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VI

Ketling und Herr Michal gelobten sich gegenseitig, sobald die Gelegenheit sich biete, wiederum dicht nebeneinander, Steigbügel an Steigbügel zu reiten, an demselben Wachfeuer zu rasten und ihre Häupter auf einem Sattel zum Schlafe niederzulegen.

Mittlerweile trat aber ein Ereignis ein, das sie schon acht Tage nach ihrem Zusammentreffen wieder trennte. Aus Kurland langte ein Bote mit der Nachricht an, daß jener Hasling, welcher den jungen Schotten adoptiert und ihm sein Vermögen verschrieben hatte, plötzlich erkrankt war und den angenommenen Sohn dringend zu sehen wünschte. Der junge Ritter bedachte sich nicht lange, er setzte sich zu Pferd und ritt davon. Doch zuvor bat er Herrn Zagloba und Herrn Michal, sein Haus als das ihrige zu betrachten und so lange darin zu verweilen, als es ihnen beliebe.

»Vielleicht kommt auch Skrzetuski mit seiner Familie hierher,« sagte er, »zu der Königswahl wird sicherlich er wenigstens eintreffen, und wenn er auch die ganze Kinderschar mitbrächte, würde sich hier doch Platz für alle finden. Ich habe keine Anverwandten, und selbst wenn ich Brüder hätte, stünden sie mir nicht näher als Ihr, liebwerte Freunde!«

Zagloba besonders war vergnügt über diese Einladung, denn er fühlte sich sehr wohl in Ketlings Hause, doch nicht minder angenehm war sie Herrn Michal.

Skrzetuski mit seiner Familie kam zwar nicht, hingegen zeigte Wolodyjowskis Schwester, welche mit Herrn Makowiecki, dem Truchseß aus Latyczow vermählt war, ihre baldige Ankunft an. Ihr Bote war an den Hof des Hetman gekommen, um zu fragen, ob einer der Hofherrn etwas von dem kleinen Ritter wisse, und offenbar hatte man ihm die Wohnung Ketlings angegeben.

Wolodyjowski freute sich außerordentlich, da viele Jahre vergangen waren, seitdem er seine Schwester nicht mehr gesehen hatte, und sobald er erfuhr, daß sie in Ermangelung einer besseren Herberge in einem armseligen Häuschen in der »Fischerstadt« abgestiegen war, eilte er sofort zu ihr, um sie aufzufordern, in Ketlings Herrenhof überzusiedeln.

Die Dämmerung war schon angebrochen, als er bei ihr eintrat, doch erkannte er sie sofort, obgleich sich noch zwei andere Frauenzimmer bei ihr in der Stube befanden, denn sie war so klein von Wuchs, daß sie einem Fadenknäuel glich. Auch sie erkannte ihn. Ohne ein Wort hervorbringen zu können, fielen sie einander in die Arme, und seine Thränen vermischten sich mit den ihren. Während dieser Zeit standen die beiden anderen Frauenzimmer unbeweglich da und schauten sich diese Begrüßung an.

Frau Makowiecki erlangte zuerst die Sprache wieder und rief mit ihrer dünnen, etwas scharfen Stimme:

»So viele, viele Jahre! Gott helfe Dir, teuerster Bruder! Kaum war die Kunde von Deinem Unglück zu mir gedrungen, als ich mich sofort zu Dir aufmachte. Und mein Gatte hielt mich nicht zurück, denn von der Seite der Budjaken droht Gefahr ... Man spricht auch viel von den Bialogrodischen Tataren. Sicherlich werden nun die Wege bald ganz schwarz übersät sein, denn schon sind ungeheure Schwärme von Vögeln zu sehen und so ist es vor jedem Ueberfall. Gott tröste Dich, geliebter teurer Bruder! Goldbruder! Zur Königswahl muß mein Gatte selbst hierher kommen, deshalb sagte er zu mir: Nimm die Fräuleins mit und reise beizeiten. Michal (sagte er) kannst Du in seiner Trauer zu beruhigen suchen, vor den Tataren (sagte er) mußt Du ohnedies Dein Haupt irgendwo bergen, denn das Land wird bald in Aufruhr sein, also stimmt das eine mit dem andern überein. Fahre nach Warschau (sagte er), suche Dir eine gute Herberge, so lange es noch Zeit ist, damit Ihr eine Wohnung habt. Er selbst wird mit den Bewohnern des Bezirks auf Kundschaft ausziehen. Es ist wenig Kriegsvolk im Lande. Bei uns ist es immer so. Mein geliebter Michal! Komm an das Fenster, damit ich Dein Gesicht betrachten kann! Du bist abgemagert, aber bei Deinem Kummer ist dies natürlich. Gar leicht war es für meinen Gatten in Rus zu sagen: Suche Dir eine Herberge! Hier ist nirgends eine zu finden, und nun wohnen wir in dieser Hütte. Kaum drei Bündel Stroh konnte ich auftreiben, um unsere Häupter darauf zu betten.«

»Erlaube Schwester ...« begann der kleine Ritter.

Aber die Schwester beachtete seinen Einwurf nicht und ihre Zunge ging weiter wie ein Mühlrad:

»Hier stiegen wir also ab, weil nichts anderes zu finden war. Unsere Wirtsleute haben etwas Lauerndes im Blick, es scheinen keine guten Menschen zu sein. Freilich haben wir vier Leute bei uns, erprobte Diener, und wir selbst sind nicht gerade scheu, denn in unserer Gegend muß auch eine Frau ein männliches Herz haben, sonst könnte sie nicht dort wohnen. Ich habe auch eine leichte Flinte, die ich immer bei mir trage, und Basia besitzt zwei Terzerole. Nur Krzysia hat eine Abneigung gegen Waffen. Weil wir jedoch in einer uns fremden Stadt sind, so möchten wir lieber in einer sicheren Herberge Unterkunft finden ...«

»Erlaube, Schwester ...« begann Herr Wolodyjowski abermals.

»Und wo wohnst denn Du, Michal? Du mußt mir behülflich sein, wenn ich eine Herberge suche, denn Du bist ja bekannt in Warschau.«

»Eine Herberge für Dich habe ich schon bereit,« fiel ihr hier Herr Michal ins Wort, »und eine so vortreffliche, daß sogar ein Senator mit seinem Gefolge darin sein Quartier aufschlagen könnte. Ich wohne bei meinem Freunde, dem Hauptmann Ketling, und will Dich sogleich dahin mitnehmen ...«

»Aber bedenke, daß wir unser drei sind und zwei Mägde und vier Diener bei uns haben. Ums Himmels willen, ich habe Dich ja noch nicht mit den Fräuleins bekannt gemacht.«

Hier wendete sie sich zu ihren Gefährtinnen:

»Ihr beide wißt, wer er ist, aber er weiß nicht, wer Ihr seid, so macht denn miteinander Bekanntschaft, wenn es auch schon dunkel ist. Nicht einmal den Ofen hat der Wirt bis jetzt für uns geheizt ... Dies ist Fräulein Krzysia Drohojowski und dies Fräulein Barbara Jeziorkowski. Mein Gatte ist ihr Vormund und verwaltet ihr Vermögen, und sie wohnen bei uns, denn beide sind Waisen. Allein zu wohnen, würde sich für so junge Frauenzimmer nicht schicken.«

Während die Frau Truchsessin noch sprach, verneigte sich Wolodyjowski nach Soldatenart. Die Fräuleins aber faßten ihre Röcke mit den Fingerspitzen und machten einen tiefen Knix, wobei Fräulein Jeziorkowski den Kopf zurückwarf wie ein junges Füllen.

»Laßt uns in den Wagen steigen und wegfahren!« sagte der kleine Ritter – »Herr Zagloba wohnt in demselben Landhause wie ich, und ich habe ihn gebeten, die Abendmahlzeit für uns bereit halten zu lassen.«

»Der berühmte Herr Zagloba?« fragte plötzlich Fräulein Jeziorkowski.

»Baska, sei stille!« sagte die Truchsessin. – »Ich fürchte nur, daß wir eine Störung verursachen.«

»Da Herr Zagloba für das Abendessen sorgt,« entgegnete der kleine Ritter, »würde es ausreichen, wenn auch doppelt so viele Leute kämen. Laßt, liebwerte Fräuleins, nur das Reisegepäck hinaustragen. Ich habe ein besonderes Fuhrwerk für das Gepäck mitgebracht und Ketlings Korbwagen ist so groß, daß wir vier ganz bequem Platz darin finden. Doch da fällt mir ein, wenn Eure Diener, meine Gnädigen, keine Säufer sind, sollen sie mit den Pferden und den größeren Stücken bis morgen hier bleiben, wir aber nehmen nur das nötigste mit.«

»Es ist kein Grund vorhanden, sie zurückzulassen,« sagte die Frau Truchsessin, »denn man hat unsre Wagen noch nicht abgeladen. Sobald die Pferde angespannt sind, kann alles mitgenommen werden. Baska, geh und gieb die nötigen Befehle!«

Fräulein Jeziorkowski eilte in den Flur hinaus und kehrte nach einer Weile mit der Nachricht zurück, daß alles bereit sei.

»Es ist auch Zeit, aufzubrechen,« sagte Wolodyjowski.

Bald darauf saßen alle im Wagen und fuhren nach Mokotow. Die Frau Truchsessin sowie Fräulein Drohojowski nahmen den Rücksitz ein, auf dem Vordersitz saß der kleine Ritter an Fräulein Jeziorkowskis Seite. Es war so dunkel, daß sie gegenseitig ihre Gesichtszüge nicht zu unterscheiden vermochten.

»Kennen die gnädigen Fräuleins Warschau?« fragte er, sich zu Fräulein Drohojowski hinüberbeugend und die Stimme erhebend, um das Gerassel des Wagens zu übertönen.

»Nein,« entgegnete sie mit einer tiefen, wohlklingenden Stimme. »Wir sind rechte Landpomeranzen und haben bis jetzt weder berühmte Städte noch berühmte Menschen kennen gelernt.«

Bei diesen Worten senkte sie ein wenig das Haupt, wie wenn sie damit zu verstehen geben wollte, daß sie auch Herrn Wolodyjowski zu den letzteren zähle und er nahm ihre Antwort dankbar auf. »Welch höfliches Mädchen!« dachte er und begann sich sogleich den Kopf darüber zu zerbrechen, wie er das Kompliment zurückgeben könne.

»Und wäre die Stadt auch zehnmal größer,« sagte er schließlich, »so würden die gnädigen Fräuleins doch ihre schönste Zierde bilden.«

»Und wieso können dies Euer Gnaden in der Dunkelheit erkennen?« fragte plötzlich Fräulein Jeziorkowski.

»Aha, ein Zicklein, das zuzustoßen und zu treffen versteht!« dachte Herr Wolodyjowski.

Doch er gab keine Antwort und einige Zeit fuhren sie schweigend dahin. Dann aber wendete sich Fräulein Jeziorkowski wieder zu dem kleinen Ritter und fragte:

»Wissen Euer Liebden, ob in dem Stalle des Landhauses genug Platz ist, denn wir haben zehn Wagenpferde und zwei Reitpferde.«

»Wären es auch dreißig, man könnte sie unterbringen.«

»Larifari!« ließ sich nun das Fräulein vernehmen.

»Baska! Baska!« rief die Truchsessin in vorwurfsvollem Tone.

»Ach! es ist leicht zu sagen Baska! Baska! Und wer hat denn auf dem ganzen Weg für die Pferde gesorgt?«

Unter solchen Gesprächen langten sie vor Ketlings Hause an.

Zum feierlichen Empfang der Frau Truchsessin waren alle Fenster hell erleuchtet. Die Dienerschaft, mit Herrn Zagloba an der Spitze, eilte herbei, und an den Wagen tretend, worin er die drei Frauengestalten erblickte, fragte er sogleich:

»Ich habe wohl die Ehre, in einer der Gnädigen meine persönliche Wohlthäterin, die Schwester meines besten Freundes, zu begrüßen?«

»Ich bin es!« erwiderte die Frau Truchsessin.

Nun ergriff Zagloba ihre Hand und sie an die Lippen führend, rief er:

»Ich neige mich in Demut!«

Hierauf half er ihr vom Wagen steigen und geleitete sie ehrfurchtsvoll und mit wuchtigen Schritten in den Hausflur.

»Mögen Euer Gnaden mir gestatten, Euch hier innerhalb des Hauses nochmals zu begrüßen,« sagte er.

Mittlerweile half Herr Michal den Fräuleins beim Absteigen. Weil jedoch der Wagen sehr hoch und der Tritt in der Dunkelheit nur schwer zu finden war, umfaßte er Fräulein Drohojowski mit den Armen, hob sie empor und stellte sie dann vor sich auf den Boden. Sie aber lehnte sich, ohne Widerstand zu leisten, einen Augenblick an seine Brust und sagte:

»Ich danke Euer Gnaden.«

Nun wendete sich Herr Wolodyjowski zu Fräulein Jeziorkowski, doch sie war schon auf der anderen Seite des Wagens herabgesprungen. Daher reichte er Fräulein Drohojowski den Arm.

In der Stube ward dann nähere Bekanntschaft mit Herrn Zagloba gemacht, welcher beim Anblick der beiden Fräuleins in vortreffliche Laune geriet und sie sofort einlud, sich zum Abendessen niederzulassen. Dampfende Schüsseln standen schon auf dem Tische bereit, und wie Herr Michal vorausgesagt hatte, war alles in solchem Ueberfluß vorhanden, daß es auch für die doppelte Anzahl von Personen ausgereicht hätte.

Man setzte sich zu Tische. Die Frau Truchsessin nahm den Ehrenplatz ein. An ihrer rechten Seite befand sich Zagloba, neben diesem Fräulein Jeziorkowski. Auf der linken Seite saß Wolodyjowski neben Fräulein Drohojowski.

Und jetzt erst konnte der kleine Ritter die Fräuleins genau betrachten.

Beide waren schön, aber eine jede in ihrer Art. Fräulein Drohojowski hatte rabenschwarze Haare, ebensolche Brauen, große blaue Augen, einen matten, bräunlichen und so zarten Teint, daß die blauen Adern an den Schläfen sichtbar waren. Ein kaum bemerkbarer, dunkler Flaum bedeckte ihre Oberlippe, wodurch der feingeschnittene, kirschrote Mund besonders angenehm in die Augen fiel. Sie war in Trauer, denn sie hatte ihren Vater verloren, und die dunkle Farbe ihres Gewandes verlieh ihr bei ihrer zarten Gesichtsfarbe, ihren schwarzen Haaren etwas Ernstes, Gemessenes. Im ersten Augenblick erschien sie viel älter als ihre Gefährtin und erst nachdem Herr Michal sie aufmerksamer betrachtet hatte, gewahrte er, daß sie noch in der ersten Jugendblüte stand. Je mehr er sie anschaute, desto mehr bewunderte er ihre herrliche Gestalt, ihren Schwanenhals, ihre jungfräulichen, geschmeidigen Formen.

»Sie ist gewiß aus vornehmem Hause und scheint einen edlen Geist zu haben,« dachte Wolodyjowski, »das andere Fräulein aber ist eine wilde Hummel.«

Der Vergleich war auch thatsächlich ein ganz treffender. Basia war viel kleiner, viel schmächtiger als ihre Gefährtin, trotzdem aber konnte sie nicht mager genannt werden. Dabei war sie so rosig wie eine Rosenknospe. Ihre hellen, offenbar nach einer Krankheit kurz geschnittenen Haare waren von einem goldenen Netze zusammengehalten, aus dessen Maschen sie sich aber, bei der großen Beweglichkeit ihres Köpfchens, immer wieder hervordrängten und über die Stirne, ja bis zu den Brauen herabfielen, wodurch sie dem Haarschopfe eines Kosaken glichen. Dabei machten die feurigen, lebhaften Augen, die herausfordernde Miene dies rosige Gesichtchen dem Gesichte eines Schulknaben ähnlich, welcher nur darauf ausgeht, irgend eine Schelmerei ungestraft ausführen zu können.

Gleichwohl sah sie so schön und frisch aus, daß man kaum die Blicke von ihr abzuwenden vermochte. Sie hatte ein feines, etwas aufgestülptes Näschen mit beweglichen Nasenflügeln, sie hatte Grübchen in den Wangen und ein Grübchen im Kinn – ein Zeichen heiterer Gemütsart.

Aber jetzt sah sie ganz ernsthaft aus und aß mit gutem Appetit, wobei sie die Augen überall umherschweifen ließ, sie bald auf Herrn Zagloba, bald auf Herrn Wolodyjowski richtete und beide mit beinahe kindlicher Neugierde wie ganz besondere Wesen betrachtete.

Herr Wolodyjowski saß schweigend da, denn wiewohl er fühlte, daß er ein Gespräch mit Fräulein Drohojowski anknüpfen müsse, wußte er nicht, wie er beginnen solle. Im allgemeinen war der kleine Ritter nicht gewandt im Verkehr mit Frauen und jetzt erfüllte Traurigkeit sein Herz, zumal die beiden jungen Wesen ihm die teure Verstorbene lebhaft in Erinnerung brachten.

Hingegen gelang es Herrn Zagloba, die Frau Truchsessin zu unterhalten, indem er ihr von Herrn Michals Heldenthaten und von seinen eigenen erzählte. So berichtete er auch, wie sie einst mit der Tochter des Knäs Kurcewicz und mit Rzedzian vor einer ganzen Tatarenhorde geflohen waren, und wie sie sich schließlich beide allein, um die Fürstentöchter zu retten und der Verfolgung Einhalt zu thun, auf jene Horde gestürzt hatten.

Fräulein Jeziorkowski vergaß sogar das Essen, und das Kinn in die Hand stützend, hörte sie aufmerksam zu, wobei sie jeden Augenblick den Kopf schüttelte, so daß ihre Vorderhaare sich unaufhörlich hin und her bewegten, mit den Augen blinzelte, während der interessantesten Stellen auch mit den Fingern schnalzte und rief:

»Ah! Ah! Und dann? Und dann?«

Und als Zagloba zu dem Zeitpunkt kam, da Kuszels Dragoner unerwarteterweise zur Hülfe herbeieilten, die Tataren niederritten oder während der Verfolgung mit den Säbeln niedermachten, da konnte Fräulein Jeziorkowski nicht länger an sich halten, und mit aller Kraft in die Hände klatschend rief sie:

»Ich wollte, ich wäre dabei gewesen! Bei Gott!«

»Baska!« rief die wohlbeleibte kleine Frau Makowiecki mit stark ausgeprägtem rusinischen Accent, »Du bist hier bei Leuten mit guten Manieren, gewöhne Dir also diese Redensarten, dieses ›Bei Gott!‹ ab. O Du großer Gott, es fehlt nur noch, daß Du sagst: Mag mich der Kuckuck holen!«

Das junge Fräulein brach in ein silberhelles Lachen aus und schlug sich plötzlich mit beiden Händen auf die Kniee:

»Na, mag mich der Kuckuck holen, Tantchen!«

»O Gott! Das ist ja nicht anzuhören! Bitte die ganze Gesellschaft um Verzeihung!« rief die Frau Truchsessin.

In der Absicht, mit der Frau Truchsessin zu beginnen, sprang Basia von ihrem Sitze empor, warf aber dabei Messer und Löffel unter den Tisch, worauf sie selbst darunter verschwand.

Nun konnte sich auch die kugelrunde Frau Truchsessin des Lachens nicht mehr enthalten und ihr Lachen war ganz eigentümlich, denn zuerst begann sie sich zu schütteln und in die Höhe zu hüpfen, und dann drang ein geradezu pfeifender Ton aus ihrer Kehle. Alle wurden heiter. Zagloba war entzückt.

»Euer Gnaden sehen nun, welche Mühe mir dies junge Frauenzimmer macht,« sagte die Frau Truchsessin, sich abermals schüttelnd.

»Es ist eine Wonne, sie anzusehen, so wahr mir Gott lieb ist,« erklärte Zagloba.

Mittlerweile tauchte Basia wieder unter dem Tische hervor, Löffel und Messer hatte sie gefunden, dafür aber ihr Netz verloren, und die Haare fielen ihr nun vollständig über Stirne und Augen. Während sie sich aufrichtete, bebten ihre Nasenflügel und sie sagte:

»Aha! Die Herrschaften lachen über mich! Schon gut!«

»Niemand lacht,« erwiderte Zagloba in beruhigendem Tone. »Niemand lacht! Niemand lacht! Wir äußern nur unser Entzücken darüber, daß uns der Herrgott in der Person des gnädigen Fräuleins die Freude selbst beschert hat.«

Nach dem Abendessen begab man sich in das Gesellschaftszimmer. Als Fräulein Drohojowski dort eine an der Wand hängende Laute sah, nahm sie dieselbe herab und begann leicht in die Saiten zu greifen. Wolodyjowski bat sie, etwas zu singen und sie erwiderte einfach und gütig:

»Wie gern bin ich bereit dazu, wenn es mir dadurch gelingt, den Gram aus Eurem Herzen zu verscheuchen!«

»Ich danke Euch!« rief der kleine Ritter, den Blick voll Verehrung zu ihr erhebend.

Nach einer Weile ertönte der Gesang:

Ach, Ritter, glaubet mir
Nichts nützt der Panzer dir
Noch Schild; in rascher Eile
Durch Stahl, durch Eisen ein
Dringen in's Herz hinein
Cupidos scharfe Pfeile.

»Ich weiß nicht, wie ich meine Freude darüber ausdrücken soll,« begann jetzt Zagloba, der nicht weit von der Frau Truchsessin saß und zuweilen ihre Hände küßte, daß die Gnädige selbst hierher gekommen sind und diese schönen jungen Frauenzimmer mitgebracht haben, durch welche die Grazien selbst in den Schatten gestellt werden. Besonders jener kleine Wildfang ist mir schon ans Herz gewachsen, denn solch eine Schelmin versteht es, den Kummer besser zu verscheuchen als ein Wiesel die Mäuslein. Und sind Kummer und Sorgen nicht den Mäusen zu vergleichen, nagen sie nicht an unsern Herzen, bis jede angeborene Freudigkeit daraus entschwunden ist? Die Gnädige müssen wissen, daß unser früherer König Joannes Casimirus eine solche Vorliebe für meine comparationes hatte, daß er jeden Tag neue zu hören wünschte. Ich mußte auch Sprüchwörter und weise Maximen für ihn ersinnen, die er sich dann immer vor dem Schlafengehen hersagen und von denen er sich in der Politik leiten ließ. Aber dies gehört nicht hierher. Ich hoffe nun, daß unser Michal in Gesellschaft dieser höchst anmutigen jungen Wesen sein unglückliches Schicksal vollständig vergessen wird. Euer Gnaden wissen es ja noch nicht, daß ich ihn noch vor kaum einer Woche den Camaldulensern entrissen habe, bei denen er das Gelübde ablegen wollte. Den Nuntius selbst habe ich um Vermittlung gebeten, und dieser erklärte sofort dem Prior, er lasse das ganze Kloster unter die Dragoner stecken, wenn Michal nicht sofort entlassen werde. Das wäre doch nichts für ihn gewesen! ... Gelobt sei Gott, gelobt sei Gott! ... Ich kenne ihn! Wenn nicht heute, so doch morgen wird eine der beiden solche Funken in ihm entfachen, daß sein Herz wie Zunder Feuer fängt.«

Inzwischen sang Fräulein Drohojowski weiter:

Doch wenn den stolzen Mann
Das Schild nicht schützen kann,
Wohin soll vor den Pfeilen,
Das Weib so schwach und hehr
Ohn' Waffen, ohne Wehr,
Sich bergend, schützend eilen!

»Die Weiber fürchten die Pfeile gerade so, wie die Hunde den Schmeer,« flüsterte Zagloba der Ehegemahlin des Truchsesses zu. »Doch gesteht, meine gnädigste Wohlthäterin, daß Ihr diese Meisen nicht ohne geheime Absicht hierher gebracht habt! Das sind ja ganz prächtige Mädchen – vornehmlich jener Irrwisch! Wenn ich nur auch noch so blühend wäre wie sie! Michal hat ein gar schlaues Schwesterlein, wie?«

Frau Makowiecki gab sich alle Mühe, recht schlau darein zu sehen, was ihr jedoch bei ihrem guten, offenen Gesicht nicht recht gelingen wollte, indem sie antwortete:

»Man denkt eben an dies und jenes, wie das bei Frauen stets der Fall ist, denen es nicht an Scharfsinn gebricht. Zur Wahl wird mein Gatte hier eintreffen, ich brachte aber die Mädchen schon früher hierher, da man bei uns nur Tataren zu sehen bekommt. Wenn indessen aus dem Zusammentreffen thatsächlich ein Glück für Michal erwüchse, würde ich gern eine Wallfahrt zu irgend einem wunderthätigen Bilde unternehmen.«

»Das wird sich schon geben, das wird sich schon geben!« warf Zagloba ein.

»Beide Mädchen entstammen vornehmen Häusern und beide sind sehr begütert, was in diesen schweren Zeiten wohl in Betracht kommt.«

»Mir gegenüber das zu betonen, ist gar nicht nötig. Durch den Krieg hat zwar Michal fast all sein Hab und Gut eingebüßt, allein ich weiß, daß er immerhin etwas Geld bei verschiedenen großen Herrn auf Zinsen liegen hat. Und dann machten wir doch häufig Beute, wohledle Frau, und wenn man dabei auch von der Gnade und Ungnade des Hetmans abhing, so ging doch ein bestimmter Teil davon auf jeden einzelnen über, je nach dem Erfolge mit dem Säbel, wie man sich bei uns Kriegern auszudrücken pflegt. Auf Michals Anteil fiel häufig so viel, daß, wenn er seinen Besitz zusammengehalten hätte, er heutigen Tages ein schönes Vermögen haben könnte. Doch ein Soldat denkt nie an das »Morgen«, sondern nur an das »Heute« und lebt lustig darauflos. Und Michal würde alles verpraßt haben, wenn ich ihn nicht bei jeder Gelegenheit davon abgehalten hätte. Euer Gnaden sagen also, daß diese Mädchen edlem Blute entstammen?«

»In den Adern der Drohojowskis fließt Senatorenblut. Es ist wohl wahr, daß unsere an den Grenzen seßhaften Kastellane mit den Krakauer Kastellanen nicht verglichen werden können, und von gar manchem hat man in der Republik nur selten gehört, wer aber einmal die Würde eines Kastellans erlangt hat, der vererbt auch seinen Glanz auf seine Nachkommenschaft. Die Jeziorkowski aber übertrifft sogar noch die Drohojowski durch ihre Herkunft.«

»Laßt hören, laßt hören! Ich selbst stamme ja von irgend einem König der Massageten ab, also höre ich sehr gern über Familienbeziehungen sprechen.«

»Aus einem solch hohen Hause stammt freilich die Jeziorkowski nicht, wenn jedoch Euer Gnaden zuhören wollen – denn wir, in unserer Gegend, vermögen alle Familienbeziehungen an den Fingern herzuzählen – dann vernehmt, daß sie in der That mit den Potockis, mit den Jaglowieckis und mit den Laszczes blutsverwandt ist. Sehet, Euer Liebden, das verhält sich folgendermaßen:«

Hier glättete die Gemahlin des Truchsesses die Falten ihres Gewandes, lehnte sich gemächlich zurück, um ihr Lieblingsthema recht behaglich behandeln zu können, spreizte die eine Hand aus, und, den Zeigefinger der andern Hand zum Aufzählen der verschiedenen Ahnherrn und Ahnfrauen bereit haltend, fuhr sie fort:

»Die Tochter des Herrn Jakob Potocki und dessen zweiter Ehefrau, einer Jaglowiecki, namens Elzbieta, vermählte sich mit Herrn Jan Smiotanki, dem Bannerherrn von Podolien.«

»Ich präge dies meinem Gedächtnis fest ein!« bemerkte Zagloba.

»Aus jener Ehe entsproßte Herr Nikolaj Smiotanki, der ebenfalls Bannerherr von Podolien ist.«

»Hm! eine ganz hervorragende Würde!«

»Nikolaj Smiotanko wiederum war in erster Ehe mit einer Dorohostaj vermählt ... nein, mit einer Rozynski ... nein, mit einer Woronicz ... Gott schütze mich ... ich habe es wahrhaftig vergessen.«

»Die ewige Ruhe sei ihr beschieden, wie sie auch immer heißen mag!« warf Zagloba in ernsthaftestem Tone ein.

»In zweiter Ehe jedoch vermählte er sich mit einem Fräulein Laszcz.«

»Das habe ich auch erwartet! Und was für Folgen hatte denn diese Ehe?«

»Ihre Söhne starben.«

»Eitel sind die Freuden dieser Welt.«

»Von den vier Töchtern schloß die jüngste, Anna, eine Heirat mit Jeziorkowski, dessen Geschlecht das Wappen Nawicz führt und der Grenzregulierungs-Commissarius in Podolien war, wo er dann auch späterhin, wenn ich nicht irre, Schwertträger wurde.«

»Freilich ist er Schwertträger geworden; ich erinnere mich dessen sehr wohl,« erklärte Zagloba mit großer Bestimmtheit.

»Und sehen Euer Gnaden, aus dieser Ehe ist Basia hervorgegangen.«

»Ich sehe dies ebensowohl, wie ich jetzt sehe, daß sie sich mit Ketlings Muskete zu schaffen macht.«

Dies verhielt sich auch thatsächlich so, denn während sich Krzysia mit dem kleinen Ritter unterhielt, zielte Basia mit der Muskete nach dem Fenster.

Frau Makowiecki überkam geradezu ein Zittern bei diesem Anblick und sie meinte klagend:

»Ihr könnt Euch nicht vorstellen, was ich mit diesem Mädchen durchmache. Sie ist der reinste Bandit!«

»Wenn alle Banditen ihr glichen, würde ich mich sofort zu ihnen schlagen.«

»Dem Mädchen steckt nichts im Kopfe, wie Waffen, Pferde und Krieg. Einmal ging sie mit der Flinte in der Hand auf die Entenjagd. Sie kriecht irgendwo in das Schilf und hält Umschau. Da teilt sich plötzlich das Schilf – und was erblickt sie? den Kopf eines Tataren, welcher sich durch das Schilfrohr an das Dorf heranschleicht. Eine andere wäre zu Tode erschrocken, und schlimm würde es ihr ergangen sein, wenn sie nicht sofort ihre Flinte abgeschossen hätte. Der Tatar stürzte ins Wasser. Stellt es Euch vor, wohledler Herr, mit einem Schuß streckte sie ihn nieder ... und womit? ... mit einem Schrotschuß für Enten ...«

Aufs neue überkam Frau Makowiecki ein Schauder, gleich darauf aber kicherte sie laut auf über das Mißgeschick des Tataren und fügte hinzu:

»Um die Wahrheit zu gestehen, rettete sie uns alle vor dem Ueberfalle eines Streifzuges, denn, rasch zurückkehrend, schlug sie Lärm, so daß wir Zeit fanden, uns mit den Dienstleuten in die Wälder zu flüchten. Solche Vorkommnisse sind bei uns an der Tagesordnung.«

Zaglobas Antlitz strahlte vor Vergnügen. Ein über das andere Mal schloß er die Augen vor Entzücken, dann sprang er plötzlich empor, eilte auf das junge Mädchen zu, und ehe ihn dieses noch gewahr ward, drückte er einen Kuß auf dessen Stirn.

»Das kommt von einem alten Krieger für den Tataren in dem Schilfe!« erklärte er.

Das Mägdlein schüttelte sein goldblondes Gelock zurück, indem es mit seiner frischen, kindlichen Stimme, die so gar nicht im Einklange mit den Worten stand, ausrief:

»Nicht wahr, ich habe es ihm gehörig gegeben?«

»O, mein lieber, kleiner Wildfang!« rief Zagloba ganz gerührt.

»Ach, was will denn so ein einziger Tatar bedeuten? Ihr Herren habt sie ja zu Tausenden niedergemacht, ganz so wie die Schweden, die Deutschen und Rakoczys Ungarn. Was bin denn ich im Vergleiche zu Euch, Ihr Herrn – im Vergleiche zu Rittern, die alle andern in der Republik an Ruhm überstrahlen! Ich weiß dies sehr wohl, oho!«

»Ich werde Dich den Säbel führen lehren, da Du so viel Mut besitzest. Freilich, ich bin schon etwas schwerfällig geworden, Michal aber kann Dein Meister werden.«

Bei diesem Vorschlage machte Basia geradezu einen Luftsprung, dann küßte sie den Herrn Zagloba auf die Schulter und sich vor dem kleinen Ritter artig verneigend, sagte sie:

»Vielen Dank für das Versprechen. Ein wenig verstehe ich schon davon.«

Da indessen Herr Michal ganz in sein Gespräch mit Krzysia Drohojowski vertieft war, antwortete er, ohne sich lange zu bedenken:

»Wie das gnädige Fräulein befehlen.«

Freudestrahlend nahm Zagloba wieder neben der Ehegemahlin des Truchsesses aus Latyczow Platz.

»Meine liebwerte Wohlthäterin!« begann er von neuem, »ich verstehe mich sehr gut darauf, welches die besten türkischen Leckerbissen sind, denn ich habe manches Jahr in Stambul verbracht und deshalb weiß ich auch ganz genau, welch' eine große Menge von Menschen lüstern danach sind. Wieso kommt es daher, daß es noch keinen nach einem dieser Mägdlein gelüstete?«

»Bei Gott, es hat nicht an solchen gefehlt, die sich um beider Gunst bemühten. Die Basia nennen wir scherzhaft nicht anders wie dreifach Verwitwete, weil sich gleichzeitig drei würdige Kavaliere um sie bemühten! Herr Swirski, Herr Kondracki und Herr Cwilichawski, alle drei Edelleute und Grundbesitzer aus unserer Gegend, von denen ich Euch die Familienbeziehungen genau auseinander zu setzen vermag.«

So sprechend, spreizte Frau Makowiecki abermals die Finger ihrer linken Hand aus und streckte schon den Zeigefinger ihrer Rechten vor, als ihr Zagloba die Frage stellte:

»Und was ist denn mit den dreien geschehen?«

»Alle drei sind im Kriege gefallen, weshalb wir auch Basia die Verwitwete heißen.«

»Hm, wie hat sie es denn getragen?«

»Seht, liebwerter Herr, bei uns ist ein derartiger Verlust etwas Alltägliches, ja, es ist eine Seltenheit, daß irgend einer in vorgeschrittenem Alter eines natürlichen Todes stirbt, und es herrscht die Ueberzeugung, daß es einem Edelmanne nicht anders zieme, als auf dem Schlachtfelde zu fallen. Wie Basia alles ertragen hat? Nun, sie jammerte ein wenig, die Aermste, zumeist aber im Stalle, denn sobald sie etwas bedrückt, gleich zieht sie sich in den Stall zurück. Einmal gehe ich ihr nach und frage: ›Welchen beweinst du denn eigentlich?‹ Und sie darauf: ›Alle drei!‹ Aus dieser Antwort könnt Ihr doch sofort verstehen, daß ihr keiner besonders gefallen hat ... Ich bin überzeugt, ihr Köpfchen steckt noch voll von ganz andern Dingen, deshalb fehlt ihr auch bis jetzt jede Ahnung von Gottes Wille; bei der Krzysia ist dies schon weit mehr der Fall, die Basia aber denkt noch an nichts.«

»Das wird sich schon mit der Zeit geben!« warf Zagloba ein. »Huldreiche Wohlthäterin, wir verstehen dies sehr gut. Das wird schon kommen, das wird schon kommen.«

»Es ist ja auch unsere Bestimmung!« entgegnete Frau Makowiecki.

»Das meine ich auch. Euer Gnaden nehmen mir ja die Worte gerade aus dem Munde.«

Die weitere Unterhaltung wurde nun dadurch unterbrochen, daß der jüngere Teil der Gesellschaft näher trat. Der kleine Ritter war in seinem Benehmen gegen Fräulein Krzysia ganz kühn und ungezwungen geworden, und sie suchte ihn in seinem Kummer zu trösten, sie befaßte sich mit ihm, offenbar aus Herzensgüte in einer Weise, wie sich der Arzt mit dem Kranken befaßt. Und aus eben diesem Grunde zeigte sie sich vielleicht weit gütiger gegen ihn, als man es bei ihrer kurzen Bekanntschaft hätte voraussetzen können. Da aber Herr Michal ein Bruder von Frau Makowiecki und Fräulein Krzysia mit letzterer verwandt war, wunderte sich niemand über die Freundschaftsbezeugungen. Basia freilich stand etwas abseits, und nur Herr Zagloba schenkte ihr ununterbrochen seine Beachtung. Augenscheinlich war es ihr jedoch völlig gleichgültig, ob sich jemand mit ihr beschäftigte oder nicht. Anfänglich betrachtete sie die beiden Ritter voll Bewunderung, doch bald ruhten ihre Blicke mit der gleichen Bewunderung auf den an der Wand aufgehängten prächtigen Waffen Ketlings. Plötzlich indessen, als es später ward, begann sie zu gähnen, ihre Augenlider wurden schwerer und schwerer und sie erklärte schließlich:

»Ich bin so müde, daß ich, wenn ich mich jetzt niederlege, bis übermorgen früh schlafe.«

Auf diese Worte hin trennte sich die Gesellschaft sofort, da die Frauen, von der Reise sehr ermüdet, nur noch gewartet hatten, bis ihre Lager bereit waren. Als sich Herr Zagloba endlich allein mit Wolodyjowski befand, blinzelte er diesem zuerst bedeutungsvoll zu, um dann mit einem wahren Wortschwall über ihn herzufallen.

»Michal! Was, Michal! Hei! Wie zwei Rübchen! Willst Du vielleicht ein Mönch werden, wie? Und diese Drohojowski! So appetitlich wie eine Heidelbeere! Und jener kleine, rosige Irrwisch, uff! Was sagst Du zu dem?«

»Was? Nichts!« entgegnete der kleine Ritter.

»Der kleine Wildfang gefällt mir ausnehmend. Ich sage Dir, mich durchströmte es geradezu wie Feuer, als ich beim Abendbrode neben ihr saß.«

»Das ist noch ein junges Zicklein! Die andere ist weit gesetzter!«

»Die Drohojowski ist eine ungarische Pflaume, fürwahr eine ungarische Pflaume, die Kleine aber ein Haselnüßchen! ... Bei Gott, wenn ich die geeigneten Zähne hätte! ... ich wollte sagen, wenn der Wildfang meine Tochter wäre, würde ich sie keinem andern geben als Dir. Eine Mandel, sage ich, eine Mandel!«

Eine tieftraurige Stimmung bemächtigte sich plötzlich Wolodyjowskis, da er sich der Kosenamen erinnerte, die Herr Zagloba der Anusia Borzobohata beizulegen gepflegt hatte. Wie lebendig stand auf einmal die geliebte Dahingeschiedene vor seinem geistigen Auge, wie deutlich sah er ihre Gestalt, ihr zartes Gesicht mit den eigentümlich blickenden Augen, wie deutlich hörte er ihr Lachen, ihr fröhliches Geplauder! Die beiden Fräuleins hier waren ja viel jünger als die Gestorbene, doch diese war ihm immer noch teurer als die allerjüngsten Mädchen.

Von seinen schmerzlichen Gefühlen überwältigt, barg der kleine Ritter mit einem Male stöhnend sein Gesicht in beide Hände. Voll Staunen und von Unruhe ergriffen beobachtete ihn Zagloba eine Weile und fragte dann schließlich in eindringlichem Tone:

»Michal, was ist mit Dir? Bei Gott, so sprich doch!«

Da hub Wolodyjowski also an:

»So viele leben, so viele wandeln auf dieser Erde dahin, nur sie, mein Lämmlein, ist nicht mehr hienieden, nur sie werde ich niemals wiedersehen.«

Die Stimme versagte ihm, schluchzend barg er die Stirn auf der Lehne der Bank, um nach einer Weile immer wieder klagend zu rufen:

»O Gott! O Gott! O Gott!«


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