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12. Kapitel.

Wie Betsinda entfloh, und was aus ihr wurde.

 

Betsinda wanderte weiter und weiter, bis sie durch das Stadttor kam, und immer weiter auf der großen krimtatarischen Landstraße, in derselben Richtung, die auch Giglio einschlug. »Ach,« dachte sie, als die Postkutsche an ihr vorbeifuhr und der Postillon eine herrliche Weise auf seinem Horne blies, »wie gerne möchte ich in dieser Kutsche fahren!« Aber der Wagen und die Pferde mit ihrem Schellengeklingel waren ihr sehr bald entschwunden. Sie ahnte nicht, wer darin saß, obschon sie sehr wahrscheinlich die ganze Zeit an ihn dachte.

Dann kam ein leerer Karren daher, der vom Markte zurückkehrte; der Fuhrmann war aber ein freundlicher Mann, und als er sah, wie sich das wunderhübsche Mädchen barfuß auf der Landstraße dahinschleppte, bot er ihr aus Gutherzigkeit einen Platz auf seinem Gefährte an. Er sagte, er wohne mit seinem alten Vater, dem Holzhacker, am Rande des großen Waldes, und wenn es ihr recht sei, so wolle er sie auf ihrem Wege so weit mitnehmen. Für die kleine Betsinda war ein Weg wie der andere, deshalb wählte sie voller Dankbarkeit den ihr vorgeschlagenen.

Und der Fuhrmann wickelte ein Tuch um ihre nackten Füße und gab ihr Brot und kalten Speck und war sehr gut gegen sie. Trotz alledem fror es sie sehr und war ihr recht traurig zumute. Weiter und immer weiter fuhren sie, bis der Abend anbrach und sie in den Wald kamen, wo alle die schwarzen Tannen sich unter ihrer Schneelast zur Erde beugten. Und da – endlich! strahlte ihnen das trauliche Licht aus den Fenstern des Holzhackers entgegen; und sie stiegen aus und traten in seine Hütte ein. Er war ein alter Mann und hatte eine ganze Schar Kinder; die saßen eben um den Tisch herum und verzehrten ihr Abendessen, Brotbrocken in guter süßer Milch, als ihr großer Bruder mit dem Karren ankam. Und sie hüpften vor Freude und klatschten in die Hände, denn es waren gute Kinder, und er hatte ihnen Spielsachen aus der Stadt mitgebracht. Und als sie die hübsche fremde Jungfrau sahen, liefen sie zu ihr und führten sie ans Feuer und wärmten ihr die armen erstarrten Füßchen und brachten ihr Brot und Milch.

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»Sieh, Vater!« sagten sie zu dem alten Holzhacker, »sieh das arme Mädchen, und was für hübsche Füße sie hat! Sie sind so weiß wie unsere Milch. Und schau doch, was für einen alten Mantel sie hat, gerade wie das Stückchen Samt, das in unserm Schranke hängt und das du an dem Tage fandest, da die kleinen Löwenkätzchen von König Padella im Walde getötet wurden. Und sieh, nein, ist's möglich, sie hat um ihren Hals genau so ein Schühchen hängen wie das, was du heimgebracht und uns so oft gezeigt hast – ein kleines blaues Samtschühchen!«

»Was?« sagte der alte Holzhacker, »was schwatzt ihr da von einem Schuh und einem Mantel?« Und Betsinda erklärte, daß man sie einst als ganz kleines Kind in der Stadt zurückgelassen hätte mit diesem Mantel und diesem Schuh. Und die Leute, die dann für sie gesorgt hätten, wären – wären böse auf sie geworden; sie hoffe aber, sie sei nicht selber daran schuld. Und sie hätten sie fortgeschickt in ihren alten Kleidern – und hier sei sie nun. Sie erinnere sich, daß sie einmal in einem Walde gewesen sei – aber vielleicht war es auch nur ein Traum, denn es war gar so seltsam und wunderbar! – daß sie in einer Höhle mit Löwen dort gelebt habe und daß sie vorher in einem ganz prachtvollen Hause gewohnt habe, so prachtvoll wie das des Königs in der Stadt.

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Als der Holzhacker das hörte, da war er so verwundert, nein so verwundert, daß es ganz merkwürdig anzusehen war. Er ging an seinen Schrank und nahm aus einem Strumpfe einen Taler mit dem Bildnis des Königs Cavolfiore heraus und beteuerte, es sei der jungen Dame wie aus dem Gesicht geschnitten. Dann holte er den Schuh und das Stück Samt hervor, die er so lange aufbewahrt hatte, und verglich sie mit den Sachen, die Betsinda trug. In Betsindas kleinem Schuh stand geschrieben: »Müller, Hoflieferant«; ebenso stand in dem andern Schuh geschrieben: »Müller, Hoflieferant«. Auf der Innenseite von Betsindas Mantelstück waren die Worte gestickt: »Prin Rosal«, auf dem andern Mantelstück stand: »zessin ba. No. 246«. Hielt man nun die beiden Stücke zusammen, so war zu lesen: Prinzessin Rosalba No. 246.

Bei diesem Anblick fiel der liebe alte Holzhacker auf die Knie und sprach: »O meine Prinzessin, meine gnädigste fürstliche Herrin, o meine rechtmäßige Königin von Krimtataria! Ich begrüße dich – ich bringe dir meine Huldigung dar!« Und zum Zeichen seiner Lehnstreue rieb er seine ehrwürdige Nase dreimal an der Erde und setzte den Fuß der Prinzessin auf sein Haupt.

»Ei,« sprach sie, »mein guter Holzhacker, Ihr seid gewiß ein Edelmann vom Hofe meines königlichen Vaters!« Denn in ihrer niedern Verborgenheit und unter dem Namen Betsinda hatte Ihre Majestät Rosalba, Königin von Krimtataria, von den Gebräuchen aller fremden Höfe und Nationen gelesen.

»Meiner Treu, das bin ich, meine gnädigste Gebieterin! Der arme Baron Spinachi einst – der schlichte Holzhacker die letzten fünfzehn Jahre lang; seit der Zeit, da der Tyrann Padella (möge das Verderben den verräterischen Buben ereilen!) mir das Amt des ersten Kammerherrn entzog!«

»Erster Kammerherr des Zahnstochers und Oberintendant der Schnupftabaksdose? Ich entsinne mich! Du bekleidetest diese Ämter unter unserem königlichen Vater. Sie sind dir wieder verliehen, Baron Spinachi! Ich schlage dich zum Ritter unseres Kürbisordens zweiter Klasse (die erste Klasse ist ausschließlich für gekrönte Häupter bestimmt). Erhebe dich, Marquis Spinachi!« Und mit unbeschreiblicher Majestät schwang die Königin, die kein Schwert bei der Hand hatte, den zinnernen Löffel, mit dem sie eben ihre Milchbrocken gegessen hatte, über dem kahlen Haupte des alten Edelmanns, dessen Tränen auf dem Boden einen wahren See bildeten, und dessen liebe Kinder an jenem Abend zu Bette gingen als die Barone und Baronessen Bartolomeo, Ubaldo, Cattarina und Ottavia degli Spinachi!

Die Kenntnis von der Geschichte und den adligen Geschlechtern ihres Reiches, welche Ihre Majestät an den Tag legte, war ganz erstaunlich. »Das Haus derer von Broccoli sollte uns treu geblieben sein,« sprach sie; »sie waren an unserem Hofe stets gern gesehen. Haben sich die von Articiocchi, wie es ihr Brauch war, der aufgehenden Sonne zugewendet? Die Familie von Sauerkraut muß sicherlich auf unserer Seite sein – sie war stets willkommen in den Hallen König Cavolfiores.« Und so fuhr sie fort, die Edelleute und Vornehmen des krimtatarischen Reiches der Reihe nach herzuzählen, so trefflich hatte sie ihre Lehrzeit während ihres Exils ausgenutzt.

Der alte Marchese degli Spinachi sagte, er könne für sie alle einstehen, das ganze Land seufze unter Padellas Gewaltherrschaft und sehne sich danach, unter sein rechtmäßiges Herrscherhaus zurückzukehren. Und so spät es auch war, so schickte er doch seine Kinder, die mit dem Walde vertraut waren, aus, um diesen und jenen Edelmann aufzubieten; und als sein ältester Sohn, der bis jetzt das Pferd gestriegelt und ihm zu fressen gegeben hatte, ins Haus kam und selber sein Abendbrot haben wollte, da hieß ihn der Marquis seine Stiefel anziehen, den Gaul satteln und dahin und dorthin reiten zu diesen und jenen Leuten.

Als der junge Mann horte, wer seine Gefährtin auf dem Karren gewesen war, da kniete auch er nieder und setzte sich ihren königlichen Fuß aufs Haupt; auch er betaute den Boden mit seinen Tränen. Er war in glühender Liebe zu ihr entbrannt, wie jedermann, der sie jetzt sah; ja sogar die beiden Junker Bartolomeo und Ubaldo pufften einander aus Eifersucht die kleinen Köpfe voll Beulen.

Nicht besser ging es den krimtatarischen Edelleuten, die dem Hause der Cavolfiore treu geblieben waren, als sie von Ost und West, dem Aufgebot des Marchese degli Spinachi folgend, herbeikamen. Es waren zum größten Teil so alte Herren, daß Ihre Majestät eine so lächerliche Leidenschaft niemals bei ihnen vermutete und sich ganz harmlos unter ihnen bewegte, ohne eine Ahnung von den Verheerungen, die ihre Schönheit anrichtete, bis eines Tages ein alter blinder Baron, der sich ihrer Partei angeschlossen hatte, ihr eröffnete, wie es in Wahrheit stand. Danach trug sie, aus Furcht, die Leute gar zu verliebt in sich zu machen, immer einen Schleier vorm Gesicht. Sie reiste heimlich umher von einem Adelssitz zum anderen, und ihre Anhänger besuchten sich wieder untereinander und hielten Versammlungen ab und verfaßten Proklamationen und Gegenproklamationen und verteilten die besten Ämter des Königreiches alle unter sich und setzten fest, wer von der Gegenpartei hingerichtet werden sollte, wenn die Königin nur erst zu ihrem Rechte gekommen wäre. Und etwa nach Jahresfrist waren sie zum Losschlagen bereit.

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Die Partei der Treue war aber zum größten Teil aus sehr schwachen alten Käuzen zusammengesetzt; sie zogen im Lande umher und schwangen ihre alten Fahnen und verrosteten Schwerter mit dem Rufe: »Gott erhalte unsere Königin!« Und da König Padella gerade auf einem Eroberungszug begriffen und daher abwesend war, ließ man sie eine kleine Weile gewähren. Und das Volk war auch jedesmal voller Begeisterung, wenn es die Königin erblickte; im übrigen jedoch nahmen die Leute diese Angelegenheit sehr gelassen auf, denn, sagten sie, soviel sie sich erinnern könnten, wären sie zu König Cavolfiores Zeiten ebenso hart besteuert worden wie jetzt unter König Padella.


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