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Achtes Kapitel

Der junge Mann in Hemdärmeln, der Reinhold so wenig höflichen Bescheid gegeben, drohte, nachdem er die Tür wieder zugesperrt, mit der Faust und murmelte einen kräftigen Fluch in seiner Heimatsprache zwischen den scharfen weißen Zähnen. Dann trat er in den Raum zurück und schlich mit leisen Schritten bis an eine Tür, die das Atelier von dem Nebenatelier trennte. Er legte das Ohr an die Tür und lauschte ein paar Augenblicke. Ein Lächeln der Zufriedenheit erhellte sein dunkles Gesicht; er holte, sich aufrichtend, tief Atem und schlich dann, unhörbar wie eine Katze, das eiserne Wendeltreppchen hinauf, das in sein Zimmerchen führte und von dem er vorhin auf Reinholds Klopfen herabgekommen war.

Nach einigen Minuten kam er wieder die Treppe herab, diesmal ohne das Geräusch künstlich zu verdecken, sondern sogar fester als nötig auftretend und eine Melodie pfeifend. Er hatte jetzt Weste und Rock an, und statt der Socken, die er vorhin getragen, Lackstiefel an den schmalen Füßen, auf die er beim Hinabschreiten zufriedene Blicke warf. Unten angelangt, trat er alsbald vor einen großen Spiegel aus schönem venetianischen Glase und musterte wiederholt seine ganze Gestalt mit größter Sorgsamkeit, zupfte an dem blauen Krawattchen, drückte einen der goldenen Knöpfe fester durch die Chemisette und strich sich mit einem feinen Kämmchen durch die wie Rabengefieder glänzenden blauschwarzen Locken. Sein Pfeifen wurde leiser und leiser und verstummte zuletzt. Er trat von dem Spiegel weg, bald diesen, bald jenen Gegenstand, wie er ihm eben in die Hände kam, mit einigem Geräusch bewegend, bis er unmittelbar an die Tür gelangt war, an der er vorhin gelauscht. Mit einem Griff hatte er einen Schemel erfaßt, den er zu diesem Behuf auf Armeslänge an die Wand gelehnt, und stand jetzt auf dem Schemel, wie vorhin das Ohr, jetzt das Auge an die Tür drückend – sehr nahe, denn er hatte das Loch mit dem feinsten Bohrer gebohrt mit großer Mühe, und große Mühe hatte es ihn gekostet, bis er den Nebenraum oder doch die Stelle, wo sie zu arbeiten pflegte, übersehen lernte. Das Blut schoß ihm in die dunklen Wangen, wie er so hindurchlugte: O bellissima! hauchte er zwischen den Lippen, einen heißen Kuß auf das Holz drückend.

Auf einmal sprang er herab – unhörbar, wie eine Katze; der Sessel stand wieder an der Wand und er vor dem halbfertigen Marmor einer überlebensgroßen weiblichen Figur, als jetzt von der andern Seite an die Tür gepocht wurde: Signor Antonio!

Signora? rief der junge Mann von dem Platze aus; er hatte Meißel und Schläger ergriffen, offenbar nur, um die Rolle des Überraschten besser vor sich selbst zu spielen.

Können Sie einen Augenblick hereinkommen, Signor Antonio?

Fatemi il piacere!

Si, Signora!

Er warf die Werkzeuge aus der Hand und lief nach der Tür, von der jetzt ein Riegel zurückgeschoben wurde. Trotzdem und trotz der erhaltenen Aufforderung klopfte er, bevor er öffnete.

Ma – entrate! – Wie schön Sie sich gemacht haben, Signor Antonio!

Antonio senkte die dunkeln Wimpern und ließ die Blicke an seiner schlanken Gestalt niedergleiten bis zu den Spitzen der Lackstiefel – nur für einen Moment. Im nächsten ruhten die schwarzen Augen mit einem leidenschaftlich düstern Ausdruck auf dem schönen Mädchen, das in einfachem dunkeln Hauskleide, mit langer Arbeitsschürze, das Modellierholz in der Hand, vor ihm stand.

Sie brauchen sich nicht schön zu machen, Sie sind immer schön.

Er hatte es auf deutsch gesagt, er war stolz auf sein Deutsch, seitdem sie in den italienischen Stunden, die er ihr gab, wiederholt seinen Akzent gelobt und gesagt hatte: es klinge ihr jedes Wort neu in seinem Munde – neu und lieb wie ein Bekannter, dem man in der Fremde begegne.

Ich finde mich heute morgen nichts weniger als schön, erwiderte Ferdinande, – aber ich bedurfte Ihrer Hilfe. Mein Modell ist ausgeblieben; ich wollte heute an den Augen arbeiten. Sie haben schönere Augen als Ihre Landsmännin, Antonio; stellen Sie sich einmal dahin – nur für ein Paar Minuten!

Ein zufrieden-stolzes Lächeln flog über das schöne Gesicht des Jünglings. Er trat Ferdinanden gegenüber in genau derselben Haltung, die sie ihrer Figur gegeben.

Bravo! sagte sie; – man weiß nie, ob Sie ein größerer Schauspieler oder Bildhauer sind.

Un povero abbozzatore! murmelte er.

Sie sind kein Arbeiter, sagte Ferdinande, – Sie wissen es, daß Sie ein Künstler sind.

Ich bin ein Künstler, wie Sie eine principessa!

Was heißt das nun wieder?

Ich bin zum Künstler geboren und bin doch keiner, wie Sie zur principessa geboren und doch keine sind.

Sie sind toll.

Es war kein unwilliger Ton, in dem sie es sagte; es lag sogar etwas wie eine Bestätigung darin, die dem scharfen Ohr des Italieners nicht entging.

Und auch Sie wissen es, sagte er.

Sie erwiderte nichts, sondern arbeitete weiter, aber ohne Eifer. – Sie hat dich gerufen, um dir etwas zu sagen, sprach Antonio bei sich.

Wo waren Sie gestern abend, Antonio? fragte sie nach einer Pause.

In meinem Klub, Signora.

Wann sind Sie nach Hause gekommen?

Spät.

Aber wann?

Um ein Uhr, ma perchè?

Sie hatte sich seitwärts zu dem Tischchen gewandt, auf dem ihre Arbeitswerkzeuge lagen, zwischen denen sie kramte.

Ich frage nur so. Wir sind gestern auch erst spät zu Bett gegangen. Wir haben Besuch – ein Vetter von mir – es wurde viel gesprochen und geraucht – ich hatte mir furchtbare Kopfschmerzen geholt und bin noch eine Stunde im Garten gewesen. Wollen Sie sich wieder hinstellen? – oder sollen wir es aufgeben? – Es wird Ihnen schwer – mir deucht, Sie sehen angegriffen aus.

No, no! murmelte er.

Er hatte die Stellung wieder eingenommen, aber weniger geschickt als vorhin. In seinem Gehirn schwirrten wunderliche Gedanken, die sein Herz klopfen machten. – »Wann sind Sie nach Hause gekommen? – ich bin noch eine Stunde im Garten gewesen« – war es möglich? nein! nein! es war unmöglich, es war ein Zufall – aber wenn er sie in tiefer Nacht allein im Garten getroffen hätte, was würde er gesagt, was getan haben?

Es flirrte ihm vor den Blicken – er drückte die Hand, die er an die Stirne halten sollte, vor die Augen.

Was haben Sie? rief Ferdinande.

Die Hand sank herab; die Augen, die fest auf sie gerichtet waren, sprühten Flammen.

Was ich habe? murmelte er, was ich habe? – Ho – non lo so neppur io: una febbre che mi divora, ho, che il sangue mi abbrucia, che il cervello mi si spezza; ho in fine, che non ne posso più, che sono stanco di questa vita!

Ferdinande hatte versucht, dem Ausbruch stand zu halten; es war ihr nicht ganz gelungen. Sie zitterte vom Kopf bis zu den Füßen; aus den flammenden Augen war ein Funke in ihr eigen Herz übergesprüht, und ihre Stimme bebte, als sie jetzt, so ruhig als sie noch vermochte, erwiderte:

Sie wissen, ich verstehe Sie nicht, wenn Sie so sinnlos schnell sprechen.

Sie haben mich verstanden, murmelte der Jüngling.

Ich habe nichts verstanden, als was ich ohne das gesehen, daß »ein Fieber Sie verzehrt, daß das Blut Sie erstickt, daß Ihr Gehirn zerspringen will, daß Sie dieses Lebens müde sind« – auf deutsch: das Sie gestern zu lange in Ihrem Klub gesessen und zu viel von dem schönen Italien geschwärmt und dabei zu viel italienischen Feuerwein getrunken haben.

Die Adern an seiner feinen weißen Stirn traten bläulich hervor; ein heiserer Ton, wie eines wilden Tieres Schrei, kam aus seiner Kehle. Er griff nach der Brust, wo er für gewöhnlich sein Stilett trug – die Seitentasche war leer – seine Blicke irrten umher, als suchten sie eine Waffe.

Wollen Sie mich morden?

Die rechte Hand, die noch auf der Brust zusammengekrampft war, löste sich und sank herab; die linke folgte, die Finger preßten sich ineinander, aus seinen Augen brach ein Strom von Tränen, die Glut erlöschend; er fiel in die Knie und schluchzte:

Pardonatemi! Ferdinanda, l'ho amata dal primo giorno che l'ho veduta, ed adesso – ah! adesso –

Ich weiß es, armer Antonio, sagte Ferdinande, und das ist der Grund, weshalb ich dir verzeihe – noch einmal – zum letzten Male! Wenn sich diese Szene wiederholt, sage ich es dem Vater, und du mußt aus dem Hause. – Und nun, Signor Antonio, stehen Sie auf!

Sie reichte ihm die Hand, die er, noch immer kniend, an seine Lippen und an seine Stirn drückte.

Antonio! Antonio! ertönte draußen Justus' Stimme; zugleich wurde an die Tür gepocht, die auf den Hof führte. Antonio sprang auf die Füße.

Ist Antonio hier, Fräulein Ferdinande?

Ferdinande ging selbst, die Tür zu öffnen.

Sie arbeiten noch? sagte Justus eintretend; – aber ich denke, wir wollen mit Ihrem Vetter in die Ausstellung?

Ich warte auf ihn; er hat sich noch nicht sehen lassen; gehen Sie mit Antonio immer voran; wir treffen uns bei den Skulpturen.

Wie Sie befehlen! – Das, was Sie heute an den Augen gemacht haben, ist nichts wert – ein ganz falscher Zug! Sie haben wieder einmal ohne Modell gearbeitet; – wann werden Sie zu der Erkenntnis kommen, daß wir ohne Modell hilflos sind! – Andiamo, Antonio! wenn Sie sich nicht schämen, mit mir über die Straße zu gehen.

Er hatte sich lachend neben den Italiener gestellt, als wollte er auch Ferdinande das Vergnügen gewähren, das ihm der Vergleich seiner kleinen untersetzten Gestalt in dem abgetragenen Sammetröckchen und den hellen Beinkleidern von zweifelhafter Neuheit mit dem schlanken, bildschönen, eleganten Jüngling, seinem Gehilfen, bereitete. Aber Ferdinande hatte sich bereits abgewandt und sagte nur noch einmal: Also bei den Skulpturen!

Dunque – andiamo! rief Justus – a rivederci!


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