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Der alte Glöckner

(Nach Emile Verhaeren)

Den ganzen langen Sommertag
War Sengeglut,
War ausgegossen Sonnenblut.
Das Wolkengewühl, das im Walde lag,
Schlummerbedeckt,
Ward plötzlich erschreckt.
In die Baumkronen kroch es langsam herauf.
Und von Arenastieren ein wirrer Hauf'
Brach über die Himmelsweiden aus. –
Eben, da der alte Glöckner in seinem Glockenhaus
Mit sorgenbedrückter Stirne stand
Und Feierabend läutete ins glutenausgelaugte Land:
Schrie schon der Sturm
Um den Turm! –
Mitten im Takt brach das Geläut ab und ward stumm.
Und das letzte, langhingeatmete Gebrumm
Sprang mit einem Satze
Wie eine geprellte Katze
In das Schallloch zurück. –
Der alte Glöckner hielt noch den Läutestrick,
Als mit wildem Gebell die Wolkenmeute
Blitze um den hölzernen Glockenturm streute.
Die Hüttlein des Dorfes wurden ganz klein
Und krochen hinein
In die schwarzsträhnige Dunkelheit.
Der Turm nur allein stand hoch und breit.
Und der alte Glöckner riß – Tack – Tack –
Mit seinem jetzt schon geläuteten Feuergeläute
Vorschnell einen Blitz aus der Wolkenmeute.
Ins blinkrige Turmkreuz biß das Gezack.
Und als der brüllende Donner die Erde verschlang,
Stand der Turm im Feuer eine Sekunde lang.
Das wurmige, alte Gebälk erschrak wie ein Mensch in Not.
Dann ward der Turm langsam über und über rot
Von den kreischenden Flammen, die im rasend gestachelten Sturm
Ihr Halleluja herniedersangen vom Turm.
Der Alte betet mit seiner Glocken Geschrei
Des Himmels Gnade für den Turm herbei! –
Doch wie ein hoher, lustiger Springbrunnen tut,
Der rinnt und in sich selber ruht,
So züngeln und laufen die Flammen am Turm ein Stück
Und kringeln sich dann in sich selbst zurück.
Bis der Springbrunnen toll vor Laune wird
Und sein Becken zerklirrt.
Nach allen Seiten
Spritzt er den Strahl!
Des Glöckners Hände in höchster Qual
Gegen den Todfeind streiten
Mit Läuten.
Mit seinem Gott ringt er in knirschendem Graus
Um Turm und Gotteshaus. –
Menschen aus dem nächtigen Land
Kommen mit aufgehobenen Armen gerannt.
Wagengerassel! Pferdeschnauben!
Wirrige Hände am Spritzenschlauch schrauben.
Knatternder Wasserstrahl rennt die Turmwand hinan,
Soweit er klimmen kann,
Bis er erschlafft.
Nur bis an die Turmluken hält seine Kraft,
Und er fällt dem heißen, angstklopfenden Glockenerz
Mitten aufs Herz.
Der Glöckner merkt's an der Glocken Ton:
Das Gestühl brennt schon!
Und wildes Verwünschen springt aus der Seele Grund
Ihm vom Mund.
Und er läutet in seiner grausen Pein
Die gierigen Flammen ins Dorf hinein.
Wie windhinabgebückte Fahnen
Laufen sie ihre grimmigen Bahnen.
Und was sie finden, das taufen sie,
Gleich wutblinden Wölfen laufen sie.
Ein Strohdach dort, ein Strohdach hier
Fressen sie an in wilder Gier.
Nun wird das Dorf, das dunkel war,
Von vielen großen Lampen klar.
Und hoch über den brennenden Katen erhöht,
Ragt der Turm, wo die Glocke immer noch geht.
Die prasselnden Balken brechen und brocken
Ihre splitternden Scheite auf die Glocken,
Die der alte Glöckner – jetzt ist er allein,
Die andern rannten ins Dorf hinein –
Mit letzten Kräften zwingt und zerrt,
Wie auch das gemarterte Erz sich sperrt. –
Sie klingt nicht mehr, es klirrt ihr Geklopf,
Gleich einem alten zersprungenen Topf.
Der Alte stöhnt vor Angst und Wut,
Kämpft knirschend gegen die wirrige Glut.
Sein – Turm – verbrennt! Aus diesen Gedanken
Bärtige Ungeheuer schwanken.
Geschwänzte Teufel mit Fledermausohren
Werden aus den Flammen geboren.
Fallen zu Boden und stauen sich an,
Daß der Glöckner nicht mehr entrinnen kann. –
Er will's auch nicht. – Er zieht am Strang,
Es läutet nicht mehr. Es klingt kein Klang.
Der Glöckner schreit. In seinen Schrei
Donnert der Sturz. Der Turm reißt entzwei.


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