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Oswald Spengler

Vorwort

Der vorliegende Band enthält im wesentlichen alles, was außerhalb der Hauptwerke an Reden und Aufsätzen von Oswald Spengler selbst veröffentlicht oder doch wenigstens in der Formulierung abgeschlossen vorlag. Die Rede »Nietzsche und sein Jahrhundert« und das juristische Preisausschreiben waren bisher noch nicht gedruckt, die »Antwort auf eine amerikanische Rundfrage« – die letzte Veröffentlichung überhaupt – nur in englischer Übersetzung.

Die Vielfältigkeit der hier angeschlagenen Themen, das Nebeneinander von künstlerischen, geschichtlichen, philosophischen und politischen Fragen, die im ersten Augenblick befremdet, hat die verschiedensten Gründe. Einmal sind infolge von Spenglers frühem Tode zahlreiche, vor allem wissenschaftliche und künstlerische Pläne unvollendet liegen geblieben, die er später vielleicht selbst mit manchen der hier gegebenen zusammen veröffentlicht hätte. Nun stehen diese wenigen vereinzelt der Menge der andersgearteten gegenüber. Weiterhin ist der größte Teil der hier vereinigten Schriften – die aus einem Zeitraum von über 30 Jahren stammen – auf irgendeinen äußeren Anstoß, auf Bitten, Anregungen und Aufforderungen hin entstanden, die in wissenschaftlichem oder politischem Interesse oder im Namen der Freundschaft an ihn gerichtet wurden. Sie stehen daher in keinem unmittelbaren inneren Zusammenhang miteinander und sind in der äußeren Form sehr ungleich. Vielfach hing auch die Erhaltung des Einzelnen von Zufällen ab. Spengler führte in keiner Form Buch über Vortragsreisen, Briefe und dergleichen und hatte die Gewohnheit, Manuskripte durchweg zu vernichten. Vollends kleinere Gelegenheitsarbeiten, wie sie dieser Band zum Teil enthält, beachtete er nicht mehr, wenn sie ihren Zweck erfüllt hatten.

Da unter diesen Umständen, bei dem geringen Umfang und der Verschiedenheit des Materials an eine Aufteilung in Sachgruppen nicht zu denken war, wurde die zeitliche Reihenfolge gewählt. Sie hat den Vorteil, ein ziemlich deutliches Bild von der Mannigfaltigkeit der Gebiete und Fragestellungen zu geben, die Spengler neben der Arbeit an seinen Hauptwerken ständig beschäftigten.

Um dieses Bild abzurunden und eine wesentliche, aber nur sehr Wenigen vertraute Seite seines Schaffens nicht zu übergehen, ist auch die Skizze »Der Sieger« hier mit aufgenommen. Sie ist von zahllosen novellistischen Entwürfen der einzige vollendete und einer der wenigen aus der Fülle der literarischen Pläne, die überhaupt zum Abschluß kamen.

Was diese ganze verschiedenartige und äußerlich unzusammenhängende Reihe von Schriften zusammenhält, sind ausschließlich die Einheit des Stils – man findet schon in der Dissertation eine Klarheit und Entschiedenheit in den Formulierungen, die oft an die späteren Hauptwerke erinnert – und die Geschlossenheit der Persönlichkeit und des Weltbildes, das letzten Endes hinter allen, auch den kleinsten Beiträgen sichtbar wird.

Den engen Zusammenhang zwischen politischer und philosophischer Haltung zeigt am deutlichsten die Verteidigungsschrift für den 1. Band des »Untergangs des Abendlandes« (»Pessimismus?«), die zu einem politischen Mahnruf wird, und deren Ziel nicht die Verteidigung gegen Angriffe der literarischen und wissenschaftlichen Kritik ist, sondern die Bekämpfung von Mißverständnissen, die der politischen Wirkung des philosophischen Werkes im Wege stehen. Dieser Haltung entspricht es, wenn auch politisch bedeutsame Einzelfragen, selbst so spezielle wie die Rechtsform oder das Problem des Geburtenrückgangs, von den größeren historischen Zusammenhängen aus behandelt werden, die im »Untergang des Abendlandes«, in den Kapiteln »Ursprung und Landschaft« (3. Teil) und »Städte und Völker« (1. Teil) dargestellt sind. Selbst die Idee der farbigen Weltrevolution, die drohende Vernichtung der weißen Rasse, die den Farbigen mit der Technik das Geheimnis ihrer Macht preisgegeben hat, ist letztlich aus dem philosophischen Problem der Technik, wie es sich bei der Behandlung der menschlichen Frühgeschichte stellte, herausgewachsen.

Ähnliche Zusammenhänge zeigt eine andere Konzeption, die gleichfalls in der Frühgeschichte und in der modernen Welt eine bedeutende Rolle spielt: die des »nordischen« (bzw. nordeurasischen) und des »westlichen« Menschentypus in der Frühgeschichte, der in der abendländischen Hochkultur als »klassischer« und »romantischer« Mensch In der Rede »Nietzsche und sein Jahrhundert«. und wieder in einer anderen Form als nördlich-protestantischer und südlich-katholischer Mensch In dem Gedächtnisaufsatz für W. Schmid. wiederkehrt.

Selbst in der Dissertation finden sich, obwohl sie zeitlich weit von den Hauptwerken abliegt, schon manche Züge, die in späteren Werken wiederauftauchen. Die Arbeit gibt neben der Behandlung der im Titel genannten naturwissenschaftlichen These schon eine Gesamtdeutung des heraklitischen Weltbildes aus der Persönlichkeit, der Umwelt und der historischen Situation Heraklits heraus mit der Methode des »physiognomischen Taktes«. Sie zeigt ferner die erste Wendung des Naturwissenschaftlers zur »Welt als Geschichte«, zunächst in der Nachfolge Nietzsches zur Antike. Aber auch manche für Spenglers Hauptwerk bedeutsame Einzelmotive, wie die Verschiedenheit der Begriffssysteme in verschiedenen Kulturen (siehe S. 4) oder Herrentum und Masse, klingen hier schon an, und endlich zeichnet er im Einleitungskapitel die Persönlichkeit Heraklits mit manchen Zügen, die ebenso in seinem Bilde Nietzsches wiederkehren – Unzeitgemäßheit, Hang zur Aristokratie, Einsamkeit – und die bisweilen wie eine Vorausnahme seiner eigenen geistigen Physiognomie in späteren Jahren wirken.

Es bleibt noch ein Wort zur Entstehung und äußeren Form einiger Beiträge zu sagen:

Die Vorträge und Reden, die dieser Band enthält, sind alle in der von Spengler selbst für den Druck revidierten Form gegeben, nicht nach dem Stenogramm. Er pflegte Vorträge – im wesentlichen frei – nach einem Stichwortzettel Ein solcher ist gegenüber S. 112 abgebildet. zu halten und mit dessen Hilfe die nachstenographierte Rede zu bearbeiten.

Diese Umarbeitung bezieht sich in der Hauptsache auf Stilistisches. Inhalt und Aufbau des Ganzen werden, soweit man aus den erhaltenen Stenogrammen sehen kann, kaum davon berührt; aber alle Unebenheiten und Zufälle, die der gesprochenen Rede anhaften, z. B. Wortwiederholungen, Häufung von Beispielen, unverbunden nebeneinander gestellte Sätze usw., werden ausgeglichen und alle Wendungen, die Tonfall und Geste brauchen, um richtig zu wirken, zu schriftgerechten Satzgebilden umgestaltet und abgerundet. Darüber hinaus werden inhaltlich besonders wichtige Dinge oft durch Zusätze verdeutlicht und mit neuen Argumenten weitergeführt. Im allgemeinen bedeutet die Umarbeitung zugleich eine gewisse Erweiterung. Besonders stark sind die Änderungen der Rede »Nietzsche und sein Jahrhundert«, weil sie als Aufsatz in einer Zeitschrift erscheinen sollte.

Ähnlich wie die gesprochene zur gedruckten Rede verhält sich der Zeitungsartikel »Frankreich und Europa« zu dem Kapitel »Zur Weltlage« im »Neubau des deutschen Reiches«, dem er in den Hauptzügen entspricht. Er enthält sehr viel mehr für den Augenblick und den Zweck der damaligen Veröffentlichung berechnete Einzelheiten, ist allerdings weniger geschlossen wie das entsprechende Buchkapitel.

Der Gedanke des juristischen Preisausschreibens ist mutmaßlich von Spengler selbst ausgegangen und an führende Industrielle, von da aus an Spitzenverbände und Industrie und Handel herangetragen worden. Diese hielten es zu jener Zeit – 1927 – nicht für günstig, die Forderung nach einer Gesamtreform des Rechts gerade von der Wirtschaft ausgehen zu lassen. Es bestand die Gefahr, daß der Gedanke von den damals maßgebenden politischen Kreisen begierig aufgegriffen, aber in einem ganz anderen Sinn durchgeführt werden würde, als Urheber und Befürworter des Planes gewollt hatten. Es wurde dann vorgeschlagen, ein wissenschaftliches Institut mit der Ausarbeitung zu betrauen, und schließlich zerschlug sich die Sache überhaupt.

Der Vortrag über den »Streitwagen und seine Bedeutung für den Gang der Weltgeschichte«, »Altasien«, der »Plan eines neuen Atlas antiquus« und der Aufsatz über »Das Alter der amerikanischen Kulturen« sind ebenso wie »Der Mensch und die Technik« aus den Vorarbeiten zu dem Werk über die »Geschichte des Menschen von seinem Ursprung an« hervorgegangen, woran Spengler schon seit Abschluß des I. Bandes des »Untergangs des Abendlandes« arbeitete. Im Vorwort von »Der Mensch und die Technik« und am Anfang des ersten Aufsatzes in der Zeitschrift »Die Welt als Geschichte« spricht er ausführlich davon. Auch eine kurze Fußnote zum Kapitel »Ursprung und Landschaft« im »Untergang des Abendlandes«, II. Band, deutet schon auf diesen Plan, der damals allerdings noch nicht so umfassend angelegt war.

Die fünf Aufsätze »Zur Weltgeschichte des zweiten vorchristlichen Jahrtausends« sind das einzige größere Stück dieses ungeheuren Werkes, das zur Ausführung gekommen ist – auch das nur ein Fragment.

Die vorliegende Sammlung bringt mancherlei unbekannte, selbst überraschende Einzelheiten. Darüber hinaus aber spiegelt die Mannigfaltigkeit des philosophischen, dichterischen, historischen und politischen Inhalts, zusammengefaßt durch die immer gleiche Kraft der Sprache und der Gestaltung, die Vielfältigkeit und Einheit einer großen Persönlichkeit.

München, 15. September 1937
Dr. Hildegard Kornhardt


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