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(1927)
Deutschland wird in den nächsten Jahrzehnten genötigt sein, die gesamte Materie seines Rechts grundlegend umzuformen. Das ist nicht nur eine Folge des Weltkrieges und der Nachkriegsverhältnisse, sondern vor allem auch der fortschreitenden Umwandlung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Formen in der ganzen Welt, die sowohl das Leben des Einzelnen als auch Gang und Ziele des öffentlichen Lebens vollkommen neu gestaltet haben. Den entscheidenden Einfluß auf diese Neuschöpfung des deutschen Rechts werden einerseits die politischen und wirtschaftlichen Führerschichten, andrerseits die lebende Juristengeneration ausüben. Es ist also eine Schicksalsfrage für das deutsche Volk, in welcher Auffassung des Rechts und seiner Entwicklung diese Kreise erzogen werden, wie sie sich das Verhältnis eines Rechtes zum Leben der Zeit und das Verhältnis der Rechtsschöpfung zur geltenden Rechtstheorie vorstellen. Es fehlt heute allgemein an Einsichten in die wirkliche Geschichte eines Rechts: Wie das Recht einer Zeit aus deren wirtschaftlichen und politischen Verhältnissen, bejahend oder verneinend, entstanden ist, wer die Rechtsbildung in der Hand hatte, der Richter wie in England, der Rechtsgelehrte wie in Deutschland, oder der Mann des praktischen Lebens, als welcher der römische Prätor zu gelten hat; in welcher Weise die Rechtsbildung lebendig bleibt, durch ein lebendiges Gewohnheitsrecht wie in England, oder durch gelegentliche Gesetzvorlagen wie in Deutschland. Erst aus dieser Form, in welcher sich die geschichtlichen Mächte äußern, ergibt sich der Sinn des jeweils geltenden Rechts.
Es soll deshalb eine Geschichte des abendländischen Rechtes geschrieben werden, welche dem einzelnen Deutschen die Möglichkeit gibt, über sein eigenes Recht hinaus zu sehen, wie andre Völker angesichts derselben Grundlage doch zu ganz andren Rechten gekommen sind, sein Recht mit diesen Rechten zu vergleichen und dadurch einen freieren Blick über die Aufgaben der nächsten Zeit auf diesem Gebiet zu gewinnen. Diese Geschichte hat von den germanischen Rechten der Völkerwanderungszeit auszugehen: Wie sich da eigenes Rechtsempfinden auf Grund tatsächlicher Verhältnisse durch das lateinische, geschriebene Recht allenthalben zu frühesten Gesetzen ausbildet. Es ist dann zu zeigen, was das lateinische Recht damals in Praxis wirklich war und neben dem Gewohnheitsrecht bedeutete. Von da an ist die Rechtsentwicklung der entstehenden westeuropäischen Nationen über Karl den Großen, die Kreuzzüge, Reformation und Gegenreformation, Absolutismus und Revolution bis ins 19. Jahrhundert zu zeigen, vor allem unter Berücksichtigung der Tatsache, daß allein in England sich das Recht ungebrochen seit der Normannenzeit entwickelt hat, während die Rechte der romanischen Völker von Napoleon auf eine neue Grundlage gestellt wurden. Im 19. Jahrhundert wäre dann vergleichend zu zeigen, wie die großen Völker Westeuropas die neuen Tatsachen der Maschinenindustrie, des Kapitalismus, der Weltwirtschaft, des Verkehrs und der Angliederung der übrigen Erdteile rechtlich zu bewältigen versucht haben, wobei die gesellschaftliche Struktur der einzelnen Völker das Recht auf Rechtsschöpfung in sehr verschiedene Hände gelegt hat.
Der Umfang dieser vergleichenden Rechtsgeschichte sollte nicht unter 500 und nicht über 1500 Seiten betragen. Die Darstellung soll streng wissenschaftlich sein, unter Vermeidung gelehrten Ballastes und unter Bevorzugung deutscher Ausdrücke, soweit darunter die Verständlichkeit nicht leidet.