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XVIII

Durch jenen Ausruf errieten Zagloba und Frau Makowiecki das Herzensgeheimnis des kleinen Ritters; als er plötzlich aufsprang und das Zimmer verließ, schauten sich beide betroffen und beunruhigt an, und Frau Makowiecki sagte: »Eilt ihm nach, ums Himmelswillen, redet ihm zu, tröstet ihn; wenn Ihr's nicht thut, gehe ich selbst.«

»Laßt das!« sagte Zagloba. »Nicht wir sind vonnöten, nur Krzysia allein könnte helfen; da er sie jedoch nicht sehen kann, so ist es besser, ihn sich selbst zu überlassen, weil unzeitiger Trost zu noch größerer Verzweiflung führt.«

»Nun liegt es so klar vor mir wie auf meiner Hand, daß er für Krzysia eine Neigung hegt! Seht, ich wußte es ja, daß er sie sehr gern mochte und ihre Gesellschaft suchte; aber das wäre mir nie eingefallen, daß er so rasend in sie verliebt sei.«

»Es scheint, daß er mit einer festen Absicht kam und daß er darin seine ganze Glückseligkeit erblickte; und nun ist er wie von einem Donnerschlag getroffen!«

»Warum hat er denn mit niemanden davon gesprochen? weder mit mir, noch mit Euch, noch mit Krzysia selbst? Möglicherweise hätte dann das Mädchen kein Gelöbnis gethan!«

»Das ist eine wunderliche Geschichte,« sagte Zagloba; »er ist doch mit mir so befreundet und vertraut meiner Klugheit mehr als seiner eigenen, und dennoch hat er mir nicht nur diese Neigung nicht eingestanden, sondern mir einmal gesagt, es wäre Freundschaft, weiter nichts!«

»Er hatte immer seine Heimlichkeiten!«

»Dann kennt Ihr ihn nicht, obwohl Ihr seine Schwester seid! Sein Herz ist gleich den Augen einer Karausche, immer ganz oben. Ich habe nie einen aufrichtigeren Menschen gekannt; freilich muß ich zugeben, daß er diesmal anders gehandelt hat. Seid Ihr dessen aber auch ganz sicher, daß er nicht mit Krzysia gesprochen?«

»Lieber Gott, Krzysia ist Herrin ihres Willens, denn mein Gemahl hat, als ihr Vormund, zu ihr gesagt: ›Wenn es ein würdiger Mann ist und von guter Abkunft, kannst Du von Vermögen auch absehen!‹ Würde Michal mit ihr vor seiner Abreise gesprochen haben, so hätte sie ›Ja‹ oder ›Nein‹ gesagt, und er wußte dann, woran er wäre.«

»Ganz richtig! Dieser Schlag hat ihn ganz unerwartet getroffen! Nun leiht der Sache Euren weiblichen Witz!«

»Was braucht's hier Witz? Hilfe ist nötig!«

»Er soll die Basia nehmen!«

»Wenn er aber doch offenbar die andere vorzieht! – Ha, wäre mir das doch in den Sinn gekommen!«

»Es ist schade, daß Ihr nicht daran gedacht!«

»Wie hätte ich daran denken sollen, wenn es nicht einmal einem solchen Salomon, wie Ihr einer seid, eingefallen ist.«

»Woher wissen das Euer Gnaden so genau?«

»Weil Ihr doch den Ketling empfahlet!«

»Ich? Gott ist mein Zeuge, ich empfahl niemanden. Ich sagte, daß er sie liebe, und das ist die reine Wahrheit; ich sagte, er sei ein würdiger Kavalier, und das war und ist abermals die Wahrheit; aber das Heiratstiften überlasse ich den Frauen. – Meine Gnädige, es ruht ja doch, wie die Dinge liegen, die halbe Republik auf meinen Schultern. Habe ich denn auch nur Zeit, über andere als öffentliche Angelegenheiten nachzudenken! Oft habe ich keine freie Minute, um auch nur einen Löffel Speise in den Mund zu nehmen!«

»Gebt uns doch diesmal Euern Rat um Gottes Barmherzigkeit willen! Ich höre ja überall, daß es keinen klügeren Kopf gebe, als den Euern!«

»Daß doch die Leute unaufhörlich über diesen meinen Kopf reden! Damit könnte man endlich aufhören! Was nun den Rat anbelangt, so giebt es zweierlei Wege: entweder soll Michal sich für Basia entscheiden, oder Krzysia ihre Absicht ändern. Denn eine Absicht ist noch kein Gelübde!«

Jetzt kam Herr Makowiecki zurück, und seine Frau teilte ihm sogleich alles mit. Der Edelmann war darüber sehr betrübt, denn er liebte und schätzte den Herrn Michal ungemein. Im Augenblick aber vermochte er nichts zum Heil der Sache zu ersinnen.

»Wenn Krzysia hartnäckig auf ihrem Sinn besteht,« sagte er, sich die Stirne reibend, »wie wäre es dann auch nur möglich, durch Gründe ihr die Sache auszureden!«

»Krzysia wird auf ihrem Vorhaben bestehen!« sagte die Frau Truchsessin. – »Krzysia war immer so!«

»Was hat Michal nur im Sinn gehabt, daß er sich vor seiner Abreise nicht Gewißheit verschaffte?« frug Makowiecki. »Es hätte ja noch Schlimmeres sich ereignen und ein anderer des Mädchens Herz während seiner Abwesenheit gewinnen können!«

»In diesem Falle würde sie doch nicht den Schleier nehmen! Sie ist ja doch frei!«

»Ganz richtig!« sagte der Herr Truchseß.

Nach und nach ward sich aber Zagloba über gar manches klar. Wenn er eine Ahnung von Krzysias und Wolodyjowskis Geheimnis gehabt hätte, dann würde er freilich die Wahrheit bald erraten haben, da dies jedoch nicht der Fall war, fehlte ihm natürlich der Schlüssel für gar vieles. Doch sein angeborener Scharfsinn kam ihm auch hier zu statten und half ihm, den Nebelschleier zu zerreißen, so daß er schließlich die Beweggründe, die Absichten Krzysias erriet, daß er die Verzweiflung Wolodyjowskis begriff.

Schon nach wenigen Augenblicken zweifelte er auch nicht mehr daran, daß Ketling bei allem im Spiele war. Um sich daher zu vergewissern, ob seine Annahme richtig sei, beschloß er, sich zu Michal zu begeben, um ihn genau über alles auszuforschen.

Unterwegs erfaßte ihn eine stets wachsende Unruhe, denn er sagte sich fortwährend:

»Gar vieles von dem ist mein Werk. Ich gedachte mich an Basias und Michals Hochzeitsfeier am Met zu laben, allein ich fürchte, ich fürchte, der Met wird sich in saures Bier verwandeln, denn Michal kann möglicherweise seine frühere Absicht ausführen und, dem Beispiele Krzysias folgend, ins Kloster gehen.«

Zagloba schauerte unwillkürlich zusammen und eilte so beflügelten Schrittes weiter, daß er schon nach wenigen Minuten in Michals Wohnstube stand.

Mit starren, stier blickenden Augen, mit düster zusammengezogenen Brauen lief der kleine Ritter gleich einem wilden Tiere in seinem Gemache hin und her. Kaum erblickte er indessen Herrn Zagloba, so blieb er vor ihm stehen und rief, die Arme über die Brust kreuzend:

»Sagt mir doch, liebwerter Herr, was dies alles zu bedeuten hat?«

»Michal!« erwiderte Zagloba, »bedenke nur, wie viele Frauenzimmer alljährlich ins Kloster gehen. Das ist ja ganz herkömmlich. Es giebt sogar etliche, die gegen den Willen ihrer Eltern den Schleier nehmen, indem sie darauf bauen, unser Herr Jesus werde auf ihrer Seite stehen, weshalb sollte es daher ein Mädchen nicht thun, das völlig unabhängig ist?«

»Es kann und darf nicht länger ein Geheimnis bleiben!« rief nun wiederum Herr Michal. »Sie ist nicht frei, nicht unabhängig, denn vor meiner Abreise schenkte sie mir Herz und Hand.«

»Ha!« meinte Zagloba, »das wußte ich nicht.«

»Es ist aber so!« erklärte der kleine Ritter.

»Vielleicht nützen Vorstellungen etwas bei ihr?«

»Sie macht sich nichts mehr aus mir! Sie wollte mich nicht mehr sehen!« stieß Wolodyjowski in tiefem Schmerz hervor. »Tag und Nacht bin ich hierhergeeilt, und sie will mich nicht einmal sehen. Was habe ich denn verschuldet? Welche Sünden lasten auf mir, daß mich Gottes Zorn verfolgt, daß mich der Wind wie ein welkes Blatt umhertreibt! Die eine hat der Tod hinweggerafft, die andere geht ins Kloster. Gott hat mir beide genommen, sein Fluch lastet offenbar auf mir, denn er übt Barmherzigkeit gegen jeden, ein jeder wird seiner Gnade teilhaftig – nur allein bei mir trifft dies nicht zu.«

Herr Zagloba zitterte davor, der kleine Ritter könne, von Schmerz überwältigt, wie ehemals nach dem Tode der Anusia Borzobohata in Gotteslästerungen ausbrechen und hub daher in der Absicht, Michal auf andere Gedanken zu bringen, also an:

»Auch über Dir waltet Erbarmen, Michal, daran darfst Du nicht zweifeln, nein, das wäre sündhaft. Zudem kannst Du auch gar nicht wissen, was Dir das Morgen bringt. Vielleicht ändert diese selbe Krzysia ihren Entschluß, vielleicht löst sie, eingedenk Deiner Vereinsamung, doch noch ihr Versprechen ein. Und dann noch eins, Michal! Ist es denn nicht ein Trost für Dich, daß Gott selbst, daß unser allbarmherziger Vater und nicht ein auf Erden wandelnder Mensch Dich dieses Täubchens beraubt hat? Sage selbst, ist es so nicht weit besser?«

Unheilverkündend knirschte plötzlich der kleine Ritter mit den Zähnen, in einer Weise, daß seine Barthaare erzitterten, und gleich daraus schrie er in schmerzlichem Tone:

»Wenn nur ein lebendiger Mensch im Spiele wäre! Ha! ... Wenn ich nur einen solchen finden könnte! ... Ich wüßte, was ich thäte! ... Mir bliebe die Rache ...«

»Und nun bleibt Dir das Gebet!« warf Zagloba ein. »Höre auf mich, auf den alten Freund, denn kein anderer wird Dir einen besseren Rat erteilen. Möglicherweise wendet unser Herrgott noch alles zum Guten. Ich selbst ... nun, Du weißt ja ... ich habe eine andere für Dich im Auge gehabt ... allein jetzt, da ich Deinen Schmerz sehe, leide ich mit Dir, und gemeinsam mit Dir will ich zu Gott flehen, daß er Dir Trost gewähre, daß er Dir das Herz des gefühllosen Mädchens wieder zuwende.«

Nach diesen Worten trocknete Herr Zagloba die Thränen, die ihm über die Wangen flossen – Thränen der Freundschaft und des Mitgefühls, ja, wenn es ihm möglich gewesen wäre, würde er jetzt alles ungeschehen gemacht haben, was er gethan hatte, um Krzysia und Wolodyjowski zu trennen, würde er Krzysia ungesäumt in Wolodyjowskis Arme geführt haben.

»Höre,« begann er nach kurzem Schweigen wieder, »sprich noch einmal mit Krzysia, schildere ihr Deinen Schmerz, Dein unerträgliches Leid, und Gott gebe Dir seinen Segen dazu. Krzysia müßte ein Herz von Stein haben, wenn sie nicht Mitleid mit Dir empfände. Und ich hoffe, sie läßt sich erweichen. Nur dann ist es löblich, sich mit dem Ordensgewande zu bekleiden, wenn man einem anderen kein Unrecht damit zufügt. Sage ihr das! Du wirst schon sehen ... Ei, Michal, heute weinst Du, und morgen trinken wir vielleicht zusammen bei Deinem Verlöbnis. So wird es kommen, dessen bin ich gewiß! Sehnsucht hat das Frauenzimmer gequält, deshalb ist ihr das Kloster plötzlich in den Sinn gekommen. Ei, mag sie doch in ein Kloster gehen, aber in ein solches, in dem Du zur Taufe läutest. Vielleicht fühlt sie sich auch nicht so ganz wohl und hat das Kloster nur vorgeschützt, um uns irre zu führen. Sie selbst hat Dir ja nie davon gesprochen und wird Dir auch nie davon sprechen. Dies gebe Gott. Ha! Jetzt bin ich auf der rechten Spur! Ihr wolltet ja alles geheim halten, sie durfte daher nichts verraten und streute einem jeden Sand in die Augen! So wahr ich lebe, eitel weibliche Schlauheit, nichts anderes wie Schlauheit.«

Gleich Balsam wirkten die Worte des Herrn Zagloba auf den von Gram darniedergebeugten Wolodyjowski. Neue Hoffnung schwellte dessen Brust, Thränen glänzten in dessen Augen. Geraume Zeit hindurch brachte er kein Wort hervor, und erst nachdem seine Thränenflut versiegt war, warf er sich in die Arme des alten Freundes und sprach:

»Wollte Gott, daß solche Freundschaft ewig bestände! Wird es denn aber auch wirklich so sein, wie Du sagst?«

»Den Himmel möchte ich Dir fürwahr herabholen! Glaube mir nur, so wird es kommen. Bin ich noch jemals ein falscher Prophet gewesen, oder zweifelst Du etwa an meiner Erfahrung, an meiner Klugheit?«

»Euer Liebden kann sich nicht vorstellen, wie ich dies Mädchen liebe. Nicht daß ich jemals der geliebten Toten vergessen werde, für die ich täglich bete, nein, allein mit jenem Mädchen ist mein Herz so verwachsen, wie der Pilz mit dem Baume, jenes Mädchen ist mein Alles, mein angebetetes Lieb. Des Morgens und des Abends, zu jeder Tageszeit habe ich ihrer in den fernen Steppen gedacht. Mit mir selbst habe ich von ihr geredet, da es mir an einem Vertrauten fehlte. So wahr mir Gott lieb ist, ich habe sogar dann an sie gedacht, wenn ich in wildem Jagen hinter einer Tatarenhorde hersetzte.«

»Das glaube ich, das glaube ich. Vom vielen Weinen um ein gewisses Frauenzimmer ist mir in meiner Jugend ein Auge zum Teil ausgeflossen, und was noch davon übrig blieb, erblindete am grauen Star.«

»Euer Liebden darf sich gar nicht über mich wundern. Ich komme hier an, atemlos, ganz atemlos, und das erste Wort, das ich höre, ist: ›das Kloster!‹ Doch vielleicht läßt sie sich doch noch bereden, ich baue auf ihr Herz, auf das mir gegebene Wort. Wie sagtest Du nur? Nur dann ist es löblich, sich mit dem Ordensgewande zu bekleiden ... wie sagtest Du nur?«

»Wenn man einem anderen kein Unrecht damit zufügt.«

»Vortrefflich gesprochen! Weshalb war ich denn nie im stande, mir bestimmte Grundsätze zu bilden? In den Standquartieren wäre dies ein guter Zeitvertreib gewesen. Die Unruhe verzehrt mich geradezu, doch Du hast mir wieder frischen Mut eingeflößt. Das ist ja wahr, ich bin mit ihr übereingekommen, daß unser Verlöbnis geheim gehalten werden soll, vielleicht hat daher Krzysia in der That nur zum Scheine vom Kloster gesprochen. Du hast mir ja dafür noch einen andern, äußerst stichhaltigen Grund angeführt, allein trotz der größten Mühe vermag ich mich dessen nicht mehr zu entsinnen. Ja, ja, Du hast mir frischen Mut eingeflößt.«

»Dann komm mit mir oder laß uns hier eine Flasche trinken. Das thut gut nach der Reise.«

Gesagt, gethan. Wolodyjowski ging mit Herrn Zagloba hinweg und trank mit ihm bis spät in die Nacht.

Am folgenden Morgen wählte sich Herr Michal ein besonders schmuckes Gewand aus, nahm eine höchst feierliche Miene an, überdachte nochmals all die Beweisgründe, die er teils aus eigenem Antriebe, teils auf den Rat von Zagloba hin ins Feld führen wollte, und betrat, so gewappnet, schließlich das Speisezimmer, wo sich alle gewöhnlich zum Frühstück zu versammeln pflegten. So war es auch jetzt wieder, nur Krzysia fehlte noch. Doch sie ließ nicht lange auf sich warten. Der kleine Ritter hatte noch kaum zwei Löffel Suppe gegessen, als sich die Thüre öffnete, das Rauschen eines Kleides hörbar ward, und Krzysia in das Gemach trat.

Raschen Schrittes trat sie ein, ja, sie stürzte eigentlich in die Stube, mit glühenden Wangen, gesenkten Augen, in sichtlicher Verwirrung und Angst. Sich sofort Wolodyjowski nähernd, reichte sie ihm, ohne jedoch den Blick zu ihm zu erheben, beide Hände, und als er diese Händchen mit feurigen Küssen bedeckte, ward sie bleich wie der Tod und vermochte auch nicht ein einziges Wort zum Willkomm hervorzubringen.

Sein Herz aber pochte vor Unruhe, es floß über von Liebe und Entzücken beim Anblick dieses Gesichtchens, so zart und fein wie ein wunderthätiges Bild, bei dem Anblick dieser schlanken, geschmeidigen Gestalt, die noch die Wärme des erst vor ganz kurzem beendigten Schlafes ausstrahlte. Ja, Michal fühlte sich sogar gerührt von der Verwirrung, von der Seelenangst, die sich in dem Antlitz des Mädchens spiegelte.

»Meine süße Blume,« dachte er bei sich, »weshalb bist Du so ängstlich? Wie gerne opferte ich Blut und Leben für Dich!«

Allein er verlieh diesen Gedanken keine Worte, sondern preßte seinen spitzigen Schnurrbart so lange auf Krzysias weiße Händchen, daß rote Spuren darauf zurückblieben.

Ihr blondes Gelock tief in die Stirn streichend, damit niemand ihre Erregung gewahr werden sollte, beobachtete Basia unausgesetzt die beiden. Doch wer hätte auf den kleinen Wildfang schauen sollen? Die Blicke aller Anwesenden hafteten auf Wolodyjowski und Krzysia, und bald machte sich das Schweigen peinlich fühlbar.

Schließlich jedoch brach Wolodyjowski dieses Schweigen.

»Qualvoll, kummervoll durchwachte ich die Nacht,« begann er, »denn alle, alle habe ich gestern zu Gesicht bekommen, nur Euch, liebwertes Fräulein, habe ich nicht gesehen. Und zudem, was mußte ich von Euch hören? Wahrlich, das Weinen stand mir näher als der Schlaf.«

Als Krzysia diese offenherzigen Worte vernahm, wurde sie so bleich, daß Herr Michal fürchtete, sie könne ohnmächtig werden, und daher rasch hinzufügte:

»Später müssen wir eingehend über alles sprechen, jetzt aber will ich nichts mehr fragen, damit Ihr, wohledles Fräulein, Euch erholen, Euch beruhigen könnt. Ich bin weder ein Barbar, noch ein Wolf, und Gott weiß es, wie sehr ich dem gnädigen Fräulein zugethan bin.«

»Danke, danke!« lispelte Krzysia.

Inzwischen warfen sich Herr Zagloba, der Truchseß und dessen Gemahlin fortwährend bedeutsame Blicke zu, gerade als ob sie sich gegenseitig dazu aufmuntern wollten, dem Gespräch eine andere Wendung zu geben. Doch keines von ihnen schien sich dazu entschließen zu können, das Wort zu ergreifen, und erst nach längerer Pause wandte sich Herr Zagloba zu den Neuangekommenen, indem er sagte:

»Ich halte es für durchaus geboten, daß wir heute in die Stadt fahren. Dort brodelt es vor der Königswahl fürwahr wie in einem Kessel. Ein jeder sucht für seinen Kandidaten zu wirken. Unterwegs setze ich dann den gnädigen Herrschaften auseinander, wem wir, meiner Meinung nach, unser Votum geben sollten.«

Da jedoch von keiner Seite eine Antwort erteilt wurde, schaute Zagloba zuerst unmutig umher, um sich dann schließlich, direkt zu Basia gewendet, also vernehmen zu lassen:

»Und Du, mein Goldkäferchen, fährst Du mit uns?«

»Wenn's sein muß, fahre ich sogar mit nach Rus!« entgegnete Basia kurz angebunden.

Daraufhin trat abermals Schweigen ein. Während des ganzen Frühstückes blieb jede Bemühung, ein Gespräch anzuknüpfen, vergeblich. Endlich erhoben sich alle. Unverweilt trat nun Herr Michal auf Krzysia zu, indem er erklärte:

»Ich muß Euch allein sprechen.«

Mit diesen Worten reichte er ihr seinen Arm und führte sie in das anstoßende Gemach, in das Gemach, in welchem sie die ersten Küsse gewechselt hatten. Krzysia zu dem Kanapee geleitend, nahm er neben ihr Platz und begann ihr, wie einem kleinen Kinde, über das Haar zu streichen.

»Krzysia,« hub er dann endlich in mildem Tone an, »hast Du nun Deine Verwirrung überwunden? Kannst Du mir ruhig und gefaßt antworten?«

Ja, sie hatte wieder die Herrschaft über sich gewonnen, und da sie zudem tief gerührt über seine Güte war, hob sie zum erstenmale nach seiner Rückkehr den Blick zu ihm empor und erwiderte leise:

»Ich vermag es nun!«

»Ist es wahr, daß Du in das Kloster gehen willst?«

Mit einemmale faltete nun Krzysia die Hände und flüsterte in flehendem Tone:

»Euer Liebden mögen mir darob nicht gram sein, mir nicht fluchen – aber es ist wahr!« –

»Krzysia!« rief jetzt Wolodyjowski, »darf man das Glück eines Menschen derart mit Füßen treten, wie Du es thust? Hast Du mir nicht Dein Wort gegeben, gehören wir nicht zu einander? Mit Gott darf ich nicht rechten, aber vor allem will ich Dir die Worte wiederholen, die mir Herr Zagloba gestern gesagt hat: ›Nur dann ist es löblich, sich mit dem Ordensgewande zu bekleiden, wenn man einem anderen damit kein Unrecht zufügt.‹ Das Leid, das Du mir anthust, wird Gott nicht zum Ruhme dienen, denn Gott regiert die ganze Welt, ihm sind alle Völker unterthan. Er herrscht über die Lande, über die Meere und über die Flüsse, Ihm gehorchen die Vögel in der Luft, die Tiere im Walde, die Sonne und die Sterne. Alles, alles ist Sein, was Dein Blick zu erfassen vermag, und noch viel mehr! Ich aber habe nur Dich, Du Geliebte, Du Teure, Du mein einziges Glück, mein einziges Gut! Kannst Du denn glauben, daß unser Herrgott auch nach Deinem Besitz geizt, daß Er, der schon über solch großen Reichtum gebietet, einen armen Krieger seines einzigen Glückes berauben will? Nein, nicht erfreut, betrübt wird er über Dein Thun sein. Bedenke doch, was Du Ihm schenken willst – Dich selbst ... Du bist aber mein, denn Du hast Dich mir angelobt, fremdes, nicht eigenes Gut würdest Du Ihm daher geben! Du berücksichtigst weder meine Thränen, noch meine Leiden, Du treibst mich in den Tod! Hast Du denn ein Recht dazu? Prüfe Dein Herz, Dein Gemüt, ziehe Dein Gewissen zu Rate! Wenn ich Dich gekränkt, wenn ich Dir die Treue gebrochen hätte, wenn ich Deiner vergessen, wenn ich ein Verbrechen, eine Schuld auf mich geladen hätte – ja – dann dürfte ich nichts sagen, dann müßte ich schweigen. Allein ich bin gegen die tatarischen Horden ausgezogen, gegen wilde Eindringlinge – dem Vaterlande weihte ich mein Leben, dem Vaterlande opferte ich meine Nachtruhe, meine Gesundheit, Dir allein jedoch gehört meine Liebe, Deiner gedachte ich bei Tag und bei Nacht, und wie sich der Hirsch nach dem Wasser, wie sich der Vogel nach der Freiheit, wie sich das Kind nach der Mutter sehnt und wie sich Vater und Mutter nach dem Kinde sehnen, so sehnte ich mich nach Dir. Und welch ein Willkommen hast Du mir für all dies bereitet, welchen Lohn hast Du mir dafür gewährt? Krzysia, Du meine Trauteste, meine Freundin, mein auserwähltes Lieb, sprich, sage mir, wie dies alles so kommen konnte? Setze mir Deine Beweggründe ebenso aufrichtig, ebenso offen auseinander, wie ich Dir von meinen Rechten, von meinen Empfindungen gesprochen habe. Brich mir nicht die Treue, stoße mich nicht ins Unglück. Du selbst hast mir ein Recht über Dich eingeräumt, verlaß mich daher nicht! ...«

Dem unglückseligen Herrn Michal war es bis jetzt noch nicht zum Bewußtsein gekommen, daß es ein Recht giebt, das mächtiger und stärker als alle andern menschlichen Rechte ist, ein Recht, kraft dessen das Herz dem Gebote der Liebe folgen muß und folgt. Wohl macht sich daher ein Herz, welches treulos wird, des schlimmsten Verrates schuldig, aber es ist oftmals ebenso unschuldig daran, wie eine Lampe, die erlischt, weil das Oel bis auf den letzten Tropfen ausgebrannt ist. In seiner Unkenntnis des wahren Sachverhaltes umfaßte daher Wolodyjowski die Knie der Geliebten und bat und flehte. Doch keine Antwort kam von ihren Lippen, nur eine Thränenflut stürzte über ihre Wangen ... Was hätte sie ihm auch sagen sollen, da ihr Herz nicht mehr für ihn sprach?

»Krzysia!« sagte der Ritter schließlich, indem er sich erhob, »Deine Thränen bedeuten das Scheitern meines Glückes; ich aber will nichts davon wissen, ich aber bitte Dich um Erhörung, um Rettung.«

»Dringe nicht in mich. Dir meine Beweggründe darzulegen,« ließ sich endlich Krzysia schluchzend vernehmen, »forsche nicht nach der Ursache. Es muß einmal so sein, es kann, es darf nicht anders sein. Ich bin Euer Gnaden nicht wert, ich bin Deiner nicht wert ... Ich weiß sehr wohl, welch schweres Unrecht ich Euch zufüge, und das schmerzt mich unsagbar, das schmerzt mich so sehr, daß ich mir keinen Rat zu schaffen weiß! ... Ja, ich weiß, wie unrecht ich handle! O allmächtiger Gott, das Herz droht mir zu zerspringen. Verzeiht mir, Euer Liebden, wende Dich nicht im Zorn von mir ab, gewähre mir Vergebung, fluche mir nicht!«

So sprechend, sank Krzysia zu den Füßen Wolodyjowskis nieder.

»Ich weiß, welch großes Unrecht ich Euch zufüge!« hub sie dann von neuem an, »und doch bitte ich Euch um Gnade, um Erbarmen.«

Das dunkle Köpfchen Krzysias berührte nahezu den Boden. Schnell wie der Blitz umfaßte Wolodyjowski die Weinende und setzte sie abermals auf das Kanapee nieder, worauf er selbst wie ein Irrsinniger bald in dem Gemache umher rannte, bald beide Fäuste an die Schläfen drückend, wie angewurzelt stehen blieb.

»Krzysia,« fing er nach geraumer Zeit von neuem an, »Krzysia, überlege Dir nochmals alles, raube mir nicht jegliche Hoffnung. Siehst Du, ich bin doch nicht von Stein! Weshalb willst Du mir ohne Mitleid ein glühendes Eisen ins Fleisch treiben? Trotz der ergebungsvollsten Geduld fühle auch ich den Schmerz von quälenden Brandwunden ... Ich kann es ja nicht einmal andeuten, welch ein Schmerz mich verzehrt! ... Bei Gott, ich kann es nicht! ... Siehst Du, ich bin ja nur ein schlichter Mensch und habe fast mein ganzes Leben im Felde verbracht! ... O allmächtiger Gott, o lieber Jesus! In diesem Gemache haben wir uns unsere Liebe gestanden! Krzysia! Krzysia! Ich glaubte, Du würdest auf ewig die Meine werden, und nun soll alles, alles aus sein! Was ist geschehen? Was hat Dein Herz so umgewandelt? Krzysia, ich bin der Gleiche geblieben! ... Siehst Du denn nicht ein, daß für mich ein derartiger Schlag noch weit schlimmer ist, als für jeden andern, für mich, der ich schon einmal den Verlust einer Heißgeliebten betrauern mußte? O Jesus, was soll ich sagen, damit ich ihr Herz rühre! Wie kann ein Mensch solche Folterqualen ertragen! Beraube mich wenigstens nicht jeder Hoffnung, nimm mir nicht alles auf einen Schlag.«

Aber Krzysia brachte keine Antwort über die Lippen. Sie schluchzte derart, daß ihr ganzer Körper bebte, und der kleine Ritter stand vor ihr und zwang mit aller Macht seiner Erregung seinen Zorn darnieder. Erst nachdem er wieder Herr seiner selbst geworden war, bat er aufs neue:

»Laß mir doch wenigstens einen Hoffnungsstrahl! Hörst Du?«

»Ich darf nicht, ich kann es nicht!« erklärte jetzt Krzysia schluchzend.

Herr Michal stürzte ans Fenster und preßte seine Stirne an die kalten Scheiben. Lange, lange stand er so, ohne sich auch nur zu bewegen, schließlich jedoch wandte er sich wieder Krzysia zu und sagte, sich dieser nähernd, in leisem Tone:

»So leb' denn wohl! Hier ist meines Bleibens nicht länger. Möge Euch das zum Glück gereichen, was mir zum Verderben gereicht ... Aus meinem Munde könnt Ihr die Worte vernehmen, daß ich Euch vergebe, und ich hoffe zu Gott, daß es mir gelingen wird, Euch aus ganzem Herzen zu verzeihen ... doch nehmt in Zukunft mehr Rücksicht auf die Gefühle eines Mannes, verpfändet nicht zum zweitenmale Euer Wort. Von Glück berauscht schreite ich nicht über diese Schwelle, das kann kein Mensch behaupten. Lebe wohl!«

Schmerzlich bebten Herrn Michals Lippen, als er diese Worte sprach, als er sich verneigte, um dann rasch aus dem Zimmer in das anstoßende Gemach zu eilen. Hier saßen der Truchseß, dessen Gemahlin und Herr Zagloba, die bei Wolodyjowskis Erscheinen sofort aufsprangen und sich anschickten, ihn mit Fragen zu bestürmen. Allein er winkte nur abwehrend mit der Hand.

»Es ist alles aus!« sagte er. »Laßt mich in Frieden.«

Rasch eilte er hierauf in den engen, kleinen Gang, der zu seiner Stube führte, und in diesem Gange, an der Treppe, auf der man zu den Wohnräumen der jungen Mädchen gelangte, vertrat Basia dem kleinen Ritter den Weg.

»Möge Gott Euer Liebden trösten und Krzysias Herz ändern!« rief sie ihm mit vor Weinen zitternder Stimme zu.

Doch er ging an ihr vorüber, ohne sie auch nur eines Blickes zu würdigen, dann mit einemmale ergriff ihn heftiger Zorn, und von Bitterkeit übermannt, wandte er sich jäh um, pflanzte sich vor der schuldlosen Basia mit einem völlig veränderten Gesichtsausdruck aus, blickte ihr höhnisch in die Augen und meinte in heiserem Tone:

»Wollen das gnädige Fräulein nicht dem Ketling Herz und Hand schenken und ihn rasend verliebt machen, um ihn dann mit Füßen zu treten, sein Herz zu brechen und ins Kloster zu gehen?«

»Herr Michal!« rief Basia überrascht aus.

»Die Freuden dieses Lebens zu genießen, Küsse auszutauschen und dann Buße zu thun ... Wollte Gott, Euch beide raffte der Tod dahin.«

Dies war nun doch für Basia zu viel. Gott allein wußte, wie sie mit sich gerungen hatte, wie schwer es ihr geworden war, den Wunsch auszusprechen, Krzysias Herz möge sich ändern, und was erntete sie nun dafür? Verwünschungen, Spott und Hohn wurden ihr in einem Augenblicke zu teil, in dem sie gern ihr Herzblut hergegeben hätte, um den Undankbaren zu trösten. Was Wunder daher, daß sich ihre junge Seele empörte, daß sie, ihre blonde Mähne schüttelnd, mit glühenden Wangen, mit bebenden Nasenflügeln, ohne weitere Ueberlegung ausrief:

»So wisset denn Euer Liebden, daß nicht ich um Ketlings willen ins Kloster gehe.«

Nach diesen Worten eilte sie die Treppe hinauf und war in einer Minute den Blicken des Ritters entschwunden.

Er aber stand zuerst wie versteinert da, dann rieb er sich die Augen, wie einer, der aus dem Schlafe erwacht. Plötzlich schoß ihm das Blut jäh zu Kopfe, er griff nach dem Säbel und rief mit Donnerstimme:

»Wehe dem Verräter!«

Eine Viertelstunde später jagte Herr Michal so rasch gen Warschau zu, daß der Wind um seine Ohren sauste, daß die Erdklümpchen nur so unter den Hufen seines Pferdes umherflogen.


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