Ludwig Tieck
Franz Sternbalds Wanderungen
Ludwig Tieck

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Wir arbeiteten in zwei benachbarten Gärten, ich verlor in meiner Dürftigkeit, in dieser Unterjochung allen Mut, aber ich hörte ihn aus der Ferne seine gewöhnlichen Lieder singen, und wenn ich ihn einmal sah, war er so freundlich und vergnügt, wie immer. Er tat gar nicht, als wäre etwas Besondres vorgefallen. Ich konnte innerlich über seinen Leichtsinn recht von Herzen böse sein, und wenn ich dann wieder sein lächelndes Gesicht vor mir sah, war aller Zorn verschwunden, alles vergessen.

Nach acht Wochen steckte er mir ein Briefchen zu, er hatte andre Christensklaven auf seine Seite gebracht, sie wollten sich eines Fahrzeugs bemächtigen und darauf entfliehen: er meldete mir, daß er mich mitnehmen wolle, wenn dieser Vorsatz gleich seine Flucht um vieles erschwere; ich solle den Mut nicht verlieren.

Ich verließ mich auf sein gutes Glück, daß uns der Vorsatz gelingen werde. Wir kamen in einer Nacht am Ufer der See zusammen, wir bemächtigten uns des kleinen Schiffs, der Wind war uns anfangs günstig. Wir waren schon tief ins Meer hinein, wir glaubten uns bald der italienischen Küste zu nähern, als sich mit dem Anbruche des Morgens ein Sturm erhob, der immer stärker wurde. Ich riet, ans nächste Land zurückzufahren, um uns dort zu verbergen, bis sich der Sturm gelegt hätte, aber mein Freund war andrer Meinung, er glaubte, wir könnten dann von unsern Feinden entdeckt werden, er schlug vor, daß wir auf der See bleiben, und uns lieber der Gnade des Sturms überlassen sollten. Seine Überredung drang durch, wir zogen alle Segel ein, und suchten uns so viel als möglich zu erhalten, denn wir konnten überzeugt sein, daß bei diesem Ungewitter uns niemand verfolgen würde. Der Wind drehte sich, Sturm und Donner nahmen zu, das empörte Meer warf uns bald bis in die Wolken, bald verschlang uns der Abgrund. Alle verließ der Mut, ich brach in Klagen aus, in Vorwürfe gegen meinen Freund. Ludovico, der bis dahin unablässig gearbeitet und mit allen Elementen gerungen hatte, wurde nun zum ersten Male in seinem Leben zornig, er ergriff mich und warf mich im Schiffe zu Boden. ›Bist du, Elender‹, rief er aus, ›mein Freund, und unterstehst dich zu klagen, wie die Sklaven dort? Roderigo, sei munter und fröhlich, das rat ich dir, wenn ich dir gewogen bleiben soll, denn wir können ins Teufels Namen nicht mehr als sterben!‹ Und unter diesen Worten setzte er mir mit derben Faustschlägen dermaßen zu, daß ich bald alle Besinnung verlor, und den Donner, die See und den Sturm nicht mehr vernahm.

Als ich wieder zu mir kam, sah ich Land vor mir, der Sturm hatte sich gelegt, ich lag in den Armen meines Freundes. ›Vergib mir‹, sagte er leutselig, ›wir sind gerettet, dort ist Italien, du hättest den Mut nicht verlieren sollen.‹ – Ich gab ihm die Hand, und nahm mir im Herzen vor, den Menschen künftig zu vermeiden, der meinem Glücke und Leben gleichsam auf alle Weise nachstellte; aber ich hatte meinen Vorsatz schon vergessen, noch ehe wir ans Land gestiegen waren, denn ich sah ein, daß er mein eigentliches Glück sei.«

Rudolph, der mit der gespanntesten Aufmerksamkeit zugehört hatte, konnte sich nun nicht länger halten, er sprang heftig auf, und rief: »Nun, bei allen Heiligen, Euer Freund ist ein wahrer Teufelskerl! Wie lumpig ist alles, was ich erlebt habe, und worauf ich mir wohl manchmal etwas zugute tat, gegen diesen Menschen! Ich muß ihn kennenlernen, wahrhaftig, und sollte ich nach dieser Seltenheit bis ans Ende der Welt laufen!«

»Wenn er nur noch lebt«, antwortete Roderigo, »denn nun ist es schon länger als ein Jahr, daß ich ihn nicht gesehen habe. Ich habe euch diesen Vorfall nur darum weitläuftiger erzählt, um euch einigermaßen einen Begriff von seinem Charakter zu geben. Meine Eltern priesen sich glücklich, als sie mich wiedersahen, aber Ludovico hatte mich bald wieder in neue Abenteuer verwickelt. Ich wollte die Schweiz und Deutschland besuchen, er wollte ohne meine Gesellschaft eine andre Reise unternehmen, es war nichts Geringeres, als daß er nach Ägypten gehen wollte, die seltsamen uralten Pyramiden, das wunderbare Rote Meer, die Sandwüsten mit ihren Sphinxen, der fruchtbare Nil, diese Gegenstände, von denen man schon in der Kindheit so viel hört, waren es, die ihn dorthin riefen. Unser Abschied war überaus zärtlich, er versprach mir, in einem Jahre nach Italien zurückzukommen; ich nahm auf ebenso lange von meinen Eltern Urlaub, und trat meine Reise nach Deutschland an.

Ich fühlte mich ohne meinen Gefährten recht einsam und verlassen, der Mut wollte sich anfangs gar nicht einstellen, der mich sonst aufrecht gehalten hatte. Die hohen Gebirge der Schweiz und in Tirol, die furchtbare Majestät der Natur, alles stimmte mich auf lange Zeit traurig, ich bereute es oft, ihm nicht wider seinen Willen gefolgt zu sein und an seinem Wahnsinne teilzunehmen. Einigemal war ich im Begriff, zu meiner Familie zurückzukehren, aber die Sucht, ein fernes Land, fremde Menschen zu sehn, trieb mich wieder vorwärts, auch die Scham, einer Lebensart untreu zu werden, die bis dahin mein höchstes Glück ausgemacht hatte. Ich will euch die einzelnen Vorfälle verschweigen, und mich zu der Begebenheit wenden, die Ursache ist, daß ihr mich hier angetroffen.

Nach manchen lustigen Abenteuern, nach manchen angenehmen Bekanntschaften langte ich in der Gegend des Schlosses an, wo ihr gekannt seid. Ich saß auf einer Anhöhe und überdachte die Mannigfaltigkeiten meines Lebenslaufs, als eine fröhliche Jagdmusik mich aufmerksam machte. Ein Zug von Jägern kam näher, in ihrer Mitte eine schöne Dame, die einen Falken auf der Hand trug; die Einsamkeit, ihr schimmernder Anzug, alles trug dazu bei, sie ungemein reizend darzustellen. Meine Sinne waren gefangengenommen, ich konnte die Augen nicht von ihr abwenden: alle Schönheiten, die ich sonst gesehn hatte, schienen mir gegen diese alltäglich, es war nicht dieser und jener Zug, der mich an ihr entzückte, nicht der Wuchs, nicht die Farbe der Wangen oder der Blick der Augen, sondern auf geheimnisvolle Weise alles dies zusammen. Es war ein Gefühl in meinem Busen, das ich bis dahin noch nicht empfunden hatte, es durchdrang mich ganz, nur sie allein sah ich in der weiten Welt, jenseit ihres Besitzes lag kein Wunsch mehr in der Welt.

Ich suchte ihre Bekanntschaft, ich verschwieg ihr meinen Namen. Ich fand sie meinen Wünschen geneigt, ich war auf dem höchsten Gipfel meiner Seligkeit. Wie arm kam mir mein Leben bis dahin vor, wie entsagte ich allen meinen Schwärmereien! Der Tag unsrer Hochzeit war festgesetzt.

Oh, meine Freunde, ich kann euch nicht beschreiben, ich kann sie selber nicht begreifen, die wunderbare Veränderung, die nun mit mir vorging! Ich sah ein bestimmtes Glück vor mir liegen, aber ich war an diesem Glücke festgeschmiedet: wie wenn ich in Meeresstille vor Anker läge, und nun sähe, wie Mast und Segel vom Schiffe heruntergeschlagen würden, um mich hier, nur hier ewig festzuhalten.

›Oh, süße Reiselust!‹ sagte ich zu mir selber, ›geheimnisreiche Ferne, ich werde nun von euch Abschied nehmen und eine Heimat dafür besitzen! Lockt mich nicht mehr weit weg, denn alle eure Töne sind vergeblich, ihr ziehenden Vögel, du Schwalbe mit deinen lieblichen Gesängen, du Lerche mit deinen Reiseliedern! Keine Städte, keine Dörfer werden mir mehr mit ihren glänzenden Fenstern entgegenblicken, und ich werde nun nicht mehr denken: Welche weibliche Gestalt steht dort hinter den Vorhängen, und sieht mir den Berg herauf entgegen? Bei keinem fremden liebreizenden Gesichte darf mir nun mehr einfallen: Wir werden bekannter miteinander werden, dieser Busen wird vielleicht am meinigen ruhn, diese Lippen werden vielleicht mit meinen Küssen vertraut sein.‹

Mein Gemüt ward hin- und zurückgezogen, häusliche Heimat, rätselhafte Fremde; ich stand in der Mitte, und wußte nicht, wohin. Ich wünschte, die Gräfin möchte mich weniger lieben, ein anderer möchte mich aus ihrer Gunst verdrängen, dann hätte ich sie zürnend und verzweifelt verlassen, um wieder umherzustreifen, und in den Bergen, im Talschatten, den frischen, lebendigen Geist wiederzusuchen, der mich verlassen hatte. Aber sie hing an mir mit allem Feuer der ersten Liebe, sie zählte die Minuten, die ich nicht bei ihr zugebracht: sie haderte mit meiner Kälte. Noch nie war ich so geliebt, und die Fülle meines Glücks übertäubte mich. Sehnsüchtig sah ich jedem Wandersmann nach, der auf der Landstraße vorüberzog; ›wie wohl ist dir‹, sagte ich, ›daß du dein ungewisses Glück noch suchst! ich habe es gefunden!‹

Ich ritt aus, um mich zu sammeln. Ich hielt mir in der Einsamkeit meinen Undank vor. ›Was willst du in der Welt als Liebe?‹ so redete ich mich selber an; ›siehe, sie ist dir geworden, sei zufrieden, begnüge dich, du kannst nicht mehr erobern: was du in einsamen Abenden mit aller Sehnsucht des Herzens erwünschtest, wonach du in Wäldern jagtest, was die Bergströme dir entgegensangen, dies unnennbare Glück ist dir geworden, ist wirklich dein, die Seele, die du weit umher gesucht, ist dir entgegengekommen.‹

Wie kam es, daß die Dörfer mit ihren kleinen Häusern so seltsamlich vor mir lagen? daß mir jede Heimat zu enge und beschränkt dünkte? Das Abendrot schien in die Welt hinein, da ritt ich vor einem niedrigen Bauernhause vorbei, auf dem Hofe stand ein Brunnen, davor war ein Mägdlein, das sich bückte, den schweren gefüllten Eimer heraufzuziehen. Sie sah zu mir herauf, indem ich stillhielt, der Abendschein lag auf ihren Wangen, ein knappes Mieder schloß sich traulich um den schönen vollen Busen, dessen genaue Umrisse sich nicht verbergen ließen. ›Wer ist sie?‹ sagte ich zu mir, ›warum hat sie dich betrachtet?‹ Ich grüßte, sie dankte und lächelte. Ich ritt fort, und rettete mich in die Dämmerung des Waldes hinein: mein Herz klopfte, als wenn ich dem Tode entgegenginge, als mir die Lichter aus dem Schlosse entgegenglänzten. ›Sie wartet auf dich‹, sagte ich zu mir, ›freundlich hat sie das Abendessen bereitet, sie sorgt, daß du müde bist, sie trocknet dir die Stirn. Nein, ich liebe sie‹, rief ich aus, ›wie sie mich liebt.‹

In der Nacht tönte der Lauf der Bergquellen in mein Ohr, die Winde rauschten durch die Bäume, der Mond stieg herauf und ging wieder unter: alles, die ganze Natur in freier, willkürlicher Bewegung, nur ich war gefesselt. Die Sonne war noch nicht aufgegangen, als ich wieder durch das Dorf ritt, es traf sich, daß das Mädchen wieder am Brunnen stand: ich war meiner nicht mehr mächtig. Ich stieg vom Pferde, sie war ganz allein, sie antwortete so freundlich auf alle meine Fragen, ich war in meinem Leben zum erstenmal mit einem Weibe verlegen, ich machte mir Vorwürfe, ich wußte nicht, was ich sprach. Neben der Tür des Hauses war eine dichte Laube, wir setzten uns nieder; die schönsten blauen Augen sahen mich an, ich konnte den frischen Lippen nicht widerstehen, die zum Kuß einluden, sie war nicht strenge gegen mich, ich vergaß die Stunde. Nachdenkend ritt ich zurück, ich wußte nun bestimmt, daß ich in dieser Einschränkung, in der Ehe mit der schönen Gräfin nicht glücklich sein würde. Ich hatte es sonst oft belacht, daß man mit dem gewechselten Ringe die Freiheit fortschenkte, jetzt erst verstand ich den Sinn dieser Redensart. Ich vermied die Gräfin, ihre Schönheit lockte mich wieder an, ich verachtete mich, daß ich zu keinem Entschlusse kommen konnte. Der Hochzeitstag war indes ganz nahe herangerückt, meine Braut machte alle Anstalten, ich hörte immer schon von den künftigen Einrichtungen sprechen; mein Herz schlug mir bei jedem Worte.

Man erzählt, daß man vor dem letzten Unglück des Markus Antonius wunderbare Töne wie von Instrumenten gehört habe, wodurch sein Schutzgott Herkules von ihm Abschied genommen: so hört ich in jedem Lerchengesange, in jedem Klang einer Trompete, jeglichen Instruments das Glück, das mir seinen Abschied wehmütig zurief. Immer lag mir die gründämmernde Laube im Sinne, das blaue Auge, der volle Busen. Ich war entschlossen. ›Nein, Ludovico‹, rief ich aus, ›ich will dir nicht untreu werden, du sollst mich nicht als Sklav wiederfinden, nachdem du mich von der ersten Kette losgemacht hast. Soll ich ein Ehemann werden, weil ich liebte? Seltsame Folge!‹

Ich nahm Abschied von ihr, ich versteckte mich in die Kleidung eines Mönchs, so streifte ich umher, und so traf ich auf jenen Bildhauer Bolz, der eben aus Italien zurückkam.

Ich glaubte in ihm einige Züge von meinem Freunde anzutreffen, und entdeckte ihm meine seltsame Leidenschaft. Er ward mein Begleiter. Wie genau lernte ich nun Laube, Haus und Garten meiner Geliebten kennen! Wie oft saßen wir da in den Nachtstunden Arm in Arm geschlungen, indem uns der Vollmond ins Gesicht schien! In der Kleidung eines gemeinen Bauern machte ich auch mit den Eltern Bekanntschaft, und schmeckte nun nach langer Zeit wieder die Süßigkeiten meiner sonstigen Lebensweise.

Dann brach ich plötzlich wieder auf; nicht weit von hier wohnt ein schönes Mädchen, die die Eltern dem Kloster bestimmt haben, sie beweint ihr Schicksal. Ich war bereit, sie in dieser Nacht zu entführen; ich vertraute dem Gefährten meinen Plan, dieser Tückische, der sie anbetet, lockt mich hierher in den dichten Wald, und versetzt mir heimlich diese Wunde. Darauf verließ er mich schnell. Seht, das ist meine Geschichte.

Unaufhörlich schwebt das Bild der Gräfin nun vor meinen Augen. Soll ich sie lassen? kann ich sie wiederfinden? soll ich einem Wesen mein ganzes Leben opfern?«

Franz sagte: »Eure Geschichte ist seltsam, die Liebe heilt Euch vielleicht einmal, daß Ihr Euch in der Beschränkung durchaus glücklich fühlt, denn noch habt Ihr die Liebe nicht gekannt.«

»Du bist zu voreilig, mein Freund«, sagte Florestan, »nicht alle Menschen sind wie du, und genau genommen, weißt du auch noch nicht einmal, wie du beschaffen bist.«

Der Einsiedler kam, um nach der Wunde des Ritters zu sehn, die sich sehr gebessert hatte.

Franz Sternbald suchte den Ritter wieder auf, nachdem Florestan ihn verlassen hatte, und sagte: »Ihr seid vorher gegen meinen Freund so willfährig gewesen, daß Ihr mich dreist gemacht habt, Euch um die Geschichte jenes alten Mannes zu bitten, dessen Ihr an dem Morgen erwähntet, als wir uns hinter Straßburg trafen.«

»So viel ich mich erinnern kann«, sagte der Ritter, »will ich Euch erzählen. – Auf einer meiner einsamen Wanderungen kam ich in ein Gehölz, das mich bald zu zwei einsamen Felsen führte, die sich wie zwei Tore gegenüberstanden. Ich bewunderte die seltsame Symmetrie der Natur, als ich auf einen schönen Baumgang aufmerksam wurde, der sich hinter den Felsen eröffnete. Ich ging hindurch, und fand einen weiten Platz, durch den die Allee von Bäumen gezogen war, ein schöner heller Bach floß auf der Seite, Nachtigallen sangen, und eine schöne Ruhe lud mich ein, mich niederzusetzen und auf das Plätschern einer Fontäne zu hören, die aus dichtem Gebüsche herausplauderte.

Ich saß eine Weile, als mich der liebliche Ton einer Harfe aufmerksam machte, und als ich mich umsah, ward ich die Büste Ariosts gewahr, die über einem kleinen Altar erhaben stand, unter dieser spielte ein schöner Jüngling auf dem Instrumente.« –

Hier wurde die Erzählung des Ritters durch einen sonderbaren Vorfall unterbrochen.


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