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XIII.
Der Schulmeister von Sankt Peter.

Und es war wieder einmal Lenz. Späne hatt' es in letzter Zeit genug gegeben, allitzt trat einiges bessere Vernehmen ein und Herzog Christoph war nach München gekommen.

Mittlerweil' er sich da befand, trug sich eine Angelegenheit zu, die ein jeder vernehmen soll, denn sie betrifft den Schulmeister von Sankt Peter. Der war der Herr Hieronymus Hösch und mußte viel Zorn erwinden. Ist aber vorerst wohl zu merken, was sich neun Jahre vorher ereignet hatte – und das war so.

Als man 1460 nach unseres Herrn Geburt schrieb und Herzog Christophs Vater noch lebte, blieben zu München die Leute, so lesen konnten, am Blau-Ententurm nächst der Sendlingerstraße stehen, denn am Turm war ein Zettel angeschlagen und auf demselben stand: »Ich Petrus Isegrün, löblich hiesiger Stadt München ehrsamer Schulmeister zu Unserer Liebfrauen Pfarr, sag' und schreibe wie folgt: Wer da seine Rangen zu demjenigen Hieronymum Hösch in Sachen der Lese- oder edlen Schreibkunst schickt, war, ist und wird zu jeder Zeit betrogen sein. Item selbiger Hieronymus Hösch kann ninderst in einer Weis' seine Pflicht erfüllen, sint er nach neuesten Progressen obbemeldter zwo Künste fürs erste sämtliches Abc allwegen auf ganz falsche Weis' traktiert. Was aber fürs zweite die edle Schreiblehr' anbelangt, so ist selbige aus des bemeldten Hieronymi Höschens Seite besser nit beschaffen, dann als ob man denen Rangen eine Bräumaisch oder ein Dreschflegel in die Hand gebe, statt des Rohrs oder der Feder. Wie dann auch, was des Hieronymi Hösch selbsteigene Skriptura betrifft, weiters jeder nicht anders glaubt, dann als ob und daß die Gäns', Hennen oder Göckelein mit Krall und Klau auf selbigem Papier herumgekratzet hätten.«

Als die Leute das laut herunter lasen, war alles überaus verwundert, denn die zwei Schulmeister waren bisher ganz gute Freunde gewesen.

Aber wie's eben geht in der Welt. Über das Abc war der Streit entstanden und Zorn und Haß mit einemmal da – wer es aber aufs äußerste trieb, war nun augenscheinlich der Petrus Isegrün.

Alsbald lief die Kunde vom Blau-Ententurm-Zettel durch ganz München und dachte niemand anders, als Herr Hieronymus Hösch käm' mit einem alten Klopfdegen gerannt und fordere den Petrus Isegrün auf etliche Gänge. Es kam aber ganz verschieden. Herr Hösch dachte: »Ein scharfer Kopf ist schärfer, als das schärfste Schwert«, griff unverweilt zur Feder, und als die Leute nächsten Morgen wieder zum Blau-Ententurm kamen, war hart neben des Isegrün Zettel ein anderer angeschlagen. Auf selbem stand in wundersam zierlicher Schrift ganz kräftige Widerlegung der schnöden Anklage. Jeder wurde zum Urteil über die schönere Schrift aufgefordert, und am Ende waren etliche ungemein spöttische Reime beigesetzt, drin Herr Hösch seinen Feind mit den Molchen und Lindwürmern verglich, so über die harmlosen Wanderer herfielen und mit ihrem Pesthauche die Welt vergifteten. Kurz, wer dastand, las oder hörte: Jeder sagte, der Herr Hösch habe recht und der Herr Isegrün sei gänzlich widerlegt und auf das Haupt geschlagen.

Als Herr Isegrün erfuhr, wie schlimm seine Angelegenheit stehe, geriet er in große Wut; wo immer er seinen Gegner erblickte, rannte er sogleich über die Straße oder in ein Seitengäßlein, und als er etliche Jahre drauf sein letztes Stündlein kommen sah, ließ er seinen Sohn Hildebrand ans Sterbebett kommen und befahl ihm, zeitlebens des Hieronymi Hösch und all der Seinen Feind zu bleiben. Hinwieder gebot Herr Hösch seiner Pflegetochter Susanne, ihr Lebtag lang dem Hildebrand auszuweichen. Mit dem war sie in Zeiten der Kindheit herangewachsen.

Darüber verstrichen wieder ein paar Jahre. Herr Isegrün schlummerte auf dem Kirchhof Unserer Lieben Frau, Herr Hösch hielt Schule hinter Sankt Peter, ward dabei immer älter – und der Hildebrand und die Susanne wurden desgleichen um was älter – aber schöner halt auch alle Tage.

Das war beim Herrn Hösch just umgekehrt.

So schrieb man eine Zahl nach der anderen, zuletzt 1469.

* * *

Da starb eines Tages zu Blutenburg Herzog Siegmunds Tauben-, Pfau- und Schwanenfütterer.

Der Herzog war aber zu München, als er das erfuhr. Weil er nun in solcher Art nicht gerne Stillstand eintreten ließ, besann er sich rasch, erinnerte sich, daß er seinem verstorbenen Schulmeister Isegrün versprochen habe, für den Hildebrand zu sorgen, ging deshalb in Herzog Christophs Gemach und sagte: »Ich reit' in die Hirschau auf die Beiz, bin aber bald wieder da. Laßt mittlerweil' des Isegrün Sohn, den Hildebrand, kommen und sagt ihm, er sei Füttermeister geworden. Damit lös' ich mein Versprechen. Er soll fromm, treu und fleißig sein und wohl aufschaun, daß mir kein Tier stirbt oder verdirbt, dann mag ich ihn weiters in Gnaden halten und morgen darf er kommen und Dank sagen. Also macht die Sache richtig, ich weiß, daß Ihr gern dabei seid, wann's gilt, Menschen ihr Glück zu verkünden.«

Auf diese Worte ging er wieder zur Türe hinaus, gleich die Treppe hinab in den Burghof, schwang sich auf sein Roß, das bereitstand, etliche Grafen, Falkner und von Küche und Keller etliche mit großen Säcken waren auch schon da, also gab's kein Säumnis und ritten sämtlich durchs Burgtor hinaus, der Herzog Siegmund mit zwo Grafen voraus.

Just war Herzog Christoph daran des Bruders Auftrag zu vollziehen, als sich einer melden ließ. Der war Herr Bartholomäus Schrenk, des inneren Rates wohlweises Mitglied und zur Zeit der lobesamen Stadt München hochgelahrter Vizescholarchus.

»Ihr kommt ja ganz früh, Herr Schrenk,« sagte Christoph, »das mag was Wichtiges setzen.«

»Das setzt freilich was Wichtiges, hoher Herr«, entgegnete Herr Schrenk, sich tief verbeugend und so lang, daß ihn Herzog Christoph schier aufrichten mußte.

»Was ist's denn? Heraus mit der Sprach'! Ich kann das Getu' nicht leiden!«

»Ich weiß, ich weiß« – Herr Bartholomäus Schrenk richtete sich dabei so hoch auf, als es seine Ehrfurcht erlaubte, sah den Herzog Christoph einen Augenblick äußerst verhängnisvoll an und dann sagte er: »Ihr befehlt, also leiste ich pflichtschuldigst Folge. Item, ich will Euch melden, hoher Herr, wie weiters keine Nachsicht eintreten kann, wann Ihr nicht in selbiger Sache Mittel macht –«

»Ihr meint wegen der tausend Goldgulden«, fiel Herzog Christoph lächelnd ein. »Da habt Ihr einen Fehlgang getan. Ich kann nicht zahlen, denn ich hab' nichts. Der Herr Welser in Augsburg ist reich, der kann warten.«

»Wer spricht denn vom Herrn Welser und seinen tausend Goldgulden, hoher Herr?!« rief Herr Schrenk. »Glaubt Ihr, ich hätte so wenig Lebensart, daß ich so mit der Tür ins Haus fiel'? Zudem macht sich Herr Welser ganz große Ehr' daraus, Euch dienen zu können!«

»Das hör' ich gern,« erwiderte Christoph, »demnach tut er mir einen guten Gefallen, so er mir die eintausend nicht abfordert und ein weiteres Tausend anvertraut. Was meint Ihr?«

»Wa – was ich da meine?« stotterte Herr Schrenk. » Da – da mein' ich gar nichts, als – als daß sich Herr Welser wieder eine große Ehr' daraus machen wird –«

»Nun, sie soll ihm zuteil werden. Macht die Angelegenheit richtig, und ich will Euch's wohl danken. Was aber habt Ihr sonst vorzutragen, daß Ihr so früh bei der Hand seid?«

»Ich hab' weiter nichts vorzutragen«, antwortete jener, »als dies: So Ihr, hoher Herr, nicht ins Mittel treten wollt, bin ich gezwungen, Hieronymum Hösch, hiesiger Stadt Schulmeister hinter Sankt Peter, auf das nachdrücklichste ad coram zu nehmen und mit unerbittlicher Absetzung zu bedrohen.«

»Meinen alten Abc- und Schreibmeister wollt Ihr absetzen?« fiel Herzog Christoph ein. »Das ist ja ein treu deutscher Mann, seiner Angelegenheit wohl kundig und in viel sonstigen Dingen wohl erfahren und klug!«

»Wohl, wohl, so kannt' ich ihn von je!« entgegnete Herr Schrenk. »Jedennoch, Herr Herzog, ist es mit selbiger Klugheit vordersamst soweit nicht her, vielmehr es zurzeit unstreitiges Ansehen hat, als ob selbstjenem Hösch sämtlich seine Gedanken durcheinander gekommen seien. Müßt denn wissen, hoher Herr, wie bemeld'ter Hieronymus Hösch seit etlicher Zeit während des Schulhaltens ganz wundersam Sprüng', absonderliche Sätz' und mehr anderes äußerst Befremdliches unternimmt, desgleichen inmitten der Schulzeit überlang zum Fenster hinauslugt, demnach seine Gedanken sozusagen mehr in der freien Luft, denn im pflichtschuldigen Abc vertieft hält. Weiters läßt sich selbiger Hösch herbei, sämtliche Rangenschaft entweder zu früh fortzuschicken oder mit Ruck, Puff, Schlag, Tatzenerteilung oder gar Ausreißung ganzer Büschel Haare auf das gefährlichste zu traktieren.«

»Das ist nicht wahr« – sagte Herzog Christoph.

»Das ist nur zu wahr!« fuhr Herr Schrenk fort. »Nicht allein, daß mir das mehr fast ehrenwerte Hausväter gemeldet, hab' ich von denen Höschischen Übergriffen selbeigene Wahrnehmung. Ich hab' da, wie Ihr wißt, hoher Herr, einen bösen Rangen, des Namens Bartholomäus, hat in Sachen der Tatzen und was weiters zur Züchtigung Brauch ist, gute Erfahrung, da er schon im zweiten Jahre beim Lernen ist. Was aber zuviel ist, ist zuviel. Bemeld'ter Bartholomäus ist seit vier Wochen an die fünfmal mit blutigem Kopfe nach Hause gekommen und hat Euch Finger, hoher Herr, daß er den Löffel nicht mehr halten kann. Ungerechnet seine Ohren, die seind ganz rot vor lauter Reißen. Benebst sagt der Range, daß bemeld'ter Hieronymus Hösch jederzeit gänzlich verdrehte Fragen stelle, wann er vom Fenster auf den Lehrstuhl springe, und sei ihm ninderst und im geringsten nichts mehr recht zu machen.«

»Und was mag da schuld sein?« fragte Herzog Christoph. »Hat ihn etwa wieder ein Gegner beleidigt, wie dazumal?«

»O nein und mit Nichten, Herr Herzog. Es geht ein ganz anderes Gerücht. Item und das lautet so: Sämtliche löbliche Stadt weiß, daß vielgenannter Hösch ein ganz wundersam trefflich, schönes und anmutiges Pflegetöchterlein hat. Für diese Jungfrau soll Herr Hieronymus Hösch entbrannt sein, so daß er vor Liebesglut und Eifersucht aus dem Concept gekommen ist, schon er an die sechzig Jahre zählt.«

»Das wär' wohl eine große Torheit,« sagte Herzog Christoph, »aber Alter schützt vor Torheit nicht. So will ich der Sache auf die Spur gehn. Noch heute morgen statt' ich dem Hösch einen Besuch ab. Alle weiteren Schritte laßt vordersamst. Und damit gehabt Euch wohl, Herr Schrenk.«

»Ich werde sicher nichts tun,« erwiderte Herr Schrenk, sich ehrfurchtsvoll beugend, »und sollten auch meinem vielbemeldten Rangen durante tempore um etliche Püff oder Tatzen widerrechtlich zuviel aufgeseilt werden.« Darauf tat er etliche Schritte rückwärts, griff hinter sich an die Türklinke und trat aus dem Gemache, indem er noch von außen eine Reverenz erfolgen ließ, während er die Türe wieder schloß.

* * *

Als Herr Bartholomäus Schrenk seine Anklage stellte und begründete, war er nicht ganz im Unrecht. Denn mit dem Verstande des Schulmeisters von Sankt Peter sah's nicht zum besten aus.

Die Angelegenheit war aber so beschaffen.

Jeder weiß, daß die Susanne den Hildebrand hassen sollte. Das war aber leichter befohlen, als getan – denn sie hatten sich nie vergessen und konnten es nicht. Bald glühten ihre Herzen in reinster, heißester Jugendliebe auf. Und 's war kein Wunder. Denn die Susanne war überaus hold geworden und der Hildebrand so handsam, so daß sie ihn allerorten »Schön-Hlldebrand« nannten, und viele Herzen schlugen für ihn, wie für des Schulmeisters Pflegetöchterlein. Der Hildebrand aber dachte nur an die Susanne, und sie dachte nur an ihn.

So heiß sich nun die zwei liebten, 's wußt' es im Grund doch keines vom anderen und keines wagte ein Geständnis abzulegen. Ließen es so beim Zufall bewenden, trafen sich an dem oder jenem Ort und grüßten sich dann verstohlen, war's nun im Burghof der Herzoge, auf der Hochbreite im Tal, beim Schulhaus hinter Sankt Peter oder im Zwinger am Anger, daselbst Herr Hösch sein Gärtlein hatte.

Mittlerweil' nun eines am anderen stets mehr Gutes und Schönes entdeckte, ging Herrn Hieronymo Hösch auch ein Licht auf. Er nahm wahr, wie hold Susanne geworden, und eh' er sich versah, ward alle pflegeväterliche Gunst in heiße Liebe verwandelt. Wie oft er sich aber vornahm, der Susanne sein Herz zu erschließen und ihr Glück zu verkünden, Schulmeisterin zu Sankt Peter zu werden, stets unterließ er es wieder.

So waren da drei Geheimnisse. Der Hildebrand wagte nichts bei der Susanne, Herr Hieronymus Hösch verbarg auch seine Sehnsucht und die holde Susanne träumte gar oft von Hildebrand und durfte dem Pflegvater ihre Träume nicht erzählen, wie engelschuldlos sie auch waren.

So entschwanden Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Und nun war's, wie gesagt, wieder Lenz geworden.

Das ist eine wundersame, recht süß verräterische Zeit. Da keimt's allüberall; was ringen und streben kann, das will heraus zum Licht in Blüh', Blatt und Blumenzier, und mancher alte Stamm gewinnt neues Laub, so grün und frisch, wie an Büschen und jungem Anflug. Dazu lispelt's hie und da durch Hain und Wiesenhag in lauer Lüfte Kosen, die Wasser rinnen auch flüsternd dahin, als wollten sie der Wälder und Hügel tiefstes Geheimnis ausplaudern – und was da lebt, webt, fleugt und flattert und summen, zirpen oder singen kann, es ruft laut auf, so laut es kann, seine Lust und sein allertiefstes Empfinden.

So ist's im Herzen der Menschen auch. Was darin tief begraben liegt in geheimsten Wünschen, es pocht und mahnt und treibt herfür. Gar mutig wird jedwedem zu Sinn, als könnt' ihm nichts mißlingen, und da ist kein Unterschied, so's die Liebe betrifft. Die bricht herfür in wenig oder viel Worten wie jugendfrisches Laub gleich an Büschen und altem Gerüster.

Wie's nun allen ergeht, so erging's Herrn Hösch und dem Hildebrand gleichfalls.

Beschloß demnach Herr Hösch, sein Gärtlein im Zwinger prächtig aufzurichten, die Susanne hinauszuführen und beim Sonnenuntergang unter Blüten und Blumen seine Liebe zu gestehen. Schön-Hildebrand aber beschloß, sie anzusprechen, und wär's wo immer in der Stadt.

Das Gärtlein im Zwinger begann schon aufs herrlichste zu blühen, und Herr Hösch hatte den Tag festgesetzt. Da fiel ihm plötzlich ein Gifttropfen in den Becher stiller Wonne. Er hatte nämlich gehört, daß Schön-Hildebrand während der Schulzeit öfters um die Peterskirche herum- und an Susannens Fenster vorbeigehe und hinaufschaue. Ja einmal sollte er gar stehengeblieben sein, als wollte er etwas sagen.

Von derselben Stunde an hatte er seine Ruhe verloren. Zu Hause, nächst der Schule, grollt' und murmelte er viel daher von Undank und zu großer Nachgiebigkeit. So er aber Schul' hielt und hörte vom Rindermarkt oder vom Rathaus Schritte hallen, machte er sogleich einen Satz vom Lehrstuhl herab, eilte an das Fenster, riß es auf und sah hinaus. War's nun wer immer, kehrte er bald wieder auf den Lehrstuhl zurück. War's aber der Schön-Hildebrand, so in schönster Jugendblüte einherging – das Gelocke wie wallendes blasses Gold, die Augen tiefblau und sinnig und sein Antlitz zart wie weihe Blüte und Rosen – da kam Herr Hösch so schnell nicht vom Fenster. Vielmehr postierte er sich fest hin, richtete sich hoch auf, setzte beide Daumen auf das Gesimse und machte ein furchtbar wildes Gesicht, als wollte er sagen: »Hab' ich dich wieder erwischt, du verwünschter, kecker Geselle, du!«

So ihn dann Schön-Hildebrand ehrerbietig grüßte und traurig vorüberging, grüßte ihn Herr Hösch nie entgegen, vielmehr hätte er ihm gern den Hals umgedreht oder zum mindesten das Tintenfaß nachgeworfen. Darauf wartete er stets eine gute Zeit, ob Schön-Hildebrand nicht zum zweitenmal käme, bis er sich wieder schuleinwärts wandte und seinen Grimm an den Diszipeln ausließ. Da war ihm dann nichts mehr recht, brachte aber selbst alle Buchstaben durcheinander, widersprach sich schier alle Augenblicke und geriet über sich und alle Welt derart in Wut, daß ihm der Tatzenstock nicht mehr aus der Hand kam, und die Rangen riß er an den Haaren, als gölte es Sturm zu läuten. Trieb ihn aber der Argwohn recht heftig, macht' er der Schule unter der Zeit ein Ende und rannte zur Susanne hinüber.

Draus ist nun deutlich zu ersehen, daß Herr Schrenk dem Herzog Christoph keine Lüge berichtete.

* * *

So war die Angelegenheit beschaffen, als Schön-Hildebrand zum Taubenfütterer ernannt wurde.

Davon ahnte nun der nicht das mindeste, gleichwohl empfand er just an diesem Tag übergroßen Mut und meinte in seiner Sehnsucht, er müsse die Susanne treffen. Also nahm er sein Gewand um, streifte mehrmals leise um Herrn Höschs Losament und als er das drittemal vorübergehen wollte, trat richtig die Susanne aus der Haustüre.

Da konnte er sich nimmer halten, trat auf sie zu und sagte kaum hörbar: »Guten Morgen, vielliebste Susanne!«

Sie aber blieb wie angewurzelt stehen und lispelte, einen furchtbaren Blick links zur Schule entsendend, mit bewegter Stimme: »Guten Morgen, Schön-Hildebrand!«

Darauf sahen sie sich auf das innigste an und erschraken plötzlich so sehr, daß sie nach zwo Seiten die Flucht ergreifen wollten.

Schön-Hildebrand aber faßte wieder Mut, hielt ein und sagte: »Ach Susanne, ich möcht' Euch längst was entdecken. Das ist so fromm und recht, daß es Gott selber hören darf – und müßt' ich dann wieder jahrelang schweigen und Euch nicht nahen, wenn ich nur das eine wüßt'!«

Da sagte die Susanne: »Wenn das so fromm und recht ist, daß es Gott hören darf, laßt uns an einen heiligen Ort gehen. Mir ist auch was auf dem Herzen und hält' ich's gesagt, wollt' ich Euch nimmer sehen und wär's auf mehr' Jahre.« Einen Augenblick legte sie den Finger an ihren korallenroten Mund, als ob treues Schweigen verlangend. Dann sah sie rasch auf die Peterskirche. Bald war sie durch die nächste Pforte verschwunden und schritt langsam auf den Ölberg unter der Orgel zu – Schön-Hildebrand aber folgte.

Wenige Menschen waren in der Kirche und sämtlich in tiefstes Gebet versunken – ferne allen irdischen Gedanken.

Drüber wurde den zweien fast bange – aber es war hinwieder doch, als zög' es sie gnadenvoll zum Ölberg. Folgten demnach des Herzens Zug, knieten unfern voneinander im heiligen Dunkel darnieder, falteten die Hände inbrünstig und wagte keines zuerst zu sprechen.

Endlich lispelte Schön-Hildebrand, sein klares Auge zum Himmel richtend: »O, so ist dennoch die Zeit kommen, daß ich meine heiße Lieb' bekennen darf! Du weißt's und hast all meine Unruh' gesehen, wie ich Tag und Nacht an sie denk' und ihr nachgangen bin, und wann ich sie sah, war mir, als hätt' ich einen Engel gesehen. Nun kniet sie da an meiner Seit', und wann sie mir ergeben möcht' sein, da wär' ich ja der Glücklichste auf deiner weiten Gotteserde!«

Drauf schwieg er.

Die Susanne aber blickte auch zum Himmel und lispelte: »Und so ist denn mir auch die Zeit kommen, daß ich meine reine Lieb' entdecken mag, o du barmherziger Gott – und eh' ich mich verseh', wird mir so frohsüße Botschaft! Hab' Dank, daß du das Herz dessen zu mir gelenkt, so neben mir kniet, ich will ihm treu und ergeben sein all die Zeit meines Lebens, o du allgütiger Lenker und Erbarmer!«

Noch ein paar Augenblicke knieten beide in glückseliger Verwirrung dort – dann sahen sie sich an – und wie zum unverbrüchlichen Bunde vor dem Allgegenwärtigen fügte sich leise Hand in Hand. –

Mittlerweile die zwei sich im Himmel wähnten, war Herrn Hieronymo Hösch ganz anders zumute.

Er hatte den Hildebrand das zweitemal vorüberschleichen sehen, war darüber in höchste Aufregung geraten, in kurzem tobte er greulich drauf los, und wie er an dem Tage Sätz' und Sprünge machte, so war es noch nie vorgekommen. Nun er mit einemmal wieder hinaussah, war ihm, als träfe ihn der Schlag. Denn der Ratsbote stand just unten still und sagte: »Guten Morgen, Herr Hösch, wißt Ihr, daß die Susanne und der Schön-Hildebrand in der Peterskirche sind?«

»Was?!« rief Herr Hösch und urplötzlich war er gänzlich verwirrt. Er stürzte, den Tatzenstab in der Hand, vom Fenster weg und tobte: »Hinaus, hinaus, ihr verwünschte Rangen!« Die drängten sich alsbald durch die Türe, Herr Hösch sich mitten hindurch, hinab und hinüber in sein Losament, um nach der Susanne zu sehen.

Da war das Feuer auf dem Herd erloschen, die Rüben lagen noch gar auf der Anricht – und von der Susanne nirgends eine Spur. Kein Zweifel – sie war in der Peterskirche!

Unverzüglich stürmte Herr Hösch die Treppe hinunter, eilte in die Peterskirche, und beim ersten Blick gegen die Orgel sah er, wie Susanne und Schön-Hildebrand eben voneinanderschieden.

Bis er hinkam, war der letzte drüben rechts hinaus, die Susanne aber ging Herrn Hösch gerade in die Hände. Wie vernichtet stand sie still, da sie ihn erblickte, dann folgte sie ihm auf einen Wink, vor Schrecken ganz bleich, zur Kirche hinaus und in das Losament hinüber. Bebend setzte sie sich ans Fenster; er befahl ihr aber, sich zu entfernen, worauf sie sich im Hintergrunde niederließ. Mittlerweil' ging er mehrmals heftig auf und nieder und schleuderte ihr furchtbare Blicke zu, bis er auf sie hintrat und rief: »Du undankbares Wesen, hinter meinem Rücken und gar in Gottes Haus wagst du mit dem Sohne meines Erzfeindes zu kosen? Wär's ein Wunder, so ich den Verstand verlör'? Wir reden schon noch miteinander! Jetzt bleibst du da, sag' ich – und zu essen haben wir auch nichts heut', das tut aber nichts, denn was kümmerst du dich um deinen liebevollen Pflegevater! Dein Glück hast du verscherzt, verstehst du mich, dein ganzes Glück und – ich wollte dir schon mehr sagen, wenn ich nicht in die Schul' zurück müßt'!«

Damit eilte er fort, hinab und links ab in das Schulhaus. Denn er hatte gänzlich vergessen, daß er die Schüler davongejagt habe.

Als er eintrat, fand er die ganze Stube leer. Inmitten der Bänke aber stand Herr Vizescholarchus Schrenk, welcher sich ganz langsam um und um schaute.

Nun fiel Herrn Hösch erst wieder ein, was er getan. Er wollte eine Entschuldigung stammeln, aber Herr Schrenk bot ihm ab, warf ihm ein ungeheuer finsteres Gesicht zu und ging hart an ihm ganz langsam zur Türe hinaus.

Einen Augenblick stand Herr Hösch wie versteinert, dann fuhr er auf und rief: »Meinetwegen, und wenn sie mich einsperren und absetzen, mir ist alles recht, ich will nichts als Rache an dem Teufelsjungen mit seiner schönen Larv'!«

Er machte sich rasch hinaus, den Schön-Hildebrand aufzusuchen. Als er hinausstürmte, sah er plötzlich den Herzog Christoph stehen, so mit Herrn Schrenk sprach.

Voll Schrecken riß Herr Hösch den Schlapphut herab und sagte ganz bewegt: »Euer untertänigster Diener, Herr Herzog!«

Herzog Christoph grüßte ihn gelassen, ging etliche Schritte auf ihn zu und sagte: »Was soll das alles bedeuten, Meister Hösch? Die halbe Stadt sagt sich, Ihr hättet die Rangen davongejagt – und Herr Schrenk bestätigt es mir. Kommt doch ein wenig und laßt ein Wort mit Euch reden.«

Darauf trat er in das Haus und schritt nebst Herrn Schrenk die Treppe hinauf. Herr Hösch aber folgte zitternd.

Das Schulhaus von Sankt Peter im alten München.

Als sie in die Stube traten, lehnte die Susanne noch an der hintern Wand, erhob sich dann sogleich und wollte fort.

Herzog Christoph hieß sie freundlich verweilen. Alsdann wandte er sich zu Herrn Hösch und sagte: »Lieber Hösch, ich bin Euch viel Dank schuldig, weil Ihr mir ein treuer Lehrmeister, auch stets, wie jeder bezeugen wird, ein ehrenhafter und kluger Mann wart, und ich gesteh's Euch gerne ein, Ihr habt mir viel Gutes eingepflanzt. Deshalb komm' ich nun zu Euch, um manchem Unglück vorzubeugen. Ihr habt mir manch harte, aber heilsame Wahrheit gesagt. So will ich Euch dasselbe antun. Wißt Ihr, was mehr Leute Euch nachsagen, was aber ich nicht wohl glauben kann?«

»So, mir sagen die Leute was nach? Sprecht nur – allergnädigster – Herr Herzog –!« lallte Herr Hösch.

»Jawohl,« sagte Christoph, »die Leute sagen, ihr wärt in Gefahr, den Verstand zu verlieren, denn Ihr studiertet zu viel für Euer Alter. Das sagen die Besseren, und denen will ich glauben. Die anderen aber sagen, Ihr wärt in der Liebe Banden. Und das kann ich nun und nimmer glauben. Was sagt Ihr dazu, schöne Jungfrau?«

Einen scharfen, doch wohlwollenden Blick spendete er der Susanne.

Ganz bestürzt sah sie auf, und es war, als durchzuckte sie der Gedanke an etwas, das ihr bisher ferne lag. Dabei schaute sie rasch auf Herrn Hösch und lächelte ungläubig.

»Warum nicht gar!« sprach sie. »Das ist gewiß eine böse Nachred', hoher Herr! Ist er ja schon so alt und ganz ehrwürdig grau aufm Kopf!«

»Freilich ganz ehrwürdig,« fuhr Herzog Christoph fort, »und weise sonder Zweifel. Aber wer kann da urteilen? Vielleicht ist doch was dran, doch anders gemeint. Alter Freund, Ihr eilt stets ans Schulfenster. Euer Pflegetöchterlein ist wohlgestaltet – und mancher Geselle, der selbst nichts hat und ist, mag zu ihr hinaufschauen. Grämt Euch vielleicht das? So wird's wohl sein, und drob zürnte ich vielleicht selber. Doch, so der Rechte käm' und könnte Euere Susanne versorgen, da hättet Ihr wohl nichts entgegen?«

Da blieb Herrn Hösch nichts übrig, als einen Entschluß zu fassen, so unaussprechlich schwer es ihm auch wurde. Er nahm sich also zusammen und sagte, vor Zorn und Verwirrung oft absetzend: »Allergnädigster Herr Herzog – so Ihr mir gebietet, muß ich wohl reden – und bin der besten Meinung, daß Ihr mir recht gebt und all mein stürmisches Wesen in Schutz nehmt. Wißt also, dieser meiner Pflegetochter stellt ein Geselle nach, der – der nichts ist und nichts sein wird – und – und der ist nichts Geringeres, denn meines einzigen und Todfeindes Sohn!«

»Des Isegrün Sohn?« fragte Herzog Christoph überrascht.

»Ja, hoher Herr«, fuhr Herr Hösch stets heftiger fort. »Der Sohn des Isegrün, der mir meine ganze Ehre abschneiden wollte, der noch auf dem Todbette seinen Sohn gegen mich hetzte, da ich ihm doch vielleicht die Hand zur Versöhnung geboten hätte! Dieser nun, des Isegrün Sohn, den die Leute seines Gesichtes wegen den Schön-Hildebrand nennen, wagte es, um mein Haus zu streichen, mittlerweil' ich Schul' hielt. Das hat mich verwirrt gemacht. Dieser selbige Schön-Hildebrand hat aber noch mehr getan. Heute traf ich ihn und die Susanne in Sankt-Peters-Kirche, da schieden sie eben beim Ölberg unter der Orgel. Weiß der Himmel, was grauenvolle Torheit er ihr in die Sinne streute, daß sich die Herren Barth unter ihnen in der Gruft hätten im Sarg umwenden mögen. Also hab' ich sie beide überrascht – in der gerechten Begier nach dem Beweis war ich davongerannt. Die Rangen, glaub' ich, hab ich davongejagt – aber ich war einmal meiner Sinne nimmer Meister, denn der Frevel ist ungeheuer, und wer weiß, wie lange sie mich schon betrogen!«

»Was sagt Ihr dazu, Jungfrau?« sprach Herzog Christoph.

Susanne hatte der harten Anklage gelauscht, lächelte nicht mehr und würdiger Ernst lag über ihren schönen Zügen ausgegossen. Nun legte sie die rechte Hand auf das Herz und sagte mild feierlich:

»Hoher Herr, Gott im Himmel ist mein Zeuge, daß ich jetzt die Wahrheit sage! Mir ist kein Frevel zu Sinn gekommen – und nimmer hab' ich einen Menschen getäuscht. Es war das erstemal, daß wir uns angesprochen seit unseren Kindertagen. War's doch jedem von uns beiden bekannt, was uns im Wege stünd'! Seht, hoher Herr, wir trugen lang unsere Lieb' still verborgen im Herzen herum mit viel Sorg und Kummer und hat's kein's recht vom andern gewußt. Nun haben wir uns heut' an der Haustüre getroffen. Da hat er mich angered't – und da sind wir halt in die Peterskirche gegangen und haben uns in heiliger Scheu vor Gott bekannt und gestanden, was wir uns nicht gestehen sollten, weil der Herr Hösch den Hildebrand nicht mag. Und da soll ich ihn auch nicht mögen. Aber seht, gnädigster Herr Herzog, ich kann das nicht, und hätt' ich ihn heut' nicht getroffen, vergessen hätt' ich ihn doch nicht!«

»Und was habt Ihr denn in der Kirche ausgemacht –?« fragte Christoph.

»O Ihr dürft es wohl wissen!« fiel Susanne ein. »Seht, wir haben ausgemacht, Herr Herzog, eins soll dem andern bis in den Tod treu bleiben! Daß wir zueinander gehörten, das wußten wir nun, und wenn's noch so lang anwähr', haben wir ausgemacht, wollten wir uns doch nie und nirgends aufsuchen, grad' wie bisher. Und so sollte keins die Geduld verlieren, bis halt Gott doch einmal Mittel machen wollt'!«

»Das heißt, bis ich tot bin?« warf Herr Hösch sehr grimmig ein.

»Nein, Herr Hösch,« sagte Susanne feierlich, »das heißt's nicht! Geb' Euch Gott langes Leben und Gesundheit, und was ich Euch an den Augen anseh', ich will es mit Freuden tun, wenn Ihr mich zehnmal überlebtet! Wir dachten ganz anders. Und wollt Ihr's wissen, was – so dürft Ihr's gern. Wir dachten, käm' Zeit, käm' Rat und Ihr würdet Euern Zorn etwan doch noch aufgeben. Denn der Hildebrand ist ja an nichts schuld, was Euch sein Vater getan hat. Seid ja auch sonst so gut gen alle Menschen – warum denn grad' gegen den nicht, der Euch so viel hoch verehrt.«

Herzog Christoph verschränkte langsam die Arme.

»Nun weiß ich wohl das,« sprach er, »aber habt Ihr nicht gebetet, daß Hildebrand bald was werde?«

»Nein, hoher Herr,« entgegnete Susanna, »wir legten alles in Gottes Hand. Uns lag an nichts, denn zu wissen, ob eins dem andern ganz ergeben sei. Und wenn der Hildebrand zu gar nichts käm', die Lieb' blieb' doch die gleiche.«

»Zu was möcht' er denn kommen?« fragte Herzog Christoph.

»Ja, ich – ich glaub' halt – Taubenfütterer möcht' er werden oder so was« – lispelte Susanne.

»So, Taubenfütterer?« gab Christoph zurück. »Und mit den Pfauen und Schwänen möcht' er's haben? Das glaub' ich wohl, Jungfrau – aber das wird er nie und nimmer.«

»Glaub's ja gern!« seufzte Susanne. »Und sonst auch nichts.«

»Und sonst nichts! Versteht mich wohl, Jungfrau!« Gar mild lächelte Herzog Christoph.

»O allergnädigster Herzog, wenn ich das dürft' glauben!« lallte Susanne hochatmend.

Herzog Christoph aber nickte gnädig zu und sagte: »Ihr dürft's wohl glauben und ganz wohl habt Ihr nun verstanden. Er wird's nicht und anders wird er nichts – er ist's schon.«

»O heiliger Gott im Himmel, Taubenfütterer ist der Hildebrand worden?« Die Hände verschlingend, wie flehend, sie nicht zu täuschen, freudeleuchtenden Blickes, stand Susanne. »Ist's aber auch wahr, hoher Herr?« rief sie mit holdestem Zweifel.

»Ei sicher! Tauben-, Pfauen- und Schwanenfütterer beim Herzog Siegmund ist er geworden.«

»O mein Gott, o mein Gott!« lallte Susanne. »Tauben-, Pfauen- und Schwanenfütterer ist er worden!« Im Übermaß ihrer Freude tat sie etliche Schritte, wandte sich dann und sah Herrn Hösch flehend an.

»Nun, Herr Hösch,« sagte Herzog Christoph, »Ihr scheint mir fast erstaunt. Macht's, wie es mein Herr Bruder machte. Er grollte seinem alten Meister Isegrim sehr, daß er Euch beleidigt hatte. Aber dessen Sohn ließ er es nicht büßen und hielt sein Wort. Laßt Ihr's nun den Hildebrand auch nicht büßen, was sein Vater an Euch verbrochen. Damit zerstreut Ihr auch all das böse Gerücht, und jeder wird sagen: Der Hösch tat ganz recht – es war nur gerechte Aufsicht über die Susanne. Der Hildebrand hatte und war nichts. Seht hinab, Herr Hösch, da stehen viel Leute versammelt, jeder Augenblick ist Euch Gewinn. Und dort drüben seh' ich den Schön-Hildebrand auch – also was ist's?«

»So, steht er da drüben, der Schön-Hildebrand,« stammelte. Herr Hösch, »der Herr Taubenfütterer, der Geier, der – – verzeiht – richtig, alles ist richtig, allergnädigster Herr Herzog, doch nur, um dies höllische Gerücht zu zerstören, als läg' ich etwan selbst in der Liebe Banden! Das fehlte mir gerade noch! Blitz, fünfhundert Schulranzen, da möcht' ich schon mit zehntausend Tatzenstöcken dareinschlagen, mir das nachsagen lassen – sogleich hol' ich den verwünschten – will sagen den glückseligen Hildebrand herauf!«

Hinaus eilte er und hinab und mitten durch die Leute auf Schön-Hildebrand zu. Weil er aber keineswegs ein freundliches Gesicht machte, glaubte Schön-Hildebrand, es handle sich um ganz was anderes, weshalb er die Flucht ergriff.

»Bleibt, bleibt, ich befehl' es Euch! rief Herr Hösch. Bald hatte er ihn eingeholt, zog ihn durch die Menge und sagte, so laut er konnte: »Was habt Ihr mir denn nicht gesagt, daß Ihr ein so treffliches Amt in Aussicht hattet? Ja, da hättet Ihr mir viel Zorn und Wut erspart. Nun steht die Sache freilich in vollen Ehren und hab' keineswegs mehr was einzuwenden, keineswegs, sag' ich Euch! Dabei drückte er ihn vor Zorn so heftig am Arm, daß der Hildebrand hätte schreien mögen. Der wußte auch sonst nicht, was das alles bedeute, und glaubte, Herr Hösch habe den Verstand ganz verloren, oder es sei eine teuflische List, ihn ins Haus zu locken. Deshalb wollte er noch an der Türe entwischen. Herr Hösch aber rief: » Halt!« ergriff ihn mit unwiderstehlicher Macht am Ärmel – und da half nichts, Schön-Hildebrand mußte ihm hinauf folgen.

Da empfing er seines ungeahnten Glückes Bestätigung und, was er nie erwartet hätte, Herr Hösch umarmte ihn, und zwar mit solcher Gewalt, daß er schier den Odem verlor. –

Bald schied Herzog Christoph, an seiner Seite Herr Vizescholarchus Schrenk, hinter ihnen ging Herr Hösch.

An der Treppe sagte Herzog Christoph, sich wendend: »Nun wird's den Rangen in der Schul' hoffentlich besser ergehn, lieber alter Meister. Ich geb' Euch's für gewiß, die ganze Stadt spricht lange Zeit davon, daß Ihr zu hart seid. Seht demnach vor, und damit Gott befohlen!«

Herr Schrenk aber sagte: »Nun habt Ihr's gehört, Herr Hösch! Mit bemeldter Tyrannei ist es um so wahrhaftiger beschaffen, als mein eigenes Söhnlein Bartholomäus in der Sache Zeugschaft leistet. Womit ich keineswegs gemeint bin zu sagen, den bösen Rangen im überhaupts strenge Disziplin zu versagen. Jedennoch erteile ich Euch den Rat, in aller Art Maß zu halten und insonderheit schwächere Naturen und fein fürnehm und besseren Stand in Berücksichtigung zu bringen. Dixi!«

Hierauf folgte er dem Herzog Christoph hinab.

Also waren die Susanne und Schön-Hildebrand an ihr Ziel gekommen.

Der letzte benahm sich auch so trefflich, daß Herr Hösch nicht mehr anders konnte, denn ihm gut sein, und wenn er die Susanne einem gönnte, so war es nun gerade der, dem er sie vorher am wenigsten gegönnt hatte. Weil nun doch nichts mehr zu ändern war, drang er selbst auf baldigste Hochzeit. Dagegen hatten die zwei sicher nichts einzuwenden. Er selbst hielt bis dahin Schule und es schien, als habe er sich gänzlich beruhigt.

Die Glut war aber nur unter der Asche verborgen.

Je näher der Hochzeitstag kam, desto heftiger loderte sein verdeckter Groll wieder auf. Am Vorabend meinte er, es risse ihn gewaltig im Arm, den Tatzenstock wütig zu schwingen, und für sein Leben gern hätte er gedonnert: »Hinaus, hinaus mit euch, ihr verwünschten Rangen!« Zum Glück vermochte er sich noch zu bändigen, bis die Schule zu Ende war. Dann ertrug er's aber nicht mehr länger.

Er mußte seine Wut an etwas auslassen.

Die Rangen demnach aus der Schule – er links den steilen Weg hinab und rechts zum Angerzwinger hinüber in sein Gärtlein. Dort nahm er einen Spaten zur Hand, schlug alle Blumen und Blüten ab, grub, hackte, riß und wühlte alles grauenvoll durcheinander, so daß das Gärtlein zu einer Wüste ward, und da ihn die Nachbarn fragten, warum er so tobe, rief er: »Ich wollte, ich dürft's gewissen Leuten auch so machen! Erst heute hab' ich wieder was gehört! Ha, das ist ein Volk in dieser Stadt München! Man mag leben fromm wie ein Lamm und der friedseligste Mensch sein, sie wissen einem doch was nachzusagen!«


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