Torquato Tasso
Das befreite Jerusalem
Torquato Tasso

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Achtzehnter Gesang.

 
1.
                    Voll Ehrfurcht nun begann Rinald zu sprechen,
Sobald der Feldherr ihm entgegenkam:
Herr, an dem toten Krieger mich zu rächen,
Trieb Eifersucht der Ehr' und glüh'nde Scham;
Und kränkt' ich dich, so weckte mein Verbrechen
Wohl tiefe Reu' in mir und bittern Gram.
Jetzt komm' ich, da du rufst, damit getreue
Schuldtilgung einst mir deine Huld erneue.
 
2.
So sprach Rinald mit demutsvollem Neigen;
Allein Bouillon umarmet ihn und spricht:
Unsel'ger That Erinnrung möge schweigen;
Geschehnes zu vergessen, sei uns Pflicht.
Du sollst und deine Reu' in Thaten zeigen,
Die ohnehin dein Heldenmut verspricht;
Denn uns zum Heil, der Feinde Trotz zu dämpfen,
Sollst du des Waldes Ungeheur bekämpfen.
 
3.
Der alte Forst, der reichlich zum Erbauen
Des Kriegsgerätes uns mit Holz versehn,
Ist jetzt ein Wohnsitz von geheimem Grauen,
Von Zauberwerk, des Grund wir nicht erspähn.
Nicht einer wagt's, ein Zweiglein abzuhauen;
Und ohne Werkzeug an den Sturm zu gehn,
Wehrt uns Vernunft. Nun, wo die andern beben,
Sollst du von deinem Mut uns Zeugnis geben.
 
4.
So spricht Bouillon; und ohne Wortverschwenden
Weiht sich Rinald der Mühsal und Gefahr.
Er sagt nicht viel, doch wird er viel vollenden;
Dies macht sein Blick und Anstand offenbar.
Nun eilt er, zu den andern sich zu wenden,
Und bietet freundlich Mund und Rechte dar.
Hier war Tankred, hier Guelf, vereinigt waren
Hier insgesamt die Obersten der Scharen.
 
5.
Er eilt den Gruß der Fürsten zu erwidern
Und letzet sich im treuen Freundesarm;
Leutselig dann empfängt er auch die Niedern
Und dankt dem Volk nicht minder froh und warm.
Nicht freud'ger jubeln würden ihm die Biedern,
Gedrängter wäre nicht der Krieger Schwarm,
Und hätt' er auch den Ost und Süd geschlagen
Und zög' einher auf prächt'gem Siegeswagen.
 
6.
So geht er in sein Zelt und sitzt umgeben
Vom Kreise der Vertrauten fröhlich dort,
Antwortet bald, läßt bald sich Kunde geben
Vom Gang des Kriegs und von dem Zauberort.
Doch als die andern nun sich wegbegeben,
Sagt ihm der Eremit ein ernstes Wort:
Viel Großes, Herr, in wunderbarem Wandern
Auf langem Pfad hast du erlebt vor andern.
 
7.
Wie hast du hoch den Herrn der Welt zu preisen,
Der dich entrissen jener Zaubermacht
Und dich verlornes Lamm von irren Gleisen
Zu seiner Herde mild zurückgebracht,
Und nun dich durch den Mund Bouillons, des weisen,
Zum zweiten Diener seines Willens macht.
Doch unentsündigt darfst du nicht begehren,
Für seinen Dienst die Rechte zu bewehren.
 
8.
Denn du bist so vom Schmutz der Welt umzogen,
So tief versunken in des Fleisches Wahn,
Daß nicht des Nils und nicht des Ganges Wogen
Dich säubern könnten, noch der Ozean.
Des Himmels Gnad' allein, die dir gewogen,
Vermag's zu thun: drum wende dich hinan,
Fleh' um Verzeihung ihn, verhehl' ihm keine
Der stillen Missethaten, bet' und weine.
 
9.
Er spricht's; Rinald beweint in stiller Buße
Den stolzen Zorn, den eiteln Liebesbund.
Dann wirft er sich demütig ihm zu Fuße
Und macht die Jugendfehler all' ihm kund.
Der Heil'ge löst ihn mit dem Gnadengruße
Und spricht alsdann: Sobald dem Erdenrund
Der Morgen strahlt, sollst du den Berg betreten,
Der gegen Osten schaut, um dort zu beten.
 
10.
Dann säume nicht, in jenen Forst zu dringen,
Wohin die Höll' all' ihre Larven schickt.
Du wirst, ich weiß, das Ungetüm bezwingen,
Wenn nur kein andres Blendwerk dich umstrickt.
O daß kein holdes Klagen oder Singen,
Kein Bild, wie süß es lächelt oder blickt,
Mit zarten Schmeichelein dein Herz betrüge!
Verachte der Gebild' und Bitten Lüge!
 
11.
So rät er ihm; voll Hoffnung und Verlangen
Macht sich Rinald zum großen Werk bereit.
Nachdenklich sind ihm Tag und Nacht vergangen;
Und rüstig nun noch vor der Morgenzeit
Läßt sich der Held vom Waffenschmuck umfangen
Und nimmt ein neu, fremdfarbig Oberkleid.
Zu Fuß und einsam, schweigend und entschlossen
Verläßt er nun das Zelt und die Genossen.
 
12.
Als noch die Nacht von ihren stillen Reichen
Dem Tage nicht die Herrschaft ganz vertraut,
Am Himmel noch nicht alle Stern' erbleichen,
Und kaum im fernen Ost der Morgen graut,
Da eilt Rinald, den Oelberg zu erreichen,
Und hebt den Blick zum Himmel auf und schaut,
Wie hier die Nacht, dort ihn der Morgen kröne
Mit unvertilgbar göttlich hoher Schöne.
 
13.
Wie schöne Lichter, muß er seufzend sagen,
Vereint in sich des Himmelstempels Pracht!
Der heitre Tag hat seinen Flammenwagen,
Goldstern' und Silbermond durchziehn die Nacht.
Doch keiner hat an solchem Glanz Behagen;
Wir haben nur des trüben Lichtes acht,
Das uns aus einem Antlitz bald umdunkelt
In flücht'gem Blick, in kurzem Lächeln funkelt.
 
14.
So sprechend steigt er auf dem steilen Pfade
Den Berg hinan, und oben kniet er hin.
Er lenkt die Blicke nach des Osts Gestade,
Hoch über alle Himmel fliegt der Sinn:
O schaue, Herr, mit einem Blick der Gnade
Auf meines Lebens sträflichen Beginn!
Laß dein Erbarmen mein Gemüt befeuern,
Den alten Sinn zu bessern, zu erneuern!
 
15.
So fleht Rinald; am himmlischen Gefilde
Wird schon zu Gold Aurorens Purpurlicht,
Das, wie sie steigt, an seinem Helm und Schilde,
Am Bergesgrün die goldnen Strahlen bricht.
Mit sanftem Hauch umspielet leis' und milde
Die Himmelsluft ihm Brust und Angesicht
Und läßt den Tau, Aurorens Schoß entfallen,
Auf sein entblößtes Haupt hernieder wallen.
 
16.
Befeuchtet ward vom kräft'gen Himmelstaue
Sein Oberkleid, das aschenfarbig war,
Und wie hinweggespült das Düstergraue,
Und das Gewand erglänzte weiß und klar!
So herrlich schmückt' die Blum' auf dürrer Aue
Im Morgenkühl der Blätter welke Schar;
So sieht die Schlange froh erstaunt im Lenzen
Sich frisch verjüngt von neuem Golde glänzen.
 
17.
Sein Kriegsgewand so strahlend zu entdecken,
Erfreuet sich der staunende Rinald;
Und ohne Säumen lenkt er nun den kecken,
Furchtlosen Schritt zum alten dunkeln Wald.
Jetzt war er dort, wo seines Anblicks Schrecken
Die minder Mutbegabten zwingt zum Halt;
Doch nichts Unholdes, Füchterliches hatten
Die Bäume jetzt, nur lieblich frohe Schatten.
 
18.
Er schreitet vor und höret, wie von schönen,
Anmut'gen Tönen alles rings erklingt.
Sein Ohr vernimmt des Bächleins heisres Stöhnen,
Geseufz' der Luft, die durch das Laub sich schwingt,
Des wohllautreichen Schwans wehmütig Tönen,
Die Nachtigall, die klagend Antwort singt,
Und Orgeln, Leiern, menschliche Gesänge;
Ein einz'ger Klang enthält so viele Klänge.
 
19.
Er war gefaßt auf ein entsetzlich Brüllen,
Wie es den andern hier entgegen drang;
Und Nymphen, Vögel, Luft und Bach erfüllen
Sein staunend Ohr mit wonnevollem Klang.
Er hemmt den Schritt, dies Wunder zu enthüllen;
Dann geht er fort mit zögernd leisem Gang
Und sieht nichts sich ihm entgegenstellen
Als eines Stroms durchsichtig klare Wellen.
 
20.
Die Fluren rings an seinen Ufern prangen
Mit Farb' und Duft in lieblichem Verein;
Er windet sich in tausendfachen Schlangen,
Und seine Flut umströmt den ganzen Hain.
Doch nicht genügt's, ihn außen zu umfangen,
Ein schmaler Arm dringt in den Forst hinein;
Vom Wald beschattet netzt er seine Matten,
Und lieblich tauschen beide Feucht' und Schatten.
 
21.
Der Ritter späht, wie er den Fluß durchwade,
Als plötzlich eine Wunderbrück' ihm blinkt,
Aus Gold gemauert, die mit breitem Pfade
Auf festem Bogengrund dem Wandrer winkt.
Er geht hinüber; doch, kaum ans Gestade
Gelangt sein Fuß, als sie sogleich versinkt,
Hinabgeschwemmt vom erst so stillen Flusse,
Der jetzt einherbraust in gewalt'gem Gusse.
 
22.
Er kehrt sich um und sieht in breitern Räumen
Den Strom, wie von geschmolznem Schnee geschwellt,
Weit ausgedehnt in tausend Wirbeln schäumen,
Indem er um sich selbst sich wollt und wellt.
Doch fühlt durch Neugier zu den alten Bäumen
Des dichten Hains sich hingelockt der Held;
Und immer scheint in wald'gen Einsamkeiten
Ein neues Wunder ihm sich zu bereiten.
 
23.
Wohin sein Fuß nur tritt im Weitergehen,
Da quillt's hervor, da sproßt es alsobald.
Hier sieht er Lilien, Rosen dort entstehen,
Ein Bach entsprudelt, eine Quell' entwallt;
Und über ihm, und rings, so weit zu sehen,
Verjüngt sein Laub der hochbejahrte Wald.
Die Rinde weicht sich auf, und wie im Lenzen
Scheint jeder Baum von frischem Grün zu glänzen.
 
24.
Ein flüss'ger Honig träufelt aus der Rinde,
Mit Manna ist das grüne Laub betaut:
Und wiederum ertönet leis' und linde
Klag' und Gesang in süßem Wechsellaut.
Allein der Chor, der mit der Flut, dem Winde
Den Schwänen sich vereint, wird nicht geschaut;
Er kann nicht sehn, wer diese Lieder singe,
Woher der Schall des Klanggerätes dringe.
 
25.
Indem er schaut, und der Vernunft Ermessen
Ableugnet, was die Sinne kundgethan,
Erblickt er eine Myrt' und lenkt indessen
Den Schritt zu ihr nach einem freien Plan.
Weit stolzer noch als Palmen und Cypressen
Streckt sie die großen Aeste himmelan;
Und fast berührt ihr Haupt die Wolkenräume,
Als wäre sie die Königin der Bäume.
 
26.
Ein neues Wunder, das sich dort entfaltet,
Macht, daß sein Fuß sich hemmt, sein Auge stiert:
Ein Eichbaum ist's, der sich von selber spaltet,
Den hohlen Schoß eröffnet und gebiert.
Hervor tritt eine Nymphe schön gestaltet,
Und wunderbar ist ihr Gewand verziert;
Und hundert Bäume sprengen dann die Rinden,
Um sich von hundert Nymphen zu entbinden.
 
27.
Wie oft sich auf Gemälden oder Bühnen
Dem Auge zeigt der Waldgöttinnen Schar,
Hochaufgeschürzt, mit bloßem Arm, dem kühnen
Kothurn der Jagd und aufgelöstem Haar,
So stellen sich dem Ritter jetzt der grünen
Baumrinden trügerische Töchter dar;
Nur daß sie nicht mit Pfeil und Spieß sich zeigen,
Denn Lauten, Zithern tragen sie, und Geigen.
 
28.
Sie fangen an zu tanzen und verschlingen
Sich selbst zum Kranz im holden Ringelreihn,
Und wie ein Kreis den Mittelpunkt, umringen
Sie den Rinald in lieblichem Verein.
Und auch den Baum umschließen sie und singen
Dem Ritter zu anmut'ge Schmeichelein:
Wie schön, wie froh bist du hier eingetroffen,
Du, unsrer Herrin Lieb' und teu'rstes Hoffen!
 
29.
Du kommst, der Kranken Labung zu gestatten,
Die von der Liebe Pfeil verwundet glüht.
Sieh diesen Wald, vorhin voll schwarzer Schatten,
Nur Wohnung für ein trauerndes Gemüt,
Sieh, wie so frisch, so lieblich seine Matten,
Wie fröhlich er, sobald du kommst, erblüht!
So sangen sie; ein süßer Ton entschwirrte
Dem schönen Baum, und auf that sich die Myrte.
 
30.
Oft zeigten Wunder sich in alten Zeiten
Bei Oeffnung eines ländlichen Silen;
Jetzt aber ließ viel schönre Seltenheiten
Die Myrt' hervor aus ihrem Schoße gehn.
Denn eine Nymphe sah man ihm entgleiten,
Ein Trugbild, doch wie Engel anzusehn.
Rinald erblickt's und wähnt mit leisem Grauen,
Armidens liebliche Gestalt zu schauen.
 
31.
Sie blickt ihn schweigend an, doch Wonn' und Klage
Spricht tausendfach aus einem Blicke schon.
Seh' ich dich doch? – ertönt nun ihre Frage –
Kehrst du zurück zu der, die du geflohn?
Was führt dich her? Bringst du dem Trauertage,
Der Witwennacht nun endlich süßen Lohn?
Wie? oder willst du neuen Krieg mir schaffen?
Was birgst du dein Gesicht und zeigst die Waffen?
 
32.
Kommst du als Freund, als Feind? Die reiche Brücke
Erbaut' ich wahrlich meinem Feinde nicht,
Schuf Quellen nicht und Blumen seiner Tücke,
Noch räumt' ihm weg, was dies Geheg' umflicht.
Leg' ab den Helm und, kommst du mir zum Glücke,
Zeig' Aug' in Auge mir dein Angesicht.
Laß Mund an Mund und Brust an Brust sich fügen;
Ja, deine Hand soll meiner Hand genügen.
 
33.
So fuhr sie fort und warf der Augen Strahlen
Ihm flehend zu, der Wangen Farb' entschwand,
Und holde Thränen, süße Seufzer stahlen
Sich leis' hervor, so heuchlerisch gewandt,
Daß arglos Mitgefühl bei solchen Qualen
Erweichen konnt' auch spröden Diamant.
Allein der Held, nicht grausam noch verwegen,
Behutsam nur, zieht ohne Rast den Degen.
 
34.
Er naht der Myrte sich; doch mit den Armen
Umschlingt sie den geliebten Stamm und schreit:
Nie sei es wahr, daß du zur Schmach mir Armen
Mit wildem Eisen meinen Baum entweiht!
Leg' ab dein Schwert; wo nicht, stoß' ohn' Erbarmen
Es in Armidens Brust und end' ihr Leid.
Ja, diese Brust, dies Herz mußt du durchdringen,
Willst du dein Schwert an meine Myrte bringen!
 
35.
Er zückt den Stahl, vom Flehn nicht aufgehalten;
Da zeigt ein neues Wunder sich geschwind.
Wie oft im Traum sich Bilder umgestalten,
Aus einem sich ein andres Bild entspinnt:
So dehnt ihr Leib sich aus, und düstre Falten
Zeigt ihr Gesicht; das Weiß und Rot zerrinnt.
Als hoher Ries' erscheint sie, umgeschaffen
Zum hundertarm'gen Briareus in Waffen.
 
36.
Und fünfzig Schwerter, fünfzig Schilde reichen
Ihr mächt'ge Wehr; Wut flammt ihr Angesicht.
Die Nymphen auch, die jetzt Cyklopen gleichen,
Bewaffnen sich; er aber zittert nicht
Und fällt den Baum an mit vermehrten Streichen,
Der wie beseelt stöhnt unterm Schwertgewicht.
Das Luftgefild gleicht stygischen Gefilden,
Von Ungeheuern voll und Graungebilden.
 
37.
Die Erde bebt, als spräng' in tausend Splitter
Ihr alter Grund; mit Blitz und Donner regt
Am Himmel sich ein gräßlich Ungewitter,
Das ins Gesicht ihm Sturm und Hagel schlägt.
Doch keinen einz'gen Hieb verfehlt der Ritter,
Bei aller dieser Wut stets unbewegt.
Er fällt den Baum, den Nußbaum, nicht mehr Myrte;
Der Zauber schwand, der Larven Heer entschwirrte.
 
38.
Die Luft erhellte sich, die Stürm' entwallten;
Der Forst war wieder wie vorhin zu schaun,
Nicht froh noch furchtbar mehr durch Zauberwalten,
Von Grauen voll, doch angebornem Graun.
Rinald versucht, was noch ihn könne halten,
Die Bäume dieses Waldes umzuhaun;
Dann lächelt er und spricht: O eitle Lügen!
O thöricht, wer von euch sich läßt betrügen!
 
39.
Ins Lager kehrt er heim. Von heil'gem Brande
Durchglüht ruft Peter dort mit lautem Ton:
Gelöset sind des Waldes Zauberbande;
Der Sieger kehrt zurück, er nahet schon!
Seht da! Und nun im glänzenden Gewande
Ehrwürdig stolz erscheint der Heldensohn;
Und von des Adlers silbernem Gefieder
Strahlt glänzender als sonst die Sonne wieder.
 
40.
Vom ganzen Heere wird er froh umfangen
Mit lautem Ruf, der weit durchs Lager schallt,
Und von Bouillon mit ehrenvollem Prangen;
Doch es beneidet keiner den Rinald.
Zum Feldherrn spricht der Held: Auf dein Verlangen
Ging ich und sah den schreckensvollen Wald;
Ich sah und brach den Zauber. Laß die Scharen
Jetzt ruhig ziehn; nichts mehr ist zu befahren.
 
41.
Die Leute gehn zum alten Forst und hauen
Mit guter Wahl des Holzes dort genug.
Und zeigt' ein schlechter Zimmermann beim Bauen
Des ersten Turms nur wenig Kunst und Fug,
So ließ sich jetzt ein hoher Künstler schauen
Und fügte das Gebälk geschickt und klug:
Wilhelm von Genua, der auf weiten Wogen
Als Herr des Meeres sonst umhergezogen.
 
42.
Der großen Heidenflotte mußt' er weichen
Und ließ ihr dann die Herrschaft auf dem Meer.
Jetzt bracht' er alles Seevolk samt der reichen
Wehrrüstung seiner Schiffe mit zum Heer.
Mit ihm im Fach der Werkkunst zu vergleichen
War von den größten Meistern keiner mehr;
Auch hatt' er bei sich hundert Baugesellen,
Um jeden seiner Plän' ins Werk zu stellen.
 
43.
Viel Katapulten, Widder und Ballisten
Ließ er erbaun durch seiner Künstler Hand,
Und andres Sturmzeug, das in kurzen Fristen
Zerstören soll die feste Mauerwand.
Doch Größres schuf er noch zum Heil der Christen;
Dies war ein Turm, der ganz aus Holz bestand
Und äußerlich mit Häuten war umschlossen,
Zum sichern Schutz vor feurigen Geschossen.
 
44.
Leicht wird das Werk zerlegt in seine Stücke
Und wieder eingefugt geschwind und leicht.
Von unten kommt der Widder, der voll Tücke
Die gegenüberstehnde Wand bestreicht;
Dann aus der Mitt' empor springt eine Brücke,
Die fest und sicher bis an die Mauer reicht;
Und endlich zeigt ein kleiner Turm sich oben
Und wird mit leichter Müh' emporgeschoben.
 
45.
Schnell läßt der Turm sich aus der Stelle schaffen;
Wo ebner Weg ist, läuft er hurtig fort
Auf hundert Rädern; auch beschwert mit Waffen
Und vielem Volk vertauscht er leicht den Ort.
Die fremde Kunst, der Arbeit Schnelle gaffen
Die Scharen an und stehn verwundert dort.
Und außer diesem rüstet man zum Sturme
Zwei andre noch, ganz gleich dem ersten Turme.
 
46.
Doch in der Stadt die Sarazenen paßten
Auf alles wohl, was man im Lager macht;
Denn ihrer Späher Schar hielt ohne Rasten
Vom nächsten Ort der Mauer gute Wacht.
Sie sahn zum Lager die gewalt'gen Lasten
Der Buchen, Fichten aus dem Forst gebracht;
Sahn Sturmgerät; doch ließ sich von den Werken
So fern nicht deutlich die Gestalt bemerken.
 
47.
Auch sie bereiten Kriegsgerät und geben
Den Türmen und der Mauer größre Kraft,
Indem sie diese dort noch mehr erheben,
Wo sie am mind'sten Sicherheit verschafft.
Nun glaubt man, daß gewiß das kühnste Streben
Der Feindesmacht an dieser Wehr erschlafft.
Doch jede Wehr wird von den Feuerstoffen,
Die jetzt Ismen bereitet, übertroffen.
 
48.
Er sammelt Pech und Schwefel aus der Welle
Des Sees, der über Sodom sich ergießt;
Vielleicht auch aus dem Strom, der um die Schwelle
Des Höllenabgrunds in neun Kreisen fließt,
Und schafft ein Feuer, das mit wilder Schnelle,
Mit Stank und Rauch dem Feind ins Auge schießt;
So hofft er seinen Wald, den jene Frechen
Trotz ihm verletzt, durch wilden Brand zu rächen.
 
49.
Indes zum Sturm das Heer auf diese Weise,
Und zur Verteid'gung sich die Feste schickt,
Wird eine Taube hoch im Wolkengleise
Von vielen aus dem Frankenheer erblickt.
Auf flüss'ger Bahn verfolgt sie ihre Reise
Und regt die Flügel rüstig und geschickt.
Schon senkt die fremde Botin ihr Gefieder
Aus hoher Luft zur nahen Stadt hernieder:
 
50.
Als mit gekrümmtem Schnabel, mächt'gen Klauen
Auf einmal ein gewalt'ger Falk erscheint,
Wie um den Weg zur Stadt ihr zu verbauen;
Doch sie erwartet nicht den wilden Feind.
Hinunter treibt er sie aus luft'gen Auen
Zum großen Zelt; schon trifft er sie, wie's scheint,
Und zielt nach ihrem Kopf mit scharfem Stoße,
Sie aber flüchtet schnell zu Gottfrieds Schoße.
 
51.
Kaum hat sie hier wohlthät'gen Schutz gefunden,
Als Gottfried eine Seltsamkeit gewahrt:
Ein Faden ist um ihren Hals gewunden,
Der unterm Fittich einen Brief bewahrt.
Er eilt sogleich den Inhalt zu erkunden,
Der ihm in kurzem Wort dies offenbart:
Dem Herrscher von Judäa Gruß und Ehre
Vom Feldherrn über die ägypt'schen Heere!
 
52.
Nicht zag', o Herr! Steh fest und halte Dauer
Nur bis zum vierten oder fünften Tag;
Denn bald befreien werd' ich jene Mauer
Und stürzen deinen Feind auf einen Schlag. –
Dies war die wicht'ge Botschaft, die in schlauer
Geheimschrift jetzt vor Gottfrieds Augen lag,
Und die man durch den Flügelboten sandte,
Wie man im Ost sie damals oft verwandte.
 
53.
Der Feldherr gibt, nachdem er dies vernommen,
Die Taube frei; sie aber wagt sich nicht
Zu ihrem Herrn zurück, von Furcht beklommen,
Weil sie gebrochen glaubt des Dienstes Pflicht.
Nun läßt Bouillon die Führer zu sich kommen,
Zeigt ihnen den geheimen Brief und spricht:
Ihr schaut, wie alles uns zu offenbaren
Gewürdigt hat der Herr der Himmelscharen.
 
54.
Nicht längre Zeit ist säumend zu verbringen;
Beginnen muß man neue Bahn sofort
Und, um die Mittagsmauer zu bezwingen,
Nicht sparen weder Schweiß noch Mühe dort.
Schwer ist es, da mit Waffen durchzudringen;
Doch kann's geschehn, ich kenne Weg' und Ort.
Und sicher hat die Mauer, durch die Stärke
Der Lage fest, dort minder Wehr und Werke.
 
55.
Du, Raimund, greif an jener Mittagsseite
Mit deinem Sturmgerät die Mauern an,
Indes ich jenseits meine Schar verbreite,
Als wollt' ich mich dem Norderthore nahn.
Dies sieht der Feind und wird zum stärksten Streite
Gen Mitternacht sich ziehn in falschem Wahn;
Dann schwenkt mein großer Turm, sich leicht bewegend,
Ein wenig ab und stürmt in andrer Gegend.
 
56.
Zu mir heran, Camill, wirst du indessen
Zum Angriff mit dem dritten Turme ziehn.
Er schwieg; und Raimund, ihm zunächst gesessen,
Der mittlerweil' still zu erwägen schien,
Begann: Des Feldherrn weislichem Ermessen
Läßt nichts hinzu sich fügen noch entziehn.
Nur dieses rat' ich noch, daß jemand gehe,
Der im Aegypterheer nach Kundschaft spähe,
 
57.
Und wahrhaft uns des Feindes Stärke sage,
Und welchen Plan des Krieges man erkor.
Tankred versetzt: Zu dieser Absicht schlage
Ich einen meiner Waffenträger vor.
Rasch ist er und gewandt in jeder Lage;
Verwegen, doch kein unvorsicht'ger Thor.
Er kennt die Sprachen von verschiednen Ländern,
Weiß Stimme, Gang und Anstand leicht zu ändern.
 
58.
Man ruft ihn her; und als er kaum vernommen,
Was Gottfried, was sein Herr von ihm begehrt,
Sagt er's mit Lächeln zu ganz unbeklommen
Und spricht vergnügt: Gleich setz' ich mich aufs Pferd.
Bald will ich zu des Feindes Zelten kommen;
Als Späher unerkannt und unverwehrt
Dring' ich am hellen Mittag ein zum Walle
Und zähle dort die Ross' und Krieger alle.
 
59.
Von jenes Heers Beschaffenheit und Stärke,
Vom Plan des Feldherrn bring' ich euch Bescheid.
Nichts vorgehn soll in ihm, was ich nicht merke,
Und wär' es auch die größte Heimlichkeit.
So spricht Vafrin und schreitet rasch zum Werke,
Wählt statt des Wamses sich ein langes Kleid
Und zeigt den Hals entblößt; das Haupt umwinden
Nach Heidenart verschlungne, falt'ge Binden.
 
60.
Den Köcher nimmt er und den Syrerbogen,
Ausländer ganz an Wesen und Gestalt;
Und all' den Sprachen, die ihm rasch entflogen,
Staunt jedermann, dem seine Red' erschallt.
Zum Syrer hätt' er sich in Tyr gelogen,
Wie er in Memphis als Aegypter galt.
Er reitet fort so schnell, daß kaum die Spuren
Sein Renner läßt in weichen Sandesfluren.
 
61.
Die Franken, eh' der zweite Tag sich endet,
Verbessern rings die Weg' in aller Hast;
Auch wird zugleich das Sturmgerät vollendet,
Denn nimmer ruhn sie von der Arbeit Last.
Die Nacht sogar wird wie der Tag verwendet
Und ihr geraubt die sonst gewohnte Rast;
Und nun ist nichts, was noch im Wege bleibe,
Daß man den Sturm mit aller Kraft betreibe.
 
62.
Den Tag vor dem bestimmten Ueberfalle
Verbringt der Feldherr meistens im Gebet;
Und beichten läßt er seine Krieger alle,
Worauf das Heer zum Tische Gottes geht.
Mit Absicht zeigt er nun vor jenem Walle,
Den er zu schonen denkt, sein Sturmgerät;
Und der getäuschte Feind, zum Streite fertig,
Ist vor dem sichern Thor des Sturms gewärtig.
 
63.
Kaum aber färbt die dunkle Nacht sich grauer,
So wird der große Turm dahin gebracht,
Wo minder krumm und minder fest die Mauer
Sich nicht in Bogen neigt, noch Winkel macht.
Hoch ob der Stadt steht Raimund auf der Lauer
Mit seinem Turm und harrt der nahen Schlacht;
Und zwischen Nord und Westen rückt zum Sturme
Camill heran mit jenem dritten Turme.
 
64.
Am Morgengraun des Horizonts entdecken
Die Schimmer jetzt der Sonne Wiederkehr:
Da sieht der Feind mit nicht geringem Schrecken,
Der Turm sei nicht auf seiner Stelle mehr;
Und dort und hier drohn an verschiednen Ecken
Zwei andre Türme, nie erblickt vorher;
Und ganz unzählig sieht man bei den Christen
Die Katapulten, Widder und Ballisten.
 
65.
Die Heiden bringen nun, sich schnell bewegend,
Von seinem frühern Ort das Kriegsgerät,
Das zur Verteid'gung dient, nach jener Gegend,
Wo man Bouillons Sturmwerkzeug jetzt erspäht.
Allein der weise Feldherr, wohl erwägend,
Daß ihm Aegyptens Heer im Rücken steht,
Läßt Guelf und beide Robert zu sich bitten
Und spricht: Bleibt hier bewaffnet und beritten,
 
66.
Und sorgt dafür, wann wir zum Sturme schreiten,
Und uns der minder starken Mauer nahn,
Daß keine Schar, indes wir vorne streiten,
Uns unversehens greif' im Rücken an.
Er schweigt. Schon ziehn von drei verschiednen Seiten
Drei tapfre Scharen jetzt zum Sturm heran;
Drei Scharen auch stellt Aladin entgegen,
Der heute selbst ergreift den alten Degen.
 
67.
Vor Alter zitternd hüllt er seine Glieder,
Von eigner Last gedrückt und manchem Jahr,
Jetzt in die längst entwöhnte Rüstung wieder
Und stellt sich gegen Raimunds tapfre Schar.
Auf Gottfried schickt er Soliman hernieder,
Argant auf den Camill; bei diesem war
Der Neffe Bohemunds, vom Glück erkoren,
Den Feind, der ihm gebührte, zu durchbohren.
 
68.
Die Schützen nahn zuerst in raschen Zügen
Und drücken giftgetränkte Waffen los;
Und von der Pfeil' unzähl'gen Wolkenflügen
Verdunkelt sich des Himmels weiter Schoß.
Doch die gewalt'gen Mauerbrecher fügen
Noch größres Unheil zu durch mächt'gern Stoß;
Denn Marmorkugeln sind es, die sie werfen,
Und Balken fahren aus mit Eisenschärfen.
 
69.
Ein Blitz ist jeder Stein, und wen er funden,
Dem malmt er Wehr und Glieder dergestalt,
Daß nicht nur Seel' und Leben sind entschwunden,
Auch selbst des Leibes und Gesichts Gestalt.
Die Lanze bleibt nicht stecken in den Wunden,
Auch nach dem Stoße macht sie keinen Halt.
Zu dieser Seite dringt sie ein, zur andern
Fährt sie hinaus und läßt den Tod im Wandern.
 
70.
Die Heiden trotz so wildem Angriff wachen
Zum Schutz der Stadt nicht minder aufmerksam.
Geschmeidig Tuch samt andern weichen Sachen
War's, das die Macht des Stoßes auf sich nahm.
Der Prall fand keinen Widerstand am schwachen
Nachgieb'gen Zeug und traf nur matt und lahm;
Und wo der Feind achtloser sich ergossen,
Ward rauh erwidert mit den Fluggeschossen.
 
71.
Allein der Franken Angriff wird nicht lauer,
Und jede der drei Scharen bleibt bewährt.
Die kommen unterm Dach, an dem der Schauer
Gedrängter Pfeil' umsonst hernieder fährt;
Und jene ziehn die Türm' heran zur Mauer,
Die sie aus allen Kräften von sich wehrt.
Nun wirft man Brücken aus von allen Türmen
Und läßt die Eisenstirn des Widders stürmen.
 
72.
Rinald indes scheint zögernd noch zu schwanken,
Weil er die Fahr nicht seiner würdig meint;
Ihm deucht es Pöbelruhm, wie andre Franken
Gemeinen Weg zu gehn, dem Volk vereint.
Er schaut umher und wählt nun ohne Wanken
Den Pfad, der jedem unzugänglich scheint.
Wo unbekriegt mit höhern, stärkern Zinnen
Die Mauer trotzt, will er den Sturm beginnen.
 
73.
Er wendet sich zu der berühmten Menge,
Die Dudo sonst geführt, und spricht voll Glut:
O Schande, daß bei solchem Kampfgedränge
Die Mauer dort in sicherm Frieden ruht!
Nie gab's Gefahr, die Kühnheit nicht bezwänge,
Und jeder Pfad ist eben für den Mut.
Wohlauf, zum Sturm! Wir schützen vor den wilden
Steinwürfen uns mit einem Dach von Schilden.
 
74.
Er rief's; gleich traten zu ihm die Gefährten
Und hoben übers Haupt die Schild' hinan,
Die fest gefugt ein Eisendach gewährten,
Hinlänglich stark, das Wetter zu empfahn.
Geschlossen tritt die Schar der Mutbewährten
Im Sturmschritt vor, und nichts hemmt ihre Bahn;
Denn aufgefangen wird vom festen Dache,
Was auch verderblich jetzt herniederkrache.
 
75.
Schon sind sie da. Rinaldos Arme hoben
Die hundertspross'ge Leiter an die Wand;
Und leichter als ein Rohr vom Windestoben
Ward sie bewegt von seiner starken Hand.
Steinklumpen, Säulen, Balken wirft man oben
Auf ihn hinab; er steigt rasch und gewandt,
Unzaghaft, unbesiegt vom stärksten Pralle,
Nicht achtend, ob Olymp und Ossa falle.
 
76.
Ein Wald von Pfeilen, Berg von Felsensplittern
Stürmt auf den Schild und auf den Rücken ein.
Die eine Hand macht rings die Mauern zittern,
Die andre muß dem Haupte Schutz verleihn.
Sein Beispiel regt auch bei den andern Rittern
Den Mut zur That; er steigt nicht mehr allein.
Noch viele klimmen an auf hoher Leiter;
Doch ungleich sind Kraft und Erfolgt der Streiter.
 
77.
Der stirbt, der fällt; er, stets im Weiterrücken,
Ermuntert diese hier, droht jenen dort.
Schon packt sein Arm – denn alles muß ihm glücken –
Weit ausgestreckt den höchsten Mauerbord.
Das Volk rennt zu; mit Drängen, Stoßen, Drücken
Bestürmt man ihn und treibt ihn doch nicht fort.
O Wunder! Solcher Schar, fest, kräftig strebend,
Ihr widersteht ein Mann, in Lüften schwebend.
 
78.
Er widersteht, rückt vor, ermannt sich wieder;
Der Palme gleich, die eine Last beschwert,
Erstarken ihm, je mehr bekämpft, die Glieder,
Und durch den Druck wird seine Kraft vermehrt.
Nun endlich wirft er alle Feinde nieder,
Dringt mit Gewalt durch Lanze, Spieß und Schwert,
Springt auf dem Mauerkranz als Herr und Sieger
Und macht ihn frei auch für die andern Krieger.
 
79.
Er selber bot die siegreich günst'ge Rechte
Dem jüngsten Bruder seines Feldherr dar,
Als dessen Kraft sich bis zum Fallen schwächte,
Und half ihm so, daß er der zweite war.
Indes erfuhr im wechselnden Gefechte
Der Feldherr manch Geschick und viel Gefahr;
Denn nicht der Mensch nur kämpft an jener Stäte,
Auch Kriegsgerät kämpft mit dem Kriegsgeräte.
 
80.
Hoch auf der Mauer war ein Stamm zu schauen,
Der sonst auf einem Schiffe dient als Mast.
Quer über ihm, mit stahlbeschlagnem, rauhen
Stirnteil bewehrt, hängt eines Balkens Last,
Die, erst zurückbewegt an starken Tauen,
Dann wiederkehrt mit ungestümer Hast.
Jetzt kriecht die Schildkröt' ein; jetzt mit Gebrause
Streckt sie den Hals hervor aus ihrem Hause.
 
81.
Der mächt'ge Block verdoppelt seine Pralle
Und schmettert auf den Turm mit solchem Graus,
Daß er ihm löst die festen Fugen alle
Und fort ihn stößt und schüttelt ihn durchaus.
Doch sichre Waffen hatt' in diesem Falle
Der Turm bereit: zwei Sicheln fahren aus,
Die sich geschickt dem Block entgegenwerfen
Und ihm die Seil' abhaun mit ihren Schärfen.
 
82.
So wie ein Felsklump durch die Zeit verwittert,
Gelöst vielleicht vom ungestümen Nord,
Herniederstürzt und rings den Wald zersplittert
Und Hütten reißt und Herden weg vom Ort,
So stürzt der Balken, daß der Wall erzittert,
Reißt Zinnen, Volk und Waffen mit sich fort.
Ein-, zweimal kracht der Turm mit lautem Dröhnen,
Die Mauer bebt, die Hügel rings ertönen.
 
83.
Schon glaubt Bouillon erstiegen das Gemäuer
Und dringet siegreich immer weiter vor;
Doch plötzlich steigt ein stinkend, dampfend Feuer,
Das auf ihn zufährt, von dem Wall empor.
Noch nimmer brach so furchtbar ungeheuer
Die Flamm' aus Aetnas Schwefelschlund hervor;
Nie goß der Himmel noch im Sommerbrande
So heiße Dünst' herab auf Indiens Lande.
 
84.
Brandtöpfe, Reife, Feuerspeere sausen;
Hier strahlt die Flamme schwarz, dort blutig rot.
Der Stank berauscht, betäubend wirkt das Brausen,
Blind macht der Rauch, die Flamme faßt und loht.
Nicht lange wehrt die nasse Haut dem grausen,
Gewalt'gen Brand; kaum schützt die noch zur Not.
Schon schwitzt sie und verschrumpft; und hilft zur Stunde
Der Himmel nicht, so geht der Turm zu Grunde.
 
85.
Der hehre Feldherr steht vor seinen Leuten
Und ändert nicht die Farbe noch den Stand,
Die Schar ermunternd, die den trocknen Häuten
Flut überströmt zum Schutz vor jenem Brand.
Doch als schon näher die Gefahren dräuten
Und wenig sich des Wassers übrig fand,
Da, siehe! fährt ein Sturm herab von oben
Und weht den Brand auf die, so ihn erhoben.
 
86.
Er jagt die Glut zurück zu ihren Schlünden
Und auf die Tücher, die, vom Feind bestimmt
Zum Schutz der Mauer, sich sogleich entzünden,
So daß, was brennbar ist, in kurzem glimmt.
O Held, mit dem die Himmel sich verbünden,
Den der Allmächt'ge selbst in Obhut nimmt!
Der Höchste kämpft für dich; die Winde kommen,
Sobald sie der Posaunen Ruf vernommen.
 
87.
Allein Ismen, der von des Nordes Flügen
Sieht auf sich selbst gejagt die Schwefelglut,
Will noch einmal durch seine Kunst der Lügen
Bewält'gen die Natur, der Stürme Wut;
Und samt zwei Druden, die sich zu ihm fügen,
Klimmt er zur Mauer an mit frechem Mut.
Schwarz, bärtig, grauenhaft scheint er den Sinnen
Ein Charon, Pluto neben zwei Erinnen.
 
88.
Schon murmelt er die Worte, deren Schauer
Den Phlegethon und den Cocytus bannt;
Schon dunkelt sich die Luft, schon hat ein grauer
Dunstnebel rings der Sonne Stirn umspannt:
Da, siehe, fährt vom hohen Turm zur Mauer
Ein großer Stein, gelöst von Bergeswand.
Er stürzt zugleich auf alle drei hernieder,
Verströmt ihr Blut, zerschmettert ihre Glieder.
 
89.
Und so zerstückelt werden die Gebeine,
Zermalmt die Schädel von des Blocks Gewicht,
Daß kaum das Korn, gequetscht vom Mühlensteine,
In kleinre Stäubchen sich zerreibt und bricht.
Die drei verruchten Geister fliehn die reine,
Lebend'ge Luft, das schöne Himmelslicht
Und eilen seufzend in das Reich der Nächte;
Drum, Menschen, fürchtet Gott und übt das Rechte!
 
90.
Der Turm indes, den vor des Feuers Wogen
Der Wind beschützt, eilt, sich der Stadt zu nahn,
Und legt bereits der Brücke schmalen Bogen
Mit kühnem Wurf fest auf die Mauer an.
Doch schnell kommt Soliman herbei geflogen
Und sucht zu brechen die verwegne Bahn
Und mehrt die Hieb' und hätte sie zerhauen;
Doch plötzlich läßt ein andrer Turm sich schauen.
 
91.
Anwachsend ragt ob allen Häusermassen
Weit in die Luft der hohe Bau empor.
Die Heiden sehn dies Wunder und erblassen,
Weil selbst die Stadt an Höhe jetzt verlor.
Doch Soliman will seinen Platz nicht lassen,
Ob auch die Steinmeng' ihn zum Ziel erkor;
Er gibt's nicht auf, die Brücke zu zerschlagen,
Und muntert auf und schilt der andern Zagen.
 
92.
Da zeigt sich Engel Michael des frommen
Heerführers Augen, sichtbar ihm allein,
Von Himmelswehr umblitzt, von Licht umglommen,
Besiegend der entwölkten Sonne Schein.
Sieh, Gottfried, spricht er, sieh! die Stund' ist kommen,
Vom Joch der Knechtschaft Zion zu befrein.
Nicht senke, senke nicht die scheuen Blicke;
Schau', welchen Beistand dir der Himmel schicke!
 
93.
Erhebe nur die schwachen Augen freier
Und sieh das Himmelsheer in luft'gen Aun!
Denn lüpfen will ich deinem Blick den Schleier
Der Sterblichkeit, des undurchdringlich Graun
Dem Menschen birgt des Himmels hohe Feier,
So wirst du hüllenlose Geister schaun
Und kannst dem Glanz der englischen Gestalten
Auf kurze Frist dein Aug' entgegenhalten.
 
94.
Sieh jene, die für Christi Wort gefallen
Als Geister nun des Himmels Bürger sind,
Die mit dir kämpfen und auch mit dir wallen
Ans hohe Ziel, das deine Kraft gewinnt.
Sieh, wo die Mauern dort in Trümmer fallen,
Wo Staub und Dampf schwarz durcheinander rinnt,
Dort kämpfet Hugo zwischen Rauch und Flammen
Und stößt der Türme festen Grund zusammen.
 
95.
Sieh dort, wie Dudo die erhabne Pforte
Gen Mitternacht erstürmt mit Schwert und Brand.
Er reicht den Kriegern Wehr, ruft kräft'ge Worte,
Legt Leitern an und hält sie fest im Stand.
Der dort sich zeigt an jenem höhern Orte,
Geschmückt mit Bischofshut und Meßgewand,
Ist Adhemar, der Hirt aus sel'gen Reichen;
Er segnet euch und macht des Kreuzes Zeichen.
 
96.
Richt höher noch den Blick und sieh das ganze
Vereinte Himmelsheer in voller Pracht!
Er hebt das Aug' und sieht in hellem Glanze
Geflügelt, ohne Zahl, des Himmels Macht.
Drei Scharen sind's, und jed' in einem Kranze,
Drei Glieder stark, geordnet wie zur Schlacht;
Und ihre Kreise, die an Raum gewinnen
Nach außen zu, verengern sich nach innen.
 
97.
Geblendet sank sein Aug'; er hebt's, um weiter
Des Schauspiels sich zu freu'n, und sieht's nicht mehr.
Doch um sich blickend sieht er seine Streiter
Vom Siegsglück angelächelt ringsumher.
Viel Helden trug Rinalden nach die Leiter;
Und er schon oben würgt im Heidenheer.
Da zürnt Bouillon, die Zeit hier zu verschwenden,
Und reißt die Fahn' aus ihres Trägers Händen.
 
98.
Zuerst beschreitet er die Brück', und eben
Sperrt in der Mitt' ihm Soliman den Weg.
Hier zeigt sich ein unendlich Heldenstreben
In wenig Hieben auf so engem Steg.
Der tapfre Sultan ruft: Für andrer Leben
Werf' ich, mich opfernd, hier das meine weg.
Haut ab die Brücke hinter mir, ihr Leute!
Ich bleibe hier, doch nicht als leichte Beute.
 
99.
Da sieht er den Rinald hierher sich lenkend,
Und alle fliehn vor seinem grausen Nahn.
Was soll ich thun? Mein Leben hier verschenkend,
Verschenk' ich's, spricht er, ohne Zweck und Plan.
Und immer noch auf neue Schutzwehr denkend
Läßt er nunmehr dem Feldherrn freie Bahn,
Der drohend folgt, wie seine Schritte weichen,
Und auf die Mauer pflanzt des Kreuzes Zeichen.
 
100.
Man sieht die Siegesfahn' erhaben wallen
Und prachtvoll sich in tausend Kreisen blähn.
Glanzheller scheint der Tag auf sie zu fallen,
Ehrfürcht'ger selbst die Luft sie anzuwehn;
Und mancher Pfeil scheint von ihr abzuprallen,
Und mancher scheu an ihr vorbeizugehn;
Es scheinen Burg und Hügel sich zu neigen,
Und fromm entzückt ihr Ehrfurcht zu bezeigen.
 
101.
Frohlockend schallt durch alle Heeresglieder
Das Siegsgeschrei, laut jubelnd weit und breit.
Rings das Gebirg erschallt und hallet wider
Die letzten Tön'; und fast zur selben Zeit
Stürmt auch Tankred die letzte Schutzwehr nieder,
Die ihm Argant entgegenwarf im Streit,
Schlägt seine Brück', eilt nach dem Mauerkranze
Und stellt das Kreuz dort auf im Siegesglanze.
 
102.
Im Süden nur, wo gegen den Tyrannen
Jerusalems der graue Raimund stand,
Gelang's noch nicht Gasconiens tapfern Mannen,
Den Turm zu nahn der schroffen Mauerwand.
Ihn hielt der Kern des Heidenheers von dannen,
Der in der Schar des Königs sich befand;
Und war die Mauer dort von mindrer Stärke,
War sie geschützter durch Verteid'gungswerke.
 
103.
Und überdies war hier am Felsenhange
Dem großen Bau der Zugang minder leicht,
Weil die Natur des Orts dem mächt'gen Zwange
Der Kriegeskunst doch nicht in allem weicht.
Indessen wird vom lauten Siegesklange
Der Heiden und Gasconier Ohr erreicht,
So daß der König und der Graf erkunden,
Schon sei die Stadt im Norden überwunden.
 
104.
Da ruft der von Toulous': Ihr Kampfgenossen!
Von jenseit ist die Stadt erobert schon
Und widersteht trotzdem? Und ausgeschlossen
Sind wir allein vom hehren Siegeslohn? –
Doch endlich weicht der alte Fürst verdrossen,
Da jede Hoffnung des Erfogs entflohn,
Und flüchtet sich nach einem höhern Turme,
Wo er gedenkt, zu widerstehn dem Sturme.
 
105.
Nicht durch die Mauern nur, auch durch die Pforten
Zieht nun das ganze Siegerheer hinein;
Denn schon gesprengt, verbrannt, zerstört ist dorten,
Was noch im Wege war den tapfern Reihn.
Des Schwertes Grimm lustwandelt allerorten
Und Tod, mit Graun und Jammer im Verein;
In Bächen strömt das Blut, stemmt sich in Teichen,
Von halb Lebend'gen voll und voll von Leichen.

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