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Er spricht's und sieht ein Roß im Felde streifen, Das zu ihm hin die irren Schritte kehrt. Den freien Zügel eilt er zu ergreifen Und springt, obwohl gequält und matt, aufs Pferd. Schon fiel der Helmbusch mit den furchtbarn Schweifen Und ließ den Helm gedrückt und ungeehrt; Das Kriegskleid ist zerfetzt, von allem Prangen Des Fürstenpomps die kleinste Spur vergangen. |
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2. |
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Wie manches Mal ein Wolf, verjagt vom vollen Verschloßnen Schafstall, flieht und sich versteckt, Der noch, obwohl der große Bauch geschwollen Und Raubesmeng' im gier'gen Magen steckt, Die Zunge reckt hervor in seiner tollen Unmäß'gen Blutgier und die Lippen leckt: So wich der Türk', dem nach so blut'gem Morden Die Hungerswut noch nicht ersättigt worden. |
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3. |
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Sein gutes Glück führt durch der Pfeile Regen, Der ihn umfliegt mit mächtigem Gebraus, Durch so viel Kolben, so viel Lanzen, Degen Und andre Todeswerkzeug' ihn hinaus. Dann sucht er, unerkannt, von allen Wegen Im Weiterziehn die einsam öd'sten aus Und scheint, erwägend nun, was zu bestimmen, Auf stürmischem Gedankenmeer zu schwimmen. |
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4. |
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Zuletzt beschließt er, nach dem Ort zu eilen, Wo sich Aegyptens Heer zusammenzieht, Mit ihm sich zu vereinen und zu teilen, Was ihm das Glück im neuen Kampf beschied. Dies festgesetzt, verfolgt er ohne Weilen Die grade Straße, die er vor sich sieht; Denn ohne Führer kennt er wohl die Pfade Nach Gazas heißem, sandigem Gestade. |
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5. |
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Obwohl er fühlt, wie seine Kräft' ermatten, Und wie der Wunden Schmerz sich immer mehrt, Will er am Tag sich keine Rast gestatten, Legt nicht die Waffen ab, noch steigt vom Pferd. Erst als die Nacht in einfach dunkle Schatten Die wechselnde Gestalt der Welt verkehrt, Steigt er vom Roß, pflegt der zerhaunen Glieder Und schüttelt Frucht von hoher Palme nieder. |
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6. |
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Zu kurzer Rast vertraut er dem Gefilde Den müden Leib, nachdem er sich gespeist, Und stützt das Haupt mit seinem harten Schilde Und sucht zu stillen den gequälten Geist. Doch heft'ger in den Wunden wühlt die wilde Vermehrte Pein; auch fühlt er, ihm zerreißt Die Brust, zernagt das Herz, verscheucht den Schlummer Die Wut der innern Geier, Grimm und Kummer. |
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7. |
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Erst als die tiefste Nacht sich eingefunden Und alles rings mit schwarzer Hüll' umfaßt, Da senkt auch er, von Mattheit überwunden, In Lethes Flut der Sorgen schwere Last, Und gönnt den müden Augen und dem wunden Hinfäll'gen Leib unlabend kurze Rast. Noch liegt er so im Schlummer tief verloren, Da dringt ein ernster Ton zu seinen Ohren: |
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8. |
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O Soliman, frön' in beglückterm Stande Der trägen Ruhe, die dich jetzt besiegt, Indes voll Gram in fremden Volkes Bande Das Vaterland, wo du geherrscht, sich schmiegt! Hier ruhest du? Hier, auf demselben Lande, Auf dem dein Heer noch unbegraben liegt? Wo rings die Spuren deiner Schmach sich regen, Liegst du und schläfst dem neuen Tag entgegen? |
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9. |
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Der Fürst erwacht und hebt die Augenlider Und schauet einen Mann, höchst schwach und alt, Dem ein gekrümmter Stab die matten Glieder Im Gehen trägt, der Füße Stütz' und Halt. Und wer bist du, fragt er erzürnt ihn wieder, Beschwerliches Gespenst, das mit Gewalt Den Wandrer stört, daß er vom Schlaf erwache? Was kümmert dich mein Schimpf und meine Rache? |
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10. |
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Ich bin ein Mann, entgegnet ihm der Alte, Der weiß zum Teil, was du dir vorgesetzt; Und weil ich mehr von deinem Wirken halte, Als du gedenkst, erschein' ich eben jetzt. Recht war es, daß mein Wort so rauh erschallte, Denn Tapferkeit wird oft am Zorn gewetzt. Vergönne, Herr, daß deinem raschen Mute Mein ernstes Reden dien' als Sporn und Rute. |
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11. |
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Erkenn' ich recht, was du dir vorgenommen, So willst du zu Aegyptens Herrscher gehn; Doch wenig wird die rauhe Wandrung frommen, Ich seh's voraus, willst du darauf bestehn. Wohl wird das Sammeln und das schnelle Kommen Des großen Heers auch ohne dich geschehn; Und dort ist nicht der Platz, wo deine Stärke Sich zeig' an unserm Feind durch würd'ge Werke. |
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12. |
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Doch willst du meiner Lenkung dich vertrauen, So führ' ich mitten durch der Franken Reihn Am hellen Tag, ohn' einen Hieb zu hauen, In die bedrängten Mauern dich hinein. Mit Feindes Waffen, mit des Mangels Grauen Wird dort der Kampf dir Ruhm und Freude sein. Du wirst die Stadt verteid'gen, bis die treuen Aegypter nahn, die Feldschlacht zu erneun. |
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13. |
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Der wilde Türk' hat auf den Blick, die Stimme Bewundernd acht, indem der Alte spricht; Und er enthüllt den raschen Geist vom Grimme, Verbannt den Stolz vom finstern Angesicht: O Vater, spricht er, über mich bestimme, Wie dir's gefällt; ich folg' in Zuversicht. Dem Rat zuerst werd' ich Gehorsam leisten, Wobei es gibt der Müh' und Fahr am meisten. |
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14. |
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Ihn lobt der Greis und stillt den Schmerz der Wunden, Der in der Nachtluft schärfer sich erhebt, Mit einem Saft, durch den sie bald gesunden; Er hemmt das Blut, die Kraft wird neu belebt. Nun schauend, daß Apoll im Lauf der Stunden Aurorens Rosen schon mit Gold umwebt: Fort, spricht er, fort! Schon leuchtet den Bezirken Der Sonne Licht, das alle ruft zum Wirken. |
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15. |
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Dem stolzen Sultan setzt er sich zur Seiten Auf einen Wagen, der nicht ferne stand; Er weiß geschickt das Roßgespann zu leiten Und treibt es wechselnd an mit kluger Hand. So schnell enteilt's, daß auf den staub'gen Weiten Von Rad und Huf nicht wird die Spur erkannt. Du siehst es dampfen und im Lauf sich strecken Und das Gebiß mit weißem Schaum bedecken. |
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16. |
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Die Luft umher – erstaunlich ist's zu sagen – Verdichtet sich und sammelt wunderbar Als Wolke rings sich um den großen Wagen, Und dennoch bleibt sie allen unsichtbar. Kein mächt'ger Stein, von Schleudern fortgetragen, Dräng' in der Wolke schützende Gewahr; Doch beide schaun, von dieser Hüll' umwoben, Den Nebel rings, den heitern Himmel droben. |
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17. |
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Der Ritter blickt mit staunendem Vergnügen Die Wolke bald und bald den Wagen an, Der leicht und schnell, als ob ihn Schwingen trügen, Fliegt übers Feld mit brausendem Gespann. Der andre merkt an seinen starren Zügen, Welch Staunen ihm dies Wunder abgewann, Und bricht die Still' und sucht ihn aufzustören; Er nun, erwacht, läßt diese Worte hören: |
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Wer du auch bist, dem, niegesehnerweise, So dienstbar die Natur zu Willen steht, Der auf der Menschenbrust geheimstem Gleise Mit Forscherblick nach Willkür sich ergeht; Wenn auch der Zukunft weit entlegne Kreise Dein Wissen, das von oben stammt, durchspäht: Sprich, welche Ruh', welch härteres Bedrängnis Erzeugt aus Asiens Krämpfen das Verhängnis? |
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19. |
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Doch deinen Namen laß mich erst vernehmen, Und welche Kunst so seltne Werke schafft; Denn wirst du nicht dies Staunen mir bezähmen, Wie hätt' ich dann, dich anzuhören, Kraft? Mit Lächeln spricht der Greis: Wohl mich bequemen Kann ich zum Teil zu solcher Rechenschaft. Ich heiß' Ismen, und Zaubrer bei den Leuten, Weil mich verborgne Künste lang' erfreuten. |
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20. |
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Doch Künft'ges zu entdecken, aufzuschlagen Des Schicksals Buch mit meiner schwachen Hand: Den zu verwegnen Wunsch muß ich versagen; So viel ist nicht dem Staube zugewandt. Ein jeder brauch', umringt von Not und Plagen, Sein irdisch Maß von Kräften und Verstand; Denn nur dem Weisen, Starken ist hienieden Oftmals vergönnt, sein eignes Glück zu schmieden. |
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21. |
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Du, waffne diese Rechte, die das Steuer Des Frankenreichs mit leichtem Stoß zerschellt, Nicht bloß beschirmt der hohen Stadt Gemäuer, Das jenes wilde Volk so dicht umstellt, Sie waffne mutig gegen Stahl und Feuer; Trau', dulde, wage! Meine Hoffnung hält. Doch sag' ich dir – denn du vernimmst es gerne – Was ich erblick' in dunkler Nebelferne. |
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Zu sehen glaub' ich oder zu erraten – Eh' vielmal uns der große Stern umkreist – Den Mann, der Asien schmückt durch hohe Thaten, Und den Aegypten einst als Herrscher preist. Von Künsten schweig' ich, von des Friedens Saaten, Vom hohen Wert, der mir nicht ganz sich weist; Nur dies genüge dir: die Macht der Franken Bringt sein gewalt'ger Arm nicht bloß zum Wanken; |
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Bis auf den Grund wird er sie einst bezwingen, Vernichten ganz ihr ungerechtes Reich, Und nur das Meer beschützt noch den geringen Kraftlosen Rest bis zu dem letzten Streich. Aus deinem Blut wird dieser Held entspringen. Hier schweigt der Greis, und jener ruft sogleich: O glücklich er, den solcher Ruhm wird schmücken! – Und halb erfüllt ihn Neid und halb Entzücken. |
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24. |
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Sei, fuhr er fort, mit des Geschickes Walten Mild oder hart, nach höh'rer Mächte Plan: Nie soll es über mich ein Recht erhalten Und nie mich schaun besiegt noch unterthan. Eh' zieht es Mond und Stern' aus ihrem alten Gewohnten Gleis, als von der graden Bahn Je meinen Schritt! Und seinem Aug' entsprühte Bei diesem Wort der Mut, der ihn durchglühte. |
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So redend zog man fort, bis auf den Auen Der Christen Lager ihrem Blick sich bot. O welch ein Anblick, schmerzlich und voll Grauen! Wie vielgestaltig zeigt sich hier der Tod! Wohl läßt der Fürst den Gram im Antlitz schauen, Der ihm den Busen zu zersprengen droht. Wie schimpflich liegen dort die stolzen Fahnen, Einst so gefürchtet auf des Krieges Bahnen! |
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Die Franken treten oft mit Freudenzeichen Auf seiner Freunde Brust und Angesicht Und lassen selbst den unbegrabnen Leichen Den Waffenschmuck und die Gewänder nicht. Und viele dann in langem Zuge reichen Geliebten Toten ihre letzte Pflicht; Und wieder andre werfen bunt zusammen Die Araber und Türken in die Flammen. |
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Der Sultan seufzt; die Rache zu beflügeln, Springt er vom Wagen ab, das Schwert in Hand. Doch jener eilt die tolle Wut zu zügeln, Reißt ihn zurück und schilt den raschen Brand. Er setzt sich ein, und nach den höchsten Hügeln Wird eilend nun der Rosse Lauf gewandt. So fahren sie dahin, bis man die Gassen Der Frankenzelte weit zurückgelassen. |
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Der Wagen, kaum daß sie herabgesprungen, Verschwindet schnell; zu Fuß und unentdeckt Gehn beide nun, von ihrer Wolk' umschlungen, Ins Thal hinab, das sich zur Linken streckt, Bis sie zum Berge Zion vorgedrungen, Wo er gen Abend seine Schultern reckt. Nun hält der Greis und naht sich dann der Jähe Des Felsenhangs, gleichsam als ob er spähe. |
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Hier öffnet eine Höhl' im harten Rücken Des Felsens sich, vor grauer Zeit gemacht; Doch Gras und Buschwerk wächst aus allen Lücken Und birgt den längst nicht mehr gebrauchten Schacht. Um einzugehn, muß sich der Zaubrer bücken, Mühsam wird das Gesträuch hinweg gebracht; Die eine Hand muß nach dem Durchgang spüren, Die andre soll den stolzen Sultan führen. |
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Der aber spricht unwillig: Was für schnöde Verstohlne Pfade heißest du mich gehn? Wohl bessern Weg als durch des Abgrunds Oede Bahnt sich mein Schwert, willst du es zugestehn. O stolzer Geist, spricht jener, nicht so spröde Laß deinen Fuß die dunkle Bahn verschmähn; Denn hier einst ging der große Fürst Herodes, Den Ruhm umstrahlt noch in der Nacht des Todes. |
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Sein störrig Volk gehorsam zu erhalten, Durchbrach der König diese Felsenwand, So daß er einen Weg durch ihre Spalten Vom Turme des Antonius – so genannt Nach seinem hohen Freunde – zu dem alten Berühmten Tempel ungesehen fand, Um dann von dort zur Stadt hinaus zu dringen Und heimlich Kriegsvolk ein und aus zu bringen. |
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Doch außer mir, von allen, die da leben, Kennt diesen dunkeln Weg nicht Freund noch Feind. Er führt uns an den Ort, wo sich soeben Der hohe Rat beim Könige vereint, Der bei des Schicksals hartem Widerstreben Wohl mehr, als nötig ist, zu fürchten scheint. Gar sehr gelegen kommst du; hör' und schweige, Daß, ist es Zeit, dein Wort sich kräftig zeige. |
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So spricht der Greis; zur niedern Grotte schreitet Der Fürst hinein, obwohl nicht ohne Zwang, Und folget dem, der ihn auf Wegen leitet, Wohin noch nie ein Strahl des Tages drang. Erst wandeln sie gebückt; doch bald erweitet, Indem sie fortgehn, sich der Felsengang; Das Steigen wird bequem, und ihre Schritte Erreichen bald der dunkeln Höhlung Mitte. |
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Ein Pförtchen öffnet sich, und aufwärts immer Führt eine Treppe sie, gekrümmt und schmal, Von oben her, mit ungewissem Schimmer, Nur schwach erhellt vom fernen Tagesstrahl. Sie kommen in ein unterirdisch Zimmer Und dann in einen hellen, prächt'gen Saal. Hier nun, das Zepter und die Krone tragend, Saß unter Klagenden der König klagend. |
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Der wilde Türk', von seiner Wolk' umschlossen, Sieht ungesehn und horcht auf jeden Ton Und hört den König, der die Ratsgenossen Zuerst anredet vom geschmückten Thron: Wohl hat, ihr Treuen, gestern sich ergossen Auf unser Reich viel Unglück, Schmach und Hohn, Und uns, die auf den Höhn der Hoffnung waren, Bleibt keine Hilf' als der Aegypter Scharen. |
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Allein ihr seht, noch fern sind diese Retter, Und die Gefahr naht immer mehr und mehr. Wie abzuwenden nun dies droh'nde Wetter, Das zu beraten rief ich euch hierher. Der König schweigt; und wie durch Waldesblätter Ein Lüftchen rauscht, so flüstert's ringsumher. Nun aber, kühn und heiter um sich blickend, Erhebt Argant sich, das Gesums' erstickend. |
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O großer Fürst – so sprach hier ohne Zagen Der tapfre Held, den nichts zu Boden warf – Warum versuchst du uns und willst erfragen, Was jeder weiß und keines Worts bedarf? Vertraun wir auf uns selbst, dies laß mich sagen; Und ist dem Mut kein Ungemach zu scharf, Soll er uns Schutz, soll er uns Beistand geben; Und lieben wir nicht über Wert das Leben! |
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Ich sag' es nicht, um das Vertraun zu brechen Auf Hilfe, die Aegypten uns verheißt; Denn zweifeln, ob mein König sein Versprechen Erfüllen wird, wär' allzu keck und dreist. Ich sag' es, weil ich hier statt mancher Schwächen Wünscht' edlern Mut zu schaun und kühnern Geist, Der jedem Schicksal zu begegnen trachte, Auf Sieg vertrau' und fest den Tod verachte. |
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Nur so viel sprach Argant, vor nichts erbebend, Wie einer, des Vertraun Gewißheit stählt. Darauf erstand, sich wicht'ges Ansehn gebend, Orkan, der lange Reihn von Ahnen zählt, Vor Zeiten selbst nach Waffenruhme strebend; Doch seit er sich der jungen Frau vermählt, Der Kinder sich erfreut, erstickte Liebe Im Vater und Gemahl die edlern Triebe. |
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Herr, sprach Orkan, nicht will ich mürrisch zanken, Wenn durch so prächt'ge Wort' ein Feuer rann, Erzeugt von Mut, der in des Herzens Schranken Verschlossen bleiben weder will noch kann. Drum, wenn zu kühn vor dir die Glutgedanken Nach seiner Art ausspricht der tapfre Mann: Sei's ihm vergönnt, weil er hernach in Werken Dieselbe Glut nicht minder läßt bemerken. |
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Hingegen dir, der auf Erfahrungswegen Klugheit gesammelt seit so manchem Jahr, Dir ziemt es wohl, dort Zügel anzulegen, Wo er zu rasch, zu unbedachtsam war; Des fernen Beistands Hoffnung abzuwägen Mit naher, ja vorhandner Kriegsgefahr; Und mit des Feindes ungestümer Schnelle Die alten Mauern und die neuen Wälle. |
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Zwar ist die Stadt – ich rede frei und offen – Durch Lag' und Kunst nicht ganz verteid'gungslos; Doch auch der Feind hat Zurüstung getroffen Mit Sturmzeug aller Art, furchtbar und groß. Was sein wird, weiß ich nicht; in Furcht und Hoffen Harr' ich aufs ungewisse Kriegeslos Und sorge sehr, wenn dichter die Umscharung Des Feindes drängt, so fehlt es bald an Nahrung. |
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Denn diese Herde Vieh und dies Getreide, So gestern du gebracht an sichern Ort, Indes man drunten nur der Schwerter Schneide Zu röten sann, fürwahr zu unserm Hort: Das nährt uns – kleine Hilf' in großem Leide – Nur kurze Frist, währt die Belagrung fort. Und lange noch währt sicher diese Lage, Kommt auch Aegypten am bestimmten Tage. |
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Wie aber, wenn es säumt? Und mag es fliegen Noch vor der Hoffnung, dem Versprechen her, Doch seh' ich nicht für unser endlich Siegen, Doch für der Stadt Befreiung nicht Gewähr. Denn jener Gottfried, Herr, ist zu bekriegen Und jene Feldherrn und dasselbe Heer, Die sich so oft gezeigt als Triumphierer Der Perser, Türken, Araber und Syrer. |
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Du kennst sie wohl, du, der dem Ueberwinder So oft das Feld geräumt, o Held Argant! So oft, den Fersen trauend, mit geschwinder Behendigkeit den Rücken ihm gewandt. Clorinde kennt sie auch, und ich nicht minder; Denn keinem werd' ein Vorzug zuerkannt. Auch tadl' ich keinen; denn durch hohe Werke Bewies nach Möglichkeit sich unsre Stärke. |
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Doch sprech' ich aus, obwohl mit Todesstreichen Mir jener droht und Wahrheit zürnend hört, Daß mit dem mächt'gen Feind – klar sind die Zeichen – Ein unvermeidlich Schicksal sich verschwört. Vor keiner Schar noch Mauer wird er weichen, Nichts hält ihn auf, bis er dies Reich zerstört. Der Himmel zeug's: mich zwingt zu solchem Tone Nur Lieb' und Treu' für Vaterland und Krone. |
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O kluger Fürst von Tripolis, der Frieden Und Thron zugleich vom Frankenvolk erhielt! Doch jener Sultan ist nun wohl verschieden, Wenn nicht die Kette seinen Fuß umspielt; Wenn nicht verbannt und flüchtig er hienieden Zum größten Elend noch sich aufbehielt. Doch, opfernd einen Teil, gerettet haben Würd' er den andern durch Tribut und Gaben. |
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So spricht Orkan, so hüllt er sich verschlagen In einen Kreis zweideut'ger Reden ein; Denn offenbar auf Frieden anzutragen, Auf Zinsbarkeit, scheint ihm zu kühn zu sein. Der Sultan aber kann's nicht mehr ertragen, Still und verborgen ihm sein Ohr zu leihn; Auch spricht Ismen: Vergönnst du jenem dorten, Herr, daß er reden dürf' in solchen Worten? |
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Längst mit Verdruß, versetzt der Sultan, weilte Ich hier versteckt und glüh' in Zorn und Scham. Kaum sprach er's aus, als sich die Wolke teilte, Die sie bis jetzt in ihre Hülle nahm, Und plötzlich auf zum freien Himmel eilte; Er aber blieb im Glanze wundersam, Und, strahlend im Gesicht von Stolz und Grimme, Stand er im Kreis und sprach mit lauter Stimme: |
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Ich, der, von dem man redet, bin zugegen, Der Sultan selbst, der weder zagt noch läuft; Und diesem hier beweisen soll mein Degen, Daß sein verfluchter Mund von Lügen träuft. Ich, der das Feld beströmt mit blut'gem Regen, Der Berge rings von Leichen aufgehäuft, Versperrt im Feindeswall und endlich tücht'ger Genossen ganz entbehrend – ich, ein Flücht'ger? |
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Doch sollt' hier der, sollt' einer sonst, dem Glauben Abtrünnig, ein verrätrischer Vasall, Sich noch ein Wort vom Schandvertrag erlauben – Vergib, o Fürst! den töt' ich überall. Eh'r berg' ein Nest die Schlangen und die Tauben, Ehr' hause Lamm und Wolf in einem Stall, Bevor jemals in eines Ortes Mauern, Nicht mehr entzweit, wir mit den Franken dauern. |
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So spricht der kühne Held und legt ans wilde Furchtbare Schwert mit droh'ndem Blick die Hand. Bei diesem Wort, bei diesem Schreckgebilde Bleibt jeder stumm, von Staunen übermannt. Er aber spricht sodann in größrer Milde, Mit Höflichkeit zum Aladin gewandt: Herr, hoffe nun! Ich bringe dir zum Frommen Nicht kleinen Beistand: Soliman ist kommen. |
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Schon nahte sich der König mit Vertrauen Und sprach zu ihm: Wir froh seh' ich dich hier, Geliebter Freund! Kaum fühl' ich nun den rauhen Verlust des Heers; und Schlimmres ahnt' ich schier. Du wirst befest'gen meinen Thron, aufbauen In kurzer Zeit aufs neu' den eignen dir, Wenn's nicht der Himmel wehrt. Er sprach's durchdrungen Von hoher Freud' und hielt ihn fest umschlungen. |
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Der König will nach freudigem Willkommen Auf seinem eignen Thron den Sultan sehn; Und da er selbst zur Linken Platz genommen, Ruft er an seine Seite den Ismen. Indes er diesen fragt nach ihrem Kommen, Und ihm der Greis berichtet, wie's geschehn, Tritt zum Empfang des Sultans aus dem Kreise Die Jungfrau erst, die andern gleicherweise. |
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Auch Ormus naht, den Soliman ernannte, Heerführer seiner Araber zu sein, Und der, indes der Kampf am stärksten brannte, Im Schutz der stillen Nacht mit seinen Reihn Auf Nebenpfaden so umher sich wandte, Daß er zur Stadt sie glücklich bracht' hinein, Und mit dem Korn und den geraubten Herden Abhalf des Hungers drückenden Beschwerden. |
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Allein, mit scheelem Blick und innerm Grollen Bleibt der Cirkasser stumm und unbewegt: So wie ein Leu mit glüh'ndem Augenrollen Daliegt in Ruh' und keine Klaue regt; Indes, aus Furcht vor jenem Schreckensvollen, Orkan den Blick besorgt zur Erde schlägt. So sitzen nun im würdigen Senate Die Fürsten und die Ritter hier zu Rate. |
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Verfolgt indes hat Gottfried weit vom Walle Sieg und Besiegt' und jeden Weg befreit, Und seinen Toten nach so würd'gem Falle Der letzten Ehre fromme Pflicht geweiht. Nun gibt er den Befehl, es seien alle Am zweiten Tag zum Sturm der Stadt bereit, Und droht mit größern, schrecklichern Gefahren Erneuten Kriegs den eingeschloßnen Scharen. |
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58. |
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Und weil er jenes Fähnlein, das ihm heute Im wilden Kampf so treu zur Hilfe kam, Wohl hatt' erkannt als seine besten Leute, Die jene list'ge Zaubrin mit sich nahm, Bei ihnen auch Tankreden, den zur Beute Armida jüngst in ihrer Burg bekam, So ließ er alle, nebst dem Eremiten Und wen'gen Freunden, zu sich jetzt entbieten. |
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59. |
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Ich bitt' euch, sprach er, lasset uns erkunden, Was auf der kurzen Irrfahrt euch geschehn, Und wie sodann ihr euch bereit gefunden, Uns in der Not so kräftig beizustehn. Doch allen hielt die Scham das Wort gebunden, Denn bitter fühlt' ihr Herz ein klein Vergehn. Der Britenfürst brach endlich widerstrebend Die tiefe Still' und sprach, das Aug' erhebend: |
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Wir, die das Los verschmähte zu begnaden, Flohn jeder einzeln und in Heimlichkeit, Vom holden Antlitz trügrisch eingeladen, Gelockt von Amors tückischem Geleit, Der Schönen nach auf abgelegnen Pfaden, Ein jeder eifersüchtig, all' entzweit; Und Lieb' und Groll – zu spät belehrt Erfahrung! – Empfingen stets durch Wort' und Blicke Nahrung. |
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61. |
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Wir kamen hin, wo einst in breiten Bächen Des Himmels Flamm' herabfuhr mit Gewalt, Um die beleidigte Natur zu rächen An jenem Volk, dem nichts für Frevel galt. Einst waren's reiche, fruchtbegabte Flächen, Jetzt sind es heiße Wasser voll Asphalt: Ein toter See, der ringsumher die Lüfte Verpestet schier durch seine faulen Düfte. |
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62. |
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Nichts kann den Boden dieses Sees erreichen, Was man hineinwirft, sei es noch so schwer; Dem leichten Holz der Tanne zu vergleichen, Schwimmt Mensch und Stein und Eisen obenher. Ein prächtig Schloß liegt mitten in den Teichen, Und nur ein schmales Brücklein führt hierher. Hier nun empfing sie uns; und wahrlich! drinnen Bezaubert alles, alles lacht den Sinnen. |
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63. |
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Ein heitrer Himmel überwölbt die Auen; Die Bäume blühn, von klarer Flut bespült. Die schönsten Myrtenwälder sind zu schauen, Die hier ein Quell und dort ein Flüßchen kühlt. Ein sanfter Schlummer scheint herab zu tauen, Indes die Luft im zarten Laube wühlt; Süß tönt der Vögel Lied. Von Wunderwerken In Gold und Marmor will ich nichts bemerken. |
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Sie ließ im Schutz der dichtern Dunkelheiten, Wo durch das Gras die Quelle murmelnd rollt, Die Tafel, reich an Prachtgeschirr, bereiten, An Speisen reich, dem feinsten Gaumen hold. Hier war die Ausbeut' aller Jahreszeiten, Was nur die Erde schenkt, das Meer nur zollt, Die Kunst nur würzt; und hundert junge Schönen Bedienten uns, des Mahles Lust zu krönen. |
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65. |
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Dies Mahl des Todes, diesen Trank der Lügen Versüßte sie mit holdem Blick und Wort; Und jeder schlürft' in langen Flammenzügen Ein lang Vergessen ein am sel'gen Ort. Nun stand sie auf; mit minder sanften Zügen Und strengerm Blick kam sie zurück sofort Und hielt ein Buch nebst einem kleinen Reise; Dies schwenkte sie, aus jenem las sie leise. |
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66. |
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Die Zaubrin las, und gleich schien Neigung, Leben, Sinn, Aufenthalt verwandelt mir zu sein. Seltsame Kraft! Ich fühlt' ein neues Streben, Sprang in die Flut und tauchte tief mich ein. Der Leib verkürzte sich – wie sich's begeben, Begreif' ich nicht – hinweg schwand Arm und Bein; Auf meiner vor'gen Haut wuchs eine frische, Von Schuppen voll, und kurz – ich ward zum Fische. |
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Die andern, auch verwandelt, schlüpften nieder Mit mir zugleich zum flüss'gen Silberraum. Wie mir zu Mute war beim Tausch der Glieder, Kommt jetzt mir vor wie toller Fiebertraum. Am Ende gab sie die Gestalt uns wieder; Doch wir, erstaunt, erschrocken, wagten kaum Zu atmen noch, als sie mit finsterm Blicke So nun begann zu unserm Mißgeschicke: |
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68. |
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Jetzt, sprach sie, liegt euch meine Macht zu Tage, Und wie mein Will' entscheidet euer Los. Von mir hängt's ab, daß dieser Fesseln trage In ew'gem Kerker, licht- und hoffnungslos, Der Vogel werd', ein andrer Wurzel schlage Und als Gewächs keim' aus der Erde Schoß, Zum Kiesel sich verhärt', als Bach zerfließe, Als Tier entwandle mit behaartem Vließe. |
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69. |
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Noch steht's bei euch, den harten Zorn zu meiden, Wenn mein Gebot ihr zu erfüllen schwört: Folgt unserm Dienst, kämpft für das Reich der Heiden, Bis wir Bouillons ruchlose Macht zerstört. Doch jedermann will lieber alles leiden Als solche Schmach; Rambald nur ward bethört. Uns warf sie – denn kein Wehren half – gebunden In einen Schlund, den nie der Tag gefunden. |
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70. |
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Durch Zufall nun mußt' auch Tankred gelangen In diese Burg und blieb dort in Gewahr. Doch hielt sie uns nur kurze Zeit gefangen, Die Zauberin; denn, wie die Rede war, Ließ uns von ihr Damaskus' Herr verlangen Durch einen Boten, der mit einer Schar Von hundert Mann uns nach Aegyptens Landen Führt' als Geschenk, entwaffnet und in Banden. |
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71. |
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So zogen wir dahin; und wie die Leitung Des Himmels fügt und ordnet, uns zu gut, Kommt nun Rinald, der seines Ruhms Verbreitung Durch neue That zu mehren nimmer ruht, Des Wegs daher, stürmt los auf die Begleitung, Die uns bewacht, übt den gewohnten Mut, Besiegt und tötet sie; und so bekommen Wir ihre Waffen, die man uns genommen. |
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72. |
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Ich sah ihn, diese sahen ihn; uns allen Reicht' er die Hand, auch hörten wir sein Wort! Und Truggerüchte sind's, die hier erschallen Von seinem Tod; er lebet, unser Hort. Drei Tage sind's, da er, zum Weiterwallen Vereint mit einem Pilgrim, von uns fort Gen Antiochien zog; und auf den Auen Ließ er die Rüstung, blutig und zerhauen. |
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73. |
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So spricht er, und mit heiligem Vergnügen Hebt nun der Eremit das Aug' empor; Sein Antlitz wandelt sich in Farb' und Zügen, Ehrwürd'ger, heller strahlt es denn zuvor. Der Gottheit voll, entzückt zu hohen Flügen, Schwingt er sich aufwärts zu der Engel Chor. Die Zukunft wollt ihm auf; in fernen Weiten Schaut er die ew'gen Reihn der Jahr' und Zeiten. |
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74. |
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Die Lippen öffnend, thut er laut in vollen Klangströmen kund, was künftig wird vollbracht; Und auf das Antlitz, auf das Donnerrollen Der hehren Stimm' hat alles staunend acht: Rinaldo, spricht er, lebt: was hier erschollen, Ist Trug und Lüge, die ein Weib erdacht. Er lebet, und der Jugend zarte Blume Bewahrt der Himmel auf zu reiferm Ruhme. |
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75. |
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Vorzeichen ist's und knabenhaft Ermannen, Was Asien von ihm kennt und rühmt bis nun. Ich seh' es klar: eh' viele Jahr' entrannen, Zähmt er des Herrschers ungerechtes Thun. Weit wird sein Aar den Silberfittich spannen, Daß Kirch' und Rom in seinem Schatten ruhn, Durch ihn erlöst aus jenes Untiers Klauen, Und Söhne wird er, seiner würdig, schauen. |
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76. |
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Der Söhne Söhn' und kommende Geschlechter, Sie werden ganz sich solchem Beispiel weihn Und wider die Tyrannen und Verächter Den Infuln und den Tempeln Schutz verleihn. Des Stolzes Bändiger, der Unschuld Wächter, Der Schwachheit Schirm, der Bosheit Graun zu sein, Das ist ihr Amt. So fliegt auf hehrem Neste Einst über Sonnen hin der Aar von Este. |
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77. |
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Und dringt er zu des Lichts, der Wahrheit Thoren, Dann reich' er Petern einst den Donnerkeil. Er ist zum Sieg und zum Triumph erkoren, Wo man für Christus kämpft und ew'ges Heil; Das ist ihm hoch und göttlich angeboren, Ihm ward's durch ewiges Gesetz zu teil. Ruft denn zurück – der Himmel hat's beschlossen – Zum großen Werk den würdigen Genossen. |
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So tilgt der Weise nun die Furcht der Franken, Die das Geschick Rinaldos ihnen gab. Bouillon allein, verloren in Gedanken, Lenkt schweigend sich vom lauten Jubel ab. Indes erschien die Nacht; zur Erde sanken Die dunkeln Hüllen taubenetzt herab. Die andern lehn dem Schlummer ihre Glieder; Dem Feldherrn nur steigt keine Ruh' hernieder. |