Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Elftes Kapitel

Ferdinande hatte in dem Uhrsaale mit den Damen ihrer Bekanntschaft nur so lange gesprochen, bis sie zu bemerken glaubte, daß Reinhold, der sich wiederholt nach ihr umgeblickt, sie für den Augenblick außer acht ließ und sich ganz der Betrachtung der Bilder hingab. Dann hatte sie den Damen eine Verbeugung gemacht, sich von einer Menschenwoge, die nach dem Nebensaale drängte, mit fortführen lassen, in dem Eingang des Nebensaales ein paar Momente gezögert, sich zu vergewissern, daß Reinhold ihr nicht folgte, und war dann mit schnellen Schritten und der Miene einer Dame, die nach der verlorenen Begleitung ausschaut und deshalb für die ihr begegnenden Bekannten nur ein flüchtiges Kopfnicken hat, durch diesen Saal und durch den Oberlichtssaal in den vierten Saal gegangen, aus diesem rechts ab in die lange Flucht der Kabinette gebogen, die sich von hier aus neben den Hauptsälen hinzieht und wohin, selbst in den ersten Tagen, die Besucher spärlicher kommen.

Auch heute war es verhältnismäßig leer; nur hier und da strichen einzelne vorüber, mit flüchtiger Neugier die Bilder musternd, nirgends sich lange aufhaltend, einen gelegentlichen Blick der Verwunderung auf einen Offizier werfend, der sich von einigen mittelmäßigen Landschaften nicht losmachen zu können schien. Nun mußte auch sein Interesse befriedigt sein; er schritt rasch den Gang hinauf, bis ganz am Ende ein Bild wiederum seine Aufmerksamkeit erregte. Es war dasselbe, vor dem Ferdinande stehen geblieben war. Das Licht fiel so ungünstig auf das Bild, es konnte nur von der einen Stelle recht gesehen werden. So mußte der Offizier sehr nahe an die Dame herantreten; er streifte dabei ihr Kleid: Pardon! sagte er laut, und dann in leisem Ton, der nur eben ihr Ohr berührte: wende dich nicht um, bis ich es dir sage! Sprich nach der Ecke zu! es kann niemand bemerken; – zuerst: ich danke dir!

Wofür?

Daß du gekommen bist.

Ich bin nur gekommen, dir zu sagen: ich trage es nicht länger.

Trage ich nichts?

Nein – im Vergleich zu mir.

Ich liebe dich, wie du mich.

Beweise es!

Wodurch?

Dadurch, daß du nicht fragst, sondern handelst!

Wenn mir die Hände gebunden sind!

Zerreiße die Bande!

Ich kann es nicht.

Leb' Wohl!

Sie wandte sich nach dem Eingang, durch den sie gekommen; er vergaß alle Vorsichtsmaßregeln und vertrat ihr den Weg. Sie standen sich gegenüber, Aug' in Auge blickend –

Ferdinande!

Ich will weiter!

Du mußt mich hören! um Gotteswillen, Ferdinande, eine solche Gelegenheit kommt vielleicht in Wochen nicht wieder.

Sie lachte höhnisch: Wir haben ja Zeit!

Abermals wollte sie an ihm vorüber; er vertrat ihr abermals den Weg.

Ferdinande!

Noch einmal: laß mich! Du brauchst eine Gelegenheit? eine so gute, mich loszuwerden, kommt dir vielleicht nie wieder.

Er trat mit einer Verbeugung zurück; sie hätte frei gehen können; sie tat es nicht; die heißen Tränen waren in die großen Augen geschossen; sie wagte nicht, sich so in die Menge zu begeben, und wandte sich wieder nach dem Bilde, während er sofort dieselbe geschickte Stellung von vorhin einnahm.

Sei gut, Ferdinande! Ich habe mich so auf diesen Augenblick gefreut – warum verbitterst du uns beiden die kostbaren Minuten? Du weißt, du mußt es wissen, daß ich zum Äußersten, wenn es sein muß, entschlossen bin. Aber wir können doch die letzten Schritte nicht tun, ohne alles überlegt zu haben.

Wir überlegen schon seit einem halben Jahre.

Über die Gartenwand hinweg in Worten, die man nur halb versteht, in Briefen, die nie sagen, was man sagen will. Das ist nichts. Du mußt mir das Rendezvous gewähren, um das ich dich so oft gebeten. Soll nie meine Hand in der deinen, meine Lippen auf deinen Lippen ruhen – und du verlangst Beweise der Liebe von mir!

Sie schaute von der Seite zu ihm auf und blickte in seine schönen hellbraunen, nervösen Augen. Ein Paar schönerer, dunklerer Augen hatte so vor einer Stunde sie angeblickt und mit leidenschaftlicherem Feuer; sie hatte ihnen widerstanden, diesen widerstand sie nicht. Ihre Wimpern sanken auf die glühenden Wangen: Ich kann es nicht, stammelte sie.

Sage, ich will nicht. Ich habe dir unzählige Vorschläge gemacht. Ich habe mich neulich im Klub deinem Bruder vorstellen lassen. Er war entzückt, mich kennen zu lernen – hat mich dringend gebeten, ihn zu besuchen – seine Bilder zu sehen – wie leicht können wir uns da treffen!

Ich darf meinen Bruder nicht besuchen – durfte es schon längst nicht mehr – und nun seit gestern abend!

Dann dein Vetter! Er kommt gewiß zu uns; ich werde ihm einen Gegenbesuch machen – dein Vater kann mir doch nicht die Tür weisen!

Ich habe bereits daran gedacht und ihn vorbereitet. Es würde im besten Fall nur auf wenige Minuten sein.

So will ich weiter nachdenken; wenn ich nur weiß, daß du willst – ich finde es schon und schreibe dir, oder lieber, sage es dir, sobald du mir das Zeichen gibst.

Ich wage es nicht mehr.

Weshalb?

Jemand beobachtet mich auf Tritt und Schritt; ich bin keinen Augenblick vor ihm sicher – Antonio – ich habe es dir gesagt; ich fürchte –

Du fürchtest dich eben immer.

Er machte eine schnelle, unmutige Wendung nach der Fensternische, in deren Nähe er stand. In demselben Moment verschwand ein auffallend schöner, elegant gekleideter junger Mann aus der Tür am andern Ende der Galerie, in der er seit ein paar Minuten gestanden, so gedeckt, daß er, bog er sich nur ein wenig nach links, mit seinen falkenscharfen schwarzen Augen die Fensternische mit dem seltsamen Paar vollkommen übersehen konnte, ohne große Gefahr zu laufen, selbst erkannt zu werden. Im Notfall brauchte er nur in das Gewühl zurückzutauchen, das den größeren Nebensaal erfüllte. Er hatte genug gesehen und verschwand in dem Gewühl.

Als Ottomar, nachdem er ein paar Sekunden zum Fenster hinausgeblickt, sich umwandte, um Ferdinanden ein versöhnendes Wort zu sagen, das er auf den Lippen und im Herzen hatte, war ihr Platz leer.

Ferdinande hatte nicht anders gekonnt. Die Damen ihrer Bekanntschaft, mit denen sie vorhin bereits gesprochen, waren eben im Nebensaale an der Tür, in deren unmittelbarer Nähe sie sich befanden, vorübergegangen, glücklicherweise, ohne sie zu bemerken. Aber sie waren dicht neben der Tür stehen geblieben – das Kleid der einen war noch sichtbar. Sie konnten jeden Augenblick die Wendung durch die Tür in die Galerie machen, wenn sie selbst ihnen nicht entgegentrat und sie so lange festhielt, bis Ottomar, der doch alles sogleich begreifen würde, seinerseits die Galerie nach der andern Seite verlassen hatte. Und wenn er es nicht begriff – um so schlimmer für ihn! So mochte es zu Ende sein – lieber heute, als morgen, wenn es denn sein mußte!

Aber Ottomar hatte nichts von dem allen bemerkt, hatte die Damen nicht gesehen, sah auch Ferdinande nicht, die, wenn sie nicht auf die Schleppen in der Tür treten wollte, ein Paar Schritte weiter hinein in den Saal hatte gehen müssen und jetzt dort mit den Damen sprach. Für ihn war sie eben verschwunden, ohne Abschied, ohne ein Wort der Verständigung.

Beim Himmel, das ist stark! sagte er, die Zähne aufeinander beißend und den kleinen dunklen Schnurrbart streichend; – nun, wie sie will!

Und er ging eilends die Galerie hinauf und bog durch dieselbe Tür, in der vorhin der schöne junge Mann gestanden, in die Hauptsäle ein.


 << zurück weiter >>