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Herr Wolodyjowski gönnte sich wenig Ruhe in dem Standquartiere, und seine Leute standen ihm kaum nach. Höchstens hundert, zuweilen auch noch weniger Mann bildeten die Besatzung von Chreptiow, die übrigen zogen fortwährend auf Streifzüge aus. Den tüchtigsten Abteilungen fiel die Aufgabe zu, die Schluchten von Uszyc zu durchsuchen, was Wunder also, daß sie fast beständig im Kriege lebten, denn die zahlreichen Räuberbanden leisteten meist hartnäckigen Widerstand. Gar häufig mußten förmliche Schlachten geliefert werden. Derartige Streifzüge dauerten bisweilen mehrere Tage, ja zuweilen sogar zehn Tage. Kleinere Posten entsendete Herr Michal fortwährend gen Braclaw, um sich Kunde über die Tatarenhorden und über Doroszenko zu verschaffen, und zu diesem Behufe hatten die Ausziehenden den Befehl, so viele Gefangene wie möglich zu machen, durch deren Aussagen man sich ja am besten über den Feind unterrichten konnte. Wieder andere Posten durchstreiften das Gebiet längs des Dniesters bei Mohilow und Jampol, um die Verbindung mit den Kommandanten der dortigen Standquartiere aufrecht zu erhalten, etliche beobachteten die Moldauische Grenze, während es einigen oblag, Brücken zu schlagen und für die Verbesserung der alten Heerstraße zu sorgen.
Durch dieses thatkräftige Vorgehen wurden allgemach wieder geordnetere Zustände geschaffen. Von den besser gesinnten, dem Räuberwesen weniger fröhnenden Einwohnern kehrten zusehends immer mehr in ihre Behausungen zurück, freilich zuerst nur verstohlen, später aber furchtloser und beherzter. In Chreptiow selbst ließen sich einige jüdische Handwerker nieder, dann und wann erschien auch ein ansehnlicher armenischer Kaufmann, häufiger stellten sich die verschiedensten Krämer ein. Wolodyjowski durfte sich daher der gegründeten Hoffnung hingeben, daß, so es ihm mit Gottes Hilfe und durch des Hetmans Gnade vergönnt sein sollte, längere Zeit auf dem Kommandoposten bleiben zu können, diese ganze verwilderte Gegend binnen kurzem ein anderes Ansehen gewinnen werde. Freilich waren bis jetzt nur die Anfänge dazu gemacht, freilich blieb noch unendlich viel zu thun übrig. Noch waren die Straßen unsicher, noch ließ sich das entartete Volk lieber mit dem Raubgesindel als mit den Soldaten ein, noch verbargen sich die Leute wegen der geringfügigsten Ursachen in den felsigen Schluchten. Sehr oft schlich sich über die Furten des Dniesters allerhand Raubgesindel ein, das aus Wallachen, Kosaken, Ungarn, Tataren und aus Gott weiß was für Leuten zusammengesetzt war. Diese Spießgesellen unternahmen dann Raubzüge nach allen Richtungen hin, indem sie nach Art der Tataren Dörfer und kleinere Städtchen überfielen und alles mit fortschleppten, was nicht niet- und nagelfest war. Noch durfte man zwar nicht den Säbel aus der Hand legen oder die Muskete an den Nagel hängen, es war aber doch immerhin ein Anfang gemacht und günstige Anzeichen kündigten eine bessere Zukunft an.
Die östliche Seite mußte aber mit ganz besonderer Vorsicht beobachtet werden. Von Doroszenkos Scharen, also demnach auch von dessen tatarischen Hilfstruppen lösten sich unaufhörlich kleinere oder größere Haufen ab und verwüsteten, bis in die Nähe der polnischen Standquartiere streifend, die Gegend mit Feuer und Schwert. Da indessen diese vereinzelten Abteilungen auf eigene Faust vorgingen oder wenigstens unabhängig vorzugehen schienen, konnte der kleine Ritter deren Züchtigung veranlassen, ohne befürchten zu müssen, es könne dadurch ein allgemeiner Sturm heraufbeschworen werden. So beschränkte er sich daher auch nicht nur darauf, sich gegen sie zu verteidigen, sondern er bedrängte sie in den Steppen so wirkungsvoll, daß mit der Zeit auch der Kühnste die Lust an derartigen Abenteuern verlor.
Mittlerweile hatte sich Basia in Chreptiow eingewöhnt.
Unermeßliches Gefallen fand sie an dem Soldatenleben, das sie jetzt erst aus nächster Nähe kennen lernte. – Alles gewann ihr Interesse ab. – Das unaufhörliche Getriebe, die Märsche, die Rückkehr von den Streifzügen, der Anblick der Gefangenen. So erklärte sie denn auch dem kleinen Ritter, es ginge nicht anders, sie müsse wenigstens einmal an einer solchen Unternehmung teilnehmen. Vorläufig mußte sie sich aber damit zufrieden geben, auf ihrem tatarischen Pferde in Gesellschaft ihres Gatten und Herrn Zaglobas zuweilen einen Ausritt in die Umgegend von Chreptiow zu machen. Dabei bot sich dann häufig Gelegenheit, auf Füchse und Trappen zu jagen, ja, manchmal stürzte eine Wildsau aus dem Gestrüppe hervor und suchte das Weite zu gewinnen. Dann wurde sie gehetzt, und Basia trachtete dabei stets darnach, immer voran zu sein, um mit den Windhunden das erschöpfte Tier einzuholen und ihm zwischen die blutunterlaufenen Augen einen Schuß aus dem Mousquetan zu versetzen.
Herr Zagloba indessen liebte die Jagd mit Falken ganz besonders, und da die Offiziere etliche Paare trefflich abgerichteter Falken besaßen, konnte er sich dies Vergnügen häufig gönnen.
Oft zog Basia mit ihm aus, war dies aber der Fall, dann folgten ihr auf Befehl des Herrn Michal insgeheim etliche Leute, um im Notfalle gleich bei der Hand zu sein, denn wenngleich man in Chreptiow stets ganz genau wußte, was sich in einem Umkreise von nahezu zwanzig Meilen ereignete, ließ Michal doch die Vorsicht nicht außer acht.
Mit jedem Tage machte sich Basia beliebter bei den Soldaten, trug sie doch Sorge für deren Trank und Speise, nahm sie sich doch stets der Kranken, der Verwundeten, an. Ja, selbst der finstere Mellechowicz, der noch beständig Schmerzen an seiner Kopfwunde hatte, und der weit schwieriger zu behandeln war als alle andern, schaute freundlicher darein, wenn er die junge Frau Obristin zu Gesicht bekam, die alten Krieger aber kannten sich nicht vor Entzücken über deren geradezu ritterlichen Mut, über deren genaue Kenntnis der kriegerischen Sitten.
»Sie könnte jederzeit das Kommando an Stelle des kleinen Falken übernehmen,« sprachen sie untereinander, »und mit Freuden ginge man unter einem solchen Befehlshaber in den Tod.«
Oftmals, wenn während der Abwesenheit Wolodyjowskis irgend welche Dienstvergehen vorkamen, erteilte Basia den Soldaten die Verweise dafür, und stets ward ihr Gehorsam gezollt, ja, die ältesten Krieger nahmen sich diese Zurechtweisungen mehr zu Herzen, als die Strafen, welche der diensteifrige Herr Michal über den Schuldigen zu verhängen pflegte.
Strenge Zucht herrschte indessen unter seiner Mannschaft, denn der aus der Schule des Fürsten Jeremi stammende Wolodyjowski hielt mit eiserner Hand die Ordnung aufrecht, doch ganz abgesehen davon wirkte auch die Anwesenheit Basias mildernd auf die wilden Sitten ein. Ein jeder der Krieger bestrebte sich, ihr zu Gefallen zu leben, ein jeder bemühte sich, für ihre Ruhe zu sorgen.
Bei der leichten Reiterei des Herrn Mikolaj Potocki stand eine Anzahl von Offizieren, die schon viel in der Welt herumgekommen waren, und die sich daher, trotz des wilden Kriegslebens, trotz der fortwährenden Kämpfe und Abenteuer ihre feinen höfischen Sitten bewahrt hatten und gar gute Gesellschafter waren. Diese sowohl wie die Kameraden aus den andern Schwadronen brachten manchen Abend bei ihrem Obristen zu, der sie dann veranlaßte, aus alten Zeiten und von den Kämpfen zu berichten, an denen sie persönlich teilgenommen hatten. Selbstverständlich führte aber Herr Zagloba das große Wort bei diesen Zusammenkünften. Er war der älteste von allen, besaß die meiste Erfahrung und durfte sich vieler Verdienste rühmen, sobald ihn jedoch nach einigen Bechern in dem für ihn eigens herbeigeschafften, mit Safian bezogenen Lehnstuhl der Schlaf überwältigte, dann ergriff der oder jener das Wort. Und fast ein jeder wußte etwas zu erzählen, denn mancher von ihnen hatte schon Schweden und Moskau gesehen, etliche hatten ihre Jugendjahre in der Sicz vor der Zeit von Chmielniecki verbracht, wieder andere waren schon als Gefangene in der Krim gewesen, wo sie Schafe hüten mußten, andere waren in Bachczysaraj zum Graben von Brunnen verwendet worden, einige waren bis nach Kleinasien gekommen, mehrere hatten im Archipelagus auf türkischen Galeeren Ruderdienste versehen, ja, einer oder der andere hatte sogar schon mit seiner Stirne das heilige Grab berührt, viele hatten großes Mißgeschick, schlimme Abenteuer erlebt, und doch waren sie alle wieder zu ihrer Fahne zurückgekehrt, um bis ans Ende ihres Lebens, bis zum letzten Atemzug dies mit Blut getränkte Grenzland zu verteidigen.
Im November, als die Abende länger wurden und von der weiten Steppe her keine Gefahr mehr drohte, da das Gras dürr geworden war, versammelte sich tagtäglich eine ansehnliche Gesellschaft in dem Hause des Obristen. Herr Motowidlo erschien, der Anführer der Semenen, ein Ruthene von Geburt, nicht mehr allzu jung, dünn wie ein Faden und ungewöhnlich groß, ein Krieger, welcher seit mehr als zwanzig Jahren ununterbrochen im Felde stand. Dann kam Herr Deyma, der Bruder jenes Deymas, durch den Herr Ubysz getötet worden war, selten fehlte auch Herr Muszalski, ein ehemals sehr begüterter Mann, der jedoch in jüngeren Jahren in Gefangenschaft geratend, auf den türkischen Galeeren Ruderdienste hatte verrichten müssen. Sich dieser Sklaverei durch die Flucht entziehend, hatte er Hab und Gut im Stiche gelassen, um sich, mit dem Säbel in der Faust, an der muhamedanischen Rasse zu rächen. Es war dies auch ein unvergleichlicher Bogenschütze, vermochte er doch mit dem Pfeile einen hoch in den Lüften sich wiegenden Reiher niederzustrecken. Die beiden Führer der Streifwachen, Herr Wilga und Herr Nienaszyniec, sowie auch Herr Hromyka und Herr Bawdynowicz stellten sich mit noch vielen andern, samt und sonders namhafte Soldaten, auch sehr häufig ein. Wenn nun diese zu erzählen begannen, wenn sie in beredten Worten ihre Erlebnisse schilderten, dann glaubte man die ganze Welt des Orients vor sich aufsteigen zu sehen – Bachczysaraj und Stambul, die Minarets, die Heiligtümer des falschen Propheten, das blaue Gewässer des Bosporus, die Springbrunnen, den Palast des Sultans, das wirre Getriebe, das Menschengetümmel in den aus Stein erbauten Städten, die Kriegsscharen, die Janitscharen, die Derwische und schließlich den in allen Regenbogenfarben schillernden Heuschreckenschwarm, vor welchem die Republik mit ihrem Herzblut das Kreuz in Westrußland, das Kreuz und die Kirchen in Europa verteidigte.
In der geräumigen Stube saßen dann die alten Kriegskameraden im Kreise umher gleich Störchen, welche vom Fluge ermüdet, sich auf einem Grabhügel der Steppe niedergelassen haben und deren lautes Geklapper weithin schallt.
Harzige Holzscheite brannten stets in dem Kamine und erhellten durch ihren Schein das ganze Gemach. Auf Basias Anordnung wurde gewöhnlich Moldauischer Wein an der Glut gewärmt, um dann von den Dienern mit kleinen, zinnernen Bechern ausgeschöpft und den Rittern kredenzt zu werden. Von draußen her ertönte der Ruf der Wachen, in der Stube zirpten die Grillen, über die sich ja Herr Wolodyjowski schon beschwert hatte, und durch die mit Moos verstopften Ritzen der Wände pfiff der Novemberwind, der, aus Norden kommend, immer schärfer wurde. Bei einem solchen Frost fühlte man sich fürwahr am behaglichsten, wenn man in der hellen, warmen Stube traulich beisammen saß und sich von ritterlichen Abenteuern erzählte.
An solch einem Abend ließ sich einmal Herr Muszalski folgendermaßen vernehmen:
»Möge der Allmächtige der ganzen Republik, uns allen, vornehmlich aber Ihrer Gnaden, der hier anwesenden, hochverehrten Gemahlin unseres Kommandanten, zu deren Herrlichkeit wir kaum unsere Augen zu erheben wagen, seinen heiligen Schutz angedeihen lassen. Fern liegt es mir zwar, mich mit Herrn Zagloba vergleichen zu wollen, dessen Erlebnisse selbst einer Dido und deren äußerst lieblichen Frauenzimmern Bewunderung abgerungen hätten, aber wenn Ihr, wohledle Herren, Muße findet cognoscere meas, will ich nicht säumen, um die wohlansehnliche Gesellschaft nicht zu verletzen.
In meinen Jugendjahren fiel mir ein bedeutender Grundbesitz in der Ukraine, ganz in der Nähe von Taraszcza, als Erbe zu. Durch meine Mutter besaß ich schon zwei Dörfer in einer gar friedlichen Gegend bei Jaslo, doch zog ich es vor, auf dem väterlichen Gute zu hausen, weil solches den Tatarenhorden näher lag und dadurch mehr Gelegenheit zu Abenteuern geboten war. Mein kriegerischer Sinn zog mich freilich nach der Sicz, allein dort hatten wir nichts mehr zu suchen und so wendete ich mich denn in Gesellschaft von vielen andern Abenteuerlustigen nach der Wüstenei, wenn ich meine Kampfeslust bethätigen wollte. Auf meinem Gute hätte ich nun sehr behaglich und zufrieden leben können, wenn nicht ein Umstand gewesen wäre: Ich hatte einen recht bösartigen Nachbarn. Es war das ein gewöhnlicher Bauer, der aus der Nähe von Bialocerkiew stammend, in seiner Jugend in der Sicz gewesen und es dort nicht nur bis zu der Würde eines Ataman gebracht hatte, sondern auch als Gesandter der Kosaken nach Warschau geschickt worden war, woselbst er geadelt ward. Dydiuk nannte er sich. Jetzt muß ich aber den gnädigen Herrschaften noch auseinandersetzen, daß unser Geschlecht von einem gewissen Heerführer der Samniter abstammt, Namens Musca, was in unserer Sprache »Fliege« bedeutet. Dieser Musca nun gelangte nach verschiedenen verfehlten Unternehmungen gegen die Römer an den Hof von Ziemowit, dem Sohne des Piasten, der ihn, vielleicht weil es ihm so bequemer war, Muscalski hieß, ein Name, den dann dessen Nachkommenschaft in Muszalski umwandelte. In dem Bewußtsein einer so edlen Abstammung blickte ich voll abominato auf jenen Dydiuk. Ja, wenn dieser Schurke die ihm widerfahrene Ehre zu schätzen gewußt, wenn er die bevorzugte Stellung des Adels allen anderen Menschen gegenüber anerkannt hätte, würde ich mich vielleicht zufrieden gegeben haben. Allein er, der als Edelmann selbstverständlich auch Gutsbesitzer war, spottete noch über diese Würden und that häufig den Ausspruch: »Ist etwa mein Schatten jetzt größer? Ein Kosak bin ich gewesen und ein Kosak bleibe ich, und der ganze Adel und all die verhaßten Lachen sind das ... für mich!« Ich vermag den gnädigen Herrschaften nicht darzuthun, welche unflätige Bewegung er an dieser Stelle zu machen pflegte, insonderheit nicht in Anwesenheit Ihrer Gnaden, der Frau Obristin. Mich aber ergriff darob wilde Wut, ich verfolgte ihn darob unablässig. Er kannte indessen keine Furcht, er bezahlte mit gleicher Münze. Auf einen Zweikampf mit Säbeln wäre er gern eingegangen, doch fordern wollte ich ihn nicht in Anbetracht seiner niederen Herkunft. Hei, wie die Pest haßte ich ihn, und er war mein grimmigster Gegner. In Taraszcza einmal, auf dem Ringe, da schoß er auf mich. Auf ein Haar hätte er mich getötet, ich aber spaltete ihm dafür mit der Streitaxt den Schädel. Zweimal überfiel ich ihn auf seinem Wohnsitz mit meinen Dienstleuten, zweimal zog er mit seinem Raubgesindel gegen mich aus. Bezwingen konnte er mich fürwahr nicht, allein auch ich konnte nicht mit ihm fertig werden. Gerichtlich habe ich ihn hierauf belangen wollen – traun, was für Gesetze existieren aber denn in der Ukraine, wo noch die Trümmer verwüsteter Städte rauchen? Fürwahr, ein jeder, der sich dort eine Schar von Spießgesellen sammelt, der kann in der Republik thun, was er will. So war auch sein Thun beschaffen, ja, er verlästerte sie auch noch, diese unsere gemeinsame Mutter, ohne dessen eingedenk zu sein, daß sie ihn, ihm den Adel verleihend, an ihre Brust gedrückt, daß sie ihm privilegia gegeben, kraft derer er Grundbesitzer geworden, und daß sie ihm Freiheiten gewährt hatte, deren er sich in keinem anderen Lande hätte erfreuen können. Wäre ein nachbarlicher Verkehr zwischen uns möglich gewesen, hätte ich auf ihn einzuwirken gesucht, allein nicht anders begegneten wir einander wie mit der Büchse in der einen, mit dem Säbel in der andern Hand. So wuchsen denn Groll und Haß dermaßen in mir, daß ich die Gelbsucht bekam. Nur noch ein Gedanke verfolgte mich – der Gedanke, wie ich seiner habhaft werden könnte. Wohl fühlte ich, welche Sünde ich mit diesem Hasse auf mich lud, folglich wollte ich ihn auch nur für seine Verhöhnung des Adelsstandes mit der Peitsche bearbeiten, ihm dann, wie es mir als Christ geziemt, seine Sünden vergeben und ihn schließlich niederschießen lassen.
Doch unser Herrgott hatte es anders bestimmt.
Nicht weit vom Dorfe entfernt besaß ich einen Bienengarten. Dorthin begab ich mich einmal, um ihn zu besichtigen. Es war gegen Abend. Kaum befand ich mich dort so lange, als man zehn Vaterunser zu beten vermag, so tönt wirrer Lärm an mein Ohr. Ich halte Umschau, und was erblicke ich? Rauchwolken steigen über dem Dorfe empor, und schon eilen von allen Seiten die Leute herbei mit dem Rufe: »Die Horde, die Horde!« Und hinter den Leuten her, meine gnädigsten Herrschaften, ein schwarzer, dunkler Schwarm! Und die Schüsse krachen, die Kugeln fliegen hageldicht, und wohin ich auch schaue, nichts ist zu sehen wie Schafpelze, wie teuflische Tatarengesichter. Ich rasch aufs Pferd! Doch noch steht der Fuß im Bügel, da werden schon fünf oder sechs Schlingen über mich geworfen. Stark wie ich war, suchte ich sie zu zerreißen ... Nec Herkules! ... Drei Monde darauf befand ich mich mit noch andern Gefangenen in Suhajdzig, einem hinter Bachczysaraj gelegenen tatarischen Dorfe.
Mein Herr hieß mit Namen Salma Bey. Er war ein reicher Tatar, aber unmenschlich und hart gegen seine Sklaven. Unter Peitschenhieben mußten wir Brunnen graben und Feldarbeit verrichten. Ich wollte mich loskaufen, besaß ich doch das Nötige dazu. Durch einen gewissen Armenier schickte ich Briefe auf mein Besitztum bei Jaslo. Ob nun die Briefe nicht abgeliefert worden sind, ob das Lösegeld unterwegs in falsche Hände geraten ist – ich weiß es nicht; genug, daß ich nie etwas erhielt ... So brachte man mich nach Carogrod Anmerk. d. Uebersetzerinnen: Konstantinopel., wo man mich auf die Ruderschiffe verkaufte.
Viel ließe sich von dieser Stadt erzählen, denn eine größere und schönere giebt es wohl nicht in der ganzen Welt. Menschen giebt es dort so viele wie Gras auf den Steppen, oder Steine im Dniester – und gewaltige Mauern ragen nach allen Seiten empor, Turm steht an Turm ... Zwischen der ungeheuern Menschenmenge schweifen Hunde umher, denen die Türken wohl deshalb nichts anhaben, weil sie, diese Hundsbrut, sich mit jenen verwandt fühlen. Da giebt es keinen andern Stand wie Herren und Sklaven, und nichts ist entsetzlicher als die Sklaverei bei diesen Heiden. Gott allein weiß, ob es wahr ist, mir ist's aber häufig auf der Galeere zu Ohren gekommen, daß die Gewässer des Bosporus und des Goldenen Hornes von den Thränen herrührten, welche von den Gefangenen vergossen werden. Fürwahr, auch ich habe nicht wenige dort vergossen.
Furchtbar ist die türkische Macht, und keinem Herrscher sind so viele Könige unterthan wie dem Sultan. Die Türken selbst behaupten, daß wenn Lechistan nicht wäre, so nennen sie unser Heimatsland, sie längst schon die Herren orbis terrarum seien. Im Rücken des Lachen, sagen sie, lebt die übrige Welt in Falschheit und Lüge, und auch jener, so sagen sie, liegt wie ein Hund vor dem Kreuze, uns aber beißt er in die Hand ... Und haben sie damit nicht recht? denn so ist es immer gewesen, so ist es auch jetzt noch ... Wie machen wir es denn hier in Chreptiow, was geschieht in den Standquartieren von Mohilow, Jampol und Raszkow? Viel, viel des Schlimmen giebt es wahrlich in unserer Republik, allein ich glaube, daß uns Gott dereinst unsere Dienste lohnen, daß uns vielleicht späterhin auch die Menschheit dankbar dafür sein wird.
Doch ich will nun zu dem zurückkehren, was mich selbst betrifft. Die Sklaven, die auf festem Lande, in Dörfern oder Städten leben, seufzen unter keinem so schweren Joche wie die, welche Ruderdienste verrichten müssen. Denn sind die Galeerensklaven einmal an die Ruderbänke angeschmiedet, dann kommt keiner mehr, weder bei Tag, noch bei Nacht oder an Festtagen von seinen Ketten los. Nein, die Fesseln muß er bis an sein Lebensende tragen, und geht das Schiff in pugna navali zu Grunde, dann ist's auch mit jenen zu Ende. Nackt sind die Ruderknechte alle, die Kälte durchschauert sie, der Regen durchnäßt sie, der Hunger quält sie! Dagegen giebt es kein Mittel, keinen Rat, wie Thränen, wie entsetzlich mühselige Arbeit, denn so schwer sind die Ruder zu führen, daß jedes einzelne von zwei Männern bedient werden muß.
Mich brachte man in der Nacht auf das Boot. Ich wurde angeschmiedet und einem Leidensgefährten gegenüber gesetzt, dessen Züge in tenebris ich nicht zu erkennen vermochte. Als ich jedoch die Hammerschläge, das Rasseln der Ketten vernahm, bei Gott, da dünkte mir, man nagle meinen Sarg zu, aber wahrlich, das hätte ich noch allem andern vorgezogen. Ich betete und betete, allein die Hoffnung schwand aus meinem Herzen wie vom Winde hinweggeblasen. Meine Schmerzensseufzer wären von dem Aufseher mittelst Peitschenhieben erstickt worden, so saß ich denn die ganze Nacht hindurch ruhig da bis zum Morgengrauen ... Da fällt mein Blick auf den, mit welchem ich gemeinsam das Ruder bedienen soll ... Ach, Du mein Heiland! ... Ratet, liebwerte Herrschaften, wer mir gegenüber saß? ... Dydiuk!
Sofort erkannte ich ihn, wiewohl er sehr abgemagert war und einen Bart bis zum Gürtel hatte, da er schon lange als Galeerensklave Ruderdienste verrichtete. Ich sah ihn, er sah mich an, und sofort erkannte er auch mich. Doch wir sprachen kein Wort miteinander ... Siehe da, so weit war es mit uns gekommen! Trotzdem aber war unser beider Herz noch so voll Erbitterung, daß wir uns nicht nur nicht grüßten, wie es doch Christen geziemt, sondern daß der alte Groll gleich einer Flamme von neuem in uns aufloderte, daß sich jeder über die Leiden des andern, seines Feindes, freute ... Noch an dem gleichen Tage stach das Fahrzeug in die See. Seltsam mutete es mich an, mit meinem größten Feinde dasselbe Ruder zu führen, aus einer Schüssel essen zu müssen und zwar Abfälle, die bei uns kein Hund anrühren würde, widerlich war mir der Gedanke, daß ich die gleiche Tyrannei wie jener erdulden mußte, daß ich die gleiche Luft mit ihm atmete, daß ich wie er litt, daß ich wie er weinte und stöhnte ... Wir fuhren durch den Hellespont und dann in den Archipelagus ... Dort liegt eine Insel neben der andern und alle stehen, wie auch die beiden Ufer, ja, wie die ganze Welt, unter türkischer Herrschaft! ... Schwer, schwer war unser Los! Bei Tage eine unerträgliche Hitze! Da brennt die Sonne so entsetzlich, daß aus dem Wasser Flammen aufzusprühen scheinen, daß man glaubt, durch einen Feuerregen versengt zu werden. Der Schweiß floß in Strömen an uns nieder, die Zunge klebte an dem vertrockneten Gaumen. In der Nacht aber herrschte grimmige Kälte. Und nirgends ein Hoffnungsstrahl, kein Trost, nichts wie Folterqualen, wie Schmerz um das verlorene Glück, nichts wie Jammer, wie grausames Hinsterben! Worte vermögen dies gar nicht zu schildern! Von einer Bucht aus, wir befanden uns bereits auf griechischem Boden, sahen wir die berühmten Ruinen des Tempels, der von den alten Griechen erbaut worden war. Säule reiht sich dort an Säule, und eine jede glänzt, als ob sie von Gold wäre; das ist jedoch nur der Marmor, der durch die langen Jahre gelb geworden ist. Ganz deutlich konnten wir die Säulen sehen, standen sie doch auf einer steilen Anhöhe und ist doch der Himmel dort so blau wie Türkisen! ... Von jener Bucht aus ruderten wir rings um den Peloponnes – So verfloß Tag für Tag, eine Woche nach der andern verstrich, aber noch immer hatten wir, Dydiuk und ich, kein Wort miteinander gewechselt, denn immer noch wohnten Hochmut und Unversöhnlichkeit in unseren Herzen. Doch allmählich, allmählich beugten wir uns unter Gottes Hand. Infolge der Mühseligkeiten, infolge des fortwährenden Luftwechsels fiel uns das sündhafte Fleisch immer mehr von den Knochen, die mit dem Riemen geschlagenen Wunden begannen durch die Hitze zu eitern. Jede Nacht beteten wir, flehten wir um Erlösung, um den Tod. Kaum sank ich in leisen Schlummer, so hörte ich die Worte Dydiuks: »Christus, erbarme Dich meiner, heilige unbefleckte Mutter Gottes, erbarme Dich meiner, laß mich sterben!« Und auch er hat es gehört, auch er hat es gesehen, wie ich zu der heiligen Mutter Gottes, wie ich zu ihrem Kindlein flehend die Hände erhob ... Da plötzlich schwand der Groll wie fortgeweht von dem auf dem Meere wehenden Winde ... Immer versöhnlicher, immer versöhnlicher wurden wir gestimmt. Nicht nur mein eigenes Schicksal beweinte ich nunmehr, nein, auch das seine beweinte ich. Mit ganz anderen Augen schauten wir uns nun an. Traun, wir begannen sogar, uns gegenseitig beizustehen. Ueberkam mich ein Angstschweiß und Todesmattigkeit, dann ruderte er allein, ward er von Schwäche überwältigt, trat ich für ihn ein. Ward die Schüssel mit dem Essen gebracht, dann achtete ein jeder darauf, daß der andere nicht verkürzt werde ... Doch seht, wohledle Herrschaften, gar merkwürdig ist eben die menschliche Natur beschaffen ... Längst waren wir uns schon in Liebe zugethan, doch keiner wollte dies zugestehen ... Das Böse hatte noch Gewalt über ihn, sein harter, ukrainischer Sinn war noch nicht gebrochen ... Das änderte sich erst dann, als es uns schlimmer und schlimmer erging, als man uns sagte, am folgenden Tage würden wir mit der Venetianischen Flotte zusammenstoßen. Die Nahrungsmittel gingen zur Neige, es wurde daher mit allem uns gegenüber gegeizt, nur nicht mit der Peitsche. Die Nacht brach an. Stöhnend und ächzend beteten wir, er in der seinen, ich in der meinen Weise – heiß, inbrünstig beteten wir, und ich schaue auf ihn, und ich sehe beim Schein des Mondes, daß er weint, daß eine Thränenflut auf seinen Bart niederrinnt. Da brach die Rinde um mein Herz, und so sage ich: »Dydiuk, wir entstammen doch einem Heimatslande, wir wollen uns unsere Schuld vergeben.« Als er dies hörte – allmächtiger Gott – da brüllte er geradezu auf vor Freude, da sprang er auf mich zu, daß die Ketten rasselten. Ueber die Ruder hinüber fielen wir uns in die Arme, wir küßten uns, wir schluchzten und weinten! Wie lange wir uns umschlungen hielten – ich kann es nicht sagen, denn die Sinne schwanden uns nahezu, wir zitterten und bebten vor heftigem Schluchzen.«
Hier hielt Herr Muszalski in seiner Erzählung plötzlich inne und fuhr sich mit der Hand über die Augen, wie wenn er etwas daraus wegwischen wolle, und es erfolgte ein tiefes Schweigen. Nur der rauhe Nordwind pfiff durch die Ritzen, das Holz in dem Kamine knisterte und die Grillen zirpten. Schließlich indessen fuhr Herr Muszalski, tief Atem schöpfend, weiter fort:
»Wohl hat uns Gott, der Herr, seiner Gnade teilhaftig werden lassen, wie sich dies später erweisen wird, doch jetzt, im Augenblicke, mußten wir unsere brüderlichen Gefühle teuer bezahlen. Während wir uns nämlich umfaßt hielten, verwickelten sich unsere Ketten dermaßen, daß wir sie nicht mehr zu lösen vermochten. Da stürzten die Aufseher heran und brachten uns auseinander, aber der Kantschu sauste wohl eine Stunde über uns. Blind wurde zugeschlagen, wohin man eben traf. Mein Blut floß, es floß das seine, und vermischt strömte es ins Meer ... Bei meiner Treu, genug davon! Alte Geschichten sind dies ... Und alles gereicht ja zur Ehre Gottes!
Von nun an that ich mir nichts mehr darauf zu gut, daß ich ein Abkömmling der Samniter bin, während Dydiuk ein neu geadelter Bauer aus Bialocerkiew war. Meinen leiblichen Bruder hätte ich nicht mehr lieben können, als ich ihn liebte; fürwahr, ich legte kaum mehr Gewicht darauf, daß er den Adel erhalten hatte, obschon ich freilich lieber sah, daß dem so war ... Und er blieb auch jetzt der Gleiche – ebenso wie er sich früher im Haß nicht genug zu thun wußte, so wußte er sich jetzt nicht genug zu thun in seiner Liebe. Derart war eben seine Natur.
Am folgenden Tage kam es auch wirklich zum Kampfe. Die Venetianer zersprengten unsere Flotte nach allen vier Weltgegenden. Unsere Galeere, schlimm zugerichtet durch eine Kolubrine, zog sich an irgend eine kleine Insel, oder richtiger gesagt, an einen aus dem Meere aufragenden Felsen zurück. Das Fahrzeug mußte ausgebessert werden. Da jedoch die Soldaten gefallen waren und es an Arbeitskräften mangelte, blieb nichts anderes übrig, als uns die Ketten abzunehmen, als uns mit Beilen zu versehen. Kaum betraten wir aber das Land, so werfe ich dem Dydiuk einen bedeutsamen Blick zu, und er, nun, ihm war sofort der gleiche Gedanke gekommen wie mir. »Auf der Stelle?« fragte er mich. »Auf der Stelle!« sage ich und spalte einem Aufseher den Schädel. Dydiuk schlägt den Kapitän darnieder. Unser Beispiel greift wie das Feuer um sich. In einer Stunde haben wir mit den Türken aufgeräumt, die Galeere wird notdürftig ausgebessert, frei von den Fesseln nehmen wir unsere Sitze wieder ein, und durch Gottes Barmherzigkeit trieb uns ein günstiger Wind nach Venedig.
Mit Betteln schlugen wir uns hierauf bis zur Republik durch. Ich teilte nun mein bei Jaslo gelegenes Besitztum mit Dydiuk, später aber traten wir wieder in Kriegsdienst, um Rache zu nehmen für die von uns vergossenen Thränen, für das von uns vergossene Blut. Während der Affäre von Podhajce begab sich Dydiuk nach der Sicz zu Sirko und zog dann mit in die Krim. Was sie dort alles ausrichteten, welch bedeutsame Thaten sie dort verbrachten, das alles ist ja Euch, wohledle Herrschaften, genugsam bekannt.«
Abermals versank Herr Muszalski nun in Schweigen, und wieder war nichts zu hören wie das Pfeifen des Nordwindes, wie das Knistern der brennenden Holzscheite. Sinnend heftete der alte Krieger seinen Blick auf die flackernde Flamme, und erst nach langer Pause schloß er seine Erzählung mit folgenden Worten:
»Der Nalewajko und der Loboda, beide haben uns viel zu schaffen gemacht, und dann ist der Chmielnicki gekommen, und jetzt gilt's dem Doroszenko. Die Erde kann wahrlich nicht trocken werden ob des Blutvergießens, Kampf und Hader hören nicht auf. Und doch hat Gott uns die Liebe ins Herz gepflanzt, aber es scheint, daß der Boden noch zu unfruchtbar dazu ist, und daß der Samen sich erst unter dem Drucke, unter dem Kantschu des Heidentums, in tatarischer Sklaverei zur Frucht entfalten kann.«
»Ein Bauernkerl bleibt eben ein Bauernkerl!« ließ sich nun Zagloba vernehmen, der plötzlich erwacht war.