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Siebenunddreißigstes Kapitel

Die breite Eisfläche zwischen dem Festlande und der Insel war seit Wochen schon eine ungeheure Brücke. Man hatte beinahe vergessen, daß der Fuß auf gefrorenes Wasser trat und der Huf des Pferdes so laut an die Tür über dem Abgrunde pochte. Was sollte man auch fürchten, wenn man die dicken Blöcke sah, welche die Fischer zur Warnung um die für die Fische ausgehauenen großen Löcher stellen, vorausgesetzt, daß man nicht unvorsichtigerweise hineinlief oder -fuhr, was doch am Tage kaum möglich war. Und solange nur die schrägen Wintersonnenstrahlen auf dem blanken Eise glitzern, das rechts und links von der Stadt meilenweit den Sund bedeckt, wimmelt es auf »der Bahn« von Fußgängern und Schlitten, die meistens mit einem, oft aber auch mit zweien und gar nicht selten mit vier Pferden bespannt sind.

Wenn aber die Sonne untergegangen ist, wenn dann die Nebel anfangen, dichter zu wallen, wird der schwarze bewegliche Faden, der sich den Tag über von der Stadt nach dem Fährdorfe zog, dünner und dünner. Die Fischer, die meilenweit draußen in den Waken gefischt haben, kommen auf ihren niedrigen Schlitten herein. Aufrecht auf diesen Schlitten stehend, die sie mit einer langen, unten mit einer eisernen Spitze versehenen Stange forttreiben, huschen sie mit wunderbarer Geschwindigkeit, einer hinter dem andern, durch den grauen Nebel, anzuschauen wie Gespenster der Öde, wie Geister des Nordlands. Und jetzt leuchten hüben und drüben Lichter auf, vereinzelt von der Insel her, auf der Stadtseite häufiger und weiterhin sichtbar; und jetzt beginnen auch die Sterne, die vorher nur hier und da aus dem Abendhimmel herabschauten, in Masse zu glänzen und zu funkeln und zu schimmern, daß sich das Auge nicht satt sehen kann an dieser Pracht. Aber es achtet niemand darauf. Der schwarze bewegliche Faden ist verschwunden, nur hier und da noch ein verspäteter Wanderer, der seine Schritte beschleunigt, obgleich er weiß, daß ihm kein Unglück passieren kann, wenn er sich auf der Bahn hält; oder ein einspänniger Schlitten wie sie zur Vermittelung des Verkehrs von Fischern und Fährleuten in großer Anzahl während des Winters ausgerüstet und vom Publikum eifrigst benutzt werden.

Ein solcher Schlitten fuhr jetzt eben in schnellem Trabe durch den Abend dahin, der mit jedem Augenblick dunkler und nebliger auf die Eisfelder herabsank. In dem Schlitten saß außer dem Fuhrmann nur noch ein Passagier, der eine Pelzmütze tief in das Gesicht gedrückt und den Mantelkragen hoch heraufgeschlagen hatte.

Solange sie in der Nähe des Hafens noch heimkehrenden Schlitten und Fußgängern begegneten, wurde zwischen dem Fuhrmann und seinem Passagier kein Wort gewechselt; als sie aber draußen hinauskamen auf die weite Eiswüste, die Lichter der Stadt hinter ihnen im Nebel verdämmerten und der Hufschlag des krausmähnigen Kleppers dumpfer ertönte, richtete sich der Herr aus seiner Ecke auf und sagte:

»Alles in Ordnung, Claus?«

»Alles, Herr«, erwiderte der Bursche, sich halb auf seinem Sitze umwendend.

»Hast du von deinem Vetter Nachricht?«

»Ich bin gestern selbst noch einmal da gewesen; er wird Schlag fünf bei Barow am Strande halten. Er nimmt seine beiden besten Pferde. Sie können damit in einem Trabe bis morgen um diese Zeit fahren.«

»So viel braucht's gar nicht. Du kennst doch die Bahn bis Barow?«

»Ob ich sie kenne! Ich bin alle Tage herüber gewesen. Aber ich möchte einem, der keinen Bescheid weiß, nicht raten, nach der Seite zu fahren.«

»Weshalb?«

»Die Barower haben Wake bei Wake ins Eis gehauen, und wo sie aufhören, fangen unsere Fährschen an. Man hat rechts und links immer blankes Wasser neben sich. Hü, Foß!«

Der Klepper beschleunigte sein Tempo, und die beiden Männer versanken in Schweigen. Beide spähten und horchten in die Nacht hinein, aber mit sehr verschiedenen Empfindungen. Für Claus Lemberg war das Ganze ein vergnügliches Abenteuer, das ihm ungemein zusagte, da es seine starken Nerven auf wohltuende Weise anregte und diejenigen Eigenschaften seines Charakters, auf die er am meisten Gewicht legte: Mut und Verschlagenheit, zur Geltung brachte. Der andere war sich bewußt, einen Schritt zu tun, der über sein Schicksal und über das Schicksal eines anderen Wesens entscheiden mußte, einer Frau, die sich durch ihre hingebende, aufopfernde Liebe Anspruch auf seine Liebe erworben hatte, die Rang und Reichtum – jeden Vorzug ihrer Geburt und ihres Standes von sich geworfen hatte, um ihm, nur ihm zu gehören, und die dort drüben, von wo jetzt die Lichter herüberzuschimmern begannen, voll Angst und Sorge seiner harrte. Und so war denn auch sein Herz voll schwerer Sorge. Er hatte die Brücke hinter sich abgebrochen; er eilte in eine Zukunft hinein, die so schwarz war wie die Nacht, die ihn umgab, aber bei weitem nicht so voll heller, funkelnder Sterne. Doch gleichviel – der Würfel ist geworfen; zurück geht's nicht mehr, so denn vorwärts, vorwärts. – »Was ist das! Ist das nicht ein Schlitten, der hinter uns her kommt?«

Oswald richtete sich halb in die Höhe und lauschte, aber Claus' scharfes Ohr hatte schon die Richtung erfaßt, aus welcher der Schall kam.

»Es ist ein zweispänniger Schlitten von drüben«, sagte er, etwas rechts aus der Bahn biegend, »die Pferde greifen gut aus; gleich werden wir dran sein.«

Fast unmittelbar darauf sahen sie auch schon den Schlitten – eine dunkle Masse, die durch die Nacht blitzschnell dahinglitt. Als sie aneinander vorüberkamen, fragte eine Stimme:

»Wir sind doch auf der Bahn?«

»Nur immer zu!« war Claus' Antwort.

»Und das Eis hält für zwei Pferde?«

»Auch für vier.«

»Danke!«

»Keine Ursach'!«

Und die Schlitten setzten sich wieder in rasche Bewegung.

»Sonderbar«, murmelte Oswald, »mir war, als ob ich Oldenburgs Stimme gehört hätte. Welch wunderliche Streiche einem die Phantasie doch spielt.«

Die noch übrige Strecke bis Fährdorf wurde wieder schweigend zurückgelegt. In wenigen Minuten langten sie an. Aus den Häuserchen oben auf dem Uferrande schimmerten Lichter. Unten an der Fährbrücke, wo das Gasthaus steht, ging es noch lebhaft zu. Die Fenster waren erleuchtet; Musik ertönte; Schlitten standen vor der Tür.

Claus hielt; Oswald stieg aus.

»Ich fahre am Strande hin, bis zu unserem Hause«, sagte Claus, »und warte, bis Sie kommen. Aber eilen Sie sich. In einer halben Stunde geht der Mond auf.«

»Hab keine Sorge. Wir wollen dich nicht warten lassen.«

Oswald ging an dem Gasthause vorüber die steile Dorfstraße hinauf, bog dann links ab und eilte an den kleinen Häusern, die hart am Rande des Ufers erbaut sind, dahin, bis er an das letzte kam. Durch eine Ritze des Ladens, mit dem das niedere Fenster verschlossen war, dämmerte ein schwaches Licht. Oswald pochte dreimal in bestimmten Zwischenräumen an den Laden. Gleich darauf wurde die Tür vorsichtig geöffnet. Oswald schlüpfte hinein. Auf dem Flur stand eine alte, hochgewachsene, starkknochige Frau, mit einem Licht in der Hand; neben ihr eine junge schlanke Gestalt, die sich Oswald, sobald er eingetreten war, in die Arme stürzte: »Kommst du endlich?«

»Ich komme auf die Minute.«

»Gleichviel; ich bin fast gestorbene vor Ungeduld.«

»Ist alles bereit?«

»Ja.«

»Hat dich jemand gesehen, als du fortfuhrst?«

»Niemand, außer der Jägerin. Sie wollte mich durchaus herüberbegleiten; ich konnte es ihr nicht ausreden. Sie ist drinnen im Zimmer.«

»Die tolle Person.«

»Schilt sie nicht, wir sind ihr viel Dank schuldig; sei freundlich zu ihr.«

»Sie wird die Verfolger auf unsere Spur bringen.«

»Ich fürchte nichts. Cloten ist ganz sicher. Ich habe ihm gesagt, daß ich vor Abend nicht wieder zurückkäme.«

Emilie zog Oswald in das niedere Stübchen, wo Primula an dem Tisch stand und Tee machte. Sobald sie Oswald erblickte, eilte sie in seine Arme.

»Oswald«, rief sie, »dies ist der letzte Augenblick! Noch eine Tasse Tee mit Rum, dann sei's geschieden, kühn und ohne Wanken!«

»Die Augenblicke sind kostbar«, sagte Oswald, sich aus der Umarmung Primulas losmachend. »Wir müssen fort, Emilie.«

»Nicht, ohne vorher diesen Trank geschlürft zu haben«, sagte Primula, den Tee in die Tasse gießend. »Sie wissen, Oswald, draußen ist's kalt, und bei dieser Nachtluft frieren auch wir, wir ewigen Götter.«

Primulas Versuch, scherzhaft zu sein, mißglückte, Tränen erstickten ihre Stimme; sie setzte sich auf einen Schemel, drückte, die Hände vor das Gesicht und schluchzte. Aber schon im nächsten Augenblicke sprang sie wieder empor.

»Keine weibische Schwäche, Primula!« rief sie, »Hier heißt es, stark sein. Trinkt, meine Freunde, trinkt, und dann hinaus in die dunkle Nacht und das sterneglänzende Leben!«

»Komm, Oswald«, sagte Emilie, die schon reisefertig dastand, »die Jägerin hat recht; eine Tasse Tee kann uns nicht schaden; auf ein paar Minuten kommt es nicht an.«

»Ich wollte, wir wären fort«, sagte Oswald, ihr die Tasse, die sie ihm bot, aus der Hand nehmend.

Er hatte kaum diese Worte gesprochen, als sehr stark an die Fensterladen gepocht wurde.

Alle sahen sich erschrocken an.

»Hallo!« rief eine Stimme.

»Um Gottes willen, es ist Arthur«, sagte Emilie. »Wir sind verloren.«

»Lebt wohl, meine Freunde!« rief Primula und sprang in die Kammer nebenan, nachdem sie vorher vergeblich versucht hatte, die Tür des großen Kleiderschrankes aufzureißen.

»Still!« sagte die alte Frau. »So leicht fängt man uns Fährsche nicht. Sprechen Sie kein Wort!« Sie trat an das Fenster und rief:

»Wer ist da?«

»Ist vielleicht Frau von Cloten hier? Ich habe ihr eine wichtige Nachricht zu bringen.«

Die Alte wandte sich um und flüsterte:

»Machen Sie, daß Sie fortkommen; ich will sehen, daß ich ihn hier aufhalte. – Was wollen Sie?«

Oswald und Emilie hörten die Antwort nicht mehr. Verstohlenen Schrittes, sich an den Händen haltend, schlichen sie aus dem Gemache, über den Flur nach der Tür, die hinten zum Hause hinaus auf den Rand des Ufers ging. Von dort führte eine Treppe hinab an den Strand. Unten hielt der Schlitten. Einmal im Schlitten, waren sie gerettet.

»Bleib hinter mir«, sagte Oswald, als sie an die Tür kamen.

Die Tür war durch eine eiserne Krampe verschlossen. Oswald öffnete vorsichtig. Alles war still. Der Winterhimmel mit seinen Sternen schaute herein.

»Es ist niemand hier«, flüsterte Oswald, »komm!«

Sie waren kaum herausgetreten, als die Tür mit großer Gewalt zugeschlagen wurde, von jemand, der dahinter gestanden hatte, und sich jetzt, wie um den Fliehenden den Rückzug abzuschneiden, mit seinen breiten Schultern dagegenlehnte. Oswald erkannte bei dem Licht der Sterne und des Schnees in der breitschultrigen Gestalt den Herrn von Barnewitz.

»Wir sind verraten«, murmelte er, »aber sie sollen es büßen. Fort, Emilie, in den Schlitten; ich komme nach.«

»Aber nicht sogleich!« sagte von Barnewitz, auf Oswald zuspringend und ihn mit beiden Händen an den Schultern fassend.

Oswald riß sich los und ein paar Schritte zurückspringend, um Spielraum zu haben, ergriff er eine jener mit Eisen beschlagenen Piken, deren sich die Fischer bei ihren Schlitten bedienen und von denen einige dicht neben ihm an der Wand lehnten, und führte damit einen so gewaltigen Streich nach seinem Gegner, daß dieser trotz seiner ungeheuren Körperkraft und riesigen Figur ohne einen Laut von sich geben, zu Boden stürzte.

In einem Nu hatte Oswald Emilie eingeholt und seinen Arm um ihren Leib schlingend, trug er sie beinahe die steile Treppe hinab.

Unten an der Treppe auf dem Schnee des schmalen Strandes hielt der Schlitten.

Er hob Emilie hinein und stieg selbst nach.

»Wir sind verraten, Claus«, sagte er, »fahr zu, es geht um Tod und Leben.«

Claus schnalzte mit der Zunge; der Klepper schüttelte die krause Mähne und trabte davon.

»Dacht's mir«, sagte Claus, sich halb umdrehend, »seit einer Minute hält ein Schlitten nicht hundert Schritte von hier am Strande. Ich sah, daß zwei Männer ausstiegen und das Ufer hinaufkletterten; ich wollte eben nach und Sie warnen, da kamen Sie schon die Treppe hinab. Nun hat's nichts mehr zu sagen. Ich wollte die Pferde sehen, die Claus Lemberg seinen Fuchs einholen.«

»Da kommen sie schon«, sagte Oswald, der währenddessen nach hinten geschaut hatte. »Wo steht das Kästchen, Claus, das ich dir gab?«

»Dicht hinter Ihnen im Stroh.«

Oswald öffnete das Kästchen, nahm eine der beiden Pistolen, die es enthielt, heraus und spannte den Hahn.

»Um Gottes willen, Oswald, was willst du tun?« sagte Emilie, die, solange sie im Schlitten waren, noch kein Wort gesprochen hatte.

»Den ersten, der Hand an mich zu legen wagt, über den Haufen schießen.«

»Oh, mein Gott, mein Gott!«

»Für wen fürchtest du? Für mich oder für ihn? Noch ist es Zeit. Er wird dir sicher verzeihen, wenn du jetzt umkehrst; dir höchstens in Barnewitz' Gegenwart eine kleine Strafpredigt halten.«

»Wie du nur so sprechen magst! Ich umkehren! Lieber tot auf dem Grunde des Meeres.«

»Auch dazu kann Rat werden«, murmelte Oswald.

Es schien Oswald klar, daß der Klepper, so schnell er auch die scharfbeschlagenen Hufe auf das Eis hieb, mit den zwei Rassepferden, die den Schlitten der Verfolger zogen, nicht auf die Dauer um die Wette laufen konnte. Der Vorsprung von einigen tausend Schritten, den er hatte, konnte nicht groß in Rechnung kommen, da die Entfernung von Fährdorf bis nach dem Dorfe Barow auf dem Festlande über eine Meile betrug.

»Noch einmal, Emilie: Was wünschest du, daß ich tue, wenn sie uns einholen?« fragte Oswald, sich zu Emilie herabbeugend, die, in ihren Pelz gehüllt, schweigend dasaß.

»Daß du dich verteidigst wie ein Mann.«

»Und wenn ich unterliege?«

»So springe ich in die erste Wake, der wir begegnen. Besser auf dem Grunde des Meeres als zurück zu ihm.«

»Ist das dein wohlerwogener Entschluß?«

»So wahr ich lebe und dich liebe.«

Oswald beugte sich herab und küßte das schöne blasse, kalte Antlitz.

»Nun ist es gut«, sagte er, »nun komme, was will.«

Es waren entsetzliche Minuten, und die schauerliche Umgebung erhöhte noch das Schauerliche der Situation. Lautlose Stille ringsumher, nur unterbrochen von dem rastlosen Hufschlag des flüchtigen Kleppers und von dem eigentümlich sausenden ächzenden Ton, den ein Gegenstand hervorbringt, der mit großer Schnelligkeit über eine Eisfläche dahingleitet – und so weit das Auge reichte, die fürchterliche Öde einer mit dünnem Schnee überdeckten Ebene, über der der Horizont nach allen Seiten wie eine bleierne Glocke lag. Denn selbst die Sterne waren jetzt in dem feinen Nebel verschwunden, und dennoch wurde es mit jedem Augenblick heller und heller. Am grauen Himmel verkündete ein rötlicher Streifen den aufgehenden Mond. Man konnte den Schlitten der Verfolger deutlicher sehen: ein großer, schwarzer Flecken, der immer größer und schwärzer wurde, in dem Maße, als die Helligkeit am Himmel zunahm.

Seit sie Fährdorf verlassen hatten, waren wenige Minuten verflossen, doch dünkten sie Oswald eine Ewigkeit. Er spähte vorwärts aus nach dem Ufer, aber es war noch nicht zu entdecken; er sah hinterwärts nach den Verfolgern; wieder war der große, schwarze Flecken größer und schwärzer geworden.

Und heller und heller wurde es am Himmel; schon blinkte das geisterhafte Licht auf dem schwarzen Wasser in den Waken und auf den weißen Eisblöcken, die wie Prellsteine am Rande lagen, und immer größer und schwärzer wurde der große schwarze Flecken hinter ihnen.

»Wir holen es nicht, Claus«, sagte Oswald.

»Was gilt die Wette, Herr?« erwiderte Claus. »Ich will den Fuchs lebendig fressen, wenn er nicht gewinnt. Herr, so ein Pferd gibt's nicht weiter. Wir sind unser zwanzig Fährsche und dreißig Sundinsche, und jeder hat einen guten Gaul vor dem Schlitten, aber der Fuchs schlägt sie alle, alle. Hü, Fuchs!«

Und als ob der Fuchs sich durch das Lob seines Herrn zu noch größerer Schnelligkeit angespornt fühlte, schüttelte er seine krause Mähne und hieb mit noch rascherem Tempo seine scharfen Hufe auf das Eis.

»Aber die Pferde dort sind keine gewöhnlichen.«

Claus lachte.

»Und deshalb gerade habe ich keine Sorge. Sie halten's nicht aus. Und überdies fürchten sie sich vor den Waken. Noch ein paar Minuten und sie bleiben zurück, oder ich will den Fuchs lebendig fressen.«

Sei es, daß die Pferde Clotens in der Tat bei dieser ungewohnten Jagd über das glatte Eis weg zu ermüden begannen, oder die schwarzen Wasser der Waken den Verfolgern den Mut raubten – aber Claus' Prophezeiung fing an in Erfüllung zu gehen, nachdem er sie kaum ausgesprochen hatte. Trotzdem es heller und heller am Himmel heraufdämmerte, wurde der schwarze Punkt hinter ihnen merkbar kleiner und undeutlicher; und als jetzt der Vollmond über den Rand des Horizonts aufstieg und sein bleiches Licht über die weiten Flächen ausgoß, war der schwarze Flecken auf dem Schneegefilde verschwunden.

»Nun, habe ich's nicht gesagt?« fragte Claus, sich umwendend und seine weißen Zähne zeigend, »daß es keine Pferde gibt, die den Fuchs auf dem Eise einholen? Hü, Fuchs!«

Claus hatte sich wieder zu seinem Pferde gewandt. Über dumpfdonnernde Tiefen weg, vorbei an unheimlich im Mondschein glitzernden Wassern ging die pfeilschnelle Fahrt hinein in die öde Nacht. Um ihre Ohren pfiff der eiskalte Nachtwind, der klagend und heulend über die Schneefelder strich. Oswald und Emilie waren sich in die Arme gesunken. Froh der entronnenen Gefahr, in der Seligkeit einer Liebe, deren holde Blumen sie am Rande des Abgrundes pflückten, vergaßen sie gern auf Augenblicke, wie tief und schreckensvoll dieser Abgrund war.


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