Ludwig Tieck
Franz Sternbalds Wanderungen
Ludwig Tieck

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Zweites Kapitel

Franz hatte einen Brief aus Straßburg mitgenommen, um ihn einem Manne in einer nicht entfernten Stadt abzugeben, dessen Bekanntschaft er zu machen wünschte. Sie waren im Begriff einen Seitenweg einzuschlagen, um auf einem Umwege jene Stadt zu besuchen, als sie, auf einem anmutigen Hügel ausruhend, zwei Gestalten auf jenem Wege auf sich zuschreiten sahen. Der eine von diesen trug einen schwarzen Mönchshabit, der andre hatte fast das Ansehn eines Soldaten, denn ihm wankten Federn vom Hut, er trug ein kurzes enges Kleid ohne Mantel, und war mit einem großen Schwert umgürtet, sein Gang wie sein Ansehen waren fest und trotzig. Die Fremden ließen sich auch auf den Hügel nieder. Nach den gewöhnlichen Begrüßungen fragte derjenige, welcher ein Geistlicher zu sein schien, mit freundlichem Wesen, ob die Wanderer vielleicht von Straßburg gekommen wären. Franz sagte: »Wir sind vor kurzem von dort aufgebrochen, und jetzt im Begriff, einen Umweg über jenes Städtchen jenseit des Waldes zu machen, um einen deutschen Bildhauer aufzusuchen, für welchen ich einen Brief mit mir führe.« »So?« sagte der Trotzige, »und sollte dieser Mann nicht vielleicht aus Nürnberg sein und Bolz heißen?« »Allerdings«, sagte Franz, »und ich verwundre mich nur, woher Ihr es wissen könnt.« »Weil ich es selber bin«, sagte jener, »man hat mir schon darüber geschrieben, wie gut, daß wir uns zufällig treffen, denn ich konnte dort nicht mehr verweilen, und hätte mir den Brief müssen nachsenden lassen.« »Ihr kommt seit kurzem aus Italien?« fragte Franz.

»Ja«, sagte Bolz, »ich gehe nun über Straßburg, und von da nach Nürnberg, meiner Vaterstadt, zurück.«

»O wie glücklich seid Ihr«, rief Sternbald aus, »Ihr seht die geliebte Heimat, den hochverehrten Dürer, den edlen Mann in wenigen Wochen! O bringt ihm und meinem Freunde Sebastian meine herzlichsten Grüße.«

»Kann vielleicht geschehen«, sagte der Bildhauer mit einer wegwerfenden Art. »Aber wer seid Ihr denn? Denn noch weiß ich nichts von Euch, nicht einmal Euren Namen.«

Franz nannte sich ihm und seinen Beruf und fragte dann begierig: »Was macht der edle Raffael von Urbin? Habt Ihr ihn gesehn?«

Der Mönch nahm das Wort: »Nein«, sagte er, »leider hat diese schönste Zier der edlen Malerkunst die Erde verlassen; er ist im vorigen Jahre gestorben. Mit ihm ist die höchste Blüte der Kunst in Italien gewelkt.«

»Wie Ihr da sprecht!« rief der Bildhauer Bolz, »und was wäre dann der unsterbliche Michel Angelo, der die höchste Höhe der Kunst erreichte, die Raffael niemals gekannt hat? Der uns gezeigt hat, was Erhabenheit sei? Dieser lebt noch, mein junger Freund, und er steht als Sieger am Ziel der Skulptur, Malerei und Baukunst, als ein hoher Genius, der jedem Schüler sein Streben andeutet und erleichtert.«

»So ist mir dieser Wunsch meines Herzens versagt?« klagte Franz, »den Mann zu sehen, der ein Freund meines Dürer war, den Dürer so bewunderte, und zu dem seit Jahren ein unnennbares Sehnen mich hinzog?«

»Nun freilich«, rief Bolz aus, »der altfränkische gutherzige Dürer hat ihn auch wohl bewundern dürfen, und für ihn steht freilich Raffael auf einer Höhe, zu der er mit Schwindeln hinaufblicken muß. Er ist aber auch nicht imstande, etwas von Angelos Größe zu verstehen, wenn er ein Werk von diesem erblicken sollte. Dagegen müssen ihm die kleinen Bilder, die mühsam und künstlich ausgeführten Spielwerke Raffaels höchst willkommen, und im ganzen verständlich sein.«

»Erlaubt«, sagte Florestan, »ich bin kein Kenner der Kunst; aber doch habe ich von Tausenden gehört, daß Raffael das Kleinod dieser Erde zu nennen sei, und wahrlich! wenn ich meinen Augen und meinem Gefühle trauen darf, so leuchtet eine erhabene Göttlichkeit aus seinen Werken.«

»Und wie Ihr von Dürer sprecht!« sagte Franz, »dieser weiß wohl das Eigne und Große an fremden Werken zu schätzen; wie könnte er sonst selber ein so großer Künstler sein? Ihr liebt Euer deutsches Vaterland wenig, wenn Ihr von seinem ersten Künstler geringe denkt.«

»Erzürnt Euch nicht«, sagte der Mönch, »denn es ist seine rauhe, wilde Art, daß er alles übertreibt. Ihm dünkt nur das Riesenhafte und Ungeheure schön, und der Sinn für alles übrige scheint ihm versagt.«

»Nun, was ist es denn auch mit Deutschland und mit unsrer einheimischen Kunst?« rief Bolz ergrimmt aus. »Wie armselig und handwerksmäßig wird sie ausgeübt und geschätzt! Noch kein wahrer Künstlergeist hat diesen unfruchtbaren deutschen Boden, diesen trüben Himmel besucht. Was soll auch die Kunst hier? Unter diesen kalten gefühllosen Menschen, die sie in dürftiger Häuslichkeit kaum als Zierat achten? Darum strebt auch keiner von den sogenannten Künstlern das Höchste und Vollkommenste zu erreichen, sondern sie begnügen sich, der kalten dürftigen Natur nahezukommen, ihr hin und wieder einen Zug außer dem Zusammenhange abzulauschen, und glauben dann, wenn sie ihr Machwerk in kahler Unbedeutsamkeit stehen lassen, was Rechtes getan zu haben. So ist Euer gepriesener Albrecht Dürer, Euer Lukas von Leyden, Euer Schoorel, ob er gleich in Italien gewesen ist, der Schweizer Holbein, und keiner von ihnen verdient zu den Malern gezählt zu werden.«

»Ihr kennt sie nicht«, rief Franz unwillig aus, »oder Ihr wollt sie mit Vorsatz verkennen. Soll denn ein Mann allein die Kunst und alle Trefflichkeit völlig bis zum letzten Grunde erschöpft haben, so daß mit ihm, nach ihm kein anderer nach dem Kranze greifen darf? Wie beengt und klein müßte dann das himmlische Gebiet sein, wenn es ein einziger Geist durchschwärmte, und wie ein Herkules an den Grenzen seine Säulen setzte, um der Nachwelt zu sagen, wie weit sie gehen könne. Mir scheint es Barbarei und Hartherzigkeit, Entwürdigung des Künstlers selbst, den ich vergöttern möchte, wenn ich ihm ausschließlich alle Kunst beilegen will. Bisher scheint mir Dürer der erste Maler der Welt; aber ich kann es mir vorstellen, und er hat es selbst oft genug gesagt, wie viele Herrlichkeiten in andern Gebieten glänzen. Ich bin entzückt, wenn ich daran zurückdenke, welchen reichen Bilderschatz, welche Sammlung edler und lieblicher Werke der Kunst ich allein auf meiner Reise in meinem geliebten Vaterlande gesehen habe. Von Nürnberg aus hat sich durch Franken bis zum Rhein Liebe und Tätigkeit verbreitet, es ist fast kein Ort, der nicht etwas Denkwürdiges aufzuweisen hätte: und denke ich der Fülle des niederländischen Fleißes, der großen und alten Werke, die allein das ehrwürdige Köln in seinen Mauern bewahrt, Malereien, die wohl weit über den Johann von Eyck hinaufzusteigen scheinen, und Größe, Kraft und tiefen Sinn aussprechen: erinnre ich mich, welche Meisterwerke in Gewand-Figuren, in hohem Ausdruck, in Färbung und unbeschreiblicher Lieblichkeit ich von diesem alten Johann gesehn habe; und gedenke ich der unzähligen reizenden und mühevollen Werke den Rhein hinunter in allen Städten; gehe von der früheren Zeit die Manieren in meiner Vorstellung durch, und treffe dann meinen hochverehrten Dürer am Schluß dieser deutschen Jahrhunderte mit der Palme des Verdienstes in der Hand, der gleichsam alle diese einzelnen Bestrebungen in sich vereint, oder geahndet, und für die Zukunft noch vielfache neue Erfindungen angedeutet hat, so freue ich mich meiner Zeit und meines Vaterlandes, am meisten aber jenes edlen Mannes, der mich ihn Freund zu nennen vergönnt: und wenn ich auch gerne glauben und zugeben will, daß das südliche Land und der hohe Michel Angelo noch ungekannte Herrlichkeiten bewahrt, so werde ich doch niemals, wie Ihr, dem deutschen Sinne ungetreu werden können.«

»Kommt nur nach Italien«, sagte Bolz, »und Ihr werdet anders sprechen.«

»Nein, Augustin«, fiel ihm der Mönch ein. »So reich die Kunstwelt dort sein mag, so wird doch dieser junge Mann, nachdem er sie kennengelernt hat, schwerlich anders sprechen. Ihr gefallt Euch in Euren Übertreibungen, in Eurer erzwungenen Einseitigkeit, und glaubt, daß es keinen Enthusiasmus ohne Verfolgungsgeist geben könne. Sternbald wird gewiß auch in Rom und Florenz seinem Dürer getreu bleiben, und er wird gewiß Angelos Erhabenheit und Raffaels Größe und Schöne mit gleicher Liebe umfassen können.«

»Und das soll er, das muß er!« rief Rudolph hier mit einem Ungestüm aus, den man sonst nicht an ihm bemerkte. »Ihr mein ungestümer Herr Polz oder Stolz, oder wie Ihr Euch nennt, habt wenig Ehre davon, daß Ihr solche Gesinnungen und Redensarten aus dem lieblichen Italien mit Euch bringt; nach Norden, nach den Eisländern hättet Ihr reisen müssen. Ihr sprecht von deutscher Barbarei, und fühlt nicht, daß Ihr selber der größte Barbar seid. Was habt Ihr in Italien gemacht, oder wo hat Euch das Herz gesessen, als Ihr im Vatikanischen Palaste vor Raffaels Unsterblichkeit standet?«

Alle mußten über den Ungestüm des Jünglings lachen, und er selbst lachte von Herzen mit, obgleich ihm eine Träne im Auge stand. »Ich bin ein Römer«, sagte er dann, »und ich gestehe, daß ich Rom unaussprechlich liebe; Raffael ist es besonders, der Rom ausgeschmückt hat, und seine hauptsächlichsten Gemälde befinden sich dort. Sagt nun, was Ihr wollt, ich werde Euch gewiß nicht noch einmal so heftig widersprechen.«

»So ist denn dieser Raffael gestorben?« fing Franz von neuem an; »wie alt ist er denn geworden?«

»Gerade neununddreißig Jahre«, sagte der Mönch. »Am Karfreitage, an diesem heiligen Tage ist er geboren, und in diesen merkwürdigen Tag ist auch wieder die Geburtsstunde seines neuen Lebens im Tode gefallen. Er war und blieb sein lebelang ein Jüngling, und aus allen seinen Werken spricht ein milder, kindlich hoher Geist. Sein letztes großes Gemälde war Christi Verklärung, worin er seine eigene Vergötterung gemalt hat, denn vielleicht ist dieses Werk das Höchste und Vollkommenste, das seine Hand nur hervorbringen konnte. Oben schwebt der Erlöser in himmlischer Glorie, neben ihm Elias und Moses, vom Boden erhoben, er in verklärter Gestalt, vom Glanz sind seine Lieblinge geblendet zu Boden gesunken, und unten am Berge sieht man die Apostel, in ihnen den Glauben und die Kraft, welche die Erde noch verwandeln und erleuchten sollen, aber noch ist um sie das Menschenleben dunkel, und sie können der entsetzlichen Not nicht abhelfen, die in Gestalt eines besessenen Knaben, der ihnen zur Heilung herbeigeführt wird, wild und gräßlich vor sie tritt. In diesem Bilde ist auf die wundersamste Weise alles vereinigt, was heilig, menschlich und furchtbar ist, die Wonne der Seligen mit dem Jammer der Welt, und Schatten und Licht, Körper und Geist, Glaube, Hoffnung und Verzweiflung bildet auf tiefsinnige, rührende und erhabene Weise die schönste und vollendetste Dichtung. Raffaels Sarg stand in der Malerstube, und dieses sein letztes vollendetes Gemälde daneben, seine eigne Verklärung. Der Finger ruhte nun auf immer, der diese Bilder in Leben und Bewegung gezaubert hatte; die bunte freundliche Welt, die aus dem Gestorbenen hervorgegangen war, stand nun neben der blassen Leiche. Ganz Rom war in Bewegung, und keiner von denen, die es sahen, konnte sich der Tränen enthalten.«


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