Ludwig Tieck
Franz Sternbalds Wanderungen
Ludwig Tieck

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Sie lehnte sich, in sich hineinlächelnd, an den Baumstamm, und sang dann mit lauter Stimme:

    »Was halt ich hier in meinem Arm?
Was lächelt mich an so hold und warm?
Es ist der Knabe, die Liebe!
Ich wieg ihn und schaukl' ihn auf Knie und Schoß,
Wie hat er die Augen so hell und groß!
O himmlische, himmlische Liebe!

    Der Junge hat schön krausgoldenes Haar,
Den Mund wie Rosen hell und klar,
Wie Blumen die liebliche Wange;
Sein Blick ist Wonne und Himmel sein Kuß,
Red und Gelach Paradiesesfluß,
Wie Engel die Stimm im Gesange.

    Und liebst du mich denn? – Da küßt er ein Ja!
Und wie ich ihm tief in die Augen nun sah,
Da schlägt er mir grimmige Schmerzen;
O böses Kind! ei wie tückisch du!
Wo ist deine Milde, die liebliche Ruh?
Wo deine Sanftmut, dein Scherzen?

    Da geht ein süß Lächeln ihm übers Gesicht:
Ich liebe dich nicht! ich liebe dich nicht!
Da setz ich ihn nieder zu Füßen.
O weh mir! so ruft nun und weinet das Kind,
Du Böse, o nimm mich auf geschwind,
Ich will, ich muß dich küssen.

    Ich heb ihn empor, er schreiet nur fort,
Er hört auf kein liebkosendes Wort,
Er spreitelt mit Beinen und Händen:
Mich ängstiget und betäubt sein Geschrei,
Mich rühren die rollenden Tränen dabei,
Er will die Unart nicht enden.

    Und größer die Angst, und größer die Not,
Ich wünsche mir selbst und dem Kleinen den Tod,
Ich nehm ihn und wieg ihn zum Schlafe:
Und wie er nur schweigt, und wie er nur still,
Vergaß ich, daß ich ihn züchtigen will,
Meine Lieb seine ganze Strafe.

    Da schlummert er süß, es hebt sich die Brust
Vom lieben Atem, ich sättge die Lust
Und kann genug nicht schauen:
Wie ist er so still? Wie ist er so stumm?
Er schlägt nicht, und wirft sich nicht wild herum,
Er tobt nicht! es befällt mich ein Grauen.

    O könnte der Schlaf nicht Tod auch sein?
Ich weck ihn mit Küssen; nun hör ich ihn schrein,
Nun schlägt er, nun kost er, meine Wonne, mein Sorgen,
Dann drückt er mich an die liebliche Brust,
Nun bin ich sein Feind, dann Freund ihm und Lust: –
So geht's bis zum Abend vom Morgen.«

Der Ausdruck war unbeschreiblich, mit welchem sie diese Verse sang, die sie im Augenblicke zu erfinden schien. Franz war in ihrem Anblick verloren. Sie stand auf und lehnte sich ermüdet an ihn, er mußte sie durch die Baumgänge bis nach dem Garten des Schlosses zurückführen. »Noch einmal dank ich Euch für die tröstliche Nachricht«, sagte sie mit einem Händedrucke, verließ ihn und ging hüpfend in das Haus. Franz sah ihr lange nach, dann setzte er sich in einer abgelegenen Laube nieder, und dachte über die wundersamen Gefühle, die ihm ihr wechselndes Betragen, ihr Liebreiz und ihre Erzählung erregt hatten. Der junge Arnold gesellte sich zu ihm, und da dieser ihn so tiefsinnig sah, sagte er: »Wie nun, mein junger Maler, wie steht es um Euch? Fühlt Ihr auch schon die zauberischen Netze, die sich um Euch her ziehen, und denen Ihr bald nicht mehr werdet entrinnen können, wenn Ihr nicht kühn sie früh genug zerreißt? Ich sah Euch heut mit einem Gefühl von Eifersucht und Mitleid nach; gesteht es nur, daß Ihr Euch an einem gefährlichen Abhange befindet.«

Franz erzählte ihm treuherzig, was vorgefallen war, und verschwieg ihm den Eindruck nicht, den die Schönheit und die reizende Beweglichkeit der Gräfin auf ihn gemacht hatten. »Ja«, rief Arnold aus, »es ist etwas Furchtbares in dieser Schönheit, wenn sie ohne Schonung so grausam mit ihrer Macht spielen will. Ich bin seit meiner frühen Jugend in diesem Hause, und sah dieses sonderbare und reizende Wesen sich bilden. Sie ist die Freundlichkeit und Liebe selbst, mit Wohlwollen, ja Zärtlichkeit kommt sie jedem entgegen, sie weiß Vertrauen zu erregen, und bald meint der Getäuschte, daß er ihr unentbehrlich sei. Doch wie ihm das lose Spiel sich in Ernst verwandelt, wie sie es fühlt, daß jener sie sucht und wünscht, daß das leichte Verhältnis sich fest und fester knüpfen soll, so zieht sie sich zurück, doch ohne den Faden zu zerschneiden, an welchem der Gefangene flattert. So hatten sich ihr viele Männer mancherlei Gemütes aus der Nachbarschaft und Ferne genähert, und alle waren in diese seltsame Jagd befangen worden. So gewöhnt, aus dem Leben, der Liebe, der Rührung und dem süßen Wechsel zarter Empfindungen ein Spiel zu machen, und jeden neuen Gegenstand als Spiegel zu gebrauchen, in welchem sie sich selbst nur mit Wohlgefallen betrachtete, erschien ihr endlich jener Ritter aus Franken, von dem sie Euch erzählt hat. Er war ein feingebildeter, ja schöner Mann, weich und poetisch wie sie selbst, ebenso in Träumen lebend und süßen Gefühlen schwelgend. Sie wurden sich bald unentbehrlich, einer schien des andern nur bedurft zu haben, um den ganzen Reichtum seines innern Lebens zu erkennen und zu genießen. Endlich war gefunden, was sie umsonst bisher gesucht hatte, und sie erklärten laut ihre bevorstehende Verbindung.

Das ernste Wort war ausgesprochen, welches den Liebenden seines unwandelbaren Glückes versichert, beide aber schienen vor diesem Ernst des Lebens zurückzuzittern, der alle ihre Träume und ihr buntes Spielwerk zu zerbrechen drohte. Und gewiß, hat die Leidenschaft nicht so alle Kräfte ergriffen, die tiefste Sehnsucht das ganze Herz so durchdrungen, daß beide sich wie zum Tode gern und willig opfern, und keine Jugend mehr leben, und keine neuen Wünsche und Rührungen mehr finden wollen, so darf die Seele, die in den Wogen des Wohllauts schwimmt und mit Träumen der Entzückungen gaukelt, davor erzittern, daß nun das Höchste, das letzte Ziel errungen werden soll, hinter welchem Wahrheit, Ruhe, stille Befriedigung, wie ebenso viele graue Gespenster hervorzudrohen scheinen. So denke ich mir ihren Zustand, um mir einigermaßen zu erklären, was geschah. Er mochte in sich, noch mehr aber im Gegenstande seiner Liebe fühlen, wie das Herz noch etwas anderes als dieser Liebe bedürfe, wie sie nicht ihn selbst, sondern nur die Schimmer der Phantasie vergötterte, die aus ihr zu ihm hinüberleuchteten, und darum erweckte er sich freiwillig aus seinem Traume, und entfloh.

Sie war tief gekränkt, gestört, aber wie ich sie kenne, nicht wahrhaft unglücklich. Die Trauer und der Schmerz waren noch nie in ihre Seele gekommen, nun konnte sie sich an diesen üben, und sie zu ihren Spielgefährten machen. Sie schmückte sie auch so reizend auf, sie machte sie so schön, daß man zugeben mußte, daß sich neue wundersame Gaben und Bezauberungen an diesem verführerischen Weibe durch sie enthüllten, und ich machte die Erfahrung, daß ich sie anbetete, indem ich ihr zu zürnen glaubte, daß alle jene Mängel, die ich zu kennen wähnte und in stolzer Sicherheit schalt, sich plötzlich gegen mich selbst umwandten, und mir so holde Engelsangesichter zeigten, daß ich verehrend, geblendet niederfiel, und freudig meinem Verderben entgegeneilte.

Jetzt wurde ich ihr Vertrauter und tröstender Freund. Entfliehe der Mann doch diesen Klagen und Tränen eines schönen Weibes, diese Flut der geschmolzenen Perlen nimmt ihn unwiderstehlich mit, er tritt in die Vorhalle zum Herzen seiner Freundin und will bald selbst der Gegenstand ihrer Trauer und Tränen werden. Sie mochte sich nicht an dem gewöhnlichen Trost, an Musik, an Zerstreuung begnügen, ihr Leben selbst wollte sie zu einem Gedichte erhöhen, und ich war derjenige, der ihr zum Dichter und Maler ihrer Szenen dienen mußte. Sie liest die herrlichen Liebesgedichte unsrer Vorfahren, sie kennt sie alle und ich trug sie ihr von neuem vor, und jeder rührende Vers, jede Schilderung, in der sie Beziehung entdeckte, ward wiederholt, hergesagt, auswendig gelernt und gesungen. Aber sie befriedigt sich damit nicht, ich muß ihr eigne neue Lieder dichten, die wir abwechselnd singen, wie Ihr denn neulich eins dergleichen bei Eurer Ankunft gehört habt, diese müssen einfach in wenigen Akzenten das Gefühl gleichsam mehr anklingen, als aussprechen. So schweifen wir durch die Wälder, jagen, singen, und erfreuen uns der Natur und der Einsamkeit, die Waldhörner müssen den Schmerz mit ihren Tönen verherrlichen, sie selbst ist schön geschmückt in vielen abwechselnden Trachten, bald als Frau, bald als Jäger und Jüngling, als Amazone oder als Fürstin. Zuweilen fällt es ihr ein, als Isalde, Sigune oder Enite aufzutreten, von denen sie in ihren Büchern liest, in phantastischer Kleidung schweift sie dann mit ihrer Gesellschaft durch die Täler und Haine, und mir Unglücklichen fällt es dann anheim, den sehnlich erwarteten Tristan oder Iwein darzustellen, sie täuscht sich dann selbst mit ihrer Zärtlichkeit und ist glücklich, aber mir Armen, ihr so nahe, vor ihr knieend, ihre Hände und Arme fassend, in ihren schönen Locken tändelnd, leuchtet dann ein Paradies entgegen, und blitzend davor der Engel mit dem Feuerschwerte.

Nicht ist die Gefahr für die schuldlose Jungfrau so groß, wenn sie auf solche Weise mit dem Feuer scherzt, das die Welt durchglüht und erhellt, denn nur Wohlwollen, Vertrauen, Freundschaft, höchstens Zärtlichkeit erregen sich in ihrem Gemüte, und nur diese verlangt sie von dem Manne, mit dem sie den Tanz zwischen den bloßen Schwertern übt. Aber wehe dem Manne! Erst entzündet sich ein süßes Wohlgefallen, eine klare Heiterkeit in seiner Seele, er schwebt leicht durch die glänzenden Stunden, wie der Schmetterling durch den Frühlingsschein, dann faßt ihn der stärkere Strom, und im frischeren Leben fühlt er sich gebadet und erquickt, er triumphiert und jauchzt auf den Wogen, die ihn heben und tragen, den blühenden Ufern, den Traubenhügeln vorüber. Bald aber genügt ihm nicht diese Ruhe, an sich und in sich will er reißen, was ihn aus der Ferne entzückt, die Freude an der Schönheit wird im innigsten Verständnis Anbetung, Aufopferung seiner selbst: nun blitzt das Erkennen in der tiefsten Seele auf, nicht mehr daß dieses Wesen schön und liebreizend sei, sondern nur daß es dieses einzelne bestimmte, in Ewigkeiten nicht zum zweitenmal erscheinende Wesen ist, und die flammende Liebe erwacht mit den heiligen Glutaugen, und sieht und fühlt und denkt und weiß nichts anders als sie, nur sie. O Verzweiflung! sie wendet sich ab, und will nur Schönheit und Lockung, nicht diese Einzige sein: da mischt die Anbetung und Heiligkeit des Himmels sich mit den Greueln der Hölle, die liebliche Lockung wird heiße Begier, im Genuß möchte der Unglückliche die Verehrte entweihen und vernichten, da sie ihm Liebe, Unschuld und Himmel versagt, und wieder kämpft mit diesen schwefelgelben Gewittern das sanfte Licht der Kindereinfalt, die ehemalige Heiterkeit, der Blumenfriede der glücklichen Tage, die man aber doch selbst um diese Qualen nicht zurückkaufen möchte. Ihr seht mich staunend an, indem ich Euch diese Abgründe male, ich fühle, Ihr versteht mich nicht; und wohl Euch in diesem Seelenfrieden!«

Er verließ ungestüm den sinnenden Jüngling, der ihm lange nachsah, und die sonderbaren Erscheinungen, die an diesem Tage in ihm aufgestiegen waren, nicht genug mit Verwundern betrachten konnte, die ihm in ihrer Seltsamkeit bekannt, und doch in ihrer Nähe so fremd und fern erschienen.


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