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XVI

Obwohl Zagloba über die Nachricht von Ketlings Abreise erstaunt war, kam es ihm doch nicht in den Sinn, irgend welchen Verdacht zu schöpfen; denn die Annahme lag nahe, daß Karl II. der Familie Ketling und ihrer Verdienste in den Zeiten des Aufruhrs um den Thron gedachte, und daß er wünschte, dem letzten Sprößling der Familie seine Erkenntlichkeit zu zeigen. Es wäre mehr zu verwundern gewesen, hätte er anders gehandelt. Ueberdies zeigte Ketling Herrn Zagloba überseeische Briefe und überzeugte ihn völlig von allem.

Die Pläne des alten Edelmanns wurden jedoch durch diese Reise sehr gefährdet, und er dachte mit Unruhe an die Zukunft. Nach seinem Brief zu schließen, konnte Wolodyjowski jeden Tag zurückkommen.

»Die Steppenwinde werden den Rest seines Grams fortgeblasen haben,« dachte Zagloba. »Er wird unternehmender zurückkehren, als er gegangen ist, und weil ihn irgend ein Teufel sonderbarerweise stärker zu Krzysia hingezogen hat, ist er im stande, sich gleich zu erklären! Und dann – dann wird Krzysia ›Ja‹ sagen, denn was könnte sie solch einem Kavalier, und noch dazu dem Bruder der Frau Makowiecki anderes erwidern – und mein armer, liebster Wildfang hat dann das Nachsehen.«

Herr Zagloba hielt mit der ganzen Hartnäckigkeit alter Leute an dem Plane fest, Basia mit dem kleinen Ritter zu vermählen.

Dagegen halfen schließlich weder Skrzetuskis Vorstellungen, noch auch die, welche er sich von Zeit zu Zeit selbst gemacht. Zeitweise nahm er sich zwar in der That vor, sich in nichts mehr einzumischen; aber immer wieder kehrte er unwillkürlich und mit noch größerer Hartnäckigkeit zu dem Gedanken zurück, die beiden müßten ein Paar werden. Tagelang dachte er darüber nach, wie das zu bewerkstelligen sei; er entwarf Pläne, ersann Kriegslisten. Und er war so sehr bei der Sache, daß er einmal, in der Meinung, der rechte Weg sei nun gefunden, wie nach erreichtem Ziel laut ausrief: »Möge der Himmel Euch segnen!«

Jetzt aber schien es ihm, als ob man seine Wünsche in Trümmer geschlagen hätte. Es blieb ihm nichts übrig, als weitere Bestrebungen zu unterlassen und die Zukunft Gottes Willen anheimzustellen; denn der Schimmer einer Hoffnung, Ketling werde noch vor seiner Abreise Krzysia gegenüber einen entscheidenden Schritt thun, konnte nicht lange in Herrn Zaglobas Kopf haften bleiben. Wenn er beschloß, den jungen Ritter über den Zeitpunkt seiner Abreise zu befragen und auch darüber, was er noch vorher zu thun gedenke, so geschah das nur aus Schmerz und aus Neugierde.

Ketling zu einer Unterredung auffordernd, sagte Zagloba mit sehr betrübter Miene zu ihm: »Eine schwierige Sache! Jeder Mann weiß aber am besten, was ihm frommt, und ich will Dich nicht zum Bleiben auffordern; aber ich möchte wenigstens etwas über den Zeitpunkt Deiner Rückkehr erfahren.«

»Kann ich denn voraussagen, was meiner dort harrt, wohin ich reise?« antwortete Ketling, – »welche Schwierigkeiten bei meinen Angelegenheiten sich zeigen werden? Ich werde zurückkehren, wenn einmal die Möglichkeit für mich vorhanden ist. Ich bleibe für immer dort, wenn es sein muß.«

»Du wirst sehen, wie sich Dein Herz zu uns zurücksehnen wird.«

»Gebe Gott, daß ich in keinem anderen Land mein Grab finde, als in dem, welches mir alles gab, was es geben konnte.«

»Ach, Du wirst es merken, daß ein Fremder in anderen Erdkreisen sein Lebtag das Stiefkind bleibt, aber unsere Muttererde öffnet Dir sofort die Arme und liebt Dich wie den eigenen Sohn.«

»Wahr! sehr wahr! Ach, wenn ich nur könnte! – Denn alles kann ich in der alten Heimat finden, nur nicht das Glück!«

»Ha! Ich sagte Dir, laß Dich irgendwo fest nieder! Heirate! Du wolltest mich aber nicht anhören! Wenn Du verheiratet wärst und gingest auch weg, so müßtest Du doch wiederkommen, ausgenommen Du wolltest Dein Weib mit über das stürmische Meer nehmen, was ich jedoch nicht glaube. Ich gab Dir den richtigen Rat! Nun – Du wolltest nicht folgen; Du wolltest nicht folgen!«

Aufmerksam beobachtete Herr Zagloba Ketlings Gesicht; er wollte eine bestimmte Erklärung von ihm haben. Allein Ketling schwieg; er senkte nur das Haupt und starrte auf den Fußboden.

»Was meinst Du dazu?? Hm?« sagte Zagloba nach einer Weile.

»Es waren keine Aussichten für mich vorhanden,« antwortete langsam der junge Ritter.

Zagloba begann in der Stube auf- und abzuschreiten, blieb dann vor Ketling stehen, legte die Hände auf den Rücken und sprach:

»Und ich sage Dir, sie waren vorhanden! Wenn dem nicht so ist, so will ich von heute an diesen Bauch nicht mehr mit diesem Gürtel umspannen! Krzysia ist Deine Freundin!«

»Gebe Gott, daß sie es bleibt, wenngleich uns Meere von einander trennen!«

»Na, und weiter??« –

»Nichts weiter, nichts!«

»Hast Du sie befragt?«

»Verschont mich doch! Ich bin traurig genug, daß ich gehen muß!«

»Ketling, willst Du, daß ich mit ihr spreche, so lange es noch Zeit ist?«

Ketling überlegte bei sich, wenn Krzysia so ernstlich wünsche, die Gefühle, die sie füreinander hegten, geheim zu halten, würde ihr vielleicht die Gelegenheit willkommen sein, sie abzuleugnen, darum erwiderte er:

»Ich versichere Euer Liebden, daß es zu nichts führen wird. Auch habe ich schon alles versucht, um mir die Sache aus dem Kopfe zu schlagen. Aber wenn Ihr ein Wunder erwartet, so fragt immerhin!«

»Ach, wenn Du sie Dir schon aus dem Kopf geschlagen hast,« sagte Zagloba mit einer gewissen Bitterkeit, »dann ist freilich nichts mehr zu machen. Aber erlaube mir die Bemerkung, daß ich Dich für einen Kavalier von größerer Beständigkeit gehalten habe.«

Ketling stand auf, streckte in fieberhafter Erregung seine Hände gen Himmel und rief mit einer bei ihm ungewohnten Heftigkeit: »Was hilft es mir, einen dieser Sterne dort oben zu begehren! Ich kann mich ja doch nicht zu ihm hinaufschwingen, noch wird er zu mir herabfallen. Weh über die, die den silbernen Mond anseufzen!«

Herr Zagloba geriet in Zorn und begann derart zu schnauben, daß er während einiger Zeit kein Wort zu sprechen vermochte; erst nachdem er sich etwas bemeistert hatte, sagte er mit stockender Stimme:

»Mein Lieber, halte mich nicht zum Narren; wenn Du mir vernünftige Gründe angeben kannst, so sage sie mir wie einem Manne, der von Brot und Fleisch lebt, und nicht wie einem, der Tollkraut gegessen hat. Denn wenn ich mir nun einbildete, diese meine Mütze sei der Mond und ich könne sie nicht mit der Hand erreichen, so müßte ich mit kahlem Schädel in der Stadt herumlaufen und der Frost würde wie ein Hund in meine Ohren beißen. Mit solchen Argumenten kann ich mich nicht abgeben ... Ich weiß nur so viel: das Mädchen ist von uns nur durch drei Zimmer getrennt; sie ißt, sie trinkt, wenn sie läuft, muß sie einen Fuß vor den andern setzen; wenn es kalt ist, wird ihre Nase rot, und bei der Hitze wird ihr warm; wenn eine Mücke sie sticht, verspürt sie ein Jucken; was aber den Mond anbelangt, so gleicht sie ihm nur darin, daß sie keinen Bart hat. Aber in der Art, wie Du sprichst, kann man auch behaupten, eine Rübe sei ein Astrolog. Was nun Krzysia anbelangt, so ist es Deine Sache, wenn Du nichts versucht und nicht gefragt hast. Wenn Du aber nach dieser Liebesangelegenheit fortgehst und nur zu Dir selbst sagst: ›Luna‹, dann magst Du Deiner Rechtschaffenheit und Deinem Verstand Gras zu fressen geben. So liegt die Sache!«

Ketling antwortete darauf: »Nicht süß, sondern bitter wird mein Mund von der Speise, die ich nehmen muß. Ich gehe, weil ich gehen muß, ich frage nicht, weil ich nichts zu fragen habe. Aber Euer Liebden beurteilen mich ungerecht – Gott weiß es, wie ungerecht!«

»Ketling! Ich weiß ja, daß Du ein ehrenhafter Mensch bist; aber Deine Manieren kann ich nicht verstehen. Zu meiner Zeit, da trat man dem Mädchen unter die Augen und sagte den Vers:

»So du mich willst, so werbe ich,
Doch willst du nicht, dann laß ich Dich!«

»Jeder wußte dann, woran er sich zu halten hatte. Wer aber unbeholfen war und sich nicht getraute, selbst zu reden, ließ sich durch einen anderen, Beredsameren vertreten. Ich habe Dir früher meine Dienste angeboten und biete sie Dir nochmals an. Ich will gehen; will reden; ich will Dir die Antwort bringen; und je nachdem wirst Du gehen oder bleiben.«

»Ich muß gehen! Es kann und wird sich nicht ändern lassen.«

»Dann kommst Du zurück?«

»Nein! Thut mir den Gefallen, nicht weiter darüber zu reden. Wenn Ihr aus eigenem Antrieb anfragen wollt, dann thut es – aber nicht in meinem Namen!«

»Ums Himmelswillen! Hast Du schon selbst angefragt?«

»Sprechen wir nicht darüber. Erweist mir die Gunst!«

»Gut denn, sprechen wir vom Wetter! Mag Euch doch mit Euren Manieren ein Donnerwetter holen! So, Du mußt reisen, und ich muß fluchen!«

»Lebt also recht wohl!«

»Warte doch, warte! Gleich ist mein Raptus vorbei. Mein Ketling, warte nur, denn ich habe Dir noch etwas zu sagen. Wann willst Du abreisen?«

»Sobald ich meine Angelegenheiten geordnet habe. Ich möchte noch die Sendung der Vierteljahrspacht aus Kurland abwarten. Das Landhaus, das wir bewohnten, würde ich gerne verkaufen, so sich ein Käufer fände.«

»Die Makowiecki soll es kaufen, oder der Michal! Aber beim Himmel, Du wirst doch nicht abreisen, ohne von Michal Abschied zu nehmen?«

»Von Herzen gern würde ich ihn noch sehen!«

»Er kann jeden Augenblick hier sein; vielleicht gelingt es ihm, Dich in Bezug auf Krzysia zu überreden!«

Hier brach Zagloba ab, denn eine gewisse Unruhe überfiel ihn plötzlich.

»Ich diente Michal in freundschaftlicher Absicht,« dachte er, »aber verteufelt gegen seinen Willen. Wenn darum zwischen ihm und Ketling Feindschaft entstehen sollte, dann mag dieser lieber fortgehen.«

Herr Zagloba begann seine Glatze zu streicheln; dann sagte er:

»Man spricht Dir gegenüber Das und Jenes aus purem Wohlwollen aus! Ich gewann Dich so lieb, daß mein Trachten darnach ging, Dich auf jede Weise zurückzuhalten. Darum stellte ich Dir Krzysia als Lockspeise hin. Aber das geschah nur aus Wohlwollen ... Was geht auch mich alten Mann die ganze Sache an! ... Wahrhaftig, nur Wohlwollen war's ... nichts weiter! Ich befasse mich nicht mit Heiratsangelegenheiten; denn hätte ich Heiraten stiften wollen, hätte ich in erster Reihe an mich selber denken müssen. Ketling komm, laß Dich küssen ... und sei nicht böse!« ...

Ketling umarmte nun Herrn Zagloba, den wirklich Rührung überkam. Er ließ sofort einen bauchigen Krug mit Wein bringen und sagte:

»So wollen wir denn aus Anlaß Deiner Abreise täglich solch einen leeren!«

Und sie leerten ihn. Dann verabschiedete sich Ketling und ging. Der Wein aber wirkte mächtig auf Herrn Zaglobas Phantasie ein, und er begann nun sehr lebhaft über Basia und Krzysia, Wolodyjowski und Ketling nachzudenken; er fügte sie in Paaren zusammen und gab ihnen seinen Segen; dann bekam er Sehnsucht nach den jungen Mädchen, und er sprach zu sich selber: »Nun will ich mir einmal die beiden Zicklein anschauen.«

Die Mädchen saßen nähend in dem auf der anderen Seite des Eingangs gelegenen Zimmer. Nachdem Zagloba sie begrüßt hatte, schritt er in dem Zimmer auf und ab, die Füße ein wenig nachschleppend, die ihm, insbesondere nach Weingenuß, nicht mehr so ganz gehorchen wollten. Während seines Hin- und Herschreitens schaute er auf die Mädchen, welche so nahe beisammen saßen, daß das blonde Köpflein Basias fast an dem dunklen Krzysias lag.

Basia folgte Zagloba mit den Augen, während Krzysia so emsig arbeitete, daß es kaum möglich war, das Flimmern ihrer Nadel wahrzunehmen.

»Hm!« ließ sich Zagloba vernehmen.

»Hm!« wiederholte Basia.

»Spotte nicht! ich bin zornig!«

»Er wird mir sicher den Kopf abschneiden!« rief Basia, indem sie die Erschreckte spielte.

»Klipp, klapp, Klappermühle! ... Die Zunge sollte man Dir ausschneiden – so ist's!«

Bei diesen Worten näherte sich Herr Zagloba den Mädchen und frug, die Hände in die Hüften gestemmt, ohne jede weitere Einleitung:

»Willst Du Ketling zum Manne?«

»Ja; fünf wie er!« lautete Basias rasche Antwort.

»Sei still, Fliege, zu Dir rede ich nicht, ich frage Krzysia: Willst Du Ketling zum Manne?«

Krzysia hatte sich ein wenig verfärbt, obwohl sie zuerst geglaubt, Herrn Zaglobas Frage gelte Basia und nicht ihr. Dann erhob sie ihre schönen dunkelblauen Augen zu dem alten Edelmann empor und antwortete ruhig: »Nein!«

»Also – auf mein Wort! Nein! Wenigstens kurz und bündig. Auf mein Wort! auf mein Wort! Ja, weshalb belieben denn Fräulein ihn gnädigst nicht zu wollen?«

»Weil ich überhaupt niemanden will!«

»Krzysia!« rief Basia, »rede Du das andern ein!«

»Was hat Dir denn eigentlich gegen den Ehestand solchen Abscheu eingeflößt?«

»Ich hege keinen Abscheu dagegen; allein ich will ins Kloster gehen,« antwortete Krzysia.

Es klang ein so tiefer Ernst und eine solche Trauer aus ihrer Stimme, daß sowohl Basia als auch Herr Zagloba nicht einen Moment daran glaubten, es sei das scherzhaft gemeint. Aber ein solches Erstaunen ergriff beide, daß sie wie geistesverwirrt einander anschauten und dann wieder Krzysia anblickten.

»Wa–a–as?« sagte zuerst Herr Zagloba.

»Ich will ins Kloster,« wiederholte Krzysia in sanftem Tone.

Basia schaute sie an, dann abermals an; plötzlich umschlang sie Krzysias Hals mit ihren Armen, schmiegte ihr rosiges Gesichtchen an Krzysias Wange und begann sehr rasch zu sprechen: »O Krzysia, ich muß weinen! Gesteh' es augenblicklich, daß Du nur ins Blaue hineinredest, sonst muß ich in Schluchzen ausbrechen.«


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