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III

Niemand dachte daran, nach dem Sohn des Tuchay-Bey zu suchen; darum lag er so lange auf der Erde, bis er von selbst wieder zu sich kam.

Als er die Besinnung wiedergewonnen hatte, richtete er sich auf, und in dem Wunsch, zu erkennen wo er sei, suchte er umherzuschauen.

Allein er sah alles wie verschleiert, und er merkte, daß er nur noch mit einem Auge und mit diesem schlecht sehe. Das andere war entweder ausgeschlagen oder mit Blut überströmt.

Azya fuhr nun mit den Händen nach dem Gesicht. Seine Finger griffen in geronnenes, an seinem Schnurrbart hängendes Blut; sein Mund war gleichfalls voll Blut, welches ihn zu ersticken drohte, so daß er hustend es ausspucken mußte. Bei dieser Bewegung empfand er jedesmal einen furchtbaren Schmerz in seinem Gesicht; er tastete mit dem Finger nach der Stelle oberhalb des Schnurrbartes, fuhr aber mit schmerzlichem Stöhnen wieder zurück.

Der Schlag Basias hatte ihm das Nasenbein zerschmettert und zugleich die Backenknochen verletzt.

Einen Augenblick saß er regungslos da, endlich begann er mit dem Auge, das noch ein wenig Sehkraft hatte, sich im Kreise umzuschauen. In einer Erdspalte erspähte er einen Streifen Schnee, rutschte an ihn heran, erfaßte eine Handvoll davon und legte sie auf sein zerschmettertes Gesicht.

Sofort fühlte er, daß ihm dies große Linderung verschaffte, und als der geschmolzene Schnee in roten Strömen über seinen Schnurrbart lief, nahm er frischen Schnee und legte ihn wieder auf.

Auch begann er gierig von dem Schnee zu essen, und auch das brachte ihm Erleichterung. Nach einiger Zeit wurde die ungeheure Last, welche sein Gehirn bedrückt hatte, so viel leichter, daß er sich alles was geschehen war, ins Bewußtsein zurückrufen konnte. Aber im ersten Augenblick fühlte er weder Wut noch Zorn, noch Verzweiflung; denn körperlicher Schmerz übertäubte alle anderen Gefühle und ließ nur den einen Wunsch aufkommen, den Wunsch, so schnell als möglich Rettung zu finden.

Nachdem Azya noch mehrmals Händevoll Schnee verschlungen hatte, begann er sich nach seinem Pferde umzusehen: das Pferd war fort, und er erkannte, daß er zu Fuß gehen müsse, falls er nicht warten wollte, bis die Lipker ihn suchten.

Also versuchte er aufzustehen, indem er sich mit beiden Händen auf die Erde stützte, allein ein klägliches Geheul ausstoßend, setzte er sich wieder.

Nach einer Rast von nahezu einer Stunde erneuerte er seine Anstrengungen. Diesmal kam er so weit, sich zu erheben und, mit den Schultern gegen die Felswand gelehnt, sich auf den Beinen zu halten; allein wenn er daran dachte, daß er diese Stütze lassen und einen Schritt, dann zwei, drei Schritte wieder ins Leere machen müsse, da erfaßte ihn ein Gefühl der Angst und Ohnmacht so stark, daß er sich fast wieder zur Erde niederließ.

Er bezwang sich jedoch, zog den Säbel, stützte sich darauf und suchte sich vorwärts zu bewegen. Und es gelang. – Nach wenigen Schritten fühlte er, daß seine Beine sowie sein Körper noch kräftig seien, und daß er sie vollständig in der Gewalt habe; nur der Kopf schien nicht der seine zu sein und schwankte gleich einem schweren Gewicht bald nach rechts, bald nach links, bald vornüber. Auch hatte er ein Gefühl, als trage er diesen so schweren, schwankenden Kopf mit besonderer Angst, damit er nicht etwa falle und an den Steinen zerschmettere.

Zeitweise verursachte ihm dieser Kopf derartigen Schwindel, daß er sich im Kreise drehen mußte. Zuweilen verdunkelte sich sein Auge; dann stützte er sich mit beiden Händen auf seinen Säbel. Nach und nach hörte der Schwindel auf, dagegen wuchs der Schmerz immer mehr und bohrte sich in seine Stirne ein und in seine Augen, in seinen ganzen Kopf, daß sich ein schmerzliches Winseln seiner Brust entrang.

Das Echo der Felsen wiederholte diese Schmerzenslaute, und er zog weiter in dieser Einöde, blutrünstig, schrecklich, mehr einem Gespenst als einem Menschen gleich.

Schon begann der Abend zu dämmern, als vor ihm der Hufschlag eines Pferdes erscholl.

Es war der Leutnant der Lipker, welcher zur Einholung der Befehle Azyas herankam.

Am gleichen Abend raffte Azya noch so viel Kraft zusammen, um Befehle zur Verfolgung Basias zu geben; aber kurz darauf sank er auf sein Lager aus Tierfellen nieder und konnte drei Tage lang Niemanden zu sich lassen, als den griechischen Bader, welcher seine Wunden behandelte, und Halim, der diesem dabei behilflich war. Erst am vierten Tage erlangte er die Sprache wieder und zugleich das Bewußtsein des Vorgefallenen.

Und sofort folgten Basia seine fiebernden Gedanken. Er sah sie über Felsen und Wüsteneien dahin jagen; sie erschien ihm wie ein Vogel, der auf immer davonfliegt; er sah, wie sie sich Chreptiow näherte, erblickte sie in den Armen ihres Gemahles, und bei diesem Anblick erfaßte ihn ein Schmerz, noch größer als der Schmerz seiner Wunden, und mit dem Schmerz zugleich ein tiefes Weh, und mit dem Weh das Gefühl der Schmach über die Niederlage, die er erlitten.

»Entflohen ist sie, entflohen!« wiederholte er unaufhörlich; und die Wut erfaßte ihn dabei in solcher Weise, daß ihn wieder das Bewußtsein zu verlassen drohte.

»Wehe!« rief er, wenn Halim ihn zu beruhigen suchte und ihm die Versicherung gab, Basia würde den Verfolgern nicht entgehen. Die Felle, mit welchen der alte Tatar ihn bedecken wollte, stieß er mit den Füßen zurück und bedrohte diesen und den Griechen mit seinem Messer und heulte dabei wie ein wildes Tier. Dann versuchte er, aufzuspringen, wollte ihr selbst nachsetzen, sie einholen, ergreifen und sie aus Zorn und wilder Leidenschaft mit eigener Hand erwürgen.

Zu Zeiten phantasierte er in der Fieberhitze und rief Halim zu, er möge ihm rasch den Kopf des kleinen Ritters bringen und dessen Weib gefesselt in die nächste Kammer sperren. Manchmal sprach er mit ihr, flehte sie an, drohte ihr; manchmal streckte er die Arme aus, um sie an sich zu ziehen.

Endlich fiel er in einen tiefen Schlaf, der vierundzwanzig Stunden währte. Als er erwachte, war er gänzlich fieberfrei und konnte Kryczynski und Adurowicz empfangen.

Beiden lag viel daran, ihn zu sprechen, denn sie wußten nicht, was sie thun sollten. Wenn auch die unter dem jungen Nowowiejski ausgerückten Truppen nicht vor vierzehn Tagen zurückerwartet wurden – ein unvorhergesehenes Ereignis konnte ihre Rückkehr beschleunigen, und wie man sich dabei zu verhalten habe, das mußte festgestellt werden. Kryczynski und Adurowicz beabsichtigten zwar, zum Schein in den Dienst der Republik zurückzukehren, allein die Leitung der ganzen Angelegenheit lag in Azyas Händen. Er allein konnte ihnen Anweisungen für besondere Fälle geben; er allein ihnen Aufklärung darüber erteilen, auf welcher Seite der größte Vorteil lag, ob es günstiger sei, sich sogleich auf die Seite des Sultans zu schlagen, oder dem Scheine nach der Republik zu dienen, – und wie lange dies falsche Spiel fortzusetzen sei. Beide wußten, daß Azyas Endzweck ein Verrat der Republik war, aber sie vermuteten, daß er von ihnen fordern würde, mit offenem Verrat bis zum Ausbruch des Krieges zu warten, um desto sicherer zu gehen. Seine Andeutungen waren Befehle für sie; er hatte sich selbst zu ihrem Führer gemacht, denn er war das Haupt der ganzen Sache, er war der Schlauste, der Einflußreichste und überdies der Sohn des Tuchay-Bey, des berühmtesten aller tatarischen Hordenführer.

In beflissener Eile traten sie an sein Lager und bezeugten ihm ihre Ehrfurcht. Sein Gesicht war verbunden. Er begrüßte sie mit dem einen, noch sehenden Auge. Obwohl noch schwach, war er doch genesen. Und er sprach zu ihnen:

»Ich bin krank! – Das Weib, das ich entführen und mir zueignen wollte, entzog sich meinen Händen, nachdem sie mich mit dem Griff einer Pistole verwundet. Sie ist das Weib des Kommandanten Wolodyjowski ... möge die Pest ihn und sein ganzes Geschlecht vernichten!«

»Möge geschehen, wie Ihr gesagt!« antworteten die beiden Anführer.

»Möge Gott Euch, Getreuen, Glück und Wohlergehen schenken!«

»Und Dir, o Herr, desgleichen!«

Dann besprach man sich über das, was geschehen sollte.

»Es ist nicht mehr möglich,« sagte Azya, »noch länger zu warten und mit dem Eintritt in den Dienst des Sultans zu zögern, bis der Krieg ausbricht! Nach dem, was mit dem Weibe vorgefallen ist, werden sie uns nicht mehr trauen, und sie werden mit dem Säbel in der Faust über uns herfallen. Aber noch bevor dies geschieht, wollen wir die Stadt überfallen und sie zur Ehre Gottes in Rauch und Flammen aufgehen lassen. Die wenigen hier zurückgebliebenen Soldaten nehmen wir gefangen, desgleichen die Bewohner, welche Unterthanen der Republik sind. Das Hab und Gut aber der Wallachen, Armenier, Griechen teilen wir unter uns und setzen über den Dniestr auf türkisches Gebiet.«

Dem Kryczynski und dem Adurowicz, die schon lange Zeit inmitten der wildesten Horden ein Nomadenleben führten, mit diesen Raubzüge unternahmen und selbst gänzlich verwildert waren, leuchteten die Augen auf.

»Besten Dank, o Herr!« sprach Kryczynski. »Gott liefert uns diese Stadt selbst aus, in die man uns einließ.«

»Machte Euch Nowowiejski keine Schwierigkeiten?« frug Azya.

»Nowowiejski war mitgeteilt worden, daß wir zur Republik übergehen wollten, und daß Ihr im Anzuge seiet, um Euch mit uns zu vereinigen. Er schaut auf uns als auf die Seinigen, ebenso wie er Euch für den Seinigen hält.«

»Wir waren auf der Moldauer Seite,« fügte Adurowicz hinzu; »aber Kryczynski und ich gingen als seine Gäste zu ihm und er empfing uns, wie es unserem Adel zukommt, und sagte:

»Durch Eure jetzige Handlungsweise sühnt Ihr frühere Sünden, und da Euch der Hetman auf Azyas Bürgschaft hin verzeiht, so geziemt auch mir nicht, Euch schief anzusehen!« Er forderte uns sogar auf, in der Stadt Quartier zu nehmen; aber wir sagten: Das thun wir nicht eher, bis uns Azya, der Sohn des Tuchay-Bey, des Hetmans Genehmigung dazu bringt. – Vor seiner Abreise veranstaltete er uns zu Ehren ein Festmahl und bat uns, über das Wohl der Stadt zu wachen.«

»Bei diesem Fest,« ergänzte Kryczynski, »wurden wir mit seinem Vater bekannt und mit jener alten Frau, welche auf die Rückkehr ihres Mannes aus der Sklaverei wartet; sowie auch mit jenem Mädchen, welches Nowowiejski zu heiraten gedenkt.«

»Ach,« rief Azya aus, »noch dachte ich nicht daran, daß sie alle hier sind ... Das Fräulein Nowowiejski aber habe ich selbst hierhergebracht.«

Er klatschte in die Hände, und als hierauf sogleich Halim erschien, befahl er:

»Sobald meine Lipker die Stadt in Flammen sehen, haben sie die Besatzung des Forts zu überfallen und niederzumachen; die Frauen aber und den alten Edelmann sollen sie binden und überwachen, bis ich weitere Befehle gebe.«

Hierauf wandte er sich an Kryczynski und Adurowicz:

»Selbst dabei thätig zu sein, dazu bin ich nicht im stande, denn ich bin krank; dennoch will ich zu Pferde steigen und wenigstens Augenzeuge sein. Ihr aber, liebe Gefährten, geht ans Werk, ans Werk!«

Kryczynski und Adurowicz stürzten sogleich zur Thüre hinaus, und Azya folgte ihnen, gab Befehl, daß man ihm ein Pferd bringe und ritt an die Pallisaden, um von der Pforte des hochgelegenen Forts aus zu beobachten, was in der Stadt sich ereignen würde.

Eine Menge seiner Lipker drängten sich auf den Wall vor dem Pfahlwerk, um die Augen an dem bevorstehenden Blutbade zu weiden. Diejenigen von Nowowiejskis Leuten, die nicht mit hinaus in die Steppe gezogen waren, mengten sich unter die sich ansammelnden Lipker ohne einen Schatten von Furcht oder Argwohn, denn sie waren der Meinung, in der Stadt gebe es irgend etwas Neues zu sehen. Ueberdies waren ihrer höchstens zwanzig Mann. Die Uebrigen saßen in den Schenken der Stadt.

Inzwischen verbreiteten sich die Scharen Adurowiczs und Kryczynskis in einem Nu über den ganzen Ort. Sie bestanden fast ausschließlich aus Lipkern und Czeremisen, also aus ehemaligen Angehörigen der Republik, zumeist Adeligen, die aber seit langer Zeit ausgewandert, durch beständiges Herumziehen ganz und gar den wilden Tataren glichen. Ihre langen, altpolnischen Oberröcke waren völlig verschlissen, darum sah man sie meist in kurzen Schafpelzen, die Wolle nach außen gekehrt, die sie über dem bloßen, von Wind und Wetter und vom Rauch der Feuerherde geschwärzten Leib trugen; ihre Waffen aber waren besser als die der wilden Tataren; – alle hatten Säbel und in Feuer gehärtete Bogen, und viele waren mit Musketen ausgerüstet. Und auf ihren Gesichtern malte sich die gleiche Grausamkeit und der gleiche Blutdurst, wie auf denen ihrer Brüder aus der Dobrucza, aus Bialogrod und aus der Krim.

In dem Städtchen zerstreut, durcheilten sie es nach allen Richtungen, ein markerschütterndes Geschrei ausstoßend, als ob sie sich dadurch gegenseitig ermutigen und zu Mord und Plünderung aufreizen wollten. Allein ungeachtet dessen, daß bereits viele nach tatarischem Brauch das Messer zwischen den Zähnen hielten, sah die Bevölkerung des Ortes, die wie in Jampol aus Wallachen, Armeniern und Griechen bestand, zum Teil auch aus tatarischen Kaufleuten, ohne jedes Mißtrauen auf dieses Treiben. Die Kaufläden standen offen; die Kaufleute saßen nach türkischer Art auf Bänken vor ihren Läden und ließen ihren Rosenkranz durch ihre Finger gleiten. Das Schreien und Toben der Lipker veranlasste nur, daß man sie mit Neugierde betrachtete, in der Meinung, sie belustigten sich mit einem Spiel.

Urplötzlich aber stiegen an den vier Ecken des Ringplatzes Rauchsäulen auf, und sämtliche Lipker brachen in ein so furchtbares Geheul aus, daß Todesangst die Wallachen, Armenier, Griechen und deren Weiber und Kinder ergriff. Und mit einemmale überschüttete ein Regen von Pfeilen und von knatternden Musketenkugeln die harmlosen Bewohner. Ihr Geschrei, das Getöse der in aller Hast zugeschlagenen Thüren und Fensterladen vermengte sich mit dem Stampfen der Rosse und dem Geheul der Plündernden.

Der Ringplatz war ganz von Rauch erfüllt. Man schrie: »Feuer! Feuer!« Zu gleicher Zeit wurden die Kaufläden und Hausthüren erbrochen, entsetzte Frauen an den Haaren herausgeschleift, Gerätschaften, Saffianleder, Waren aller Art, Betten, aus welchen die Federn gleich Wolken in die Höhe flogen, auf die Straße geworfen. Man vernahm das Stöhnen hingemordeter Männer, Klagerufe, das Heulen der Hunde, das Brüllen der Rinder, welche von dem Feuer in den rückwärtsgelegenen Bauten ergriffen wurden. Rote Flammenzungen, sogar bei Tageslicht auf dem Hintergrund schwarzer Rauchwolken sichtbar, loderten immer höher zum Himmel auf.

In dem Fort überfielen Azyas Reiter gleich bei Beginn des Blutbades die zum größten Teil unbewaffneten Musketiere.

Hier kam es fast zu keinem Kampf; meuchlings bohrten sich die Messer in jede polnische Brust. Dann schnitt man den Unglücklichen die Köpfe ab und legte sie vor die Hufe von Azyas Roß.

Der Sohn Tuchay-Beys gestattete der Mehrzahl seiner Leute, sich an der blutigen Arbeit ihrer Genossen zu beteiligen; er selbst blieb zurück und schaute zu.

Wallende Rauchwolken verhüllten das blutige Werk Kryczynskis und Adurowiczs; der Brandgeruch drang bis zum Fort hinauf; die Stadt flammte auf gleich einem riesigen Holzstoß, und Rauchwolken verhüllten die Aussicht. Nur zuweilen ertönte aus jenem Rauch der Knall einer Muskete, wie Donner aus einer Gewitterwolke, oder es zeigte sich plötzlich die Gestalt eines fliehenden Menschen oder ein Haufen verfolgender Tataren.

Azya stand und schaute mit wildem Entzücken auf das grauenhafte Schauspiel, ein furchtbares Lächeln auf den geöffneten Lippen, zwischen welchen die weißen Zähne hervorblitzten, um so furchtbarer, weil es sich mit dem Schmerzgefühl mischte, das ihm die eben verharschenden Wunden bereiteten. Neben dem Entzücken schwellte auch der Stolz des Lipkers Herz. Jetzt endlich konnte er die Last der Verstellung von sich werfen und zum erstenmal nach langen Jahren seinem Haß die Zügel schießen lassen; jetzt fand er sich selbst wieder, jetzt war er der wirkliche Azya, der Sohn des Tuchay-Bey.

Aber zu gleicher Zeit stieg ein wilder Schmerz darüber in ihm auf, daß Basia nicht diese Feuersbrunst, dieses Blutbad mit anschaue; daß sie ihn nicht in seiner neuen Stellung sehen könne. – Er liebte sie, aber ein wildes Verlangen, sich an ihr zu rächen, verzehrte ihn. »Hier würde sie stehen,« so dachte er bei sich, »neben meinem Pferde, und ich hielt sie an ihren Haaren; sie aber umklammerte meine Füße, und dann würde ich sie in die Arme fassen und sie auf den Mund küssen, und sie wäre meine, meine ... Sklavin! ...«

Vor Verzweiflung bewahrte ihn nur die Hoffnung, daß entweder die zu ihrer Verfolgung ausgesandte Abteilung, oder die Abteilungen, welche er unterwegs zurückgelassen, sie zurückbringen würden. Er klammerte sich an diese Hoffnung, wie ein Ertrinkender an eine Planke, sie verlieh ihm Kraft. Er dachte so oft an den Augenblick, da er sie wiederfinden und mit sich nehmen werde, daß der Gedanke, sie zu verlieren, nicht dauernd in ihm aufkommen konnte.

Er verweilte so lange am Thore, bis es in dem Städtchen, wo das Blutbad stattfand, stille geworden war, und das war bald der Fall, denn die Banden des Kryczynski und des Adurowicz zählten ebenso viele Köpfe, als die Einwohnerschaft des kleinen Ortes. Der Brand nur überdauerte die Töne menschlichen Jammers und währte noch bis zum Abend. Azya stieg vom Pferd und ging mit langsamen Schritten nach der geräumigen Stube, in deren Mitte man Schaffelle für ihn zurecht gelegt; darauf ließ er sich nieder und erwartete die Ankunft der beiden Hauptleute. Diese kamen bald und mit ihnen ihre Leutnants. Freude lag auf allen Gesichtern, denn die Beute übertraf jede Erwartung; seit der Bauerninvasion hatte sich das Städtchen bedeutend entwickelt und war wohlhabend geworden.

Man hatte auch gegen hundert junge Frauenspersonen und eine Anzahl von Kindern, von zehn Jahren an und ältere, gefangen genommen, denn diese konnten auf den orientalischen Sklavenmärkten vorteilhaft verkauft werden. Männer, alte Weiber und kleine, für den Transport untaugliche Kinder hatte man niedergemacht. Noch rauchten die Hände der Lipker von eben vergossenem Menschenblut, und ihre Schafpelze strömten Brandgeruch aus.

Alle setzten sich um Azya im Kreise nieder und Kryczynski begann zu reden:

»Ein Aschenhaufen nur liegt hinter uns ... Ehe die Streifkommandos zurückkehren, könnten wir noch gegen Jampol rücken; dort giebt es ebenso viel Güter, ja vielleicht noch mehr als in Raszkow.«

»Nein!« antwortete der Sohn des Tuchay-Bey, »zu Jampol stehen meine Leute; die werden den Platz niederbrennen, für uns jedoch ist es an der Zeit, auf das Gebiet des Khans und des Sultans überzutreten.«

»Wie Du befiehlst! Wir kehren zurück, reich an Ruhm und an Beute!« erwiderten die Hauptleute und die übrigen Offiziere.

»Im Fort befinden sich noch Frauen und auch jener Edelmann, der mich aufgezogen hat,« sagte Azya. »Ihm soll der gebührende Lohn werden.«

Er klatschte in die Hände und befahl, die Gefangenen hereinzuführen.

Und sie wurden hereingeführt: Frau Boski in Thränen zerfließend, Zosia bleich wie der Tod, Ewa und der alte Herr Nowowiejski. Dieser war an Händen und Füßen mit Baststricken gefesselt. Alle waren erschreckt, aber noch mehr bestürzt über das was geschehen, denn es war ihnen gänzlich unverständlich. Ewa hatte sich in Vermutungen darüber erschöpft, was mit Frau Wolodyjowski vorgefallen sein mochte, weshalb Azya unsichtbar blieb, warum man das Blutbad in der Stadt angerichtet, und warum man sie als Gefangene gefesselt habe. Schließlich kam sie auf den Gedanken, daß es sich um ihre Entführung handle, daß Azya im Uebermaß des Stolzes ihren Vater nicht um ihre Hand bitten wolle und in wahnsinniger Liebe zu ihr eine gewaltsame Entführung beschlossen habe. Das war zwar alles entsetzlich an und für sich, allein Ewa mußte wenigstens nicht für das eigene Leben zittern.

Die Gefangenen erkannten Azya nicht, denn sein Gesicht war beinahe ganz verdeckt durch den Verband; um so stärker war die Angst, die sich der Frauen bemächtigte, als sie im ersten Augenblick meinten, wilde Tataren hätten in unbegreiflicher Weise die Lipker überfallen und Raszkow eingenommen. Erst der Anblick Kryczynskis und Adurowiczs überzeugte sie, daß sie sich in den Händen der Lipker befanden.

Während einiger Zeit schauten sie sich schweigend an, bis endlich der alte Nowowiejski mit unsicherer, aber lauter Stimme anhob:

»In wessen Händen sind wir denn?«

Azya löste nun allgemach den Verband von seinem Haupte und sein einstmals schönes, wenn auch wildes, nun aber auf immer entstelltes Antlitz mit zerschmetterter Nase, mit einem blauschwarzen Fleck an Stelle des Auges zeigte sich – ein krampfhaft verzerrtes, furchtbares Antlitz, auf welchem sich kalt lächelnde Rache spiegelte ... Nach einem Augenblick dumpfer Stille sprach er, während er sein glühendes Auge fest auf den alten Edelmann richtete:

»In den meinigen, in den Händen von Tuchay-Beys Sohn!«

Der alte Nowowiejski hatte ihn erkannt, bevor er seinen Namen nannte; auch Ewa hatte ihn erkannt und ihr Herz krampfte sich vor Entsetzen und Abscheu zusammen beim Anblick dieses grauenhaften Antlitzes. Das Mädchen bedeckte mit den nicht gefesselten Händen das Antlitz, der Edelmann aber öffnete den Mund, blinzelte vor Erstaunen mit den Augen und rief wiederholt:

»Azya, Azya!«

»Derselbe, den Ihr auferzoget, bei dem Ihr Vaterstelle vertratet und dessen Rücken unter Eurer väterlichen Hand von Blut überströmte ...«

Dem Edelmann schoß das Blut zu Kopfe.

»Verräter!« rief er aus. »Du wirst Dich für Deine Thaten vor einem Richter zu verantworten haben! ... Ungeheuer! ... noch lebt mir ein Sohn!«

»Auch habt Ihr eine Tochter,« antwortete Azya, »um deretwillen Ihr mich halb zu Tode peitschen ließet, und diese Tochter werde ich jetzt dem Geringsten unter den Tataren schenken, damit sie seine Dienerin und seine Dirne sei!«

»Anführer! gieb sie mir!« rief Adurowicz plötzlich dazwischen.

»Azya! Azya!« schrie Ewa, sich ihm zu Füßen werfend. »Ich habe Dich ja immer ...«

Er aber schleuderte sie mit dem Fuße bei Seite und Adurowicz packte sie bei den Armen und zog sie auf dem Boden zu sich her. Herrn Nowowiejskis rotes Gesicht wurde blau; die Stricke an seinen Händen knarrten und sein Mund stieß unverständliche Worte aus. Azya erhob sich von seinen Fellen und schritt auf ihn zu, erst langsam, dann immer rascher, wie ein wildes Tier, das sich zum Sprung auf seine Beute bereit macht. Als er ganz nahe war, packte er mit den mageren Fingern der einen Hand den Schnurrbart des alten Mannes und schlug ihn mit der anderen unbarmherzig über Kopf und Gesicht.

Ein heiseres Gebrüll entrang sich seiner Kehle, und als der Edelmann zu Boden fiel, setzte der Sohn Tuchay-Beys das Knie auf dessen Brust und ein Messer blitzte plötzlich in seiner Hand auf.

»Erbarmen! Hilfe!« schrie Ewa entsetzt auf.

Aber Adurowicz versetzte ihr einen Schlag auf den Kopf und hielt ihr dann mit seiner breiten Hand den Mund zu; mittlerweile war Azya im Begriff, Herrn Nowowiejskis Kehle durchzuschneiden.

Dies Schauspiel war so grausig, daß selbst die Offiziere der Lipker von Schauder ergriffen wurden; Azya fuhr nämlich mit berechnender Grausamkeit langsam mit dem Messer durch die Kehle des unglücklichen Edelmannes, so daß dieser entsetzlich zu röcheln und nach Atem zu ringen begann. Aus seinen offenen Adern quoll das Blut immer stärker über die Hände des Mörders und floß in Strömen über den Boden. Endlich wurde das Röcheln und Gurgeln schwächer und schwächer und nur die Luft pfiff noch durch den Spalt der durchschnittenen Kehle, während die Füße des Sterbenden in konvulsivischen Zuckungen den Boden stampften.

Azya erhob sich.

Nun fiel sein Blick auf das bleiche, süße Antlitz Zosias, welche wie tot aussah; bewußtlos hing ihr Köpfchen nach rückwärts über den Arm des sie stützenden Tataren. Azya aber sprach:

»Dies Mädchen behalte ich für mich, bis ich es verschenke oder verkaufe.«

Hierauf wandte er sich an die Tataren:

»Sobald die Mannschaft von der Verfolgung zurückkehrt, setzen wir auf türkisches Gebiet über.«

Die Verfolger kehrten nach einigen Tagen zurück, aber mit leeren Händen. Und nun betrat Tuchay-Beys Sohn, Wut und Verzweiflung im Herzen, das Gebiet des Sultans, graue und bläuliche Aschenhaufen zurücklassend.


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