Ludwig Tieck
Franz Sternbalds Wanderungen
Ludwig Tieck

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Viertes Kapitel

Franz hatte in dieser Stadt einen Brief an einen Mann abzugeben, der der Vorsteher einer ansehnlichen Fabrik war. Er ging zu ihm und traf ihn gerade in Geschäften, so daß Herr Zeuner den Brief nur sehr flüchtig las und mit dem jungen Sternbald nur wenig sprechen konnte, ihn aber bat, zum Mittagsessen wiederzukommen.

Franz ging betrübt durch die Gassen der Stadt, und fühlte sich ganz fremd. Zeuner hatte für ihn etwas Zurückstoßendes und Kaltes, und er hatte gerade eine sehr freundliche Aufnahme erwartet, da er einen Brief von seinem ihm so teuern Lehrer überbrachte. Als es Zeit zum Mittagsessen schien, ging er nach Zeuners Hause zurück, das eins der größten in der Stadt war; mit Bangigkeit schritt er die großen Treppen hinauf und durch den prächtig verzierten Vorsaal: im ganzen Hause merkte man, daß man sich bei einem reichen Manne befinde. Er ward in einen Saal geführt, wo eine stattliche Versammlung von Herren und Damen, alle mit schönen Kleidern angetan, nur auf den Augenblick des Essens zu warten schienen. Nur wenige bemerkten ihn, und die zufälligerweise ein Gespräch mit ihm anfingen, brachen bald wieder ab, als sie hörten, daß er ein Maler sei. Jetzt trat der Herr des Hauses herein, und alle drängten sich mit höflichen und freundlichen Glückwünschen um ihn her; jeder ward freundlich von ihm bewillkommt, auch Franz im Vorbeigehn. Dieser hatte sich in eine Ecke des Fensters zurückgezogen, und sah mit Bangigkeit und schlagendem Herzen auf die Gasse hinunter, denn es war zum ersten Male, daß er sich in einer solchen großen Gesellschaft befand. Wie anders kam ihm hier die Welt vor, die er von anständigen, wohlgekleideten und unterrichteten Leuten über tausend nichtswürdige Gegenstände, nur nicht über die Malerei reden hörte, ob er gleich geglaubt hatte, daß sie jedem Menschen am Herzen liegen müsse, und daß man auf ihn, als einen vertrauten Freund Albrecht Dürers, besonders aufmerksam sein würde.

Man setzte sich zu Tische, er saß fast unten. Durch den Wein belebt ward das Gespräch der Gesellschaft bald munterer, die Frauen erzählten von ihrem Putze, die Männer von ihren mannigfaltigen Geschäften, der Hausherr ließ sich weitläuftig darüber aus, wie sehr er nun nach und nach seine Fabrik verbessert habe und wie der Gewinn also um so einträglicher sei. Was den guten Franz besonders ängstigte, war, daß von allen abwesenden reichen Leuten mit einer vorzüglichen Ehrfurcht gesprochen wurde; er fühlte, wie hier das Geld das einzige sei, was man achte und schätze: er konnte fast kein Wort mitsprechen. Auch die jungen Frauenzimmer waren ihm zuwider, da sie nicht so züchtig und still waren, wie er sie sich vorgestellt hatte, alle setzten ihn in Verlegenheit, er fühlte seine Armut, seinen Mangel an Umgang zum erstenmal in seinem Leben auf eine bittere Art. In der Angst trank er vielen Wein und ward dadurch und von den sich durchkreuzenden Gesprächen ungemein erhitzt. Er hörte endlich kaum mehr darauf hin, was gesprochen ward, die groteskesten Figuren beschäftigten seine Phantasie, und als die Tafel aufgehoben ward, stand er mechanisch mit auf, fast ohne es zu wissen.

Die Gesellschaft verfügte sich nun in einen angenehmen Garten, und Franz setzte sich etwas abseits auf eine Rasenbank nieder, es war ihm, als wenn die Gesträuche und Bäume umher ihn über die Menschen trösteten, die ihm so zuwider waren. Seine Brust ward freier, er wiederholte in Gedanken einige Lieder, die er in seiner Jugend gelernt hatte, und die ihm seit lange nicht eingefallen waren. Der Hausherr kam auf ihn zu, er stand auf und sie gingen sprechend in einem schattigen Gange auf und nieder.

»Ihr seid jetzt auf der Reise?« fragte ihn Zeuner.

»Ja«, antwortete Franz, »vorjetzt will ich nach Flandern und dann nach Italien.«

»Wie seid Ihr grade auf die Malerkunst geraten?«

»Das kann ich Euch selber nicht sagen, ich war plötzlich dabei, ohne zu wissen, wie es kam; einen Trieb, etwas zu bilden, fühlte ich immer in mir.«

»Ich meine es gut mit Euch«, sagte Zeuner, »Ihr seid jung und darum laßt Euch von mir raten. In meiner Jugend gab ich mich auch wohl zuweilen mit Zeichnen ab, als ich aber älter wurde, sah ich ein, daß mich das zu nichts führen könne. Ich legte mich daher eifrig auf ernsthafte Geschäfte und widmete ihnen alle meine Zeit, und seht, dadurch bin ich nun das geworden, was ich bin. Eine große Fabrik und viele Arbeiter stehn unter mir, zu deren Aufsicht, so wie zum Führen meiner Rechnungen ich immer treue Leute brauche. Wenn Ihr wollt, so könnt Ihr mit einem sehr guten Gehalte bei mir eintreten, weil mir grade mein erster Aufseher gestorben ist. Ihr habt ein sichres Brot und ein gutes Auskommen, Ihr könnt Euch hier verheiraten und sogleich antreffen, was Ihr in einer ungewissen zukünftigen Ferne sucht. – Wollt Ihr also Eure Reise einstellen und bei mir bleiben?«

Franz antwortete nicht.

»Ihr mögt vielleicht viel Geschick zur Kunst haben«, fuhr jener fort, »aber was habt Ihr mit alledem gewonnen? Wenn Ihr auch ein großer Meister werdet, so führt Ihr doch immer ein kümmerliches und höchst armseliges Leben. Ihr habt ja das Beispiel an Eurem Lehrer. Wer erkennt ihn, wer belohnt ihn? Mit allem seinem Fleiße muß er sich doch von einem Tage zum andern hinübergrämen, er hat keine frohe Stunde, er kann sich nie recht ergötzen, niemand achtet ihn, da er ohne Vermögen ist, statt daß er reich, angesehen und von Einfluß sein könnte, wenn er sich den bürgerlichen Geschäften gewidmet hätte.«

»Ich kann Euren Vorschlag durchaus nicht annehmen«, rief Franz aus.

»Und warum nicht? ist denn nicht alles wahr, was ich Euch gesagt habe?«

»Und wenn es auch wahr ist«, antwortete Franz, »so kann ich es doch so unmöglich glauben. Wenn Ihr das Zeichnen und Bilden sogleich habt unterlassen können, als Ihr es wolltet, so ist das gut für Euch, aber so habt Ihr auch unmöglich einen recht kräftigen Trieb dazu verspürt. Ich wüßte nicht, wie ich es anfinge, daß ich es unterließe, ich würde Eure Rechnungen und alles verderben, denn immer würden meine Gedanken darauf gerichtet bleiben, wie ich diese Stellung und jene Miene gut ausdrücken wollte, alle Eure Arbeiter würden mir nur ebenso viele Modelle sein: Ihr wärt ein schlechter Künstler geworden, so wie ich zu allen ernsthaften Geschäften verdorben bin, denn ich achte sie zu wenig, ich habe keine Ehrfurcht vor dem Reichtum, ich könnte mich nimmer zu diesem kunstlosen Leben bequemen. Und was Ihr mir von meinem Albrecht Dürer sagt, gereicht den Menschen, nicht aber ihm zum Vorwurf. Er ist arm, aber doch in seiner Armut glückseliger als Ihr. Oder haltet Ihr es denn für so gar nichts, daß er sich hinstellen darf und sagen: nun will ich einen Christuskopf malen! und das Haupt des Erlösers mit seinen göttlichen Mienen in kurzem wirklich vor Euch steht und Euch ansieht, und Euch zur Andacht und Ehrfurcht zwingt, selbst wenn Ihr gar nicht dazu aufgelegt seid? Seht, ein solcher Mann ist der verachtete Dürer.«

Franz hatte nicht bemerkt, daß während seiner Rede sich das Gesicht seines Wirts zum Unwillen verzogen hatte; er nahm kurz Abschied und ging mit weinenden Augen nach seiner Herberge. Hier hatte er auf seinem Fenster das Bildnis Albrecht Dürers aufgestellt, und als er in die Stube trat, fiel er laut weinend und klagend davor nieder und schloß es in seine Arme, drückte es an die Brust und bedeckte es mit Küssen. »Ja, mein guter, lieber, ehrlicher Meister!« rief er aus, »nun lerne ich erst die Welt und ihre Gesinnungen kennen! Das ist das, was ich dir nicht glauben wollte, sooft du es mir auch sagtest. Ach wohl, wohl sind die Menschen undankbar gegen dich und deine Herrlichkeit und gegen die Freuden, die du ihnen zu genießen gibst. Freilich haben Sorgen und stete Arbeit diese Furchen in deine Stirn gezogen, ach! ich kenne diese Falten ja nur zu gut. Welcher unglückselige Geist hat mir diese Liebe und Verehrung zu dir eingeblasen, daß ich wie ein lächerliches Wunder unter den übrigen Menschen herumstehn muß, daß ich auf ihre Reden nichts zu antworten weiß, daß sie meine Fragen nicht verstehen? Aber ich will dir und meinem Triebe getreu bleiben; was tut's, wenn ich arm und verachtet bin, was weiter, wenn ich auch am Ende aus Mangel umkommen sollte! Du und Sebastian, ihr beide werdet mich wenigstens deshalb lieben!«

Er hatte noch einen Brief von Dürers Freund Pirkheimer an einen angesehenen Mann der Stadt abzugeben. Er war unentschlossen, ob er ihn selber hintragen sollte. Endlich nahm er sich vor, ihn eilig abzugeben und noch an diesem Abend die Stadt, die ihm so sehr zuwider war, zu verlassen.

Man wies ihn auf seine Fragen nach einem abgelegenen kleinen Hause, in welchem die größte Ruhe und Stille herrschte. Ein Diener führte ihn in ein schön verziertes Gemach, in welchem ein ehrwürdiger alter Mann saß; er war derselbe, an welchen der Brief gerichtet war. »Ich freue mich«, sagte der Greis, »wieder einmal Nachrichten von meinem lieben Freunde Pirkheimer zu erhalten; aber verzeiht, junger Mann, meine Augen sind so schwach, daß Ihr so gut sein müßt, mir selber das Schreiben vorzulesen.«

Franz schlug den Brief auseinander und las unter Herzklopfen, wie Pirkheimer ihn als einen edlen und sehr hoffnungsvollen jungen Maler rühmte, und ihn den besten Schüler Albrecht Dürers nannte. Bei diesen Worten konnte er kaum seine Tränen zurückdrängen.

»So seid Ihr ein Schüler des großen Mannes, meines teuren Albrechts?« rief der Alte wie entzückt aus, »o so seid mir von Herzen willkommen!« Er umarmte mit diesen Worten den jungen Mann, der nun seine schmerzliche Freude nicht mehr mäßigen konnte, laut schluchzte und ihm alles erzählte.

Der Greis tröstete ihn mit liebevollen und verständigen Worten und beide setzten sich freundlich und vertraut nahe zueinander. »O wie oft«, sagte der alte Mann, »habe ich mich an den überaus köstlichen Werken dieses wahrhaft einzigen Malers ergötzt, als meine Augen noch in ihrer Kraft waren! Wie oft hat nur er mich über alles Unglück dieser Erde getröstet! O wenn ich ihn doch einmal wiedersehn könnte!«

Franz vergaß, daß er noch vor Sonnenuntergang die Stadt hatte verlassen wollen; er blieb gern, als ihn der Alte zum Abendessen bat. Bis spät in die Nacht mußte er ihm von Albrechts Werken, von ihm erzählen, dann von Pirkheimer und von seinen eigenen Entwürfen. Franz ergötzte sich an diesem Gespräch und konnte nicht müde werden, dies und jenes zu fragen und zu erzählen, er freute sich, daß der Greis die Kunst so schätzte, daß er von seinem Lehrer mit gleicher Wärme sprach.

Sehr spät gingen sie auseinander und Franz fühlte sich so getröstet und so glücklich, daß er noch lange in seinem Zimmer auf und ab ging, den Mond betrachtete, und an großen Gemälden in Gedanken arbeitete.


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