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Noch am gleichen Tage kam ihnen eine, ihrer Meinung nach unfehlbare Hilfe in der Person unerwarteter und sehr lieber Gäste! Gegen Abend trafen, ohne vorherige Anzeige, Herr und Frau Ketling bei ihnen ein. Das Entzücken und die Ueberraschung über deren Ankunft in Chreptiow war unbeschreiblich, und sie waren ebenso sehr erfreut, denn sie hörten auf ihre erste Frage von Basias rasch fortschreitender Genesung. Krzysia eilte sofort in das Schlafzimmer, und die im selben Augenblick von dorther tönenden Ausrufungen und Freudenschreie verkündigten den Rittern, wie glücklich Basia war.
Ketling und Wolodyjowski umarmten sich, entfernten sich dann wieder voneinander auf Armeslänge, um sich abermals in die Arme zu schließen.
»Bei meinem Gott!« sagte der kleine Ritter, »Ketling! Wäre mir der Feldherrnstab zu teil geworden, so würde mich das weniger freuen, als Dich zu sehen, bester Freund! Doch was führt Dich in diese Gegend?«
»Der Hetman hat mich zum Kommandant der Artillerie in Kamieniec ernannt,« sagte Ketling; »darum reiste ich mit meiner Gattin dorthin. Als wir dort von den Prüfungen vernahmen, die Ihr erleben mußtet, machten wir uns ohne Verzug auf den Weg nach Chreptiow. Gelobt sei Gott, lieber Michal, daß alles so gut abgelaufen ist. Wir reisten in großer Angst und Sorge, denn wir wußten nicht, kommen wir zur Freude oder zur Trauer hierher.«
»Zur Freude, zur Freude!« rief Herr Zagloba.
»Wie hat sich denn alles zugetragen?« frug Ketling.
Der kleine Ritter und Zagloba wetteiferten miteinander im Erzählen; und Ketling lauschte und machte die Augen weit auf und schlug die Hände zusammen voll Bewunderung über Basias Tapferkeit.
Nachdem das alles genügend besprochen war, frug der kleine Ritter nach dem, was Ketling erlebt, und dieser erzählte nun davon in eingehender Weise. Nach ihrer Hochzeit hielten sie sich an der Grenze Kurlands auf; sie waren so glücklich miteinander, daß sie es im Himmel nicht besser haben konnten. Ketling war überzeugt, als er Krzysia heiratete, daß er ein »überirdisches Wesen« zum Weibe nehme, und er war noch dieser Ansicht.
Herr Zagloba und Herr Wolodyjowski sahen wieder den alten Ketling vor sich, der sich gern in höflichen und hochtönenden Reden erging. Sie schlossen ihn abermals in die Arme, und als sie ihren freundschaftlichen Empfindungen genug gethan, sagte der alte Edelmann:
»Ist denn dem ›überirdischen Wesen‹ nicht ein solch irdischer Kasus vorgekommen, der mit den Beinchen stampft und mit dem Finger im Munde nach Zähnchen sucht?«
»Gott schenkte uns einen Sohn,« sagte Ketling, »und jetzt wieder ...«
»Ist mir nicht entgangen!« sagte Zagloba. »Bei uns aber ist noch alles beim Alten.«
Bei diesen Worten heftete er sein gesundes Auge auf den kleinen Ritter, dessen Schnurrbärtchen sich rasch bewegte.
Das Gespräch wurde durch Krzysias Eintritt unterbrochen, welche, auf die Thüre deutend, sagte:
»Basia läßt die Herren zu sich bitten.«
Alle gingen sogleich in den Schlafraum, und dort fanden abermals Begrüßungen statt. Ketling küßte Basias Hände und Wolodyjowski die Krzysias, wobei sich alle gleichzeitig voll Neugier anblickten, wie Leute zu thun pflegen, die sich lange nicht gesehen.
Ketling hatte sich fast gar nicht verändert, nur sein Haar war kurz geschnitten, was ihn jünger erscheinen ließ; Krzysia dagegen hatte, besonders zu dieser Zeit, ein wesentlich verändertes Aussehen. Sie war nicht mehr so biegsam und schlank als früher, und ihr Gesicht war bleicher, wodurch auch der Haarflaum auf der Oberlippe dunkler erschien; unverändert waren nur die wunderschönen Augen mit den ungewöhnlich langen Wimpern, und der sanfte Gesichtsausdruck; die einst so schönen Gesichtszüge hatten ihre ehemalige Zartheit eingebüßt. Diese Veränderung mochte eine nur vorübergehende sein; gleichwohl sagte sich Herr Wolodyjowski unwillkürlich, indem er sie mit seiner Basia verglich:
»Ums Himmelswillen, wie konnte ich mich in jene verlieben, zu einer Zeit, da beide beisammen waren? Wo hatte ich nur meine Augen?«
Basia dagegen war in Ketlings Augen sehr schön; und sie war in der That sehr schön mit ihrem goldenen, über die Stirne fallenden Haargelock, mit ihrer Gesichtsfarbe, welche zwar von der ehemaligen Frische etwas eingebüßt hatte, nun aber, nach überstandener Krankheit, einem weißen Rosenblatt glich. Jetzt war durch die freudige Erregung ihr Gesichtchen rosig angehaucht, und die seinen Nüstern waren in lebhafter Bewegung. Sie erschien so jung, als sei sie noch gar nicht ganz erwachsen, und auf den ersten Blick hätte man meinen können, sie zähle zehn Jahre weniger als Ketlings Weib. Ihre Schönheit wirkte aber nur in der Weise auf den empfindsamen Ketling ein, daß er mit noch größerer Innigkeit seines Weibes gedachte, dem gegenüber er sich einigermaßen schuldig fühlte.
Da sich beide Frauen alles mitgeteilt hatten, was in so kurzer Zeit mitgeteilt werden konnte, setzte sich die ganze Gesellschaft um Basias Bett, und man begann, von früheren Tagen zu sprechen. Allein dies Gespräch wollte nicht so recht in Fluß kommen, denn diese früheren Zeiten schlossen allerlei bedenkliche Punkte in sich, – so zum Beispiel die Beziehungen zwischen Herrn Michal und Krzysia, die Gleichgültigkeit des kleinen Ritters gegen die jetzt so sehr geliebte Basia und allerhand Gelöbnisse und allerhand Zeiten der Verzweiflung. Das Leben in Ketlings Landhaus hatte für alle seinen Zauber bewahrt und ließ eine angenehme Erinnerung zurück; aber darüber zu sprechen war schwer.
Darum ging Ketling bald zu einem andern Gesprächsthema über.
»Ich habe Euch noch nicht gesagt, daß wir unterwegs bei den Herrschaften Skrzetuski vorsprachen, die uns zwei Wochen lang nicht fortließen und uns in einer Weise bewirteten, daß es uns im Himmel auch nicht besser hätte gehen können.«
»Ach, lieber Gott, wie geht es denn Skrzetuski?« rief Herr Zagloba. »Habt Ihr auch ihn zu Hause getroffen?«
»Wir trafen ihn zu Hause, denn er war gerade mit seinen ältesten Söhnen, die in dem stehenden Heere dienen, von dem Hetman gekommen.«
»Skrzetuski habe ich seit meiner Hochzeit nicht mehr gesehen,« sagte der kleine Ritter. »Wohl war er in den »wilden Feldern« und seine Söhne waren mit ihm; aber der Zufall wollte es, daß wir uns nie begegneten.«
»Alle haben große Sehnsucht nach Euer Liebden,« sagte Ketling, zu Herrn Zagloba gewendet.
»Bah! wie ich nach ihnen!« antwortete der alte Edelmann. »Aber dies ist nun einmal nicht anders! Bin ich hier, so sehne ich mich nach jenen, fahre ich aber zu ihnen, dann sehn' ich mich wieder nach dem Wiesel hier ... So ist es eben im menschlichen Leben ... pfeift einem der Wind ins eine Ohr, so pfeift er nicht in das andere ... Am schlimmsten hat's der einsame Mann; wenn ich was Eigenes hätte, müßte ich nichts Fremdes lieben ...«
»Auch eigene Kinder könnten Euer Liebden nicht herzlicher zugethan sein, als wir es sind,« sagte Basia.
Und Herrn Zagloba that es sehr wohl, dies zu hören. Er verschluckte alle trüben Gedanken und zeigte nun die heiterste Laune. Nachdem er einigemal Atem geschöpft, sagte er:
»Ha! welch ein Narr war ich doch damals im Hause Ketlings, daß ich Euch beiden Krzysia und Basia zuführte und nicht an mich selbst dachte! – Damals wäre es noch Zeit gewesen ...«
Dann wandte er sich zu den Frauen –
»Gesteht nur, daß Ihr beide Euch in mich verliebt hättet, und daß jede von Euch lieber mich als den Michal oder den Ketling geheiratet hätte?«
»Aber natürlich!« rief Basia aus.
»Die Halska, Skrzetuskis Weib, würde seiner Zeit mich auch vorgezogen haben. Ha! Das hätte möglich sein können. Und sie ist doch eine gesetzte Frau und kein solcher Springinsfeld, der den Tataren die Zähne ausschlägt. Wie geht's ihr denn?«
»Es geht ihr gut, aber sie macht sich Sorgen, weil zwei ihrer jüngeren Söhne aus der Schule in Lukow entwichen und zum Heer gingen,« sagte Ketling. »Skrzetuski selbst freut sich über das Jugendfeuer der Knaben, aber die Mutter bleibt immer zuerst Mutter.«
»Wie viele Kinder haben sie?« frug Basia mit einem Seufzer.
»Es find zwölf Burschen da,« sagte Ketling, »und nun beginnt das schöne Geschlecht bei ihnen.«
Darauf meinte Herr Zagloba:
»Ha! Der besondere Segen Gottes ruht auf diesem Hause. Und all das habe ich an meiner eigenen Brust, wie der Pelikan, großgezogen ... Die beiden Burschen aber werd' ich an den Ohren zausen, denn sobald es ans Durchbrennen ging, warum kamen sie nicht hierher zum Michal? Wartet einmal, es muß doch der kleine Michal und der Jazek durchgebrannt sein? Es sind dort ihrer so viele, daß selbst der eigene Vater die Namen verwechselt ... und eine halbe Meile weit in der Runde findest Du keine Krähe mehr, denn die Spitzbuben haben alle mit ihren Gewehren weggeschossen. – Bah, bah! man kann lange in der Welt suchen, bis man noch ein solches Weib trifft! So oft ich zu ihr sagte: »Halska, die Kerle werden mir schon zu groß, ich möchte neues Spielzeug haben!« that sie zwar, als ob sie mir böse sei, allein am richtigen Termin gab's wieder was, als ob man's verschrieben hätte.« So komisch auch diese Rede des Herrn Zagloba klang, so lachte doch niemand, noch machte irgend einer der Anwesenden einen Scherz, vielmehr verwunderten sich alle darüber und eine Weile redete keines ein Wort; dann ertönte plötzlich die Stimme des kleinen Ritters:
»Hörst Du, Basia?«
»Michal, willst Du still sein?« antwortete Basia.
Aber Michal zeigte keine Lust, still zu sein, denn allerlei schlaue Ideen schwirrten ihm durch den Kopf. Vornehmlich gedachte er bei diesem Anlaß noch eine andere Angelegenheit in Ordnung zu bringen, und so sprach er denn wie für sich selbst und als handle es sich um die gewöhnlichste Sache:
»Bei Gott! es lohnte sich wohl der Mühe, Skrzetuskis zu besuchen! Nun, er wird wohl nicht daheim sein, weil er zum Hetman reisen muß; aber sie ist eine vernünftige Frau, und sie wird nicht Gott versuchen, sondern zu Hause bleiben ...«
Hier wandte er sich zu Krzysia: »Der Frühling kommt, und das Wetter wird schön werden. – Freilich ist's jetzt für Basia noch zu früh, allein ein wenig später allenfalls würde ich nichts dagegen haben, denn es handelt sich eigentlich um eine Pflicht der Freundschaft. Herr Zagloba könnte Euch beide dorthin begleiten; im Herbst aber, wenn es wieder ruhiger geworden ist, würde ich Euch nachkommen.«
»Ach, welch prächtiger Gedanke!« rief Herr Zagloba. »Ich muß ja auf alle Fälle dorthin, denn ich war recht undankbar gegen sie. Ha! Ich vergaß geradezu, daß sie auf der Welt sind, und ich schäme mich dessen!«
»Was sagen die Damen dazu?« frug Wolodyjowski, indem er eifrig Krzysia in die Augen schaute.
Aber diese antwortete höchst unerwartet in ihrer ruhigen Weise:
»Ich wäre gern dabei, allein ich kann nicht, denn ich bleibe in Kamieniec an meines Gatten Seite und werde ihn in keinem Falle verlassen.«
»Ums Himmelswillen, was muß ich da hören!« rief Wolodyjowski. »Ihr wollt in der Festung bleiben, welche sicherlich belagert werden wird, und das durch einen Feind, der keine Schonung kennt! Ich würde nichts dagegen sagen, wenn es sich um einen Krieg mit civilisierten Völkern handelte. Aber hier hat man's mit Barbaren zu thun! – Wißt Ihr, was das heißt, eine eroberte Stadt? Und wißt Ihr, was türkische oder tatarische Sklaverei bedeutet? Ich traue meinen Ohren kaum!«
»Und dennoch kann es nicht anders sein!« antwortete Krzysia.
»Ketling!« rief der kleine Ritter verzweiflungsvoll – »läßt Du Dich in solcher Weise meistern? Mensch, hast Du denn kein Gewissen?«
»Wir haben lange darüber gesprochen,« erwiderte Ketling, »und dies war das Endergebnis.«
»Und unser Sohn ist in Kamieniec unter der Obhut einer Verwandten von mir; ist es denn so gewiß, daß Kamieniec erobert werden wird?« Krzysia erhob ihre sanften Augen gen Himmel: »Gott ist mächtiger als der Türke – er wird unser Vertrauen nicht täuschen; und da ich meinem Manne geschworen habe, ihn bis zum Tode nicht zu verlassen, so ist auch mein Platz an seiner Seite –«
Der kleine Ritter war äußerst bestürzt, denn er hatte von Krzysia etwas ganz anderes erwartet.
Basia aber, welche gleich von Anfang an gemerkt hatte, was Wolodyjowski eigentlich beabsichtige, lächelte schlau und heftete ihre lebhaften Augen auf ihn, während sie sagte:
»Michal, hörst Du's?«
»Basia, sei still!« rief der kleine Ritter in größter Verwirrung. Dann warf er verzweifelte Blicke auf Herrn Zagloba, als ob er von ihm Hilfe erwarte, allein dieser Verräter stand plötzlich auf und sagte:
»Wir müssen daran denken, eine Erfrischung zu uns zu nehmen, denn der Mensch lebt nicht allein vom Wort.« Und er verließ das Zimmer.
Herr Michal folgte ihm aber nach und vertrat ihm den Weg.
»Nun, und was jetzt?« frug Zagloba.
»Was also?«
»Ach, mag diesen Ketling der Geier holen! Wie soll denn die Republik nicht zu Grunde gehen, wenn Weiber sie regieren!«
»Weißt Du kein Auskunftsmittel?«
»Dagegen, daß Du Dich vor Deiner Frau fürchtest? Da hätt' ich wohl ein Mittel. Geh zum Hufschmied und laß Dich beschlagen! – Das wäre etwas!«