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Siebentes Kapitel

Der Graf war vor wenigen Minuten eingetreten, in seiner Landstandsuniform und mit dem Johanniterkreuz. Der Salon hatte sich mittlerweile beinahe gefüllt, und es hatte ihn einige Mühe gekostet, zu den Damen des Hauses durchzudringen. Else hatte ihm freilich von dieser Mühe nichts geschenkt: in dem Moment, als sie seiner in der Tür ansichtig wurde, hatte sie mit dem Hauptmann von Schönau das bereits angeknüpfte Gespräch eifrig fortgesetzt, so eifrig, daß der Graf, nachdem er Sidonie begrüßt, nun bereits seit einer halben Minute hinter ihr stand, ohne von ihr bemerkt zu werden, bis Schönau es endlich für seine Pflicht hielt, mit einem: ich glaube, meine Gnädige – und einer Handbewegung sie auf den neuen Gast aufmerksam machen zu müssen.

Ich schätze mich glücklich – sagte der Graf.

Ah! Herr Graf Golm! rief Else mit gut gespielter Überraschung: Verzeihen Sie, daß ich Sie nicht sogleich bemerkt habe, ich war so vertieft – darf ich die Herren miteinander bekannt machen: Herr Hauptmann von Schönau vom großen Generalstab – ein lieber Freund unseres Hauses – Herr Graf von Golm – haben Sie den Papa schon gesehen, Herr Graf? er ist, glaube ich, in dem andern Zimmer. Also, lieber Schönau –

Der Graf war mit einer Verbeugung zurückgetreten.

Das war ein wenig stark, Fräulein Else, sagte Schönau.

Was?

Schönau lachte.

Wissen Sie, meine Gnädige daß, wenn ich nicht der Bescheidenste der Menschen wäre, ich mir jetzt alle möglichen oder unmöglichen Dummheiten in den Kopf setzen würde.

Wieso?

Ja, mein Gott, haben Sie denn nicht gesehen, daß der Graf Ihnen die Hand geben wollte? und mit einem Gesicht zurücktrat, so rot wie mein Kragen? Dergleichen übersieht eine junge Dame mit so scharfen Augen, wie Fräulein Else von Werben, doch nur, wenn sie es übersehen will, was hier schwerlich der Fall ist, oder wenn sie – ich werde mich hüten, das Oder zu Ende zu bringen. – Wer ist denn das?

Wer?

Der Offizier da – dort links neben der Baronin Kniebreche – Sie sehen ja rechts! – der jetzt mit Ihrem Herrn Vater spricht – stattlicher Mann – hat auch das Kreuz – wie kommen Sie zu dem?

Else mußte sich nun doch entschließen, Reinhold zu sehen, wie sehr auch ihr Herz klopfte und wie sehr sie sich darüber ärgerte. Sie war bereits ärgerlich gewesen, daß sie sich vor dem scharfsichtigen Schönau in ihrem Betragen dem Grafen gegenüber eine Blöße gegeben und sich beinahe verraten hätte. Es sollte ihr das nicht wieder begegnen.

Ein Herr Schmidt, sagte sie, die Rosenknospen in ihrem Haar fester drückend, – Schiffskapitain. Wir haben ihn unterwegs kennen gelernt; er hat dem Papa sehr gefallen –

Wirklich stattlicher Mann, wiederholte Schönau, prächtiges männliches Gesicht, wie ich es liebe; – auch nicht ohne Haltung, und doch erkennt man den Reserveoffizier auf den ersten Blick.

Woran? fragte Else, während ihr Herz bereits wieder zu klopfen begann.

Das sollten Sie doch ebensogut, und besser wissen, als ich, die Sie mehr, als ich, mit der Garde verkehren! Vergleichen Sie ihn mit Ottomar, der sich wieder einmal verspätet zu haben scheint und seine Sünden durch verdoppelte Liebenswürdigkeit wieder gut machen will! – Sehen Sie nur, mit welch vollendeter Courtoisie er da der alten Kniebreche die knöcherne Hand küßt und sich jetzt auf dem Hacken umdreht und der Gräfin Fischbach eine Verbeugung macht, um die ihn der große Vestris selbst beneidet haben würde: allons, mon fils, montrez votre talent – und wie er jetzt mit Sattelstädt spricht: keine Linie zu wenig, keine zu viel – freilich, es ist ein wenig unfair, den Herrn von der Reserve mit dem Muster aller ritterlichen Sitte zu vergleichen! Meinen Sie nicht?

Else starrte vor sich hin. Schönau hatte recht: es war ein Unterschied! sie hatte ihn auch lieber gesehen, als er in seiner groben Flausjoppe auf dem Verdeck hin und her schritt; – da hatte sie ihn um die Sicherheit und Freiheit seiner Bewegung beneidet; – und gar, als er hernach in dem Boote am Steuer saß und es so ruhig lenkte, wie der Reiter sein bäumendes Roß – da war er ihr als das Bild eines kühnen, sich seiner Kraft bewußten Mannes erschienen – wenn er nur jetzt, gerade jetzt nicht kam!

Da wandte sich Reinhold um, der noch immer mit dem Vater gesprochen, von diesem mit freundlichem Kopfnicken entlassen und auf Elsen aufmerksam gemacht, und kam gerade auf sie zu. Else zitterte so, daß sie sich mit der linken Hand auf die Lehne eines Fauteuil stützen mußte; sie wollte eine kleine Komödie vor dem klugen Schönau spielen; sie wollte die bis ans Herz Kühle, Unbefangene sein; aber als er jetzt auf sie zutrat, die schönen, treuen Augen noch glänzend von dem gütigen Empfang, der ihm von seiten des Vaters zuteil geworden, in den freien, männlichen Zügen eine gewisse Befangenheit, die zu fragen schien: werde ich auch dir willkommen sein? da wallte es in ihrem Herzen auf, warm und schön; und wenn die Hand auf der Stuhllehne auch liegen blieb, so reichte sie ihm die andere weit entgegen; die dunklen Augen glänzten, ihre roten Lippen lachten und: Willkommen in unserm Hause, lieber Herr Schmidt! sagte sie, so frisch und frei, als ob es keinen schöneren Namen in der Welt gäbe.

Er hatte ihre Hand ergriffen und sagte ein paar Worte, die sie nur halb hörte. Sie wandte sich nach Schönau um; der Hauptmann war verschwunden; über ihre Wangen flog ein Rot. – Es ist ganz gleich, murmelte sie.

Was ist gleich, mein gnädiges Fräulein?

Ich sage es Ihnen später, wenn – es soll nach Tisch ein wenig getanzt werden. Ich weiß freilich nicht –

Ob ich tanze? sogar mit Leidenschaft.

Auch den Rheinländer?

Auch den Rheinländer! und, trotz ihres ungläubigen Lächelns, nicht so schlecht, daß Fräulein von Werben mir nicht die Ehre erweisen dürfte.

Also den Rheinländer! die andern habe ich schon alle versagt. Jetzt muß ich mich in die Gesellschaft stürzen.

Sie nickte freundlich und wandte sich, kehrte aber alsbald wieder um.

Mögen Sie meinen Bruder?

Sehr!

Ich wünsche so, daß Sie miteinander recht vertraut würden. Kommen Sie ihm doch ein wenig entgegen. Wollen Sie?

Von Herzen.

Sie wurde nun wirklich in Anspruch genommen; auch Reinhold mischte sich in die Gesellschaft, jetzt ohne irgend welche Befangenheit, die er beim ersten Eintreten in einen so glänzenden, ihm ganz fremden Kreis empfunden. War er doch von den Wirten empfangen worden wie ein lieber Freund des Hauses! Selbst die Augen der stattlichen Tante hatten nicht ohne eine gewisse gutmütige Neugier auf ihn geblickt, so förmlich auch ihre Verbeugung gewesen war; dafür hatte ihm denn der General selbst so kräftig die Hand geschüttelt und nach den ersten Begrüßungsworten, ihn mit sichtbarer Vertraulichkeit auf die Seite ziehend, zu ihm gesagt: Ich muß Sie vor allem mit dem Oberst von Sattelstädt und dem Hauptmann von Schönau, beide vom großen Generalstabe, bekannt machen. Die Herren werden begierig sein, Ihre Ansichten in der Hafenfrage zu hören. Bitte, sprechen Sie sich gänzlich frei aus – ich lege ein Gewicht darauf. Ich selbst habe in der Angelegenheit noch eine spezielle Bitte, die ich Ihnen mitteilen will, sobald ich dazu komme. Auf später also!

Das war doch schmeichelhaft genug für den simplen Reserveleutnant, hatte Reinhold bei sich gedacht, als er auf Elsen zugegangen war; und nun sie! – ihre Güte, ihre Freundlichkeit! Ihm war zu Mute, wie einem homerischen Helden, der wohl im stillen gehofft, daß ihm die Göttin, zu der er betet, gnädig sein werde, und dem nun die Himmlische selbst im Kampfgewühl sichtbar entgegengetreten und mit den unsterblichen Augen zugewinkt und mit Worten, die nur sein Ohr vernimmt, ihren Beistand zugesagt hat. Was galt ihm jetzt, daß die goldene Lorgnette der alten Baronin Kniebreche mit solcher unheimlichen Starrheit so lange auf ihn gerichtet blieb und dann mit einer Bewegung fallen gelassen wurde, die nur zu deutlich sagte: das verlohnte sich auch der Mühe! – was war ihm daran gelegen, daß Graf Golm, so lange es nur möglich war, an ihm vorbeisah, und als das Manöver einmal gänzlich mißlang, mit einem ärgerlich geschnarrten: Ah, Ah, Herr Kapitän – sehr erfreut! an ihm vorbeischlüpfte? – daß die Verbeugung des jungen Fürsten Clemda bei der Vorstellung ein wenig weniger nachlässig hätte sein können? Was kam darauf an? Und das waren die einzigen Zeichen unfreundlicher Gesinnung, auf die er während nun einer Stunde, die bereits verflossen, in der ziemlich zahlreichen Gesellschaft gestoßen war. Im übrigen war liebenswürdige, unbefangene Freundlichkeit von seiten der Damen und kameradschaftlich-höfliches Entgegenkommen von seiten der Herren, fast ausnahmslos Offizieren, durchaus die Regel; selbst Fürst Clemda schien seine erste Nachlässigkeit wieder gut machen zu wollen, indem er plötzlich an ihn herantrat und einige Phrasen näselte, aus denen Reinhold nur einzelne Worte: Werben – Orleans – Vierzon – verteufelter Ritt – bedaure – mit einiger Deutlichkeit verstand.

Am erfreulichsten war ihm aber die Bekanntschaft der Herren von Sattelstädt und von Schönau. Sie traten fast gleichzeitig an ihn heran und baten ihn, wenn es ihm passe, ihnen seine Ansichten über die Ausführbarkeit und den praktischen Wert eines Kriegshafens nördlich vom Wissower Haken darzulegen. – Wir kennen beide das Lokal sehr gut, sagte der Oberst; – sind auch beide – der Hauptmann noch ein wenig mehr, als ich – Gegner des Projekts; wir haben natürlich auch mit den Herren vom Marineministerium vielfach konferiert; aber uns würde es nichtsdestoweniger, oder vielmehr nun erst recht von dem allergrößten Interesse und von der entschiedensten Wichtigkeit sein, die Ansicht eines intelligenten, mit den einschlägigen Verhältnissen vollkommen vertrauten, im übrigen aber gänzlich unbefangenen, durchaus vorurteilsfreien Seemannes zu hören, wenn er noch dazu, wie Sie, Herr Kapitän, den soldatischen Blick des Kampagne-Offiziers hat. Setzen wir uns in dieses Kabinett – da steht noch ein Stuhl, Schönau! – und nun, ich glaube, es ist das beste, Sie erlauben uns, unsere Fragen zu stellen. Man kommt so am leichtesten und sichersten zum Ziel. Wir wollen Sie nicht lange quälen.

Befehlen die Herren ganz über mich! sagte Reinhold.

Die Herren wollten von der erhaltenen Erlaubnis nur den bescheidensten Gebrauch machen; aber da Reinhold beim besten Willen manchmal weiter ausholen mußte, um die an ihn gerichteten Fragen beantworten zu können, so zog sich die Unterhaltung in eine Länge, die von niemand ursprünglich beabsichtigt war und, wie es schien, nur von ihm selbst empfunden wurde. Wie schmeichelhaft für ihn auch die achtungsvolle Aufmerksamkeit war, mit der die beiden Offiziere seinen Auseinandersetzungen zuhörten, wie aufrichtig er auch den Scharfsinn bewunderte und die Genauigkeit und den Umfang der Kenntnisse, von denen jede ihrer Fragen, ja jedes ihrer Worte Zeugnis ablegte – er konnte sich doch nicht enthalten, von Zeit zu Zeit einen verlangenden Blick durch die Tür des Kabinetts in den größeren Salon zu werfen, wo die Gesellschaft sich noch immer in der alten Weise durcheinander bewegte; und durch den Salon in das zweite kleinere Kabinett, auf der anderen Seite des Salons, wo sich, wie es schien, eine Gruppe jüngerer Herren und Damen zusammengefunden hatte, unter denen Reinhold Ottomar und die Dame, die ihm auf der Ausstellung als Fräulein von Wallbach bezeichnet war, den Grafen Golm und zuletzt auch Elsen bemerkte. Es wurde lebhaft drüben disputiert, so, daß man es durch die Breite des dazwischenliegenden Salons herüberhörte, obgleich man natürlich die einzelnen Worte nicht verstehen konnte. Auch Schönau war zuletzt aufmerksam geworden. – Ich wette, sagte er, man streitet sich über Wagner; unter Fräulein von Wallbachs Präsidium muß über Wagner gestritten werden; – ich gebe was drum, wenn ich hören könnte, was sie heute vorbringt.

Das heißt, lieber Schönau, wenn ich nicht irre: ich gäbe was drum, wenn der Sattelstädt endlich einmal aufhörte, sagte der Oberst lächelnd. – Nun, wir haben allerdings die Geduld des Herrn Kameraden länger als billig und schicklich in Anspruch genommen.

Er hatte sich erhoben und reichte Reinhold die Hand; Schönau protestierte: er habe an nichts weniger gedacht, als an das, was ihm der Herr Oberst imputiere; – der Oberst drohte mit dem Finger: Schämen Sie sich, Schönau, Ihre Herrin zu verleugnen! Das ist, müssen Sie wissen, Herr Kamerad, die edle Frau Musika. Für die geht er durch Feuer und Wasser und läßt Kriegshafen Kriegshafen sein. Marsch! marsch! Schönau!

Schönau lachte, ging aber doch, Reinhold mit sich fortnehmend, der nicht ungern folgte, da ihm so die beste Gelegenheit ward, wieder in Elses Nähe zu kommen und in Ottomars, den er vorhin nur ganz flüchtig hatte begrüßen können.


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