Ludwig Tieck
Kaiser Octavianus
Ludwig Tieck

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Vierter Akt.

Lager der Marcebille an der Seine.

Marcebille, Roxane, Lealia.

Marcebille. Seht die Wasser, wie sie gleiten,
Und sich in der Fluth die Bäume
Still beschauen, gold'ne Träume
Seh' ich durch die Wolken schreiten.
Wie die Wogen ringend streiten,
Sich entfliehen und vereinen,
Spielen mit den Widerscheinen,
Und die Blumen roth und gold
Sich bespiegeln, und so hold
Thau in diese Wellen weinen!

Roxane. Ist es nicht ein Liebesringen?
Welle hascht die flücht'ge Welle
Und sie lacht so fröhlich; helle,
Glänzend sie sich all verschlingen,
Alle liebend sich durchdringen,
Im Ergötzen lieblich spielen;
Wie sie durch einander wühlen
Scheint der reine blaue Himmel
In das hüpfende Getümmel,
Seine Wange abzukühlen.

Lealia. Also spiegelt Liebestreue
Sich im wechselnden Empfinden;
Die Gefühle kommen, schwinden,
Manche fliehen, so wie scheue
Reh' im Walde, kindlich neue
Schauen ferne bang zurück:
Doch des Herzens Liebesblick,
Sieht, wie auch die Bilder fliegen,
Siegen diese, die erliegen,
In dem Wechsel nur Ein Glück.

Marcebille. Darum wechselt nur Gedanken,
Wie ihr wandelt in Gestalten,
Weiß ich eins doch fest zu halten
Ohne Wandel, ohne Wanken.

Roxane. Denn nie darf der Glaub' erkranken,
Glaube ist das Element,
In dem siegreich Liebe brennt.

Lealia. Und des Herzens reinste Bläue
Klärt sich hell und heller, Treue
Sich in Liebe nur erkennt.

Roxane. Einst, es war ein schöner Abend,
Sah ein Mädchen aus der Weite
Ueber dunkel grüne Wiese
Einen edlen Ritter reiten:
Ist er's wohl, den ich erwarte,
Ist es meine Herzensfreude?

Marcebille. Was beginnst du und was singst du?
Dieses Lied ist mir noch neue.

Roxane. Eben jezt hab' ich's ersonnen. –
Ja, er kommt zum milden Streite;
Seht die schöne goldne Rüstung,
Daß ihm Liebe Sieg verleihe!
Ja, du bist es, ich erkenne
Die Gestalt nun ohne Zweifel.

Marcebille. Drüben an dem Wasser halten,
Schau nur hin, zwei edle Reiter. –
Geh alsbald, flieg' hin zum Ufer,
Winke mit der Schärpe eilig,
Denn er ist es in der Rüstung,
Die wir sehn herüber leuchten. Roxane ab.

Lealia. Soll er in der Fluth versinken,
Vor den Augen dir erbleichen?

Marcebille. Wenn er liebt, trägt ihn die Woge
Wie auch tausend Fluthen reißen. –
Sieh, schon stürzt er sich hinunter
Und der Fluß erschrocken schäumet,
Und sie schwimmen dreist herüber,
Und es kommt der kühne Streiter,
Ach er weiß, er findet sichre
Und ihm hoch erwünschte Beute,
Dieses Herz klopft ängstlich schon,
Ein gefangnes Wild, vor Freude.

Roxane zurück kommend.
Schnell durchschwimmen sie die Wogen,
Diese kühnen Fremden beide,
Und sie nahn dem grünen Ufer
Und das Roß find't Blumenweide,
Zu den Zelten treten sie
Froh gemuthet, lieblich heiter.

Florens und Bertrand kommen.

Florens. Endlich seh' ich diese Augen,
Endlich wieder nach dem Scheiden
Und das liebste Glück weht spielend
Wonne mir nach Angst und Leiden:
Ach, Geliebte, kannst du fühlen,
Welcher Schmerzen Tod im Meiden,
In der Trennung mich durchbohren?
Welche bittergift'gen Pfeile?
Lippen, seid ihr noch geröthet?
Blühen noch die süßen heil'gen
Küss' und all' die Liebesworte
Auf den Knospen, die getheilet
Himmelswonne roth ausathmen,
Lachend dann zusammen eilen
Und im Lächeln selbst sich küssend
So holdselig still verweilen?

Marcebille. Mein Geliebter, leg' den Helm ab,
Daß du magst dein Antlitz zeigen,
Lege von dir diesen Harnisch,
Denn du darfst nur etwas weilen.
O so seh' ich dein Haupt wieder,
Und die braunen Locken seiden,
Wie sie meiner Hand sich krümmen,
Und die Finger liebend streicheln,
Ach, ich möchte deinen Wangen,
Deinen Augen ewig schmeicheln. –

Florens. Und die Lippen sollen schmachten,
Nicht zum rothen Brunnen steigen,
Wo die Küsse Nachtigallen
Sich in dem Gesang vergleichen?

Roxane. Geht hinein zum innern Zelte,
Da wohnt Ruhe, stilles Schweigen,
Da mögt ihr die Worte finden
Ungestört und ohne Zeugen,
Dort mag wie vom Baum die Blüthe
Kuß auf Kuß von süßen Zweigen
Fallen und die Einsamkeit
Furcht und Zögerung verscheuchen.

Marcebille und Florens ab.

Lealia.
    Von dem Abendhimmel Schweigen
    Sinkt herab, nur furchtsam rauschen
    Blätter, wie sie Küsse tauschen,
    Aus den rothen Wolken steigen
    Liebend Entzücken,
    Rother Lippen Wangen helle Gluth,
    Und es regnet nieder von dem Aether goldnes Blut,
Alle Wesen, alle Herzen, alle Sinnen zu beglücken. –

    Und die Erde süß umfangen
    Glänzt und giebt die Küsse trunken
    Wieder, die auf sie gesunken,
    Und entbrannt ganz in Verlangen
    Beben die Hügel,
    Holde Sehnsucht, süß Erfüllen zwingt
    Alle ihre Lebensadern, und die Liebe dringt
Durch die ganze Seele, Aether breitet um sie blaue Flügel.

Roxane. Nein, wir müssen Wache halten
Gegen Fremde, gegen Feinde.

Bertrand. Wie ich deiner immer dachte
Und mein Auge um dich weinte.

Roxane. Riesen tödten wäre besser,
Freilich ist das Weinen leichter.

Bertrand. Spotte nicht, du liebe Rose,
Meines Herzens, meiner Leiden.

Lealia.
    Wohin rennt ihr, liebe Wogen,
Uebereilt euch im Gedränge,
Wohin wird die volle Menge
Dieser Wellen denn gezogen? –
»Quellen haben uns erzogen
Und der Strom hat uns genommen,
Etwas haben wir vernommen,
Von den heil'gen Meerestiefen,
Wo uralte Wunder schliefen,
Wären wir dort angekommen!«

    Wohin Seufzer, Liebesblicke?
Wohin aus der rothen Pforte
Zartgeflügelt Liebesworte? –
»Keiner halte uns zurücke,
Ach, es giebt ein ewig Glücke
Unergründlich, aus dem Bronnen
Sprangen Sterne, Mond und Sonnen,
Dieses sehnende Verlangen
Hat vom Liebesgeist empfangen
Und die Welt als Kind gewonnen.«

Roxane. Mein Geliebter, ich erkannte
Dich alsbald mit aller Freude.

Bertrand. So laß diesen milden Kuß
Allen Zwist bei uns vergleichen.

Roxane. Die getheilten Lippen können
Nie was sich getheilt vereinen.

Bertrand. Du sprichst wahr, denn nach dem Kusse
Will das Sehnen heller scheinen.

Lealia. Heilig, reine, milde Fluth,
Kind der Liebe, klares Wasser!

    Als die neue Welt dem Zorne
War im ersten Sein erstarret,
Alle Kräfte ihr entflohen
Und ihr innres Herz erkaltet,
Schwebte sie ein harter Leichnam
Durch die leeren Himmelsbahnen,
In sich keine Lebensgeister,
Ueber sich nicht Sternverwandten.
Und es regte sich ein Schmerz,
Liebe ganz und ganz Erbarmen,
In den allerreinsten Himmeln,
Legte sich wie weiche Arme
Um den stumm gewordnen Busen
Und das Herz drinnen erwarmte:
Und es fühlte erst ein Zittern,
Dann ein tief erbebend Bangen,
Und es riß sich von der Furcht
Und dem ungewissen Zagen,
Gab sich ganz und voll dem Schmerz hin,
Daß umher nur Todten-Halle,
Alle Jugend ihm entschwunden
Und die Lust hinweg, die alte.
Wie die Welt in Schmerz und Wehen,
Und Erinnerungen kamen,
Und die Himmelsliebe außen
Sie noch sanfter, weicher faßte,
Wollt' sie sterbend ganz vergehen;
Und die starren Riegel sprangen,
Und den harten Tod zerriß
Nach dem Tode das Verlangen,
Heil'ge Liebesthränen, süße,
Aus der innern Tiefe rannen
Ueber das erblaßte Antlitz,
Ueber die entstellten Wangen;
Und im Schmerz entzündete
Sich die Freude plötzlich, brannte,
Und das Licht flog schnell empor,
Kehrte wieder und umarmte
Sie, die liebe arme Mutter
Und das Kind, das heil'ge Wasser:
Blumen, grüne Kräuter sproßten,
Ströme flutheten und brachen
In das Meer, das neu geboren,
Und Gestirn' in goldnem Glanze
Sahen liebend hoch hernieder,
Sonne mit dem klaren Antlitz,
Mond mit seinem stillen Troste,
Kleine Lichter magisch wandelnd,
Blumen in der blauen Tiefe;
Und die Thiere waren alle
Schon in Lebensregung, endlich
Kam der fromme Mensch gegangen,
Und die Thiere und die Steine,
Und die Fische und die Pflanzen,
Und die Sterne und die Lichter,
Und die Menschen betend dankten
Dem Erzeuger, heil'ges, reines,
Frucht erregend klares Wasser.

Roxane. Sieh, wie schon die goldnen Sterne
Aus dem dunklen Himmel keimen.

Bertrand. Möchten sie im blauen Strome,
Tief in seinem Bette weilen.

Roxane. Wie die Schatten aus dem Himmel
Ueber Berg und Waldung schreiten!

Bertrand. Ach, du könntest meine Wunde,
Wolltest du, auf immer heilen.

Florens und Marcebille kommen.

Florens. Ja, du bist nun mein und ewig
Bin ich dir getreu, dein Gatte,
Scheiden muß ich, aber bald auch
Wiederkehren und so wandelt
Schmerz in Lust sich, Lust in Leid;
Keimt doch alle Lieb' aus Jammer,
Nimmt aus ihr die ersten Thränen,
Und von ihren süßen Quaalen
Ihre ersten Freuden: denke
Meiner, wenn du einsam harrest.

Marcebille. Und du gehst? du mußt zurück?
Laß mich bald von dir erfahren.

Florens. Ja, Geliebte, wie ich erst
Es schon im Gespräch bedachte,
Deinen Vater muß im Kriege
Ich erwerben zum Gefangnen,
Dann kann er es nimmer hindern,
Dann kann er es nicht mehr tadeln,
Daß du Christin bist und mein.

Marcebille. Leicht ist dieses nicht zu wagen.
Ja, wenn man ihm erst entwenden
Pontifer, sein Roß, vor allen
Könnte! Denn vernimm das Wunder,
Wie es um dies Roß beschaffen:
Schwimmen kann es wie ein Fisch
Auf der Tiefe, in dem Wasser,
Ueber Meere kann es fließen
Und ihm fehlt nicht Kraft und Athem,
Rennen kann es wie der Wind,
Keiner kann es rückwärts halten,
Kein Roß war, das schnellste selber,
Einzuholen dies im Stande.
In der Schlacht, die bald wird sein,
Komm' mit einem Schiff und lande
Heimlich hier, führ mich hinweg,
Daß ich leb' in deinen Armen.
Denn ich muß es fast befürchten,
Daß mein Vater Argwohn fasset;
Wenn er unsre Liebe merket,
Dann sind wir dem Tod verrathen.

Florens. Siehe, wie die Sterne spiegeln
Und der Mond, der lichte, klare,
In dem Strome, Ufer, Bäume,
Wolken buntgefärbt im Glanze,
Alles wogt im Widerscheine
Wunderlich mit den Gestalten:
Dies ist Bildniß meines Herzens,
Voll von Lichtern, Ton und Farben,
Lieblichen Gesängen, Wünschen
Und von Liebe Widerhallen,
Die Erinn'rung, und vom Abschied
Still dazwischen große Schatten.

Marcebille. Lebe wohl, du nimmst mein Herz mit,
Denke drauf, wie du's willst halten;
Ach, es folgen dir die Sinne,
Alle Wünsche und Gedanken,
Mir bleibt nur zurück die Sehnsucht
Und das zitternde Verlangen:
In den Strom hin wein' ich Thränen,
Die aus meinen Schmerzen sprangen,
Und das Wasser führt sie weiter,
Wird ganz kleine Blumen machen,
Die mit ihrem blauen Kelche
Ach so rührend zu dir sagen:
Du, vergiß mein nicht! vergiß nicht!
Denke dran, wenn du sie sammelst.

Florens. Und die Rosen werden mich
Stets nach deinen Lippen fragen.
Lebe wohl! schon tiefe Nacht
Hält die Welt ringsher umarmet.

ab mit Bertrand.

Marcebille. Wie die Wogen kommen, gehen,
So wird Schmerz und Leid verrinnen,
Wieder soll ich ihn gewinnen,
Meine Blicke werden sehen
Ihn, den Ursprung meiner Wehen,
Der jezt so von mir muß scheiden.
Geht und wechselt, meine Leiden,
Nach dem Dunkel kommt die Helle,
Murmelnd sagt mir jede Welle:
Nach den Leiden folgen Freuden.



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