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II

Azya lenkte sein Roß so dicht an den Zelter Basias, daß sein Steigbügel beinahe den ihren berührte, und schweigend ritt er so noch etwa zwanzig Schritte weiter. Er bedurfte dieser Zeit, um sein Inneres völlig zu beruhigen und wunderte sich selbst darüber, daß er eine solche Kraftanstrengung nötig hatte, um ruhig zu werden, da ja Basia in seiner Hand war, und es keine Macht der Welt gab, die sie ihm hätte entreißen können. Er war sich nicht bewußt, daß ungeachtet aller Unwahrscheinlichkeit, ungeachtet des gegenteiligen Augenscheins, denn doch ein Funke von Hoffnung in ihm glühte, es werde das heißersehnte Weib seine Liebe erwidern. Wenn auch diese Hoffnung nur schwach war, der Wunsch, daß sie in Erfüllung gehe, war so gewaltig, daß er wie von Fieberschauern geschüttelt wurde. Daß die so heißersehnte weder mit ausgebreiteten Armen an seine Brust sinken, noch die Worte »Azya, ich bin die Deine« aussprechen werde – Worte, von denen er ganze Nächte hindurch geträumt – noch mit ihren an seinen Lippen hangen werde, das wußte er. Aber wie würde sie seine Worte aufnehmen? Was wird sie sagen? Wird sie alle Empfindung verlieren, wie die Taube in den Klauen des Raubvogels, und wird sie sich ergreifen lassen, wie sich die hilflose Taube dem Geier ergiebt? Wird sie unter Thränen um Barmherzigkeit flehen oder diese Einöde mit dem Aufschrei des Entsetzens erfüllen? Wird mehr als dies oder weniger geschehen? ... Solche Fragen bestürmten das Hirn des Tataren. Und doch, die Stunde war gekommen, alle Verstellung, jede Rücksicht aufzugeben und ihr sein wahres, schreckliches Antlitz zu zeigen ... Fort mit der Angst, fort mit der Unruhe – ha, noch einen Augenblick und alles wird sich erfüllen!

Zuletzt wandelte sich jene Bangigkeit im Innern des Tataren in der Weise um, wie dies meist bei der Angst wilder Tiere der Fall ist – sie wurde zur Wut, und nun stachelte er sich selbst mit dieser Wut auf. »Was auch geschehen mag,« dachte er bei sich, »sie ist mein, sie gehört mir ganz an, sie wird noch heute die Meine und bleibt auch morgen mein, und dann ziemt es ihr nicht mehr, zu ihrem Gatten zurückzukehren, und sie wird mir folgen.«

Bei diesem Gedanken erfaßte ihn wildes Entzücken, und er sagte plötzlich mit einer Stimme, welche ihn selbst fremd anmutete:

»Euer Gnaden haben mich bisher noch nicht gekannt!«

»Wie klingt doch Eure Stimme in diesem Nebel anders als sonst,« entgegnete Basia nicht ohne Unruhe. »Es ist in der That, als ob ein anderer spräche.«

»In Mohilow sind keine Truppen, in Jampol keine, in Raszkow auch keine. Ich allein bin hier der Herr ... Kryczynski, Adurowicz und die andern sind meine Unterthanen, denn ich bin ein Fürst, bin eines Herrschers Sohn – ich bin ihr Vezier, ich bin ihr höchster Murza, ich bin ihr Anführer wie es Tuchay-Bey gewesen, bin ihr Khan, ich allein bin der Machthaber, alles hier liegt in meiner Hand ...«

»Warum sagt Ihr mir dies?«

»Euer Gnaden kannten mich bisher noch nicht ... Raszkow ist nicht mehr fern ... Ich wollte Hetman der Tataren werden und der Republik meine Dienste weihen, allein Herr Sobieski gestattete das nicht ... Nicht will ich länger Lipker bleiben, nicht länger dienen unter fremdem Kommando, sondern lieber selbst große Horden anführen gegen Doroszenko oder gegen die Republik, wie es Euer Gnaden wünschen, wie es Euer Gnaden befehlen! ...«

»Wie ich es befehle? ... Azya, was geht mit Euch vor?«

»Das geht vor, daß hier alle meine Untergebenen sind, ich aber Euer Untergebener bin! Was kümmert mich der Hetman! Ob er's gestattet oder nicht gestattet. Ein einzig Wort aus Euer Gnaden Munde und ich lege Euer Gnaden Akerman zu Füßen, lege die Dobrucza zu Euern Füßen, und diese Horden, welche hier ihre Ansiedelungen haben, wie auch die, welche in den »wilden Feldern« hausen und jene, welche allerwärts ihre Winterquartiere haben, sie werden ebenso Euer Gnaden Unterthanen sein, wie ich Euer Unterthan bin! ... Befehlt – und ich verweigere dem Khan der Krim den Gehorsam, ebenso wie dem Sultan; ich werde mit dem Schwert gegen sie kämpfen und der Republik helfen, ich will eine neue Kriegshorde in dieser Gegend aufstellen und sie sollen sich mir, ihrem Khan, unterwerfen, ebenso wie ich mich Deinen Befehlen unterwerfe. Vor Dir allein beuge ich mich huldigend zur Erde nieder. Dich allein flehe ich um Gnade, um Erbarmen an!«

Nach diesen Worten beugte er sich im Sattel vor, und das von seinen Worten verstörte und halb betäubte Weib umfassend, fuhr er fort, mit heiserer Stimme rasch auf sie einzureden:

»Hast Du es nicht gewußt, daß ich Dich allein liebe! ... Und was hab' ich gelitten! ... Jetzt nehme ich Dich mit mir fort! ... Du bist schon die Meine, und Du bleibst die Meine ... Keiner kann Dich hier meinen Händen entreißen ... Mein bist Du!«

»Jesus Maria!« schrie Basia auf.

Doch er umfaßte sie dermaßen, als ob er sie erdrücken wolle ... Ein kurzer, keuchender Atem entrang sich seiner Brust, sein Auge umflorte sich; zuletzt zog er sie mit Gewalt aus den Steigbügeln, aus dem Sattel, setzte sie vor sich aufs Pferd nieder und hielt sie krampfhaft fest, indem er ihren Mund zu küssen suchte.

Ohne einen Laut zu äußern, begann sie mit unerwarteter Kraft Widerstand zu leisten; es entspann sich ein Kampf zwischen ihnen, bei welchem nur die keuchenden Atemzüge beider zu hören waren. Die Heftigkeit seiner Bewegungen und die Nähe seines Gesichtes gaben ihr die Geistesgegenwart zurück. Sie geriet in einen Zustand der Hellsichtigkeit, wie er sonst nur bei Ertrinkenden vorkommt! Mit einemmale empfand sie alles mit der größten Klarheit. Zuerst war ihr zu Mut, als versinke die Erde unter ihren Füßen und ein bodenloser Abgrund thue sich auf, in welchen er sie hineinzureißen suche; sie sah seine Leidenschaft, erkannte seinen Verrat, ihr eigenes entsetzliches Schicksal, ihre Ohnmacht und Hilflosigkeit. Es überkam sie ein Gefühl der Angst, dann des schrecklichsten Wehes und Leides; zugleich aber loderte in ihrem Inneren die Flamme der furchtbarsten Empörung, der Wut und des Wunsches nach Rache auf. So groß war der Mut dieses heldenhaften Kindes, dieses auserwählten Weibes des tapfersten Ritters der Republik, daß in jenem grauenvollen Augenblick in Ihrem Innern der Gedanke »ich will mich rächen« vor dem Gedanken »ich will mich retten« auftauchte. Alle ihre Geisteskräfte waren aufs höchste angespannt, ähnlich wie sich in einem Augenblick des Entsetzens das Haar auf dem Kopfe sträubt; und jene Hellsichtigkeit der Ertrinkenden streifte bei ihr fast ans Wunderbare. Während des Kampfes begannen ihre Hände nach einer Waffe zu suchen; endlich faßte sie den Elfenbeingriff einer orientalischen Pistole. Aber sie hatte gleichzeitig die Geistesgegenwart, zu überlegen, daß selbst wenn die Pistole geladen wäre und es ihr gelänge, den Hahn zu spannen, er doch, ehe sie den Lauf auf seinen Kopf richten könne, ihre Hand ergreifen und sie des letzten Rettungsmittels berauben würde. Darum beschloß sie, ihn auf andere Weise anzugreifen.

... All dies währte kaum einen Augenblick. Er hatte in der That einen Angriff vorausgesehen und streckte schnell wie der Blitz seine Hand aus; allein er hatte die Art ihrer Bewegung nicht berechnet, beider Hände flogen aneinander vorbei und Basia schlug ihm voll verzweifelter Kraft mit ihrer jungen mutigen Faust den elfenbeinernen Griff der Pistole zwischen die Augen.

Der Schlag war so furchtbar, daß Azya, unvermögend aufzuschreien, rücklings vom Sattel fiel und sie mit herabriß.

Im nächsten Augenblick sprang Basia auf, schwang sich auf ihren Zelter und sprengte mit Windeseile davon, nach der anderen Seite des Dniestr, der weiten Steppe zu.

Sie verschwand in dem dichten Nebelschleier. Ihr Pferd raste mit zurückgelegten Ohren weiter, zwischen Felsen hindurch, über Erdspalten, Wasserrinnen und durch Schluchten. Jeden Augenblick konnte der Renner in eine Spalte stürzen, jeden Augenblick samt der Reiterin an einer Felsenkante zerschellen; allein Basia hatte des nicht acht. Für sie waren Azya und die Lipker die entsetzlichste Gefahr. Es war seltsam! Jetzt, wo sie den Klauen des Räubers entflohen war, und er wahrscheinlich tot inmitten des Felsengesteines lag, nahm Furcht ihr ganzes Wesen gefangen. Mit dem Gesichte auf der Mähne des Renners liegend, welcher im Nebel gleich der von Wölfen verfolgten Hindin dahinschoß, fürchtete sie Azya mehr als in dem Augenblick, da sie in seinen Armen lag; sie war voll Angst und fühlte ihre Ohnmacht und hatte die Empfindungen eines hilflosen, verwirrten, auf Gottes Gnade angewiesenen, einsamen, verlassenen Kindes. Klagende Stimmen wurden in ihrem Inneren laut und riefen unter Seufzen, Angst, Kummer und Schmerz um Hilfe:

»Michal, rette mich! ... Michal, rette mich!« ...

Das Pferd aber rannte weiter und weiter; von einem wunderbaren Instinkt geleitet, sprang es über Wasserrinnen, wich mit geschmeidiger Bewegung vorspringenden Felskanten aus, bis sein Hufschlag nicht mehr auf steinigem Boden widerdröhnte; offenbar war es auf eine der sumpfigen Wiesen geraten, welche sich da und dort zwischen den Schluchten dahinzogen.

Schweiß bedeckte es über und über; laut schnoben seine Nüstern, aber es rannte unaufhaltsam weiter.

»Wohin soll ich fliehen?« dachte Basia.

Und im Augenblick kam ihr die Antwort:

»Nach Chreptiow!«

Aber neue Angst erfaßte ihr Herz bei dem Gedanken an den weiten, durch furchtbare Wildnisse führenden Weg. Ihr kam plötzlich in den Sinn, daß Azya zu Mohilow und zu Jampol Abteilungen der Lipker zurückgelassen. Zweifellos waren sie alle miteinander verschworen; sie alle dienten Azya, und sie würden sie sicher ergreifen und nach Raszkow bringen; darum war es ratsam, weit hinein in die Steppe zu flüchten, und erst dann, mit Umgehung der Ansiedelungen am Dniestr, nach Norden sich zu wenden.

Dies empfahl sich um so mehr, weil eine etwaige Verfolgung unzweifelhaft den Weg längs der Ufer des Dniestr nehmen würde, während es nicht unmöglich war, in den weiten Steppen einem nach dem Fort zurückkehrenden polnischen Streifkommando zu begegnen.

Der Lauf des Pferdes wurde allmählich langsamer. Basia begriff als erfahrene Reiterin sofort, daß man ihm Ruhe gönnen müsse, damit es nicht falle; sie wußte auch, daß sie ohne ein Pferd inmitten dieser Wüstenei verloren wäre.

Sie hielt also das Roß zurück und ritt während einiger Zeit im Schritt weiter. Der Nebel war lichter geworden, aber dem Körper des armen Tieres entstieg eine heiße Dampfwolke.

Basia begann zu beten.

Plötzlich vernahm sie aus dem Nebel, etwa einige hundert Schritte hinter sich, Pferdegewieher. Ihre Haare sträubten sich.

»Mein Pferd wird fallen, aber auch die anderen werden zu Grunde gehen!« sagte sie laut; und wieder sprengte sie davon.

Einige Zeit flog der Zelter mit der Schnelligkeit einer von einem Falken verfolgten Taube weiter, und er lief bis zur äußersten Erschöpfung seiner Kräfte; aber das Wiehern ließ sich immer wieder in einiger Entfernung hinter ihm vernehmen. Es lag in diesem aus dem Nebel schallenden Gewieher etwas zugleich Banges und Drohendes. Nachdem der erste Schreck vorüber war, kam es Basia in den Sinn, daß das Pferd sicher nicht wiehern würde, wenn jemand darauf säße, denn der Reiter würde das zu verhindern wissen, um die Verfolgung nicht zu verraten.

»Es kann nicht anders sein, Azyas tatarisches Roß folgt meinem Pferd,« dachte Basia.

Zur Vorsicht zog sie beide Pistolen aus dem Halfter; aber diese Vorsicht war überflüssig. Nach einer Weile zeigte sich ein dunkler Punkt in dem lichter werdenden Nebel und Azyas Roß sprengte mit fliegender Mähne und geblähten Nüstern heran. Den Zelter erblickend, näherte es sich ihm in lustigen Sprüngen, ein abgebrochenes Wiehern ausstoßend, das dieser sofort erwiderte.

»Das Pferd, das Pferd!« rief Basia.

Das Tier, an Menschen gewöhnt, kam näher und ließ sich am Zügel fassen, Basia aber wandte die Augen gen Himmel und sprach:

»Deine Hilfe, o Gott!«

In der That, das Einfangen von Azyas Pferd war ein in jeder Beziehung für sie günstiger Umstand. In erster Reihe war es wichtig, daß die beiden besten Pferde der ganzen Abteilung in ihrer Hand waren; dann konnte sie das Pferd wechseln, endlich war die Anwesenheit des Tieres eine Bürgschaft dafür, daß nicht so bald eine Verfolgung stattfinden werde. Wäre Azyas Pferd auf die Abteilung der Lipker gestoßen, so würden diese, durch den Anblick beunruhigt, sofort umgekehrt sein, um ihren Anführer zu suchen; jetzt jedoch würde es ihnen voraussichtlich nicht in den Sinn kommen, es könne ihm etwas zugestoßen sein, und sie würden erst dann Nachforschungen anstellen, wenn dessen allzu langes Ausbleiben sie beunruhigte.

»Zu dieser Zeit aber bin ich schon weit entfernt,« sagte sich Basia.

Zum zweitenmal dachte sie jetzt daran, daß Azya Mannschaft zu Jampol und zu Mohilow zurückgelassen hatte.

»Ich muß den Weg durch die weiten Steppen nehmen und darf mich dem Flusse erst dann nähern, wenn ich mich in der Gegend von Chreptiow befinde. – Jener furchtbare Mensch hat seine Netze schlau gestellt, aber Gott wird mich retten.«

Unter solchen Gedanken faßte sie wieder Mut und machte sich bereit, die Reise fortzusetzen. An dem Sattelknopf von Azyas Pferd fand sie eine Muskete, ein Pulverhorn, einen Beutel voll Kugeln und einen Beutel voll Hanfsamen, welchen der Tatar fortwährend zu kauen die Gewohnheit hatte. Während Basia die Steigbügel am Sattel des Tatarenpferdes nach ihrem Fuße kürzte, dachte sie daran, daß sie während der ganzen Reise sich gleich einem Vogel von diesem Hanfsamen werde nähren müssen, weshalb sie ihn auch sorgsam verwahrte.

Sie beschloß, Menschen und einzelnen Gehöften auszuweichen, denn in diesen Wildnissen mußte man sich eher des Schlimmen als des Guten von den Leuten versehen. Sorge aber krampfte ihr das Herz zusammen, wenn sie sich fragte: »Womit soll ich die Pferde füttern?« Sie würden wohl aus eigenem Antrieb das Gras unter dem Schnee und das Moos zwischen den Felsenspalten hervorscharren, aber würden sie nicht durch das schlechte Futter und die anstrengende Reise zu Grunde gehen? – Und sie konnte sie ja doch nicht schonen! ...

Eine weitere Furcht war die: würde sie sich in diesen Wildnissen nicht verirren? Das war zu vermeiden, wenn man sich an dem Ufer des Dniestr hielt, allein sie durfte diesen Weg nicht wählen. Und wie würde es sein, wenn sie sich in die düstere, ungeheure, weglose Wüstenei hineinwagte?

Wie sollte sie erkennen, ob sie die Richtung nach Norden oder irgend eine andere Richtung einschlage, sobald neblige Tage ohne Sonnenschein und sternenlose Nächte kämen? Daß es in der Steppe von wilden Tieren wimmelte, bekümmerte sie weniger, denn sie hatte ein mutiges Herz und sie hatte Waffen. Die in Rudeln umherziehenden Wölfe konnten wohl gefährlich werden, allein sie fürchtete die Menschen mehr als die Tiere, und vor allem fürchtete sie, sich zu verirren.

»Ach! Gott wird mir den Weg zeigen und seine Gnade wird mich zu Michal zurückführen –« sagte sie laut.

Sie bekreuzte sich, wischte mit dem Aermel die Feuchtigkeit ab, welche ihre blassen Wangen durchkältete, betrachtete mit scharfen Augen die Gegend ringsum und setzte die Pferde in Galopp.


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