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IX

Herr Michal begann sich für die Abreise zu rüsten; die Fechtstunden Basias, die ihm immer mehr gefiel, hörten aber nicht auf, ebenso wenig wie die Spaziergänge mit Krzysia, bei welcher er Trost suchte. Und er fand ihn, denn er wurde täglich heiterer und nahm des Abends sogar an den Spielen Anteil, mit welchen Basia und Herr Nowowiejski sich unterhielten. Dieser junge Kavalier war jetzt in Ketlings Landhaus ein sehr beliebter Gast geworden. Er kam des Morgens oder des Mittags und blieb bis zum Abend; und da ihn alle gern hatten, freute man sich seines Kommens und bald wurde er zur Familie gerechnet. Er begleitete die Frauen nach Warschau, besorgte deren Aufträge in den Verkaufsläden und spielte des Abends leidenschaftlich »Blindekuh« mit ihnen, immer wiederholend, vor seiner Abreise müsse er durchaus noch die stets entweichende Basia erhaschen.

Aber Basia lachte und entkam immer wieder, obgleich Zagloba ihr sagte: »Wenn dieser Eine Dich nicht zuletzt noch fängt, so fängt Dich ein anderer.«

Indessen trat es immer unverkennbarer zu Tage, daß gerade dieser es war, der sie fangen wollte. Dies mußte sogar dem kleinen Wildfang selbst in den Sinn gekommen sein, denn sie war manchmal so tief in Gedanken, daß ihr die Haare bis über die Augen herabfielen. Herr Zagloba aber hatte seine Gründe, warum ihm die Sache nicht genehm war. Eines Abends, als alle sich zurückgezogen hatten, pochte er an die Thüre des kleinen Ritters.

»Ich bin so betrübt darüber, daß wir scheiden müssen,« sagte er, »daß ich komme, um noch Deines Anblicks zu genießen. Gott weiß, wann wir uns wiedersehen!«

»Jedenfalls kehre ich zur Königswahl zurück,« sagte Herr Michal, indem er ihn in die Arme schloß, »und ich will Dir auch sagen, warum. Der Hetman wünscht hier eine möglichst große Anzahl von Männern zu versammeln, die bei dem Adel beliebt sind, damit sie diesen für seinen Kandidaten gewinnen; und weil, dank dem Himmel, mein Name einiges Gewicht bei unseren Landesgenossen hat, wünscht er, daß ich sicher komme! Und er rechnet auch auf Deine Mitwirkung.«

»Bah! Wohl fischt er mit einem gewaltigen Netz nach mir, aber ich habe Augen im Kopfe und trotz meiner ungeheuren Korpulenz werde ich dessen Maschen entschlüpfen. Dem Franzosen gebe ich meine Stimme nicht.«

»Warum denn nicht?«

»Weil er für absolutum dominium ist.«

»Condé mußte aber doch, wie jeder andere, die pacta conventa beschwören; und er soll doch ein großer Feldherr sein und ist bekannt wegen seiner Kriegsthaten.«

»Wir haben es gottlob nicht nötig, unsere Feldherrn in Frankreich zu suchen. Herr Sobieski steht sicherlich dem Condé nicht nach, denke daran, Michal, daß die Franzosen Strümpfe tragen wie die Schweden. Darum werden sie ebenso treulos sein wie diese. Carolus Gustavus war jederzeit bereit, einen Eid abzulegen; für die Schweden ist das ebenso leicht, wie eine Nuß zu knacken. Was bedeuten da Verträge, wo es an Ehrlichkeit fehlt!«

»Aber die Republik bedarf der Verteidigung! O, wäre Fürst Jeremi Wisniowiecki noch am Leben! Wir würden ihn einstimmig zum König machen!«

»In seinem Sohn lebt das gleiche Blut!«

»Aber nicht der gleiche Mut. Es erbarmt einen, ihn anzuschauen, denn er gleicht eher einem Diener, als einem Fürsten von so edler Abstammung. Hätten wir wenigstens andere Zeiten! – Aber jetzt ist die Rücksicht auf das Vaterland die erste Tugend. Das gleiche wird Dir Skrzetuski sagen. Was auch der Hetman thun wird, ich folge seinem Beispiel, denn ich glaube an seine Liebe für das Vaterland wie an das Evangelium.«

»Wir haben noch Zeit, daran zu denken! Schlimm ist es, daß Du uns jetzt verlässest.«

»Und was denken Euer Liebden zu thun?«

»Ich kehre zu den Skrzetuskis zurück. Die Knaben sind zwar manchmal rechte Quälgeister, gleichwohl fühle ich mich einsam, wenn ich sie lange nicht gesehen habe.«

»Wenn nach der Königswahl Krieg ausbricht, so nimmt auch Skrzetuski teil daran. Und wer weiß! Vielleicht ziehst Du auch ins Feld und wir machen wieder zusammen den Krieg in Rus mit! Wie viel Gutes und Schlimmes haben wir nicht dort schon durchlebt!«

»Wahr! bei meinem Gott! Dort verlebten wir die schönsten Jahre. Der Wunsch, alle jene Plätze wiederzusehen, welche Zeugen unseres Ruhmes gewesen sind, kommt einem zuweilen.«

»Dann komme jetzt mit mir. – Wir leben vergnügt mit einander und kehren in fünf Monaten zu Ketling zurück. Er wird um diese Zeit zu Hause sein und Skrzetuski wird hier sein.«

»Nein, Freund Michal, dazu ist jetzt für mich nicht die rechte Zeit, aber falls Du ein vermögendes Mädchen in Rus heiratest, so verspreche ich Dir, Dich dorthin zu begleiten und Deiner Installation beizuwohnen.«

Herr Michal geriet ein wenig in Verlegenheit, erwiderte aber sofort: »Mir steht der Sinn nicht nach dem Heiraten. Der beste Beweis dafür ist der, daß ich ins Feld ziehe.«

»Das eben macht mir Kummer, denn ich dachte, ist's nicht die eine, so ist's die andere. Michal, sei nicht gottlos, bedenke doch – wo und wann wird sich Dir eine bessere Gelegenheit darbieten, als gerade jetzt. Ueberlege Dir, daß späterhin Jahre kommen, in welchen Du Dir sagen wirst: Ein jeder hat Weib und Kind, nur ich stehe allein da, wie Matceks einsamer Birnbaum im Feld. Und Leid und unsägliche Sehnsucht wird Dich erfassen. Hättest Du jenes arme Wesen geheiratet, wären Dir Kinder geblieben, nun, so würde ich nichts sagen. Dann hättest Du Nahrung für Dein Herz und den Trost berechtigter Hoffnungen. Aber so wie die Dinge jetzt liegen, ist es nur zu wahrscheinlich, daß die Stunde kommt, in welcher Du Dich vergeblich nach einer verwandten Seele umsiehst und Dich frägst: Lebe ich denn in einem fremden Lande?«

Herr Michal schwieg und überdachte das alles, darum fuhr Zagloba fort, auf ihn einzureden, indem er des kleinen Ritters Gesichtszüge beobachtete: »In meinem Herzen und in meiner Phantasie hatte ich Dir zuerst jenen rosigen Wildfang zugedacht; denn, pro primo, ist sie lauteres Gold, pro secundo, es hat sicher auf Erden noch keine solche Krieger gegeben, wie sie Eurer Ehe entsprießen würden.«

»Sie ist der reinste Sausewind. Ueberdies ist Herr Nowowiejski schon bemüht, ein Liebesfeuer in ihr zu entfachen.«

»Das ist es eben – das ist's! Heute noch würde sie Dich sicherlich vorziehen, denn Dein Ruhm hat es ihr angethan; aber wenn Du gehst und er bleibt – und ich weiß wohl, der Schelm wird bleiben, denn noch giebt's keinen Krieg – wer weiß, was dann geschieht!«

»Basia ist ein Sausewind. Mag sie den Nowowiejski nehmen. – Ich gönn's ihm von Herzen, er ist ein ganzer Kerl!«

»Michal!« sagte Zagloba, die Hände faltend, »bedenke doch, was das für eine Nachkommenschaft gäbe.«

Darauf antwortete der kleine Ritter in naiver Weise: »Ich kannte zwei Brüder Bal, deren Mutter eine Drohojowski war, und sie waren ausgezeichnete Soldaten.«

»Ah, nun bin ich auf der rechten Spur, dahin also führt der Weg,« rief Zagloba.

Herr Michal wurde sehr verlegen. Er spielte mit seinem Schnurrbart, um seine Verwirrung zu verbergen und sagte endlich: »Was sagst Du? Ich weiß von keinem Weg. Als Du von Basia sprachst, der man in der That eine männliche Tapferkeit nachrühmen darf, da kam mir Krzysia in den Sinn, die nur so echte Weiblichkeit zeigt. Wenn man von der einen spricht, gedenkt man unwillkürlich der andern, denn sie sind ja immer bei einander.«

»Schon recht, schon recht! Der Himmel möge auch Deinen Bund mit Krzysia segnen, obschon ich, so wahr Gott lebt, mich sterblich in Basia verliebt hätte, wenn ich jung wäre. Solch ein Weib braucht man im Kriegsfall nicht zu Hause zu lassen; die könntest Du mit ins Feld nehmen und Dir zur Seite haben. Eine solche Frau wäre auch im Zeltlager an ihrem Platze, und käme es zum äußersten, selbst im Schlachtengetümmel würde sie noch die Muskete zu handhaben wissen. Und sie ist so ehrlich, so brav! O mein Wildfang, mein lieber kleiner Wildfang, sie kennen Dich nicht, sie lohnen Dir mit Undank; aber wäre ich so um sechzig Jahre jünger, ich wüßte wohl, was für eine Frau Zagloba in meinem Hause schalten würde.«

»Ich will Basia durchaus nichts von ihren guten Eigenschaften nehmen.«

»Es handelt sich durchaus nicht, ihr etwas zu nehmen, sondern darum, ihr einen Mann zu geben. Aber Du ziehst Krzysia vor.«

»Krzysia ist mein Freund.«

»Also Freund, nicht Freundin? Vermutlich darum, weil sie ein Schnurrbärtchen hat? Ein Freund bin ich Dir, auch Skrzetuski und Ketling sind Deine Freunde. Du brauchst aber eine Freundin, nicht einen Freund. Mache Dir das klar und streue Dir nicht selbst Sand in die Augen. Hüte Dich, Michal, vor einem Freund weiblichen Geschlechts, selbst dann, wenn der Freund ein Schnurrbärtchen hat; denn entweder wirst Du diesen Freund täuschen, oder er täuscht Dich. Der Teufel schläft nicht, und er mischt sich gern in solche Freundschaft ein. Adam und Eva sind ein Beispiel dafür; sie fingen mit der Freundschaft an, bis dem Adam bei dieser Freundschaft der Apfel als Knochen in der Kehle stecken blieb.«

»Ich bitte Euer Liebden, Krzysia nicht zu nahe zu treten, denn das werde ich in keiner Weise dulden.«

»Gott bewahre ihre Tugend! Es geht zwar nichts über meinen kleinen Wildfang, aber auch Krzysia ist ein gutes Mädchen. Bewahre mich der Himmel davor, ihr zu nahe zu treten, aber das will ich Dir sagen: wenn Du neben ihr sitzest, so sind Deine Wangen so rot, als ob Dich jemand gezwickt hätte, Dein Schnurrbart bewegt sich und Dein Vorderhaar sträubt sich, und Du schnaufst und trippelst und scharrst mit den Füßen wie ein Täuberich, und das alles sind die Merkmale der Leidenschaft. Mache andern weiß, daß dies Freundschaft ist, aber nicht mir altem Spatzen.«

»Der so alt ist, daß er auch Dinge sieht, die nicht vorhanden sind!«

»Ich wollte, ich wäre im Irrtum! – Ich wollte, es handelte sich um meinen Wildfang! Michal, gute Nacht. Nimm doch den Wildfang, der Wildfang ist doch viel netter. Nimm den Wildfang, nimm ihn!«

Zagloba stand auf und verließ das Zimmer.

Herr Michal wälzte sich die ganze Nacht schlaflos auf seinem Lager umher, von all den Gedanken beunruhigt, die ihm im Sinn lagen. Er sah Krzysias Gesicht vor sich, die Augen mit den langen Wimpern, die von Flaum bedeckten Lippen. Für Augenblicke entschlummerte er, aber das Bild schwand nicht. Erwachend gedachte er der Worte Zaglobas und erinnerte sich, wie selten der Scharfsinn dieses Mannes sich in irgend etwas getäuscht hatte. Zuweilen, in halbwachem Zustand, leuchtete Basias rosiges Antlitz vor ihm auf, und dieser Anblick beruhigte ihn; aber bald wieder erschien Krzysia an ihrer Stelle. Der arme Ritter – kehrt er sich gegen die Wand, sieht er ihre Augen, kehrt er sich gegen das dunkle Zimmer, sieht er wieder ihre Augen und in ihnen einen schmachtenden, ermunternden Ausdruck. Zuweilen schlossen sich diese Augen, als ob sie sagen wollten: »Dein Wille geschehe!« Herr Michal setzte sich im Bett auf und bekreuzte sich.

Gegen Morgen floh ihn der Schlaf vollständig, und es wurde ihm so bang, so schwer zu Mute. Er schämte sich und machte sich Vorwürfe darüber, daß ihm nicht im Geist jene Teure, Dahingeschiedene vorschwebe, daß seine Augen, sein Herz, seine Seele nicht von ihr erfüllt waren, sondern von der andern, der Lebenden. Es war ihm zu Mut, als habe er sich an Anusias Andenken versündigt. Er schüttelte sich einmal, zweimal, dann sprang er aus dem Bett und betete das Vaterunser.

Als er zu Ende war, legte er den Finger an die Stirne und sagte: »Ich muß so bald als möglich fort von hier und diese Freundschaft sogleich im Zaum halten, denn vielleicht hat Zagloba recht!«

Dann ging er viel beruhigter und heiterer hinab zum Frühmahle. Später gab er Basia Fechtunterricht und – zweifellos – er fühlte sich zum erstenmal auch von ihrem Anblick angezogen, so schön erschien sie ihm mit ihren geröteten Wangen und ihrer geschmeidigen Gestalt. Es schien, als ob er Krzysia vermeiden wolle, und sie bemerkte dies und ihre vor Erstaunen weitgeöffneten Augen folgten ihm. Allein er mied sogar ihren Blick. Es war ihm dabei sehr weh ums Herz, aber er hielt aus. Nach Tische ging er mit Basia in die Rüstkammer, wo Ketling eine Sammlung von allerhand Kriegsgeräten hatte. Er zeigte ihr verschiedene Waffen und erklärte ihr deren Gebrauch. Dann schossen sie mit Astrachanschen Bogen nach der Scheibe. Das Mädchen, von dieser Unterhaltung ganz entzückt, plauderte in einer so lebhaften Weise, daß die Frau Truchsessin ihr endlich Einhalt that. – So verfloß der zweite Tag. Am dritten fuhr Herr Michal mit Zagloba nach Warschau in den Danilowiczschen Palast, um näheres über den Zeitpunkt der Abreise zu erfahren. Am Abend berichtete er den Frauen, daß er sich längstens in einer Woche auf den Weg machen müsse. Er versuchte das in einem nachlässigen und heiteren Tone zu sagen, Krzysia sah er mit keinem Auge an. Das junge Mädchen war sehr unruhig; sie versuchte ihn über allerlei Dinge zu befragen; er antwortete höflich und in freundlicher Weise, befaßte sich aber mehr mit Basia.

Zagloba, darin die Frucht seiner Ratschläge erkennend, rieb sich die Hände vor Entzücken; allein da seinem Auge nichts entging, bemerkte er auch Krzysias Betrübnis. »Sie ist verändert,« dachte er, »sie ist merklich verändert. Na! thut nichts! Das ist die Art der Schönen! Aber Michal hat früher eingelenkt, als ich zu hoffen wagte. Er ist ein ganzer Mann, aber in der Liebe ist er und bleibt er ein Wirbelwind.«

Zagloba hatte ein gutes Herz, und Fräulein Krzysia that ihm mit einem Male herzlich leid. »Ich will dem Mädchen nichts direkt sagen, aber ich muß irgend einen Trost für sie aussinnen.« Mit dem Vorrecht des Alters und der weißen Haare näherte er sich ihr nach dem Abendessen und begann ihr seidenweiches schwarzes Haar zu streicheln. Sie saß ruhig da und erhob ihre sanften Augen zu ihm, etwas erstaunt über seine Zärtlichkeit, aber nicht undankbar dafür.

Des Abends gab Zagloba dem Herrn Michal an der Thüre zu dessen Schlafkammer einen leichten Rippenstoß. »Nun, wie ist's?« sagte er. »Geht irgend wer über den Wildfang?«

»Ein reizendes Zicklein!« antwortete Wolodyjowski. »Sie allein macht so viel Lärm im Hause, wie vier Soldaten zusammen. Ein regelrechter Trommler.«

»Ein Trommler? Gott gebe, daß sie bald Deiner Trommel folge.«

»Gute Nacht!«

»Gute Nacht! Wunderliche Geschöpfe, diese Lockenköpfe! Merktest Du nicht, wie Krzysias Aussehen sich veränderte, wenn Du Dich Basia nur ein bischen nähertest?«

»Ich habe nichts ... gemerkt!« antwortete der kleine Ritter.

»Als ob ihr jemand einen Schlag versetzte.«

»Gute Nacht!« wiederholte Wolodyjowski und ging rasch in seine Kammer.

Zagloba, auf des kleinen Ritters Unbeständigkeit zählend, verrechnete sich einigermaßen und handelte etwas ungeschickt, als er Krzysias Veränderung erwähnte. Herrn Michal überkam dadurch ein solches Gefühl von Rührung, daß es ihm die Kehle zuzuschnüren schien.

»Und so belohne ich sie für ihre Güte und für den schwesterlichen Trost, den sie meinem Gram brachte,« sagte er sich. »Was habe ich ihr Schlimmes gethan?« fragte er sich nach einem Augenblick der Ueberlegung. »Was habe ich ihr gethan? Ich habe sie drei Tage lang vernachlässigt, was zum mindesten unhöflich war. Ich vernachlässigte solch ein süßes Mägdlein, ein so geliebtes Wesen! Sie wollte meine Wunden heilen, und ich lohnte ihr mit Undank! Wenn ich nur, ohne sie zu kränken, Maß zu halten und diese gefährliche Freundschaft einzudämmen verstünde; aber offenbar bin ich nicht klug genug für ein solches Verfahren!«

Herr Michal zürnte auf sich selbst und zugleich erwachte ein tiefes Mitleid in seiner Brust. Unwillkürlich war ihm nun Krzysia das geliebte Wesen, dem er ein Unrecht zugefügt. Von Minute zu Minute wuchs sein Ingrimm über sich selbst.

»Ein Barbar bin ich! ein Barbar!« wiederholte er. Und Basia trat in seinen Gedanken weit hinter Krzysia zurück. »Mag, wer Lust hat, das Zicklein, die Windmühle, die Ratsche nehmen, der Nowowiejski oder der Teufel ... mir ist's einerlei ...«

Sein Zorn gegen die völlig schuldlose Basia wuchs immer mehr, ohne daß es ihm in den Sinn gekommen wäre, daß er ihr gegenüber mehr im Unrecht war, als Krzysia gegenüber mit seiner erkünstelten Gleichgültigkeit.

Krzysias weiblicher Instinkt erriet sofort, daß in Herrn Wolodyjowskis Innerem eine Wandlung vor sich gehe. Es war ein bitterer Schmerz für sie, daß der kleine Ritter sie zu meiden schien; allein sie war sich darüber klar geworden, daß ihr bisheriges Freundschaftsverhältnis nicht so hätte bleiben können, und daß jetzt ein entscheidender Augenblick eingetreten sei, der es entweder noch enger gestalte oder ganz löse. Eine Unruhe ergriff sie, die sich bei dem Gedanken an die baldige Abreise Wolodyjowskis immer mehr steigerte. Noch war in ihrem Herzen die Liebe nicht erwacht, und sie war in diesem Punkte noch nicht zu irgend einem Bewußtsein über sich selbst gelangt; aber die Fähigkeit zu lieben lag ihr in Herz und Sinn.

Vielleicht war ihr auch der Kopf ein wenig durch den Ruhm des Herrn Wolodyjowski verdreht. Galt er doch für den ersten Krieger der Republik. Seinen Namen sprach jeder Ritter mit Ehrfurcht aus. Seine Schwester erhob sein Verdienst bis zum Himmel; das Unglück gab ihm einen weiteren Reiz, und das junge Mädchen, das mit ihm unter einem Dache lebte, war überdies an sein Aeußeres gewöhnt.

Krzysias Natur verlangte danach, geliebt zu sein; darum litt ihr Selbstgefühl nicht wenig, als Herr Michal sie in diesen letzten Tagen mit Gleichgültigkeit behandelte. Da sie aber ein gutes Herz hatte, beschloß sie, ihm weder ein böses Gesicht zu zeigen, noch ihren Unwillen fühlen zu lassen, sondern ihn durch Güte zu gewinnen. Das wurde ihr um so leichter, weil Herr Michal am folgenden Tag eine reuige Miene zeigte und nicht nur ihren Blick nicht vermied, sondern ihr in die Augen schaute, als wolle er sagen: »Gestern habe ich Dich gekränkt; heute bitte ich Dich um Deine Vergebung.« Und seine Augensprache war so beredt, daß unter der Einwirkung dieser Blicke Krzysias Wangen sich mit Blut übergossen und ihre Unruhe unter dem Vorgefühl zunahm, etwas Wichtiges werde sich ereignen. Und in der That, es ereignete sich etwas. Des Nachmittags fuhr die Frau Truchsessin mit Basia zu deren Verwandten, der Gemahlin des Lemberger Kämmerers, welche sich in Warschau aufhielt. Krzysia hatte Kopfweh vorgeschützt; sie war begierig zu wissen, was sie und Herr Michal sich zu sagen haben würden, wenn man sie allein ließ.

Zagloba ging zwar nicht mit zu der Frau Kämmererin, allein er hatte die Gewohnheit, nach Tisch einige Stunden zu schlafen, denn er behauptete, das sei ein Präservativ gegen Schwerfälligkeit und schaffe ihm auf den Abend einen heiteren Sinn; und er machte in der That Anstalt, sich auf sein Zimmer zurückzuziehen, nachdem er etwa eine Stunde geplaudert hatte. Krzysias Herz begann sofort unruhiger zu schlagen. Aber welche Enttäuschung wartete ihrer! Herr Michal sprang plötzlich auf und entfernte sich zugleich mit Zagloba.

»Er kommt bald zurück,« – dachte Krzysia. Und den Stickrahmen ergreifend, begann sie den Boden einer Kappe mit Gold zu sticken, welche Herr Michal als Reisegeschenk erhalten sollte. Ihre Augen schauten jedoch immer wieder nach der Danziger Uhr, deren langsames, ernstes Tiktak aus einer Ecke des Ketlingschen Empfangszimmers sich hören ließ.

Und eine Stunde um die andere verrann, ohne daß Herr Michal sich sehen ließ. Krzysia legte den Stickrahmen auf ihre Kniee, faltete die Hände und sprach in gedämpftem Tone: »Er fürchtet sich; doch bevor er einen Entschluß faßt, können die andern zurückkommen, ohne daß wir uns ausgesprochen haben! Oder Zagloba wird erwachen ...«

Es schien ihr in diesem Augenblick in der That, als hätten sie von irgend einer sehr wichtigen Angelegenheit zu sprechen, welche durch Wolodyjowskis Verschulden einen Aufschub erleiden könne. Endlich ließen sich seine Schritte im anstoßenden Gemach vernehmen.

»Er wandert rings um das Zimmer,« dachte sie und begann wieder fleißig zu sticken.

Wolodyjowski wanderte in der That im Kreis herum; auf seinem Wege durch das Zimmer fand er nicht den Mut einzutreten. Mittlerweile warf die Sonne rötliche Strahlen und näherte sich ihrem Untergange.

»Herr Michal!« rief plötzlich Krzysia.

Er trat ein und fand sie mit ihrer Arbeit beschäftigt. »Fräulein hat mich gerufen?«

»Ich wollte nur wissen, ob nicht etwa ein Fremder dort im Zimmer auf und ab schreite; seit zwei Stunden schon bin ich hier ganz allein.«

Wolodyjowski rückte einen Sessel herbei und setzte sich auf dessen äußersten Rand. Eine längere Zeit verstrich. Er schwieg. Seine Füße scharrten, als er sie unter den Tisch schob, und sein Schnurrbart bebte. Krzysia hörte auf zu sticken und erhob ihre Augen zu ihm; ihre Blicke begegneten sich, dann plötzlich senkten beide die Augen.

Als Wolodyjowski wieder aufschaute, fielen die letzten Strahlen der untergehenden Sonne auf Krzysias Antlitz und zeigten es in leuchtender Schönheit und vergoldeten die Wellen ihres Haares.

»In einigen Tagen gedenkt Euer Liebden abzureisen?« sagte sie so leise, daß Herr Michal sie kaum hören konnte.

»Es ist anders nicht möglich!«

Wieder ein Augenblick des Schweigens! – dann sagte Krzysia: »Ich dachte in diesen letzten Tagen, Ihr zürntet auf mich.«

»Beim Himmel,« rief Wolodyjowski, »ich wäre Eures Blickes nicht wert, gnädiges Fräulein, wäre dies der Fall gewesen; allein so war es nicht.«

»Was war es also?« frug Krzysia abermals, ihre Augen zu ihm erhebend.

»Ich will ganz aufrichtig sprechen, denn ich bin der Meinung, daß Aufrichtigkeit immer besser ist, als Verstellung ... Aber ... aber ich vermag nicht zu sagen, welchen Trost das Fräulein meinem Herzen gegeben und wie dankbar ich dafür bin.«

»Gott gebe, daß es immer so bleibe!« sagte Krzysia, die Hände über dem Stickrahmen faltend.

Darauf erwiderte Herr Michal in großer Betrübnis: »Gott gebe es! Gott gebe es – aber Herr Zagloba sagte mir – ich spreche zu Euch, mein Fräulein, wie zu einem Priester – Herr Zagloba sagte mir, daß Freundschaft mit Frauen eine gefährliche Sache sei, denn eine heißere Empfindung kann sich unter ihr, wie Glut unter der Asche, verbergen. Ich aber dachte, daß vielleicht Herr Zagloba nicht unrecht habe. Und – vergeben Fräulein einem einfachen Soldaten – ein anderer würde es geschickter vorbringen – es zerreißt mir das Herz, daß ich Euch in diesen letzten Tagen gekränkt habe ... und das Leben ist mir zuwider.«

Nach diesen Worten begann Herrn Michals Schnurrbart sich immer rascher zu bewegen. Krzysia senkte das Köpfchen und nach einer Weile rollten zwei stumme Thränen über ihre Wangen.

»Ich will meine schwesterliche Zuneigung zu verbergen suchen, wenn Euch das besser erscheint.« Ein zweites Thränenpaar und dann ein drittes lief über ihre Wangen.

Dieser Anblick zerriß Herrn Wolodyjowskis Herz ganz und gar; er sprang auf und ergriff leidenschaftlich ihre Hände. Der Stickrahmen fiel von ihrem Schoß und rollte bis in die Mitte des Gemaches; der Ritter jedoch hatte des nicht acht, er preßte nur diese warmen, zarten, sammetweichen Hände an die Lippen und sagte immer wieder: »Weint nicht, um Gottes willen, weint nicht!«

Und Herr Michal fuhr gerührt fort, ihre Hände zu küssen, auch dann noch, als Krzysia sie – wie die Leute in bedrängter Lage zu thun pflegen – über dem Kopfe faltete. Und beim Gedanken an diese Thränen verlor er alle Fassung, er wußte nicht, wie und wann es geschah, aber seine Lippen berührten mit noch innigerem Kusse ihre Stirne, glitten herab auf ihre thränenerfüllten Augen, und nun wurde er völlig wie von Rührung übermannt. Er schlang seinen Arm um ihre Schultern und ihre Lippen begegneten sich in einem langen Kusse.

Tiefe Stille herrschte im Gemach, nur von dem Tiktak des gravitätisch hin und herschwingenden Pendels der Uhr unterbrochen.

Plötzlich erschallten Basias stampfende Schritte aus dem Hausflur, und man hörte ihre kindliche Stimme wiederholt rufen: »Wie kalt, wie kalt, wie kalt!«

Herr Michal sprang von Krzysia weg wie ein von seinem Opfer verscheuchter Luchs und in diesem Augenblick stürmte Basia lärmend herein, indem sie fortwährend rief: »Wie kalt! wie kalt! wie kalt!« Mit einem Male stolperte sie über den auf dem Boden liegenden Stickrahmen. Sie blieb stehen und schaute verwundert bald auf den Rahmen, bald auf Krzysia, bald auf den kleinen Ritter und sagte: »Was soll das? Habt Ihr Euch damit geworfen wie mit einem Wurfgeschoß?«

»Wo ist denn Tantchen?« frug Krzysia, bemüht, ihrer auf und abwogenden Brust einen ruhigen, natürlichen Stimmklang abzuringen.

»Tantchen steigt nach und nach vom Schlitten herab,« antwortete Basia mit gleichfalls veränderter Stimme. Ihre Nasenflügel bewegten sich auf und nieder. Noch einen Blick warf sie auf Krzysia und Herrn Wolodyjowski, welcher im Begriff war, den Stickrahmen aufzuheben, dann verließ sie plötzlich das Zimmer.

In diesem Augenblick wälzte sich die Frau Truchsessin herein; Herr Zagloba kam die Treppe herunter und ein Gespräch über die Gemahlin des Lemberger Kämmerers begann.

»Ich wußte nicht, daß sie die Taufpatin des Herrn Nowowiejski ist,« sagte die Frau Truchsessin; »er muß sie zur Vertrauten gemacht haben, denn sie neckte Basia schrecklich mit ihm?«

»Was sagte Basia dazu?« frug Zagloba.

»Ach was, Basia! Ein Hund braucht einen Halfter! Sie gab der Frau Kämmererin zur Antwort: ›Ihm fehlt der Schnurrbart und mir der Verstand, und wer weiß, wer früher zu dem Seinen kommt!‹«

»Ich wußte es ja, daß sie nicht auf den Mund gefallen ist; aber wie sie eigentlich denkt, wer weiß das? – O über die Schlauheit der Weiber!«

»Basia trägt immer das Herz auf den Lippen. Ueberdies sagte ich zu Euer Gnaden bereits einmal, daß sie bis jetzt Gottes Gebot noch nicht vernommen hat. Bei Krzysia dagegen ist das anders!«

»Tantchen!« stieß Krzysia plötzlich hervor.

Das Gespräch wurde durch den Diener unterbrochen, welcher meldete, das Abendessen sei aufgetragen.

Alle begaben sich in das Speisezimmer; nur Basia fehlte.

»Wo ist das Fräulein?« frug die Frau Truchsessin den Diener.

»Das Fräulein ist im Pferdestall. Ich sagte dem Fräulein, das Nachtessen sei bereit, das Fräulein aber sagte: ›Schon gut!‹ und ging in den Stall.«

»Ist ihr etwas Unangenehmes widerfahren? Sie war so lustig!« sagte die Frau Truchsessin zu Zagloba gewendet.

Darauf entgegnete der kleine Ritter, den sein Gewissen schlug: »Ich will gehen und sie holen.« Und er eilte hinaus. Er fand sie auch richtig hinter der Stallthüre auf einem Heubündel sitzen. Sie war so in Gedanken versunken, daß sie seinen Eintritt gar nicht bemerkte.

»Fräulein Barbara!« sagte er, sich über sie beugend.

Basia schrak zusammen, wie aus dem Schlaf geweckt, und als sie die Augen zu ihm aufhob, gewahrte Herr Wolodyjowski zu seinem Erstaunen darin große Thränen.

»Ums Himmels willen! Was fehlt Euch, Fräulein? Ihr weint?«

»Fällt mir nicht ein,« rief Basia aufspringend, »fällt mir nicht ein! Das kommt von der Kälte!« Und sie lachte lustig, doch war dies Lachen ein wenig gezwungen. Dann suchte sie die Aufmerksamkeit von sich abzulenken, indem sie nach dem Stand wies, wo das Reitpferd untergebracht war, welches Wolodyjowski von dem Hetman zum Geschenk erhalten hatte, und bemerkte lebhaft: »Euer Liebden sagten, es sei gefährlich, sich dem Pferde zu nähern? Nun, wir wollen sehen!«

Und bevor Herr Michal sie daran zu hindern vermochte, war sie in dem Pferdestand. Das wilde Streitroß begann sofort, sich zu bäumen, zu stampfen und die Ohren zurückzulegen.

»Um Gottes willen! es könnte Euch totschlagen!« schrie Herr Michal, ihr nachspringend.

Aber Basia klopfte bereits mit der flachen Hand den Hals des Pferdes, indem sie sagte: »Es soll mich totschlagen, totschlagen, totschlagen!«

Das Pferd jedoch wandte ihr die dampfenden Nüstern zu und wieherte leise, als freue es sich des Hätschelns.


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