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(1933)
Das schwierigste Problem in der Erforschung der altamerikanischen Kulturen ist ihre absolute Chronologie. Ohne diese Feststellung des Ganges der Geschichte nach Tempo und Dauer, deren äußeres Zeichen nur die Jahreszahlen sind, gibt es kein wirkliches geschichtliches Wissen. Wir müssen immer dahin zu gelangen suchen, die versunkene Geschichte dieser Menschen und Staaten mit ihren Ereignissen, Taten und führenden Persönlichkeiten vor unserem Blick wieder lebendig zu machen und zwar in der natürlichen Folge der Generationen, welche die Entwicklung tragen und darstellen. Und diese Entwicklung der amerikanischen Kulturen steht nicht für sich, sondern bildet irgendwie ein Element der Weltgeschichte, in welche das Geschehen der einzelnen Kulturen nach Ort und Zeit verflochten ist. Ob wir je auch nur von fern dahin gelangen, diese organisch notwendige Ordnung wiederherzustellen, ist mehr als ungewiß. Aber das Ziel steht fest. Es ist das Ziel aller höheren Geschichtsschreibung und bestimmt die einzelnen Aufgaben der Forschung, ob sie nun lösbar sind oder nicht.
Denn es handelt sich letzten Endes nicht darum, »Schichten« der Kultur festzustellen, abzugrenzen und zu vergleichen, Gerätformen und Ornamente »auf ihrem Wege« zu verfolgen, oder zu ermitteln, wie man zu irgendeiner Zeit lebte, wohnte und bestattet wurde – das alles ist nur ein Sammeln und Ordnen von Material für das, was eigentlich geleistet werden soll. Prähistorie und Archäologie sind Vorwissenschaften für den Geschichtsforscher, und Geschichte ist das, was sich einmal wirklich begeben hat.
Es gibt keine Bronzekultur, Mutterrechtskultur oder Glockenbecherkultur; es gibt nur menschliche Kulturen, welche sich in einer stets geringen Zahl von Generationen entwickeln und vollenden und deren zufällige Reste nur die Schichten und ornamentalen Formen sind. Wir müssen uns klar darüber sein, wovon sie nicht reden. Wenn ein Prähistoriker der fernen Zukunft das 19. Jahrhundert als die Schicht der Kupferdrähte und Konservenbüchsen beschreiben wollte, würde er gerade das vergessen haben, um dessen willen auch die Vorgeschichtsforschung getrieben wird: das menschliche Geschehen selbst. Die Feststellung von Schichtfolgen ist ein Mittel, kein Ziel. Nicht Ornamente und Gefäßformen wandern, sondern Menschen leben und arbeiten in bestimmten, ihnen selbst kaum oder gar nicht bewußten Formen. Die Reste reden davon; sie haben einmal lebendige Geschichte enthalten und es ist die Frage, wieviel von deren Formensprache wir noch verstehen können. Es wird sehr wenig sein, wenn wir keine Chronologie besitzen, um sie in die Folge von Generationen einzuordnen. Ebensowenig läßt sich aus körperlichen Resten oder dem Charakter und der Verbreitung lebender Sprachen erschließen. Auch Sprachen wandern von Volk zu Volk, verbreiten sich oder sterben aus infolge geschichtlicher Ereignisse, die wir schon kennen müssen, um den späten Zustand auf einen früheren zurückzuführen. Was würde man aus der heutigen Verbreitung romanischer Sprachen in Amerika, Europa und Südostasien erschließen, wenn man nichts von der römischen Geschichte und der Heimat des Lateinischen in einem Winkel Mittelitaliens wüßte? Chronologisches Wissen bedeutet mehr als ein Schema. Jahreszahlen reden von einem Leben, das einmal wirklich war. Erst in dieser Ordnung der Funde erwacht ihr tieferer Sinn. Es war der grundlegende Mangel der Kulturkreislehre, die vor 20 Jahren die Forschung beherrscht hat, daß sie mit ihrem »jung« und »alt« keine absoluten Vorstellungen verband und ältere Schichten verglich, ohne zu fragen, ob sie gleich alt waren. Was auf den Fidschiinseln sehr alt bedeutet, ist in China sehr jung.
Solange wir Westeuropäer außerhalb der Bibel, der antiken Autoren und abendländischen Chroniken von Geschichte nichts wußten, halfen wir uns mit der biblischen Zeitrechnung von der Schöpfung der Welt an. In diese 6000 Jahre ließ sich alles Bekannte leicht einordnen. Seit aber vor einem Jahrhundert die Ausgrabungen und die Entzifferung originaler Inschriften in Ägypten, Babylonien, Griechenland, China, Indien und darüber hinaus überall die Suche nach prähistorischen Bodenfunden begannen, reichte dies Prinzip der Ordnung nicht mehr aus.
Damals entstand, aus Mangel an echten, bewiesenen Zeitansätzen und aus dem germanischen Hang zum Unendlichen, die Freude an ungeheuren Jahreszahlen für das, wovon man nichts Sicheres wußte. Man warf mit Jahrtausenden in der Geschichte und mit Jahrmillionen in der Vorgeschichte um sich, sobald man Zeichen von Entwicklung fand. Dazu trug die heimliche Neigung, die christliche Zeitrechnung ihrem theologischen Sinne nach zu vernichten, ebenso bei wie der verzweifelte Versuch der Schule Darwins, die materialistisch und kausal gedachte Entwicklung von Tier- und Pflanzenarten festzuhalten, obwohl man in meßbaren Zeiträumen nichts davon sah.
Das Schwelgen in großen Zahlen ist heute zu Ende. Sobald man wirkliche Beweise fand, schwand die Reihe von Jahrtausenden zu menschlichen und natürlichen, sehr geringen Maßen zusammen. Es ist keine Rede mehr davon, die Cheopspyramide, die ersten sagenhaften chinesischen Kaiser und babylonischen Könige viele Jahrtausende v. Chr. anzusetzen oder die spanischen Höhlenzeichnungen um Jahrzehntausende hinaufzurücken. Selbst die ägyptische Chronologie, die Eduard Meyer aufgebaut hat, wird von A. Scharff Grundzüge der ägyptischen Vorgeschichte (1927). am Anfang um einige Jahrhunderte verkürzt auf Grund von Daten über die Lebensdauer von Personen, die unter den ersten Dynastien Hofämter bekleidet haben, und die Grabfunde von Ur, von ihren Entdeckern mit einem gewissen Sensationsbedürfnis um 4000 angesetzt, sind von Weidner und Christian Archiv für Orientforschung V S. 139 ff. (1929). mit Recht auf die Zeit um 2600 herabgerückt worden. In China haben die Funde von Orakelinschriften auf Knochen und Schildkrötenschalen und die Ausgrabungen Anderssons bewiesen, daß die wirkliche Geschichte mit glaubwürdigen Daten und Zahlen nicht über 1400 hinaus gereicht haben kann. Franke, Geschichte des chinesischen Reiches S. 77 ff. (1930). Und die Methode de Geers, an den Jahresschichten des schwedischen Bändertons die absolute Dauer der Eiszeit abzuzählen, hat zu einer gewaltigen Verkürzung der üblichen phantastischen Ansätze geführt. Man kommt damit auf Zeiträume, die nach Tempo und Dauer endlich der Natur des menschlichen Lebens entsprechen. Man hätte durch geschichtliche Erfahrung längst dahin gelangen sollen. Die großen Epochen der Weltgeschichte vollziehen sich sämtlich in ganz kurzer Zeit. Vollkommene Umwandlungen der künstlerischen Formensprache, für die der Prähistoriker gewohnheitsmäßig mit Dutzenden von Generationen rechnete, haben sich im Licht bekannter Zeiten stets in zwei bis drei Menschenaltern vollzogen. Es ist psychologisch unmöglich, daß zwischen Raffael und Bernini oder zwischen Lessing und Hölderlin ein paar Jahrhunderte gelegen haben könnten. Der Weg vom romanischen zum gotischen Stil und vom Rokoko zum Klassizismus wird in weniger als einem Jahrhundert zurückgelegt. Die ungeheure Ausbreitung des Islam erfolgt von der Flucht Mohammeds nach Medina bis zur Eroberung Spaniens und Ostpersiens in kaum drei Generationen. Große Städte wie das ägyptische El Amarna und das Samarra der Kalifen sind in einer einzigen Generation erbaut und verlassen worden. Allein aus Gründen der organischen Stilentwicklung ist es selbstverständlich, daß Eduard Meyer mit seiner Schätzung des Abstandes zwischen der 6. und 12. und der 12. und 18. Dynastie in Ägypten auf je etwa 200 Jahre und nicht Flinders Petrie mit 1700 Jahren recht hat. Damit gliedert sich die eigentliche Weltgeschichte – die der Hochkulturen – auf den kleinen Raum seit 3000 v. Chr. ein. Erst damit gewinnt sie Gestalt und innere organische Notwendigkeit. Erst damit erscheint die gewaltige Größe und Wucht dieses Geschehens in voller unerbittlicher Deutlichkeit. Die antike, indische, chinesische Kultur beginnen etwa gleichzeitig nach der Mitte des 2. Jahrtausends: das wird schon dadurch bewiesen, daß der Streitwagen als überlegene Waffe in ihnen allen am Anfang plötzlich und entscheidend erscheint. Die altamerikanischen Kulturen müssen sehr viel jünger sein.
Es gibt heute nur noch eine Art von Fantasten, die, mehr oder weniger Dilettanten auf diesem Gebiet, von dem Schwelgen in großen Zahlen nicht lassen wollen. Es ist die Gruppe von Gelehrten und kaum Gelehrten, die den primitiven Menschen in einer beständigen Anbetung von Sonne, Mond und allen Sternen begriffen sieht und meint, daß er an nichts anderes gedacht habe als an die Errichtung von »Sternwarten«. Aus diesen Anlagen wird dann ermittelt, daß sie aus Zeiten stammen, wo die Sonne noch im Sternbild des Stiers aufging, also vor einer begeisternden Zahl von Jahrtausenden. Aber heute glaubt kein vernünftiger Mensch mehr, daß Stonehenge in England eine urgermanische Sternwarte gewesen sei. Es ist eine Grabanlage wie die Cromlechs in der Bretagne aus der Zeit um 2000 v. Chr., als es noch keine Germanen gab. Und ebenso ist der Glaube an eine vollendete Urastronomie der Babylonier und Chinesen verschwunden, deren wissenschaftliche Himmelsbeobachtungen ganz jung sind.
Aber wie alt sind dann die amerikanischen Kulturen? Eine eigene Geschichtsschreibung gab es hier nicht und jedenfalls ist sie für uns verloren. In Mexiko, wo Maya und Azteken eine Einheit geschichtlicher Entwicklung bilden, haben Spinden und andere amerikanische Gelehrte aus chronologischen Daten auf Mayastelen eine Beziehung der dortigen zur westeuropäischen Zeitrechnung herzustellen versucht, die meiner Überzeugung nach gelungen ist. Untergang des Abendlandes II S. 52. Damit gelangt man für die Geschichte dieser Kultur auf rein nachchristliche Zeiten. Aber dergleichen fehlt für alle Völker weiter im Süden und damit bleibt nur die Hoffnung auf datierbare Berichte von außen her, also von Ostasien, um zu bestimmten Ansätzen für die Geschichte dieser Welt zu gelangen. Versagt auch diese Möglichkeit, so müssen wir für immer auf eine historische Ordnung verzichten, von den letzten Zeiten der Inka etwa abgesehen. Was spanische Mönche an Reihen von Königsnamen und Dynastiezahlen aufgeschrieben haben, ist durchaus Phantasie.
Nun sind Beziehungen irgendwelcher Art zwischen China und der Westküste Amerikas von jeher vermutet worden, aber irgendein Beweis dafür liegt bis heute nicht vor. Im Gegenteil: Die chinesische Kultur war rein binnenländisch. Sie hat von der Existenz Japans noch zu Beginn der Hanzeit (200 v. Chr.) nichts gewußt. Eine unmittelbare Beziehung zu Mexiko ist aber ausgeschlossen. Außerdem ist die chinesische Kultur viel älter als die mexikanische. Jene ist in ihrer lebendigen Entwicklung zu Beginn unserer Zeitrechnung schon abgeschlossen, diese beginnt damals erst ihren Aufstieg. Und die chinesischen Geschichtswerke enthalten keine Spur einer noch so oberflächlichen Kenntnis des großen Kontinents im Osten. Dazu kommt aber, daß es in Südamerika wahrscheinlich gar nicht zur Bildung einer Hochkultur mit einheitlich geschichtlicher Entwicklung durch ein Jahrtausend hin gekommen ist. Wir sehen überall nur formale Ansätze dazu, neben- und übereinander liegend. Aus ihnen selbst absolute Daten erschließen zu wollen, ist völlig unmöglich. Und eine Schichtenfolge ist, wie gesagt, keine Geschichte.
Und trotzdem glaube ich, daß eine letzte schwache Möglichkeit besteht. Versagt sie, so müssen wir auf das eigentliche Ziel geschichtlicher Erkenntnis verzichten. Ich will hier nichts weniger als Behauptungen aufstellen. Ich besitze auch nicht entfernt die Kenntnis auf dem Gebiet der südamerikanischen Archäologie, um bestimmte Zusammenhänge beweisen zu wollen. Ich kann nur in wenigen Worten andeuten, in welcher Richtung sich vielleicht eine chronologische Anknüpfung an die feststehende Geschichte der alten Welt erzielen läßt, und muß abwarten, ob andere den Weg verfolgen und ob sie dabei zu brauchbaren Ergebnissen kommen.
Es gibt rings an den Rändern des Stillen Ozeans und auf seinen Inseln »Kulturen« von großer innerer Formverwandtschaft: In Nordwestamerika, dort, wo der Kuro Schio von Japan kommend auf die Küste trifft, die der Haida, Tlingit und Tsimschiam, in Westmexiko die der Zapoteken, im westlichen Nikaragua die der Chorotegen, an der Küste Südamerikas neben verschiedenen kleineren die von Nazca. Von den Inseln im Süden kommen unter anderen Neuseeland, Neumecklenburg, Teile von Neuguinea, die Fidschi- und Admiralitätsinseln in Betracht. Daß Rasse und Sprache sehr verschieden sind, sollte heute kein Bedenken erregen. Wir wissen oder sollten es wissen, daß die »Rasse« von Einwanderern durch die vorgefundene Bevölkerung rasch assimiliert wird und daß, was wichtiger ist, jede Landschaft in ihren geologischen, klimatischen und biologischen Bedingungen Mächte besitzt, welche jede »Rasse« unwiderstehlich einem dauernd bodenständigen Typus anähnlichen. Und was die Sprache betrifft, so vergessen Philologen zu leicht, daß Vorhandenes gar nichts beweist für das, was früher einmal dagewesen ist. Natürlich reden heute alle amerikanischen Stämme »indianisch«, aber wie sprachen jene Einwanderer – wenn sie zur See eingewandert sind – bei ihrer Landung?
Die Formverwandtschaft erstreckt sich auf alles, was sich heute noch vergleichen läßt, den Hausbau, vor allem die Dachformen, die Kultpfeiler, die Ornamentik überhaupt, auf Sagen und Mythen, auf die Sitte des Tätowierens, von der längst erkannt worden ist, daß sie nach Sinn und Art von Südostindien bis nach Peru und Japan eine Einheit bildet, endlich die Seefahrt mit Schiffsformen, die deutlich auf einen gewissen Grundtypus zurückgehen.
Mir scheint, daß einmal eine »pazifische Ausstrahlung« stattgefunden haben muß. Überall an den Rändern des Ozeans treten diese »Kulturen« fertig auf. Man kann wohl eine gewisse Entwicklung beobachten, die vielleicht nichts ist als fortschreitende Akklimatisation, aber die Anfänge fehlen. Es müssen irgendwelche Ereignisse stattgefunden haben, wahrscheinlich im südwestlichen Pazifik, die zu dieser größten Expansion auf dem Seewege führten, die wir aus früheren Zeiten kennen. Selbstverständlich ist es Unfug, von Jahrtausenden und versunkenen Kontinenten zu reden. Die polynesischen Inselkulturen sind im Verhältnis zu Indien und China sehr jung. Aber läßt sich über das absolute Alter dieser Ausdehnung, die überall ungefähr gleichzeitig erfolgt sein muß, irgend etwas ermitteln?
Ich halte es für möglich. Ein Hauptgebiet dieser »Randkultur« ist noch nicht genannt worden: das alte Japan. Hier finden sich dieselben Typen des polynesischen Pfahlbauhauses und der Dachform, die sich im japanischen Tempelbau streng erhalten haben, sich deutlich von den nordchinesischen unterscheiden und längst von den »Malaien« abgeleitet worden sind, dieselbe Sitte des Tätowierens, die chinesischen Reisenden seit dem 3. Jahrhundert n. Chr. als bezeichnend fremdartiger Brauch der »Wa« aufgefallen ist, eine tiefgreifende Verwandtschaft der Mythen und Sagen, vor allem im Sagenkreis der Südinsel Kyushu, der sich um die Sonnengöttin Amaterasu gebildet hat im Gegensatz zum Sonnengott von Izumo im Norden, der auf Beziehungen zu Korea und darüber hinaus deutet. Der chinesischen Kultur ist die Hochseeschiffahrt bis zu Beginn unserer Zeitrechnung völlig unbekannt gewesen und bis heute ausländisch und unsymbolisch geblieben. Man hatte von der Existenz Japans noch zu Beginn der Hanzeit (200 v. Chr.) keine Ahnung und hat erst einige Jahrhunderte später auf dem Wege über die Vasallenstaaten in Korea etwas darüber erfahren. Damals befanden sich die Japaner noch in einem Kulturzustand, der dem der Südseeinsulaner der Zeit Cooks entsprach. Die japanische Schiffahrt, die schon im 3. Jahrh. n. Chr. zu kriegerischen Expeditionen nach Korea und Hainan leistungsfähig genug war, hat also ihre Beziehungen ausschließlich nach Süden und Südosten. In Japan selbst unterscheidet man in dem Rassegemisch, welches die heutige Nation darstellt, den südlichen Satsumatypus, der »malaiisch« beeinflußt sein soll, von nördlicheren Formen, und in der Sprache, einem seltsam abgenützten Produkt geschichtlicher Schicksale, wird neben angeblich nordasiatischen (altaisch-mongolischen) Elementen ein sehr starkes »malaiisches« vermutet, das sich bei der Überlieferung altjapanischer Wörter durch chinesische Schriftzeichen wohl niemals genau feststellen lassen wird. Sicher ist nur, daß eine Menge Namen und Bezeichnungen deutlich als Fremdwörter empfunden werden. Die Bezeichnung malaiisch drückt dabei mehr ein Suchen als eine gefundene Gewißheit aus. Man könnte dafür auch ozeanisch oder etwas anderes sagen.
Nun ist in der japanischen Frühgeschichte die Möglichkeit chronologischer Bestimmungen wirklich gegeben. Die im Kojiki und Nihongi (beide um 720) überlieferten Erzählungen vom Anfang des Reiches verlieren sich wie überall in mythischen Nebeln, und die traditionelle Chronologie, die mit dem sagenhaften Jimmu um 700 v. Chr. beginnt, ist falsch. Aber trotzdem war es möglich, aus diesen und anderen Quellen, vor allem den Stammbäumen der alten Adelsgeschlechter, eine ganze Reihe gesicherter Daten auf brauchbare Zahlen unserer Zeitrechnung zurückzuführen und mit koreanischen und chinesischen Geschichtswerken in Einklang zu bringen. Das hat vor allem Yoshido Togo und darüber hinaus Wedemeyer in seiner »Japanischen Frühgeschichte« (Tokio 1930) getan. Es ergibt sich mit Sicherheit, daß die Anfänge des Reiches von Yamato (heute Gegend von Osaka) erst zu Beginn unserer Zeitrechnung liegen, daß es im südlichen Kyushu noch im 3. Jahrhundert das Reich einer Königin Himiko von offenbar »malaiischer« Rasse gab, und daß von hier aus wesentliche Einflüsse auf die Bildung der japanischen Kultur ausgeübt worden sind. Daß Japan von Korea her in geschichtlicher Zeit viel weniger empfangen hat, als gewöhnlich angenommen wird, geht schon daraus hervor, daß Kavallerie und Kampfwagen ihm unbekannt geblieben sind, im schärfsten Gegensatz zur chinesischen Art der Kriegführung. Gerade die Kriegsmittel sind in der frühgeschichtlichen Forschung, was bisher nie bemerkt worden ist, ein viel sichereres »Leitmotiv« als Gefäßformen und Werkzeuge. Wenn die Ergebnisse Wedemeyers gesichert sind und meine Vermutung einer pazifischen Ausbreitung sich bestätigen sollte, so ergibt sich aus der frühjapanischen Geschichte ein zuverlässiges Mittel für chronologische Vergleiche mit Südamerika. Zum wenigsten lägen hier Daten vor, vor denen gewisse Formenschichten in Peru nicht angesetzt werden können.
Aus diesen Zusammenhängen folgt aber noch eine weitere Möglichkeit bestimmter geschichtlicher Vergleiche. Wie entstand der Druck, der von Westen her auf die Stämme dieser Küsten und Inseln ausgeübt worden ist? Hier könnten die Geschichtswerke der altjavanischen Reiche (die Babads), die noch sehr wenig durchgearbeitet worden sind, überraschende Aufschlüsse gewähren. Die Geschichte dieser Staaten beginnt mit dem Datum eines unbekannten Ereignisses, das 78 n. Chr. stattgefunden hat und in irgendeiner Beziehung zu Eroberungszügen zur See von Südindien her stehen muß. Die indische Zivilisation der Jahrhunderte nach Buddha hatte zur Eroberung des gesamten nichtarischen Dekan und darüber hinaus zu gewaltigen kriegerischen Unternehmungen nach Hinterindien und der Inselwelt geführt. Im geschichtlichen Bewußtsein späterer Zeiten auf Java lebten sie im Bilde einer buddhistischen, bramanischen und vielleicht dravidisch-»heidnischen« Mission fort, die zur Gründung der mächtigen javanischen Reiche mit ihren großartigen Tempelbauten geführt haben. Wie weit hat sich dieser Stoß nach Osten fortgepflanzt? Spuren indischer Mythen, jedenfalls eher dravidisch als arisch – die Vishnureligion hat nichts mehr vom Charakter der Veden – finden sich bis tief nach Polynesien hinein, ebenso Sitten, Ornamente, Waffen und vielleicht auch Wörter indischer Sprachen, wie ja portugiesische Wörter als letzte Erinnerung an die einstige Weltmacht sich in vielen Sprachen Südostasiens erhalten haben. Ist vielleicht der polynesisch-japanische Schiffsbau von hier aus entwickelt worden? Daß er einer fremden Anregung sein Dasein verdankt, scheint mir daraus hervorzugehen, daß alles, was in Peru und Polynesien die spanischen Eroberer und die Engländer seit Cook noch gesehen haben, deutlich letzte Reste einer verfallenen Kunst gewesen sind. Die Auslegerboote Polynesiens kommen in mißverstandener Form als Ornamente auf Bronzetrommeln Südchinas und Annams, angeblich aus den ersten Jahrhunderten n. Chr., vor.
Wenn das alles sich als richtig erweisen sollte, so wäre damit ein Mittel gegeben, um in den alten Kulturgebieten von Peru, Ecuador und Columbien wenigstens ungefähre chronologische Ansätze zu gewinnen und damit vielleicht eine geschichtliche Ordnung der »Kulturschichten« anzubahnen. Jedenfalls aber wäre bewiesen, daß auch hier wie in Mexiko die eigentliche Entwicklung nicht viel mehr als ein Jahrtausend umfaßt hat und im wesentlichen dem ersten Jahrtausend n. Chr. angehört.
Aber ich wiederhole: Ich habe nur Möglichkeiten andeuten wollen, in der Überzeugung, daß chronologische Vergleiche der letzte Schlüssel zur Ordnung und zum Verständnis der Geschichte, die sich hier einmal ereignet hat, sind. Vielleicht läßt sich auf diesem Wege doch irgendeine Sicherheit erzielen.