Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Seinerzeit fiel es den Herzogen Johannes und Siegmund ein, ihre drei jüngeren Brüder ad studium nach Welschland zu schicken. Ritten demnach der Albertus, der Christoph und der Wolfgang aus, gelangten nach Rom, dort hielten sie sich eine Zeitlang, dann ritten sie wieder wo anders hin, zuletzt nach Pavia. Das liegt auch in welschen Landen.
Dabei dachten die Brüder zu München, die drei jungen Herren sollten tapfer studieren, daß sie recht gelehrt würden und sich der eine oder andere zu einem Bischof auswachse, wo nicht gar zu einem Kardinal.
Nun war das aber so. Der Albertus studierte über alle Maßen, daß er in kürzester Zeit überaus hervorragte und eines Tages ward er gar zum Baccalaureus philosophiae ernannt. Der Wolfgang zeigte aber nicht gar viel Eifer und der Christoph schier noch weniger. Denn im Lateinischen war er fast gut zu Hause, sonst aber war's ihm mehr ums Ringen, Springen und Fechten zu tun, drin er schon in jüngsten Jahren soviel Wunderbares bewiesen hatte. In fremden Landen gab's nun der Gelegenheit viel, kam demnach manche verwegene Tat zum Vorschein, und wenn ihm die Welschen auch nicht gar grün waren, weil er sie in allen Dingen besiegte und stets mehr vermochte als ihrer zehn oder zwanzig – ihre Bewunderung konnten sie ihm doch nicht versagen. Und weil mehrteils ein hoher Preis gesetzt war, gewann Herzog Christoph das wenige nicht. Er behielt aber nichts. Hatte er auch den größten Säckel voll Geld, etliche Stunden drauf war alles wieder fort – denn Kummer und Sorgen gab's dazumal, wie heut, und, wie gesagt, wo er davon ahnte und wußte, da kehrte er alle Taschen um.
* * *
Um dieselbe Zeit lebte zu Pavia ein gar hochgelehrter Herr. Der war ein berühmter Doktor, hieß Bartholomäus Apfelbaum oder, wie er sich schrieb, Pommonius, hatte ein mächtig dickes Buch in geistlicher Angelegenheit verfaßt – und er selbst war auch nicht von Mägernis, so daß er recht stattlich erschien und große Ehrfurcht einflößte.
Wie reich aber Herr Pommonius an Weisheit und Ansehen war, daß ihn mancher beneidete, besaß er doch ein noch größeres Kleinod, das ihm viele gar gern entführt hätten. Das war sein wunderschönes Bäslein, hieß Renata und war auch überaus gelehrt.
Weil es nun Herrn Pommonius von Zeit zu Zeit im rechten Fuße riß, so daß er viel zu leiden hatte, ließ er einen rotseidenen Vorhang um seinen Lehrstuhl ziehen.
Damit hielt er es so.
War er gesund und las er den Studenten vor, so blieb der Vorhang offen. Riß es ihn aber in seinem Fuß, so daß er Bett oder Stube hüten mußte, dann war der Vorhang zu, weil die Renata dahinter statt seiner las und vortrug.
Da kann sich nun jeder denken, wie den jungen Fürsten, Grafen und allen anderen zumute war, und sie dem horchten, was mit glockenheller Stimme die Renata Fürtreffliches spreche. Nichts mehr hätten sie alle gewünscht, denn ihr Antlitz zu schauen, und wäre alle die Glut emporgelodert, die in den Herzen glomm, wäre der Vorhang längst von Flammen verzehrt worden. So aber mußte jeder seine stille Sehnsucht überwinden, und wollte einer das Geringste wagen, hielten ihn die Genossen mit einem Wink zurück.
Es waren aber dennoch zwei unter ihnen, die vermochten die Jungfrau nicht aus dem Sinn zu bannen.
Davon hieß der eine Frangipani, war ein reicher, junger Graf, trug ein äußerst wildes Gemüt in sich und haßte den Doktor Pommonius ungemein, weil er die Renata so wohl hütete und bewahrte. Wie nun sein Groll von Tag zu Tag wuchs, nahm er sich plötzlich vor, zur rechten Zeit den Vorhang aufzureißen, der Renata einen Kuß zu geben und sich so recht frevelhaft am Pommonius zu rächen, möcht's dann gehen, wie's wolle. Selbiger Graf Frangipanius war demzufolge ein ganz heilloser Geselle, von christlichem Sinn nicht viel an ihm zu verspüren, und der zweite ein ganz anderer Mann.
Der hieß Hans von Limburg und hatte seine Heimat zu Frankfurt am Main. An Sitten und Verstand war er sehr wohl beschaffen, dabei sehr reich, vieler Herren Länder hatte er auch schon gesehen, obwohl er noch jung an Jahren: jetzt aber wünschte er nur eines. Das war die Renata als Braut davonzuführen, wohin sie wolle. Denn ihm stand die ganze Welt offen. Obschon ihm nun Herzog Christoph überaus geneigt war und aus manchem entnahm, Herr Hans von Limburg fände gern ein Ehgespons, so hatte ihm letzter doch stets seines Herzens Geheimnis verborgen, trachtete sein Glück im stillen zu erringen und es dem fürstlichen Freunde mit einemmal zu verkünden.
Also hielt er es so.
Wann die Renata, aber gar selten, irgendwo erschien, befand sich Herr Hans von Limburg sicher hinter einem Pfeiler oder alten Grabstein und schaute sehnsüchtig auf sie hin. Zur Nachtzeit kam er in später Stunde unter ihr Fenster und sang mit leiser Stimme ein wehmütig schönes Lied. Damit er sie aber desto öfter sehe, tat er seit langem dergleichen, als hätte er sich auf der Dekretalen geistliche Angelegenheit verlegt, besuchte des Pommonius Kolleg überaus fleißig und machte sich dann in des gelehrten Herren Losament zu schaffen, das heißt, er kam auf Besuch und fragte um dies und jenes, als hätte er was nicht wohl verstanden.
Dann ging er in verschiedener Stimmung von hinnen. Glückselig, wenn die Renata in die Stube gekommen war und ihm einen freundlichen Blick gespendet hatte – daraus glaubte er süße Hoffnung zu schöpfen; – traurig aber, wenn er vergeblich gewartet.
Um nun seiner Ungewißheit ein Ende zu machen, den Doktor Pommonius nicht länger zu hintergehen und den Frangipani zu strafen, der oft höhnisch auf ihn sah, als ahne er etwas von seiner Liebe, beschloß er eines Morgens sein Glück mit Gewalt zu versuchen und beim gelehrten Herrn mit der wahren Farbe herauszurücken.
Zog demnach sein schönstes Wams an, das war von schwarzem Samt, sein Brustkleid aber von blaßgelber Seide. Was die Beinkleider betraf, war ein Streif kirschbraun, der andere immer wieder weiß. Zudem hing er eine reiche, goldene Kette um den Hals, um die Schultern ein feuerfarbenes Mäntelein von gewässertem Damast, auf die schön krausen Scheitel setzte er einen feinen, spanischen Hut, davon sich eine weiße Feder herabneigte, zur Seite hatte er einen herrlichen Degen und auf den Schuhen, die mit langen Spitzen versehen waren, prangten links und rechts am Leisten zwei große, hochrote Bänderrosen. Also erschien Herr Hans von Limburg ziemlich anmutig, so daß er wohl jeder Maid gefallen mochte.
Als er auf des Doktor Pommonius Behausung zuschritt und näher kam, sah er just die Renata am Fenster, da begoß sie ihre Blumen. Wie begreiflich, grüßte er sogleich sehr huldsam hinauf, die Renata aber schien ihrerseits ganz betroffen und sah einen Augenblick auf ihn, gleich als wollte sie sagen: »Aber Ihr seid trefflich anzuschauen!« Drauf gedachte sie erst des Dankes, grüßte gar hold entgegen, verschwand drauf gleich vom Fenster – Herr Hans von Limburg aber dachte voll Seligkeit: »Und ich glaub' es einmal nicht anders, die Jungfrau ist mir ergeben und gewogen!« Trat nun alsbald in das Haus, schritt die Treppe hinauf bis zur Glastüre, da stand des Doktors Famulus, und durch den ließ er sich melden.
»Herr–r–rein!« erscholl es.
Da Herr Hans von Limburg eintrat, sah er den Doktor Pommonius in der Mitte des Gemaches stehen, in der Linken ein großes Buch, den Zeigefinger der Rechten auf der Stirne und den einen Fuß weit hinausgestreckt. Stand demnach Herr Pommonius ungemein ansehnlich da und sichtlich in großem Nachdenken versunken.
Herr Hans von Limburg beugte sich sehr ehrfurchtsvoll und so tief er konnte. Herr Pommonius aber nickte nur langsam mit dem Kopfe, schaute aber nicht auf.
»Soviel ich sehe,« sagte jener, »seid Ihr in großwichtigen Gedanken begriffen, daß ich schier Furcht empfinde Euch zu unterbrechen.«
»Ich bin immer in Gedanken,« entgegnete Herr Pommonius, »und spräch' ich mit einhundert Personen zu gleicher Zeit.« Dabei schloß er das Buch und sah ihn aufmerksam an. »Ei, ei, was prachtvoll erscheint Ihr doch heute! Nun, was versteht Ihr denn wieder nicht, mein lieber Herr Hans von Limburg? Ich bin doch deutlich, die Renata ist es, bedeucht mich, nicht minder, und wenn Ihr mein Buch von den Dekretalen zu Hilfe nehmt, kann fast kein Zweifel aufkommen.«
»So ist's auch!« sagte Herr Hans entgegen. »Mir aber käm' es besser gelegen, so Ihr, die Renata und Euer Buch nicht gar so deutlich und klar wärt. Denn da käm' ich Tag um Tag und fragte mich an.«
»So meint Ihr!« gab Herr Pommonius zurück. »Euch zieht große Neigung zu mir und labt Euch an mündlichem Verkehr. Item Ihr empfindet, daß gelehrter Männer Nähe und Gespräch den besten Nutzen gewährt. Darin kann ich Euch nicht widersprechen. Lob' demnach Euere Begier und gestatte Euch mich frei und offen, um alles zu fragen und zu sprechen, wovon Euch beliebt.«
»Wenn es so ist, will ich wohl offen sprechen«, versetzte jener. »Seht, Herr Doktor, Ihr glaubtet bisher, mich triebe die Wißbegier in geistlicher Angelegenheit allein – da ich doch ein ganz anderes Ziel habe!«
»So?!«
»Ja! Mir liegt an gar nichts minder, denn an der Dekretalen ruhmwürdigen Weisheit – und an nichts mehr, denn Euerem Bäslein, der Renata.«
Bei diesen Worten fiel Herrn Pommonius vor Schrecken das Buch aus der Hand.
Herr Hans aber fuhr fort: »So ist es. Alle meine Gedanken sind auf sie gerichtet und sie will ich heimführen als liebstes Ehegespons. Da hat sie dann einen treuen Gemahl und dazu Schloß, Häuser, Wiesen, Wald und Gärten, denn mit Geld und Gut bin ich überreich versehen. Also führt sie ein treffliches Leben an meiner Seite, und wo immer meines Bleibens ist, hat sie Ansehen bei hoch und nieder. Jetzt wißt Ihr's, damit werb' ich feierlichst bei Euch an – und deshalb seht Ihr mich in vollem Staat!«
»So, deshalb seid Ihr in vollem Staat?« Eine Weile setzte Herr Pommonius aus. »Ihr seid also nie meinerwegen dahergekommen? Vielmehr aus ganz anderen Gründen? Es war nichts, denn Trug und Lug, was Ihr mir an Verehrung und oftmaliger Zudringlichkeit erwiesen habt – he?!«
»Wer sagt denn dies!« fiel Herr Hans von Limburg ein. »Ich preis' Euch jetzt, wie vorher. Aber ich bin nicht zu solch hohem Berufe geschaffen. Ich mag Euch länger nicht täuschen. Was habt Ihr soviel an mir auszusetzen, da ich ein richtiger Mann bin und Euerem Bäslein das schönste Los bereite?«
»Das schönste Los?« entgegnete Herr Pommonius. »Ihr glaubt, junger Herr, mich könnte gute Gestalt, Gold und weltliches Wohlleben und Ansehen blenden, auf daß mir, Euch zu Liebe, die Renata von der Dekretalen Wissenschaft abstrahieren dürfte, die sie schier besser doziert, denn ich selber, mit Ruhm zu melden? Nein, sag' ich Euch, da hofft und müht Ihr Euch vergebens. In studiis ist die Renata aufgeblüht und in studiis soll sie abblühen – und anders soll es nicht werden!«
»Das wär' wohl rechte Tyrannei« – sprach jener, »was wollt Ihr das schönste Wesen in trostlosem Wissen verkommen lassen, statt in des Weibes Beruf, so daß ihr die ganze Lebenszeit wie eine öde Wüste erscheinen mag, anstatt wie ein luftiger Rosengarten!«
»Was sagt Ihr da?« fuhr Herr Pommonius auf. »Eine Wüste wär' der Dekretalen unüberwindlich und anmutiges Königreich? Horribile ausu! Und so ich das vergessen könnte, wie möcht' Euch mein Bäslein empfangen, da Ihr das geringschätzet, was all ihren Ruhm begründet? Ich kenne ihr Gemüt, das ist erfüllt von der Wissenschaft billigem Stolz und nichts ist in ihr zu finden, denn tiefster Ernst und ewiges Wachstum gründlicher Gedanken – so war es von je und ist fürhin ihre Absicht!«
»Das mag wohl so gewesen sein,« entgegnete Herr Hans, »wer kann aber wissen, ob es nicht anders wurde –?«
»Ihr versiert in unglaublichem Irrtum«, fiel Doktor Pommonius sehr aufgebracht in die Rede. »Merkt, was ich Euch zum letztenmal sage: Kein gewöhnlich Frauenbild ist die Renata. Und käm' der heidnische Gott Amor vel Cupido daher in ipsissima figura und wollt' seinen ganzen Köcher verschießen, es prallten sämtlich seine Bolze und Pfeile ab. Und damit Gott befohlen!« Rasch wandte er sich und schritt siegreich durch die Seitentüre.
Herr Hans von Limburg aber stand in bitterer Wehmut da. Ging dann fort, schritt zur Stadt hinaus und gelangte in einen schönen Garten. Da warf er sich traurig auf einen Rasensitz und lehnte sich zurück, den Blick gegen den Himmel gerichtet, der wundersam klar und blau durch die hohen, üppigen Bäume sah, darunter weg und darin die Vögelein lustig zwitschernd hin und wieder flogen.
Mit einemmal stand der Herzog Christoph vor ihm. Den bemerkte er nicht sogleich, so tief war er in Gedanken. Dann raffte er sich aber auf und begrüßte ihn ehrerbietig.
Weil nun Herzog Christoph mild und freundlich anfragte, hielt Herr Hans nimmer an sich und offenbarte ihm beim Lustwandeln all seinen stillen Kummer.
Drauf sagte Herzog Christoph: »Ich will sehen, ob Euch geholfen werden mag. Hört demnach meinen Vorschlag. Ich seh' mich in des Pommonius Buch ein weniges um und befrag' ihn selber um dies und jenes. Kommt dann die rechte Zeit, so weiß ich Euch wohl zu rühmen und sprech' Euch treulich das Wort. Vorerst aber will ich die Renata hören.«
Nun währte es nicht drei Tage, so kam Herr Hans von Limburg in aller Eile und sagte: »Herr Herzog, nun ist gute Gelegenheit da – der Herr Pommonius hat das Zipperlein.«
Sogleich stand Herzog Christoph auf und folgte Herrn Hans von Limburg ins Kollegium.
Da sie eintraten, entstand ein Gemurmel unter den Welschen.
Der Graf Frangipani aber ließ es nicht dabei bewenden, sondern grüßte den Herzog Christoph scheinbar demütig und sprach voll Hohn auf welsch: »Herr Herzog, der Vorhang bleibt zu!«
»Sicher!« antwortete Herzog Christoph. »Ich zum mindesten zieh' den Vorhang nicht auf. So es aber ein anderer wagte, möcht's ihm nicht zum besten ergehen, Ihr keckes, welsches Gräflein!«
Drauf lehnte er sich in den Erker, wartete, bis die Renata kam und hörte sie an bis zu Ende.
Als nun die Stunde vorüber war und alle den Saal verließen, blieb Herzog Christoph mit Herrn Hans von Limburg ein wenig zurück und sagte: »Wenn die Jungfrau so schön ist, wie ihre Stimme glockenhell und klar ihr ganzer Verstand, ist Euere Wahl zu preisen. Ich aber halte mein Wort. Eh' etliche Tage verstreichen, bin ich beim Doktor Pommonius.« Verließ dann gleichfalls den Saal und schritt mit Herrn Hans drohenden Blickes an den Welschen vorbei, die dort und da die Köpfe zusammensteckten und durcheinander murmelten.
* * *
Am nächsten Tag saß Herzog Albertus just beim Morgenimbiß, als Christoph eintrat und sagte: »Guten Morgen, Herr Bruder, gebt mir des Pommonius Buch!«
Da lächelte Albertus sehr verschmitzt und sagte: »Vielliebster Bruder, die Wissenschaft ist kein Stadttor, so Ihr mit der Faust eindrückt, keine Birk' und Tanne, so einer abknickt – und nimmermehr etwan ein Bach, über den Ihr setzt ohne Steg und Brücke – da geht's fein gemach und bedächtig, Herr Bruder!«
Dazu machte er ihn auf dies und jenes aufmerksam und kam von einem aufs andere, ließ seinen Geist fürtrefflich spielen und glaubte dem Bruder wohl gezeigt zu haben, daß das alles nicht so leicht getan und studiert sei.
Herzog Christoph aber nahm des Pommonius Buch, verließ den Bruder und verfügte sich in sein Gemach. Dort setzte er sogleich den Stuhl zurecht, stützte die Stirn auf und begann mit Gewalt zu studieren.
Mit einemmal hielt er ein.
»Was soll denn das?!« grollte er. »Jetzt mag ich aber nicht mehr! Da heißt es so und da heißt es wieder anders. Disputiert und balgt sich der Herr Pommonius doch ab und macht Sätz' und Sprünge über seine eigene und anderer Gelehrten Meinung, gleich als hätt' ihn eine welsche Brems gestochen. Ei, da hab' ich was Rechtes unternommen. Bei dem Studieren da kömmt der Mensch an Leib und Kraft herunter in aller Weis' und zehrt sich auf in eitel Gram, Groll, Grimm und Verwirrung – da soll wohl das Gewitter dreinschlagen!«
Kaum waren die Worte von seinen Lippen, so vernahm er in der Ferne Getümmel und Streit.
»So steht's?!« rief Herzog Christoph und sprang auf. »Just bin ich geneigt – wenn's Fetzen und Splitter setzt, hat's der Pommonius zu verantworten!« Dabei schlug er auf das dicke Buch, daß es aus allen Nähten sprang, riß den Stoßdegen von der Wand und eilte hinaus durch die Rebengelände.
Als er auf den Platz kam, fand er die Deutschen und Welschen aneinander in großem Gefecht und mit wechselndem Glück. Da fragt' er um nichts, sondern mitten hinein und hindurch und fuchtelte auf die Welschen ein, daß sie wähnten, alle Blitze des Himmels sausten ihnen um die Köpfe; von des Schwertes Schärfe aber macht' er keinen Gebrauch, sonst wären sie alle zerhauen und zerstochen worden. Also warf er hier einen Schwarm zu Boden, anderen gab er die flache Klinge, daß sie davonrannten; die darniederlagen, sprangen auf und folgten und so war zuletzt nur mehr einer da – der Graf Frangipani. Den sah Herzog Christoph nicht alsogleich, weil er sich hinter einer Säule verborgen hatte, und wollte just den Flüchtigen nachsetzen.
Da sprang der Frangipani hervor und höhnte: »Jetzt ist deine Zeit da und du stirbst, du deutscher Bär!« Und zuckte den Stoßdegen, um ihn dem Christoph mitten durchs Herz zu stoßen.
Kaum gesagt, flog ihm die Klinge aus der Hand, daß sie haushoch in die Luft fuhr.
Dazu rief Herzog Christoph: »Was willst mir antun, du welscher Zieraff? Wart', ich will dir's auf deine kecke Stirn zeichnen!« Und gleich dazu einen flüchtigen Streich. »Nun hast du ein Merk's dir und nun scher' dich von dannen, sonst klopf' ich dich heim mit dem Schwertknopf, wo nicht mit einem Zaunstecken, du heillos kecker Gesell, du arglistiger!«
Da fluchte der Frangipani unglaublich und eilte fort sich verbinden zu lassen. Herzog Christoph aber setzte den Welschen nach.
Die hatten sich auf einen hellgrünen Plan salviert. Der war ringsüber mit schönen Zwergbäumen besetzt, voll gelb- und rotwangiger Äpfel, der Boden war übersäet mit schneeweißen Blümlein, rings um den Plan aber ging eine hohe Mauer.
Wie nun Herzog Christoph dahin kam, fand er, daß die Deutschen hinein wollten, konnten aber nicht, weil das Pförtlein gar fest und verschlossen war. Bezeigten deshalb die Welschen viel Mut, weil sie sich sicher glaubten, und höhnten und schrien gewaltig herüber.
»Hört Ihr's, Herr Herzog?« rief Herr Hans von Limburg.
»Wohl, wohl, ich hör' alles!« gab Christoph zurück. »Weg da, ihr Herren –!« Tat alsbald einen Sprung in die Höhe, hinauf und über die Mauer hinüber, gleich wie der flüchtigste Hirsch, und rief den Welschen zu: »Ihr sollt eueren Lohn wohl empfa'n und will euch traktieren, wie sich's Waldspöttern und Prahlern gebührt!«
Zugleich gab er der Tür einen Ruck mit der Ferse, daß sie in vier Trümmer zerfuhr, drauf die Deutschen hereindrängten, voraus Herr Hans von Limburg.
Herzog Christoph aber hielt sie alle zurück, trat den nächsten Zwergbaum entzwei, nahm ihn zu unterst und rannte auf die Feinde zu. Als die den Zwergbaum in Christophs Hand erblickten, dachten sie sich beschimpft und beleidigt genug, erhoben ein unbändig Geschrei und zogen sämtlich die Dolche.
So rückten sie im Halbkreis auf ihn ein.
Herzog Christoph aber das sehen, donnerte er: »Sonst nichts? Einen Schritt weiter, so ist's um euch alle geschehen, ihr Hauptverräter, ich mag euch das Meucheln zahlen!« Und gleich sauste er mit Zwergbaum und wehenden Zweigen auf sie los und geißelte drein, daß sie scharweise auf die Rasen und Rücken fielen, dazu rauschten die gelb und roten Äpfel darnieder und sprangen alle weit umher. Da verkehrte sich rasch der Welschen Grimm und Hochmut in Schrecken und flüchteten sämtlich von dannen. Herzog Christoph aber ließ nicht ab und schwang unermüdlich den Zwergbaum, als wär's eine Weidenrute und die Welschen eine Schar heulender Kinder.
Also trieb er sie dreimal um den hellgrünen Plan, bis sie schier odemlos waren und zitternd in einem Winkel standen.
Dann trat er ganz nah' auf sie zu und herrschte sie an: »Ihr kommt mir nicht an mit eueren Praktiken und gegifteten Dolchen! Noch einmal wagt's gegen Deutsche den Dolch zu zieh'n, so hau' ich euch die ganze Stadt Pavia zu Trümmern und schlag' euch alle tot bis auf den letzten welschen Finger, ihr hinterlistige, Gott und Ehr' vergessene Gesellen!«
Drauf ließ er sie stehen und schritt langsam auf die Deutschen zu. Unfern der Pforte aber wandt' er sich noch einmal, schleuderte den Zwergbaum über den Plan hinweg und mitten unter die Welschen, ballte die Faust sehr drohend und machte ein Gesicht, als wollte er rufen: »Wart, ihr dort drüben, schier hätt' ich Lust und finge von neuem an!«
Als er mit den Deutschen aus der Pforte trat, fragte er: »Warum erhob sich denn der Streit?«
Drauf sagte Herr Hans von Limburg: »Ei, das ist fast lustige Angelegenheit; Ihr straft die Welschen und wißt nicht, warum. Daß nur der Frangipani seinen Teil bekommen hat! Denn der ist am ganzen schuld. Der rotseidene Vorhang war heute verschlossen. Demnach las heute die Renata, und der Pommonius hat sein Zipperlein. Mittlerweil aber die Jungfrau sprach und lehrte, riß der Frangipani den Vorhang entzwei. Ich gleich auf ihn zu und halte ihn von weiterer Tat zurück. Darüber entfloh die Renata. Die Deutschen und Welschen aber lagen bald im Getümmel und Streit und kämpften zur Tür und zu den Fenstern hinaus.«
Letzt hätte es Herzog Christoph schier bereut, daß er den Frangipani so wohlfeilen Kaufs entlassen habe, und bedurfte es bald eifriger Überredung, sonst wäre er ihm noch einmal nachgeeilt, um ihn merklicher zu züchtigen.
Letzt gab er den Bitten der Deutschen nach und sagte: »Wohlan, so sei ihm die Strafe erlassen! Sein Wahrzeichen trägt er zeitlebens auf der Stirne – wer weiß, straft ihn der Himmel noch anders. Herr Hans von Limburg, auf und folgt mir zum Doktor Pommonius. Versuchen wir's einmal ohne Dekretalen!«
Diese Worte verstand freilich keiner, als Herr Hans von Limburg.
So kamen sie an des Pommonius Behausung. Drum waren viele Welsche versammelt, die lärmten und prahlten von Mord und Brand. Herrschte sie aber Herzog Christoph unverzüglich an: »Wißt ihr noch nicht, wie ich die Studenten traktiert hab'? Fort da, und find' ich euch noch, bis ich wiederkehr', so feg' ich euch die welschen Schädel, daß ihr sonder Freuden meiner gedenkt!« Dabei räumte er nach beiden Seiten auf und trat mit Herrn Hans von Limburg in das Haus.
Da schrien die Welschen gewaltig und tat ein Teil dergleichen, als wollten sie sich am Christoph rächen, ballten die Fäuste und rollten die Augen, auch stampften sie heftig mit den Füßen. Wieder andere schlugen die rot, braunen und grünen Mäntel über die Schultern, erhoben die Köpfe äußerst stolz und stemmten die Ellbogen. Standen sofort da, wie mächtige Kriegshelden und als fürchtete keiner das mindeste. Sonderlich murrten und rannten wieder mehr andere durcheinander, als wär' ein Donnerwetter im Anzuge. Dabei verlor sich jedoch der und jener, bis ihrer immer weniger wurden. Zuletzt standen die Deutschen allein vor dem Haus. Der letzte Welsche rannte bis an die nächste Ecke, dort schrie er, so laut er konnte: » Morte, morte ai Tedeschi!« Das heißt: »Wir bringen euch Deutsche ums Leben!« Riß auch den Stoßdegen heraus und schwenkte ihn gewaltig in der Luft; als aber ein Deutscher auf ihn zustürzte, verschwand der Welsche auf das schnellste.
* * *
Also waren Herzog Christoph und Herr Hans von Limburg die Treppe hinaufgeschritten.
Da sagte jener: »Herr Hans, nun fällt mir etwas bei. Der Doktor Pommonius liegt etwan zu Bette.«
Sagte Herr Hans von Limburg: »Vergebt, hoher Herr! Schaut nur durch diese Glastüre. Er geht ganz tapfer umher, schon er ein klein weniges hinkt.«
So war's auch. Zuzeiten blieb aber Herr Pommonius wieder stehen und rief: » Quos ego!« Das heißt zu deutsch: »Ha, hatt' ich euch, wie wollt' ich euch, ihr nichtsnutzigen Gesellen!« Damit meinte er die Welschen und insonderheit den Frangipani.
Just rief er es wieder, als Herzog Christoph eintrat.
Voll Schrecken fuhr Herr Pommonius zurück, denn er glaubte, jetzt käm' einer daher, so ihm den Garaus machte, und rief, alle Kraft sammelnd: »Wie könnt Ihr es wagen und Hand an Lehrer und Herrn legen?!«
Sah aber bald, wen er vor sich habe, sagte, nachdem er sein Leid geklagt, seines Bleibens könne fürderhin nimmer zu Pavia sein, und bat den Herzog Christoph, er und seine Brüder möchten ihn beschützen.
»Schützen will ich Euch sicherlich!« sagte Christoph. »So lange ich in Pavia bin, soll Euch und der Renata kein Haar gekrümmt werden.«
»Das soll Euch fürwahr Gott lohnen!« – Bei diesen Worten wischte sich Herr Pommonius die Stirne – »und reichte auch Euere Kraft nicht gegen alle aus, so mir übel wollen, weil ich einen Vorhang vor meine Renata ziehen ließ – möchte mich doch Euer Ansehen gegen den Frangipani schützen, bis ich aus den Mauern dieser Stadt draußen bin.«
»Ihr traut meiner Kraft zu wenig«, sagte Christoph lächelnd. »Muß Euch etwan melden, was ich soeben vollbrachte. Dazu bedurfte ich erst noch geringer Gewalt.« Und erzählte ihm kurz, was geschehen.
Drob staunte Herr Pommonius, dankte aufs beste und setzte dann bei: »Also, Ihr habt uns trefflich gerächt. Ein weniges aber habt Ihr wohl dazu erfunden. Tut Ihr doch, als bedürftet Ihr gar nur eines Blickes, um jedweden Feind zu besiegen!«
»So ist's auch, Herr Doktor!« versetzte Christoph. »Dem einen das Schwert, beim zweiten reiß' ich Zwergbaum oder Knittel aus, bei andern bedarf's nur eines festen Blickes. Ja seht, gelahrter Herr, selb kommt auf den Feind an. Nun gestattet mir aber doch eine Frage. Warum liegt Ihr denn nicht zu Bette oder mindest in einem Lehnstuhl? Habt Ihr denn heute nicht das Zipperlein? Es war ja doch der rotseidene Vorhang geschlossen.«
»Was sagt Ihr, hoher Herr?!« fiel Herr Pommonius ein. »Ich hätte das Zipperlein? Ich habe zu keiner Frist das Zipperlein gehabt. Vielmehr reißt es mich nur hie und da im rechten Fuß. Und sotanes und kein anderes Reißen hab' ich heute morgens in diesem meinem Fuß verspürt. So ist die Sache. Gleichwohl war der Schmerz so groß, daß ich nicht aufstehen konnte.«
»Und nun seid Ihr aber doch auf. Hat sich das Übel gebessert?« fragte Christoph.
»Allerdings«, war die Antwort. »Der erlittene Schrecken hat ein halbes Wunder an mir ausgeübt! Als die Renata daherkam, des Frangipani Tat vermeldend, gab's mir einen Riß – und als sich der Kampf erhob, noch einen zweiten. Der war fürwahr schauerlich. Hingegen ließ dann der ärgste Schmerz auf das merklichste nach. Und ich glaube, so nun unversehens noch ein großer Schrecken dazu käme – was ich aber keineswegs wünsche, so meine ich, es mühte mir ganz geholfen sein.«
»Nun, wer weiß«, sagte Christoph. »Der Schreck könnte Euch noch werden, denn der Tag ist lang und kann sich leider viel ereignen.« Sagte aber dann Tröstlicheres, bis er fortfuhr: »Also wünsch' ich Glück zu soviel Genesung. Ja, es war ein lustiger Strauß, Herr Doktor – und grimmig war ich, das dürft Ihr glauben, obschon ich nichts von des Frangipani Tat wußte. Und wer trug die Schuld an meinem Zorn?«
»Wie, Ihr wußtet nichts? So trieb Euch nur der Haß gegen die Welschen.«
»Oder Neigung zu meinen Landsleuten – in kurzem aber gesagt, mehr als alles schürte ein anderer an meinem Unmut.«
»So!«
»Jawohl!« sagte Christoph. »Und der ist kein anderer als Ihr selbst.«
»Ich?!« Voll Staunen sprach es Herr Pommonius. »Was tat ich Euch an? Daß ich doch nicht das geringste wüßte und bin auch weiters nie mit Euch zusammengekommen, junger, hoher Herr – bin demnach sehr begierig –«
»Nun, das wird sich sogleich zeigen«, sagte Christoph. »Wir zwei sind nur zu sehr aneinandergekommen. Ihr habt da eine sichere Geschrift oder ein Buch verfaßt. Das ist mächtig dick und handelt von den Dekretalen. Kaum hatt' ich da drin gelesen, so war's mir, als käm' der lebendige Satanas über mich. Ei, da steht ja heilloses Ding verzeichnet!«
»Was steht verzeichnet, hochgnädiger, junger Herr –?« stotterte Herr Pommonius. »Das hat mir noch niemand gesagt. Mein Buch enthält nichts Heilloses, und so ich auch weit entfernt bin mir ein Lob zu erweisen, so zwingt Ihr mich doch, Euch eines besseren zu belehren. Wißt Ihr, was ein großer Meister geschrieben hat? › Item dies des Pommonii Buch ist fast erhaben und schier gleiches nimmer verfaßt worden. Als denn dasselbe licht und sonnenklar ist, voll alt und neuer Weisheit und überreich anmutigster Geistesblüte, als daß einer schier vermeint, er stünde in einem Rosengarten und wehte ihn ein sanftes Mailüftlein an.‹«
»Ein Mailüftlein?« versetzte Herzog Christoph, indem sich sein Auge verfinsterte. »Davon hab' ich nichts verspürt. Vielmehr weht's einem an, wie ein reißender Wirbelwind und weht hinwieder dahin, wie ein sengender Luftzug, daß all' Kraft und Sinn vergeht! Ihr macht ja ein grauenhaft Gepolter und Gefecht mit blinden Worten und haut und fechtet um Euch, als wäret Ihr nimmer bei Trost! Allhier ruft Ihr ja, drauf sagt Ihr wieder nein – da möcht' ich wohl einen kennen, dem nicht Grimm und Zorn erwüchs' und aller Sinne unglaubliches Wirrsal!«
Ganz sprachlos trat Herr Pommonius zurück, Herzog Christoph aber tat einen Schritt näher und fuhr stets drohender fort: »Wohl, die Renata ist voll der Einfalt, daß jedes Kind sie erfaßt – warum tut Ihr nicht desgleichen und verdunkelt vielmehr studiosorum mentem et animam, statt daß Ihr mit der Wahrheit herausrückt? Entweder wißt Ihr selbst nichts, dann ist Euer Wortgefecht nichts, denn leerer Trug und verdammter Hochmut – oder aber wißt, wie die Sach' beschaffen ist, und wollt nicht frank und frei heraus damit, dann seid Ihr wieder verdammter List und Ränke voll!« Mit wilder Stimme hatte er gesprochen, wobei er jenen an den Lehnstuhl drängte.
»Seid Ihr des Teufels, Herr Herzog?!« lallte der Doktor Pommonius und hielt sich am Stuhle fest. »Ich verdunkelte mentem et animam studiosorum? Ich wäre verwünschter List und Ränke voll, leeren Trugs und Hochmutes? Das sagt Ihr mir, dem weltberühmten, dabei als Ehrenmann nie betasteten Doktor Pommonio?«
»Ja, das sag' ich Euch!« fuhr Herzog Christoph auf – und seine tiefbraunen Augen rollten stets mächtiger. »Was scher' ich mich, um Eueren Ruhm und Euer ganzes Buch! Ich will Euch schon sagen, wie es damit beschaffen ist. Nicht mich treibt böse Gewalt, sondern Euch der Geist des Hochmuts oder der Vielschreiberei Begier! Meinethalben seid Ihr so gelahrt, als Ihr wollt, ich will Euch doch sagen, was noch größer ist, denn Euere Gelahrtheit. Das ist aber Euere Sucht es noch mehr zu scheinen! Versteht Ihr mich nun? Ja, Ihr haut und tobtet von je um Euch, nur daß Ihr so gelehrter erscheint und Euer Buch zu großem Umfang erwuchs!«
»Das ist nicht wahr!« rief Herr Pommonius.
»Wahr ist's!« donnerte Herzog Christoph – zugleich riß er den Degen heraus, setzt' ihn Herrn Pommonius auf die Brust, aus seinen Augen aber schoß es, wie zwo Flammen. »Nun wißt Ihrs und zur Stelle bekennt, sonst stech' ich Euch dreimal mitten durch den gelobten Leib, bis an den Griff des Schwertes!«
»Ich bin des Todes!« stotterte Herr Pommonius. Mit beiden Händen fuhr er zum rechten Bein und fiel in den Lehnstuhl. Drin saß er eine Zeitlang ganz starr.
Herzog Christoph aber stand lächelnd, die Hand auf den Stoßdegen stützend, eine geraume Zeit vor ihm und fragte dann recht mild: »Nun, hab' ich Euch sattsam erschreckt, hochgelahrt' und hochverehrter Herr?«
»Weg ist der ganze Schmerz –!« rief jener plötzlich. Dazu schlug er ganz lustig auf das bewußte Bein. »Demnach hättet Ihr wohl nur einen kühnen Scherz mit mir getrieben und achtet mich in nichts gering –?«
»Ei, das könnt Ihr wohl denken!« war die Antwort. »Doch wie kühn auch, was schadet's, so Euch nur geholfen ist!«
»Das ist mir sicher – meiner Seel' und an Eueres Blickes Gewalt will ich nimmer, auch sonst an nichts, was Euch betrifft, zweifeln. Alle Wetter, könnt Ihr Augen machen! Aber ganz recht so, es hat geholfen, und ich bin Euch, laut sag' ich's, zum Dank verpflichtet. Ja, das bin ich. Doch was die Dekretalen betrifft –«
»Laßt Euer Buch« – unterbrach ihn jener – »wir haben anderes zu sprechen, ich hab' Euch geholfen. Ihr sagtet eben selbst, Ihr wäret mir zu Dank verpflichtet. Das kömmt mir wohl zustatten. Hört demnach, ich habe Euch geholfen, Herr Doktor – nun helft Ihr einem anderen! Der hat auch Pein und Schmerzen – nit aber im Fuß, vielmehr im Herzen!«
»Wie soll ich das verstehen, hoher Herr –?« Doktor Pommonius richtete sich langsam auf.
»Da sollt Ihr nicht lang in Zweifel bleiben. Seht, gelahrter Herr, es ist einer hier zu Pavia, selbiger heißt Hans von Limburg, liebt Euer Bäslein, die Renata – und dem Herrn Hans von Limburg sollt Ihr nun helfen.«
»Ich soll diesem jenigen Herrn Hans von Limburg helfen?« sagte der Doktor Pommonius ganz erstaunt. »Hab' ich ihm denn nicht die Unmöglichkeit bewiesen –?«
»Nichts habt Ihr ihm bewiesen!« fiel Christoph gar herzlich ein. »Ihr sagtet freilich wohl, bei Euerem Bäslein sei nichts zu finden, denn ewiges Wachstum sehr gründlicher Gedanken, in studiis sei sie aufgeblüht und in studiis sollte sie abblühen. Das glaub' ich nimmer, bis sie es selbst sagt, ob's Euch auch so wohl gefiele! Was meint Ihr, hochgelahrter Herr, wenn Herr Hans von Limburg die Jungfrau fragte? Mich bedeucht, das ist das best' und kürzeste – und bei Euerem gerechten Ruhm in Wissenschaft und dem Eueres guten Herzens, Ihr sollt und werdet der Bitte Erfüllung nit verweigern. Kommt nur herein, Herr Hans, was soll da das lange Harren und Zaudern!«
Eintrat der Gerufene, verneigte sich ehrerbietig und sprach: »Vergebt, Herr Doktor, daß ich unversehens vor Euch erscheine. Das hat der Herr Herzog auf sich genommen. Ich aber glaub' nimmer, daß meine Absicht fehlschlägt, denn zu tiefst spricht's und überlaut in meinem Herzen, die Jungfrau liebe mich. Und habt Ihr, wie billig, alle Gewalt über sie – die Liebe könntet Ihr ja doch nicht ausrotten, denn wo sie in Wahrheit ist, da haftet sie gar fest!«
»So, da haftet sie fest,« fuhr Herr Pommonius auf, »so unausrottbar fest wurzelt sie –?« setzte er höhnend bei. »Oho! Und wie ihr daherkommt! Das heißt, ihr beide vermeint mich moraliter zu zwingen, idealiter – wo nicht gar realiter?! Nehmt Euch in acht und verübt keinerlei Gewalt in diesem meinem Losament, ansonst ich Euch, Herr Hans von Limburg, in Criminalibus angreife und Euch, Herr Herzog, würde sich auch noch ein Richter finden! Ich sag' Euch, Ihr, Herr Hans, Ihr seid ein Frevler oder Euch täuscht verblendete Eigenliebe, Wahn und hochmütig irdische Eitelkeit!«
Er maß ihn von Kopf bis zu Füßen.
»Ha, ha!« fuhr er dann fort, »ich finde wohl, daß Ihr ein schmucker Geselle seid, indessen Ihr haltet Euch für einen unabweislichen Mann. Das bedünkt mich schier von Lustsamkeit. Ich sage Euch, seid wie und wer Ihr wollt, die Renata ist Euch nimmer gewogen und hätte sie, wie Ihr da leise angedeutet, ein Geheimnis auf dem Herzen, so wär' es mir längst schon verraten! Zum letzten Male sag' ich Euch – nichts will sie, als die tiefsten studia und jedwede Stunde nimmt ihr Eifer zu, so daß sie sich selbst die Nachtruhe versagt!«
»Was Ihr da sagt!« fiel Herr Hans ein. »Das wißt Ihr ganz gewiß?«
»Das weiß ich freilich ganz gewiß und auf das sicherste , entgegnete jener, die Augenbrauen ungemein runzelnd. »Denn just sind es drei Tage, respective Nächte, als mich bedünkte, ich hätte etwas vernommen. Wie ich da eine Weile nachgedacht, erhob ich mich, öffnete die Tür an Renatas Schlafgemach und hielt das Licht in die Höhe. Da sah ich meiner Nichte Lampe verlöscht, sie selbst aber lehnte über dem mächtigen Buche der Dekretalen. Ja, darüber war sie vor Ermüdung eingeschlummert, so wahr ich Doktor Pommonius bin. Eines bessern Beweises bedürft Ihr nimmer!«
» Ich sicher nicht,« rief Herr Hans von Limburg freudig, »denn schlief sie oder schlief sie nicht – ich glaube nimmer, daß sie in Euerem Buche studierte – sondern hatte meinem Liede gelauscht und war in Gedanken bei mir!«
»Was, ein Lied habt Ihr gesungen –?«
»Und wohl nicht zum ersten Male – denn meines Herzens ganzer Preis gehört ihr! Seht, so oft ich kam, war's finster in der Renata Gemach. Mit der Laute ersten Tönen erhellten sich die Fenster – sobald aber mein leiser Gesang verklungen, meine Schritte einsam durch die Straßen hallten und ich mich noch einmal wandte – da verlöschte das Licht. So war's auch in jener dritten Nacht –«
»So, also war's auch in jener Nacht?!« spottete Herr Pommonius. »Wohlan denn, Ihr übermütig und höchst eitler, junger Mensch – Ihr sollt der Renata Worte vernehmen – ha ha, ja das sollt Ihr, damit Ihr auf das tiefste gedemütigt werdet! Denn ich bin meiner dieser Worte gewiß: Ubi semper maneat scientiae sanctae patrimonium – ibi semper absunt amor et matrimonium – zu deutsch mit dem Poeten: Ist dir heiliger Dinge Füllhorn gnädig – weisest du die Minne ab und bleibst ledig!« Drauf verließ er das Gemach.
In etlicher Zeit kehrte er zurück, die Renata an der Hand. Die hatte ein schneeweißes Gewand an, das wallte reich um ihre anmutige Gestalt. Weit um den Nacken rollte ihr lichtbraunes Gelocke. Auf ihrem schönen Antlitz war Milde und Festigkeit des Willens schalkhaft gepaart. Einen Blick süßer Überraschung warf sie auf Herrn Hans von Limburg, leisen Schreckens aber auf Herzog Christoph. Dann sah sie errötend zu Boden.
Der Doktor Pommonius schritt wie ein grimmiger Löwe mehrmals auf und nieder und schleuderte heftige Blicke auf Herrn Hans von Limburg.
Entzückt ergriff dieser des Herzog Christophs Hand und drückte sie vielsagend. Der selbst war auch angenehm betroffen und nickte ihm freundlich zu, als spräche er: »Nur Mut, Herr Hans, jetzt ist die Zeit gekommen und jetzt gilt's.«
Herr Pommonius trat mit einemmal auf die Renata zu, hob den Zeigefinger der rechten Hand drohend empor und sagte, die Augenbrauen gewaltig runzelnd, mit verhängnisvoller Stimme:
» Nil perniciosius sub sole, nisi cordis vana caducitas! Das heißt: Es gibt kein Ding auf Erden, so der Dekretalen erhabener Wissenschaft und jedweder sonstigen Weisheit mehr Schaden brächte, denn des Herzens Schwäche und weltliche Neigung. Fundamentum gloriae et abstractio! Das heißt: Willst du, o Menschenkind, einhergehen unter des Ruhmes Lorbeergebüsch, also mußt du dann hinwegstoßen von dir alle Gewalt des Stoffes, jedweden leichtfertigen Gedanken und sämtlich deinen Sinn in das Geistige hinüberpflanzen. Omnibus omne sis in scientia et in vita coelebs! Das heißt: Deine Weisheit laß angedeihen der ganzen Welt, du selbst aber ergib dich keinem, auf daß du keine Fesseln tragest. Also spricht erhabener Weisheit und uralter Erfahrung Gesetz. – Es ist aber da noch ein ganz anderes Gesetz und Pflicht – id est sinceritas! Das heißt: Wann dich aber dennoch und gleichwohl böser Neigung Lockung erfassen will, so reinige dein Herz durch ein unaufforderlich freies Geständnis, ansonst du auf Verrateswegen begriffen bist und große Schuld auf dir hast. Denn so du das geringste verbirgst, also verletzest du unbeugsamen Gehorsam gegen deinen eigenen Vater, Mutter oder sonstigen zeitlichen Ernährer, darüber dein weltliches Heil zugrunde gehen und etwan gar deine Seele ewigem Verderben anheimfallen könnte! Solcher Verwarnung bedürfte es sicherlich allhie keineswegs, vielmehr ich selbsten deiner auf das beste und festeste versichert zu sein vermeine. Mein unwandelbarer Glaube ist der: Was da immer in Sachen einzugehender Ehe gegen dich anrückte, vermöchtest du doch nimmer von der Studia seliger Gewohnheit abzulassen. Denn sagt Philosophus: Consuetudo natura potentior. Das heißt mit dem Poeten gesprochen: Worauf ich mich stets auf das geneigteste verleg' – davon bringt mich nicht so leicht mehr was hinweg!«
Nachdem Herr Pommonius so gesprochen, sah er sehr siegreich empor und fuhr fort: »Dir ist große Unbill widerfahren. Nun aber sind wir gerächt worden. Hier steht einer, des Namens ein sicherer Herr Hans von Limburg, der hat den kecken Frangipanium zurückgerissen. Dieser hier aber ist hochbelobt und ob großer Kraft gepriesen, Herr Herzog Christoph von Bayern, und hat nicht nur selbigem Frangipanio einen Streich versetzt, sondern auch sämtliche Welsche in schmähliche Flucht geschlagen.«
Dann schwieg er.
»Nehmt meinen Dank,« sagte Renata mit süßer Stimme; »ich wollt', ich könnt' es euch danken, ihr ritterlichen Herren und Gebieter!«
Entgegnete Herzog Christoph: »Was gibt's da noch Höheres, denn einer edlen, deutschen Jungfrau Dank von schönem Munde! Von Euerem aber ist es zwiefach groß und ehrenhaft, denn Ihr seid gleich erhaben an der Gelehrtheit Ruhm, wie an Schönheit und Tugend. Recht glücklich verdient Ihr zu werden. Was aber gliche erst des Mannes Glück, der Euch heimführen dürfte als viel süßes, ehliches Gespons!«
Leise schüttelte die Renata das Haupt.
»Seht Ihr?« rief Herr Pommonius. »Nicht ein Wort gewährt sie für derlei Rede! Bene fecisti, Renata!"
Herzog Christoph sah erst Herrn Hans befremdet an, dann fuhr er fort: »Wie, holde Jungfrau, so verhaßt wär' Euch alle Minne und nie wolltet Ihr Euere Hand vergeben?«
Bei dieser Frage erbebte die Renata sichtlich und lispelte: »Wie kann ich es wissen, Herr Herzog?«
»Das kannst du nicht wissen?« fuhr Herr Pommonius ganz erschrocken auf. »Hast du nicht vor kurzem gesagt, nur ein Ziel hättest du, und käme der mächtigste Fürst um deine Hand zu werben, ihm würde kein Jawort zuteil werden?«
»So sagte ich und das wiederhole ich!« gab die Jungfrau mit freudiger und festerer Stimme zurück. »Und käm' der Kaiser selbst daher, ich schlüg' ihn aus!«
In unbeschreiblichem Triumph schaute Doktor Pommonius auf seine zwei Gegner.
Inzwischen wurde aber Herrn Hans ein Blick aus Renatas Augen, der ihn hoch entzückte und ihn ganz mit Mut beseelte. Auch bedeuchte ihn, sie habe, aber kaum bemerkbar, genickt und als höbe sich ihr Busen in unschuldvollster Ungeduld.
Da ihn also Herr Pommonius so triumphierend ansah, hielt er nimmer an sich und sagte mit weicher Stimme und doch recht männlich: »So großes also schlügt Ihr aus, edle Jungfrau? Wie, wenn nun aber der Kaiser nicht und kein Fürst daherkäme, vielmehr ein anderer, der, gleichen Standes mit Euch, Herz und Habe mit Euch teilte? Könntet Ihr ihm nicht gewogen werden? O, sprecht ein Wort der Huld und Geneigtheit. Und darf ich's Euch laut bekennen, was mich längst bewegt – ich selber bin es, der Euch liebt und hochverehrt! Nur Euretwegen bin ich bis da zu Pavia geblieben, nur Euretwegen ergab ich mich schwerer Wissenschaft, auf daß ich Weg und Steg fände in Euere Nähe zu kommen – also rein lieb' ich Euch, daß es kein Wort bezeichnet! Wolltet Ihr mich verschmähen, traun, ich hätte wenig Freude mehr auf Erden. Doch geduldig und gehorsam will ich meines Geschickes Entscheid hinnehmen. Und nun sprecht, vielsüßeste Renata, wollt Ihr mich von Euch stoßen, verfolgend des Ruhmes einsame Pfade, oder wollt Ihr mir folgen als mein herzliebstes Gesponse?« Dabei ließ er sich rasch auf ein Knie darnieder und sah zu ihr empor, auch ergriff er sanft ihre Hand und drückte sie an den Mund.
Sonder Abwehr ließ ihm Renata die Hand. Glückselig lächelte sie und versenkte ihr mildstrahlendes Auge in seines. So stand sie und sah auf ihn herab, als spräche sie: »Darf ich dich denn endlich sehen und dir nahe sein, o du teuerer Mann meines Herzens!«
Über dem allen ward Herr Pommonius ganz verwirrt.
»Was ist dir denn, mein Bäslein?!« lallte er in tausend Zweifeln.
»Was mir ist?« entgegnete die Renata. »Mir ist – als wär' ich im Himmel!« Dann wandte sie ihr Antlitz zu ihm und sagte feierlich, beide Hände des Herrn Hans drückend: »Dieser Mann ist mein und in ihm sind alle Träume wahr geworden, von denen Ihr, mein geliebter Herr und Erhalter, nichts ahnen durftet!«
»Aber – du kennst ihn ja gar nicht!« rief Herr Pommonius.
»O ich glaub' ihn genug zu kennen«, antwortete Renata. »Habt Ihr ihn doch oft gepriesen an all seinem Wesen, Gemüt und Geist. So fand er mit jedem treu offenen Blicke einen neuen Pfad zu meinem Herzen und zog mein Vertrauen hinüber zu ihm. Ja längst bin ich ihm aus vollster Seele ergeben – denn wann mein Mund hinter dem grausamen Vorhange von Gelehrtheit überfloß, sah gar oft mein Auge hindurch und ruhte auf seinem edlen Antlitz – und wär' mein Herz nicht schon sein gewesen beim ersten Anblick zu Tag – in stiller Nacht hätt' er's ja dennoch entführt auf süßen Gesanges Schwingen!«
»Was hör' ich –!« lallte Doktor Pommonius. »Du wolltest deinem hohen Beruf entsagen? Ist denn ein böser Zauber über dich ergangen, daß du dich ganz verloren hast?«
»Ein Zauber?« erwiderte Renata. »Wohl mag's ein Zauber sein, doch derselbe, so die ganze Welt und alle Seelen und Geister verkettet. Meinem Beruf aber hab' ich nicht entsagt und mich nicht von mir verloren. Gefunden hab' ich mich vielmehr und mein rechtes Ziel erfaßt! Wohl wahr hat er gesprochen. Einsam sind des Ruhmes Pfade, wie belebt sie auch scheinen. Was frommt mir aller Name, was frommt mir alle Gelehrtheit? Ich bin ein Weib und will eines Weibes Pflichten üben. Ja, laut sprech' ich es aus, mein teuerer Herr und Gebieter – hab' ich mein Los zu entscheiden, verlangt mich nur nach einem – das aber ist dieser Mann – und ihm folg' ich, wohin er mir es befiehlt!«
»Wie glückselig macht Ihr mich, Renata!« Mehr konnte Herr Hans von Limburg nicht stammeln.
Freudig leuchtenden Blickes stand Herzog Christoph da.
Herr Pommonius aber war Schritt um Schritt zurückgetreten, bis er an der Wand anlangte; da stand er wie versteinert.
»Nun,« sagte Christoph näher tretend: »Was denkt Ihr, gelehrter Herr?«
»Ich denke gar nichts – denn mir steht der Verstand still«, erwiderte Doktor Pommonius mit einem tiefen Seufzer. »Gott gebe, daß es die Renata nicht bereue!«
»So wollt Ihr einwilligen!« rief die Renata und stürzte, mit Tränen der Freude im Auge, an seine Brust. Herr Hans von Limburg folgte ihr.
Herr Pommonius schaute sie beide an, als könnte er's noch immer nicht glauben.
»Ja, ich willige ein«, sagte er darauf. »Soviel ich merk' und versteh', wär' jedwedes Nein vergebens und brächte mir eine ganz heillose Verwirrung in der Dekretalen Doktrin!«
Langsam über die Häupter der beiden breitete er die Arme aus.
»Das hab' ich selbst empfunden,« fuhr er fort; »und was kein Mensch weiß, will ich in diesem wundersamen Augenblicke bekennen. Ja, sag' ich, das hab' auch ich erlebt, da ich noch schlechtweg Bartholomäus Apfelbaum hieß. Zu der Zeit war auch ich in heftiger Minne Banden, anbelangend eine sichere Jungfrau, des Namens Jukunda – andurch welche Jukunda dieser mein Kopf in den höchsten Aufruhr geriet und mir sämtliche Dekretalen ganz durcheinanderfuhren, als wär' da ein Wespennest in meinem Gehirne, ein winnig gewordener Ameisenhaufen – oder aber es hätte mir einer mitten hineingehauen mit einem vielschneidigen Schwerte! Da ermannte ich mich aber, geißelte sämtlich diese Konfusion hinaus und wurde mit Gottes Hilfe wieder ein anderer, allbis ich, mit Ruhm zu melden, in Angelegenheit der Dekretalen zu sonderlichen Ehren gelangte, mich Doktor Bartholomäus Pommonius schreiben durfte und ein redlich preiswürdiges Opus verfaßte. Also wurde ich gerettet und neu geboren. Du aber, mein Bäslein, desgleichen, also heißest du mit Recht Renata. So bleib' dabei! Ich aber sage: Habeat quisque sibi, at ego salvati animam meam. Wie sich einer bettet, also wird er schlafen – ich wasche meine Hände in Unschuld – – damit nehmt meinen väterlichen Segen!«
»Habt Dank!« rief Herr Hans von Limburg. »Nie will ich vergessen, was Ruhm mir die Renata zum Opfer bringt, all den sie nur Euch, ihrem edlen, fürtrefflichen Führer, verdankte!«
»Schon gut –!« entgegnete Herr Pommonius mit fast weicher Stimme. Rasch fuhr er über die Augen, nahm sich aber wieder zusammen und sprach, indem er sich zu Herzog Christoph wandte: »Ihr habt gesiegt und die zwei da, bedünkt mich, wissen Euch großen Dank. Nun aber gönnt mir ein deutsch kräftig, ehrlich Wort. So ich auf Euere Taten schmähte, wär's Euch nicht genehm. Also ergeht's mir hinwieder mit meinem Opus, obschon Ihr das Ganze in Scherz gemeint haben wollt, was ich auch anerkennen will. Aber auch der Scherz geht nicht immer sonder Strafe aus. Wäre ich nun gewohnt das Schwert zu führen, möchte mich wohl nichts abhalten, trotz jenseitiger Fechtkunst und Stärke, etwelche Gänge mit Euch zu machen. So beruht aber meine Stärke mehr im lebendigen Wort und in der Feder, damit ich meine Feinde darniederschmettere. Frag' Euch demnach: Seid Ihr in der Minne Banden?!«
»Sicher nicht, gelehrter Herr«, antwortete Herzog Christoph.
»Wohlan denn,« gab Doktor Pommonius zurück, »so Ihr im Herzen frei seid, ist billig anzunehmen, daß Euer Verstand in guter Ordnung befindlich und Euer Wille zu gerechter Sache geneigt sei. Ich, Doktor Bartholomäus Pommonius, fordere Euch demnach feierlichst auf, mein verhöhntes Opus mit besserem Bedachte zu durchlesen, bis Ihr in die wahre Angelegenheit geratet. Und seid Ihr dann in der wahren Angelegenheit darin, wird es Euch so ungemein hell in all Eueren Gedanken werden, so daß Ihr ein jegliches Wort bereut!«
Dabei bot er die Hand.
»Ein Mann, ein Wort, vielgeehrter Herr!« sagte Herzog Christoph. »Noch heute Nacht fang' ich an. Ich will lesen, so weit ich komme. Komm' ich aber nicht ganz hindurch und bereue schon früher – so haltet mir's eben zugut, denn zur Reue bin ich fast geneigt, doch die Geduld ist nicht meine beste Kraft!« Er legte freundlich seine Rechte in die des Herrn Pommonius und fuhr fort: »So Ihr wieder Schmerzen empfindet und ich bin unfern, laßt mir's wissen, da will ich kommen und Euch wieder erschrecken! Nun sag' ich Euch nur eines. Die Renata ist des Hans von Limburg und wohin Ihr zieht, dahin folgen sie Euch sicherlich beide. Hier zu Pavia, spracht Ihr, sei Eueres Bleibens nimmer. Wohlan denn, wendet den welschen Landen den Rücken und kommt fürerst zu uns in Land Bayern! Wollt Ihr das, io schreib' ich gen München an meine vielliebsten Brüder, den Herzog Johannes und Siegmund. Denen leg' ich alles mit Ruhm und Preis Euerer ans Herz. Da ist's dann sicher nicht weit gefehlt, werdet vielmehr trefflich empfangen und verbleibt zu München, bis sich ein weiteres gestaltet.«
»Das mögt Ihr immerhin tun, Herr Herzog«, entgegnete Herr Pommonius. »Gerne mag ich eine Weile zu München verweilen. Ich war schon einmal dort, längst eh' Ihr das Licht der Welt erblicktet, und wohl gefiel es mir daselbst, schier vermeint' ich, es ließe mich nimmer von dannen.«
»So ist's schon mehr Leuten ergangen«, sagte Herzog Christoph. »Dahin aber schaut, Herr Doktor – die zwo sind ganz in Wonne begraben. Wollt' ich doch wetten, sie haben von allem kein Sterbenswort vernommen.«
Huldreichen Gruß winkte er ihm zu und leisen Schrittes verließ er das Gemach.
Als er hinabkam, sagte er zu den Deutschen: »Nun hab' ich den Frangipani aufs ärgste gestraft – Herr Hans von Limburg aber hat sein Glück erobert. Der führt die Renata heim. Und habt ihr ihn lieb gehabt, so habt ihr ihn die längste Zeit gesehen!« Ging dann seines Weges weiter und ließ sie alle in großer Verwunderung zurück.
* * *
Nun möchtet ihr wohl wissen, wie es weiter ergangen. Das war aber so: In drei Tagen fuhr Herr Pommonius zum Tor hinaus mitsamt der Renata. Zur Seite auf einem trefflichen Klepper ritt Herr Hans von Limburg. So viel' ihrer Deutsche zu Pavia waren, die gaben alle in rechter Wehmut das Geleit, denn jeder ehrte den Herrn Pominonius und verlor gar ungern die Renata. Nur eines tröstete sie: – daß der Graf Frangipani so bitter gestraft sei und Herr Hans von Limburg den schönsten Preis davongetragen habe. Das ging von Mund zu Mund und zugleich damit Herzogs Christoph Ruhm. Der Herzog Albertus und Wolfgang zogen auch mit zum Begleite. – Die Welschen aber standen in guter Menge über den Wiesen drüben oder auf Nebenpfaden und schauten zornig herüber. Die anderen zogen fürder und fürder, bis sie weit draußen anhielten, um zurückzukehren. Da riefen sie alle noch dem Pommonius Dank und Lebewohl zu und der Renata und dem Hans von Limburg desgleichen, so daß den Scheidenden ja wohl die Augen naß wurden ob so großer Treue und Liebe dankbaren, deutschen Gemütes.
Also taten die drei ihre Reise dahin.
Herr Pommonius aber hatte einen großen Brief vom Herzog Christoph bei sich. Drin waren sie alle aufs beste empfohlen, das ganze Abenteuer treulich erzählt und viel wundersam bunte Rede und Sprach' eingemischt.
War selbiger Brief demnach mehr Orten ganz narret welsch, lateinisch und deutsch durcheinander geschrieben und zeigte sich hieraus Herzog Christophs jugendlich lustiger Übermut. Schier kurzweilig war sonderlich zu lesen, wie es ihm ergangen sei, da er sein Wort halten und zur Nachtszeit in des Pommonjus dickem Buch studieren wollte.
Und da stand im Verlauf geschrieben, wie folgt:
» Grandissimo in me Christophoro fu avantur fradrell dilectissimo noster. Venito in caput meum fiam, manco poc ne totalitär debrennabam. Item. Xabeban in capitolio meo barrettum a Sigismundo mihi dedicatum vulgo fuchs- pelzaneum, ne vol soffrir in orellibus. Studiosus in codice Pommonii, famossimo omo in decretis, incumbendo leto, in caput messum dictum barrettum, subitissimo cadebam phantasticum in somnum. Vedo grandissimo fuoc Monachii, quasi foss furiosissimum incendium in palatio ducal noster, genannt Neuvest. Jo levato per gran calor di diavulo, tremente domo, extinquebam capam alopexianam pedibus meis, nihilominus dimolita fu barba principalis non moltissimis capellis. Ond poccomanc fu perduto capitol mio serenissimo, punito per gran studi mal convenient ad un omo heroico, che son Christophorus dilectissimum fradrell voster semper aspetando danarum in saecula saeculorum.«
»Erseht daraus gar wol, vielliebste Herrn brueder, was mächtige sprach ich gewunnen hätt', daß mich kein Wellsch, Deutsch und Lateinischer verstünd. So viel minder Ir herrn, so zu land Bayern hinterm ofen sitzen vnd nichts tut, denn regiern, wie Euch dann beliebet, derzeit Unser eins schwererer müh vnd arbeit ausharrt, daß er ein gelahrter mann wurd'. Solches rechnet Ir zu nichts an, aber sendet Ir noch minder dasjenige geld anher, daß ich mich meines lebens freuen kunnt' und meine milde Hand aufthun, all wie es einem frummen Fürsten ziembt. Das ist nicht vil seins lieb, vnd stünd mir schier an, daß ich Holzäpfel verspeisete, anstatt der Orangi oder sonst was. Das schüf' Euch keinen gram. Was seid Ir ja ganz groß geizig, fast schäbig Vorseher vnd geselln vnd keineswegs christentlich gesinnt, weil Ir mir stetigen Zorn erregt. Als daß Ir mir nun hochgepietend vnd günstig seid vnd mir etliche baarschaft anhersendet! Deß verseh' ich mich auf das Sicherste, ansonst ich etwan gar per pedes apostolorum wallfahrten müßt von stadt Pavia bis dann gegen lobesamb stadt München!«
»Weil Ir nun in sprachen nit so fast wohl daheimb seid, wir aber desto fast gelahrter, mögen wir Euch obigem Welschum und narret sprachwerk auslegen.«
»Item zur Nachtzeit ist's kalt in hiesigen landen. Da habt Ir vns, Herr bruder sigmund, dereinst eine füchsene pelzhaub'n vel Barrettum verehrt, für daß wir Euch von der Wildsau errettet, so Euch ganz geschlitzt haben mochte. Hätt' Euch bewußt hernach schier gereut vnd selbs gern aufgesetzt, dieweil selbige haub'n fein 'rumgestochen vnd mit rot vnd güldenem Gezottwerk versetzt ist, daß Einer damit wol sein stattlich Ansehen hat.«
»Weil wir nun in des Pommonii buch lesen sollten, hab'n wir der Wildsau gedacht vnd selbiges Barrettum auf gesetzet, auch bei Lampenschein tiefster Studia gepflogen.«
»Da veberzog vns schlaf vnd böser traum. Kam vns auch anders nit für, denn als wärn wir zu München vnd sähen die Neuvest brennen, daß wir gar vermeinten, es fielen die feuerbränd' auf vns. Also was vns fast heiß auf unsern haubt, daß wir weiters aus dem Schlaf erfuhren. Vnd was hohe Zeit, denn uns die ganze Fuchshaub'n vel Barrettum in lichten Flammen stunde. Rißen sie demnach sammtlich herab vnd traten mit beeden fueßen darauf, daß schier das gepäu eingefallen wär, vnd löschten unser trefflich gelock. Daran ist vns großer schaden worden und der best theil abgebrunnen, daß wir schier ein Platten verspürn, wann die luft gat, als ob wir dann ein fast dreifach geweihter mann wärn. Haben auch an unserm wenigen bart groß niederlag erlitten, sint auf der linken seite Alles verkrümmt vnd verdörrt ist vnd nahmen alsogleich das schermeßer, die rupf' zu vernichten vnd alle zier auf rechter Seit' desgleichen. Da mögen wir nun warten, bis sich alles wieder kürzlich einstellt. Deß ist aber nicht so fast die red. Wär vns vnser fürstlich Haupt abgebrunnen, möchten wirs nit so getrostlich erharren, weil das so eifrig nit nachwachst.«
»Ist nun, wie Ir erseht, der Pommonius für spott und schrecken auf's beste gerächt. Wir selbsten Cristophorus aber haben vns eine gute Lehr draus gezogen, als ist: schuster bleib bei dein' leisten. Wir seind ad studia profunda nimmer geschaffen, vnd wo wirs angreifen, erfolgt uns kein segn darin. Bleiben demnach freudentlich ein frumm tapferer fürst vnd dabei gläubiger Christ, von wegen der gelahrten beweise aber vnd weiteren Gesetzen lassen wir Andere walten vnd die köpf zerbrechen.«
»Hie ist's vns nun zuwider vnd unseres bleibens nimmer. Greift nun wol in den seckel, wie's vielliebsten Gebruedern ziembt, daß wir dann mit Ehren davunkomen. Damit grueßt und küßt vns auf das Heiligiste unsere viel lieb guete muetter und hendiget Ir nebliegendes schreiben an sie selbsten aus.«
Datum Paviæ, an Pfinztag nach Pfingstn Aò d. 1462.
Christophorus,
Dux.
P. S. Per Bacco gran diavulo maldetto, vol possider como ell possibile moltissimum provison in ration onor principal. Das heißt, schafft selbiges Geld, daß wir Ew. vernunfte und fürstlichen Ehrenhaftigkeit erkennen, vnd reizet vns nit zu gottlosen Schwörens. Machts dann kurz, wir seind sunder Geld vnd kunnt vns etwa der ärmst gentilam lestern, daß er reicher wär!«
Als die herzoglichen Brüder den übermütigen Brief lasen, lachten sie beide von Herzen. Die drei Fremden wurden auf das gnädigste ausgenommen, dem Bruder Christoph aber schickten sie ein gutes Reisegeld, das war an die hundertneunundsiebzig Gulden oder achtzig. Steht später an einen geschrieben: »... wär wol Ihr sollt in ewrer Sach ainen hochen Herrn han wie dann da der Pomoni gehabt hät anHertzog Cristoffen, daß er euch an sein Brueder wies vnd dem gueten mut machet in ain deutsch vnd veberschlächtig narret welsch schreyben. ...«
Machte sich Herzog Christoph auch bald auf, ritt von Welschland aus und heim gegen München, und da er eintraf, kam er just recht zur Hochzeit. Die hielt in großen Freuden Herr Hans von Limburg mit der Renata und fand sie statt in der Herren-Trinkstube oder dem Fischbrunnen.
Dabei ging's ganz hoch her, so daß sich männiglich wunderte.
Drauf lebten die zwo und Herr Pommonius mehr Zeit zu München in der Herzoge und gelehrter, weltlich und geistlicher Herren Gunst und Freundschaft – und wohnten selb dritt am Markt im schönen Erkerhaus, so in die Dienersgasse einbiegt.
Da aber Herzog Christoph eines Abends nach Gebetläuten kam und sagte: »Guten Abend Frau Renata und Herr Hans – guten Abend Herr Pommonius, und laßt Euch was sagen. Einen trefflichen Lehrstuhl wüßt' ich und könnt' dabei in deutschen und gar bayrischen Landen bleiben« – sagte Herr Pommonius ehrerbietig entgegen: »Hoher Herr und Herzog, für soviel Gunst, Fürsorg' und hochselbsteigene Müh' dank ich Euch sicherlich von ganzem Herzen. Mir aber ist ein anderer Sinn gekommen. Seht, ich hab' mich fast viel geplagt in meinem Leben, viel gesprochen und gelehrt, dabei in Redlichkeit einig wenige Habe erworben, daß ich anderen nicht zur Last fall' und meines Lebens kurze, weitere Frist in Ruh' und Frieden verbringen kann. Also wär' nun meine Absicht mich auf nichts mehr einzulassen und mich soviel sichtlichen Glückes anderer zu erfreuen, da mir selbst das Glück der Ehe versagt war. Seht da den Hans und die Renata, wie froh sie sind – und Gott hat auch schon seinen Segen gegeben!«
»Also nehmt mich dann zum Gevatter«, sagte Herzog Christoph recht gnädig.
»O, mit was Huld und Gunst überschüttet Ihr uns, allergnädigster Herr Herzog« – fiel Herr Pommonius gerührt und freudig ein – »ich will Euch wohl auch was eingestehen. Ich bin ein rechter Tor gewesen. Hätt' ich dieselbige Jungfrau Jukunda nur flugswegs zum Ehegespons genommen, die Dekretalen wären schon wieder in Ordnung gekommen. Kurz und gut, käm' ich wieder auf die Welt, ich bliebe nimmermehr ledig und käm's zur Tauf' – mein Name müßte sein – Renatus!«