Ludwig Tieck
Franz Sternbalds Wanderungen
Ludwig Tieck

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»Du schwärmst«, sagte Roderigo, »in dieser Sprache habe ich dich noch niemals sprechen hören.«

»Ich habe die Sprache noch nicht gekannt«, fuhr Ludovico fort, »ich habe noch nichts gekannt, ich bin bis dahin taub und blind gewesen. Was fehlt uns hier, als daß Rudolph nur noch ein Lied sänge? Eins von jenen leichten, scherzenden Liedern, die die Erde nicht berühren, die mit luftigem Schritt über den goldenen Fußboden des Abendrots gehn, und von dort in die Welt hineingrüßen. Laß einmal alle Liebe, die du je empfandest, in deinem Herzen aufzittern, und dann sprich die Rätselsprache, die nur der Eingeweihte versteht.«

»So gut ich kann, will ich Euch dienen«, sagte Rudolph, »mir fällt soeben ein Lied von der Sehnsucht ein, das Euch vielleicht gefallen wird.

Warum die Blume das Köpfchen senkt,
Warum die Rosen so blaß?
Ach! die Träne am Blatt der Lilie hängt,
Vergangen das schön frische Gras.
    Die Blumen erbleichen,
    Die Farben entweichen,
    Denn sie, denn sie ist weit
    Die allerholdseligste Maid.

Keine Anmut auf dem Feld,
Keine süße Blüte am Baume mehr,
Die Farben, die Töne durchstreifen die Welt
Und suchen die Schönste weit umher.
    Unser Tal ist leer
    Bis zur Wiederkehr,
    Ach! bringt sie gefesselt in Schöne
    Zurücke ihr Farben, ihr Töne.

Regenbogen leuchtet voran
Und Blumen folgen ihm nach,
Nachtgall singt auf der Bahn,
Rieselt der silberne Bach:
    Tun als wäre der Frühling vergangen,
    Doch bringen sie sie nur gefangen,
    Wird Frühling aus dem Herbst alsbald,
    Herrscht über uns kein Winter kalt.

Ach! ihr findet sie nicht, ihr findet sie nicht,
Habt kein Auge, die Schönste zu suchen,
Euch mangelt der Liebe Augenlicht,
Ihr ermüdet über dem Suchen.
    Treibt wie Blumen die Sache als fröhlichen Scherz,
    Ach! nehmet mein Herz,
    Damit nach dem holden Engelskinde
    Der Frühling den Weg gewißlich finde.

Und habt ihr Kinder entdeckt die Spur,
Oh, so hört, oh, so hört mein ängstlich Flehn,
Müßt nicht zu tief in die Augen ihr sehn,
Ihre Blicke bezaubern, verblenden euch nur.
    Kein Wesen vor ihr besteht,
    All's in Liebe vergeht,
    Mag nichts anders mehr sein
    Als ihre Lieb allein.

Bedenkt, daß Frühling und Blumenglanz
Wo ihr Fuß wandelt, immer schon ist,
Kommt zu mir zurück mit leichtem Tanz,
Daß Frühling und Nachtgall doch um mich ist;
    Muß dann spät und früh
    Mich behelfen ohne sie,
    Mit bittersüßen Liebestränen
    Mich einsam nach der Schönsten sehnen.

Aber bleibt, aber bleibt nur wo ihr seid,
Mag euch auch ohne sie nicht wiedersehn,
Blumen und Frühlingston wird Herzeleid,
Will indes hier im bittersten Tode vergehn.
    Mich selber zu strafen,
    Im Grabe tief schlafen,
    Fern von Lied, fern von Sonnenschein
    Lieber gar ein Toter sein.

Ach! es bricht in der Sehnsucht schon
Heimlich mein Herz in der treusten Brust,
Hat die Treu so schwer bittern Lohn?
Bin keiner Sünde mir innig bewußt.
    Muß die Liebste alles erfreun,
    Mir nur die quälendste Pein?
    Treulose Hoffnung, du lächelst mich an:
    Nein, ich bin ein verlorner Mann!«

Es war lieblich, wie die Gebüsche umher von diesen Tönen gleichsam erregt wurden, einige verspäteten Vögel erinnerten sich ihrer Frühlingslieder, und wiederholten sie jetzt wie in einer schönen Schläfrigkeit. Roderigo war durch seinen Freund beherzt geworden, er erzählte nun auch sein Abenteuer mit der schönen Gräfin, und seine Freunde hörten ihn die Geschichte gern noch einmal erzählen. »Und nun, was soll ich euch sagen?« so schloß Roderigo, »ich habe sie verlassen, und denke jetzt nichts, als sie; immer sehe ich sie vor meinen Augen schweben, und ich weiß mich in mancher Stunde vor peinigender Angst nicht zu lassen. Ihr edler Anstand, ihr munteres Auge, ihr braunes Haar, alles, alle ihre Züge sah ich in meiner Einbildung. So oft bin ich in den Nächten unter dem hellgestirnten Himmel gewandelt, von meinem Glücke voll, zauberte ich mir dann ihre Gestalt vor meine Augen, und es war mir dann, als wenn die Sterne noch heller funkelten, als wenn das Dach des Himmels nur mit Freude ausgelegt sei. Ich sage dir, Freund Ludovico, alle Sinne werden ihr wie dienstbare Sklaven nachgezogen, wenn das Auge sie nur erblickt hat: jede ihrer sanften, reizenden Bewegungen beschreibt in Linien eine schöne Musik, wenn sie durch den Wald geht, und das leichte Gewand sich dem Fuße, der Lende geschmeidig anlegt, wenn sie zu Pferde steigt und im Galopp die Kleider auf- und niederwogen, oder wenn sie im Tanz wie eine Göttin schwebt, alles ist Wohllaut in ihr, wie man sie sieht, mag man sie nie anders sehn, und doch vergißt man in jeder neuen Bewegung die vorige. Es ist mehr Wollust, sie mit den Augen zu verfolgen, als in den Armen einer andern zu ruhn.«

»Nur Wein fehlt uns«, rief Florestan aus, »die Liebe ist wenigstens im Bilde zugegen.«

»Wenn ich mir denke«, sprach Roderigo erhitzt weiter, »daß sich ein andrer jetzt um ihre Liebe bewirbt, daß sie ihn mit freundlichen Augen anblickt, ich könnte unsinnig werden. Ich bin auf jedermann böse, der ihr nur vorübergeht: ich beneide das Gewand, das ihren zarten Körper berührt und umschließt. Ich bin lauter Eifersucht, und dennoch habe ich sie verlassen können.«

Ludovico sagte: »Du darfst dich darüber nicht verwundern. Ich bin nicht nur bei jedem Mädchen, das ich liebte, eifersüchtig gewesen, sondern auch bei jeder andern, wenn sie nur hübsch war. Hatte ich ein artiges Mädchen bemerkt, das ich weiter gar nicht kannte, das von mir gar nichts wußte, so stand meine Begier vor ihrem Bilde gleichsam Wache, ich war auf jedermann neidisch und böse, der nur durch den Zufall zu ihr ins Haus ging, der sie grüßte und dem sie höflich dankte. – Sprach einer freundlich mit ihr, so konnte ich mir diesen Unbekannten auf mehrere Tage auszeichnen und merken, um ihn zu hassen. Oh, diese Eifersucht ist noch viel unbegreiflicher als unsre Liebe, denn wir können doch nicht alle Weiber und Mädchen zu unserm Eigentum machen; aber das lüsterne Auge läßt sich keine Schranken setzen, unsre Phantasie ist wie das Faß der Danaiden, unser Sehnen umfängt und umarmt jeglichen Busen.«

Indem war es ganz finster geworden, der müde Pilgrim war eingeschlafen, einige Hörnertöne erschallten, aber fast ganz nahe an den Sprechenden, dann sang eine angenehme Stimme:

»Treulieb ist nimmer weit,
Nach Kummer und nach Leid
Kehrt wieder Lieb und Freud,
    Dann kehrt der holde Gruß,
    Händedrücken,
    Zärtlich Blicken,
    Liebeskuß.«

»Nun werden die Obstdiebe ertappt werden«, rief Ludovico aus.

»Ich kenne diese Melodie, ich kenne diese Worte«, sagte Sternbald, »und wenn ich mich recht erinnere – –«

Wieder einige Töne, dann fuhr die Stimme fort zu singen:

»Treulieb ist nimmer weit,
Ihr Gang durch Einsamkeit
Ist dir, nur dir geweiht.
    Bald kömmt der Morgen schön,
    Ihn begrüßet
    Wie er küsset
    Freudenträn'.«

Jetzt kamen durchs Gebüsch Gestalten, zwei Damen gingen voran, mehrere Diener folgten. Die fremde Gesellschaft war indes aufgestanden, Roderigo trat vor, und mit einem Ausruf des Entzückens lag er in den Armen der Unbekannten. Die Gräfin war es, die vor Freude erst nicht die Sprache wiederfinden konnte. »Ich habe dich wieder!« rief sie dann aus, »o gütiges Schicksal, sei gedankt!«

Man konnte sich anfangs wenig erzählen. Sie hatte, um sich zu zerstreuen, eine Freundin ihrer Jugend besucht, dieser gehörte Schloß und Garten. Von dem Unerlaubten des Übersteigens war gar die Rede nicht.

Die Abendmahlzeit stand bereit, der Pilgrim ließ sich nach seiner mühseligen Wanderschaft sehr wohl sein, Franz ward von der Freundin Adelheids (dies war der Name der Gräfin) sehr vorgezogen, da sie die Kunst vorzüglich liebte. Auch ihr Gemahl sprach viel über Malerei, und lobte den Albrecht Dürer vorzüglich, von dem er selbst einige schöne Stücke besaß.

Alle waren wie berauscht, sie legten sich früh schlafen, nur Roderigo und die Gräfin blieben länger munter.

Franz konnte nicht bemerken, ob Roderigo und die Gräfin sich so völlig ausgesöhnt hatten, um sich zu vermählen, er wollte nicht länger als noch einen Tag zögern, um seine Reise fortzusetzen, er machte sich Vorwürfe, daß er schon zu lange gesäumt habe. Er hätte gern von Roderigo sich die Erzählung fortsetzen lassen, die beim Eremiten in ihrem Anfange abgebrochen wurde, aber es fand sich keine Gelegenheit dazu. Der Herr des Schlosses nötigte ihn zu bleiben, aber Franz fürchtete, daß das Jahr zu Ende laufen, und er noch immer nicht in Italien sein möchte.

Nach zweien Tagen nahm er von allen Abschied, Ludovico wollte bei seinem Freunde bleiben, auch Florestan blieb bei den beiden zurück. Jetzt fühlte Sternbald erst, wie lieb ihm Rudolph sei, auch ergriff ihn eine unerklärliche Wehmut, als er dem Ludovico die Hand zum Abschiede reichte. Florestan war auf seine Weise recht gerührt, er versprach unserm Freunde, ihm bald nach Italien zu folgen, ihn binnen kurzem gewiß in Rom anzutreffen. Sternbald konnte seine Tränen nicht zurückhalten, als er zur Tür hinausging, den Garten noch einmal mit einem flüchtigen Blicke durchirrte. Der Pilgrim war sein Gefährte.

Draußen in der freien Landschaft, als er nach und nach das Schloß verschwinden sah, fühlte er sich erst recht einsam. Der Morgen war frisch, er ging stumm neben dem Pilger hin, erinnerte sich aller Gespräche, die sie miteinander geführt, aller kleinen Begebenheiten, die er in Rudolphs Gesellschaft erlebt hatte. Sein Kopf wurde wüst, ihm war, als habe er die Freude seines Lebens verloren. Der Pilgrim verrichtete seine Gebete, ohne sich sonderlich um Sternbald zu kümmern.

Nachher gerieten sie in ein Gespräch, worin der Pilger ihm den genauen Zustand seiner Haushaltung erzählte. Sternbald erfuhr alle die Armseligkeiten des gewöhnlichen Lebens, wie jener ein Kaufmann von mittelmäßigen Glücksumständen sei, wie er darnach trachte, mehr zu gewinnen und seine Lage zu verbessern. Franz, dem die Empfindung drückend war, aus seinem leichten poetischen Leben so in das wirkliche zurückgeführt zu werden, antwortete nicht, und gab sich Mühe, gar nicht darnach hinzuhören. Jeder Schritt seines Weges ward ihm sauer, er kam sich ganz einsam vor, es war ihm wieder, als wenn ihn seine Freunde verlassen hätten und sich nicht um ihn kümmerten.

Sie kamen in eine Stadt, wo Franz einen Brief von seinem Sebastian zu finden hoffte, von dem er seit lange nichts gehört hatte. Er trennte sich hier von dem Pilgrim und eilte nach dem bezeichneten Mann. Es war wirklich ein Brief für ihn da, er erbrach ihn begierig, und las:

 

Liebster Franz!

Wie Du glücklich bist, daß Du in freier, schöner Welt herumwanderst, daß Dir nun das alles in Erfüllung geht, was Du sonst nur in Entfernung dachtest, dieses Dein großes Glück sehe ich nun erst vollkommen ein. Ach, lieber Bruder, es will mir manchmal vorkommen, als sei mein Lebenslauf durchaus verloren: aller Mut entgeht mir, so in der Kunst, als im Leben fortzufahren. Jetzt ist es dahin gekommen, daß Du mich trösten könntest, wie ich Dir sonst wohl oft getan habe.

Unser Meister fängt an, oft zu kränkeln, er kam damals so gesund von seiner Reise zurück, aber diese schöne Zeit hat sich nun schon verloren. Er ist in manchen Stunden recht melancholisch: dann wird er es nicht müde, von Dir zu sprechen, und Dir das beste Schicksal zu wünschen.

Ich bin fleißig, aber meine Arbeit will nicht auf die wahre Art aus der Stelle rücken, mir fehlt der Mut, der die Hand beleben muß, ein wehmütiges Gefühl zieht mich von der Staffelei zurück. – Du schreibst mir von Deiner seltsamen Liebe, von Deiner fröhlichen Gesellschaft: ach, Franz, ich bin hier verlassen, arm, vergessen oder verachtet, ich habe die Kühnheit nicht, Liebe in mein trauriges Leben hineinzuwünschen. Ich spreche zur Freude: was machst du? und zum Lachen: du bist toll! – Ich kann es mir nicht vorstellen, daß mich einst ein Wesen liebte, daß ich es lieben dürfte. Ich gehe oft im trüben Wetter durch die Stadt, und betrachte Gebäude und Türme, die mühselige Arbeit, das künstliche Schnitzwerk, die gemalten Wände, und frage dann: Wozu soll es? Der Anblick eines Armen kann mich so betrübt machen, daß ich die Augen nicht wieder aufheben mag.

Meine Mutter ist gestorben, mein Vater liegt in der Vorstadt krank. Sein Handwerk kann ihn jetzt nicht nähren, ich kann nur wenig für ihn tun. Meister Dürer ist gut, er hilft ihm und auf die beste Art, so daß er mich nichts davon fühlen läßt, ich werde es ihm zeitlebens nicht vergessen. Aber warum kann ich nicht mehr für ihn tun? Warum fiel es mir noch im sechszehnten Jahre ein, ein Maler zu werden? Wenn ich ein ordentliches Handwerk ergriffen hätte, so könnte ich vielleicht jetzt selber meinen Vater ernähren. Es dünkt mir töricht, daß ich an der Ausarbeitung einer Geschichte arbeite, und indessen alles wirkliche Leben um mich her vergesse.

Lebe wohl, bleibe gesund. Sei in allen Dingen glücklich. Liebe immer noch

Deinen Sebastian.

 

Franz ließ das Blatt sinken und sah den Himmel an. Sein Freund, Dürer, Nürnberg und alle ehemaligen bekannten Gegenstände kamen mit frischer Kraft in sein Gedächtnis. »Ja, ich bin glücklich«, rief er aus, »ich fühle es jetzt, wie glücklich ich bin! Mein Leben spinnt sich wie ein goldener Faden auseinander: ich bin auf der Reise, ich finde Freunde, die sich meiner annehmen, die mich lieben, meine Kunst hat mich wider Erwarten fortgeholfen, was will ich denn mehr? Und vielleicht lebt sie doch noch, vielleicht hat sich die Gräfin geirrt. – Leben nicht Rudolph und Sebastian noch? Wer weiß, wo ich meine Eltern finde. O Sebastian, wärst du zugegen, daß ich dir die Hälfte meines Mutes geben könnte!«


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