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2. Kapitel.

Wie König Valoroso die Krone erlangte und Prinz Giglio leer ausging.

 

Paphlagonien scheint vor zehn- oder zwanzigtausend Jahren eines jener Königreiche gewesen zu sein, wo die Thronfolge nicht gesetzlich geregelt war; denn König Savio hatte vor seinem Tode seinen Bruder zum Regenten des Reiches und Vormund seines verwaisten Söhnchens bestimmt.

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Doch als er begraben war, nahm dieser treulose Statthalter keinerlei Rücksicht auf den Willen des verstorbenen Herrschers; er ließ sich selbst zum Landesherrn von Paphlagonien ausrufen als König Valoroso XXIV., feierte die glänzendste Krönung und befahl allen Großen des Reiches, ihm zu huldigen. Solange ihnen Valoroso recht viele Hofbälle gab, recht viel Geld und einträgliche Ämter, war es dem paphlagonischen Adel einerlei, wer König war, und das Volk zeigte sich in jenen frühen Zeiten ebenso gleichgültig. Prinz Giglio stak beim Tode seines Vaters noch in den Kinderschuhen und empfand deshalb den Verlust seiner Krone und seines Reiches nicht. Wenn er nur immer neue Spielsachen hatte und Zuckerwerk die Hülle und Fülle, einen freien Tag fünf mal die Woche, und, als er ein wenig älter wurde, Roß und Gewehr, um damit auf die Jagd zu reiten, vor allem aber, wenn er nur recht viel mit seiner Herzenscousine, des Königs einzigem Töchterchen, zusammen sein konnte, so war der arme Giglio völlig zufrieden. Auch beneidete er seinen Onkel nicht um das königliche Prachtgewand und das Zepter, um den großen, heißen, unbequemen Staatsthron und um die ungeheure, beschwerliche Krone, mit der dieser Herrscher von früh bis spät zu sehen war.

König Valorosos Bildnis ist uns erhalten; und ihr werdet gewiß zugeben, daß er seines Samtes und seiner Diamanten und seines Hermelins und seiner ganzen Herrlichkeit manchmal recht müde gewesen sein muß. Ich möchte nicht in diesem erstickenden schweren Staatskleid dasitzen mit so einem Ding da auf dem Kopfe!

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Die Königin muß gewiß in ihrer Jugend lieblich gewesen sein, denn obschon sie in späteren Jahren etwas allzustattlich wurde, so sind doch die Züge ihres Gesichts, wie sie ihr Bildnis zeigt, ohne Zweifel angenehm zu nennen. Hatte sie eine Vorliebe für Schmeichelei, Klatsch und Spielkarten – nun, so wollen wir gelinde verfahren mit ihren Schwächen, die im Grunde wohl nicht größer sind als unsere eigenen. Sie war gut gegen ihren Neffen; und wenn sie etwa Gewissensbisse verspürte, weil ihr Gemahl des jungen Prinzen Krone an sich gerissen hatte, so tröstete sie sich mit dem Gedanken, daß der König, wenngleich ein Thronräuber, doch ein höchst achtbarer Mann war, und daß nach seinem Tode Prinz Giglio wieder in seine Rechte eingesetzt werden und den Thron mit seiner Cousine, die er so zärtlich liebte, teilen würde.

Der erste Minister war Murriano, ein alter Staatsmann, der dem König Valoroso seelenvergnügt Treue geschworen hatte, und in dessen Hände der Monarch alle Geschäfte seines Reiches legte. Valoroso begehrte weiter nichts als möglichst viel Geld, möglichst viele Jagden, möglichst viel Schmeichelei und möglichst wenig Sorgen. Wenn er nur immer seinem Vergnügen nachgehen konnte; wie sein Volk dafür zahlte, danach fragte dieser Herrscher wenig. Er ließ sich in einige Kriege ein, und natürlich verkündigten die paphlagonischen Zeitungen, daß er erstaunliche Siege davongetragen habe. In jeder Stadt des Reiches wurden ihm Denkmäler errichtet, und sein Bildnis war natürlich überall zur Schau gestellt und in allen Kunsthandlungen zu haben; er war Valoroso der Hochherzige, Valoroso der Siegreiche, Valoroso der Große usw.; denn schon in jenen frühen Zeiten verstanden sich Höflinge und Volk aufs Schmeicheln.

Dieses königliche Paar hatte ein einziges Kind, die Prinzessin Angelika. Die war, darauf könnt ihr euch verlassen, ein Ausbund aller Vollkommenheit in den Augen der Höflinge, ihrer Eltern und in ihren eigenen. Man sagte, sie habe das längste Haar, die größten Augen, den schlanksten Wuchs, den kleinsten Fuß und die zarteste Hautfarbe unter allen jungen Damen im paphlagonischen Gebiet. Ihre Talente, so verkündete man, übertrafen sogar noch ihre Schönheit; und die Gouvernanten pflegten ihre faulen Schülerinnen dadurch zu beschämen, daß sie ihnen erzählten, was Prinzessin Angelika alles konnte. Sie konnte die schwersten Musikstücke vom Blatt spielen. Sie wußte die Antwort auf jede beliebige Frage aus dem »Bildungsschatz für höhere Töchter in Fragen und Antworten«. Sie wußte alle Jahreszahlen aus der Geschichte Paphlagoniens und jedes anderen Landes. Sie konnte französisch, englisch, italienisch, deutsch, spanisch, hebräisch, griechisch, lateinisch, kappadozisch, samothrazisch, ägäisch und krimtatarisch. Mit einem Worte: sie war ein junges Geschöpf von vollendeter Bildung, und ihre Hofmeisterin und Ehrendame war die gestrenge Gräfin Schnauzibautz.

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Möchtet ihr nach diesem Bilde nicht meinen, die Gräfin müsse eine Person von höchster Abkunft gewesen sein? Sie sieht so hochmütig aus, daß ich sie zum allermindesten für eine Prinzessin gehalten hätte mit einem bis an die Sintflut zurückreichenden Stammbaum. Aber diese Dame war von keiner besseren Herkunft als viele andere vornehm tuende Damen; und alle vernünftigen Leute machten sich über ihre alberne Überhebung lustig.

In Wirklichkeit war sie Kammerzofe der Königin gewesen, als Ihre Majestät noch Prinzessin war, ihr Mann aber Oberlakai. Doch nach seinem Tode oder Verschwinden, wovon ihr sogleich hören sollt, wußte diese Frau Schnauzibautz ihre königliche Herrin, die eine etwas schwache Frau war, mit Unterwürfigkeit und Lobhudelei zu beschwatzen und sich so sehr in ihre Gunst einzuschmeicheln, daß Ihre Majestät ihr einen Titel verlieh und sie zur Wärterin und Erzieherin der Prinzessin machte.

Und nun muß ich euch von den Talenten und Kenntnissen der Prinzessin erzählen, die ihr Ruf als so wundervoll hinstellte. Gescheit war Angelika schon, aber so faul wie nur möglich. Vom Blatt spielen – wo denkt ihr hin! Sie konnte ein oder zwei Stücke spielen und vorgeben, sie hätte sie nie vorher gesehen; sie konnte ein halbes Dutzend Fragen aus dem »Bildungsschatz« beantworten, aber man mußte eben aufpassen, daß man die rechten Fragen stellte. Für ihre Sprachen hatte sie wohl Lehrer die Menge, aber ich zweifle, ob sie in jeder mehr als ein paar Redensarten hersagen konnte, bei all ihrer Großtuerei; und was ihre Stickereien und Zeichnungen anlangt, so zeigte sie allerdings sehr schöne Proben; aber wer machte sie?

Dies nötigt mich, die Wahrheit zu sagen, und dazu muß ich weit, weit ausholen und euch von der Fee Schwarzstabel erzählen.


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