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Am Morgen erkundigte sich Franz nach der Wohnung des berühmten Lukas von Leyden. Man bezeichnete ihm die Straße und das Haus, und er ging mit hochschlagendem Herzen hin. Er ward in eine ansehnliche Wohnung geführt, eine Magd sagte ihm, daß der Herr sich schon in seiner Malerstube befinde und arbeite. Franz bat, daß man ihn hineinführen möchte. Die Tür öffnete sich, und Franz sah einen kleinen, freundlichen, ziemlich jungen Mann vor einem Gemälde sitzen, an dem er fleißig arbeitete, um ihn her standen und hingen vielerlei Schildereien, einige Farbenkasten, Zeichnungen und Anatomien, aber alles in der besten Ordnung. Der Maler stand auf und ging Franzen entgegen, der Schüler war jetzt mit seinen Augen dem Gesicht des berühmten Meisters gegenüber, und vermochte in der ersten Verwirrung kein Wort hervorzubringen. Endlich faßte er sich, nannte seinen Namen und den Namen seines Lehrers. Lukas hieß ihn von Herzen willkommen, und beide setzten sich nun in der Werkstatt nieder, und Franz erzählte ganz kurz seine Reise, und sprach von einigen merkwürdigen Gemälden, die er unterwegs angetroffen hatte. Er beschaute während dem Sprechen aufmerksam das Bild, an welchem Lukas eben arbeitete; es war eine Heilige Familie, er traf darinnen vieles von einigen Dürerschen Arbeiten an, denselben Fleiß, dieselbe Genauigkeit im Ausmalen, nur schien ihm an Lukas' Bildern Dürers strenge Zeichnung zu fehlen, ihm dünkte, als wären die Umrisse weniger dreist und sicher gezogen; dagegen hatte Lukas etwas Liebliches und Anmutiges in den Wendungen seiner Gestalten, ja auch in seiner Färbung, das dem Dürer mangelte. Dem Geiste nach, glaubte er, müßten diese beiden großen Künstler sehr nahe verwandt sein, er sah hier dieselbe Einfalt in der Zusammensetzung, dieselbe Verschmähung unnützer Nebenwerke, die rührende und echt deutsche Behandlung der Gesichter und Leidenschaften, dasselbe Streben nach Wahrheit.
Lukas war in seinem Gespräche ein muntrer, fröhlicher Mann, seine Augen waren sehr lebhaft, und seine schnell veränderlichen Mienen begleiteten und erklärten jedes seiner Worte. Franz konnte ihn noch immer nicht genug betrachten, denn in seiner Einbildung hatte er ihn sich ganz anders gedacht, er hatte einen großen, starken, ernsthaften Mann erwartet, und nun sah er eine kleine, sehr behende, aber fast kränkliche Figur vor sich, und die Gebärden und Reden des Meisters trugen alle das Gepräge eines lustigen freien Gemütes.
»Es freut mich ungemein, Euch kennenzulernen«, rief Lukas mit seiner Lebhaftigkeit aus, »aber vor allen Dingen wünschte ich einmal Euren Meister zu sehen, ich wüßte nichts Erfreulicheres, das mir begegnen könnte, als wenn er so, wie Ihr heut tatet, in meine Werkstatt hereinträte; ich bin auf keinen andern Menschen in der Welt so neugierig, als auf ihn, denn ich halte ihn für den größten Künstler, den die Zeiten hervorgebracht haben. Er ist wohl sehr fleißig?«
»Er arbeitet fast immer«, antwortete Franz, »und er kennt auch kein größeres Vergnügen als seine Arbeit. Seine Emsigkeit geht so weit, daß er dadurch sogar manchmal seiner Gesundheit Schaden tut.«
»Ich will es gern glauben«, antwortete Lukas, »es zeugen seine Kupferstiche von einer fast unbegreiflichen Sorgfalt, und doch hat er deren schon so viele ausgehn lassen! Man kann nichts Sauberers sehn, als seine Arbeit, und doch leidet unter diesem Fleiße die Wahrheit und der Ausdruck seiner Darstellungen niemals, so daß seine Emsigkeit nicht bloß zufällige Zier, sondern Wesen und Sache selbst ist. Und dann begreife ich kaum die mannigfaltigen Arten seiner Arbeiten, von den kleinsten und feinsten Gemälden bis zu den lebensgroßen Bildern, dann seine Kupferarbeiten, seine saubern Figuren, die er auf Holz in erhabener Arbeit geschnitten, und die so leicht, so zierlich sind, daß man trotz ihrer Vollendung die Arbeit ganz daran vergißt, und gar nicht an die vielen mühseligen Stunden denkt, die der Künstler darüber zugebracht haben muß. Wahrlich, Albert ist ein äußerst wunderbarer Mann, und ich halte den Schüler für sehr glücklich, dem es vergönnt ist, unter seinen Augen seine erste Laufbahn zu eröffnen.«
Franz war immer gerührt, wenn von seinem Lehrer die Rede war; aber dies Lob, diese Verehrung seines Meisters aus dem Munde eines andern großen Künstlers setzte sein Herz in die gewaltsamste Bewegung. Er drückte Lukas' Hand und sagte mit Tränen: »Glaubt mir, Meister, ich habe mich vom ersten Tage glücklich geschätzt, da ich Dürers Haus betrat.«
»Es ist eine seltsame Sache mit dem Fleiße«, fuhr Lukas fort, »so treibt es auch mich Tag und Nacht zur Arbeit, so daß mich manchmal jede Stunde, ja jede Minute gereut, die ich nicht in dieser Stube zubringen darf. Von Jugend auf ist es so mit mir gewesen, und ich habe auch nie an Spielen, Erzählungen, oder dergleichen zeitvertreibenden Dingen Gefallen gefunden. Ein neues Bild liegt mir manchmal so sehr im Sinne, daß ich davor nicht schlafen kann. Ich weiß mir auch keine größere Freude, als wenn ich nun endlich ein Gemälde, an dem ich lange arbeitete, zustande gebracht habe; wenn nun alles fertig ist, was mir bis dahin nur in den Gedanken ruhte: wenn man nun zugleich mit jedem Bilde merkt, wie die Hand geübter und dreister wird, wie nach und nach alles das von selbst sich einstellt, was man anfangs mit Mühe erringen und erkämpfen mußte, seht, das ist eine Lust, die andre Menschen vielleicht nur an Kindern, die wohlgeraten, oder gar an gelungenen Eroberungen genießen können. O mein lieber Sternbald, ich könnte manchmal stundenlang davon schwatzen, wie ich nach und nach ein Maler geworden bin, und wie ich noch hoffe, mit jedem Tage weiterzukommen.«
»Ihr seid ein sehr glücklicher Mann«, antwortete Franz. »Wohl dem Künstler, der sich seines Wertes bewußt ist, der mit Zuversicht an sein Werk gehn darf, und es schon gewohnt ist, daß ihm die Elemente gehorchen. Ach, mein lieber Meister, ich kann es Euch nicht sagen, Ihr könnt es vielleicht kaum fassen, welchen Drang ich zu unsrer edlen Kunst empfinde, wie es meinen Geist unaufhörlich antreibt, wie alles in der Welt, die seltsamsten und fremdesten Gegenstände sogar, nur von der Malerei zu mir sprechen; aber je höher meine Begeisterung steigt, je tiefer sinkt auch mein Mut, wenn ich irgendeinmal an die Ausführung gehn will. Es ist nicht, daß ich die Übung und den wiederholten Fleiß scheue, daß es ein Stolz in mir wäre, gleich das Vortrefflichste hervorzubringen, das keinen Tadel mehr zulassen dürfte, sondern es ist eine Angst, eine Scheu, ja ich möchte es wohl eine Anbetung nennen, beides der Kunst, wie des Gegenstandes, den ich darzustellen unternehme.«
»Ihr erlaubt mir wohl«, sagte Lukas, »indem wir sprechen, an meinem Bilde weiterzumalen.« Und wirklich zog er auch die Staffelei herbei, und vermischte auf der Palette die Farben, die er auftragen wollte. – »Wenn ich Euch mit meinem Geschwätze nur nicht störe«, sagte Franz, »denn diese Arbeit da ist äußerst kunstreich.« – »Gar nicht«, sagte Lukas, »tut mir den Gefallen und fahrt fort.«
»Wenn ich mir also«, sagte Franz, »eine der Taten unsers Erlösers in ihrer ganzen Herrlichkeit denke, wenn ich die Apostel, die Verehrungswürdigen, die ihn umgaben, vor mir sehe, wenn ich mir die göttliche Milde vorstelle, mit der er lehrte und sprach; wenn ich mir einen der heiligen Männer aus der ersten christlichen Kirche denke, die mit so kühnem Mute das Leben und seine Freuden verachteten, und alles hingaben, was den übrigen Menschen so viele Sehnsucht, so manche Wünsche ablockt, um nur das innerste Bekenntnis ihres Herzens, das Bewußtsein der großen Wahrheit sich zu behaupten und andern mitzuteilen; – wenn ich diese erhabenen Gestalten in ihrer himmlischen Glorie vor mir sehe, und nun noch bedenke, daß es einzelnen Auserwählten gegönnt ist, daß sich ihnen das volle Gefühl, daß sich ihnen jene Helden und der Sohn Gottes in eigentümlichern Gestalten und Farben als den übrigen Menschen offenbaren, und daß sie durch das Werk ihrer Hände schwächeren Geistern diese Offenbarungen wieder mitteilen dürfen: wenn ich mich dazu meiner Entzückungen vor herrlichen Gemälden erinnere, seht, so entschwindet mir meist aller Mut, so wage ich es nicht, mich jenen auserwählten Geistern zuzurechnen, und statt zu arbeiten, statt fleißig zu sein, verliere ich mich in ein leeres untätiges Staunen.«
»Ihr seid brav«, sagte Meister Lukas, ohne von seinem Bilde aufzusehn, »aber das wird sich fügen, daß Ihr auch Mut bekommt.«
»Schon mein Lehrer«, fuhr Franz fort, »hat mich deshalb getadelt, aber ich habe mir niemals helfen können, ich bin von Kindheit auf so gewesen. Doch solange ich in Nürnberg lebte, in der Gegenwart des teuren Albrecht, bei meinem Freunde, und von alle dem bekannten Geräte umgeben, konnte ich mich doch immer noch etwas aufrecht erhalten. Ich lernte mich aus Gewohnheit ein, den Pinsel zu führen; ich fühlte, wie ich nach und nach weiterkam, weil es immer derselbe Ort war, den ich wieder betrat, weil dieselben Menschen mich aufmunterten, und weil ich nun auf einer gebahnten Straße geradeaus ging, ohne mich weiter rechts oder links umzusehn. Freilich durfte ich keine neue Erzählung hören, keinen neuen verständigen Mann kennenlernen, ohne etwas irre zu werden; doch fand ich mich bald wieder zurecht. Aber seit meiner Abreise aus Nürnberg hat sich alles das geändert. Meine innerlichen Bilder vermehren sich bei jedem Schritte, jeder Baum, jede Landschaft, jeder Wandersmann, Aufgang der Sonne und Untergang, die Kirchen die ich besuche, jeder Gesang den ich höre, alles wirkt mit quälender und schöner Geschäftigkeit in meinem Busen, und bald möcht ich Begebenheiten in Landschaften, bald heilige Geschichten, bald einzelne Gestalten darstellen; die Farben genügen mir nun nicht, die Abwechselung ist mir nicht mannigfaltig genug, ich fühle das Edle in den Werken anderer Meister, aber mein Gemüt ist nunmehr so verwirrt, daß ich mich durchaus nicht unterstehen darf, selber an die Arbeit zu gehn.«
Lukas hielt eine Weile mit Malen inne und betrachtete Sternbald sehr aufmerksam, der sich durch Reden erhitzt hatte, dann sagte er: »Lieber Freund, ich glaube, daß Ihr so auf einem ganz unrechten Wege seid. Ich kann mir Eure Verfassung wohl so ziemlich vorstellen, aber ich bin niemals in solcher Gemütsstimmung gewesen. Von der frühsten Jugend habe ich einen heftigen Trieb in mir empfunden, zu bilden und ein Künstler zu sein; aber von je an lag mir die Nachahmung klar im Sinne, daß ich nie zweifelhaft war oder zögerte, was aus einer Zeichnung werden sollte. Schon während der Arbeit kam mir dann ein andrer Entwurf ganz deutlich in die Vorstellung, den ich ebenso schnell und ebenso unverzagt als den vorigen ausführte, und so sind meine zahlreichen Werke entstanden, ob ich gleich noch nicht alt bin. Euer Zagen, Eure zu große Verehrung des Gegenstandes ist, will mich dünken, etwas Unkünstlerisches; denn wenn man ein Maler sein will, so muß man doch malen, man muß beginnen und endigen. Eure Entzückungen könnt Ihr ja doch nicht auf die Tafel tragen. Nach dem, was Ihr mir gesagt habt, müßt Ihr viele Anlagen zu einem Poeten haben, nur muß ein Dichter auch mit Ruhe arbeiten. Ein Reisender hat mir kürzlich etwas Ähnliches von dem großen Meister Leonard von Vinci erzählt, dieser, obgleich ihm alle die geheimsten Tiefen und Hülfsmittel der Kunst zu Gebote standen, war auch oft unentschlossen und zaghaft, grübelte, verwarf und studierte von neuem: und ist es nicht zu beklagen, daß er, ohngeachtet seiner Meisterschaft, ohngeachtet seines langen Lebens, nur so wenige Werke zustande gebracht hat? Das wenige, was ich von ihm gesehn habe, hat mir den Wunsch abgelockt, daß er doch immer möchte gemalt haben. – Erlaubt mir, daß ich Euch noch etwas sage: Ich habe mich von jeher über die Künstler gewundert, die Wallfahrten nach Italien, wie nach einem gelobten Lande der Kunst anstellen, aber nach dem, was Ihr mir von Eurem Gemüt erzählt habt, muß ich mich billig über Euch noch mehr verwundern. Warum wollt Ihr Eure Zeit also verderben? Mit Eurer Reizbarkeit wird Euch jeder neue Gegenstand, den Ihr erblickt, zerstreuen, die größere Mannigfaltigkeit wird Eure Kräfte noch mehr niederschlagen, sie werden alle verschiedene Richtungen suchen, und alle diese Richtungen werden für Euch nicht genügend sein. Nicht, als ob ich die großen Künstler Italiens nicht schätzte und liebte, aber man mag sagen was man will, so hat doch jedes Land seine eigne Kunst, und es ist gut, daß es sie hat. Ein Meister tritt dann in die Fußstapfen des andern, und verbessert was bei ihm etwa noch mangelhaft war; was dem ersten schwer war, wird dem zweiten und dritten leicht, und so wird die vaterländische Kunst endlich zur höchsten Vortrefflichkeit hingeführt. Wir sind einmal keine Italiener und ein Italiener wird nimmermehr deutsch empfinden. Darum soll man jedem Bilde gleich auf den ersten Blick ansehn können, wo es gewachsen ist; man wird nur etwas, wenn man es ganz und nichts halb wird, und so haben die echten italischen Meister auch gedacht. Wenn ich Euch also raten soll, so stellt lieber Eure Reise nach Italien ganz ein und bleibt im Vaterlande, denn was wollt Ihr dort? Meint Ihr, Ihr werdet die italischen Bilder mit einem andern als einem deutschen Auge sehen können? so wie auch kein Italiener die Kraft und Vortrefflichkeit Eures Albert Dürer jemals erkennen wird; es sind widerstrebende Naturen, die sich niemals in denselben Mittelpunkt vereinigen können. Wenn Ihr hingeht, so wird jedes neue Gemälde, jede neue Manier eine neue Lust in Euch erwecken, Ihr werdet in ewiger Abwechselung vielleicht arbeiten, aber Euch niemals üben, Ihr werdet kein Italiener werden und könnt doch kein Deutscher bleiben, Ihr werdet zwischen beiden streben, und die Mutlosigkeit und Verzagtheit wird Euch am Ende nur noch viel stärker als jetzt ergreifen. Ihr findet meinen Ausspruch vielleicht hart, aber Ihr seid mir wert, und darum wünsche ich Euer Bestes. Glaubt mir, jeder Künstler wird, was er werden kann, wenn er ruhig sich seinem eigenen Geiste überläßt, und dabei unermüdet fleißig ist. Seht nur Euren Albert Dürer an; ist er denn nicht ohne Italien geworden, was er ist? denn sein kurzer Aufenthalt in Venedig kann nicht in Rechnung gebracht werden: und denkt Ihr denn mehr zu leisten als er? Auch unsre besten Meister in den Niederlanden haben Italien nicht gesehn, sondern einheimische Natur und Kunst hat sie großgezogen; manche mittelmäßige, die dort gewesen sind, haben eine fremde Manier nachahmen wollen, die ihnen nimmermehr gelingt, und als etwas Erzwungenes herauskömmt, das ihnen nicht steht, und sich in unsrer Gegend nicht ausnimmt. Mein lieber Sternbald, wir sind gewiß nicht für die Bildsäulen, die man jetzt entdeckt hat und immer mehr entdeckt, und aus denen viele, die sich klug dünken, was Sonderliches machen wollen, diese Antiken verstehen wir nicht mehr, unser Fach ist die wahre nordische Natur; je mehr wir diese erreichen, je wahrer und lieblicher wir diese ausdrücken, je mehr sind wir Künstler. Und das Ziel, wornach wir streben, ist gewiß ebenso groß als der poetische Zweck, den sich die andern vorgestellt haben.«
Franz war noch in seinem Leben nicht so niedergeschlagen gewesen. Er glaubte es zu empfinden, wie er noch keine Verdienste habe: diese Verehrung der Kunst, diese Begier, Italien mit seinen Werken zu sehn, hatte er immer für sein einziges Verdienst gehalten, und nun vernichtete ein verehrungswürdiger Meister ihm auch dieses gänzlich. Zum ersten Male erschien ihm sein ganzes Beginnen töricht und unnütz. »Ihr mögt recht haben, Meister!« rief er aus, »ich bin nun auch beinahe davon überzeugt, daß ich zum Künstler verdorben bin; je mehr ich Eure Vortrefflichkeit fühle, um so stärker empfinde ich auch meinen Unwert, ich führe ein verlorenes Leben in mir, das sich an keine vernünftige Tätigkeit hinaufranken wird, ein unglückseliger Trieb ist mir eingehaucht, der nur dazu dient, mir alle Freuden zu verbittern, und mir aus den köstlichsten Gerichten dieses Lebens etwas Albernes und Nüchternes zuzubereiten.«
»Es ist nicht so gemeint«, sagte Lukas mit einem Lächeln, das seinem freundlichen Gesichte sehr gut stand; »ich merke, daß alles bei Euch aus einem zu heftigen Charakter entspringt, und freilich, in so etwas kann sich der Mensch nicht ändern, wenn er es auch noch so sehr wollte. Gebt Euch zufrieden, meine Worte sind immer nur die Worte eines einzelnen Mannes, und ich kann mich ebenso leicht irren als jeder andre.«
»Ihr seid nicht wie jeder andre«, sagte Franz mit der größten Lebhaftigkeit, »das fühl ich zu lebendig in meinem Herzen, Ihr solltet es nur einmal hören, mit welcher Verehrung mein Meister von Euch spricht; Ihr solltet es nur wissen können, wie vortrefflich Ihr mir vorkommt, welch Gewicht bei mir jedes Eurer Worte hat. Wie viele Künstler dürfen sich denn mit Euch messen? Wer auf solche Stimmen nicht hörte, verdiente gar nicht, Euch so gegenüberzusitzen, mit Euch zu sprechen, und diese Freundschaft und Güte zu erfahren.«
»Ihr seid jung«, sagte Lukas, »und Euer Wesen ist mir ungemein lieb, es gibt wenige solcher Menschen, die meisten betrachten die Kunst nur als ein Spielwerk, und uns als große Kinder, die albern genug bleiben, um sich mit derlei Possen zu beschäftigen. – Aber laßt uns auf etwas anderes kommen, ich bin jetzt überdies müde zu malen. Ich habe einen Kupferstich von Eurem Albert erhalten, der mir bisher noch unbekannt war. Es ist der heilige Hubertus, der auf der Jagd einem Hirsche mit einem Kruzifixe zwischen dem Geweih begegnet, und sich bei diesem Anblicke bekehrt und seine Lebensweise ändert. Seht hierher, es ist für mich ein merkwürdiges Blatt, nicht bloß der schönen Ausführung, sondern vorzüglich der Gedanken halber, die für mich darin liegen. Die Gegend ist Wald, und Dürer hat einen hohen Standpunkt angenommen, weshalb ihn nur ein Unverständiger tadeln könnte, denn wenn auch ein dichter Wald, wo wir nur wenige große Bäume wahrnähmen, etwas natürlicher beim ersten Anblicke in die Augen fallen dürfte, so könnte doch das nimmermehr das Gefühl der völligen Einsamkeit so ausdrücken und darstellen, wie es hier geschieht, wo das Auge weit und breit alles übersieht, einzelne Hügel und lichte Waldgegenden, und oben in der Ferne die sonderbare Burg, mit ihrer auffallenden Bauart. Es ist, als wenn die tote Natur hier das ganze menschliche Leben überschaute. Ich glaube auch, daß manche Leute, die mehr guten Willen vernünftig zu sein als Verstand haben, den gewählten Gegenstand selbst als etwas Albernes tadeln dürften: ein Rittersmann, der vor einer unvernünftigen Bestie kniet. Aber das ist es gerade, was mir so sehr daran gefällt. Es ist etwas so Unschuldiges, Frommes und Liebliches darin, wie der Jagdmann hier kniet, und das Hirschlein mit seiner kindischen Physiognomie so unbefangen dreinsieht, im Kontrast mit der heiligen Ehrfurcht des Mannes; dies erweckt ganz eigene Gedanken von Gottes Barmherzigkeit, von dem grausamen Vergnügen der Jagd, und dergleichen mehr. Nun beobachtet einmal die Art, wie der Ritter niederkniet; es ist die wahrste, frommste und rührendste: mancher hätte hier wohl seine Zierlichkeit gezeigt, wie er Beine und Arme verschiedentlich zu stellen wüßte, so daß er durch Annehmlichkeit der Figur sich gleichsam vor jedem entschuldigt hätte, daß er ein so törichtes Bild zu seinem Gegenstande gemacht. Denn manche zierliche Maler sind mir so vorgekommen, daß sie nicht sowohl verschiedentliche Bilder ausführen, als vielmehr nur die Gegenstände brauchen, um immer wieder ihre Verschränkungen und Niedlichkeiten zu zeigen; diese putzen sich mit der edlen Malerkunst, statt daß sie ihr freies Spiel und eine eigene Bahn gönnen sollten. So ist es nicht mit diesem Hubertus beschaffen. Seine zusammengelegten Beine, auf denen er so ganz natürlich hinkniet, seine gleichförmig aufgehobenen Hände sind das Wahrste, was man sehen kann; aber sie haben nicht die spielende Anmut, die manche der heutigen Welt über alles schätzen.«
Lukas ward durch den Besuch von einigen Freunden unterbrochen, mit denen er und Franz sich zu Tische setzten. Man lachte und erzählte viel, von der Malerei ward nur wenig gesprochen.