Ludwig Tieck
Franz Sternbalds Wanderungen
Ludwig Tieck

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Siebentes Kapitel

Franz hatte sich gleich bei seiner Ausreise vorgenommen, seinem Geburtsorte ein Gemälde von sich zum Angedenken zu hinterlassen. Der Gedanke der Verkündigung der Geburt Christi lag ihm noch im Sinn, und er bildete ihn weiter aus und malte fleißig. Aber bei der Arbeit fehlte ihm diese Seelenruhe, die er damals in seinem Briefe geschildert hatte, alles hatte ihn betäubt und die bildende Kraft erlag oft den Umständen. Er fühlte es lebhaft wieder, wie es ganz etwas anders sei, in einer glücklichen Minute ein kühnes und edles Kunstwerk zu entwerfen, und es nachher mit unermüdeter Emsigkeit und dem nie ermattenden Reiz der Neuheit durchzuführen. Mitten in der Arbeit verzweifelte er oft an ihrer Vollendung, er wollte es schon unbeendigt stehen lassen, als ihm Dürers Brief zur rechten Zeit Kraft und Erquickung schenkte. Jetzt endigte er schneller, als er erwartet hatte.

Wir wollen hier dem Leser dieses Bild kürzlich beschreiben. Ein dunkles Abendrot dämmerte auf den fernen Bergen, denn die Sonne war schon seit lange untergegangen, in dem bleichroten Scheine lagen alte und junge Hirten mit ihren Herden, dazwischen Frauen und Mädchen; die Kinder spielten mit Lämmern. In der Ferne gingen zwei Engel durch das hohe Korn, und erleuchteten mit ihrem Glanze die Landschaft. Die Hirten sahen mit stiller Sehnsucht nach ihnen, die Kinder streckten die Hände nach den Engeln aus, das Angesicht des einen Mädchens stand völlig im rosenroten Schimmer, vom fernen Strahl der Himmlischen erleuchtet. Ein junger Hirt hatte sich umgewendet, und sah mit verschränkten Armen und tiefsinnigem Gesichte der untergegangenen Sonne nach, als wenn mit ihr die Freude der Welt, der Glanz des Tages, die anmutigen und erquickenden Strahlen verschwunden wären; ein alter Hirt faßte ihn beim Arm, um ihn umzudrehen und ihm die Freudigkeit zu zeigen, die von morgenwärts herschritt. Dadurch hatte Franz der untergegangenen Sonne gegenüber gleichsam eine neuaufgehende darstellen wollen, der alte Hirt sollte den jungen beruhigen und zu ihm sagen: »Selig sind die nunmehr sterben, denn sie werden in dem Herrn sterben!« Einen solchen zarten, trostreichen und frommen Sinn hatte Franz für den vernünftigen und fühlenden Beschauer in das Gemälde zu bringen gesucht.

Er hatte es nun vollendet, und stand lange nachdenkend und still vor seinem Werke. Er empfand eine wunderbare Beklemmung, die er an sich nicht gewohnt war, es ängstete ihn, von dem teuren Werke, an dem er mehrere Wochen mit so vieler Liebe gearbeitet hatte, Abschied zu nehmen. Das glänzende Bild der ersten Begeisterung war während der Arbeit aus seiner Seele gänzlich hinweggelöscht, und er fühlte darüber eine trübe Leere in seinem Innern, die er mit keinem neuen Entwurfe, mit keinem Bilde wieder ausfüllen konnte. »Ist es nicht genug«, sagte er zu sich selber, »daß wir von unsern lebenden Freunden scheiden müssen? Müssen auch noch jene befreundeten Lichter in unsrer Seele Abschied von uns nehmen? So gleicht unser Lebenslauf einem Spiele, in dem wir unaufhörlich verlieren, wo wir halb verrückt stets etwas Neues einsetzen, das uns kostbar ist, und niemals keinen Gewinn dafür austauschen. Es ist seltsam, daß unser Geist uns treibt, die innere Entzückung durch das Werk unsrer Hände zu offenbaren, und daß wir, wenn wir vollendet haben, in unserm Fleiß uns selbst nicht wiedererkennen.«

Das Malergeräte stand unordentlich um das Bild her, die Sonne schien glänzend auf den frisch aufgetragenen Firnis, er hörte das taktmäßige Klappen der Drescher in den Scheuren, in der Ferne das Vieh auf dem Anger brüllen, und die kleine Dorfglocke gab mit bescheidenen Schlägen die Zeit des Tages an; alle Tätigkeit, alle menschliche Arbeit kam ihm in diesen Augenblicken so seltsam vor, daß er lächelnd die Hütte verließ, und wieder seinem geliebten Walde zueilte, um sich von der innern Verwirrung zu erholen.

Im Walde legte er sich in das Gras nieder und sah über sich in den weiten Himmel, er überblickte seinen Lebenslauf und schämte sich, daß er noch so wenig getan habe. Er betrachtete jedes Werk eines Künstlers als ein Monument, das er den schönsten Stunden seiner Existenz gewidmet habe; um jedes wehen die himmlischen Geister, die dem bildenden Sinn die Entzückungen brachten, aus jeder Farbe, aus jedem Schatten sprechen sie hervor. »Ich bin nun schon dreiundzwanzig Jahr alt«, rief er aus, »und noch ist von mir nichts geschehn, das der Rede würdig wäre; ich fühle nur den Trieb in mir und meine Mutlosigkeit, der frische tätige Geist meines Lehrers ist mir nicht verliehen, mein Beginnen ist zaghaft, und alle meine Bildungen werden die Spur dieses zagenden Geistes tragen.«

Er kehrte zurück als es Abend war, und las seiner Pflegemutter einige fromme Gesänge aus einem alten Buche vor, das er in seiner Kindheit sehr geliebt hatte. Die frommen Gedanken und Ahndungen redeten ihn wieder an wie damals, er betrachtete sinnend den runden Tisch mit allen seinen Furchen und Narben, die ihm so wohlbekannt waren, er fand die Figuren wieder, die er manchmal am Abend heimlich mit seinem Messer eingeritzt hatte, und er mußte über die ersten Versuche seiner Zeichenkunst lächeln. »Mutter«, sagte er zu der alten Brigitte, »am künftigen Sonntage wird nun mein Gemälde in unsrer Kirche aufgestellt, da müßt Ihr den Gottesdienst nicht versäumen.« »Gewiß nicht, mein Sohn«, antwortete die Alte, »das neue Bild wird mir zu einer sonderlichen Erbauung dienen; unser Altargemälde ist kaum mehr zu erkennen, das erweckt keine Rührung, wenn man es ansieht. Aber sage mir, was wird am Ende aus solchen alten Bildern?«

»Sie vergehn, liebe Mutter«, antwortete Franz seufzend, »wie alles übrige in der Welt. Es wird eine Zeit kommen, wo man keine Spur mehr von den jetzigen großen Meistern antrifft, wo die unerbittliche, unkünstliche Hand der Zeit alle Denkmale ausgelöscht hat.«

»Das ist aber schlimm«, sagte Brigitte, »daß alle diese mühselige Arbeit so vergeblich ist; so unterscheidet sich ja deine Kunst, wie du es nennst, von keinem andern Gewerbe auf der Erde. Der Mann, dessen Altarblatt nun abgenommen werden soll, hat sich gewiß auch recht gefreut, als seine Arbeit fertig war, er hat es auch gut damit gemeint; und doch ist das alles umsonst, denn nun wird das vergessen, und er hat vergeblich gearbeitet.«

»So geht es mit aller unsrer irdischen Tätigkeit«, antwortete Franz, »nichts als unsre Seele ist für die Unsterblichkeit geschaffen, unsre Gedanken an Gott sind das Höchste in uns, denn sie lernen sich schon in diesem Leben für die Ewigkeit ein, und folgen uns nach. Sie sind das schönste Kunstwerk, das wir hervorbringen können, und sie sind unvergänglich.«

Am Sonntage ging Franz mit einigen Arbeitsleuten früh in die Kirche. Das alte Bild wurde losgemacht; Franz wischte den Staub davon ab und betrachtete es mit vieler Rührung. Es stellte die Kreuzigung vor, und manche Figuren waren ganz verloschen, es war eins von denen Gemälden, die noch ohne Öl gearbeitet waren, die Köpfe zeigten sich hart, die Gewänder steif, und Zettel mit Sprüchen verbreiteten sich aus dem Munde der Personen. Sternbald bemühte sich sehr, den Namen des Meisters zu entdecken, aber vergebens; er sorgte dann dafür, daß das Bild nicht weggeworfen wurde, sondern er verschloß es selbst in einen Schrank der Kirche, damit auch künftig ein Kunstfreund dies alte Überbleibsel wiederfinden könne.

Jetzt war sein Gemälde befestigt, die Glocke fing zum ersten Male an, durch das ruhige Dorf zu läuten, Bauern und Bäuerinnen waren in ihren Stuben, und besorgten emsig ihren festlichen Anzug. Man hörte keinen Arbeiter, ein schöner heitrer Tag glänzte über die Dächer, die alten Weiden standen ruhig am kleinen See, denn kein Wind rührte sich. Franz ging auf der Wiese, die hinter dem Kirchhofe lag, hin und her, er zog die ruhige heitre Luft in sich, und stillentzückende Gedanken regierten seinen Geist. Wenn er nach dem Walde sah, empfand er eine seltsame Beklemmung; in manchen Augenblicken glaubte er, daß dieser Tag sehr merkwürdig für ihn sein würde; dann verflog es aus seiner Seele wie eine ungewisse Ahndung, die zuweilen nächtlich um den Menschen wandelt, und beim Schein des Morgens schnell entflieht. Es war jetzt nicht mehr sein Gemälde, was ihn beschäftigte, sondern etwas Fremdes, das er selbst nicht kannte.

So ist die Seele des Künstlers oft von wunderlichen Träumereien befangen, denn jeder Gegenstand der Natur, jede bewegte Blume, jede ziehende Wolke ist ihm eine Erinnerung, oder ein Wink in die Zukunft. Heereszüge von Luftgestalten wandeln durch seinen Sinn hin und zurück, die bei den übrigen Menschen keinen Eingang antreffen: besonders ist der Geist des Dichters ein ewig bewegter Strom, dessen murmelnde Melodie in keinem Augenblicke schweigt, jeder Hauch rührt ihn an und läßt eine Spur zurück, jeder Lichtstrahl spiegelt sich ab, er bedarf der lästigen Materie am wenigsten, und hängt am meisten von sich selber ab, er darf in Mondschimmer und Abendröte seine Bilder kleiden, und aus unsichtbaren Harfen niegehörte Töne locken, auf denen Engel und zarte Geister herniedergleiten, und jeden Hörer als Bruder grüßen, ohne daß sich dieser oft aus dem himmlischen Gruße vernimmt und nach irdischen Geschäften greift, um nur wieder zu sich selber zu kommen. In jenen beklemmten Zuständen des Künstlers liegt oft der Wink auf eine neue nie betretene Bahn, wenn er mit seinem Geiste dem Liede folgt, das aus ungekannter Ferne herübertönt. Oft ist jene Ängstlichkeit ein Vorgefühl der unendlichen Mannigfaltigkeit der Kunst, wenn der Künstler glaubt, Leiden, Unglück oder Freuden zu ahnden.

Jetzt hatte die Glocke zum letzten Male geläutet, die Kirche war schon angefüllt, Sternbalds Mutter hatte ihren gewöhnlichen Platz eingenommen. Franz stellte sich in die Mitte der kleinen Kirche und das Orgelspiel und der Gesang hub an; die Kirchtür ihm gegenüber war offen, und das Gesäusel der Bäume tönte herein. Franz war in Andacht verloren, der Gesang zog wie mit Wogen durch die Kirche, die ernsten Töne der Orgel schwollen majestätisch herauf, und sprachen wie ein melodischer Sturmwind auf die Hörer herab; aller Augen waren während des Gesanges nach dem neuen Bilde gerichtet. Franz sah auch hin und erstaunte über die Schönheit und rührende Bedeutsamkeit seiner Figuren, sie waren nicht mehr die seinigen, sondern er empfand eine Ehrfurcht, einen andächtigen Schauer vor dem Gemälde. Es schien, als wenn sich unter den Orgeltönen die Farbengebilde bewegten und sprächen und mitsängen, als wenn die fernen Engel näher kämen, und jeden Zweifel, jede Bangigkeit mit ihren Strahlen aus dem Gemüte hinwegleuchteten, er empfand eine unaussprechliche Wonne in dem Gedanken ein Christ zu sein. Von dem Bilde glitt dann sein Blick nach dem grünen Kirchhofe vor der Türe hin, und es war ihm, als wenn Baum und Gesträuch außerhalb auch mit Frömmigkeit beteten, und unter der umarmenden Andacht ruhten. Aus den Gräbern schienen leise Stimmen der Abgeschiedenen herauszusingen, und mit Geistersprache den ernsten Orgeltönen nachzueilen; die Bäume jenseit des Kirchhofs standen betrübt und einsam da, und hoben ihre Zweige wie gefaltete Hände empor, und freundlich legten sich durch die Fenster die Sonnenstrahlen weit in die Kirche hinein. Die unförmlichen steinernen Bilder an der Mauer waren nicht mehr stumm, die fliegenden Kinder, mit denen die Orgel verziert war, schienen in lieber Unschuld auf ihrer Leier zu spielen, um den Herrn, den Schöpfer der Welt zu loben.

Sternbalds Gemüt ward mit unaussprechlicher Seligkeit angefüllt, er empfand zum ersten Male den harmonischen Einklang aller seiner Kräfte und Gefühle, ihn ergriff und beschirmte der Geist, der die Welt regiert und in Ordnung hält, er gestand es sich deutlich, wie die Andacht der höchste und reinste Kunstgenuß sei, dessen unsre menschliche Seele nur in ihren schönsten und erhabensten Stunden fähig ist. Die ganze Welt, die mannigfaltigsten Begebenheiten, Unglück und Glück, das Niedre und Hohe, alles schien ihm in diesen Augenblicken zusammenzufließen, und sich selbst nach einem kunstmäßigen Ebenmaße zu ordnen. Tränen flossen ihm aus den Augen, und er war mit sich, mit der Welt, mit allem zufrieden.

Schon in Nürnberg war es oft für ihn eine Erquickung gewesen, sich aus dem Getümmel des Marktes und des verworrenen geräuschvollen Lebens in eine stille Kirche zu retten: da hatte er oft gestanden, die Pfeiler und das erhabene Gewölbe betrachtet, und das Gewühl vergessen, er hatte es immer empfunden, wie diese heilige Einsamkeit auf jedes Gemüt gut wirken müsse, aber noch nie hatte er diese reine, erhabne Entzückung genossen.

Die Orgel schwieg, und man vernahm aus der Ferne über die Wiese her das Schnauben von Pferden und einen schnellrollenden Wagen. Franz hob seine Augen auf; in demselben Augenblick eilte das Fuhrwerk der Kirche vorüber, ein Rad fuhr ab, der Wagen stürzte, und zwei junge Mädchen und ein alter Mann waren im Begriff zu fallen, als Franz schon hinzugeeilt war und den Wagen hielt, indem der Fuhrmann die Pferde hemmte. Die Schönste und, wie es schien, die Herrin der übrigen, lag in seinen Armen, ihr Kopf ruhte an seinem Gesicht, geringelte blonde Haare, die durch den plötzlichen Sturz sich unter einer reichen Goldhaube losgemacht hatten, waren wie ein glänzendes Netz um beide gespreitet, aus dem grünen Atlasmantel wogte nahe an ihm ein blendend weißer Busen in heftiger Bewegung des Erschreckens. Endlich erhob sie das durchdringlich blaue Auge und dankte ihm lächelnd. Alle stiegen ab, und Franz war geschäftig, die Fremden zu bedienen, indessen der Fuhrmann seinen Wagen wieder einrichtete. Die schöne Fremde betrachtete unsern Freund aufmerksam, er schien mehr erschrocken als sie, er bat sie mit gerührtem Ton, sich zu erholen. Er wußte nicht, was er sagen sollte; die blauen Augen des Mädchens begegneten ihm und er errötete, der alte Mann sprach mit der Dienerin. Die Fremde lehnte sich auf seinen Arm, wie ermüdet, und so traten sie in die Kirche ein; sie ließ sich auf ein Knie nieder und bekreuzte sich, nach dem Altar gewendet, sehr andächtig, was der Gemeine auffiel, dann erhob sie sich und sagte: »Welch ein herrliches, rührendes Altarbild!« »Ja wohl«, sagte Franz, außer sich vor Entzücken, und sie fuhr fort: »Gewiß von Dürer, oder einem seiner Schüler, herrliche Werke haben die Deutschen hervorgebracht.« Franz verstummte und zitterte. Indes war der Wagen wieder instand gesetzt, sie schritten wieder aus der Kirche, und Franz ängstete sich, daß sie nun wieder abreisen würde; noch gingen sie unter den duftenden Bäumen auf und ab, und der Gesang scholl ihnen aus der Kirche entgegen. Nun stiegen die Fremden wieder auf, der junge Maler fühlte sein Herz heftig schlagen, die holde Gestalt dankte ihm noch einmal, und nun flog der Wagen fort. Er sah ihnen nach, so weit er konnte; jetzt nahten sie einem fernen Gebüsche, der Wagen verschwand, er war wie betäubt.

Als er wieder zu sich erwachte, sah er im Grase, wo er gestanden hatte, eine kleine zierliche Brieftasche liegen. Er nahm sie schnell auf und entfernte sich damit; es war kein Zweifel, daß sie der Fremden gehören müsse. Es war unmöglich, dem Wagen nachzueilen, er hatte auch nicht gefragt, wohin sie sich wenden wolle, und ebensowenig wußte er den Namen der Reisenden. Alles dies beunruhigte ihn erst jetzt, als er die Brieftasche in seinen Händen hielt. Er mußte sie behalten, und wie teuer war sie ihm! Er wagte es nicht, sie zu eröffnen, sondern eilte mit ihr seinem geliebten Walde zu; hier setzte er sich auf dem Platze nieder, der ihm so heilig war, hier machte er sie mit zitternden Händen auf, und das erste, was ihm in die Augen fiel, war ein Gebinde wilder vertrockneter Blumen. Er blickte um sich her, er besann sich, ob es ein Traum sein könne, er konnte sich nicht zurückhalten, er küßte die Blumen und weinte heftig: innerlich ertönte der Gesang des Waldhorns, den er in der Kindheit gehört hatte.

Auf einem Blättchen stand geschrieben: »Diese Blümchen erhielt ich von dem schönsten und freundlichsten Knaben, als ich sechs Jahr alt, meine erste Reise über Mergentheim machte.«

»So bist du es gewesen, mein Genius, mein schützender Engel!« rief er aus. »Du bist mir wieder vorüber gegangen, und ich kann mich nicht finden, ich kann mich nicht zufriedengeben. Auf diesem Platze hier sind diese Blumen gewachsen, schon vierzehn Sommer sind indessen über die Erde gegangen, und auf diesem Platze halte ich nach so langer Zeit das teure Geschenk wieder in meinen Händen. Du warst es, Botin des Himmels, für die ich mein erstes Bild aufgestellt habe, dein Auge mußte es erleuchten, deinen Wohlgefallen hat es erregt, und du hast dein Knie in frommer Herzensdemut davor geneigt. O wann werd ich dich wiedersehen? Kann es Zufall sein, daß du mir wieder begegnet bist?«

Es gibt Stunden, in denen das Leben einen gewaltsamen, schnellen Anlauf nimmt, wo die Blüten plötzlich aufbrechen und alles sich in und um den Menschen verändert. Dieser Tag war für Sternbald ein solcher; er konnte sich gar nicht wieder erholen, er wünschte nichts und dürstete doch nach den wunderbarsten Begebenheiten, er sah über seine Zukunft wie über ein glänzendes Blumenfeld hin, und doch genügte ihm keine Freude, er war unzufrieden mit allem, was da kommen konnte, und doch fühlte er sich so überselig.

Außerdem enthielt das Taschenbuch nichts, woraus er den Namen oder den Aufenthalt der wunderbaren Fremden, mit der er doch so vertraut zu sein wähnte, hätte erfahren können. Auf der einen Seite stand:

»zu Antwerpen ein schönes Bild von Lukas von Leyden gesehn.«

und dicht darunter:

»ebendaselbst, ein unbeschreibliches schönes Kruzifix vom großen Albert Dürer.«

Er küßte das Blatt zu wiederholten Malen, er konnte heut seine Empfindungen durchaus nicht bemeistern. Es war ihm zu seltsam und zu erfreulich, daß die Engelsgestalt, die er so fernab im Traume seiner Kindheit gesehen hatte, seinen Dürer verehrte, den er so genau kannte, dessen Freund er war, daß sie ihn durch ihr Lob seines ersten Gemäldes zum Künstler geweiht hatte. Sein Schicksal schien ein wunderbarer Einklang von Gesängen, er konnte nicht genug darüber sinnen, ja er konnte an diesem Tage vor Entzücken nicht müde werden.


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