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Die Gesellschaft zerstreute sich hierauf, und Franz verließ nach dem Getümmel gern das Haus, um sich in den Schloßgarten zu begeben. Hier gesellte sich der Jäger zu ihm, der im Walde die Antwort des Liedes mit einer schönen vollen Stimme gesungen hatte, er war ein junger Edelmann, der einen der vornehmeren Dienste bei der Herrschaft versah, Arnold war sein Name. Seine Miene hatte etwas Schwermütiges und Leidendes, auch hatte er an den Scherzen und Streitigkeiten bei der Tafel keinen Anteil genommen. Er ging mit Franz in den schattigen Gängen auf und nieder, indem sie sich vertraulich von der heutigen Jagd, von Sternbalds Reise, und von der Schönheit der Gräfin unterhielten. »Da kömmt sie den Lindengang heruntergeschritten!« rief plötzlich der Jüngling mit einer lebhaften Empfindung aus, »seht, wie sich das reiche Gewand um den edlen Leib schmiegt, und der Purpur des Kleides mit den goldenen Spangen in der grünen Dämmerung schimmert, schon fliegt der Strahl der himmlischen Augen, um mich festzuhalten, aber heute wenigstens will ich einmal einer traurigen Freiheit genießen.« Mit diesen seltsamen Worten verließ er schnell den staunenden Maler. Die geschmückte Dame, die er anfangs nicht wiedererkannt hatte, schritt ihm im Gange freundlich entgegen, sie sah dem Jäger-Jünglinge vom Morgen nur wenig ähnlich. Sie begrüßte ihn freundlich, ihr Blick und ihre Rede waren holdselig, nach einem kurzen Gespräche entfernte sie sich wieder. Franz lehnte sich sinnend an einen künstlichen Springbrunnen, der mit seinen kristallenen Strahlen die Luft lieblich abkühlte, und ein sanftes Geräusch ertönen ließ, zu dem die nahen Vögel williger und angenehmer sangen. Er hörte auf den mannigfaltigen Wohllaut, auf den Wechselgesang, den der spielende Quell gleichsam mit den Waldbewohnern führte, und sein Geist entfernte sich dann wieder in eine entfernte wunderbare Zaubergegend.
»Bin ich getäuscht, oder ist es wirklich?« sagte er zu sich selber; »ich werde ungewiß, ob mir allenthalben ihr süßes Bild begegnet, oder sie meine Phantasie nur in allen Gestalten wiedererkennt. Diese Gräfin gleicht ihr, die ich nicht zu nennen weiß, die ich suche und doch zögre, für die ich nur lebe und sie doch gewiß verliere.«
Eine Flöte ertönte aus dem Gebüsch, und Franz setzte sich auf eine schattige Rasenbank, um den Tönen ruhiger zuzuhören. Als der Spielende eine Weile musiziert hatte, sang eine wohlbekannte Stimme folgendes Lied:
»Holdes, holdes Sehnsuchtrufen Aus dem Wald, vom Tal herauf: Klimm herab die Felsenstufen, Folge diesem Locken, Rufen, Hoffnung tut sich, Glück dir auf. Wohl seh ich Gestalten wanken Komm Erinnrung, liebe Treue, Kinder lieben ja die Scherze, Wald und Tal, ihr grüne Hügel Erd und Himmel nun in Küssen Morgenröte kommt gegangen, Lieb und Mailust ist verschwunden, |
Es war Rudolph, der nun hervortrat, und sich zu Sternbald an den Rand des Springbrunnens niedersetzte. »Ich erkannte dich wohl«, sagte Franz, »aber ich wollte dich in deinem zärtlichen Gesange nicht stören; doch siehst du muntrer aus, als ich dich erwartet hätte.«
»Ich bin recht vergnügt«, sagte Florestan, »der heutige Tag ist einer meiner heitersten, denn ich kenne nichts Schöneres, als so recht viel und mancherlei durcheinander zu empfinden, und deutlich zu fühlen, wie durch Kopf und Herz gleichsam goldne Sterne ziehen, und den schweren Menschen wie mit einer lieben wohltätigen Flamme durchschimmern. Wir sollten täglich recht viele Stimmungen und frische Anklänge zu erleben suchen, statt uns aus Trägheit in uns selbst und die alltägliche Gewöhnlichkeit zu verlieren.«
»Gewiß«, sagte Sternbald, »nur muß es nicht geschehn, bloß um mit uns selbst ein Spiel zu treiben, denn das Schöne und Ersprießliche ist, daß diese Stimmungen und Anregungen mit goldnem Schlüssel die Kammern unsers Geistes eröffnen, und uns die Schätze zeigen, die wir selber noch nicht kannten. So entsteht ein reiches und vielseitiges Leben, ein vertrauter und wohltuender Umgang mit uns selbst, und wir entfliehen jener abgeschlossenen Geistesarmut, die anfangs alles eigensinnig und spröde von sich weiset, und endlich durch nichts mehr gerührt und entzückt wird, denn der Mensch soll nicht sagen: ›Dieses will und werde ich niemals denken und fühlen!‹ aber er soll auch die Entzückungen seines Herzens nicht vergeuden, bloß um die Zeit auszufüllen, sonst verarmt er ebenfalls, und vielleicht noch schneller, auf diesem Wege. Darum hat mir auch der Schluß deines heutigen Trinkliedes nicht gefallen wollen; vielleicht ist mir überhaupt der Scherz und Leichtsinn unverständlich, der nicht zugleich Tiefsinn und Ernst sein könnte.«
»Nun so suche den Schlüssel zu bekommen«, rief Rudolph, »der dir auch diese Geisteskammer noch einmal eröffnet. Wie bist du denn heute so gar schwerfällig geworden, daß du es mit einer augenblicklichen Begeisterung so ernst und strenge nimmst? Laß doch der unschuldigen Poesie ihren Gang, wenn der klare Bach sich einmal ergießt. Liebster, sollen wir denn nicht auch unsre Gedanken, Fühlungen, Wünsche, Tränen und Lachen zuzeiten in die spielende Natur der Töne auflösen dürfen? Ich kann der Flöte, jedem Klange, der Nachtigall, dem Wasserfall, dem Baumgeräusch so innig zuhören, daß mein Seele ganz Ton wird. Man könnte sich, wenn man sonst Lust hätte, ein ganzes Gesprächstück von mancherlei Tönen aussinnen.«
»Es kann sein«, antwortete Franz, »von Blumen kann ich es mir gewissermaßen vorstellen. Es ist freilich immer nur ein Charakter in allen diesen Dingen, wie wir ihn als Menschen wahrzunehmen vermögen.«
»So geschieht alle Kunst«, antwortete Florestan; »die Tiere können wir schon richtiger fühlen, weil sie uns etwas näher stehn. Ich hatte einmal Lust, aus Lämmern, einigen Vögeln und andern Tieren eine Komödie zu formieren, aus Blumen ein Liebesstück, und aus den Tönen der Instrumente ein Trauer-, oder, wie ich es lieber nennen möchte, ein Geisterspiel.«
»Die meisten Leute würden es zu phantastisch finden«, sagte Sternbald.
»Das würde gerade meine Absicht sein«, antwortete Rudolph, »wenn ich mir Mühe geben wollte, es niederzuschreiben. Sieh, es ist indes schon Abend geworden. Kennst du Dantes großes Gedicht?«
»Nein«, sagte Franz.
»Auf eine ähnliche ganz allegorische Weise ließe sich vielleicht eine Offenbarung über die Natur schreiben, wenn es dem Dichter verliehen wäre, so wie der große Florentiner von Begeisterung und prophetischem Geiste durchdrungen zu sein. Aber laß das; versuchen wir einmal einen Wechselgesang, ob er uns heut so ohne Vorbereitung gelingt, da wir neulich unterbrochen wurden.«
»Wir können es wenigstens wagen«, sagte Franz; »aber du mußt das Silbenmaß setzen.«
Rudolph fing an:
Wer hat den lieben Frühling aufgeschlagen Gleich wie ein Zelt In blühnder Welt? Wer konnte Wolkennacht verjagen? Das Tal voll Sonne, Der Wald mit Wonne Und Lied durchklungen: – Der Lieb ist nur so schönes Werk gelungen. Franz Rudolph Franz Rudolph Franz Rudolph Franz Rudolph |
»Und darum wollen wir lieber aufhören«, sagte Rudolph, indem er aufstand, »denn ich gehöre selbst nicht zu den unbescholtensten.«
Die beiden Freunde gingen zurück. Der Abend hatte sich schon mit seinen dichtesten Schatten über den Garten ausgestreckt, und der Mond ging eben auf. Franz stand sinnend am Fenster seines Zimmers, und sah nach dem gegenüberliegenden Berge, der mit Tannen und Eichen bewachsen war, zu ihm hinauf schwebte der Mond, als wenn er ihn erklimmen wollte, das Tal glänzte im ersten funkelnd gelben Lichte, der Strom ging brausend dem Berge und dem Schlosse vorüber, eine Mühle klapperte und sauste in der Ferne, und nun aus einem entlegenen Fenster wieder die nächtlichen Hörnertöne, die dem Monde entgegengrüßten, und drüben in der Einsamkeit des Bergwaldes verhallten.
»Müssen mich diese Töne durch mein ganzes Leben verfolgen?« seufzte Franz; »wenn ich einmal zufrieden und mit mir zur Ruhe bin, dann dringen sie wie eine feindliche Schar in mein innerstes Gemüt, und wecken die kranken Kinder, Erinnerung und unbekannte Sehnsucht wieder auf. Dann drängt es mir im Herzen, als wenn ich wie auf Flügeln hinüberfliegen sollte, höher über die Wolken hinaus, und von oben herab meine Brust mit neuem, schöneren Klange anfüllen, und meinen schmachtenden Geist mit dem höchsten, letzten Wohllaut ersättigen. Ich möchte die ganze Welt mit Liebesgesang durchströmen, den Mondschimmer und die Morgenröte anrühren, daß sie mein Leid und Glück widerklingen, daß die Melodie Bäume, Zweige, Blätter und Gräser ergreife, damit alle spielend mein Lied wie mit Millionen Zungen wiederholen müßten.« –
In der Einsamkeit spielte und sang er in leisen Tönen folgendes Lied, in welchem er die heitre Beklemmung, die süße Müdigkeit, die Träume, die schon die Stunde der Nacht im voraus besuchen, aussprechen wollte.
Mondscheinlied
Träuft vom Himmel der kühle Tau, Tun die Blumen die Kelche zu, Spätrot sieht scheidend nach der Au, Flüstern die Pappeln, sinkt nieder die nächtige Ruh. Kommen und gehn die Schatten, Schimmern die Sterne und schwinden wieder, Hinterm Wasser wie flimmende Flammen, Welle, rollst du herauf den Schein, Fangen die Geister auf den Fluten zu springen, Flimmern die Wellen, Wie die Wolken wandelt mein Sehnen, Bist du nah, bist du weit, Kömmt's aus dem Walde? schleicht's vom Tal? Und Zukunft wird Vergangenheit! Wolken schwinden, |