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3. Kapitel.

Was es mit der Fee Schwarzstabel und außerdem noch mit vielen, vielen anderen hohen Persönlichkeiten für eine Bewandtnis hatte.

 

In dem Gebiete zwischen den Königreichen Paphlagonien und Krimtataria lebte ein geheimnisvolles Wesen, das in jenen Ländern als die Fee Schwarzstabel bekannt war, so genannt nach dem Stabe oder Krückstock aus Ebenholz, den sie trug; auf dem ritt sie manchmal zum Monde hinauf oder machte andere Ausflüge in Geschäften oder zum Vergnügen, und mit ihm verrichtete sie auch ihre Wunder.

Als sie noch jung war und von ihrem Vater, dem Hexenmeister, eben erst die Zauberei erlernt hatte, übte sie ihre Kunst immerfort aus, sauste auf ihrem schwarzen Stecken umher aus einem Königreich in das andere und verlieh die Zaubergaben ihrer Gunst bald diesem, bald jenem Prinzen. Sie besaß königliche Patenkinder dutzendweise, verwandelte zahllose böse Menschen in reißende Tiere, Vögel, Mühlsteine, Wanduhren, Pumpen, Stiefelknechte, Schirme oder sonstige absonderliche Gebilde und war, mit einem Worte, eine der geschäftigsten und dienstfertigsten Zauberinnen der ganzen Feengilde.

Aber nach zwei- oder dreitausend Jahren solches Zeitvertreibs, so vermute ich, wurde Schwarzstabel dessen müde. Oder vielleicht dachte sie: Was nützt es denn, wenn ich diese Prinzessin in einen hundertjährigen Schlaf versetze? wenn ich jener dummen Liese eine Blutwurst an die Nase hefte? wenn auf mein Geheiß diesem Mädchen Diamanten und Perlen aus dem Munde fallen, und einem anderen Kröten und Schlangen? Bald will es mich bedünken, daß ich durch meine Bemühungen ebensoviel Schaden anrichte als Gutes tue. Ich könnte eigentlich meine Zauberformeln wegschließen und den Dingen ihren natürlichen Lauf lassen. Da denke ich zum Beispiel an meine zwei jungen Patenkinder, König Savios Frau und Herzog Padellas Frau; jeder von beiden gab ich ein Geschenk, dazu bestimmt, sie reizend erscheinen zu lassen in den Augen ihrer Männer, und ihnen die Liebe dieser Herren zu bewahren, solange sie lebten. Welchen Nutzen haben diesen Frauen meine Rose und mein Ring gebracht? Auch nicht den geringsten! Da ihre Männer allen ihren Launen willfahrten, wurden sie eigensinnig, träge, mürrisch, ganz unsinnig eitel und machten süße, schmachtende Augen und meinten, sie seien von unwiderstehlicher Schönheit, als sie in Wirklichkeit schon ganz alt und garstig waren, die lächerlichen Kreaturen! Sie haben mich allemal ganz gönnerhaft behandelt, wenn ich ihnen einen Besuch machte – man denke nur, mich, die Fee Schwarzstabel, die ich alle Weisheit der Zauberer kenne und sie in Paviane hätte verwandeln können mit einem einzigen Wink meines Stabes, und alle ihre Diamanten in Zwiebelschnüre!

Also verschloß Schwarzstabel ihre Bücher in ihrem Schrank, enthielt sich weiterer Wunderverrichtungen und benutzte ihren Stab fast gar nicht mehr, außer als Spazierstock.

Als nun Herzog Padellas Gemahlin einen kleinen Sohn bekam (der Herzog war zu jener Zeit nur einer der vornehmsten Edelleute in Krimtataria), mochte Schwarzstabel der Taufe nicht einmal beiwohnen, obwohl sie dazu eingeladen war; sie sandte nur ihre Glückwünsche und für das Kindchen ein silbernes Breischüsselchen, das wirklich keine zwei Dukaten wert war. Um dieselbe Zeit schenkte die Königin von Paphlagonien Seiner Majestät einen Sohn und Erben; die Kanonen wurden abgefeuert, man illuminierte die Hauptstadt und veranstaltete Festlichkeiten ohne Ende, um des jungen Prinzen Geburt zu feiern. Man glaubte, daß die Fee, die man zu Gevatter gebeten hatte, ihm wenigstens eine Tarnkappe schenken würde, oder ein fliegendes Roß, oder einen Glückssäckel, oder irgend ein anderes wertvolles Zeichen ihrer Gunst; doch statt dessen trat Schwarzstabel an die Wiege des kleinen Giglio, wahrend jedermann ihn bewunderte und seine königlichen Eltern beglückwünschte, und sagte: »Mein armes Kind, das beste, was ich dir spenden kann, ist ein wenig Unglück.« Und das war alles, was sie sagte, zum großen Unwillen von Giglios Eltern, die sehr bald darauf starben, worauf sein Onkel sich den Thron aneignete, wie wir im ersten Kapitel gelesen haben.

Bald darauf geschah es, daß Cavolfiore, König von Krimtataria, das Tauftest seines einzigen Kindes, Rosalba, veranstaltete, und da zeigte sich die Fee Schwarzstabel, die man eingeladen hatte, nicht huldvoller als beim Prinzen Giglio. Während alle Leute des Lobes voll waren über die Schönheit des Herzenskindchens und seine Eltern beglückwünschten, schaute die Fee das Kind und seine Mutter traurig an und sprach: »Meine gute Frau« – denn die Fee tat sehr vertraut und machte mit einer Königin nicht mehr Umstände als mit einer Waschfrau –, »meine gute Frau, diese Leute, welche dir jetzt anhangen, werden die ersten sein, die sich wider dich auflehnen; und diesem kleinen Fräulein kann ich nichts Besseres wünschen als ein wenig Unglück.«

Darauf berührte sie Rosalba mit ihrem schwarzen Zauberstabe, warf den Höflingen einen strengen Blick zu, winkte der Königin mit der Hand Lebewohl und entschwebte langsam aus dem Fenster in die Luft hinauf.

Als sie weg war, begannen die Hofleute, die in ihrer Gegenwart stumm und beklommen dagestanden, wieder zu reden. »Was ist sie doch für eine unausstehliche Fee,« sagten sie, »eine schöne Fee das, wahrhaftig! Die ist ja auch bei der Taufe des Königs von Paphlagonien gewesen und hat vorgegeben, alles mögliche für diese Familie tun zu wollen; und was ist geschehen? Der Prinz, ihr Patenkind, ist von seinem Onkel vom Throne gestoßen worden! Würden wir es zugeben, daß irgend ein Feind unsere süße Prinzessin ihrer Rechte beraubte? Nie und nimmer! Nie und nimmer!«

Und sie riefen alle im Chor: »Nie und nimmer! Nie und nimmer!«

Jetzt mochte ich aber wissen: wie haben denn diese seinen Höflinge ihre Treue gezeigt? Einer von König Cavolfiores Vasallen, der eben erwähnte Herzog Padella, empörte sich gegen den König, welcher auszog, um seinen rebellischen Untertan zu züchtigen. »Wer wagt es, sich gegen unseren geliebten und erhabenen Monarchen aufzulehnen?« riefen die Höflinge; »ihm will einer widerstehen? Oho, er ist unüberwindlich, unwiderstehlich; er wird Padella als seinen Gefangenen heimbringen, an den Schwanz eines Esels wird er ihn binden und um die Stadt schleifen lassen, und wird sprechen: So traktiert der große Cavolfiore einen Rebellen!«

Der König zog aus, Padella zu überwinden; und die arme Königin, die ein sehr zaghaftes und furchtsames Geschöpf war, wurde so verängstigt und krank, daß sie starb, die Ärmste! Vorher hatte sie noch ihren Frauen auf die Seele gebunden, für die kleine Rosalba zu sorgen. Natürlich versprachen sie das. Natürlich gelobten sie, lieber sterben zu wollen, als der Prinzessin ein Leid geschehen zu lassen. Zuerst stellte die »Krimtatarische Hofzeitung« fest, daß der König große Siege über den frechen Rebellen davontrage; dann wurde verkündigt, daß die Truppen des schändlichen Padella in die Flucht geschlagen seien; dann sagte man, daß die königliche Armee dem Feinde auf den Fersen sei, und dann – ja dann kam die Nachricht, daß König Cavolfiore besiegt und erschlagen war von Seiner Majestät, König Padella dem Ersten!

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Bei dieser Nachricht rannte die Hälfte der Höflinge weg, um dem siegreichen Anführer ihren Respekt zu bezeigen, und die andere Hälfte machte sich mit sämtlichen Kostbarkeiten des Palastes aus dem Staube; und die arme kleine Rosalba wurde dort ganz allein zurückgelassen – mutterseelenallein; und sie trippelte von einem Zimmer ins andere und rief: »Gräfin! Herzogin!« – Sie sagte aber: »Dläfin, Hessodin,« weil sie noch nicht richtig sprechen konnte. – »Bing mir mein Hammelstotett; meine Tönidiche Hoheit haben Hunner! Dläfin! Hessodin!« Und sie ging aus den Wohngemächern in den Thronsaal, aber da war niemand; da ging sie weiter in den Tanzsaal, und da war auch niemand; und dann in den Pagensaal, und da war wieder niemand; und da krabbelte sie die große Treppe hinunter in die Vorhalle, und auch da war niemand; und die Tür stand offen, da ging sie in den Hof und in den Garten, und dann weiter in die Wildnis hinaus, und immer weiter, bis in den Wald, wo die wilden Tiere leben – und ward nicht mehr gesehen!

Ein Fetzen ihres zerrissenen Mantels und einer ihrer Schuhe wurden später im Walde gefunden, zwischen den Zähnen zweier Löwenjungen, die König Padella (wie ihr oben seht) mit seiner königlichen Jagdgesellschaft erlegte – denn er war jetzt König und herrschte über Krimtataria. »So ist also die arme kleine Prinzessin umgekommen,« sagte er. »Nun, was geschehen ist, läßt sich nicht mehr ändern. Meine Herren, gehen wir zum Imbiß!« Und einer der Hofleute hob den Schuh auf und steckte ihn in die Tasche. Und mit Rosalba war's aus!


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