Ludwig Tieck
Franz Sternbalds Wanderungen
Ludwig Tieck

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Es rührte mich, ich nahm Abschied und begab mich auf den Weg zur Stadt. Je näher ich dem Tore kam, je mehr fiel es mir auf, je wunderlicher kam ich mir vor, daß ich mit einem so langen Stabe näher schritt. Ich dachte daran, wie es allen Einwohnern der Stadt, allen meinen Bekannten auffallen müsse, wenn ich mit dem langen Holze durch die Gassen zöge, an dem oben ein großes Bild sich zeigte. ›Dem ist leicht vorzubeugen‹, dachte ich bei mir selber, und schon hatte ich meine Faust angelegt, den bunten Knopf herunterzubrechen, um ihn in die Tasche zu stecken, und den übrigen Teil des Stocks dann im Felde fortzuwerfen.

Ich hielt wieder ein. ›Wie viele mühevolle Stunden‹, sagte ich, ›hast du, Alter, darauf verwandt, um den künstlichen Fisch mit dem Stocke zusammenzuhängen, dir wäre es leichter gewesen, ihn für sich zu schneiden, und wie grausam müßte es dir dünken, daß ich jetzt aus falscher Scham die schwerste Aufgabe deines mühseligen Werks durchaus vernichten will.‹

Ich warf mir meine Barbarei vor, und war mit diesen Gedanken schon in das Tor gekommen, ohne es zu bemerken. Es ängstete mich gar nicht, daß die Leute mich aufmerksam betrachteten; wohlbehalten und unverletzt setzte ich in meinem Zimmer den Stock unter andern Kunstsachen nieder. Die Arbeit nahm sich zwar nun nicht mehr so gut aus, als im freien Felde, aber innigst rührte mich immer noch der unermüdliche Fleiß, diese Liebe, die sich dem lieblosen Holze, der undankbaren Materie so viele Tage hindurch angeschlossen hatte.

Indem ich das Werk noch betrachtete, fiel mir der Maler wieder in die Gedanken. Es gereute mich nun recht herzlich, daß ich so unfreundlich von ihm gegangen war. Ihm war die Bildung seiner Hand und seiner Phantasie auch so befreundet, die er nur für eine Nichtswürdigkeit einem Fremden auf immer überlassen sollte. Ich schämte mich, zu ihm zu gehn und meine Reue zu bekennen, aber da standen die Gestalten der armen Kinder vor meinen Augen, ich sah die dürftige Wohnung, den bekümmerten Künstler, der, von der ganzen Welt verlassen, die Bäume und benachbarten Felsen als seine Freunde anredete. ›Wie einsam ist der Künstler‹, seufzte ich laut, ›den man nur wie eine schätzbare Maschine behandelt, die die Kunstwerke hervorgibt, die wir lieben, den Urheber selbst aber vernachlässigen: es ist ein gemeiner, verdammlicher Eigennutz.‹

Ich schalt meine Scham, die mich an dem Tage fast zweimal grausam gemacht hatte; noch vor Sonnenuntergang ging ich nach dem Walde hinaus. Als ich vor dem Hause stand, hörte ich den Alten drinnen musizieren; es war eine wehmütige Melodie, die er spielte, er sang dazu:

    ›Von aller Welt verlassen
Bist du, Maria, nah,
Wenn Mensch und Welt mich hassen
Stehst du mir freundlich da,
So bin ich nicht verlassen
Wenn ich dein Auge sah.‹

Mein Herz klopfte, ich riß die Tür auf, und fand ihn vor seinem Gemälde sitzen. Ich fiel ihm weinend um den Hals, und er wußte erst nicht, was er aus mir machen sollte. ›Mein steinernes Herz‹, rief ich aus, ›hat sich erweicht, verzeiht mir das Unrecht, das ich Euch heut morgen tat.‹

Ich gab ihm für sein Bild weit mehr, als er gefordert, als er erwartet hatte, er dankte mir mit wenigen Worten. ›Ihr seid‹, fuhr ich fort, › mein Wohltäter, nicht ich der Eurige, ich gebe, was Ihr von jedem erhalten könnt, Ihr schenkt mir die kostbarsten, innersten Schätze Eures Herzens.‹

Der Maler sagte: ›Wenn Ihr das Bild abholen laßt, so erlaubt mir nur, daß ich manchmal, wenn es Euch nicht stört, oder Ihr nicht zu Hause seid, in Eure Wohnung kommen darf, um es zu betrachten. Eine unbezwingbare Wehmut nagt an meinem Herzen, alle meine Kräfte erliegen, und das Bild ist vielleicht das letzte, das meine Hände erschaffen haben. Dazu so trägt die Muttergottes die Bildung meiner gestorbenen Gattin, des einzigen Wesens, das mich auf Erden jemals wahrhaftig geliebt hat: ich habe lange daran gearbeitet, meine beste Kunst, mein herzlichster Fleiß ist in diesem Gemälde aufbewahrt.‹

Ich umarmte ihn wieder: wie herzensarm, wie verlassen, wie gekränkt und einsam schien mir nun derselbe Mann, den ich am Morgen noch glaubte beneiden zu können! – Er wurde von diesem Tage mein Freund, wir ergötzten uns oft, indem wir vor seinem Bilde Hand in Hand saßen.

Aber er hatte recht. Nach einem halben Jahre war er gestorben, er hatte mancherlei angefangen, aber nichts vollendet. Seine übrigen Arbeiten wurden in einer Versteigerung ausgeboten, ich habe vieles an mich gehandelt.

Mitleidige Menschen nahmen die Kinder zu sich: auch ich unterstütze sie. Ein Tägelöhner wohnt mit seiner Familie nun in der Hütte, wo sonst die Kunst einheimisch war, wo sonst freundliche Gesichter von der Leinwand blickten. Oft gehe ich vorüber und höre einzelne Reden der Einwohner, oft seh ich auch den alten Hirten noch. – Niemals kann ich an diesen Vorfall ohne heftige Rührung denken.« –

Sternbald weinte und Vansen sagte: »Ja wohl ist dergleichen zu bejammern, und ich habe immer gern Künstlern geholfen und von ihnen arbeiten lassen; was der Frühling der Welt, ist die Kunst dem übrigen Menschenleben.«

»Neben jenem Punkte«, sagte der Alte, »den die Erzählung, mag sie nun offen da sein, oder nicht, erörtern soll, lehrt sie auch, wie selbstsüchtig diese scheinbar zartesten Gefühle den Menschen machen können, und so könnte ich, wenn ich streiten wollte, sie als eine Bestätigung meiner natürlichen Behauptungen ansehn, da sie doch gegen diese hauptsächlich zu kämpfen scheint. So ist das meiste im Leben doppelt und vielfach, und es ist gut, sich zu gewöhnen, die Dinge von verschiedenen, oft entgegengesetzten Seiten anzusehn.«

Als sich nach dem heitern Abendessen die übrigen Gäste entfernten, blieb Sternbald zurück und folgte dem Vansen auf dessen Wink in ein abgelegenes Zimmer. »Lange schon«, fing der Alte an, »habe ich über eine Sache mit Euch sprechen wollen, aber noch immer nicht die gelegene Zeit dazu treffen können.«

Sie setzten sich und Vansen fuhr in einem vertraulichen Tone fort: »Je mehr ich Euch kennenlerne, lieber Sternbald, je mehr muß ich Euch hochschätzen, denn die jugendliche Schwärmerei, die Euch zuzeiten mit sich fortreißt, wird sich gewiß mit den Jahren verlieren. Seht, das ist das einzige, was ich allenfalls gegen Euch hätte, aber sonst lieb ich Euch so sehr, wie ich bis jetzt noch keinen Menschen wertgehalten habe. Dazu bekennt Ihr Euch zu einer Kunst, die ich von Jugend auf vorzüglich verehrt habe. Ich will Euch näherkommen. Ich weiß nicht, ob Ihr das sonderbare Betragen meiner Tochter bemerkt habt, seit Ihr in unserm Hause bekannt geworden seid; meine Sara war sonst nie so melancholisch, sondern die Lustigkeit selbst; seit sie Euch gesehn hat, ist ihr ganzer Sinn umgewandt. Sagt mir aufrichtig, wie gefällt sie Euch?«

Franz versicherte, daß er sie sehr liebenswürdig finde, und der Vater fuhr fort: »Seit vielen Jahren habe ich es mir fest vorgenommen, und es ist ein Vorsatz, von dem ich gewiß nicht weiche, daß niemand als ein geschickter Maler mein Eidam werden soll. Es kommt nun bloß auf Euch an, ob ich in Euch meinen Mann gefunden habe. Ich weiß alles, was Ihr mir antworten könnt, aber laßt mich ausreden. Ich will Euch damit keinesweges von Eurer Reise zurückhalten, sondern ich muntre Euch vielmehr selber auf, Italien zu besuchen und dort zu studieren. Meine Tochter liebt Euch, Ihr versprecht Euch mit ihr, und mein Vermögen macht Euch die Reise bequemer und nützlicher. Ihr kommt dann zurück, und was ich besitze sichert Euch vor dem Mangel. Ihr könnt dann Eurer Kunst, wie Ihr Euch immer gewünscht habt, mit allen Kräften obliegen. Ihr braucht nicht des Gewinstes wegen zu arbeiten, was Ihr uns neulich mit so vieler Rührung als das größte Unglück des Künstlers vorstelltet, und wodurch ich selber bewegt wurde; Ihr werdet bekannt und berühmt, meine Tochter ist mit Euch glücklich, und alle meine Wünsche sind erfüllt.«

Franz war heftig bewegt, er dankte in den wärmsten Ausdrücken dem Kaufmann für sein Wohlwollen, er bat ihn, noch jetzt keine entscheidende Antwort zu verlangen und sein Zögern nicht übel zu deuten. Er verließ ihn, und schweifte mit tausend Vorstellungen durch die Straßen umher. So nahe auf ihn zu war das wirkliche Leben noch nie getreten, um sein inneres poetisches zu verdrängen, und doch war es ein weit höheres, als seine Pflegemutter oder Zeuner ihm anbieten konnten; er fühlte sich angezogen und zurückgestoßen, das schöne Bild seiner Phantasie stand bald ganz hell vor ihm, bald rückte es tief in den Hintergrund hinab. Hier bot sich ihm ganz unverhofft eine sichere Zukunft an, eine Lebensweise, wie sie immer sein Wunsch gewesen war, und man forderte nichts weiter von ihm, als einen Schatten, ein Traumbild aufzuopfern, das nicht sein war. Doch fürchtete er sich wieder, so seinen Lebenslauf zu bestimmen und sich selber Grenzen zu setzen; die Sehnsucht rief ihn wieder in die Ferne hinein, seltsame Töne lockten ihn und versprachen ihm ein goldenes Glück, das weit ab seiner warte. »Mein Leben fängt an ein Leben zu werden«, rief er aus, »sich so zu gestalten, wie ich es seit früher Kindheit nur mit Sehnsucht wünschen konnte, Liebe und Wohlwollen kommen mir entgegen und tragen das Füllhorn, das mich gegen Unglück und Demütigungen beschützen soll, in reichen Händen. Und was ist es denn, was sich in mir dagegen auflehnt? Ein Nachtgebild, ein Traumgespenst, das mit phantastischen fremden Wundern gekränzt ist. Kann mich das Schicksal auf gelindere Weise aus meinem Traume voll Unmöglichkeiten wecken? Wäre ich nicht wahnsinnig, das gewisseste, edelste Gut gegen jenen Schatten eines Schattens auf das Spiel zu setzen?«

Er dachte, wie sehnlich Sara seiner Antwort warten möchte, und mit welchen Leiden sie sich ihm so lange verborgen habe: es schien ihm, daß er es diesem lieben Wesen schuldig sei, ihr alle diese um ihn erduldeten Schmerzen zu vergüten, und in dieser Stimmung besuchte er am andern Morgen seinen Freund Rudolph. So vertraut er mit diesem war, so konnte er ihm doch nie seine Geschichte, so wie seine wunderbare Liebe entdecken, es war nur Sebastian, dem er dergleichen vertrauen durfte. Aber er erzählte ihm jetzt Vansens Vorschlag, und bat um seinen Rat. »Wie soll ich dir hierin raten?« rief Rudolph lachend aus; »das Ratgeben ist überall eine unnütze Sache, aber vollends bei der Ehe; jeder Mensch muß sein eigenes Glück machen: und dann kommt auch deine Frage viel zu früh, denn du weißt ja nicht einmal, ob dich das Mädchen auch wirklich haben will.«

Franz stutzte. Das Wort Ehe erweckte überdem mancherlei Vorstellungen bei ihm. Er sah alle die Szenen einer ruhigen Häuslichkeit vor sich, Kinder, die ihn umgaben, er hörte die Gespräche seines Schwiegervaters und der Freunde, er fühlte seine frische Jugend verschwunden und sich eingelernt in die ernsteren Verhältnisse des Lebens; seine wunderbaren Gefühle und Wünsche, das zauberische Bild seiner Geliebten, alles hatte Abschied genommen und sein Herz hing an nichts mehr glühend. Es war wie ein klarer geschäftiger Tag, der nach der Pracht des Morgenrots erwacht; wie eine Rede nach einem ausgeklungenen Liede. Seine Brust war beängstigt, er wußte sich nicht zu fassen und verließ unmutig den lachenden Florestan. »Wie ist es mit dem Leben?« dachte er bei sich selber, »irgendeinmal ist dieser Taumel der Jugend doch verflogen, endlich einmal nimmt mich doch jenes Leben in Empfang, dem ich jetzt so scheu aus dem Wege trete. Wie wird mir sein, wenn meine schönen Träume hinter mir liegen?«

Er nahm sich vor, sich durch ein offenes Gespräch mit der Tochter selbst bestimmen zu lassen. Mit schwerem Herzen lenkte er in die Gasse ein und zitterte, als er das Haus erblickte und betrat, doch schritt er mutiger die Treppe hinan, als wenn ihm eine frohe Ahndung entgegenkäme.


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