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Wir kehren zu Rosalba zurück.
König Padella machte Rosalba so ziemlich dieselben Anträge wie die anderen Fürstlichkeiten, die sich, wie wir gesehen haben, der Reihe nach in sie verliebt hatten. Seine Majestät war Witwer und bereit, seine schöne Gefangene auf der Stelle zu heiraten; allein sie lehnte sein Anerbieten auf ihre gewohnte höfliche und sanfte Art ab, indem sie erklärte, daß Prinz Giglio ihr Geliebter und daß an keine andere Verbindung zu denken sei. Nachdem er es mit Tränen und flehentlichen Bitten vergebens versucht hatte, drohte ihr der aufbrausende Monarch mit den schrecklichsten Folterqualen; aber sie erklärte, daß sie lieber alles erdulden als dem Mörder ihres Vaters ihre Hand reichen wolle. Endlich verließ er sie mit den entsetzlichsten Verwünschungen, indem er sie aufforderte, sich bis zum folgenden Morgen auf den Tod vorzubereiten.
Die ganze Nacht verbrachte der König damit, mit sich selber zu beraten, wie er dieses verstockte junge Geschöpf los werden könnte. Köpfen? – nein, das war ein viel zu leichter Tod für sie. Hängen? – pah, das war so alltäglich im Reiche Seiner Majestät, daß es ihm gar keine Belustigung mehr gewährte. Endlich fielen ihm ein paar wilde Löwen ein, die ihm kürzlich als Geschenk zugeschickt worden waren, und er beschloß, mit diesen blutdürstigen Bestien die arme Rosalba zu Tode zu hetzen. An sein Schloß grenzte ein Amphitheater, wo der Fürst dem Stierkampf, der Rattenhatz und anderer mordgieriger Kurzweil zu fröhnen pflegte. Die beiden Löwen waren unter diesem Theater in einen Käfig eingesperrt, und man konnte ihr Gebrüll in der ganzen Stadt hören. Die Einwohner aber kamen in Scharen herbeigeströmt, um zu sehen, wie eine arme Jungfrau von zwei reißenden Tieren verschlungen würde.
Der König nahm seinen Platz in der königlichen Loge ein, die Würdenträger seines Hofes um ihn her, und ihm zur Seite der Graf Panzersau, den Seine Majestät, wie man bemerken konnte, mit Ingrimm betrachtete. Damit verhielt es sich so: königliche Späher hatten dem Fürsten hinterbracht, wie sich Panzersau aufgeführt – wie er Rosalba angetragen hatte, sie zu heiraten und für ihre Krone zu kämpfen. Deshalb schaute König Padella schwarz wie ein drohendes Donnerwetter auf den stolzen Edelmann, als sie auf den vordersten Plätzen des Theaters saßen und des Trauerspiels harrten, dessen Heldin die arme Rosalba sein sollte.
Endlich wurde die Prinzessin in ihrem Nachtgewand herbeigeführt, und all ihr wunderschönes Haar fiel ihr über den Rücken herab, und sie sah so reizend aus, daß sogar die Schweizer Leibwachen und die Wärter der wilden Tiere bei ihrem Anblick in Tränen zerflossen. Und sie kam auf ihren armen bloßen Füßchen dahergeschritten (doch war zum Glück die Arena mit Sägemehl bestreut) und lehnte sich gegen einen großen Stein in der Mitte des Amphitheaters, welches rings von Menschen erfüllt war. Die Logen, in welchen der Hof und das Volk saßen, waren stark vergittert, denn alle Zuschauer fürchteten sich vor den großen wilden, rotmähnigen, schwarzhaarigen, langgeschwänzten, brüllenden heulenden, daherstürzenden Löwen. Und jetzt wurden die Gitter geöffnet, und mit einem Wurroworrurrowarrorrauh schossen zwei große, magere, brüllende Löwen aus ihrem Käfig hervor, wo man sie drei Wochen lang mit nichts als ein klein wenig geröstetem Brot und Wasser gefüttert hatte, und stürzten gerade auf den Stein los, wo die arme Rosalba wartete. Befehlt sie in die Hand eures Schutzpatrons, all ihr guten Leute, denn sie ist in einer entsetzlichen Lage! Es lief ein Gemurmel und ein Gesumse durch den ganzen Zirkus, und sogar der finstere Padella fühlte ein wenig Mitleid. Aber Graf Panzersau, der bei Seiner Majestät saß, brüllte laut: »Hurra! Pack' an! Kß, kß, kß!« Denn der Graf war noch außerordentlich böse darüber, daß Rosalba ihn abgewiesen hatte.
Doch – o wundersame Begebenheit! O über die Maßen merkwürdiger Zufall! Als die Löwen bei Rosalba ankamen, da – denkt euch nur – statt sie mit ihren großen Zähnen zu zerreißen, erstickten sie sie fast – mit Küssen! Sie leckten ihr die niedlichen Füßchen, sie wühlten die Schnauzen in ihren Schoß, sie blökten, sie schienen zu sagen: »Liebe, liebe Schwester, entsinnst du dich nicht deiner Brüder aus dem Walde?« Und Rosalba schlang ihre hübschen weißen Arme um die braunzottigen Nacken der beiden Löwen und küßte sie.
König Padella war grenzenlos verwundert. Graf Panzersau aber war voller Entrüstung. »Puh!« machte der Graf. »Flausen,« riefen Seine Gräflichen Gnaden aus. »Diese Löwen sind zahm und kommen von Renz oder Hagenbeck! Es ist eine Schmach, einen auf solche Weise zum Narren zu halten! Ich glaube, es sind kleine verkleidete Jungen in Strohmatten! Es sind ja gar keine Löwen!«
»Ha!« sagte der König, »Ihr wagt es, Eurem Gebieter ›Flausen‹ vorzuwerfen, was? He, meine Schweizer! Ho, meine Leibgarde! Ergreift diesen Grafen da und werft ihn in den Zirkus! Gebt ihm Schwert und Schild, laßt ihn seine Rüstung anbehalten und seine fünf Sinne zusammennehmen, und dann soll er uns mal zeigen, wie er mit diesen Löwen fertig wird!«
Der stolze Panzersau setzte seinen Operngucker hin und wandte sich mit finsterm Blick nach dem König und seinem Gefolge um. »Rührt mich nicht an, ihr Hunde!« sprach er, »oder ich spieße euch auf, bei St. Bramarbas! Ihro Majestät denken, Panzersau fürchtet sich? Nein, nicht vor hunderttausend Löwen! Folge mir in die Arena hinab, König Padella, und nimm's mit einer dieser Bestien auf! Du wagst es nicht? Nun denn, so laßt sie beide herankommen!« Und, das Gitter der Loge öffnend, sprang er behende in den Zirkus hinab.
Wurroh wurroh wurroh wurr–au–au–auh–h–h!!!
In etwa zwei Minuten
war der Graf Panzersau
aufgefressen
von
diesen Löwen,
mit Knochen, Stiefeln, Haut und Haar,
und
mit ihm war's
aus.
Da sprach der König: »Geschieht ihm recht, dem rebellischen Raufbold! Und nun, da diese Löwen das Frauenzimmer dort nicht fressen wollen ...«
»Gebt sie frei! – gebt sie frei!« rief die Menge.
»Nein!« brüllte der König. »Die Schweizer sollen hinunter gehen und sie in kleine Stücke zerhacken! Sollten die Löwen sie verteidigen, so müssen sie von den Bogenschützen totgeschossen werden. Das Weibsbild soll unter Martern sterben!«
»O–o–oh!« rief die Menge. »O Schmach und Schande!«
»Wer untersteht sich, Schmach und Schande zu rufen?« schrie der wütende Potentat. – So wenig können Tyrannen ihre Leidenschaften beherrschen! – »Schmeißt jeden Schurken, der noch ein Wort sagt, zu den Löwen hinunter!«
Da – ich bürge euch dafür – entstand eine Totenstille. Doch plötzlich wurde sie unterbrochen durch Tschinderadda und Schnedderengdeng, und ein Kriegsmann und ein Herold kamen in den Zirkus hereingeritten.
Der Krieger, in voller Rüstung, mit aufgeschlagenem Visier, trug einen Brief auf der Spitze seiner Lanze.
»Ha!« rief der König aus, »meiner Treu, es ist der Ritter vom Weißen Hirsch, Persevant Herold oder Gehilfe des Herolds in mittelalterlichen Zeiten. meines Vetters von Paphlagonien, und der grimme Kriegsmann, wenn mich mein Gedächtnis nicht täuscht, ist der tapfre Hauptmann Kopfabski! Was gibt's Neues in Paphlagonien, wackrer Kopfabski? Weißer Hirsch, Gott straf' mich, dein Trompeten muß dir die Gurgel ausgedörrt haben! Was wünscht mein getreuer Herold zu trinken?«
»Zuvörderst fordern sicheres Geleit wir von Dero Hoheit,« sprach Hauptmann Kopfabski; »bevor mit einem Trunk wir uns erfrischen, erlaubt uns, unsres Königs Auftrag auszurichten.«
»Meine Hoheit, ha!« sagte der Krimtatarier mit fürchterlichem Stirnrunzeln. »Gar seltsam klingt in den gesalbten Ohren eines gekrönten Hauptes solcher Titel! Heraus denn stracks mit deiner Botschaft, Ritter und Herold!«
Kopfabski brachte sein Streitroß dicht unter dem Balkon des Königs auf die eleganteste Art zum Stehen, und, sich zu dem Herold wendend, forderte er ihn auf, zu beginnen. Der Ritter vom Weißen Hirsch stieß in seine Trompete, setzte sie dann ab und ließ sie über seine Schulter herabgleiten; darauf nahm er ein Blatt Papier aus seinem Hute und fing an zu lesen:
»Hört, hört! Kund und zu wissen sei hiemit jedermann, daß wir, Giglio, König von Paphlagonien, Großherzog von Kappadozien, unumschränkter Fürst über Trapezunt und die Akrobateninseln, Besitz ergriffen haben von unserm rechtmäßigen Thron und Titel, der lange Zeit fälschlich geführt worden ist von unserm Onkel, dem Usurpator, der sich König von Paphlagonien nannte, ...«
»Ha!« knurrte Padella.
»Und hiemit den treulosen Verräter, Padella, der sich König von Krimtataria betitelt, ...«
Die Flüche des Königs waren fürchterlich. »Fahr' fort, weißer Hirsch!« rief der unerschrockene Kopfabski.
»... auffordern, zu entlassen aus schmählicher Gefangenschaft seine Lehnsherrin und rechtmäßige Gebieterin, die Fürstin Rosalba, Königin von Krimtataria, und sie wieder einzusetzen in ihre königlichen Rechte, widrigenfalls Ich, Giglio, besagten Padella öffentlich Dieb, Verräter, Schwindler, Usurpator und Feigling nenne. Ich fordere ihn heraus, sich mit mir zu messen, mit Fäusten oder Pistolen, mit der Streitaxt oder dem Schwert, mit Muskete oder Knüppel, allein oder an der Spitze seines Heeres, zu Fuß oder zu Roß; und will die Wahrheit meiner Worte beweisen an seinem verruchten, häßlichen Leibe!«
»Lang lebe der König!« rief Hauptmann Kopfabski und ließ sein Pferd einmal voltigieren, Nach links und nach rechts wenden. zweimal kurbettieren Bogensprünge machen. und dreimal karakolieren. Schwenken.
»Ist das alles?« fragte Padella mit der fürchterlichen Ruhe aufgespeicherter Wut.
»Das, mein Herr, ist die ganze Botschaft meines königlichen Gebieters. Hier ist der Brief Seiner Majestät, eigenhändig geschrieben, und hier ist sein Handschuh, und wenn es irgend einem krimtatarischen Edelmanne belieben sollte, an den Ausdrücken Seiner Majestät etwas auszusetzen, so stehe ich, Haudegenski Kopfabski, Gardehauptmann, bereitwilligst zu seinen Diensten,« und er schwenkte seine Lanze und schaute sich rings in der Versammlung um.
»Und was sagt mein guter Vetter von Paphlagonien, meines teuren Sohnes Schwiegervater, zu diesem Blech?« fragte der König.
»Den Onkel des Königs hat man der Krone, die er ungerechterweise trug, verlustig erklärt,« sprach Kopfabski mit feierlichem Ernste. »Er und sein Ex-Minister Murriano sind jetzt im Gefängnis und harren des Urteils meines königlichen Herrn. Nach der Schlacht von Bombardaro ...«
»Schlacht von ...?« fragte der überraschte Padella.
»Von Bombardaro, wo mein Lehensherr, Seine gegenwärtige Majestät, Wunder der Tapferkeit vollbracht haben würde, wenn nicht die ganze Armee seines Onkels zu unsern Fahnen übergegangen wäre, mit Ausnahme des Prinzen Bulbo.«
»Mein Junge, o mein Bulbo! ha! mein Sohn war kein Verräter!« rief Padella.
»Prinz Bulbo, weit davon entfernt, zu uns überzugehen, ergriff das Hasenpanier, mein Herr; aber ich holte ihn ein. Der Prinz ist Gefangener in unserm Heere, und die fürchterlichsten Folterqualen stehen ihm bevor, wenn der Prinzessin Rosalba auch nur ein Haar gekrümmt wird.«
»So?« rief wutschnaubend Padella, der nun ganz aschfahl vor Zorn war. »Ei seht doch! Foltern? Um so schlimmer denn für Bulbo. Zwanzig andre Söhne hab' ich, ein jeglicher so lieblich als wie Bulbo. Nicht einer drunter, der nicht ebenso sich zum Regieren eignet als wie Bulbo. Stäupt, prügelt, geißelt, foltert, laßt verhungern und martert Bulbo – brecht ihm alle Knochen – zieht ihm die Haut ab bei lebendigem Leibe – reißt alle seine hübschen Zähne aus! Mit Recht ist Bulbo teuer meinem Herzen, mein Augentrost, das Kleinod meiner Seele! – Doch teurer noch und süßer – ha! – ist Rache! He! Foltrer, Schinder, Henkersknechte, zündet die Feuer an und macht die Zangen glühend! Den Kessel her! Es siede drin das Blei! Und nun herbei mit ihr – schafft her Rosalba!«