinem rechtmäßigen Herzog zu hoch im Übel an. Wär' ich auf Euerer Seite, hielt' ich Euch nicht minder Treue. Das ist meine ganze Schuld. Ich tu', wie mir mein Gewissen vorschreibt. Wer weiß, bin ich noch schuld, daß Ihr vom Verlangen nach der leidigen Macht ablasset und dankt mir's. Dann ergeht's Euch, hoher Herr, wie mir. Ich dank' es Euch von ganzem Herzen, daß Ihr gehandelt und gesprochen, wie Euch Euer Gewissen vorschrieb. Die Sidonia von Cleve aber hab' ich von mir gestoßen.«

»Dran habt Ihr sehr wohl getan,« entgegnete Herzog Christoph, »und dankt Ihr mir's, so ist's nicht mehr denn billig. Wo nicht, ist's mir auch recht.«

Drauf sagte der Abensberger nichts. Herzog Albertus wollte keine weitere Zwiesprache und ritt inmitten seiner Brüder in die Stadt. Wo sie aber vorbeikamen, ging das Jubelgeschrei über Christoph von neuem an. Die mitzogen, stimmten auch wieder ein, und aus vielen Fenstern wehten weiße Tücher aus holder Jungfrau'n Hand zum Zeichen der Freude und des Dankes der Sidonia wegen.

Denn zu allen Zeiten war's in München so. Es hat da auch schon manches böse Fräulein gegeben, aber die ganze Zahl war stets überaus fromm und geriet in gerechtem Unmut, wann immer arge List, Untreue und böser Frevel waltete.

Wie nun der Zug in der Burg ankam, war Herzog Albertus innerlich ganz mißverstimmt geworden. Ließ sich gleichwohl nichts merken und führte die zwei Brüder zur Mutter Anna. Der fielen sie beide herzinnig um den Hals und küßten sie. Die Herzogin war ihres Anblicks unsäglich froh, und mit dem Christoph sprach sie so viel Liebes, daß dem Albertus die Geduld brach. Er nahm deshalb einen guten Vorwand, sich zu entfernen, und ließ den Christoph und Wolfgang bei der Mutter allein. –

Einige Tage verflossen, und was Albertus von Festlichkeit vorausgesagt, geschah.

Herzog Christoph nahm auch an allem frohen Teil, was ihm und Wolfgang zu Ehren angerichtet war. Für nächstkommenden Morgen, als am schmalzigen Samstag, war aber ein Scharfrennen auf dem Marktplatze bestimmt, und Herzog Christoph gedachte, etwa mitzutun. Was die anderen Angelegenheiten betraf, wollte sich nichts gestalten. Denn wozu Albertus in seinem Briefe nach Blutenburg anscheinend Hand geboten, all das schien er jetzt anders auszulegen; Herzog Christoph aber wollte davon nicht abweichen. Zeigte sich's demnach nur zu wohl, daß es mit der Hoffnung auf Versöhnung nicht gar weit her sei, wie stets vorher, und schob Herzog Christoph des Bruders wunderliches Verfahren nicht ohne Grund auf den Grafen von Abensberg – Herzog Albertus hingegen des Christoph Verhalten auf Einflüsterung der Anna von Braunschweig.

Dabei hätte er sich am Ende dennoch zu einiger Nachgiebigkeit entschlossen und dem Bruder Christoph größere Gewalt vergabt, als er bisher geneigt war von sich zu lassen. Aber der Jubel des Volkes hatte ihn ganz scheu gemacht, so daß er nichts dachte als dies: »Wenig Besitz und schon so viele Freunde – noch mehr Besitz und Gewalt, hätt' er der Anhänger noch mehr!«

Wie er nun am vierten Abend so ganz voll von Zweifeln in seinem Gemach auf und ab schritt, riß er mit einemmal an der Glocke und befahl, den Grafen zu rufen.

Bald trat der Graf von Abensberg ein.

Albertus legte ihm die Sache vor und sagte: »Nun seht Ihr, daß ich alles bedachte, keinen schlimmen Willen habe, aber mich selber nicht zugrunde richten will. Vielleicht wißt Ihr einen Ausweg. Rückt demnach gerade heraus mit der Sprache. Merkt nur wohl, was mich zumeist in Sorge setzt und unentschieden macht. Das ist der Jubel allerorten, wo sich mein Bruder zeigt. Ich bin in bester Lage nicht. Denn geb' ich nicht nach, so beginnt der alte Tanz und Rebell im Land, und geb' ich in einigem nach, bedünkt mich, Christophs Anhang werde zu mächtig und stolz, und sehen all zusammen keine Gunst in meinem Handeln, sondern Schwäche und nit anders Können. Also wißt Ihr's, wo es fehlt, so sagt's!«

Sagte Niklas von Abensberg: »Ich weiß wohl, wo es fehlt, und wie zu helfen ist. Aber Ihr tut nicht, was ich sage, das weiß ich eh. Demnach hab' ich keine Lust, Herr Herzog, zu sprechen, denn ich könnt' Euere ganze Gunst verspielen.«

»Ich will Euch nichts dafür anhaben, was immer Ihr meint,« erwiderte jener – »Ihr werdet wohl meinem Bruder nicht ans Leben wollen.«

»Das vorerst nicht,« gab der Graf ein wenig spöttisch zurück – »er müßte nur Euch einmal daran wollen. Wär' es so, macht' ich mir soviel Gewissen nicht daraus.«

»Habt Ihr wohl bedacht, was Ihr sprecht?« fiel Albertus ein. – »Seid Ihr etwan auf einer Spur? Nie und nimmer glaub' ich Euch!«

»Ich meinte es nicht so,« – versetzte der Graf nach einigem Zögern – »weil Ihr mir aber Euer Wort auf weitere Gunst und Huld gegeben, will ich Euch sagen, was ich an Euerer Stelle tät'. Ich ließ denselben Herzog Christoph nicht mehr von München. Dann hat der Streit ein Ende – Ihr aber gebt ihm dann weder zu viel noch zu wenig Land und Macht.«

»Wie – Ihr meintet –?«

»Ich mein', es sei doch deutlich – Ihr müßt ihn in Haft nehmen.«

Ganz betroffen trat Albertus einen Schritt zurück.

»Ihr schleudert einen feurigen Pfeil in meine Brust, Herr Graf von Abensberg«, sagte er. »So ich Eueren Rat in Vollführung bringen wollte – könnte es schlimme Früchte tragen.«

»Ei wohl,« spottete Graf Niklas, »gar schlimme! Was denn nun? Verläßt Euch denn der Gedanke, wie die Menschen sind? Wem die Macht gegeben ist oder wer sie in stolzer Freiheit verlangt, dem hängen sie gar leicht an und jauchzen ihm allerwege zu. Wer kraftlos, gedemütigt oder überwunden ist, von dem lassen sie schnell ab, und aus Verwunderung über Geschehenes wird zuerst Mitleid, dann Gleichgültigkeit, dann kommt der Hohn. So dann seinerzeit Gnade für Recht über den Zermalmten ergeht, wird des Siegers Großmut hochgerühmt – doch von dem, der Gnade nehmen mußte, ist nichts mehr zu fürchten.«

»Euere Worte sind hart und furchtbar« – sagte Herzog Albertus – »aber es ist was Wahres an ihnen.«

»Und was ist nicht wahr an ihnen?« fiel der Graf ein. »Schier hätt' ich Lust zu lachen. Ei, laßt nur seine Freunde wachsen und sich zusammenrotten und nehmt an, das Schicksal wollt' Euch nicht gut – der wachsenden Macht geläng' es etwan, Euch zu stürzen, ja gefangenzuhalten – glaubt Ihr, es erginge Euch besser? Glaubt's ja wohl nicht, Herr Herzog! Und da Ihr mir befahlt, frei sollt' ich mit der Farbe heraus, so sag' ich Euch, Ihr wär't schlimmer daran als er und jeder andere. Denn Eueren Verstand achten sie wohl, aber was eben die Liebe betrifft, so seid Ihr weit zurück hinterm Christoph – habt es ja selbst zu Groll und Grimm erkannt.«

»Wohl, wohl«, – sagte Albertus finster.

Etliche Schritte tat er, nachdenkend und mit fest verschlungenen Armen. Wandte sich dann und warf die Worte hin: »Was soll's aber? Wär' ich geneigt, Eueren Rat auszuführen, wie soll man die Angelegenheit ordnen und ins Werk setzen? Vergeßt Ihr, mit wem wir's zu tun haben?«

»Ihr meint, hoher Herr, ob seiner Gewalt am Leibe –?«

»So ist's. Wie vieler bedürfte es, seine Kraft zu brechen!«

»Das ist so gering nicht zu betrachten«, gab der Graf zurück. »Doch was schwer ist, ist deshalb nicht zu unterlassen – und mich bedünkt, es sei zu vollführen.«

In tiefen Gedanken schritt Albertus wieder ab und zu. Dann trat er vor den Grafen, sah ihm fest ins Auge und sagte: »Herr Niklas von Abensberg, ich weiß, Ihr haßt meinen Bruder vom Grunde Euerer Seele, denn Ihr seid ein gewaltiger Ritter und Christoph verdunkelt Eueren Ruhm. Nun hat er Euch noch die Sidonia von Cleve aus dem Herzen gescheucht. Ich frag' Euch gleichwohl: Bringt Ihr von all dem nichts in Anschlag, da Ihr mir so strenge Tat ratet, und treibt Euch nur beste Überzeugung und Liebe zu mir – oder treibt Euch Haß und Rache gegen meinen Bruder?«

»Beste Überzeugung und Liebe zu Euch«, war die Antwort.

Einen tiefen, prüfenden Blick heftete Albertus auf den Grafen, und er schüttelte, sichtlich in großem Zweifel, das Haupt.

Lange schwieg er.

»Die Angelegenheit will reiflich überlegt sein« – sagte er dann.

»Nur nicht zu lange!« warf der Graf, wie gleichgültig, hin. »Morgen soll Scharfrennen sein. Den Tag und die kommende Nacht über ist er hier und in Euerer Gewalt. Übermorgen steht der Käfig leer.«

»Ihr habt mich ganz verwirrt« – sagte Albertus, »laßt uns vor der Hand abbrechen. Es ist um die achte Stunde. Die Brüder und sämtliche Genossenschaft sind in der Dürnitz. Verwischt, was wir gesprochen, aus Euerem Gedächtnis, damit Ihr kein' Groll und beißig Wesen zeigt. Das Gelage soll nicht getrübt werden. Ich verlange aber noch mehr von Euch. Kann ich auf Euch zählen?«

»Sprecht, Herr Herzog!«

»Wer weiß, wie sich in der Dürnitz die Rede fügt, und wo wir jetzt die mindeste Hoffnung hegen, da erwächst vielleicht Nutz und Frommen durch Einsprach und Vermittlung dritter. Ihr sagtet, mein Wohl liege Euch am Herzen und daß Euch Liebe für mich, nicht Haß gegen Christoph triebe. Also sag' ich Euch so: Was geschehen muß, so kein anderes Mittel ausreicht, mag etwan geschehen. Vorher aber soll nichts und das geringste nicht ohne Versuch bleiben. Sprecht Ihr mit ihm!«

»Ich?«

»Stellt er sich zufrieden und sagt er weiterem Verlangen ab, will ich gewähren, was ich gen Blutenburg schrieb.«

»Wohlan, es sei – – doch auf meine Weise.«

»Wie Ihr's anzubringen für gut erachtet.«

»Ich nehm' Euch beim Wort, Herr Herzog«, sagte der Graf. »Geht er auf das ein, was ich verlange, will ich mich bescheiden. Wo nicht, so verschwendet ferner nicht Zeit und Gedanken – und nehmt ihn fest, ob mit List – ob mit Gewalt!«

»So gescheh' es«, antwortete Albertus.

Beide verließen das Gemach.

In der äußeren Vorstube warteten zwei Pagen mit brennenden Wachsfackeln dem Herzog voranzuschreiten. Also gingen die zwei voraus, der Herzog und der Graf folgten ihnen auf etliche Schritte weit ziemlich langsam.

»Sonderbar«, sagte der Herzog stehenbleibend. »Fast schauerlich weht es mich an und mir ist zugleich, als folge uns ein unheimlich Wesen – –! So mag es dem zumute sein, der schwere Schuld auf dem Herzen trägt, daß ihm sein Gewissen keine Ruhe läßt und ihm etwas nachschleicht, wie der böse Geist der Rache.« – Er winkte den Pagen ihren Weg langsam fortzusetzen und fügte bei, indem er sich zum Grafen wandte: »Laßt uns die Tat doch noch wohl bedenken!«

»Ihr seid zuviel aufgeregt, Herr Herzog« – war des Abensbergers Antwort. »Da wischt und schleicht nichts hinter uns – und was wir besprochen, dabei sollt Ihr's belassen, dünkt mich.«

Der Herzog erwiderte nichts. Er setzte mit dem Grafen seinen Weg durch die Gänge der Ludwigsburg fort.

Hinter ihnen schritt – die Sidonia von Cleve – unsichtbar.

So geht die Sage.

* * *

Zu gleicher Zeit mit dem Grafen von Abensberg befanden sich in der Ludwigsburg mehr' andere, dem Herzog Albertus ganz ergebene Ritter. Von denen waren die gewaltigsten zwei, Lorenz der Bogner und Burkhart von Rohrbeck.

Sie und der Graf von Abensberg hatten schon gar viele Unterredung gepflogen, wie sie dem Herzog Christoph seinen Untergang bereiten könnten. Zumal in den letzten Tagen – und eben waren sie wieder in eifrigem Gespräche gewesen, als der Graf von Abensberg, wie jeder weiß, zum Herzog Albertus berufen ward.

Da nun der Graf mit dem Herzog in die Dürnitz trat, erkannten jene zwei zur Stelle aus einem vielsagenden Blick des Abensbergers, daß etwas Wichtiges beraten worden sei, und daß ihr Vorhaben gute Aussicht auf Erfüllung habe. Mittlerweil' Herzog Albertus, Christoph und Wolfgang miteinander sprachen, unterrichtete der Graf von Abensberg den Bogner und den Rohrbeck mit wenigen Worten, wie die Angelegenheit beschaffen sei, sagte ihnen auch, sie sollten sich wohl halten und in keiner Weise verraten, daß etwas im Werke sei. Fragte daraus, ob sie auch sicheren Mut hätten, wann es in Wahrheit gelte den Christoph gefangen zu nehmen. Über die Frage lächelten sie und sagte der Rohrbeck leise: »Sie drei wären wohl genug. So der Graf aber meine, könnten noch sechs Ritter von den ihrigen beigezogen werden. Da sollte der Christoph wohl wenig Wehr entgegensetzen können, also daß ihnen sämtlich keine Gefahr erwüchse.« Antwortete Graf Niklas von Abensberg: »Je mehr, desto besser. Glaubt aber nimmer, daß ihr ihn aufs leichteste fangt, und so euch um euere Knochen bang' ist, schickt eh' mehr andere, ihr aber bleibt zurück, denn ich will euch wohl sagen, daß er uns genug zu schaffen macht.«

»Ei so wohl!« erwiderte der Bogner. »Des steh'n wir in froher Erwartung, er soll nur um sich toben, wir wollen auch bei der Hand sein.«

Drauf blieben der Bogner und Rohrbeck nicht länger beim Grafen von Abensberg stehen, damit niemand auf Christophs Seite einen Argwohn schöpfe, sondern nahmen ihre Plätze wieder ein.

Unterdessen hatte es Albertus so gerichtet, daß er links von Wolfgang und Christoph zu sitzen kam und rechts vom letzteren blieb ein Stuhl frei.

»Wessen ist der Platz?« fragte Christoph.

»Wir sind in Unordnung geraten, vielmehr seid ihr's durch meine Ankunft« – entgegnete Albertus – »hat doch das Schicksal einen lustigen Streich gespielt. Meiner Seel', Herzog Christoph, dort steht der Graf von Abensberg und hat keinen Platz für sich – da muß er Euer Nebenmann werden, denn es ist weiters kein Stuhl frei. Das scheint Euch wohl auch!«

»Das scheint mir auch, befremdet mich aber schier«, antwortete jener. »Meinethalben mag's sein. Er mag sich mir zur Seite niederlassen, Freundschaft werden wir deshalb kaum trinken!«

»Hoher Herr, das hinge ganz von Euch ab« – sagte der Abensberger. Dabei ließ er sich neben Christoph nieder.

Wein macht der Menschen Herz froh und wohlig, mancher Groll läßt nach und beim Wein wurden schon arge Feinde versöhnt und wurden gute Freunde.

Und da der Graf von Abensberg weiters seine Worte trefflich zu setzen wußte, so kam er allgemach mit Herzog Christoph ins Gespräch, wie früher noch nie, und gedachte seiner Zeit auf des Albertus Zugeständnisse zu kommen – nahm sich aber wohl vor, das ganze so zu fügen, daß Herzog Christoph nicht darauf eingehe. Vorher wollte er ihn kirren, damit er immer tiefer in sein Vertrauen käme, sprach sofort von der Sidonia, lachte schier, daß Christoph sie in aller Art und Weise besiegt, und sagte ihm ganz offen freien Dank, daß er ihre Falschheit enthüllt und ihn von ihr befreit habe. Das hab' ihn wohl in der ersten Stunde geschmerzt, aber alsofort habe er erkannt, ihm sei doch mehr gedient als geschadet, und ein kurzer Gram und Schmerz sei besser, denn Leid für die ganze Lebenszeit.

Das sagte der Graf so sicher und fest, daß jeder seinen Worten geglaubt hätte. Der Rohrbeck und Bogner stimmten auch mit dem Abensberger und so entspann sich ein ganzes Gespräch von der Sidonia und fielen viel' harte Worte. Dabei kam alles vor. Wie sie von je wild ins Gejaid gezogen sei, viele erschossen habe, daß sie unerfahrene Jünglinge verlockt und erfahrene Rittersleute betört, verhöhnt und ihr Wort ein- ums andere Mal gebrochen; zumal wußte der und jener gar manches, so auf das sicherste darauf hindeute, daß sich das Fräulein mit schwarzer Kunst abgeben möchte, wo sie den Frevel nicht gar ausübe – und als Herzog Christoph erzählte, mit welchen Worten sie ihm zu Blutenburg gedroht habe, stimmten alle um so mehr ein, der Wille fehle ihr nicht, das Schlimmste zu wagen.

Auf dies alles sagte Niklas von Abensberg: »Nun hörte ich soviel Arges, wie ich nicht für möglich erachtete, zurzeit für den schönen Satan entbrannte und mich so schwach erzeigte, daß ich mich hinter des alten Grafen Rücken binden ließ und auf weite Zeit hinaus vertrösten. Weiß Euch nun sicher vollen Dank, Herr Herzog. Denn wo sich die Sidonia mit so gefährlichem Ding befassen will, wär' zuletzt meine Seel' gleicher Weise in Gefahr geraten, zum mindesten hätt' mich der und jener eines gleichen Verlangens beschuldigt.« Und führte etliche Beispiele an, wie es früherhin anderen ergangen sei.

Als der Graf von Abensberg so sprach, hörte ihm Herzog Christoph still zu und ließ ihn reden. Drauf sprach er hinwieder: »Herr Graf, wie Ihr Euch da gebt und mit fester Zunge auf die Sidonia unmutige Worte legt, möcht' ich wohl an Euere Aufrichtigkeit glauben und annehmen, daß Ihr mir der Maid wegen nicht grollt und nichts Böses nachsagt. Warum sagt Ihr mir aber im übrigen stetig Böses nach?«

»Das ist sicher nicht so« – fiel der Graf ein.

»Richtig und sicher tut Ihr es oder habt es mindest getan!« unterbrach Herzog Christoph dessen weiteres Wort. »Für heilig und wahr, Ihr wart es und kein anderer, der rastlos in meines Bruders Ohr geblasen! Längst hätten wir uns versöhnt, und längst hätt' er mich verstanden und besser beschieden, so daß aller Streit zu End wär', aber Ihr wart dagegen!«

»Drin seid Ihr sicher falsch berichtet, Herzog« – rief jener, als schmerze ihn die Rede, »und wüßtet Ihr nur, von was ich eben mit Euch verhandeln will, hättet Ihr mich so hart nicht vor all den Rittern und Eueren eigenen fürstlichen Gebrüdern angeklagt. Ich will Euch das Rätsel wegen des leeren Stuhles lösen. Euer Bruder, mein gnädiger Herr und Herzog, hat es absichtlich so gerichtet, daß ich neben Euch käme – der wird es bestätigen. Ich soll mit Euch traktieren und wollt Ihr auf geringe Bedingung zu gegenseitiger Sicherheit eingehen, darf ich Euch mit bester Hoffnung auf alles vergnügen, was Euch Herzog Albertus im Schreiben gen Blutenburg angedeutet hat –«

» AngedeutetSicherheitBedingung –?« fiel Christoph halb spottend ein. »Das ist wieder recht das alte, gefährliche Wort. Was mir gebührt oder mit was ich mich begnüge, das will und verlange ich sonder Bedingung.«

»Urteilt nicht eh' Ihr gehört habt!« gab der Graf zurück. » Mein Wille voraus ist in der Sache der beste und war ich zuzeiten und in manchem Worte heftig, also fällt es mir nicht zu bleibender Last. Mir erging's, wie Euch. Glaubt wohl, Herr Herzog, ich hab' meinesteils auch das wenige nicht gehört. Vielleicht war ich auch falsch berichtet und Euere Worte waren milder – und so dürftet Ihr, als frommer Fürst und der Welt kundiger Held, wohl auch von mir und meinen Worten denken!«

»Laßt doch für jetzt von aller Feindschaft!« mahnte Herzog Albertus. »Wer weiß, wann ihr wieder im Frieden zusammenkommt – vielleicht nimmer.«

»Das heißt,« fiel Herzog Christoph ein, »gesetzt, daß mir Euere Bedingung nit gefallen will, laßt Ihr den Streit sobald nimmer ruh'n, bis ich etwan dennoch zertreten wäre. Wohlauf, selb macht mir Lust. So geb' ich Euch mein Wort, mit meinem Verderben ist Euere Hoffnung eitel Spreu! Was glaubt Ihr denn? Fürwahr, Ihr habt mich noch nicht empfunden. Allererst scharmutzten meine Knechte, das ist leichtes Volk, und was ich tat, ist nicht der Rede wert. So erst ich drein feg', wie mir gegeben ist, weht Euch die Luft ganz heftig an, des mögt Ihr Euch wohl versehen – bis auf den letzten Mann erschlag' ich Euch!«

»Dran zweifelt keiner,« sagte der Graf von Abensberg; »was aber Euer fürstlicher Bruder vorbrachte, habt Ihr sicher im Unrechten genommen. Wollt Ihr's im übrigen nicht genehm halten, mich anzuhören, so bescheid' ich mich mit meinem Auftrag und weiß wohl zu schweigen. Und fegt Ihr selbst, Herr Herzog, drein, wetzen wir eben unsere Schwerter auch. Das mögt Ihr uns wohl nit im Übeln anrechnen!«

»Nur zu!« rief Christoph.

»Das sollt Ihr mir nicht zweimal gebieten«, fuhr jener fort. »Was ich und was die anderen tun, das ist treuer Vasallen Pflicht. Und was mir Pflicht nit allein befiehlt, vielmehr fester Glaube – daß Euer fürstlicher Bruder im Recht sei, nicht aber Ihr – dafür will ich wohl mein Schwert schleifen, daß es hinwieder Euch scharf genug ist!«

» So sprecht Ihr!« Christophs Augen funkelten vor Grimm. Doch nur kurze Zeit – und in verachtender Weise, schier ruhig, sprach er: »Herr Graf, Gott sei Euch gnädig, so Ihr mir an Feindes Statt begegnet. Diese Euere Worte will ich nicht vergessen, das glaubt fest und sicher.«

Rasch hatte er, während er die Worte sagte, zum silbernen Humpen gegriffen – der war leer – er ließ ihn aber nicht aus der Hand: »Kommt mir nicht zu Augen,« fügte er bei, »es könnte schlimm beschaffen sein mit dem letzten Grafen von Abensberg.«

» Ich oder Ihr!« sagte der Graf.

»Ich oder Ihr?« Lächelnd sah ihn Christoph an. »Auf dies trink' ich mit Euch, schon ich fest und sicher weiß, daß Ihr mir sobald nicht begegnet. Schenkt ein, Herr Graf – schenkt ein, sag' ich – ich oder Ihr

Zornglühenden Herzens, doch äußerlich kalt und ruhig, gehorchte der Abensberger. Er ergriff die Weinkanne und tat, wie Christoph verlangt hatte.

Beide, kecken Griffes, nahmen die silbernen Humpen zur Hand und neigten sie zusammen.

Während sie aneinander lehnten, war es, als gischte der Wein auf und als wäre von unsichtbarer Hand etwas hineingegossen worden.

Nicht darauf achtend, erhob Christoph seinen Humpen und sagte: »Trinkt, Herr Abensberger! Je nachdem Ihr zu mir sprecht, will ich Euch Ehre antun und die Zeit des Treffens mit Euch rücken lassen. Ihr wißt, morgen ist Scharfrennen. Wer weiß, beehre ich Euch mit einer Lanze. Vor allem sagt nun Euere und meines vielgeliebten Bruders Bedingung.«

»Ich setzte keine« – warf Albertus hin – »der Graf nahm alles auf sich.«

»Dann hab' ich fast Begier, seinen Antrag zu hören«, entgegnete Christoph. »Also trinkt, Herr Graf, und sprecht!«

Dabei setzte er den silbernen Humpen an die Lippen.

Der Graf von Abensberg erhob seinen Humpen desgleichen und sprach: »Herr Herzog, die Bedingung ist voll Einfalt und von Euch, der Ihr ein christlicher Held seid, leicht erfüllbar.«

Schon netzte der Wein des Herzogs Lippen. »Nun wird's?« Drauf trank Christoph ein wenig, den Blick hatte er dabei auf den Grafen gerichtet.

Der fuhr fort: »Der Herzog, Euer fürstlicher Bruder, all unser gnädigster Herr, bewilligt Euch, was er angetragen – Ihr aber nehmt das Sakrament darauf, daß Ihr nie mehr Streit beginnt –«

Wie ein gereizter Löwe fuhr Herzog Christoph auf und hoch atmend stand er, bis er vermochte das Wort zu finden.

»Das sagt Ihr mir,« donnerte er drauf den Abensberger an, »als ob mein Wort nicht genügte?! Nun erkenn' ich Euerer Bosheit Unermeßlichkeit. Denn tät' ich, was Ihr verlangt, so klagte ich mich selbst für arge Streitsucht an – und tät ich's nicht, so bekennte ich, denkt Ihr, vor allen, ich wolle mein Wort nicht halten! Ihr täuscht Euch in beidem. Ich tu' nicht, was Ihr mir zudenkt, und dennoch soll kein Mensch zweifeln, ob Herzog Christophs Wort heilig genug sei. Euch aber schleudre ich Verachtung zu, wie diesen Becher Wein, den mir Euer Wort gegällt und vergiftet!«

Damit schleuderte er den Humpen zu des Abensbergers Füßen.

Der Wein strömte umher – wie in viel hundert unheimlich bläulichen Funken stob es draus empor.

»Was ist das – und – wie wird mir?!« rief Christoph. »Was ist in dem Wein? In allen Gliedern bebt's und fiebert's – und will mir meine ganze Kraft vernichten!«

Er wankte zum Stuhl und hielt sich fest. »Herr Graf von Abensberg, was tatet Ihr –?« lallte er.

In wilder Bewegung hatten sich alle erhoben und sahen mit Schauder und Argwohn auf den Grafen.

Der erkannte des Augenblickes Gewicht. Er erhob sich desgleichen rasch und goß seinen Humpen gleichfalls auf die Erde.

Da war's, wie bei Christophs Wein. In aberhundert blauen Funken und Flämmlein stob's auf.

»Da seht Ihr, Herr Herzog, ob ich Euch anwollte!« rief der Graf. »Wir beide müssen höllischem Versuche des Zaubers anheimgestellt sein. Denn Ihr werdet wohl nicht glauben, daß ich mir denselben Trank gemischt hätte, mit dem ich Euch etwan schaden wollte!«

»Ihr aber habt nicht getrunken – und ich hab' es« – brauste Christoph, sich zusammenraffend, auf. »Entfernt Euch, sonst möcht' ich mich an Euch vergreifen und Euch beweisen, daß mir der Trank noch Kraft genug ließ, Euch zu erwürgen!«

»So beschuldigt Ihr mich der Tat?« rief wutbebend der Graf.

»Ich trau' Euch alles zu, nur des Guten nichts« – herrschte Christoph, »und tu' nichts Schlimmeres denn Ihr, der Ihr allein es seid und von je wart, so mir nichts Gutes zutraute. Habt Ihr den Trank gemischt oder habt Ihr's nicht, willkommen ist Euch sicher, was geschehen, Ihr teuflischer Hetzer!«

Schier besinnungslos wollte der Graf auf ihn eindringen. Herzog Albertus aber rasch dazwischen und gewaltigen Befehl hingeschleudert, daß der Graf einhalte. Suchte ihn dann zu besänftigen und wußte ihn zu vermögen, daß er die Dürnitz verlasse.

Also schritt der Abensberger mit drohenden Blicken hinaus. Mehrere folgten, dabei waren der Rohrbeck und der Bogner.

Ein Diener eilte auf des Albertus Geheiß in die Stadt um ärztliche Hilfe.

Kaum war der Abensberger mit den Seinen fort, überfiel den Herzog Christoph eine Schwäche, daß er am Umsinken war. Auf Herzog Wolfgang gestützt und auf dem Wege die Dürnitz gleichfalls zu verlassen, wandte er sich zu Albertus und sagte: »Was ich zu mir genommen, wirkt wundersam. Bald will es mir an, als sollte ich vergehen in Leibesschwachheit, bald läßt es mich in fieberhafter Kraft. Ei fürwahr, das hat viel Gleiches mit Eurer Bruderliebe voll Bedingungen! Nun sind wir, wo wir waren! Selb verlangter Eid aufs Sakrament mag Euere Gesinnung über mich ziemlich erweisen. Laßt Ihr aber dem Grafen solchen Frevel hingeh'n und haltet fürder an ihn, so weiß ich mir genug – und weh' Euch, wenn wir wieder zusammentreffen!«

Er wankte gegen die Türe, da wandte er sich noch einmal und fuhr fort:

»Morgen, so ich's erleb', bin ich zum letztenmal in Euerer Hofburg, wenn Ihr den Grafen nicht von Euch bannt. Merkt wohl, was ich Euch sage – in Euerer Hofburg.«

»Ich versteh'«, sagte Albertus.

»Ist mir lieb, daß Ihr mich versteht« – erwiderte Christoph, »sehr lieb. Vielleicht kommt Ihr aber wohlfeileren Kaufes los, denn ging's so fort, wie mir zumal ist, lebt' ich keine zwo Stunden mehr. Wer weiß, Herr Bruder, fügt's aber Gott noch anders. – Ihr wolltet morgen« – setzte er halb spottend bei, »Ihr wolltet vor dem Rennstechen ein Bad mit mir nehmen, daß wir uns drauf ergingen und fein gemütsam von unseren Angelegenheiten sprächen. Wohlan! erleb' ich den Morgen – also bleibt's dabei; so uns aber das Wasserbad nicht läutert, versuchen wir's fortan mit – Blut – mich dauern Euere Vasallen nicht – mich dauern Euerer Lande Bürger und Landleute. Bis morgen geb' ich Frist – dann sind Euch die Würfel gefallen!«

»Alles wohl verstanden«, sagte Albertus bitter. »Eins fügt Gott, wie das andere, und wer Herr wird, zeigt nicht unsere Kraft, vielmehr entscheidet sein Wille! Hie sag' ich Euch nur mehr dies. Nie und nimmer trägt der Graf an dem Schuld, was mit dem Wein begegnet. Ich sag' Euch, geheimnisvolle Macht umgibt uns. Gott sei ihrer Seele gnädig – da hat keine andere Hand gewaltet als die – der Sidonia von Cleve.«

Kaum hatte er die Worte von den Lippen, so ertönte unheimliches Lachen einer weiblichen Stimme, just an der Stelle, wo Christoph früher gestanden war – doch zu sehen war nichts.

»Alle guten Geister loben Gott, den Herrn!« – ging's von Mund zu Mund. Herzog Wolfgang aber gleich den Degen heraus und wollte auf den Ort zu.

Da erscholl ein lautes, höhnisches Lachen von anderer Stelle her, dazu die Worte:

»Einmal mißlungen, das nächstemal gelingt's.«

Im selben Augenblick wischte es rasch an Herzog Christoph vorüber und zur Dürnitztüre hinaus.

»Das war sie« – sagte Christoph, »und kein Trug das Ganze. An meiner Seite streifte sie vorüber, daß ich sie schier hätte fassen können.«

»Und warum tatet Ihr's nicht –?«

Einen verhängnisvollen Blick auf Herzog Albertus heftete Christoph.

»Es gibt Dinge, die Gott richtet – nicht die Menschen«, sagte er.

Auf den Bruder Wolfgang gestützt, verließ er, schwanken Trittes, die Dürnitz.

* * *

Unheimlich war die Nacht.

In finsteren Gewittern zog's und drängte sich's heran. Von Blitzen und Donnergeroll glomm und zitterten die Fenster und hie und da tat es urplötzlich einen furchtbaren Streich. Da schlug es irgendwo ein, etwa in einen mächtigen Baum in der Hirschau oder in die reißende Isar. Dazu heulte der Sturmwind um Dächer, Erker und Kamine und zuzeiten schnaubt' und tobte die Windsbraut auf, als sollte ganz München über den Haufen poltern.

Da konnte kein Mensch in Stadt und Hofburg das Auge schließen.

Mehrere aber hätten sich ohnehin keine Zeit zur Ruhe genommen – Herzog Albertus, Niklas Graf von Abensberg, Lorenz der Bogner, der Rohrbeck und sechs ihrer Genossen.

Die hielten Rat.

Eins wurde um das andere beschlossen, eins um das andere wieder verworfen. War dann wieder ein Beschluß gefaßt und es hatten die Ritter den Herzog verlassen, sogleich wurden sie zurückberufen und die Beratung begann von neuem. Denn was der Abensberger im Sinne hatte, schien zwar durch Notwendigkeit geboten – und vor allem hatten Herzog Christophs Worte gewirkt, die er sprach, als er die Dürnitz verließ – dennoch ging Albertus schwer an sein Vorhaben. Wieviel er nun schwankte und hin und her beriet und beschloß, zuletzt glaubte er immer darauf zu kommen, daß kein anderes Mittel zu Gebote stehe, als das, welches der Graf von Abensberg vorgeschlagen hatte.

So verbrachten sie alle die Nacht in verhängnisvoller Unterredung und Ruhelosigkeit.

Die Anna von Braunschweig und Herzog Wolfgang aber nicht minder. Doch wohl zu besserem Ziele. O Schmerz einer Mutter am Krankenlager ihrer Lieben!

In rastloser Sorge harrte die Anna, zur Seite des alten Doktor Martein, am Pfühl des geliebtesten Sohnes, des Herzogs Christoph, und wann sie sich hie und da wegwandte, war's doch nur, um ihre Tränen unbemerkt vom Auge zu wischen, denn sie wollte Christoph nicht wissen lassen, wie schlimm er daran sei. Das hatte ihr der Doktor Martein auf ihre dringenden Fragen eröffnet, und obgleich er Hilfe in Aussicht stellte, es wurde der Herzogin doch stets weher zumute. Denn wie unaussprechlich das Vertrauen auf einen erfahrenen Arzt ist, so sich nicht alles übereins zum besten wendet, nimmt einer Mutter Kummer schier mehr zu als ab und meint, es stehe noch schlimmer, als der weise Medikus angegeben.

Zudem war da etwas anderes im Spiele. Der alte Martein war in Sachen, die öfters zutreffen, gar wohl erfahren. Doch was Herzog Christoph zugestoßen, war wunderbarer, ganz unnatürlicher Art und jenem nie vorgekommen. Das sagte er selbst.

Wie nun die Anna von Braunschweig in nichts ermüdete, überaus fleißig und des Augenblicks auf das gewissenhafteste achtend, den Trank gab, welchen der Doktor Martein angeordnet und unermüdet stets neu vor ihren Augen bereitete, ihn sooft nur der Herzog zu sich nahm – tat sich dieser auch Gewalt an, soviel er konnte, um seiner lieb süßen Mutter das Herz leicht zu machen.

Es war ihm auch zuzeiten besser, und dann sagte er es sogleich. Wann sich's hingegen wieder einstellte, als wolle es ihm die Kraft für alle Lebenszeit rauben, sagte er wenig oder nichts. Gegen Morgen fühlte er sich ziemlich wohl. Da glänzten viel Tränen der Wonne und der Wehmut zugleich in Annas Augen. Die wollte sie nicht verhehlen, wie die früheren des Schmerzes, und als ihr Christoph recht herzvoll für ihre Liebe dankte und zu ihr aufsah, als säh' er in den Himmel und als sage er: »Nicht wahr, dir hab' ich schon viel Kummer und Sorgen angetan« – da verstand sie den Blick sogleich, beugte sich auf das traulichste zu ihm hernieder und flehte ihn an, er möchte sich doch am Abensberger nicht rächen. An dem, was abends geschehen sei, könne er nimmermehr die Schuld tragen – was aber für die Folge in ihrer Macht stehe, das wolle sie anwenden, den Grafen zu beschwichtigen, auf daß er auch dem Albertus nicht weiter einflüstere. Dabei fiel sonst noch manches Wort, was dem Herzog Christoph ganz wahr zu sein schien, und er versprach der Mutter soviel schonend zu verfahren, als es mit Recht und Ehre vereinbar sei.

Und war's, als ob der Himmel zu diesem Vorsatze seinen Segen geben wolle. Denn nicht lange darauf, und als Herzog Christoph wieder des Doktors Martein Tränklein genommen hatte, fühlte er sehr merkliche Besserung, und um die frühe Morgenzeit, als die Wetter sich verzogen, schien die Tücke des zauberischen Gifttrankes fast gänzlich zu verschwinden.

Sagte darauf zum alten Martein: »Das habt Ihr ganz wohl getroffen mit der Mixtura. Hoffe aber noch das best' und günstigste vom Bade, so ich nehmen will.«

»Was? Ein Bad wollt Ihr nehmen, hoher Herr?« entgegnete Doktor Martein. »Ich will die Verantwortung nimmer tragen.«

»Das sollt Ihr auch nicht«, sprach Christoph bestimmt. »Ich nehm' die Gefahr auf mich. Ein kühles Bad hat mir von je gar wohl gedient und nun wird es sicher desgleichen wirken.«

Als der Doktor Martein des Herzogs feste Absicht sah, zugleich, daß er sich soviel besser befinde, dachte er mit Scherz zu erzielen, was er mit Abmahnung und tiefem Ernste sicher weit weniger erreichte. Er begann also auf der Ärzte Unwissenheit loszuziehen, hingegen der Uneingeweihten große Einsicht zu rühmen, wobei er es an lateinischen Reden keineswegs fehlen ließ und mit heftigem Spotte vorbrachte, die erste Aufgabe eines Kriegshelden sei eine vollständige Kenntnis von sämtlichen Electuariis, Opiatis et Alexipharmacis.

Er mochte jedoch sprechen und ehrerbietig oder heftig spotten, soviel er wollte, Herzog Christoph lächelte, blieb bei seinem Entschluß, und Herzog Wolfgang war auch seiner Meinung, ein Bad könne nicht schaden. Die Anna von Braunschweig hinwieder hielt fest zum Doktor Martein, und so wurde dafür und dagegen gesprochen. Zuletzt war die Angelegenheit für nichts angestritten, denn Christoph ging von seinem Vorhaben nicht ab und trug sichtlich ein wahres Verlangen nach demselben Bade.

Drüber verfloß wieder etliche Zeit.

Herzog Albertus war in der Nacht zweimal selbst gekommen. Mehrmals hatte er fragen lassen, wie sich Christoph befinde, und da er nun eben wieder schickte, empfing der Diener Bericht, Herzog Christoph fühle sich zwar noch um vieles schwächer als gewöhnlich, aber durch das Bad, welches er nehmen werde, hoffe er sich wieder gänzlich zu kräftigen.

* * *

Um die neunte Morgenstunde war's auf dem Marktplatze zu München gar lebendig. Die Schranken waren schon zum Gestech aufgeschlagen und das Volk häufte sich dort und da, obschon noch gute Zeit zum Beginne des Ritterspieles zu verlaufen hatte. Ihrer viele zogen auch dann und wann gegen die Burg, erholten sich Kunde von Herzog Christophs Befinden und brachten dieselbe zurück und auf den Markt. Dabei war alles in sonderlicher Gärung. Auf den Abensberger war keiner gut zu sprechen, von der Sidonia von Cleve tauchte dort und da auf, was aus der Hofburg verlautet hatte, und gar die meisten bekreuzten sich, zumal die Frauen, da sie von schwarzer Kunst hörten, davon der Argwohn gehe. Im ganzen wußte niemand, wie es mit dem Ritterstechen beschaffen sei und ob es vor sich gehe – des Herzogs Christoph halber, der ja daran teilnehmen wollte und nun krank sei. Drüber zogen sich wieder viele an die Hofburg.

Nun sah aber Albertus die Menge weit lieber auf dem Markte, denn in der Nähe der Burg, wo er etwas so Wichtiges vorhatte; trug demnach Sorge, daß dem vielen Fragen ein Ende ward und ließ verbreiten, es könne wohl sein, daß Christoph beim Scharfrennen sei. Auch zeigten sich schon mehrere Ritter auf dem Markte, dort und da in einem Hofe ward Roß und Reiter gerüstet und Grießwärtel und Schalk ließen sich sehen. Damit war die Menge beschäftigt, und mittlerweile niemand an ein Ereignis dachte, ging eines vor. Das war jenes mit Herzog Christoph.

Der erhob sich um diese Zeit von seinem Lager und machte sich bereit, sein Vorhaben, betreffend das Bad, auszuführen. Dabei sagte er dem Wolfgang, er möge alles in Ordnung halten. Dann nach dem Bade wolle er den Albertus, der gemäß der Verabredung auch baden wolle, fragen, zu was er sich entschlossen habe – und laute es nicht, wie erwünscht, wolle er sich spornstreichs aufmachen und von München ausreiten, denn er möge sich länger nicht betören lassen.

Sagte Wolfgang, das finde er ganz billig und verließ ihn, den Troß anzurichten und was sonst zu besorgen war.

Kurz darauf schritt Herzog Christoph aus seinem Gemach. Des Doktor Martein letzter Versuch, ihn vom Baden abzubringen, war mißlungen; der Mutter Anna Bitte wies er auf dem Wege durch den Schloßgang desgleichen freundlich zurück – drauf die Treppe hinab, links vom hohen Erkertürmlein, das ihr heutzutage noch seht – dann durch das Burgtor in die Burggasse und links gen die Lederergasse zum Hofbad hinüber.

Als er seines Weges dahinschritt, fühlte er wohl, er sei noch nicht so ganz hergestellt, wie er meinte. Blieb sofort nach etlichen Schritten stillestehen, doch nicht so fast der Leibesschwachheit wegen, als vielmehr in tiefen Gedanken über alles, was er der Anna von Braunschweig zugestanden oder so halberweise versprochen hatte. Es bedünkte ihn schier zu viel.

Mittlerweile er so zweimal einhielt und an alles dachte, kam ihm gleichwohl nicht in den Sinn, wie jeder seiner Schritte vom Burgturm aus wohl beachtet sei, und daß der Abensberger und seine Genossen ihm nachsähen. Denen war sein zweimaliges Stehenbleiben willkommen genug, denn sie meinten, dasselbe schreibe sich von großer Ermattung her.

Über ein kurzes befand sich Herzog Christoph im Bad.

Allererst wirkte das Wasser ganz erfrischend. Allgemach stellte sich ein Frost ein, und urplötzlich überfiel es ihn in wahrem Schauer. Dabei ergriff ihn unaussprechliche Beängstigung, totenbleich wurde er ein ums andere Mal und in kurzen Zwischenräumen so schwach, daß er sich gar nimmer erkannte.

»Was soll das?« summte er. »Meiner Seel', diesmal hat Martein nit umsonst gestritten. Bleib' ich nach länger, werd' ich siech.«

Er erhob sich, nahm sein Badekleid und legte es sich eilig an – da hörte er laute Schritte und Sporengeklirr. Die Türe flog auf, und hereinstürmten, bis an die Zähne bewaffnet, der Graf von Abensberg, Lorenz der Bogner, Burkhart von Rohrbeck und die sechs anderen Ritter.

»Was soll's?!« rief Christoph.

»Da bedarf's nicht vieler Worte!« gab der Abensberger höhnend zurück. »Im Namen unseres gnädigsten Herrn und Herzogs Albertus, Ihr seid unser Gefangener. Ergebt Euch, denn all' Euere Gegenwehr frommt zu nichts!«

»So meint Ihr?« fuhr Herzog Christoph auf.

Und dann ohne weiteres auf und dahin und wollte zum Schwert greifen, das unfern lehnte. Die anderen das seh'n – dem Christoph rasch den Weg verrannt und alle auf ihn eindrängend. Der Abensberger, der Rohrbeck und Bogner packten ihn, hatten auch schon die Fessel zur Hand und tobten laut, er sei des Todes, wenn er Widerstand leiste. Mit denen stimmten die sechs anderen ein und meinten allererst sämtlich, da bedürf' es weiter nichts, als auch zugreifen und fortführen – denn von Widerstand war nicht soviel ersichtlich. Das war aber nur auf etliche Augenblicke.

Dann donnerte Herzog Christoph:

»Ihre Schelme und Krüppel wollt an mich? Ha, ihr ehrlose Bösewichte, alle wie ihr da tobt und schreit! Wie seid ihr so verwegen, daß ihr euere Hände an einen redlichen Fürsten in Bayern legen dürft, der euer Herr ist – und hie zumal, da ich Gast bin in München und im Bade, wo Freiung ist?«

Dabei tat er einen Ruck mit beiden Armen, daß der Abensberger und der Rohrbeck gleich um etliche sechs Schritte zurücktaumelten. Dem Bogner gab er mit der Faust einen Schlag auf den Helm, daß er zu Boden stürzte, als hätte ihn der schwerste Streithammer getroffen und hätt' ihn schier totgeschlagen. Dem nächsten, der war der Pfeffenhauser, entriß er sein Schwert und gab ihm einen Streich, gleichfalls über den Helm, daß er zusammenbrach, und den Widerspercher packte er gewaffnet, wie er war, am Nacken und stieß ihm den Kopf ins Bad, rufend: »Da trink', Verräter!« Dabei hielt er ihn mit der einen Hand, mit der andern streckte er des Pfeffenhausers Schwert aus und gegen die andern und herrschte: »Seht ihr nun, was da? Die Memme soll ersäuft sein, dann geht's an euch, ihr heillose, treubrüchige Schurken an Gott und redlich frummen Fürsten!« Gab auch dem Widerspercher einen neuen Ruck. Der wehrte sich gewaltig und wollte aus dem Wasser. Herzog Christoph aber, kurz beschlossen, ruft: »Heraus willst, etwan meinst du, ich will dich trocken legen, kecker Schelm!« Und greift ihn an den Füßen, so wie er ihn am Nacken hält, aufgelüpft wie ein Hündlein, das nit schwimmen mag – und den ganzen Gesellen in die Wanne geschleudert. Drüber entfiel ihm das Schwert. Das wollt' er rasch wieder lüpfen – selben Augenblick überfällt's ihn mit Schwachheit, wie mehrfach vorher – so aber war's im Bade selbst nicht gewesen. Also rückt Schwindel und arger Taumel über ihn, daß er nimmer sieht und vermeint, alles tob' und treib' und dreh' sich um ihn. Das sehen der von Abensberg und die andern gar wohl und dringen listig auf ihn ein, bis sie ihn halten, dann gedenken sie nimmer loszulassen. Das erkennt Herzog Christoph ganz wohl, rafft sich in seinem Taumel auf und schleudert sie, wie sie da klammern, zurück, daß sie's wohl empfinden. Aber der Wurf war der letzte – zusehends hierauf kam ihn alle Kraft und Besinnung zum Ersterben. Das Antlitz ward ganz fahl und bleich – die Brust versagt' ihm schier alles Aufatmen.

Also ward er übermannt.

* * *

Eh' eine Viertelstunde verstrich, rückte schallenden Trittes eine Schar Knechte – in ihrer Mitte Herzog Christoph – durch die Burg und lenkte zwischen Barfüßerkloster und Falkenturm gen den letzten runden Turm der Neuveste. Die war erst recht im Entstehen.

Dort harrte ungeduldigen Blickes, hoch zu Roß, Herzog Albertus.

Die Schar hielt an und trennte sich zu beiden Seiten.

Wankenden Schrittes, wie in wüstem Traum und seiner unbewußt, allen wohl ersichtlich in tiefer Erschöpftheit – gestützt auf seines ärgsten Feindes Arm – trat Herzog Christoph an die Pforte des Turmes.

Eh' er die zwei Stufen überschritten hatte, fiel sein schwanker Blick auf den Herzog Albertus.

Krampfhaft wollte er des Abensbergers Arm drücken. Aber sogleich verließ ihn Kraft und halb lichte Besinnung wieder, und der drohende, vorwurfsvolle Blick, den er auf Albertus heften wollte, erstarb.

Ein Schritt weiter und Herzog Christoph verschwand mit dem Abensberger, Rohrbeck und Bogner vor des Albertus und aller Augen – die Pforte des Turmes fiel schwer ins Schloß.

In kurzer Zeit öffnete sich dieselbe wieder, der Abensberger, der Rohrbeck und Bogner kamen heraus und meldeten, daß alles in Ordnung und vollzogen sei – zehn Schritte weiter jedoch, und sie hätten den Herzog Christoph in das Gefängnis tragen müssen. Nun sei er sonder Besinnung auf das Lager hingesunken.

Eine kleine Weile hielt Albertus noch an, wie in tiefen Gedanken, dann riß er sein Roß herum und sprengte davon.

Eine Viertelstunde später keuchte der Doktor Martein von der Burg auf den Turm zu.

»Hab' ich's nicht gesagt!« lallte er ein über das andere Mal vor sich hin, der Art: »O, es ist entsetzlich! Die Tinktura mixtura soll den Giftstoff zur Verdünstung bringen und er treibt es in den Leib zurück. Das verdammte nasse Elementum – verschließt er sämtliche Ausgänge der Haut mit kaltem Wasser. Es ist ganz ungeheuer! Und jetzt hab' ich keine rechte Ingredienz zur Verstärkung selbiger mixtura mehr« – klagte er an einer anderen Stelle, »da muß ich mir mit anderem helfen und – und Pulver oder Pillen drehen – daß dich! Hab' ich denn alles –?«

Er stand schon an der Pforte des Turmes.

»Aufgemacht im Namen des Herzogs Albertus, ich bin der Doktor Martein und hab' dem Herzog Christoph beizuspringen – was gafft ihr da? Auf der Stelle aufgemacht, oder ihr könnt an des Herzogs Christoph Tod Schuld tragen!«

Die Pforte wurde geöffnet.

Doktor Martein aber überzählte den Vorrat seiner Kräuter, Wurzeln und all anderer Ingredienzien, die er in einem großen Papier und zwo Schachteln auf dem linken Arm trug und einen Augenblick niedersetzte. »Schwalbendiptam und Eberwurz – richtig, die hab' ich – Opium, Vipernsalz – auch da, Tormentill – Tillkraut – aber wo ist der verwünschte Teufels abbis – da ist er – so; Spick, Mastix, Mithridat – weil ich nur die drei nicht zu Haus' ließ – aber wo – wo ist denn die Myrrhe –? Richtig, da ist sie! Bibergeil, armenische Erde, Ambra, Masilia – ha, und da sind die Hirschbeinlein – Wetter, wo ist der gestoßene Amethyst – hab' ihn schon – da ist Costgalban – Gott sei Dank – und Nierenstein, Laktukablätter und Perleinpulver!«

In die Türe trat er. Die Pforte schloß sich so rasch hinter ihm, daß es ihn am Mantel erwischte.

»Aufgemacht!« rief er in höchster Ungeduld.

Also ward noch einmal aufgeschlossen, das Ende des Mantels ward rasch hineingezogen und die Pforte fiel, wie vorher, dröhnend ins Schloß.

* * *

Als die Nachricht von Christophs Gefangennehmung zu Herzog Wolfgang gelangte, dachte er nichts anders als dies: Wie ihm, so dir. Hielt es demnach für besser, der Gefahr zu entweichen, schwang sich auf sein bereitstehendes Roß, gab dem Troß die nötigen Befehle zur Verbreitung des Geschehenen und wohin Christophs und seine Anhänger sich zu wenden hätten und so mehr, sprengte durch die Dienersgasse und über den Marktplatz, weiters durch die Kaufingerstraße, den schönen Turm hindurch und so hinaus zur Stadt und flüchtete sich, voll Zorns und Grimmes, gen Augsburg.

Dort kam er in der Nacht an, brachte früh morgens des nächsten Tages dem Rat Kunde von allem, was sich zugetragen, suchte ihn gegen Herzog Albertus zu erbittern und bat, man möchte ihm fünfhundert Gulden leihen. Denn er hatte München ohne einen Heller Geld verlassen, so heiß war ihm geworden und so fast eilig sein Entrinnen gewesen.

Er war aber noch keine Stunde Weges von München, so gärte und rumorte es dort schon an allen Orten, denn alle Menschen waren auf das äußerste entrüstet. Große Haufen sammelten sich dort und da, schmähten, stritten, lärmten und drohten, und nach und nach kamen sie alle auf dem Marktplatze zusammen. Vom Scharfrennen war keine Sprache mehr, die Ritter auf des Abensbergers Seite durften sich nicht mehr blicken lassen. Wer da war, ritt davon; wer kam, kehrte rasch um, dem Geschrei, Hohn und großen Vorwürfen zu entgehen. In kurzem war eine unglaublich große Menge Volkes beisammen, die drückte und drängte vorerst um den Fischbrunnen, denn dort hielten sich die Hauptrumorer auf. Stets lauter und drohender ward der Ruf um Herzog Christophs Befreiung, und was Treffliches und Ruhmreiches von ihm zu melden war, das gab jeder zum besten – Herzog Albertus aber wurde schlimmer Arglist beschuldigt, und was sonst von ihm getobt und gelärmt ward, das hätt' er selbst nicht gerne vernommen, hätt' er's hören müssen.

Dazwischen stieg wieder einer auf den Fischbrunnen, nahm den Herzog Albertus in Schutz und beschuldigte die Sidonia von Cleve ganz allein. Dann kam wieder einer, der gab ihr auch die Hälfte der Schuld, die andere aber unbedingt dem Abensberger und seinen Genossen. Wer da sprach, dem wurde recht gegeben, wenn's nur gegen Albertus und die um ihn gerichtet war, denn alle Gemüter waren empört und fessellos – was weiteres zugunsten sprach, da wurde nichts in Erwägung gezogen. Dabei wurde mit Hohn und Spott auf des Albertus Helfer vorgebracht, wie sich Christoph, trotz offenbarer Anzauberung, gewehrt, den Bogner und Pfeffenhauser fein tapfer bedient und den Widerspercher in die Wanne geschleudert habe, daß der in vollem Rüstzeug ersoffen wäre, wenn ihn die anderen nicht vorm letzten Maulvoll herausgezogen hätten. Wutentbranntes Gelächter schlug ein über das andere Mal auf, stets wilder wurden die Gemüter und furchtbares Geschrei brach stets gefahrdrohender gegen den Abensberger und seine Helfer los, so daß der ganze Grimm augenscheinlich gegen diese gerichtet wurde.

Da wurde eine andere Meinung vorgebracht.

Die ging dahin. Der Abensberger und die Seinen hätten auf des Herzogs Albertus Befehl gehandelt. Die Schuld voraus liege wohl an der Sidonia von Cleve, im übrigen aber sicher an niemand, als an des Herzogs Räten.

Dadurch wurden nun die Gemüter noch mehr erregt und in Meinungen gespalten, der Lärm wuchs beständig. Einer schlug dies vor, der andere jenes; wer zuletzt sprach, trug wieder stets den Sieg davon. Zuletzt kam es schier zum Kampf, und Ratsherren, Bürgermeister, Stadtoberrichter oder Kriegshauptleute, wer immer daher kam und zur Ruhe zu mahnen gedachte, alle die wurden nicht zum besten empfangen und mochten froh sein, mit zahlreichen Drohungen und Spottworten überschüttet, zu entrinnen.

Also blieb den wohlweis' und tapferen Oberen der Stadt nichts übrig, als einen erfolgreichen Entschluß zu fassen und obschon nichts angesagt war, die Ratsstube hatte sich von je als ein Zufluchtsort erwiesen. Wer immer von den Herren fruchtlosen Versuch der Ansprache getan hatte, beeilte sich das Rathaus zu erreichen. Dort waren schon etliche Räte vorfindlich und mehr und mehre fanden sich ein, also wurde auf das eifrigste beraten. Aber vereinigen konnte man sich über nichts. Sicher war auch von besonnener Weise keine Rede. Wer in Sachen einer Stadt Treffliches und Nutzbringendes schaffen will, bedarf wohl guter Zeit und ruhiger Bedachtnahme – hier aber drängten sich alle Augenblicke etliche voll wildester Aufregung herein, brachten eine drohreiche Schreckensbotschaft um die andere und stürzten wieder fort. Alles, was beschlossen worden, erschien sodann untunlich, und sobald ein weiterer Entschluß gefaßt war, kamen sicher wieder andere mit neuer Botschaft, die wieder das letzt Beschlossene umwarf. Übereins rannten ihrer gar schier ein Dutzend vom Volk in das Ratszimmer und beschuldigten den Rat selbst in mehrfacher Weise, als ob er oder ein Teil gegen Christoph gestimmt wäre, verlangten Hilfe und drohten gewaltig, sie wollten wiederkommen und mehrere mitbringen. Drauf stürzten sie wieder davon und kamen nicht wieder, aber die wohlweisen Herren im Rate wußten das nicht vorher – und wer es immer gut meint mit eines wehrlosen Mannes Sicherheit, möcht' es nicht so fast im argen nehmen, daß sich unversehens die Reihe der Ratsherren um einiges lichtete, worauf es einer oder der andere den Flüchtigen nachmachte und wieder zu kommen versprach, aber weiterhin nicht mehr eintraf.

Mittlerweil' das auf dem Rathaus vorging, hatte sich die Menge auf dem Marktplatze in zwei Parteien gespalten.

Davon hatte es die eine auf des Herzogs Räte abgesehen – die andere wollte ihn selbst auf das mutigste in Ansprache bringen und verlangen, er sollte seinen Bruder, den Herzog Christoph, zur Stelle wieder befreien. Zu letzterem hatte vorerst der Schneider Petrus Ditlaib aufgefordert und mit hell kreischender Stimme vom Fischbrunnen herab geeifert, wobei man ihm etliche Zeit zuhörte. Weil er aber alsbald dies und das durcheinander brachte und nebstdem an der Spitze stehen wollte, entstand ein grimmiges Gelächter.

Balthasar Wurm, der gewaltige Gerber, stieg hinauf und schob den dürren Petrus Ditlaib beiseite, daß der vom Fischbrunnen herunterflog, wie ein gelbes Blatt vom Baum, wenn der Herbstwind schnaubt. Mit mächtiger Stimme bezeichnete sofort Balthasar Wurm, was zu tun sei und schlug auch sogleich zwei vor, die zum Herzog gesandt werden sollten und die sollten einen dritten als Vorredner erwählen.

Da wurden die zwei mit großem Jauchzen begutachtet. Zum Vorredner wählten dann die zwei selb' ihn, den Balthasar.

Über diesen Entschluß der Menge wuchs des Schneiders Ditlaib Zorn ins Unglaubliche. Er sprang mutig zum zweitenmal auf den Fischbrunnen und protestierte gegen alles, denn er habe alles in Antrag gebracht und angegeben und wer immer da erwählt sei, nimmermehr seien diese die rechten Männer. Herr Petrus Ditlaib bewährte die Ausdauer seiner Brust auf das beste und leistete in Sachen des Mutes und Eifers nichts Geringes, denn mit Händen und Füßen focht er unermüdlich, und der Schweiß rann ihm stromweise von der glühenden Stirne.

Aber es war dennoch vergebens. Längst hörte ihn keiner mehr an. Alles drängte sich der Burggasse zu, ließ Herrn Ditlaib sich heiser schreien oder es forderte ihn ein und der andere höhnend auf mitzuziehen, da er ja zum Ganzen den Grund gelegt.

»Das tu' ich auch!« rief er, sprang in einem mächtigen Satze vom Brunnen und drängte sich hindurch, denn er wollte um jeden Preis an der Spitze anrücken.

Drüben geriet er mit einer ganzen Zahl in Streit. Er war nicht sechs Schritte weit gekommen, als ein Zug Berittener aus der Dienersgasse dahertrabte, den Ratsherren links drüben Schutz zu gewähren.

»Auseinander!« herrschte der Zugführer. »Wollt Ihr gutwillig weichen, Schneider Ditlaib?!«

Herr Ditlaib das hören, schrie und schmähte er gewaltig auf seine Umgebung, so daß ihm manch' ergiebiger Ruck zuteil ward. Da er um so mehr lärmte und tobte und zuletzt an den Zugführer eine Rede halten wollte, die ihm von Mut und Lust zum Aufruhr eingegeben war, befahl ihm jener zu schweigen oder er nehme ihn zur Stelle in Haft.

Nun aber schrie Herr Petrus Ditlaib noch einmal so laut von Mut und Trotz und focht sehr heftig mit den Armen. Als sich indessen jener anschickte, sein Wort in Erfüllung zu bringen, wandte sich Herr Petrus blitzschnell auf der Ferse, drängte sich durch die, welche ihn umgaben, und stürzte davon aufs Tal zu.

Da hatte er seine Werkstatt im Eck vorm Radlsteg.

Von all dem Getümmel auf dem Marktplatze hatte Albertus ununterbrochene Kunde bekommen, und hätte er das Geschehene ungeschehen machen können, wär's ihm im ganzen genehm gewesen. Aber nun war es einmal so und er hatte keine Lust, sich schwach zu zeigen, was immer auch gegen ihn ankämpfe.

Darin schlug er den Unmut der Menge nicht all zu hoch an. Weit peinlicher war ihm etwas anderes.

Das waren die bitteren Vorwürfe seiner Mutter, der Anna von Braunschweig – ihr gebieterisches Wort – hinwieder ihr Flehen. Denn nichts ließ sie ohne Versuch. All dieses lastete schwer auf ihm und ihre Verzweiflung versetzte ihn in Besorgnis für ihr ganzes Wohl. Dazu kam noch mehr. Er konnte nicht verhindern, daß sie den Grafen von Abensberg in seiner Gegenwart als den Urheber nie endenden Bruderzwistes anklagte und das ganze Maß ihres fürstlichen Unmutes über ihn ergoß, und zwar in ihrer Trostlosigkeit und Erregtheit vor mehreren Zeugen, ja selbst vor den Dienern, die zuzeiten ein- und auseilten, dem Herzog Botschaft zu hinterbringen.

Dies war aber nicht alles. Ihn selbst bedünkte es, er habe wie in Verblendung gehandelt. Die ganze Reihe böser Folgen seines Schrittes, der Fürsten und des Kaisers Zorn und was daraus erwachsen könne, das alles entrollte sich vor seinen Gedanken.

Aber es war geschehen. Und was geschehen, von dem wich Albertus nicht so leicht.

Da alles erschöpft war, was Mutterliebe, was Mutterrecht in Bitte und Drohung zu versenden hat und zu gleicher Zeit die Menge in wildem Getümmel heranzog, wandte sich sich die Anna, schon bereit, das Gemach zu verlassen, noch einmal, eilte schwanken Trittes auf Albertus zu und wollte sich vor ihm auf die Knie werfen, um das Wort der Befreiung für Herzog Christoph zu erlangen.

In größter Verlegenheit hielt Albertus seine Mutter zurück, suchte sie mit liebevollsten Worten zu trösten und stellte die Aussicht auf baldige Freiheit des Bruders. Aber damit war sie nicht zufrieden. In ihrer Sinne gänzlicher Verwüstung beschloß sie zu bleiben und mit den Abgesandten des Volkes ihre Bitten aufs neue und kräftigste zu vereinen. Und unsäglicher Mühe und Überredung bedurfte es, sie davon abzubringen und sie zu vermögen sich zurückzuziehen, um des Herzogs Ansehen keinen Eintrag zu tun und den Trotz der Menge nicht um ein weiteres zu steigern.

Schon kamen die drei Abgesandten durch den Burghof geschritten, als die Anna, welche im Begriffe war sich zu entfernen, noch einmal stehen blieb und wieder bleiben wollte. Und sicher wäre sie geblieben, wenn der Graf von Abensberg sich nicht vergessen und ihr ein mahnendes Wort gesagt hätte.

Auf dies wandte sie sich in fürstlichem Stolze gegen ihn und rief: »Ihr wagt es, nach all dem, was ich von Euch bewies, nach all dem, worauf Ihr kein Wort der Entkräftung meiner Anklage vorzubringen wußtet, Ihr wagt es, zu mir zu sprechen? Wohlan denn, Ihr habt es erreicht – mit Euch will ich nicht sein, wo immer Ihr seid, ist meines Bleibens nicht. Die teuflische Gewalt, so an Euch wie an meinem geliebten Sohne verübt werden sollte von unsichtbarer Hand, wohl, wohl, Herr Graf, die wird des Himmels Rache nicht entgehen – doch auch über Euch wird einst ein Strafgericht kommen. Denn wie des Zaubers unwiderstehliche Gewalt Kraft tötendes Gift in den silbernen Becher, so streutet Ihr Zwietracht in des Albertus Sinn, der sich sicher mit Christoph verständigt hätte. Ja, das tatet Ihr, das fühl' ich – das will ich ewig glauben – und mein Mutterherz alleine habt Ihr nicht zermalmt. Da seht nur hin auf die Wangen meines Sohnes, seht die Schamröte, Euch nicht von solcher Anklage reinigen zu können – seht seine grenzenlose Verwirrung, mich, seine Mutter, Euch und durch Euch seinem rastlos aufgestachelten Ehrgeiz aufopfern zu müssen. Ihr seid in Zeit einer Stunde außerhalb Münchens Mauern. Herr Graf, das seid Ihr, sage ich Euch! Vergeßt nicht, wer zu Euch spricht. Es ist Anna von Braunschweig, welche die Zügel dieses Reiches einst führte und von Vasallen kein Spiel mit sich treiben ließ und glaubt, daß ich Mittel wüßte Euch zu züchtigen. Denn so mir auch hier nicht Hand geboten wird, keine Macht verliehen von dem, der sich mein Sohn in Liebe nennt und seiner Mutter Flehen doch von sich weist – ich weiß es, für mich stünden Scharen von treuen Anhängern auf. Aber ich will Euch nicht züchtigen, ich will nicht neue Kämpfe beginnen, nicht Blutströme heraufbeschwören, da die noch kaum versiegt sind, welche im unseligen Bruderstreit geflossen, im Bruderstreit, den Ihr geschürt habt. Gott, Gott selbst wird Euch züchtigen. Ich verlange nur dies eine: Verlaßt München, befehle ich Euch – und dieser, mein mächtiger Sohn, wird nicht nein sagen, hoff' ich! Vermöchte er es, mir darin zu trotzen, so werde ich, die Herzogin Anna, weichen und Ihr bleibt. Ich werde München verlassen und nie mehr soll mich Euer Auge erschauen, Herr Herzog! Euch aber, Herr Graf, schleudere ich dann den Fluch zu, der Euch gebührt – Fluch Eueren Ränken – womit Ihr die Brüder erhitzt und getrennt – Fluch Euerem Hochmut – Euerem Trotz – mit dem Ihr auch noch die Mutter und den Sohn getrennt!«

In höchster Erregtheit verließ sie das Gemach.

Tiefes Schweigen waltete.

Einen finsteren Blick auf den Grafen warf Albertus. Er schritt einmal auf und nieder, blieb dann stehen und sagte mit erzwungener Kälte: »Ihr werdet wohl die Stadt auf etliche Zeit verlassen. Die Umstände und Gemüter sind nicht so beschaffen, daß sich schlichten und richten ließe. Es bleibt nichts übrig, denn der ehrwürdigen, tiefgekränkten Frau Verlangen zu erfüllen. Auch ist es für Euch besser. Für mich bin ich keineswegs besorgt. Ihr aber dürftet so fast sicher nicht sein.«

»Ich verstehe,« versetzte der Graf frostig – »das sollte Euch gleichwohl wenig Sorge schaffen, denn mit dem Bürgergesinde ist so schwer nicht fahren, wenn man ihm die Zähne weist. Deshalb blieb' ich sicher. Will aber kein Stein des Anstoßes sein. In Zeit einer Stunde will ich die Stadt verlassen. Früher nicht, denn Ihr könntet mich da oder dort nutzen. Allererst rate ich Euch nur eines, Herr Herzog. Da außen hör' ich die drei Sendhäupter der griesgrämigen Menge kommen. Nehmt Euch ins Gedächtnis, was wir gesprochen. Bleibt fest!«

Wieder einen unmutigen Blick schleuderte Albertus auf den Grafen und sagte dann stolz und kalt: »Ihr bedientet mich aufs trefflichste mit klugem Rat. Es mag wohl sein, daß mir so viel Gutes ohne Euch nicht zu Sinn gekommen wäre. Bemüht Euch nun weiters nicht, guten Rat zu wiederholen. Ich bin so ungelehrig nicht. Ihr seid es, dem zulieb' ich mir die Brüh' eingebrockt – nun werde ich sie auch ohne Euch zu speisen wissen – herein mit den dreien –!«

Soeben hatte sie der Diener gemeldet.

Eintraten ziemlich keck Balthasar Wurm und seine zwei Genossen. Des Herzogs Angesicht glättete sich bis zu einer kalten, ihrer selbst sicheren Freundlichkeit.

»Was wollt ihr, ihr laute Herren?« sagte er halb wegwerfend. »Ist es so dringend, was euch herführt, daß ihr euch nicht einmal Zeit nehmt – –?« Er sprach nicht aus, doch sein Blick auf ihr nicht sonderlich reines Gewand verriet nur zu gut, was er meinte. Er maß einen um den anderen gebieterisch von Kopf zu Füßen. Dann, wie sich eines näheren entsinnend, fuhr er fort, die Arme in seinem scharlachsamtenen Mantel verschränkend: »Ei seht, nun kenn' ich Euch erst, Ihr seid dabei, Balthasar Wurm! Also Ihr seid der Vorsteher, das lass' ich mir gefallen. Man rühmte Euch mir als einen tüchtigen Gerber und benebst ganz wohl unterrichteten, fein beredtsamen Mann. Mich bedünkt, die Wahl ist nicht schlecht. Sprecht, Gerber Balthasar, was soll's und was wollt Ihr?«

»Nichts – als Gerechtigkeit – nichts als Gerechtigkeit für Herzog Christoph, hoher Herr« – erwiderte der Gefragte weit befangener, als er sich zu sprechen vorgenommen hatte.

»Gerechtigkeit! Und was meint Ihr damit?«

»Was – was wir damit meinen –? Nichts, wohl nichts anderes, denn daß Ihr in gnädigster Erwägung – nichts, sag' ich, denn daß Ihr den Herzog Christoph freilassen möchtet – glaubt mir, hoher Herr, es ist alles in größter Gärung – und so Ihr, hoher Herr, nicht tut, was hie durch uns –«

»Verlangt wird«, ergänzte Albertus –

»Allerdings und sicher, Herr Herzog, so weiß ich nicht –«

»Was wißt Ihr nicht?«

»Ob – ob das Volk nicht blutige Rache an denen üben wird – welche die Schuld seiner Haft tragen.«

»Und wer sind die?«

»Wer die sind, fragt Ihr, hoher Herr –? Die sind nach unserer Meinung wohl – der Herr Graf von –«

»Von Abensberg –?«

Der Graf trat von der Seite her.

Betroffen sah der Gerber zu ihm, denn er hatte ihn bisher nicht gekannt. Er zögerte mit der Antwort, mittlerweile der Graf auf einen Wink des Albertus wieder zurücktrat.

»Sprecht fort, Balthasar,« mahnte letzterer, »der Graf von Abensberg – wer sonst noch?«

»Der Rohrbeck, der Bogner – und sechs andere Ritter. Die kennt das Volk ganz wohl.«

»Also die tragen die Schuld nach Euerer Meinung. Es soll aber noch eine Partei auferstanden sein. Wem gibt sie die Schuld?«

»Eueren Räten, soviel ich weiß, allergnädigster Herr – dran zweifeln wir aber –«

»Und weil da nichts Gewisses zu ermitteln ist, wolltet Ihr –?«

Verlegen schwieg der Gerber Wurm eine ziemliche Weile, dann sagte er: »Dem sei, wie da wolle, Herr Herzog; alle, die da unten im Burghof' und der Gass' entlang stehen, die glauben fest, was ich Euch verkündet hab' – und sind traun nicht leicht zu bändigen. Doch vermögt Ihr ein tröstlich Wort zu spenden, daß es gute Aussicht gibt – die zwo, so mit mir an Euch gesandt, mögen's wohl bestätigen – traut' ich sie etwan zur Ruh' zu bringen – über die anderen vermag ich nichts. Deren sind an die fünfhundert in etliche Teil auseinander und fortgezogen auf Euerer Räte Häuser zu – was da geschieht, ist unsere Schuld nimmer.«

Rasch trat Herzog Albertus zum Schloßhauptmanne, der nächst der offen gelassenen Türe stand und mit den drei Abgesandten gekommen war. Einige leise Worte und der Hauptmann entfernte sich auf das eiligste.

In kurzer Zeit hörte man von des Albertus Gemach aus zwei Züge berittener Soldknechte, welche der Hoflänge nach aufgestellt gewesen waren, zum hinteren Burgtor nächst Sankt Lorenzens Kirche hinausstürmen. Die lenkten hierauf links gegen die Dienersgasse, bis sie zum Marktplatze kamen. Dort trennten sie sich und sprengten in einzelnen Haufen nach verschiedenen Richtungen, wo die Räte des Herzogs wohnten.

Herzog Albertus aber hatte sich mittlerweil' mit den drei Abgesandten tiefer und tiefer, so auch ohne viel Worte, eingelassen, sie mit halbgnädigen Worten über die unbedingte Notwendigkeit seines Verfahrens mit Christoph belehrt und hie und da wieder seinen leichten Spott einfließen lassen, daß sie sich an denen rächen wollten, welche sie doch nicht für sicher als schuldig bezeichnen könnten. So trieb er sie selbdritt in die Enge, daß sie mit jeder Minute verlegener wurden. Am Balthasar Wurm aber ging es zumeist aus, und hätten ihn seine zwei Genossen nicht mit Blicken und gelegentlich einem ziemlich fühlbaren Ruck zur Tatkraft ermahnt, er wäre seiner Aufgabe nicht mehr lange gewachsen geblieben. So faßte er endlich wieder Mut und sagte: »Herr Herzog, das hab' ich ganz wohl angehört und seh', wie Ihr uns in hoher Weisheit irren könnt, aber was sicher ist, bleibt sicher. Dort der Graf von Abensberg und seine Genossen sind auf den Herzog Christoph zu und haben Gewalt an ihm verübt. Längst sind sie seine Feinde. Also trugen sie die ganze Schuld, denn hättet Ihr's selbst beschlossen, so haben sie die Tat vollführt, statt daß sie Euch abgeraten hätten.«

»Wißt Ihr, was Ihr da sagt?« entgegnete Albertus. »Nehmt Euch in acht, daß ich diese Worte nicht gegen Euch anwende. Wenn die alle Schuld tragen, weil sie meinen Willen vollzogen und dafür Eueren Unmut ertragen, wie wär' es weiters mit Euch selbst, die Ihr stolzer Empörung dient und, statt abzumahnen, erst schürtet, dann frevelnd als die Träger des Verbrechens zu mir kommt, um mir Gewalt anzutun, Euerem rechtmäßigen Herrn?! Wie wär's, wenn ich euch drei büßen ließe, was die ganze Menge da unten beschloß? Und daß ich es vermöchte, werdet ihr wohl nicht in Zweifel ziehen, kämt ihr auch mit zehnmal größerem Gefolge daher.«

Ganz bestürzt stand Herr Balthasar Wurm.

Herzog Albertus tat einige Schritte, dabei er einen ernsten Blick über die drei streifen ließ, und fuhr fort: »Ich gebe den Herzog Christoph jetzt nicht frei und nicht früher, denn mich's gut und heilsam bedünkt. Vielleicht währt seine Haft kurze Zeit. Ihr verlangt Gerechtigkeit für ihn – sie soll ihm werden. Mir aber werdet ihr sie gleichfalls nicht versagen wollen und sicher noch weniger.« Er hielt ein wenig ein. – »Ich bin euer Herzog durch Geburt – und durch das, was sonst mich berechtigt, euer alleiniger Herr. Das ist das beste. So ist es und soll es bleiben. Wo zwei Teile und Herren sind, ist kein gemeinsames Ziel zum Guten. Selbst nicht im Bösen. Das habt ihr vor kurzem mit eueren zwei Parteien erprobt. Ein Haupt und ein Gedanke muß sein, denn der Gedanken Zwiespalt bringt dem Frieden rastlose Gefahr und mit dem Frieden der Bürger sämtlichem Wohlstand. Das darf nicht sein und soll nicht sein und drin weiß ich mich gerecht, so ihr mir auch übles nachredet, mittlerweil' ich euerem eigenen Vorteil wohl will. Ich will euch nicht sagen, daß Herzog Christoph mir unabsehbaren Kampf in Aussicht stellte, daß er Worte fallen ließ, die mir wohl enthüllten, es handle sich künftighin nimmer um einen Anteil am Regiment – vielmehr wolle er mich gänzlich bezwingen – versteht mich wohl – und in dieser meiner Hofburg das Regiment alleine führen. Ich will euch dies und mehr nicht sagen – wohl aber, was über euch käme, bis ich mich in dies Geschick ergäbe.«

Er trat einen Schritt näher.

»Bisher triebt ihr Bürger zu München euer Gewerk friedsam und ruhig. Was zwischen uns Brüder vorgefallen, traf euch zum mindesten hart, das Land draußen desto schwerer. Das faßt und bedenkt wohl, ihr, denen jede Störung zuwider ist. Diesmal käm's anders. So ich Herzog Christophen hätte zieh'n lassen, wär', eh' zwo Wochen entrinnen, das Land mit Blut und Brand und Leichen erfüllt, denn so stellte er sich gegen mich, das weiß ich sicher. Das hätt' ich aber nicht dulden wollen, der Kampf hätte sich hin und her gezogen, bis es um München ginge – was heißt das? Es heißt, um euer Blut und Gut und Leben. Wer weiß, wär' die ganze Stadt in Flammen aufgelodert – denn, eh' die Stadt vernichten, als vom Rechte lassen, das wär' mein Wille, drauf könnt ihr schwören. Ich wiche nicht, bis die letzte Kraft erschöpft wäre. Ihr aber, wo die Flammen uns nicht fräßen, ihr würdet abgesperrt, Hunger nur und Pest schliche zu uns – und trieb' euch die Verzweiflung weg von mir und in des Bruders Arme, daß ihr mir treulos würdet, so käm' zu all' dem Elend, das euch betroffen, Acht und Aberacht und zuletzt des Papstes Bannfluch.« –

Nach kurzer Unterbrechung fuhr er fort:

»Das wär' euer Schicksal, hätt' ich ihn nicht in Haft gebracht. Ließ' ich ihn jetzt frei, so träfe das Gesagte ein. Ich liebe meinen Bruder, doch ich konnte nicht anders handeln. Was ihm bösen Zaubers Macht angetan hat, das soll mit Gottes Hilfe durch gelehrter Doktoren Kunst und Wissen von ihm weichen und fürstlich soll er gehalten werden, wie es einem Fürsten ziemt und einem Helden. Zudem, ob frei, ob nicht – er ist schwer erkrankt und könnte seine Freiheit nicht nutzen. – Dies sagt denen, die euch hergesandt. Ihr habt euch eueres Auftrages ganz wohl entledigt – so erzeigt euch meiner Worte gleicherweise eingedenk und richtet jedes zum besten – nicht mir so fast, euch selbst zum Vorteil! Ich will vergessen, was geschehen. Herzog Christoph soll's auch erfahren, wie warm ihr euch seiner angenommen. So bleib' ich, eueres guten Willens eingedenk und für euer Wohl besorgt, ein gnädiger Herr. Das versprech' ich euch. Ihr aber schafft Ruhe, wie's Männern ziemt, die wohl unterrichtet und beredt sind – auch Einfluß haben. Des verseh' ich mich von euch. Eine Stunde gönn' ich denen da unten Zeit. Ist dann noch viel Zusammensteh'n und Rumorns – nehm' ich's für Rebellion und will mich darnach halten. Das merkt ihnen wohl an, die euch sandten – hiemit Gott befohlen und gebraucht verliehene Einsicht zu aller Nutz und Frommen.«

Er nickte zu, ließ die drei Abgesandten stehen und schritt ins nächste Gemach. Der Graf von Abensberg folgte ihm.

Wenige, aber bestimmte Worte wechselnd, standen Balthasar Wurm und die zwei Genossen, dann verließen auch sie das Gemach und begaben sich zur harrenden Menge hinab. Inmitten derselben zogen sie durch die Burggasse auf den Marktplatz zurück. Dort hinterbrachten sie durch ihren Vorsprecher ganz treulich, aber in mancher nicht unklugen Wendung, die Balthasar dem Albertus selbst abgelernt, wie sie ehrsam empfangen worden seien und was der Herzog gesprochen habe. Dabei versäumte Herr Balthasar keine Gelegenheit, zu bemerken, sie hätten sicher das Ihre geleistet und den Herzog zur bestimmtesten Äußerung gebracht, Christophs Gefangenschaft würde vielleicht nur kürzeste Zeit währen, bis das und jenes geordnet sei. Dadurch entwaffnete er in der Tat erst viele, dann sämtliche Gemüter, und wiewohl keiner recht glauben wollte, daß Herzog Christoph je seinen Bruder gänzlich vom Thron stoßen wolle, noch es je versuchen würde, gleichviel ob er frei fortgezogen wäre oder ob er nunmehr in Freiheit gesetzt würde, machte doch die Sorge um Kriegsgefahr am eigenen Herd ihre Rechte geltend und trug bei, stets ruhiger Haltung Paß zu geben. So trennte sich die Menge nach und nach und überließ es vorläufig jedweder dem Herzog Albertus, Schritte, und zwar in möglichst kurzer Zeit, zu tun, somit den Wünschen der Partei für Herzog Christoph zu genügen.

Von alldem empfing Albertus getreue Nachricht, desgleichen, daß die berittenen Soldknechte sich nach allen Seiten zerstreut hätten, und weil etliche Zeit nichts verlautete, glaubte er, die Partei, welche gegen seine Räte ergrimmt war, sei zum Teil durch den Anblick der Kriegsmacht allgemach zerstreut und durch Besprechung mit denen von der anderen Partei auf dem Weg zu gänzlicher Beschwichtigung.

Er täuschte sich aber.

Soeben war er in ziemlich heftigem Gespräch mit dem Abensberger begriffen, der sich noch immer nicht zum Fortreiten anschickte.

Da wurde neuer Lärmen aus der Weite hörbar.

»Was soll es? Wären die Soldknechte mit dem anderen Teil in Streit geraten?« Rasch öffnete Albertus das Fenster. »Das ist ja eh' wie Freudengeschrei, nicht wie Streitlärmen – sogleich mein Roß –!« befahl er dem Diener, der, jedes Winkes gewärtig, im nächsten Vorgemach stand.

Der eilte hinaus und rannte schier mit einem anderen zusammen, welcher hereinkam.

»Was bringt Ihr? Was soll der Lärm und das greuliche Jauchzen« – rief Albertus – »ist die Menge wieder los?«

»Das nicht, hoher Herr,« antwortete jener, »das Volk ist beruhigt, was Euch betrifft. Aber nun sind sie über Eueren geheimen Räten – zu seiner Hochwürden dem Doktor Ersinger sind sie, was ich hörte, desgleichen gezogen – so hörte ich aber nur – vom Durchkommen war keine Rede, denn ein ganzer Schwarm kam von ferne daher, bei denen sah ich –«

Der Diener konnte nicht aussprechen, denn der Herzog war schon aus dem Gemach, ihm zur Seite der Graf zu Abensberg. Der Herzog rasch in den Burghof hinab und zu Pferd gestiegen – der Abensberger desgleichen und wollte dem Herzog folgen, als er fortritt. Herzog Albertus aber ließ es nicht zu.

Also blieb der Abensberger finsterer Stirne zurück.

Albertus ritt zum hinteren Burgtor hinaus und dann links eingelenkt und sofort in die Dienersgasse.

In dieser kam die Menge schon ganz nahe dahergezogen. Der Herzog hielt still. Was er sah, war ihm befremdlich genug. In wildem Jubel kam die Menge daher, inmitten trugen ihrer je zwei einen Rat des Herzogs auf den Schultern und ein über das andere Mal brauste es weithin auf in wütigem Freudengeschrei und Lebehoch.

Ein reitender Bote, welcher durch die Gruftgasse hergesprengt kam, klärte mit möglichst wenigen Worten alles auf. Der Schloßhauptmann war überall hingeritten, wo er eine Schar Volkes wußte, und hatte entsprechende Vorstellungen gemacht. Heftige Zwiesprache war erfolgt, darauf hatte sich die Überzeugung festgestellt, daß Albertus die Räte in keiner Weise befragt habe. Aber dabei war es nicht geblieben. Von Schuldlosigkeit wurde auf der Räte Unmut gegen das Geschehene geschlossen, und weil die Herren in wohl gegründeter Angst angedeutet, Herzog Christoph würde sicher bald befreit werden, war alsbald ungeheuerer Jubel losgebrochen und das erfolgt, was nun Herzog Albertus mit eigenen Augen sah. Dazu fügte aber der Bote, den Pfarrer Ersinger hätten sie schier auch fortgetragen, aber die Sache sei rückgängig geworden.

Herzog Albertus ritt etliche Schritte weiter bis quer an die Gruftgasse. Da hielt er an.

Die Menge kam daher und erhob eben wieder ein übermächtiges Jubelgeschrei über die Unschuld derer, welche da getragen wurden. Draus entnahm Albertus hinlänglich, es sei Trotz gegen ihn selbst. Nicht minder erkannte er aber etwas anderes – das war, das tolle Spiel mit den Räten möchte sicher ein baldiges Ende nehmen, aber dann ginge der Tanz mit dem Abensberger auch vonseiten dieser Partei los. Denn furchtbare Verwünschungen wurden über den Grafen ausgestoßen.

»Halt!« herrschte Albertus plötzlich die Menge an.

Die stand still. Längere Zeit währte es, bis das letzte Gemurmel verstummte.

Festen Blickes sah der Herzog dahin, dann auf den und jenen im einzelnen, und nannte beim Namen, wen immer er kannte.

»So« – sagte er, »Ihr, Thäken Hans, seid auch bei dem trotzigen Narrenspiel? Ihr auch, Franz Pisis – Reißwan, Euch seh' ich hier – und Euch desgleichen, Herr Sauerwein – und wen seh' ich noch sonst?! Seid ihr auch besonnene Männer, wie mir von jeher gesagt wurde, oder wie bin ich mit euch dran? Tut ihr doch, als wärt ihr Schalksnarren und schlügt euch einander selbst ins Antlitz, daß vernünftige Leute lachen. Oder glaubt ihr etwan, solches setzt euch in bessere Meinung und flößt Schrecken ein? Da seid ihr treulich nuf Abwegen. Keines Hellers Wert's schlag' ich's an. Fürwahr, es bedünkt mich schier lustig. Was nun? Den andern hat der Schneider Ditlaib den Sinn verwirrt, wo ist denn euer Feldherr?«

Als er die letzten Worte gesprochen, gerieten die ersten am Zug in große Verlegenheit und einige lachten.

»Das ist fein besser, denn trotzen« – fuhr Albertus fort – »ihr dort – herab mit den Räten von eueren Schultern!«

Der Befehl ward vollzogen.

Ganz erhitzt und schweißtriefend langten die Herren bei Albertus an. Er sprach huldvoll und tröstlich mit ihnen und bedeutete, sie möchten sich in die Hofburg begeben.

Tief beugten sie sich und verfügten sich ihres Weges weiter.

Herzog Albertus aber verlangte aufs neue die wahren Führer der Menge zu kennen. Da gab es ein Schieben und Drängen, keiner war es und keiner wollte vortreten, bis auf einen – aber der wurde um keinen Preis vorgelassen, soviel Mut er auch bezeigte.

»Wer ist der Mann?« rief Albertus. »Heraus da mit ihm!«

Vor trat ein Mann, von Gestalt schmächtig, wie Herr Ditlaib, doch um ein ansehnliches länger.

»Wer seid Ihr und wie heißt Ihr – seid Ihr nicht –?«

»Ich heiße Jobst Knöpflein, hoher Herr Herzog,« antwortete der Gefragte, »und bin lobesamer Stadt München ehrsamer Schneidermeister.«

»Schon wieder ein Schneider!« sagte Albertus.

Er lächelte ein wenig – aber rings schlug Lachen auf.

»Was seid ihr denn für Leute!« fuhr er fort, als es wieder ruhig ward. »Wohlauf, daß ihr euch von Schneidern regieren lassen möchtet! Ich achte einen Schneider ganz wie jedweden ehrbaren Bürger, so er seiner Sache und Angelegenheit mächtig ist, und geb' ihm gerne Arbeit. Wie das mit Jobst Knöpflein beschaffen, will ich nit ergründen. Ich sag' euch nur, so er in Sach' des Regiments besser nimmer zu Haus', denn mit Scher und Nadel, seid ihr doch nit am rechten Schneider, wenn's einer sein muß. Wohl, das ist meine feste Meinung und ist sicher so, sonst hätt' er mir nicht den besten Saumsametflaus vernäht und verschnitten und wär' etwan mein Hofschneider geworden, statt daß er jetzt der euere geworden ist und euch Narrenkleider anzog!«

Ein noch gewaltigeres Gelächter erschall.

»Was meint ihr,« ließ Albertus ergehen, »hat er euch noch keinen Rock verschnitten?«

»Mir – mir« – kam's lustig von mehreren Seiten.

Wer den Kopf voll Schrecken bald links, bald rechtshin wandte, war Herr Jobst Knöpflein. Dabei war er, wie begreiflich, in hoher Bewegtheit, und da besagter Anklageruf weiter und weiter um sich griff, so daß es herauskam, als wär's da stets der zehnte Mann, dem er seine Röcke verschnitten habe, fuhr er bald auf den, bald auf jenen zu und protestierte feierlichst, je einen Schnitt mit der Schere oder einen Stich mit der Nadel für ihn gemacht zu haben. Wie's aber geht, je mehr er kämpfte und sich verwahrte, desto mehr Gelächter erntete er. Als er sah, daß alles vergeblich sei, sein Anseh'n aufrecht zu erhalten, stürzte er urplötzlich am Herzog vorüber in die Gruftgasse, die hindurch, dann links in die Weinstraße und wollte über den Marktplatz fort nacheinander bis zum Grottental, wo er seine Werkstatt hatte. Beim Wurmeck aber blieb er stehen und rief: »Hier ist meines Bleibens nimmer, weh dem, der sich aufopfert, Undank ist sein Lohn und wär' er der größte Geist! He Blitz, zehntausend Nadelstiche und Lindwürmer, das muß mir begegnen! Fort sag' ich aus der undankbaren Stadt – aber ich nicht allein, nein, nein, so tun wir nicht – ich räum' das Feld nicht allein – der Petrus Ditlaib muß mit fort. Die ganze hochehrsame Zunft ist belästert!« Flüchtigsten Fußes schoß er über den Marktplatz durch den Ratturm und ins Tal hinab zum Radlsteg an der Hochbrücke.

In der Dienersgasse nahm die Sache alsbald eine andere Wendung. Von kluger Spottrede ging Albertus zu wenigen, aber eindringlichen Worten über, ähnlich denen, welche er in der Burg zum Balthasar Wurm gesprochen. Ritt hierauf, dem und jenem etliche Worte spendend und dabei hin- und herschauend – wie um zu sehen, wer denn bei dem wilden Aufzug sei – milden Ernst und große Sicherheit im Angesicht, durch die Lichte, welche die Menge die Dienersgasse hinauf bildete, und so weiter, bis er an die Bögen gelangte. Hinter ihm selbiger reitende Bote.

Er kreuzte den Marktplatz und ritt gegen Sankt Peter ein, gerad über davon im Pfarrhaus der Doktor Ersinger wohnte.

Als er ankam, traf er einen halben Zug Soldknechte und andere Leute. Die waren in lebhaftem Gespräch, sichtlich ohne Ausnahme auf des Herzogs Seite, und grüßten ehrfurchtsvoll.

Albertus dankte huldsam, stieg vom Roß und verfügte sich die Treppe hinauf.

Als er eintrat, kam ihm der Doktor Neuhauser untertänig entgegen. Den hatte die Menge nicht zu Hause gefunden, da es sich ums Rachenehmen gehandelt. Nach Verlauf der größten Gefahr war er darauf rasch durch mehrere Nebengäßlein geschritten und hatte sich zum Doktor Ersinger verfügt.

Dieser lag höchst angegriffen im Lehnstuhl, und kaum vermochte er den Herzog zu begrüßen.

Albertus bot ihm freundlich ab und ließ sich vom Sakristan, der dem Pfarrherrn dienstbereit zur Seite stand, erzählen, wie alles ergangen. Dabei erfuhr er, daß ihrer etliche heraufgekommen seien und daß sie nur des Doktors augenscheinliches Unwohlsein von ihrem Vorhaben abgebracht habe, ihn im Triumph davonzutragen, noch eh' die Soldknechte anrückten. Drauf habe die Menge am Pfarrhaus ein wütiges Jubelgeschrei erhoben, den Doktor Ersinger mehrmals hoch leben lassen – und hierauf sich ein Teil zum Abzug angeschickt. Sie seien aber wieder anderen Sinnes geworden, und wäre der Burghauptmann nicht dahergesprengt, der sie gehörig zu vernünftigem Handeln aufgefordert, wäre der Frevel dennoch ausgeführt worden.

Als der Sakristan dies erzählt hatte, verließ er auf einen Wink des Herzogs das Gemach.

Dieser wandte sich zum Doktor Ersinger, versprach, sogleich ärztliche Hilfe zu senden, ermahnte ihn auch, in aller Art unbesorgt zu sein, denn die ganze Bewegung des Volkes habe weiter nichts Gefährliches und sei vorüber.

Da nickte der Doktor Ersinger so halbweg zufrieden, aber doch mehr wehmütig zu, und sagte mit recht gebrochener Stimme: »Das ist wohl recht, Herr Herzog. Wollte Gott nur, damit wär' es abgetan! Ihr habt Unerhörtes fürgenommen, selb bringt schlimme – schlimme Früchte. Wie gut meinen wir's alle mit Euch, die Ihr uns sonst Eueres Vertrauens wert haltet! Da habt Ihr uns nicht gefragt, wo's recht notgetan hätt'. Ihr habt rasch – zu rasch gehandelt – und was immer Euch scheinbare Notwendigkeit in den Sinn gegeben, aus unser Wissen hin wärt Ihr nicht zu dem Schritt gelangt. Wir hätten Euch mit aller Gewalt zurückgehalten. Aber alles schreibt sich nur von dem her, von dem sich soviel Schlimmes herschreibt, vom Abensberger. Der hat geschürt statt zu dämpfen, wo nicht verleitet zu dem, was Ihr allein vielleicht nie unternommen hättet.«

»Das mag zum Teil so sein«, erwiderte Albertus. »Der Graf von Abensberg habe aber verschuldet, was immer oder mir mindest von großer Gefahr Einblasung getan, daß ich verwirrt ward, in einem hat er recht, und Ihr stimmt ihm, wie ich eben hörte, bei. Was zu rasch geschieht, taugt nichts. Herzog Christoph ist nun einmal in Haft – und so will ich mich zu rasch hinwieder nicht entschließen, ihn wieder frei zu lassen

Tiefen Ernstes schüttelte der würdige Pfarrherr sein Haupt.

»Ihr habt es unternommen rasch,« sagte er – »doch, hoher Herr – bedenkt, wie Ihr zu verbessern vermöchtet, eh' Euere Tat als Untat in alle Welt posaunt wird – bedenkt, in allen deutschen Landen wird ein Schrei des Unwillens aufhallen –«

»Und des Hohnes noch weit mächtiger,« fiel Albertus ein, »so ich ihn zu leicht wieder frei ließe. Ich weiß sicher so wohl wie Ihr, Doktor, was sie einstürmen werden auf des Kaisers Majestät. Nun denn, ich gedenke mich verteidigen zu können, und allen Fürsten werd' ich's darzustellen wissen, daß die Schuld von mir fällt, anders sie sich in meine Lage setzen und billigen Gemütes sind. Wo nicht und wollen sie mich hassen, mir eins! Besser gefürchtet und gehaßt, als verachtet und verhöhnt. Dies ist mein Grundsatz, und was Gutes ich unstreitbar dem Land erwiesen und erweisen will mit rastloser Aufopferung meiner selbst, das soll mich rechtfertigen für den einen Fehltritt, so es denn einer ist.« Heftig hatte er die letzten Worte gesprochen und stets eifriger fuhr er fort: »Meinetwegen erkennt man es auch erst, wenn ich nimmer bin. Dann wird aber die Zeit kommen, in der man besser begreift, daß einige Herrschaft nicht ohne alles Herbe zu befestigen war – nicht ohne alle strenge Maßnahmen. Ihr wißt es, ich erkenn' Euch an, gleichwie mit Sohnesliebe, Euch würdigen alten Mann, dessen Mund soviel Gutes und Treffliches zu mir gesprochen – gleichwie unseren Doktor Neuhauser. Aber Neuhauser ist strenger, nimmt mehr in Kauf, wann es gilt, einem Ziele zu nahen – und was im Weg ist wegzuräumen, dazu ist er leichter geneigt. Ihr seid eh' zu vorsichtig. Wohl ist Euer Wahlspruch: Eine Hand muß Land Bayern lenken – aber hinwieder ist Euch ein anderes Gesetz zum Hindernis geworden, das ist – Versöhnung und Liebe. Wo da hinaus? Ihr ließet mich von fremder Gewalt überragen, wie der meines Bruders, stets in Hoffnung, es möchte sich alles noch von selbst fügen und zum Frieden geben. Wo dann? Wie? Wie oft ward angebunden, von Euch selbst der Zwist vertragen, und dann wieder der alte Hader und Kampf, eh' das Wort der Versöhnung verhallt war. Das kann nicht so bleiben, und wer nichts wagt, gewinnt nichts!« Etliche Schritte tat er, blieb dann stehen und fuhr fort: »Ihr zittert vor dem, was heute geschehen. Offen gestanden, die Folgen mögen nicht angenehm sein und sie kamen mir lebendig vor Augen – auch die Mutter Anna hat meiner nicht geschont und den Schleier aufgerissen, daß ich in die Zukunft hätte schauen müssen, hätt' ich's auch vorher nicht selbst vermocht. Doch was ist das gegen Unmut und Groll, der mir in anderem folgen wird –? Ich werde felsenfest stehen – was ich beginnen werde, wird durchgeführt und bräche das ganze Land über mich herein. Ja, glaubt mir, vieles, großes wird geschehen, was nicht einen, was die ganze Ritterschaft trifft und keiner Zeit üblich war in deutschen Landen. Vor allem will ich die Zeit wohl ersehen und mir eine Kriegsmacht schaffen, die nicht von der Vasallen Willkür bedingt ist. Nicht sie soll mir die Hände fesseln, ich will sie ihr binden – sie werden knirschen, sich gegen mich auflehnen, was kümmert es mich? Sie sollen den Bücherhelden kennen lernen, wie sie mich nannten. Das alles findet Ihr sicher für gut und heilbringend, aber Ihr scheutet mir sicher die Mittel und die Kämpfe, so Ihr auch das Ziel und die Früchte einer besseren Zukunft möchtet. Das begreif' ich fest und nehm's Euch nicht im Üblen. Ich aber müßte mich verachten, so ich mich abwendig machen ließe, wo ich Gutes erkannt habe, und rasch umschlüge, wo ich als fälliger, sterblicher Mann mich in einem oder dem anderen übereilte. So ist's mit Christoph. Sein Trotz muß gebrochen werden – und je länger ich ihn halte, soviel Fuß Raumes gewinn ich zum Beginn meines Unternehmens, Trotz und Willkür der Vasallen zu brechen.«

Ruhig hatte Doktor Ersinger des Herzogs verhängnisvolle Worte angehört.

»Ich sehe, daß Ihr allen meinen Rat in jetziger Angelegenheit von Euch weiset« – sagte er dann »Ihr seid so tief in das Netz geraten, daß Ihr es für Schmach erkenntet, so Euch eine treue Hand daraus befreite. Willig nehme ich den Vorwurf hin, den Ihr mir in der Aufgeregtheit Eueres Gemütes macht, denn Ihr wollt mir ja auch manch Gutes zuerkennen. O mein hoher Herr, was Ihr von des Reiches Einheit gesprochen, ist sicher meine feste Überzeugung – und wovon Ihr so fest überzeugt seid, das ist minder nicht wahr. Ja, Herr Herzog, ich scheue zu gewaltige Schritte. Ich habe nicht den Mut, das Gluck Zahlloser durch wilde Kämpfe aufs Spiel zu setzen, um ein Ziel zu erreichen, welches vielleicht dennoch nicht erreicht wird, wie schön auch der Gedanke sein mag. Und seid Ihr bereit, dürft Ihr bereit sein, die Hand ans Schwert zu legen, ich kann Euch dennoch zu keiner Tat raten, dabei Ströme Blutes Euer Pfad sind – denn ich bin ein Priester und ein Mann des Friedens.« Er schwieg eine Weile, dann sagte er: »Herr Herzog, ich kann nicht anders, ich muß Euch meine Meinung entdecken, so Ihr mir's auch verweigern möchtet, Rat zu geben. Also hört mich an in Huld und glaubt, es ist aus allertreuestem, bestem Willen gesprochen. Darf ich?«

»Sprecht, ehrwürdiger Herr«, sagte Albertus, sich ihm langsam nähernd und ihm die Hand auf die Schulter legend.

Der Doktor Ersinger aber sprach: »Meine Meinung, gnädigster Herr, ist ganz kurz. Unsicher, ja schier unglaublich ist, ob Ihr je die Ruhe mehr herstellt, da Ihr Herzog Christoph gefangen setztet. Aber sicher ist es daß Ihr ihn mit Unrecht gefangen nahmt. Einmal müßt Ihr ihn dennoch wieder befreien. Wird Euer Unrecht in den Augen der Welt geringer, je länger Ihr es ausübt? Verfolgt Euch nicht bei allem, was Ihr bis weiters unternehmt, gerechtes Mißtrauen? Wird der Hohn, von dem Ihr wohl träumt, geringer sein, so Ihr Eueres Unrechtes von Kaiser und Reich überwiesen werdet und ihn gezwungen freigeben müßt – als wenn Ihr ihn in kürzester Zeit unter versöhnlichem Vorwand selbst und aus freiem Antriebe losgäbt? Glaubt Ihr der Vasallen Demütigung zu beginnen, wenn Ihr sie zu einer Zeit reizet und kräftiget, wo alle Euch schwerer Schuld zeihen, und in der Ihr von dem laut nichts sprechen und verkünden dürft, was Euch in etwas entschuldigen könnte – von des Grafen von Abensberg Einflüsterungen?! Denn Ihr seid ja der Mann stets, Euch nichts einflüstern zu lassen, und wär's das schwerste, das Ihr einer Tat wegen zu tragen hättet. Jetzt läßt sich dies und jenes vorwenden, ohne daß es eine Lüge ist – später fällt alles hinweg, was Euch günstig – alles, was Euch bei Euerem Bruder zu versöhnlicher Ausgleichung jetzt noch dienen mag. Bedenkt, alles Verständnis findet jetzt noch zwischen Euch beiden allein, statt – später ist es anders. – Das ist meine Meinung – oder sind meine Fragen und Bedenken, wie Ihr's nehmt. Nun tut, was Euerer Weisheit genehm ist – ich aber an Euerer Stelle, Herr Herzog, ich ließe ihn wieder frei – sobald als heute oder morgen. Glaubt nicht zu sehr an der Menschen Spott, und wenn ihn etliche über Euch ausgössen – was ist der Menschen Spott gegen Gottes Wohlgefallen? Ich fleh' Euch an, entschließt Euch – und gebt Eueren Bruder frei!«

»Ich kann Euere Bitte nicht erfüllen« – sagte Albertus.

»Ihr wollt nicht« – entgegnete Doktor Ersinger. »So überlass' ich alles Gottes weiterer Fügung und Eingebung. Ich aber wasche meine Hände in Unschuld. Wie immer Ihr es halten mögt, hoher Herr, Ihr werdet mir bezeugen, daß ich vor der Tat nicht die geringste Kenntnis von solchem Vorhaben empfing – und daß ich nach der Tat gegen das Geschehene war.«

»Das werd' ich Euch zu jeder Zeit bezeugschaften,« sprach Albertus – »nicht minder will ich es Euch bezeugen.« Dabei wandte er sich zum Doktor Neuhauser.

Der beugte sich tief und entgegnete: »Ich wußte von nichts. Doch was Ihr auch getan, hoher Herr – Euerem Ansehen darf kein Abbruch geschehen. Der nächste Schritt will überdacht sein.«

Herzog Albertus nickte gnädig zu.

Nach einigen weiteren Worten verließ er des Pfarrherrn von Sankt Peter Stube. Der Sakristan, so im Vorflöz wartete, wurde wieder hineingeschickt, Doktor Neuhauser aber begleitete den Albertus hinab. Letzterer stieg zu Roß, befahl dem Boten, zum Arzneidoktor Rosenbusch hinzureiten, damit sich dieser zu Herrn Ersinger verfüge, denn der Doktor Martein war nicht zu haben. Drauf dankte er huldvoll sämtlichen, welche vorher dagewesen oder sich während seines Besuches am Eingange gesammelt hatten, für ihren ehrfurchtsvollen Gruß und ritt fort, ganz allein.

Als er in den Burghof zurückkam, traf er den Grafen von Abensberg unterm Spitztürmlein. Der stand da vor seinem Roß und sprach mit dem Rohrbeck und dem Bogner. Die hatten auch satteln lassen.

»Reisefertig?« warf Albertus hin.

»Reisefertig«, gab der Abensberger zurück.

»Sollt bald von mir hören.«

»Wie Euch bedünkt.«

»Glück auf den Weg!«

»Adis, Herr Herzog!«

Mit den Worten stieg der Abensberger zu Roß, die anderen zwei folgten seinem Beispiel und selbdritt ritten sie zum Burgtore hinaus. Hinter ihnen ein Dutzend Knechte.

 

Tags darauf ward einer tot zu unseres Herrn Tor hinausgeführt. Der war der Pfeffenhauser. Der Widerspercher wollte bei Tageszeit nicht von dannen ziehen, also ritt er in der Nacht von München weg, die anderen vier machten auch, daß sie bei guter Gelegenheit aus der Stadt kämen.

So waren Herzog Christophs Feinde bald fort.

Des Herzogs Albertus Feinde blieben aber auch nicht lange. Eh' acht Tage verflossen, hatten Herr Petrus Ditlaib und Herr Jobst Knöpflein ungemein viel zu ertragen, soviel Hohn und Spott traf sie. Da wäre der erstere gleichwohl noch geblieben, um die Scharte der bewußten Flucht vom Fischbrunnen durch nunmehrigen Trotz auszuwetzen. Aber Hohn und Spott wuchsen von Stunde zu Stunde, je mehr er protestierte; also wurde es ihm zu viel. Er folgte des Unglücksgenossen Einblasung, sagte dem Rat auf, beide verkauften, was sie nicht mitnehmen konnten, und sagten laut, daß sie kommenden Erchtags früh morgens davonzögen.

Als sich selben Tags viele Menschen sammelten, um den zwo Schneidern das Spottgeleit zu geben, zeigte sich's, daß diesmal die Schneider die Gescheiteren gewesen und die Spötter genarrt seien.

Denn Herr Ditlaib und Knöpflein waren schon abends vorher von hinnen gewandert.

Bei selber Wanderung waren sie aber miteinander nicht weit gekommen und verhielt sich die Angelegenheit so. Sie gerieten in Streit. Einer warf dem anderen Feigheit, Geschwätzigkeit und hinwieder Übermut vor, drüber kamen sie von Worten zur Tat und es entstand ein großes Gefecht auf der Heerstraße. Als jeder seine tüchtige Tracht in Empfang genommen, rannten sie in lautesten Schmähreden zu beiden Seiten fort, bis wo der Weg sich teilte.

Da kamen sie noch einmal nahe aneinander, schrien unglaublich und schwangen die Stöcke in höchster Wut. Es blieb aber mehr bei Drohungen aufs Wiedertreffen, nächste oder künftige Zeit, dann schlug Herr Petrus Ditlaib zornig seinen Weg nach links – Herr Jobst Knöpflein aber den seinen nach rechts ein – und weiters ist von beiden keine Kunde gekommen.

* * *

Von der Sidonia ging über kurz gar schauerliche, düstere Mär' im Volke.

Die lautete so:

Eine finstere, unheimliche Nacht war es.

Da sprengte auf schwarzem Roß eine wild kühne Reiterin daher. Es war die Sidonia von Cleve.

Die kehrte heim, voll heißen Verlangens, den Grafen von Melanin zu finden oder zu erwarten, um ihm zum zweitenmal einen Zaubertrank zu entlocken.

Schon lag nicht zu ferne das Schloß ihres Oheims da in ganz dunklen Umrissen. Doch war's nach unten, als glömme etwas am Fuß des Berges hinter den steinigen Wänden des Burgpfades.

Das Fräulein von Cleve hielt ein und sah prüfenden Auges hinüber.

Sie hatte sich nicht getäuscht. Was es aber sei, das da drüben glimm' und glänze, wußte sie nicht.

Da glaubte sie etwas zu hören.

Um einiges näher ritt sie und hielt wieder an.

Im selbigen Augenblicke sah sie da, wo der Burgpfad sich herumwandte, ihrer viele mit brennenden Fackeln hinaufzieh 'n. In deren Mitte glaubte sie einen schwarz behangenen Wagen zu sehen, vor und hinter demselben etliche in weißen Chorgewändern, dann wieder eine Schar, die aussah wie Mönche. Und als sie lauschte, hörte sie einen Chorgesang – und der ganze Zug zog empor, stets weiter, und in den Burghof.

Fort sprengte sie und langte bald am Schloßberg an.

Hinauf ritt sie und lenkte durch das Tor.

Als sie in den Burghof gelangte, standen in weitem Kreise Ritter – brennende Fackeln in den Händen. Hinter den Rittern standen eine große Zahl Soldknechte und viele Bauern. In der Mitte, auf einem schwarzen Schrägen, sah sie einen Sarg. Der war mit schwarzem Samt verhängt. Davor aber standen etliche in Chorgewändern und links und rechts Mönche in ihren Habiten. An der Spitze aller stand in feierlich priesterlichem Gewande der Abt des nahen Klosters.

Der betete laut, und wann er absetzte, fielen alle anderen ein, bis wieder er fortbetete.

»Wen begrabt ihr – ?« rief Sidonia, gleichwohl selbst ahnend, ja wohl wissend, aber nicht wissen wollend.

Keine Antwort erfolgte und das Gebet währte fort.

Vom Roß schwang sie sich unmutig und heftete, an dasselbe gelehnt, den starren Blick auf die Schar.

Als das Gebet zu Ende war, wandten sich hinwieder die Blicke aller auf sie.

»Wen begrabt ihr, frage ich!« herrschte Sidonia. »Ihr antwortet nicht –? So will ich mir selbst Antwort geben.«

Keck, ihr Roß am Zügel mitführend, schritt sie durch die Bauern und Soldknechte, die sich scheu auseinander drängten, und warf das Bahrtuch vom Sarge.

Da lag der Graf von Cleve.

Finster sah sie auf ihn.

»An was ist der alte Mann gestorben?« fragte sie. Durchdringenden Blickes sah der Abt auf sie.

»Wie könnt Ihr mir Antwort versagen und was soll Euer kühner Blick, Herr Abt?!« zürnte jene. »Und von euch« – sie wandte sich zu den Rittern, Reisigen und Landleuten – »von euch gleichfalls keine Antwort?! Wißt ihr, wen ihr vor euch habt? Euere Herrin und Gebieterin! Mein ist Schloß und Gebiet, und schwer soll es jeder büßen, der mir jetzt den Gehorsam und geziemende Ehrerbietung versagen will!«

»Ihr seid und seid nicht Gebieterin, Fräulein!« antwortete der Abt. »Der so hier tot liegt, ihm habt Ihr das Herz gebrochen. Was gar vieles seit Jahren über Euch gesprochen ward, ist nicht – oder nur das geringste – zu seinen Ohren gedrungen, da er noch hier auf diesem seinem Schlosse lebte. Desto besseren Bericht, Fräulein, hat ihm die Ferne gegeben. Als Schlußstein seines Jammers vernahm er grauenvolle Sage von Euerem Verschwinden aus dieser Burg – was in des Herzogs von Bayern Hofburg sich zugetragen, ward Euch gleichfalls in die Zahl Euerer Verbrechen eingeschrieben – und teuflischer Verbindung und gottverfluchter Zauberei beschuldigt Euch nieder und hoch. Da schrieb der Graf, Euer Oheim, seinen letzten Willen und vernichtete, was er früher beschlossen. Jenem zufolge seid Ihr Herrin nicht früher, als bis Ihr zwei Jahre lang ein gottchristliches Leben bezeigt – voraus aber beschwört, daß Ihr an allem, was Euch aufgebürdet wird, rein und schuldlos seid!«

»Meine Feinde haben diesen Alten zum Wahnsinn gebracht,« fiel das Fräulein von Cleve ein, »und nichts, nicht das geringste gilt eines Wahnsinnigen letzter Wille! Ha, der schnöden, frechen Beschuldigung! Ich weiß von keiner bösen Gewalt, der ich je nachgestrebt hätte, und keine solche steht mir zu Gebot. Nichts will bedeuten mein Verschwinden, nichts trieb mich fort von dieser Burg, denn leidiger Unmut über alles, was mich umgab – und hätte mich vertrieben, was immer sonst, unerträglich lügnerische Rede dieses Bauerngesindes, drohende Gefahr neuer Bewerbungen um meine Hand von übermütigen Rittersleuten, meines Oheims mürrisches Wesen, oder was da – wer will mich zur Rechenschaft zieh'n?«

»Seid gewesen wo immer und seid verschwunden aus welchem Grund Euch beliebt, hochmütiges Fräulein« – sprach mit mächtiger Stimme der Abt – »es handelt sich hier nur um eines. Wart Ihr nicht auf der Hölle Pfaden, so schwört – hier findet Ihr uns alle beisammen – schwört, was von Euch verlangt wird! Da tretet her und legt die Hand auf Eueres Oheims Herz, hierher tretet und legt ab den Eid vor Gott, dem Allwissenden, sowie ich Euch denselben vorspreche: ›So wahr mir Gott helfe, daß meine Seele errettet werde und nicht verdammt und verflucht sei – ich hatte nichts mit Zauberkunst zu schaffen‹«

»So will ich denn schwören!« rief Sidonia von Cleve voll Hohnes.

Keck legte sie die Hand auf des Grafen Herz, erhob die andere und sagte laut: »So wahr mir Gott helfe, daß meine Seele errettet werde und nicht verdammt und verflucht sei – ich hatte – nichts – mit Zauberkunst zu schaffen!«

Wie mutig sie begonnen, die letzten Worte vermochte sie kaum zu lallen. Eiskalt war's ihr ans Herz getreten, ein entsetzenvoller Schauder überfröstelte sie – Totenblässe überzog ihr Antlitz und der stolze Schritt, den sie zurücktun wollte, versagte, so daß sie schwankte und sich an ihr Roß klammern mußte, um nicht darniederzusinken.

So ist dem nicht, welcher Gott mit Recht zum Zeugen seiner Unschuld anruft.

Wie versteinert stand rings die Schar. Eine ganze, lange Zeit – und mit Grauen sagte sich ein jeder, sie habe falsch geschworen.

Langsam schloß der Abt den Sarg und bedeutete, ihn wieder zu bedecken – dann ihn zu erheben. Es geschah, und in die Burgkapelle wurde er getragen.

Darin brannten viele Lichter um den schwarzbehängten Altar. Vor denselben stellten sie den Sarg. Die Ritter, Reisigen und die Bauern knieten nieder und lauschten dem Totengesang.

Von dem Kirchlein seitab loderten viele Fackeln auf. Die waren zueinander geworfen worden bis auf zwölfe, mit denen der Sarg in die Gruft geleitet werden sollte.

Sidonia von Cleve stand noch immer, wie gefesselt, an ihr Roß gelehnt. Endlich riß sie sich empor und los. Eingedenk des gräßlichen Verdachtes, der auf sie fallen müsse, ließ sie ab von ihrem Roß und wollte zu den andern in das Gotteshaus.

Aber es war, als hielte sie etwas zurück – oder als stieße sie etwas hinweg von der Nähe der Pforte des Heiligtums.

So wankte sie einen Schritt zurück und starrte von da hinein zur Totenfeier. Ihr ganzer Sinn ward verwirrt, und in wilden Bildern aus vergangener Zeit tauchte es um sie auf. Wo seitab sie, hier und dorthin, ihre Blicke schweifen ließ, glaubte sie einen offenen Sarg zu sehen oder eine Grube in der Erde und darin einen um den andern, den sie im Forst mit Pfeil und Wurfspeer erschossen – dort wieder wankte eine bleiche Gestalt auf sie zu, gleich einem, den sie verführt oder gelockt und verstoßen – und hier war's wieder wie ein Abgrund, aus dem Flammen prasselten und dämonische Ungetüme ihre feurigen Arme streckten. Entsetzt wandte sie den Blick zum Himmel. Da war's, als ob drohende Geistergestalten zu ihr niederragten – dann wieder, wo sie stand, schien der Boden zu verschwinden, daß sie gleich wie in Lüften hing und sich nirgends anklammern konnte – ganz verlassen, ganz allein, ganz außer allem Verein mit sichtbarer und unsichtbarer Welt – ein Nichts war sie – und doch eine riesenhafte Gestalt, belastet mit unermeßlicher Bürde fluchwürdiger Schuld –!

Von Schrecken gegeißelt, in abgerissenen Worten schauerliche Geständnisse tuend, fuhr sie sich ins schwarze Gelocke und wild zerraufte sie es in Verzweiflung.

In rauher Berührung mit sich selbst, kam sie wieder halb zu sich. Nicht mehr beachtend, was um sie vorgehe, und daß mehr' und mehre längst aus dem Gotteshause getreten seien, lallte sie fiebernd vor sich hin: »Was tun? Fort! Und wohin? Gleichviel! Doch warum fort – wer kann mir mein Recht versagen – hab' ich nicht geschworen? Ja, ich habe falsch geschworen – sollten sie es wissen? Ja, ja – ich muß fort! Wo ist mein Roß –? Dort, dort ist mein Roß, dort ist es – ha, wie's mutig scharrt! Ich will's aber doch noch geißeln und treiben, daß es mich schnell von hinnen trägt an einen Ort, an dem mich niemand mehr findet – ich – ich will in ein Kloster geh'n – das will ich – und meine Kleinode, die will ich auf den Altar legen und opfern – das ist Gott gefällig, dafür wird mir Verzeihung –!«

Eine Fackel riß sie aus dem Brand und eilte hinweg vom Kirchlein.

Halben Weges zur Burgtreppe blieb sie steh'n. Es war ihr, als ob ihre Angst verschwinde. Hochauf atmete sie und wild lächelnd streifte sie ihr Gelocke von der Stirne.

»Es war nur ein wüster Traum« – rief sie, »aber dennoch will ich fort – ich muß fort –!«

Sie eilte weiter, nahm ihr Roß am Zügel – es folgte ihr unheimlich wiehernd – unweit vom Eingange ließ sie es stehen und, hoch die Fackel in der Hand, flog sie die ersten vier Stufen der äußeren Treppe hinauf. Sieben waren es.

Als ihr Fuß die fünfte berührte, konnte sie nicht mehr weiter. Denn urplötzlich vor ihr auf der letzten Stufe sah sie eine Gestalt – es war Graf Reinald von Melanin.

Fahl war sein Antlitz, wie das Antlitz eines Toten – – ein unwandelbar spöttisches Lächeln war darüber ausgegossen und wie versteinert stand er da.

»Ihr seid hier?!« lallte Sidonia. »Warum erschreck' ich vor Euch? Hab' ich mich doch nach Euch gesehnt! Ich wollte Euch anflehen, daß Ihr mir noch die Hälfte Zeit aufs neue gönntet – versteht Ihr wohl, und daß Ihr mir ein zweites Gläslein gebt, damit mir die Tat ganz gelinge, die mir mißlungen!«

»Die Zeit ist vorbei«, kam's ihr entgegen, hohl wie aus dem Grab.

»Das heißt, Ihr wollt Euer Recht geltend machen? rief Sidonia. »Ihr täuscht Euch! Ich will nichts mit Euch gemein haben – und nimmer will ich Euch folgen. Auch habt Ihr kein Recht an mich, denn ich – ich habe mich vom letzten Bösen hinweg und zu Gott gewendet – versteht Ihr wohl, ab von der Hölle und zum Allgütigen wend' ich meine Augen – das ist mein fester Entschluß!!«

»Der hilft Euch nichts. Ihr folgt mir,« erging's wleder an sie, »und hofft nicht, mir zu entkommen. Müßt schon mein feins Lieb sein.«

»Nimmermehr!« rief das Fräulein, »ich hasse, verachte Euch, Herr Graf von Melanin! In heiligen Klostermauern berg' ich mich, da will ich beten und flehen Tag und Nacht, und Ihr sollt nicht wagen, mir dahin zu folgen, wie Ihr Kühner mir überallhin gefolgt! Nein, nein, den heiligen Ort darf Euer Fuß nicht betreten, denn mich bedünkt, mit Euch ist die Hölle – und Ihr seid – verflucht

»Das bin ich – wie Ihr!« höhnte jener mit schauerlicher Stimme.

»Wie Ihr?« Und einen Schrei des Entsetzens stieß Sidiona aus und taumelte von den Stufen.

Langsam folgte ihr der Graf und griff in die Zügel des Rosses, zu dem das Fräulein wankte. Dabei schien es, er wollte sie umfassen.

»Zurück in Gottes Namen!« rief Sidonia. »Nun erkenn' ich aber auch, daß ich Euch in meiner Gewalt. Was greift Ihr so gierig nach dem Roß – also habt Ihr keine?! Ganz wohl! Dies Roß sollt Ihr nicht besitzen – mein ist's – wie Euer Zauberring!«

Die Zügel entriß sie ihm, schwang sich in den Sattel und rasch wandte sie den Schild des Ringes. Mit einemmal verschwand sie vor den Blicken derer, so aufschaudernd von der Kapelle herüberstarrten. Wohl aber sahen sie den Rainald von Melanin steh'n und wohl hörten sie, wie es alsbald zum Burgtor hinaus und den Berg hinab in lautem Hufschlag dröhnte.

Keinen Schritt wagten Ritter und alle anderen zu tun.

Der Abt allein schritt mutig vor und rief, ein Kreuz emporhaltend: »Verflucht vor Gott ist aller Zauber – in des Allmächtigen Namen, heb' dich hinweg, du Sohn der Hölle!«

Da nickte der drüben langsam mit dem Haupte und stieß drauf mit der Ferse an den Boden.

Ein Roß, ganz gleich dem der Sidonia, erhob sich aus feurigem Qualm. Das bestieg er. Als wär's auf ebenem Boden ritt er den Hochwall empor. Dabei erglommen Reiter und Roß in fahl zuckendem Licht. Oben hielt er an und sah hinaus ins Land zu Feld und Wald, wo die Sidonia dahinsprenge. Mit einemmal setzte er ein, und hinab über Mauern, Bäume und Gehügel sauste er.

Schreckenstarr hielten die am Kirchlein noch einen Augenblick an, dann stürzten sie an die Freiung, drüber weg der Blick weitaus ins Tal schweifen konnte.

Da sahen sie jenen dahinreiten, allüber im selben schauerlichen Licht, und hinter ihm war's, als wirbelten blasse Flammen auf. Drüben aber, unfern dem Eingang in den finstern Tannenhorst, hinter welchem als riesenhafter Ball der Mond glührot emporstieg, sahen sie die Sidonia dahinjagen – verschwunden mochte sein des Ringes Kraft – und die glomm desgleichen auf in fahlem Lichtscheine, wie der, so ihr folgte, und ihr schwarzes Roß nicht minder. Das trieb sie, allen erkennbar, zu wütender Eile an, ihrem Verfolger zu entrinnen. Der hatte sie schon erspäht. So setzte sie blitzschnell in den Tannenhorst, drin verschwand sie.

Jener bald desgleichen.

Kurze Zeit waren sie beide im Walde, so brauste der urplötzlich und rauschte herüber, als wär' er ganz nahe und als rüttle ihn der Orkan. In wildem Gelärm hallte es heraus, wie in leuchtendem Schwefeldampfe rann es in gewölbter Bahn gegen Himmel, und mit Geschrei und Peitschengeknall fuhren unzählige Gestalten hoch zu Roß hinan. Die rangen und tobten und verfolgten einander, ließen wieder ab und stürzten insgesamt fürder und fürder und herüber hoch in Lüften gen das Schloß zu – aber voraus, fahlen Antlitzes, in atemlosester Flucht fuhr die Sldonia auf glutschäumendem Rosse dahin – und hinter ihr brauste er durch die Lüfte. –

Das war das wilde Heer.

Das kam heran, näher und näher. In entsetzenvollem Getümmel und Getös schwand es über den Burghof hinweg und fort, weit fort, dann in der Runde herum bis zurück in den brausenden Tannenhorst – dort versank's nacheinander in Nacht.

Auf dem Antlitz lagen die Bauern – die Ritter, die Mönche und die Knechte klammerten sich, den Blick scheu nachsendend, an die Mauer – der Abt allein sah festen Blickes dahin in die Schrecken der Nacht – – – –

Das ist die Sage vom Fräulein Sidonia von Cleve.


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