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Plan eines neuen Atlas antiquus

Vortrag, gehalten am 2. Oktober 1924 auf dem Orientalistentag in München

Der folgende Entwurf soll nichts Endgültiges und Vollkommenes darstellen, sondern zunächst nur in wissenschaftlichen Kreisen zur Diskussion gestellt werden. Außer der wissenschaftlichen Durchführbarkeit, die ich nach den ersten Eindrücken schon jetzt als gesichert betrachte, hat der Plan aber noch eine sehr ernste technische und wirtschaftliche Seite, die hier nicht erörtert werden sollen.

Seit die historische Geographie in Deutschland und anderswo so gut wie ausgestorben ist, hat sich innerhalb der Geschichtsforschung ein Notstand entwickelt, der samt seinen Folgen uns kaum noch zum Bewußtsein kommt. Das Ergebnis jeder geschichtlichen Forschung ist ein geschichtliches Bild, welches sich nach gewissen Ideen in kartographischer Form fürs Auge darstellen läßt. Die Karte sieht vom Persönlichen und Einmaligen in der Regel ab, aber sie arbeitet dafür die allgemeine Form um so schärfer heraus und ermöglicht damit ein Zusammensehen und Zusammen fühlen mit einem einzigen Blick, wie es kein noch so deutlich geschriebener Bericht vermag. In welchem Grade das der Fall ist, hängt wesentlich von der kartographischen Technik ab, die ebenso ihre Grundlagen, Ideen und genialen Einfälle hat wie jede Technik überhaupt.

Es ist nun eine Tatsache, daß das Kartenbild, welches unsere Geschichtsforschung begleitet, sachlich und formal seit 50 Jahren fast unverändert geblieben ist. Auf älteren Gebieten wie der griechischen oder römischen Geschichte bleibt die Karte, wie sie in üblicher Weise einem Buche beigefügt wird, um zwei Generationen hinter dem Stande der Forschung zurück. Für die jüngeren Gebiete: die indische, chinesische, vorhomerische, neupersische Geschichte usw. gibt es überhaupt kein entsprechendes Kartenbild. Für die ägäische Welt haben wir heute noch nichts Besseres als die Karte, welche die Grenzen griechischer Dialekte als politische Grenzen behandelt, die also aus einer Zeit stammt, wo antike Geschichte eine Nebenaufgabe der klassischen Philologie war. Die Ausgrabungen, die Gräberkunde, die vergleichende Keramik sind an diesem Bilde spurlos vorübergegangen. Die Abgrenzung der Karten ist veraltet, die Zeichnung ist veraltet, die Namen sind veraltet.

Wir haben uns längst daran gewöhnt, gelehrte Werke über die Etrusker, die Hethiter, das vordynastische Ägypten zu lesen, ohne daß wir wissen, wie die genannten Orte und Namen sich räumlich zueinander verhalten. Es kommt vor, daß Bücher dieser Art der Mehrzahl der Leser damit fast unverständlich werden; daß sie Karten älteren Stils enthalten, auf denen die genannten Dinge gar nicht vorkommen, oder handgezeichnete Skizzen, in denen das Auge sich nicht zurechtfindet. Es kommt täglich vor, daß der Verfasser selbst in Irrtümer und Fehlschlüsse gerät, indem er geschichtliche Tatsachen kombiniert, ohne geographisch »im Bilde zu sein«, oder daß er entscheidende Zusammenhänge gar nicht bemerkt. Man muß einmal nachrechnen, für wieviele Gebiete der heutigen geschichtlichen Forschung uns eine technisch durchgearbeitete Karte überhaupt fehlt: für Indien zur Vedazeit, für die homerische Zeit, für das Italien zur Zeit der Gründung Roms, für das älteste Ägypten und Babylonien, für die Verbreitung der Religionen und Kulte der römischen Kaiserzeit. Ich halte es für eine der dringendsten Aufgaben der deutschen Wissenschaft, auf Grund der Gesamtergebnisse der gelehrten Forschung seit 50 Jahren ein neues Kartenbild zu schaffen, welches das Geschichtliche ebenbürtig zum Ausdruck bringt.

Aber dieses Bild muß nach ganz andern Gesichtspunkten entworfen werden. Wir brauchen neue Ideen der Kartographie, weil wir einen neuen Blick für den Gang und Sinn der Geschichte erhalten haben. Es genügte dem vorigen Jahrhundert, in die Karte die Flüsse, Städte, politischen Grenzen und Völkernamen einzutragen. Wir brauchen heute – innerhalb der Grenzen des Möglichen – zuerst eine Darstellung des Geländes, insofern es damals Landwirtschaft, Siedelung und Verkehr förderte oder hemmte; außer der Bewässerung und den Höhenschichten zuweilen auch die Bodenschichtung, das Vorkommen von Metallen und seltenen Gesteinen; die Meeresströme und Windrichtungen, welche den frühgeschichtlichen Verkehr zur See und damit auch die Völkerströme in bestimmte Bahnen gelenkt haben. Ferner nach Möglichkeit eine Andeutung der Pflanzenwelt während der einzelnen Geschichtsperioden. Die großen Waldmassen sind in der Frühzeit das einzige entscheidende Hindernis für Verkehr und Wanderung. Ebene heißt überall in den nordischen Sprachen »Lichtung«. Das Meer hat die frühen Kulturen und Bevölkerungen immer verbunden; der Urwald hat sie getrennt. Es gehört ferner zu den notwendigen Voraussetzungen des geschichtlichen Kartenbildes, daß die auf die nordische Eiszeit und die anschließende Wald- und Sumpfperiode von Süden her folgende Austrocknung immer weiterer Gebiete zur Unterlage auch des politischen Bildes gemacht wird. Wie die Felszeichnungen lehren, ist die Sahara kaum vor dem 4. Jahrtausend entstanden. Erst zur Römerzeit bricht sie in Mauretanien ein. Spanien war damals das Land der undurchdringlichen Wälder. Ein Jahrtausend später konnten die Mauren nur durch künstliche Bewässerung die Wüstenbildung aufhalten. Aber das gleiche gilt von Arabien, Babylonien und Innerasien. Die Vorgeschichte der beiden ältesten Kulturen spielte sich noch nicht unter dem Eindruck der Isolation beider Flußtäler ab. Aber ohne das versteht man auch die politische Vorgeschichte nicht. Ägypten hatte ursprünglich keine natürliche Westgrenze in der Wüste.

Zum Kartenbilde gehört ferner das Wichtigste aus den Ergebnissen der Tiergeographie: die jeweilige Verbreitung des Pferdes, des Rindes, des Löwen. Man hat kürzlich den Versuch gemacht, aus der Verbreitung afrikanischer Rinderrassen die einstigen Wanderungen der Hamiten festzustellen. Dazu kommt die Eintragung der Bodenfunde: die Gräbertypen, die Formenkreise der Keramik, der Siedelungsarten, der Bronzebehandlung. Ohne das ist eine Karte des alten Italien heute wertlos. Solange nur von Etruskern die Rede ist und man nicht auf der Karte die Verteilung der sogenannten Etruskerstädte nach Alter und Lage und ihre Gräberschichten mit einem Blick erfassen kann, wird man den Sinn der Etruskerfrage überhaupt nicht finden. Die Karte ist das einzige Mittel, dem Forscher auf einem einzelnen Gebiete die Ergebnisse aller übrigen Wissenschaften, soweit sie ihn angehen, in einer brauchbaren und bedeutsamen Ordnung vorzulegen.

Dann die Rassenfrage! Es genügt nicht mehr, die landläufigen Völkernamen ganz verschiedener Geschichtsperioden einfach über- und nebeneinander abzudrucken. Eine Karte z. B. des älteren Italien oder Kleinasien muß neben einer Verbreitung der Sprachen und Dialekte eine Andeutung des Menschenschlages (Körpergröße, Habitus, Schädel, Gesichtsbildung), der sich niemals mit Sprachgrenzen deckt, und dann erst und unabhängig davon die geschichtlichen Völkernamen, und zwar unter Andeutung ihrer fortdauernden Verschiebung, Auswechslung und Überlagerung enthalten. Das ist heute schon vielfach mit großer Genauigkeit möglich, zumal es zu den wichtigsten Erfahrungen der neuesten Rassenforschung gehört, daß viele Körpermerkmale mit großer Zähigkeit an einem Lande haften und sich trotz aller Wanderungen seit der Steinzeit immer wieder durchgesetzt haben.

Es ist klar, daß Karten dieses Stils nur durch eine Zusammenarbeit von Vertretern der verschiedensten Wissensgebiete hergestellt werden können. Ein einzelner ist der Aufgabe nicht mehr gewachsen. Aber wenn der Geologe, der Tier- und Pflanzengeograph zunächst eine Unterlage schaffen, in welche der Anthropologe und der Prähistoriker seine Eintragungen vornimmt, um endlich dem Vertreter der politischen und Wirtschaftsgeschichte Platz zu machen, ist ein Anschauungsmaterial denkbar, das durch sein bloßes Vorhandensein fürs Auge zu Entdeckungen führt, welche der reinen Bücherarbeit verschlossen geblieben sind. Etwas Derartiges ist heute nur in Deutschland möglich. Kein zweites Land der Welt besitzt eine so allseitig durchgebildete Wissenschaft und eine solche Reife der Methoden, wie sie hier vorausgesetzt werden müssen. Wenn in Deutschland innere oder äußere Gründe den Plan vereiteln, so wird er nie und nirgends verwirklicht werden. Und endlich wird die historische Forschung an dem Hindernis erlahmen, welches ihr das Fehlen der geographischen Unterlage in den Weg stellt. Der einzige sachliche Einwand ist, daß die Forschung augenblicklich ein abschließendes Bild zu zeichnen noch nicht gestatte. Aber dieser Abschluß wird nie erreicht werden; das Bild verändert sich von einem Menschenalter zum andern; und wenn das vorläufige Bild der notwendigen Lücken wegen nicht entworfen wird, so wird ein reiferes überhaupt nicht möglich sein.

Der Umfang eines solchen Werkes ist ganz anders zu bemessen als vor 50 Jahren. Die primitiven Kulturen umfassen die ganze Erde, haben alle Meere längs der Küsten und Inselreihen als Vermittler benützt und bilden mit ihren Kreisen und Strömungen ein lebendiges Ganze, ohne welches sich Ursprung und Vorgeschichte der großen Kulturen nicht überblicken läßt. Es ist heute nicht mehr möglich, für die sogenannte Altertumswissenschaft eine Ostgrenze zu finden. Fragen der homerischen Zeit streifen bis zur Ostsee und zum Niger hin; die Formenwelt der Völkerwanderung ist ohne das geschichtliche Bild Innerasiens und selbst Chinas nicht mehr zu verstehen; zu Ägypten und Babylonien gehört die Steinzeit der Nordränder des Indischen Ozeans. Andererseits ist die geschichtliche Grenze nach oben leicht in den Kreuzzügen und dem Mongolensturm festzustellen. Von da an hat das geschichtliche Kartenbild nicht innerlich, aber für unsere praktischen Zwecke eine andere Bedeutung, und die Auswahl und Methodik des Darzustellenden demnach eine andere Tendenz. Unter dieser Voraussetzung ergibt sich eine natürliche Gruppierung des Kartenmaterials etwa von folgender Art:

1. Eine Gruppe von Karten über die primitive Welt, und zwar in ihrem vollen Umfange, über alle Erdteile hin, mit der Übersicht der Bodenfunde jeder Art, den Metallfundstätten und den nach ihnen sich hinziehenden Verkehrsbahnen des Urhandels und der späteren Völkerwanderungen, mit den Verbreitungsgebieten religiöser, sozialer, wirtschaftlicher und politischer Grundformen. Eine solche Karte vereinfacht und löst durch ihr bloßes Vorhandensein eine ganze Reihe von Problemen frühester Geschichte. Einzelne Abenteurer z. B. dringen, wohin sie wollen, aber ganze Stämme verfolgen immer eine bekannte, durch Anwohner hinsichtlich der Verpflegung und Beute gesicherte und deshalb auch geographisch aus der Pflanzenwelt und der Siedelungsart feststellbare Bahn.

2. Eine gemeinsame Gruppe müßte die Schicksale Ägyptens und Babyloniens und der sie umgebenden Welt behandeln, angefangen von den frühesten Zeiten der Steinbearbeitung und der noch von Pflanzen bedeckten Sahara und endend um die Mitte des 2. Jahrtausends v. Chr. Hier brauchen wir Überblicke über die ethnographische Gliederung, die Gaue Ägyptens und die sumerischen Fürstentümer, die geographische Verbreitung der Kulte und Götter, die Verlagerung des politischen Schwerpunktes im Verlauf der Zeiten und die tiefen Zusammenhänge vom Indischen Ozean bis tief in die nördliche Landmasse hinein.

3. Die vorderasiatische Welt zwischen Kyrene und dem Iran, dem Schwarzen Meer und Südarabien, von 1500 bis zur Perserzeit. Hierher fallen die großen Völkerströme aus den weiten Binnenländern des Nordens, welche das Bild dieser Landschaft sachlich und seelisch von Grund aus verändert haben. Wir besitzen heute die Ergebnisse der Ausgrabungen von Boghazköi und Amarna, Troja und dem ältesten Italien, diejenigen der vergleichenden Namenforschung, der Keilschrift- und Hieroglyphenliteratur, aber wir besitzen nichts, was man eine Darstellung dieser Ergebnisse im Kartenbilde nennen könnte. Und gerade hier tappen wir aus Mangel an bildhafter Zusammenfassung im Dunkeln, gehen an naheliegenden Entdeckungen vorüber und lassen Irrtümer wachsen und alt werden, welche das erste beste Kartenbild nie hätte entstehen lassen.

4. Die indische Welt. Hier sind entscheidende Entdeckungen zu erwarten, sobald das Ergebnis der bis jetzt rein literarischen Forschung mit dem der rasch wachsenden Bodenfunde zusammengearbeitet wird. Die Verteilung und Schichtung der Gräber, Waffen, Gefäßformen muß, sobald sie dem Indologen im Bilde vorliegt, den gesamten Aufbau der indischen Geschichte ändern, einen Begriff von der dravidischen Kultur geben und dadurch erst die Schicksale der ältesten arischen Welt erhellen. Mir ist aber nicht einmal die Andeutung einer Karte Altindiens bekannt geworden.

5. Aus der altchinesischen Kultur liegen in der letzten Zeit einige Versuche vor, die früheste Staatenwelt am Hoangho auf Grund der Geschichtsquellen geographisch festzulegen. Wäre das früher geschehen, so würde nicht heute noch der Begriff des damaligen China mit dem jetzt so bezeichneten Lande gefühlsmäßig gleichgesetzt werden und damit diese ganze Geschichte in ein falsches Licht rücken. Die Staatenwelt der frühen Dschouzeit war ebenso klein und verwickelt wie die der homerischen. All diese winzigen Staaten ließen sich auf einem Raum von der Größe Süddeutschlands zusammendrängen, und wesentlich größer sind die Fürstentümer der ältesten Vedazeit sicherlich auch nicht gewesen.

6. Eine kartographische Erfassung der beiden altamerikanischen Kulturen, wofür die ersten unzulänglichen Versuche vorliegen.

7. Nun die vorantike Welt des gesamten Mittelmeeres im 2. Jahrtausend, also herab bis zu Homer, mit den Wegen der Seevölker, die im 14. und 13. Jahrhundert gegen Ägypten vorstießen, mit den Kreisen und Schichten der iberischen, zum Teil tief aus Afrika stammenden, der sardischen, etruskischen, libyschen, minoischen, mykenischen Formenwelten. Die Zusammenhänge führen bis zu den Felszeichnungen Skandinaviens und den Funden im Sudan, in Nubien und Südarabien. Hier liegen die Voraussetzungen für den späteren Aufbau der antiken Welt, der bis jetzt rückwärts aus den Schriftquellen und also zunächst philologisch erschlossen worden ist.

8. Nun die antike Welt selbst bis zur Völkerwanderung, deren geographisches Bild vollkommen neu zu zeichnen ist. Wir müssen endlich sehen, wie nicht nur der körperliche Habitus der Bevölkerung, sondern auch ihre Dichte und politische Bedeutung sich verschieben, wie gewisse Hauptgebiete homerischer Kultur – Thessalien etwa – zurücktreten, andere – Latium – an die Spitze gelangen, wie wichtige Städte zu Dörfern, Dörfer zu Städten werden. Wir müssen endlich – nicht nur hier! – den tiefen innerlichen Unterschied von Burg, Siedelung, Markt, Stadt, Handelsplatz, Provinz-, Groß- und Weltstadt; von Stamm, Völkerschaft, Nation; von Landschaft, Gebiet und Staat auch für das Auge kenntlich machen. Der Etruskername und ebenso die Namen Hellene, Römer, Jonier, Italiker bezeichnen in jedem Jahrhundert etwas anderes. Das Zeitalter der Städtebildung um 800 und das der Auflösung der Stadtstaaten in Großmächte um 300 müssen einmal im Bilde entwicklungsgeschichtlich dargestellt werden, und ebenso die Rasseverhältnisse bis herab zur Kaiserzeit, wo die Bevölkerung der einzelnen Provinzen heute noch einfach durch deren Namen bezeichnet wird, statt durch Dialekt, Annahme oder Ablehnung bestimmter Kulte, Verschwinden oder Zunahme des Landvolks, Häufung oder Verminderung der mittleren Städte. Es ist in weitem Umfange feststellbar, wo die Talgebiete einen anderen Menschenschlag haben als das Bergland, wo die vorindogermanische Bevölkerung in Masse sitzen geblieben ist. Erst das erklärt wieder die Bewegung der germanischen Stämme: wo sie sich in Masse ansiedeln und die Eingeborenen verdrängen, wo sie nur als Gutsherren über einer Schicht von Leibeigenen sitzen, wo sie nur die formelle Herrschaft ausüben. Erst wenn man das sieht, versteht man die Bildung der neuen Nationen und ihrer Sprachen, die längere Dauer oder den schnellen Zusammenbruch germanischer Reiche – die gotische Herrschaft in Italien hat doch auch wesentlich deshalb nicht Wurzel gefaßt, weil es südlich des Apennin an weiten Flußtälern fehlte, während das westgotische Reich in Spanien auf der Hochebene wie auf einer Burg saß.

9. Das dunkelste Gebiet der Geschichte wie der Geographie ist Vorderasien von Alexander dem Großen bis zum Mongolensturm. Wir besitzen nichts, was uns ein deutliches Bild von Byzanz gibt, etwa der sprachlichen, sozialen, religiösen Schichtung Kleinasiens, Syriens, Ägyptens unter Justinian; das Sassanidenreich, eine ganz entscheidende Schöpfung an der Kreuzungsstelle von vier Hochkulturen, ist uns heute noch ein formloser Begriff. Sieht man von der Ausbreitung des Christentums auf dem Boden des römischen Reiches ab, so haben wir nicht einmal einen Versuch, die Ausbreitung der neuen Religionen aus der Zeit nach Christi Geburt, der jüdisch-talmudischen, parsischen, manichäischen, später der nestorianischen, die Ausbreitung der sogenannten spätantiken Kulte des Sol und Mithras bis nach Portugal und Innerasien hin nachzuzeichnen. Wir sehen es nicht im Bilde, wie aus diesen religiösen Gemeinschaften Nationen werden, welche die älteren Staaten zersetzen; wie diese Nationen zum Teil ihren Schwerpunkt in bestimmten Landschaften haben, wo sie deren Rassezüge in sich aufnehmen, bis zuletzt der Sturm des Islam, dessen Darstellung im Kartenbilde ebenfalls noch nicht versucht worden ist, die meisten dieser Nationen – und also Religionen – sich einverleibt. Die Gruppe dieser Karten würde lehren, daß es wieder die uralten Handels- und Völkerbahnen sind, die schon durch Steinzeitfunde angedeutet werden, längs deren sich nun die Ausbreitung der großen Missionsreligionen bewegt.

10. Als Abschluß ist eine Kartengruppe nötig, welche das Asien und Europa um 1000 n. Chr. als einheitliches Gebiet zusammenfaßt: Das bereitet sich vor mit der Völkerwanderung, welche die Länder von der chinesischen Grenze bis nach Spanien und Nordafrika erschüttert und über diese weite Strecke eine neue Reihe politischer Formen ausstreut, und kommt zu einem Abschluß im äußersten Westen mit dem Zeitalter der Kreuzzüge, aus dem die Staatenwelt einer neuen Kultur hervorgeht, und von dort aus längs der ungeheuren uralten Südgrenze des steinzeitlichen Nordkreises, welche jetzt eine Grenze zwischen Wald und Wüste bildet, durch den Mongolensturm, der ganz Asien einschließlich Rußlands in ein Gebiet verwandelt, in welchem die Ruinen alter Kulturen überschichtet werden durch wechselnde Machtzonen irgendwelcher Eroberer und Stämme mit ihrer Gefolgschaft. Von hier an ist die schöpferische Geschichte der Welt wesentlich abendländisch, d. h. unsere eigene Geschichte.


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