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Schon war der Morgenlüfte sanftes Kosen, Auroren zu verkünden, früh erwacht. Sie kränzet noch ihr goldnes Haupt mit Rosen, Die Edens Flur zum Schmuck ihr dargebracht: Als murmelnd, wie bewegter Wellen Tosen, Das Heer sich schon zum Aufbruch fertig macht, Eh' noch die Kriegsdrommeten sich erheben Und hellern Klangs das frohe Zeichen geben. |
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2. |
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Der weise Feldherr lenkt mit sanftem Walten Den Trieb der Seinen und begünstigt ihn; Denn leichter wär's, die Wasser aufzuhalten, Die raschen Laufes zur Charybdis fliehn, Und selbst den Nord, wann sein unhemmbar Schalten Versenkt die Schiff' und packt den Apennin. Er ordnet sie, führt an und lenkt die Straße, Noch eilend zwar, doch eilend nun mit Maße. |
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3. |
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Ein jeder trägt an Herz und Füßen Flügel Und fühlt doch nicht, wie rasch er fortgerannt. Doch höher schwingt die Sonne nun den Zügel Und spaltet, heißern Strahls, das dürre Land: Da sieh, Jerusalem! Dort Zions Hügel! Da sieh! Jerusalem zeigt jede Hand; Da sieh! es rufen tausend nun und tausend: Jerusalem! in frohem Gruß erbrausend. |
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So, wann ein kühnes Volk auf schwachen Schiffen Dem ungewissen Meere sich vertraut, In fremder Zon', umringt von Felsenriffen, Vom Sturm umheult, dem Tod entgegenschaut, Und nun sein Blick das ferne Land ergriffen, Erschallt sein Gruß mit hellem Jubellaut; Und einer zeigt's dem andern, und vergessen Sind Müh' und Not des Wegs, den sie durchmessen. |
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5. |
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Doch nach der Freude, der sie sich ergeben, Vom ersten Anblick wunderbar entzückt, Fühlt jeder sein zerknirschtes Herz erbeben, Von heil'ger Scheu und Ehrfurcht tief gedrückt. Kaum wagen sie, das Aug' empor zu heben Zu jener Stadt, die Christus einst beglückt, Wo er verschied und wo er ward begraben, Wo dann die Glieder ihn aufs neu' umgaben. |
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6. |
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Gebrochnes Aechzen, halb ersticktes Weinen, Schmerzvolles Seufzen, klagendes Gestöhn Der Scharen, welche Freud' und Schmerz vereinen, Erfüllt die Luft mit murmelndem Getön, Wie man's vernimmt in dichtbelaubten Hainen, Wann leiser Wind herabfährt aus den Höhn; Wie das bewegte Meer mit hohlem Sausen Ans Ufer hin durch Klippen pflegt zu brausen. |
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7. |
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Barfüßig, nach der Führer Beispiel, wallen Die Völker nun, da man der Stadt sich naht; Und abgelegt wird demutsvoll von allen Gold Seide, Helmschmuck, jeder eitle Staat. So auch der Herzen stolze Kleider fallen, Und heiße Zähren netzen fromm den Pfad; Und doch, als ob der Thränen Quell verschlossen, Klagt reuig so ein jeder der Genossen: |
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8. |
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Wo du, o Herr! das Erdreich ließest saugen In tausend Strömen dein geheiligt Blut, Kann solches Leids Gedächtnis mir nicht taugen, Zwei Bäche dir zu weihn von bittrer Flut? O kaltes Herz! warum nicht durch die Augen Strömst du dahin, geschmelzt in Thränenglut? O hartes Herz! gleichst du noch jetzt den Steinen? Weinst du nicht heut, so mußt du ewig weinen! |
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9. |
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Ein Mann indes, der über Berg' und Anger Als Wächter schaut von einem Thurm am Wall, Sieht unten Staub entstehen, der in langer Fortwälzung aufsteigt wie ein Wolkenball. Die Wolke scheint mit Glut und Blitzen schwanger, So funkelt sie, so strahlt sie überall. Jetzt sieht er schon der Waffen und Geschosse Metallnen Glanz, und kennet Leut' und Rosse. |
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10. |
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Da ruft er laut: Wie wälzt sich ungeheuer Der Staub daher! Wie schimmert es herauf! Auf, Bürger, auf! Verteidigt das Gemäuer! Bewaffnet euch und eilet rasch hinauf! Schon nahet sich der Feind! – Und dann, mit neuer Anstrengung, ruft er: Zu den Waffen, auf! Der Feind ist da! Seht, welche Nebelwolke Erhebt sich gräßlich vor dem nahen Volke! |
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Die schwachen Kinder, die entnervten Alten, Der Weiber bange Scharen, ohne Kraft Den Feind zu treffen, noch ihn abzuhalten, Ziehn zur Moschee, laut flehend, kummerhaft. Doch wer von kräft'germ Arm und mut'germ Walten, Hat alsogleich die Waffen aufgerafft. Die ziehn zum Schutz der Thore, die des Walles; Der König geht umher und ordnet alles. |
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Nachdem, was nötig, überall geschehen, Besteigt er einen Turm, zwei Thoren nah; Hier kann er Berg' und Felder übersehen Und ist, im Notfall, gleich zur Hilfe da. Er läßt hierher Erminia mit sich gehen, Die seinen Hof zum Zufluchtsort ersah, Seit Antiochien ihr der Feind genommen, Und dort der Fürst, ihr Vater, umgekommen. |
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Den Franken fliegt Clorinde schon entgegen, Vor ihrer Schar, mit reißender Gewalt; Argant indes lauscht auf geheimen Wegen, Zur Hilfe stets bereit, im Hinterhalt. Die Heldin weiß der Ihren Mut zu regen Durch kühnes Wort und kriegrische Gestalt: Heut, ruft sie, kommt uns zu, den Grund zu bauen, Auf welchen Asien stütze sein Vertrauen! |
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Clorinde ruft's und sieht auf wenig Schritte Ein Frankenhäuflein ziehn, mit Raub beschwert, Das auf die Beute ging, nach Kriegessitte, Und nun mit Schlachtvieh heim zum Heere kehrt. Sie sprengt heran, und aus der Franken Mitte Spornt auf der Führer auf sie los sein Pferd. Sein Nam' ist Gardo, wohlberühmt in Schlachten, Doch freilich nicht der Heldin gleich zu achten. |
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Ihr kräft'ger Stoß macht ihn vom Sattel weichen; Die Franken sehn's, es sieht's der Heiden Schar Und nimmt, hell jauchzend, dies als gutes Zeichen Dem ganzen Kriege; doch es ward nicht wahr. Sie stürzt' aufs andre Volk mit wilden Streichen, So daß ihr Arm gleich hundert Armen war. Die Heiden folgten ihr auf diesem Wege, Gebahnt durch Stöße, frei gemacht durch Schläge. |
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Die Beute wird dem Plündrer abgenommen; Die Franken weichen nach und nach gelind, Bis sie auf eines Hügels Gipfel kommen, Wo sie im Schutz des Ortes sichrer sind. Nun, Flammen gleich, die in der Luft entglommen, Und wie sich reißend löst ein Wirbelwind: So stürzt Tankred, durch Gottfrieds Wink verpflichtet, Mit seiner Schar hervor, den Speer gerichtet. |
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Er führt den Schaft so stark, mit solcher Hitze, So kriegrisch reizend kommt der junge Held, Daß gleich der König, auf des Thurmes Spitze, Ihn unter Kühnen für den Kühnsten hält. Er spricht zu der, die schon auf ihrem Sitze, Was sie empfand, mit Mühe nur verstellt: Du hattest ja mit Christen viel zu schaffen Und kennest jeden wohl, auch unter Waffen. |
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Wer ist denn jener, der mit starkem Speere, Furchtbaren Anblicks, allen rennt zuvor? Da, statt der Antwort, steigt ihr eine Zähre Ins Aug', ein Seufzer aus der Brust empor. Sie strebt umsonst, daß sie der Regung wehre, Die doch nicht ganz sich unbemerkt verlor; Denn Purpur färbt die feuchten Augenlider, Und halb nur senkt des Seufzers Hauch sich nieder. |
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Dann, sich verstellend, deckt sie mit dem rauhen Gewand des Hasses sehr verschiedne Glut: Wohl kenn' ich ihn! Muß ich umringt ihn schauen Von Tausenden, ihn kenn' ich nur zu gut. Denn oft, schon früher, sah ich, wie er Auen Und Gräben füllte mit der Meinen Blut. Wie grausam trifft er! Ach! für seine Wunden Ward nie ein Kraut noch Zauberspruch gefunden. |
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Es ist Tankred. O, hätt' ich ihn gefangen In meiner Macht! Tot dürft' er noch nicht sein; Nein, leben müßt' er, diesem Glutverlangen Durch süße Rache Lindrung zu verleihn. Sie spricht es; und der Fürst, leicht hintergangen, Trägt fremden Sinn in wahres Wort hinein; Und es entschlüpft mit ihren letzten Tönen, Umsonst zurückgedrängt, ein zärtlich Stöhnen. |
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Zum Gegenangriff sprengt indes Clorinde, Den Speer gefällt, rasch auf Tankreden los. Sie treffen die Visier', in alle Winde Fliehn Splitter auf, der Schönen Haupt wird bloß; Denn es zerriß von ihrem Helm die Binde, Er sprang herab – o wunderbarer Stoß! – Und es erschien, gelöst die goldnen Locken, Im Schlachtgefild' ein Mädchen, unerschrocken. |
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Ihr Auge flammt, als ob es Blitze sprühte, Im Zorne hold; wie wär's im Lächeln gar? Was schaut Tankred? Was sinnst du im Gemüte? Wird dir das vielgeliebte Bild nicht klar? Dies ist das Antlitz, das dich ganz durchglühte; Sag's dir dein Herz, das längst sein Tempel war. Dies ist sie, die du einst am stillen Quelle Die Stirne kühlen sahst mit klarer Welle. |
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Er, der auf Schuld und Helmschmuck nicht geachtet, Wird jetzt zu Stein, da ihn ihr Blick erreicht. Sie, die ihr Haupt zur Not zu decken trachtet, Greift ohne Zögern an; er aber weicht Und kreise sein wildes Schwert, das andre schlachtet. Doch sie vergönnt ihm Frieden nicht so leicht; Denn drohend folgt sie ihm und ruft: Verweile! Daß sie zugleich zwiefachen Tod erteile. |
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Sie haut auf ihn, er kann nicht wieder hauen, Nicht so bedacht auf Schutz und Widerstand, Als ihr ins Aug', ins Angesicht zu schauen, Wo Amor nie umsonst den Bogen spannt. Er spricht zu sich: Wohl fehlet von den rauhen Schwertstreichen mancher der bewehrten Hand; Doch ihrem Antlitz, unbewehrt und offen, Fehlt nie ein Streich, stets wird mein Herz getroffen. |
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Er will, zwar hoffnungslos sie zu erweichen, Als stummer Liebender nicht aus der Welt; Sie wiss' es erst, daß sie mit ihren Streichen Den wehrlos zitternden Gefangnen fällt. Drum sagt er ihr: Du, die nach allen Zeichen Mich hier allein für ihren Gegner hält, Komm aus der Schlacht; so können wir, vom Toben Der Menge fern, du mich, ich dich erproben. |
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Dann wird man besser sehn, ob meine Stärke Der deinen gleicht. Sie nimmt den Vorschlag an; Als ob sie kaum des Helms Verlust bemerke, Sprengt kühnlich dem Betäubten sie voran. Kaum sind sie fern, so schreitet sie zum Werke; Schon hat sie einen mächt'gen Hieb gethan, Da ruft er aus: Halt ein mit Blutvergießen, Daß vor dem Kampf wir Kampfverträge schließen. |
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Sie senkt das Schwert, und bis zur Kühnheit heben Lieb' und Verzweiflung den verzagten Sinn. Dies, spricht er, sei Vertrag: versagt dein Streben Den Frieden mir, so nimm mein Herz nur hin. Mein Herz, nicht mehr das meine, wenn sein Leben Dir mißbehagt, hält Sterben für Gewinn. Dein war es lange Zeit, und wohl ist zeitig, Daß du es nehm'st, ich mach' es nicht dir streitig. |
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Sieh her! Die Arme senk' ich, nicht versagen Soll sich die Brust; was zaudert nun dein Stoß? Soll ich dein Werk erleichtern? Ohne Zagen Leg' ich den Panzer ab, willst du sie bloß. Wohl hätte länger noch in bittern Klagen Tankred bejammert sein unselig Los; Allein ihn hemmt, unzeitig, eine Menge Von Heiden und von Franken im Gedränge. |
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In Flucht gejagt vom Christenheere, weichen Die Palästiner, Furcht sei's oder List. Ein Franke, der im Winde wehn die reichen Goldlocken sieht, hebt, ruchlos, wie er ist, Die Hand empor, um, im Vorüberstreichen, Sie da zu haun, wo sie der Deckung mißt. Allein Tankred gewahrt's und wirft den Degen, Mit lautem Schrei, dem mächt'gen Hieb entgegen. |
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Wie schnell er auch zu ihrer Hilf' erschienen, Ward doch vom Hieb der weiße Hals verletzt. Doch streift' er kaum; die blonden Locken schienen, Von wenig Tropfen ihres Bluts benetzt, Dem Golde gleich, das schimmernd mit Rubinen Des hochberühmten Künstlers Hand besetzt. Doch der ergrimmte Fürst eilt jenem Schlechten Voll Eifer nach, das Schwert in seiner Rechten. |
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Der aber flieht; ergrimmt auf den Barbaren, Folgt dieser, wie ein Pfeil die Luft durchbricht. Sie blickt ihm sinnend nach; doch beide waren Schon weit entfernt, und folgen will sie nicht. Nun zieht sie sich zurück mit ihren Scharen, Zeigt bald den Franken wieder ihr Gesicht, Greift an, kehrt um; man sieht sie fliehn und jagen; Doch, ist es Jagd, ist's Flucht, bleibt schwer zu sagen. |
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So, wann ein Stier im weiten Kampfgefilde Den Hunden rasch sein Horn entgegenstreckt, Hält sie die Furcht zurück; doch flieht der wilde, Wie dreist ihn dann der freche Haufen neckt! Clorinde schützt im Fliehn sich mit dem Schilde, Mit dem von hinten sie das Haupt bedeckt: So schützt der Flüchtling bei der Mohren Spielen Vor Kugeln sich, die drohen nach ihm zielen. |
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Schon waren die im Jagen, die im Fliehen Bis nahe zu den Mauern hingerannt: Als nun auf einmal laut die Heiden schrieen, Und plötzlich hatten sie sich umgewandt. Sie machen einen Bogen und umziehen Den Feind im Rücken und von jeder Hand; Indes Argant mit seinen Kriegern allen Vom Berge kommt, um vorn ihn anzufallen. |
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Der wilde Heide flog voraus, erbittert, Weil er den ersten Stoß zu thun beschloß; Und der Getroffne, der ihn kaum gewittert, Stürzt auch sogleich, und über ihn sein Roß; Und ehe dann der mächt'ge Speer zersplittert, Wird mancher noch im Fallen sein Genoss'. Das Schwert hernach, wo's einen Feind gefunden, Da gibt es Tod, zum mind'sten Fall und Wunden. |
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Mit ihm wetteifert nun Clorind' im Streite Und hat Ardelios edles Blut verspritzt, Des unbezwungnen Greises, vom Geleite Des tapfren Söhnepaars nicht g'nug beschützt. Alkandern nahm ein Schwerthieb von der Seite Des Vaters, den er sorgsam unterstützt; Und kaum errettet Polyfern, der neben Dem Alten blieb, mit Not sein eignes Leben. |
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Tankred indes, der mit verhängtem Zügel Umsonst dem schnellern Flüchtling nachgejagt, Schaut rückwärts und gewahrt, daß an dem Hügel Sein kühnes Volk zu weit sich vorgewagt. Er sieht's umringt, und wie auf Windesflügel Eilt er dahin, wo man die Seinen plagt; Und nicht nur er bringt Hilfe seinen Scharen, Auch jener Bund, nie fehlend in Gefahren. |
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Die Ritterschar, so Dudo'n Führer nannte, Der Nerv und Stolz der ganzen Christenwelt. Rinald, des Blitzes Flug besiegend, rannte Vor allen her, der schönste, kühnste Held. Erminia, die ihn an der Haltung kannte, Am weißen Aar im himmelblauen Feld, Sah auch des Königs Blick ihm schon begegnen, Und sprach: Sieh hier den Bänd'ger der Verwegnen! |
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Fast keiner ist, der ihn im Kampf erreiche; Noch ist er Knab' und ward doch nie besiegt. Ja, wären sechs im Feindesheer, ihm gleiche, Längst hätt' in Fesseln Syrien sich geschmiegt, Längst sich gebeugt des Mittags fernste Reiche Und welches Reich zunächst dem Aufgang liegt. Vielleicht, daß selbst der Nil das unentdeckte, Weit ferne Haupt dem Joch umsonst versteckte. |
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Er heißt Rinald; mehr als Belagrungswerke Scheun Mauern des ergrimmten Arms Gewicht. Nun wende dorthin deinen Blick; bemerke Den, der in grün und goldnen Waffen ficht. Dudo ist dies; ihm folgt des Heeres Stärke, Die Ritterschar, frei von des Dienstes Pflicht. Er ist von hohem Blut und vielerfahren, Weicht keinem an Verdienst und siegt an Jahren. |
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Den Großen, Braunen, laß Gernand dir nennen; Sein Bruder herrscht in Norwegs Länderkreis. Kein stolzer Haupt mag wohl die Erde kennen, Nur dies verdunkelt seiner Thaten Preis. Sieh diese beiden, die sich niemals trennen, In Weiß gekleidet, jede Zierde weiß: Gildipp' und Odoard, Geliebt' und Gatten, Die längst den Ruhm des Muths, der Treue hatten. |
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Sie sprach's; da sahn sie auf des Feldes Mitten Das Kampfgewühl anwachsen mehr und mehr. Tankred, und neben ihm Rinald, durchschnitten Der Feinde Kreis, so stark an Volk und Wehr; Die Ritter dann, die unter Dudo stritten, Erschienen auch und drängten hart und schwer. Argant, Argant sogar, den jetzt danieder Rinaldo warf, erhob sich mühsam wieder. |
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Wohl hätt' er nie vom Falle sich erhoben, Allein Rinaldos Roß fiel gleich darauf; Und da sein Fuß sich untern Leib geschoben, Hielt das Zurückziehn ein'ge Zeit ihn auf. Die Heiden nun, durchbrochen und zerstoben, Fliehn nach der Stadt in ordnungslosem Lauf. Argant nur und Clorinde sind dem Schwalle Der nachergoßnen Wut zum Damm und Walle. |
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Sie weichen erst zuletzt; dem raschen Fliegen Des Frankenschwarmes hemmen sie die Bahn, So daß, die fliehn, nicht ganz dem Feind erliegen Und sichrer sich dem Schutz der Mauern nahn. Der wackre Dudo folgt, erhitzt vom Siegen, Den Flücht'gen, stößt den schrecklichen Tigran Mit seinem Roß; dann wirft ihn, ungehindert, Sein Schwert zur Erd', um einen Kopf vermindert. |
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Nicht half Algazars Panzer ohne Fehle, Noch that der Helm Korbans ihm Widerstand; Er traf sie rücklings, daß durch jenes Kehle, Durch dieses Brust sein Schwert den Ausgang fand. So trieb auch Amuraths und Mehmets Seele Aus ihrer süßen Wohnung seine Hand; Almansors dann; der mächtige Cirkasser Blieb selbst nicht sicher vor dem Heidenhasser. |
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Es knirscht Argant; dem Strom, der nach ihm flutet, Begegnet er bisweilen, weicht dann auch. Jetzt aber wendet er sich unvermutet Und stößt sein Schwert dem Ritter in den Bauch, Daß tief der Stahl hineindringt; Dudo blutet, Und mit dem Blut entflieht des Lebens Hauch. Er stürzt vom Roß, und auf die Augenlider Sinkt harte Ruh' und schwerer Schlaf hernieder. |
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Noch öffnet er dreimal dem süßen Lichte Des Tages sie, strebt auf dem Arm empor Und sinkt dreimal zurück; schon hüllet dichte, Graunvolle Nacht sein Aug' in dunkeln Flor; Die Glieder starren, und im Angesichte Bricht langsam nun der kalte Schweiß hervor. Nicht länger bleibt Argant, der wilde Streiter, Beim toten Leichnam stehn; rasch fliegt er weiter. |
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Doch ruft er überlaut, wie schnell er rannte, Den Franken zu: Ihr Ritter! Dieses Schwert, Mit Blut gefärbt, ist jenes wohlbekannte, Das gestern erst mir euer Herr beschert. So sagt ihm nun, daß ich es heut verwandte, Denn sicherlich ist ihm die Kunde wert. Er muß sich freun, daß seine Gastbescherung Gab beim Versuch der Tüchtigkeit Bewährung. |
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Sagt ihm, er selbst, an seinen Eingeweiden, Soll' bald davon gewißre Probe sehn; Und sollt' er wohl uns anzufallen meiden, Komm' ich zu ihm, eh' er sich des versehn. Der Christen Heer stürmt auf den frechen Heiden Wetteifernd los, erbittert durch sein Schmähn; Doch er und seine Schar, kraft ihrer Schnelle, Sind schon gedeckt vom Schutz der Freundes-Wälle. |
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Vom Walle nun und von den Mauern flogen Die Stein' in solchem Hagel weit umher, Und Köcher ohne Zahl verliehn den Bogen So viele Pfeile jetzt zur Gegenwehr, Daß sie zum Halt der Franken Schar bewogen; Und in die Thore zog der Heiden Heer. Allein Rinald, der seinen Fuß befreite Vom Rossedruck, kam schon nach dieser Seite. |
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Er kam, um Dudos Fall an dem Barbaren Zu rächen, der den tapfren Greis erschlug. Was warten wir? – So rief er seinen Scharen Voll Eifer zu – was hemmt noch unsern Zug? Der Edle fiel, von dem wir Ritter waren, Und noch verweilt der blut'gen Rache Flug? Bei solchem Grund zu kühnem Zorneswalten, Soll eine morsche Mauer uns noch halten? |
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Und wäre diese Mauer undurchdringlich, Zwiefach von Eisen oder Diamant: Was ist der Kraft der Franken unserschwinglich? Sie schütze nicht den frevelnden Argant! Wohlauf, zum Sturm! Er rief's, und unbezwinglich War er vor allen schon voraus gerannt, Und trug sein sichres Haupt dem Sturm und Regen Der Stein' und Pfeile sonder Furcht entgegen. |
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Er hebt die Stirn, sein Auge sprüht Verderben, So drohend schüttelt er das große Haupt, Daß auch die kühnsten Krieger sich entfärben, Selbst in der Stadt sich keiner sicher glaubt. Doch da er den ermuntert, dem mit herben Scheltworten dräut, wird ihm die Macht geraubt; Denn Sigiern schickt Bouillon nach jenem Orte, Den strengen Ueberbringer ernster Worte. |
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Er schilt den Uebermut und heischt vom Bunde, In Gottfrieds Namen, Rückkehr alsobald. Kehrt um, so spricht er; weder Ort noch Stunde Begünst'gen jetzt den Zorn, der euch durchwallt. Gottfried befiehlt es euch. Auf diese Kunde Zähmt sich sogleich, der andern Sporn, Rinald; Obwohl er knirscht und durch Gebärd' und Stimme Manch Zeichen gibt von schlecht verhehltem Grimme. |
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Die Scharen kehren um, und aus der Feste Ließ man dem Rückzug ungestörte Rast. Nicht mißten auch der letzten Pflicht die Reste Des edeln Dudo, der im Feld erblaßt. Der Freunde treuer Arm trug sie aufs beste Zum Lager heim, als teuer, werte Last. Vom Hügel schaut indes Bouillon die Stärke Jerusalems, die Lag' und Festungswerke. |
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Auf zweien Hügeln ist die Stadt erhoben, Ungleicher Höh', einander zugewandt; Ein Thal, das in die Mitte sich geschoben, Trennt, wie die Stadt, so beider Hügel Wand. Drei Seiten führen mühsam nur nach oben, Die vierte steigt kaum merklich auf vom Land; Doch ist die ebne Seite, die gen Norden, Durch hohe Mauern um so fester worden. |
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Im Innern fehlt's dem Orte nicht an Teichen, Cisternen und lebend'ger Quellen Flut; Doch weit umher kein Wasser zu erreichen, Verbrannt der Boden durch der Sonne Glut. Kein Strauch erblüht, und keine Bäume reichen Dem Wandrer Schutzwehr vor des Mittags Wut; Nur ist, drei Stunden fern, ein Wald zu schauen, Von gift'gem Schatten voll und düsterm Grauen. |
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Der edle Jordan strömt auf jener Seite, Wo man erblickt des neuen Tags Beginn; Gen Abend streckt sich bis in ferne Weite Des Mittelmeeres sand'ges Ufer hin. Gen Nord liegt Bethel, die Altäre weihte Dem goldnen Stier; Samaria weiterhin; Und da, woher der feuchte Südwind regnet, Bethlem, durch die Geburt des Herrn geseghet. |
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Indem Bouillon die Mauern nun und Zwinger Der Stadt beschaut, die Gegend und das Land, Sinnt, wo zu lagern sei, und wo geringer, Bei einem Sturm, der Mauern Widerstand, Nimmt ihn Erminia wahr, zeigt mit dem Finger Auf ihn und spricht, zum Aladin gewandt: Dort ist Bouillon, vom Purpur stolz umfaltet, So herrlich und so königlich gestaltet. |
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Er ist fürwahr zum Oberherrn geboren, So ganz ist ihm die Herrscherkunst verliehn. Doch doppeltes Verdienst ist ihm erkoren: Als Ritter, wie als Führer, preist man ihn. Ihm ist von allen, die zum Kreuz geschworen, An Mut und Klugheit keiner vorzuziehn; Nur Raimund ist im Rat, es sind in Schlachten Rinald nur und Tankred ihm gleich zu achten. |
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Der König sprach: Er ist mir nicht entgangen, Als ich Gesandter von Aegypten war An Frankreichs Hof; schon da sah ich ihn prangen, Im Lustgefecht, vor aller Ritter Schar. Zwar säumte noch die jugendlichen Wangen, Das zarte Kinn ihm kaum ein weiches Haar; Doch ließ sein Reden, Handeln und Betragen Die größte Hoffnung für die Zukunft wagen. |
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Zu wahre Hoffnung! Und mit stillem Leide Senkt er den Blick, erhebt ihn dann und spricht: Wer ist denn dieser, auch im Purpurkleide, Ihm gleich, so scheint's, an Ansehn und Gewicht? O, wie einander ähnlich sind sie beide! Erreicht er auch an Größe jenen nicht. Graf Balduin, spricht sie; und noch mehr an Werken, Als an Gestalt, kann man den Bruder merken. |
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Betrachte jenen nun, der neben diesen Wie Rat erteilend, steht; sie ihn genau. Raimund ist dies, den ich vorhin gepriesen Als fein und klug; ein Mann, bejahrt und grau. Im Heer hat keiner sich so reich bewiesen An Kriegeslist, so vielgewandt und schlau. Der, mit dem goldnen Helme, mehr von dannen, Ist Wilhelm, Sohn des Königs der Britannen. |
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Bei ihm steht Guelf, ihm gleich durch hohe Werke, Durch edles Blut und königlichen Stand. Wohl kenn' ich diesen an der Schultern Stärke Und an der Brust, gewölbt und weit gespannt. Doch daß ich meinen Hauptfeind nicht bemerke, Wie weit umher ich auch den Blick gesandt! Ihn, Bohemund, den Räuber meines Gutes, Den Tilger meines königlichen Blutes. |
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64. |
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So sprachen sie. Nun kehrt zu seinen Mannen Bouillon zurück, da er sich umgeschaut. Und weil er nicht, die Stadt zu übermannen Von jenen schroffen Seiten, sich getraut, Befiehlt er jetzt, ein Zelt ihm aufzuspannen Vor jenem Thore, das gen Norden schaut, Damit von dort bis zu dem Turm der Ecke – So nennt man ihn – das Lager sich erstrecke. |
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65. |
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Fast um den dritten Teil der Festung schlingen, Wenn auch nicht völlig, sich die Zelte her; Denn mit dem Lager ganz sie zu umringen, Erlaubt ihr großer Umfang nimmermehr. Doch jeden Weg, Verstärkung ihr zu bringen, Besetzt der Feldherr gleich mit seinem Heer; Und jeder Paß, um in die Stadt zu kommen Und von ihr auszugehn, wird eingenommen. |
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66. |
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Er läßt das Lager dann mit tiefen Graben Und festen Schanzen ringsumher versehn, Um vor der Städter Ausfall Schutz zu haben Und fremden Streiferein zu widerstehn. Als diese Werke nun die Zelt' umgaben, Wollt' er den Leichnam seines Dudo sehn Und ging dahin, wo dem verehrten Toten Die Freunde schon der Wehmut Opfer boten. |
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Sie schmückten rings mit würdigem Gepränge Die hohe Bahre, die den Helden zeigt. Als Gottfried nahet, bricht der Schmerz der Menge Gewalt'ger aus, und lautre Klag' entsteigt. Allein Bouillon, im Antlitz weder Strenge Noch Heiterkeit, zähmt sein Gefühl und schweigt; Und dann, nachdem er lang in tiefem Sinnen Ihn angeschaut, hört man dies Wort beginnen: |
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68. |
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Nun nicht gebührt dir Schmerz noch Thräne weiter, Denn starbst du hier, lebst du in Himmelsaun Und lässest, ein vom Erdgewand Befreiter, Uns deines Ruhms erhabne Spuren schaun. Du hast gelebt als Christi heil'ger Streiter, So starbst du auch; jetzt wird für dein Vertraun, O sel'ger Geist! dir Gottes Schaun zum Lohne; Du trägst der guten Thaten Palm' und Krone. |
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69. |
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Du lebst fürwahr beglückt; und daß wir weinen, Macht unser Schicksal, deines nicht, erlaubt; Denn ach! dein edler Hingang trennt die Deinen Von einem so verehrten, mächt'gen Haupt. Doch ward durch das, was Tod heißt den Gemeinen, Ein ird'scher Beistand uns mit dir geraubt, So kannst du jetzt uns himmlischen erwerben, Da dich der Himmel zählt zu seinen Erben. |
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Und wie zu unserm Heil wir dich erproben, Als Irdischen, der Erde Waffen sahn: So hoffen wir, du wendest nun dort oben, Als sel'ger Geist, des Himmels Waffen an. Lern' jetzt empfangen, was wir dir geloben, Und steh uns bei auf unsrer sauern Bahn. Erring uns Sieg! Wir lösen, fromme Krieger, Dir das Gelübd' im Tempel einst, als Sieger. |
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71. |
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So sprach er, und schon tilgen jetzt die Schauer Der dunkeln Nacht das letzte Tageslicht Und hemmen jede Zähr' und jede Trauer Durch das Vergessen aller Sorg' und Pflicht. Doch Gottfried, der nicht stürmen kann die Mauer, Wenn's an Belagrungswerkzeug ihm gebricht, Sinnt, woher Holz zu ziehn, was nötig thue An Sturmgezeug, und gönnt sich wenig Ruhe. |
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72. |
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Aufstehend mit der ersten Morgenhelle, Gibt er dem Trauerzuge selbst Geleit. Schon war das Grab, an eines Hügels Schwelle, Von duftendem Cypressenholz bereit, Dem Lager nah; des Tapfern Ruhestelle Hüllt' eine Palm' in ernste Dunkelheit. Hier ward er beigesetzt, und Priester flehten Für seine Ruh' mit Liedern und Gebeten. |
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73. |
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Rings an den Aesten sah man Kriegeszeichen Und Waffen aufgehängt verschiedner Art, Die er in Syriens und in Persiens Reichen Dem Feinde nahm auf manch beglückter Fahrt. Sein Harnisch und die andre Wehr desgleichen Ward an dem Stamm des Baumes aufbewahrt; Und eine Grabschrift muß dem Wandrer melden: Hier ruhet Dudo; ehrt den hohen Helden. |
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74. |
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Wie also nun Bouillon mit frommen Sorgen Der Andacht und der Freundschaft Pflicht vollstreckt, Schickt er zum Forst, noch an demselben Morgen, Die Zimmerleute sämtlich, wohl bedeckt. Tief zwischen Thälern liegt der Wald verborgen, Den Franken hatt' ein Syrier ihn entdeckt. Da gehn sie hin, um Werke zu vollbringen, Die sicher bald die feste Stadt bezwingen. |
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Der eine regt den andern auf zur Eile, Damit der Wald des Schmuckes sei beraubt. Der starke Zirn erliegt dem scharfen Beile, Die Fichte stürzt, der Palme heil'ges Haupt; Die traurige Cypresse sinkt, die steile Hochtanne fällt, die Esche, dicht belaubt; Der Ulmbaum, oft vermählt den zarten Reben, Die mit gekrümmtem Fuß gen Himmel streben. |
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Ahorne fallen hier, dort stürzen Eichen, Die tausendmal den Scheitel neu geschmückt Und tausendmal den ungestümen Streichen Der Stürme widerstanden, ungebückt. Dort knarren schon die schwerbeladnen Speichen, Von duft'ger Buch' und Ceder Last gedrückt; Und Wild und Vögel fliehn, in bangen Schwärmen, Aus Höhl' und Nest beim Waffenklang und Lärmen. |