Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Rede, gehalten am 16. Mai 1924 auf dem Deutschen Adelstag in Breslau
Wenn ich mir erlaube, einiges über die heutigen Aufgaben des deutschen Adels zu sagen, so muß ich mich bei der Kürze der Zeit auf deren politische Seite beschränken.
Durch die Revolution ist so gut wie alles zerstört worden, was zu den Voraussetzungen einer erfolgreichen Politik gehört. Hierzu gehört vor allem auch die gesellschaftliche und politische Struktur des Adels als einer organischen Schicht innerhalb der Nation. Jedes große Land hat innen- und außenpolitische Aufgaben zu bewältigen, welche das Vorhandensein einer einheitlich denkenden, fühlenden und handelnden Schicht voraussetzen, ohne welche eine folgerichtige Lösung dieser Aufgaben nicht gewährleistet ist. Wo diese Schicht fehlt, wird die hohe Politik sehr bald gänzlich von dem Vorhandensein sehr begabter Einzelpersönlichkeiten abhängig. In Deutschland ist dieser Oberbau durch die Revolution bis in die Tiefe erschüttert – es ist wohl das verhängnisvollste Ergebnis des Umsturzes. Wenn die Revolution das Heer auflöste, so kann es wieder aufgebaut werden; eine verlorene Machtstellung läßt sich zurückerobern; aber ein von innen heraus verwundeter Volkskörper ist sehr schwer zu heilen, selbst wenn die Erschütterung der Gesellschaft nicht zur Auflösung von deren leitenden Schicht geführt hat.
Die Weltgeschichte lehrt, daß diese tragende, züchtende und erziehende Schicht in der Regel einen Geburtsadel als Kern enthielt. Ein bekanntes Beispiel ist Rom, wo die Rasseeigenschaften des Volkes in einer Anzahl großer Familien bis zur Reinkultur herausgebildet waren. Jeder echte Adel ist innerhalb eines Volkes „ Rasse« in Reinkultur, also nicht nur durch Abstammung abgegrenzt, sondern Inbegriff gewisser Instinkte des Befehlens, Organisierens, Verhandelns, des Sichverantworlichfühlens, kurz einer Überlegenheit auf allen Gebieten des praktischen nationalen Lebens. Der Adel ist ein durch und durch politischer Stand – Politik verstanden als ein Krieg mit den Mitteln geistiger und gesellschaftlicher Taktik; Diplomatie nach außen und innen war nie etwas andres als ein Zweikampf mit unblutigen Waffen; in den Fähigkeiten eines Adels lag oft genug das ganze Schicksal eines Volkes. Durch politische Niederlagen wird aber auch zuerst der Adel getroffen und aus seiner Bahn geworfen. Das ist im heutigen Deutschland der Fall, und zwar in einem besonders hohen Grade. Aber gerade Deutschland, das infolge seiner elenden Entwicklung seit dem Dreißigjährigen Kriege keine vornehme bürgerliche Gesellschaft in der Art der englischen und französischen erhalten hat, kann den Adel als Mittelpunkt seiner führenden Schichten nicht entbehren. Nicht nur um seiner selbst willen hat der Adel deshalb die Pflicht, seine frühere Bedeutung zurückzuerobern, nicht durch den Versuch, der aussichtslos sein würde, alte Vorrechte wieder zu erkämpfen, sondern durch Erziehung zu innerer Überlegenheit, eine Erziehung, die Friedrich Wilhelm I. an sich selbst und seinen Beamten und Offizieren als möglich erwiesen hat. Wir können in unsrer politischen und geographischen Lage nicht davon abhängig bleiben, daß zufällig ein Bismarck oder Napoleon auftaucht. England erteilt uns darin eine große Lehre. Es hat im Laufe der letzten 200 Jahre doch ziemlich selten einen genialen Führer vom Range eines Pitt gehabt. Aber alle Führer von mittlerem Range konnten sich mit einer Schicht von Mitarbeitern umgeben, welche die notwendigen Ziele und Mittel instinktiv begriffen und beherrschten, und diese konnten sich auf die Instinkte der englischen Oberklasse verlassen, welche von den Familien des Geburtsadels, vor allem der Gentry durchsetzt und erzogen war. Nur so wurde es möglich, daß England auf seiner Bahn fortschritt, auch wenn es jahrzehntelang keinen großen Premierminister hatte.
Dieser Instinkt einer Schicht kann nicht durch patriotische Programme und Ansichten ersetzt werden. Ansichten beruhen auf Gründen, aber der Gang der Weltgeschichte richtet sich nicht nach einem Programm, und die besseren Gründe verbürgen nie den besseren Erfolg. Der politische Instinkt aber wird nicht auf Hochschulen und aus Büchern und Zeitungen gelernt, sondern geweckt, etwa in früheren Jahrhunderten durch die Pagenerziehung und im heutigen England durch die gesellschaftliche Disziplin und die persönliche Fühlung zwischen Jünglingen und politisch erfahrenen Männern in den vornehmen Klubs. Für den praktischen Erfolg kommt es nicht darauf an, die großen Tatsachen und Lagen verstandesmäßig zu zergliedern, sondern beim ersten Blick zu fühlen, welche Möglichkeiten in ihnen ruhen und welche Mittel anwendbar sind. Jeder Zweikampf mit der blanken Waffe, jede weidgerechte Jagd, jedes Spiel hat seine gefühlsmäßige Logik, und diese, nicht die Logik der Philosophie, ist auch die des politischen Erfolges. Gerade England zeigt die Gefahren einer Verkennung dieser Tatsachen. England hat in den letzten Jahren zwei Staatsleiter besessen, welche aus der Innenpolitik, um nicht zu sagen der Gewerkschaftsbewegung hervorgegangen sind, und denen es durch den Druck der Ereignisse gelang, die Außenpolitik in die Hand zu bekommen: Lloyd George und Ramsay Macdonald. Beide haben die Lage Englands in verhängnisvoller Weise verschlechtert; daß dies nicht zu einer ausgesprochenen Niederlage führte, verdankt England den Instinkten seiner Gesellschaft, welche auch gegen den Willen der regierenden Persönlichkeiten den allgemeinen Gang der Politik auf der Höhe hielt. Wenn eine gleichgerichtete Schicht vorhanden ist, so werden Mißgriffe dieser Art durch das Beharrungsvermögen dessen gemildert, was man eben den »Willen eines Landes« nennt, der ganz unpersönlich und ohne Verständigung in sehr vielen einzelnen Menschen tätig ist.
Blickt man auf die heutige Weltlage, die seit dem Weltkriege mit wachsender Geschwindigkeit letzten Entscheidungen zutreibt, so erkennt man, daß von allen Völkern zuletzt dasjenige das Rennen gewinnen wird, dessen führende Schicht die überlegenen Fähigkeiten besitzt. Ob das Heer zerschlagen, ob die Wirtschaft zerrüttet ist, ob auswärtige Besitzungen verlorengegangen oder abgefallen sind, das alles tritt an Bedeutung hinter der Frage zurück, ob die führende Schicht, das Rückgrat der Nation, leistungsfähig geblieben ist. Wenn die Römer zuletzt mit allen Gegnern fertig wurden und das Imperium Romanum eben ein römisches war, so verdankten sie es weder der Intelligenz auf dem Forum, noch der bloßen Schulung ihrer Legionen, sondern der Schicht alter Familien, die auch nach Cannä und nach den Bürgerkriegen des Marius und Sulla die politische Tradition festhielt und den Karthagern und Griechen an Weitblick überlegen war.
Wir Deutsche stehen in einer Gegenwart, wie sie seit einem Jahrhundert kein Land zu ertragen hatte. Wir leben abgeschnitten wie auf einer Insel; wir sind nicht einmal Herren im eigenen Lande; wir müssen mit deutschem Gelde auf deutschem Boden ein französisches Heer erhalten. Und trotzdem könnten wir uns durch eine überlegene Politik eine Stellung erobern, die unsre geographische Lage aus einem Nachteil zum Vorteil wendet: zwischen dem kommenden Rußland und der in einer inneren Krise befindlichen englischen Seemacht in der Mitte. Aber dazu müssen wir Menschen erziehen, die außer den altpreußischen Eigenschaften der Disziplin, Verantwortungsfreude und Entsagung auch noch die eigentlich politischen Tugenden besitzen, die bei uns bis jetzt das Ergebnis eines seltenen Zufalls und nicht der gesellschaftlichen Zucht gewesen sind. Hierin liegt die eigentliche Aufgabe des deutschen Adels. Gerade deshalb aber sind gewisse Züge, die noch bei Ausbruch des Weltkrieges so gut wie allen Schichten unsres Volkes anhafteten, mit besonderer Sorge zu verfolgen. Seit wir keine Kolonien mehr und kaum noch ein Auslandsdeutschtum haben, denken wir in politischen Fragen viel zu binnenländisch und provinzial. Die »heimatliche Scholle« ist zwar die Grundlage eines gesunden Volkstums und insbesondere auch eines gesunden Adels, aber sie darf nicht den Horizont politischer Erwägungen darstellen. Deutschland ist mit seinen 60 Millionen Einwohnern ein sehr kleines Land auf der Erdoberfläche und also auch eine politische Einheit, die nur im Zusammenhang mit der Weltpolitik überblickt werden kann und darf. Gerade infolge unsrer augenblicklichen Schwäche ist es noch wichtiger als vor dem Kriege, daß jeder politisch Tätige einen beständigen Überblick über die Lage und Ereignisse am Stillen Ozean, in Südafrika, in Nordamerika besitzt, daß er sich an Zeitungen und durch persönlichen Verkehr beständig über die Stimmungen und Meinungen drüben auf dem Laufenden erhält. Wir können unser Schicksal nur wenden, wenn wir beständig weltpolitische Gesichtspunkte vor Augen haben, sonst wird die Rechnung falsch. Aber gerade daran fehlt es überall.
Wir sind zu schnell ein großes Volk geworden. Vor kaum 50 Jahren, zur Zeit unsrer Großväter, gab es noch eine Handvoll deutscher Länder und Länderchen, deren jedes nur eine Lokalpolitik besaß und die Weltpolitik im englischen Sinne kaum dem Namen nach kannte. Wir sind weit davon entfernt, diese Enge überwunden zu haben. Unendlich viel von dem, was hinter den Worten völkisch und national steckt, beruht auf einer völligen Unvertrautheit mit dem politischen Denken und Wollen außerhalb Deutschlands und einer verhängnisvollen Unterschätzung der feindlichen Überlegenheit in politischen Mitteln, Gesichtspunkten und Methoden. Wir waren über Nacht zu einem Volke mit Weltindustrie, Welthandel und Seemacht geworden, so daß es noch unzählige Deutsche gibt, welche die Ziele der Wirtschaftskreise und -interessen als unnational empfinden, weil deren Horizont über die landschaftlichen Kreise und Interessen hinausreicht. Aber eine deutsche Politik ist seit Bismarck nur noch möglich, wenn sie in der ganzen Weite der heutigen Weltzusammenhänge verankert ist, und wenn die tragende Schicht es für ihre vornehmste Pflicht hält, sich für diese Politik der weiten Horizonte und überlegenen Mittel zu erziehen. Darin sehe ich augenblicklich die große Sendung des deutschen Adels und vor allem der Jugend in ihm. Er hat es in dieser Hinsicht nicht leicht. Jeder junge Engländer von Stand ist in den Kolonien gewesen und hat durch persönliche Fühlung mit den Kreisen, die dort regieren oder wirtschaftlich tätig sind, sich ein Gefühl für den eigentlichen Sinn politischer Geschäfte anerzogen. Unsere Jugend kam vor dem Kriege viel zu wenig heraus. Statt Indien, Ägypten, Amerika hieß es Hörsaal, Korps, Assessor. Die erste nähere Berührung mit der großen Politik erfolgte drüben, indem man etwa als Privatsekretär eines Gouverneurs oder Gesandten in die Länder ging, mit denen England zu tun hatte, bei uns – das muß offen zugestanden werden – in der Regel durch patriotische Bücher, Feste und Vorträge, aus denen ganz gewiß die schwere und undankbare Kleinarbeit, die den Erfolg vorbereitet, nicht zu erschließen und noch weniger zu studieren war.
Heute ist unsrer Jugend das Ausland aus politischen und wirtschaftlichen Gründen fast verschlossen. Um so mehr ist es Pflicht, jede Gelegenheit wahrzunehmen, um es in seiner heutigen Stimmung kennen zu lernen, indem man seine Zeitungen, Versammlungen, wirtschaftlichen Einrichtungen, Statistiken, Gesetze studiert, mit bezeichnenden Persönlichkeiten der ausschlaggebenden Kreise persönliche Beziehungen anknüpft; es sollten solche politischen Studienreisen so oft als möglich unternommen, vorbereitet und ausgenützt werden, als Arbeit, nicht als »Erholung«, so wie es die Japaner bei uns verstanden haben. Zu Hause aber ist eine bewußte Erziehung nötig, um den heutigen Geist der fremden Großmächte genau kennen zu lernen, der die Dinge im eigenen Lande wesentlich anders erscheinen läßt.
Es ist eine gute deutsche Eigenschaft, sich in den Geist fremder Zeiten und Menschen versetzen zu können und gerade sie sollte ausgenützt werden. Es ist grundfalsch, das berechtigte Gefühl des Besiegten dem Sieger gegenüber dadurch zum Ausdruck zu bringen, daß man es ablehnt, sich in seine Welt zu versetzen, sich überhaupt ernstlich mit ihm zu beschäftigen. Gerade dem jungen Adel sollte es zur täglichen Gewohnheit werden, die führenden Zeitungen der fremden Mächte beständig zu lesen sorgfältig vergleichend, mit dem Bleistift in der Hand die wichtigsten Broschüren durchzuarbeiten, sich über die politische und öffentliche Meinung aus führenden Zeitschriften und durch Briefe auf dem Laufenden zu erhalten. Nur so kann die deutsche Abgeschlossenheit geistig überwunden werden. Über die Rückkehr zu den sogenannten alten Idealen, die auf unsren nationalen Festen leicht eine verhängnisvolle Rolle spielen und die inmitten des 20. Jahrhunderts beschränkte, provinziale, hoffnungslose Ideale geworden sind, führt kein Weg in die Zukunft. Der englische Konservative zeichnete sich als Politiker immer auch dadurch aus, daß er in seinen Mitteln und Zielen noch moderner war als die Mehrzahl der Liberalen.
Ich spreche deshalb zum Schluß folgende Mahnung aus: Lassen Sie geistig die Schranken fallen, welche Sie von dem Leitgedanken der Weltpolitik trennen. Die Weltpolitik vernichtet die Länder, die ihr geistig nicht gewachsen sind. Lernen Sie vom englischen Adel, der in einem bauernlosen Lande eine sehr schwere Stellung hatte, daß es für die innere Überlegenheit im Grunde kein Hindernis und keine Grenzen des Erfolges gibt. Streifen Sie die letzten Reste der landschaftlichen Sonderstellung und der Abneigung gegenüber Welthorizonten, Welthandel und Weltindustrie ab. Wir haben in Deutschland überall, wo Begabungen planmäßig gezüchtet wurden, glänzende Ergebnisse gehabt: Im Heere, in der Technik, in der Industrie, im Welthandel. Wir würden dasselbe in der Politik erreichen können. Aber dann müssen wir wissen, daß Politik heute etwas andres ist als die konservative Politik von 1860 und auch noch von 1900; und der Adel vor allem muß sich der Aufgabe bewußt werden, geistig in seinem politischen Horizont über das Volk hinauszuwachsen, um mit den unverbrauchten Kräften dieses Volkes für Deutschland wieder eine entscheidende Stellung in der Weltpolitik zu erobern.