Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

.

1. Kapitel

In welchem gezeigt wird, wie sich die königliche Familie an den Frühstückstisch setzte.

 

Das war Valoroso XXIV., König von Paphlagonien, wie er mit seiner Königin und seinem einzigen Kinde am königlichen Frühstückstisch saß. Eben hatte er einen Brief erhalten, welcher ihm ankündigte, daß Prinz Bulbo, der Thronfolger Padellas, des regierenden Königs von Krimtataria, Seiner Majestät nächstens einen Besuch abzustatten gedächte. Man beachte das Entzücken in den königlichen Zügen des Monarchen! Der Brief des Königs von Krimtataria nahm seine Aufmerksamkeit so sehr in Anspruch, daß er seine Eier kalt werden und seine erlauchten Semmeln unberührt stehen ließ.

»Wie? Jener schlimme, tapfere, allerliebste Prinz Bulbo!« rief Prinzessin Angelika; »so schön, so fein gebildet, so geistreich – der Eroberer von Rimbombamento, wo er zehntausend Riesen erschlug!«

»Wer hat dir denn von ihm erzählt, mein Liebling?« fragte Seine Majestät.

»Mein kleiner Finger,« sagte Angelika.

»Der arme Giglio!« sagte die Mama, indem sie den Tee einschenkte.

»Ach was, Giglio!« rief Angelika und warf den Kopf zurück, um den es von tausend Lockenwickeln raschelte.

»Ich wollte,« brummte der König, »ich wollte, Giglio ginge ...«

»Ginge es besser? Ja, Lieber, es geht ihm besser,« sagte die Königin. »Angelikas kleine Zofe, Betsinda, hat mir's gesagt, als sie heute früh mit dem Morgentee in mein Zimmer kam.«

»Ihr trinkt immerfort Tee,« sagte der Monarch mit verdrießlicher Miene.

»Es ist besser als Portwein oder Likör trinken,« entgegnete Ihre Majestät.

»Nu, nu, meine Beste, ich habe ja nur gesagt, Ihr tränket gerne Tee,« brachte der König von Paphlagonien etwas mühsam hervor, als ob er sich zusammennehmen müßte. »Angelika, ich hoffe, du bist reichlich mit neuen Kleidern versehen: deine Schneiderrechnungen sind lang genug. Meine teure Königin, Ihr werdet ein paar Gesellschaften geben müssen. Ich ziehe Gastmähler vor, aber Ihr seid natürlich für Bälle. Eures ewigen blauen Samtkleides bin ich nachgerade überdrüssig, und, meine Liebe, Ihr solltet auch ein neues Halsband haben. Bestellt eins. Nicht mehr als für hundert- oder hundertfünfzigtausend Goldgulden.«

»Und Giglio, mein Lieber?« fragte die Königin.

»Giglio mag zum ...«

»Aber, Verehrtester!« schrie Ihre Majestät. »Euer eigener Neffe! Unseres seligen Königs einziger Sohn!«

»Giglio mag zum Schneider gehen und die Rechnungen dem Murriano einschicken lassen. Gott straf' ihn! Ich will sagen: Gott segne den Herzensjungen! Es soll ihm an nichts fehlen – gebt ihm ein paar Dukaten als Taschengeld, meine Liebe, und Ihr könntet Euch auch gleich noch Armbänder bestellen, wenn Ihr das Halsband aussucht, Madam Valoroso.«

Ihre Majestät, oder Madam Valoroso, wie der Monarch sie scherzhafterweise nannte – denn sogar Könige wollen ihren Spaß haben, und die Glieder dieser erlauchten Familie waren sehr anhänglich aneinander –, umarmte ihren Gemahl und, den Arm um den Leib ihrer Tochter schlingend, verließ sie mit ihr das Frühstückszimmer, um alles für den fürstlichen Fremdling vorzubereiten.

Als sie weg waren, da entwich das Lächeln, welches das Auge des Gatten und Vaters erleuchtet hatte, der Stolz des Königs entwich – es blieb allein der Mensch.

Hätte ich die Feder des unsterblichen Bombastini, so würde ich Valorosos Qualen in der gewähltesten Sprache beschreiben, und ebenso wollte ich sein blitzendes Auge, seine bebenden Nasenflügel, seinen Schlafrock, sein Schnupftuch und seine Pantoffeln schildern. Aber ich brauche nicht zu versichern, daß ich die Feder jenes vielgeliebten Schriftstellers nicht besitze. Genug also: Valoroso war allein.

Einen der vielen Eierbecher ergreifend, die auf seiner fürstlichen Tafel für das Frühmahl bereit standen, stürzte er auf den Speiseschrank zu, holte eine Flasche Danziger Goldwasser hervor, füllte und leerte den Becher mehrmals und setzte ihn endlich hin mit einem heiseren: »Ha, ha, ha! Jetzt ist Valoroso wieder ein Mann!«

»Aber ach!« fuhr er fort, immer noch nippend, wie ich leider verraten muß, »ehe ich König war, bedurfte ich nicht dieses berauschenden Getränkes. Einst fühlt' ich Abscheu vor dem Branntewein; da war mein einz'ger Trunk der klare Quell. Behender nicht hüpft er von Fels zu Fels, als damals ich, die Büchse in der Hand, den frühen Morgentau vom Grase streifend, das Rebhuhn jagte und das flücht'ge Reh. Ach wie so wahr spricht Englands großer Dichter: ›Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt!‹ Was stahl ich meines Neffen, Giglios ...? ›Stahl‹ sagt' ich? Nein, nein, nein, stahl nicht, nicht stehlen. Ich nehm's zurück, das hassenswerte Wort. Ich nahm und setzte auf mein männlich Haupt die Königskron' von Paphlagonia; ich nahm und schwing' mit königlichem Arm den Zepterstab von Paphlagonia; ich nahm und halt' in ausgestreckter Hand von Paphlagonia des Reiches Apfel. Wie könnt' ein Kind, ein sabbernd, schlabbernd Bübchen – saß auf der Amme Schoß erst gestern noch und schrie nach Zuckerbrot und quäkt' nach Brei –, wie könnte es die fürchterliche Last von Krone, Zepter, Reichesapfel tragen? Wie könnt' es führen meiner Väter Schwert, den grimmen Erbfeind aus der Krim bestehn?«

Und dann fuhr der Monarch in seiner Beweisführung – zwar ist es selbstverständlich, daß ungereimte Verse keine Beweise sind – folgendermaßen fort: es sei seine Pflicht, festzuhalten, was er einmal erlangt hätte; und hatte er auch ehemals den Gedanken an eine gewisse Wiedererstattung, die nicht näher bezeichnet werden soll, gehegt, so stellte jetzt die Aussicht, durch eine gewisse Heirat zwei Kronen und zwei Völker zu vereinigen, welche in blutige und kostspielige Kriege verwickelt gewesen waren, wie die Paphlagonier und Krimtatarier, die Möglichkeit, Giglio wieder in seine Rechte einzusetzen, außer Frage; ja, wäre sein Bruder, König Savio, noch am Leben, so wurde er gewiß seinen eigenen Sohn von der Thronfolge ausschließen, um eine so wünschenswerte Verbindung herbeizuführen.

So leicht betrügen wir uns selber! So bilden wir uns ein, was wir wünschen, sei auch recht! Der König ermannte sich, las seine Zeitungen, aß seine Semmeln und Eier auf und klingelte nach seinem Minister. Die Königin dachte, ob sie wohl hinaufgehen und Giglio, der krank gewesen war, besuchen sollte. Dann aber meinte sie: Nicht jetzt; erst die Arbeit, dann das Vergnügen! Heute nachmittag will ich nach dem lieben Giglio sehen; und jetzt will ich zum Goldschmied fahren und Halskette und Armbänder besorgen.

Die Prinzessin ging in ihre Gemächer hinauf und hieß ihre Zofe Betsinda all ihre Kleider herbeibringen; Giglio aber, den hatten sie ganz und gar vergessen, so wie ich vergessen habe, was es letzten Dienstag vor einem Jahre zu Mittag gegeben hat.


 << zurück weiter >>