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Der Verräter

Aber noch ehe Zenab von Fostât seinen Auftrag ausführen konnte, hatte schon ein anderer wider seinen Willen die christlichen Heere veranlaßt, ihre Lager bei Gazza und Joppe zu verlassen und teils sich nach Thamiatis einzuschiffen, teils an der Küste des Mittelländischen Meeres entlang auf dem Landwege nach Ägypten vorzurücken.

Dieser andere war der Ritter Guiscard von Rouen, dessen Plan, sich den Folgen seiner Schandtaten zu entziehen und in das Abendland zu entwischen, trotz aller seiner Schlauheit doch in die Brüche gegangen war.

Nachdem ihn die Gewißheit, daß der Ritter von Camp vom Fräulein gesehen und gesprochen worden war, so schnell aus Kairo fortgetrieben hatte, war er nur darauf bedacht gewesen, noch rechtzeitig ein nach Massilia bestimmtes Schiff zu erreichen, das er bei der Herreise in Thamiatis hatte vor Anker liegen sehen.

Er sagte sich, daß, nachdem die Gräfin von Petra selbst die Wahrheit erfahren hatte, alle weiteren Winkelzüge unnütz sein würden. Das Spiel war im Morgenlande für ihn verloren, und er wußte wohl, was ihm bevorstand, wenn er nach des Fräuleins Rückkehr noch im Gebiete des christlichen Königreiches gefunden wurde. Selbst die Gunst der Prinzessin Melisende, auf die er auch nicht einmal mehr mit Sicherheit rechnen durfte, würde ihn nicht davor bewahren, mit Schimpf und Schande der Ritterwürde für verlustig erklärt und dann wie ein gemeiner Mann gerichtet zu werden.

Die Rückkehr in die Heimat hatte freilich auch nicht viel Verlockendes. Der Nimbus des Kreuzes, den er schon wissen würde durch wundersame Erzählungen aus dem Heiligen Lande und geschickte Erwähnung eigener Heldentaten zu erhöhen, würde zwar eine Zeitlang vorhalten und ihm auch Pforten öffnen, die ihm früher verschlossen gewesen waren.

Aber seine alten Gläubiger würden schwerlich davor zurückschrecken und ihn bald genug wieder in die Verlegenheiten stürzen, denen er sich durch die Kreuzfahrt mit Mühe und Not zu entziehen gewußt hatte. Außerdem gab es auch daheim manche übelwollenden Leute, die an seiner Art, sich durch das Leben zu schlagen, ebensowenig Geschmack fanden, als die Ritter des Königs von Jerusalem.

Es schwebten auch am englischen Hofe noch ein paar unerledigte Ehrenhändel wider ihn, deren Auffrischung ihm häßliche Unbequemlichkeiten bereiten mußte, und schließlich hatte er auch noch damit zu rechnen, daß ihm der böse Leumund seiner Taten im Heiligen Lande doch über kurz oder lang in die Heimat folgen würde, so langsam sich auch bei der großen Entfernung und den seltenen Verbindungen zu jenen Zeiten Gerüchte verbreiteten.

So schien es ihm denn zweckmäßiger, um die Scylla und Charybdis der jerusalemitischen Richter und der heimatlichen Gläubiger fein behutsam herumzusegeln und sich lieber irgendwo eine neue Heimat zu suchen. Kein Land schien ihm hierzu aber geeigneter als die schöne Provence, in der damals das heitere Treiben der Minnehöfe aufzukommen begann. Dort würde man seine Künste zu würdigen wissen, dort winkten dem Sänger und Lautenspieler, dem Schönredner und witzigen Plauderer die leichten Siege, die er sich wünschte. Ja, dort konnte es ihm nicht fehlen!

In den glänzenden Aussichten, die ihm hier in ungeahnter Herrlichkeit erblühten, schon im voraus schwelgend, jagte er in wilder Hast durch die üppige Landschaft des Nildeltas dahin, achtete aber dabei so wenig auf Sitz und Pferd, daß er das arme Tier schon in Thmuis zu Schanden geritten hatte.

Vergeblich sah er sich nach Ersatz um. Hier mitten im Fruchtlande, wo die Beduinen aus der Wüste nicht hinkamen, gab es keine Rosse.

Scheltend und jammernd lief er von Schêch zu Schêch, suchte den biederen Dorfoberhäuptern in flammenden Reden begreiflich zu machen, daß ihnen nie die Pforten des Paradieses sich öffnen würden, wenn sie ihm nicht sogleich zu einem neuen Pferde verhülfen und dafür sorgten, daß er noch vor dem nächsten Morgen nach Thamiatis gelangte, versprach ihnen goldene Berge und machte endlich sogar die Byzantiner locker, die ihm der gutmütige Fürst von Antiochien mit auf den Weg gegeben hatte.

Die Antwort war aber überall dieselbe: » mafisch chêl!« – »Es gibt keine Pferde!«

So entschloß er sich denn endlich, so wenig ihn auch der Gedanke entzückte, vom Pferd auf den Esel zu kommen, sich mit einem humâr zu behelfen, einem jener flinken kleinen ägyptischen Langohre, die mit ihren trägen Vettern im Abendlande nur noch den Namen gemein haben.

Der langbeinige Ritter mochte zwar auf dem Rücken des kleinen Ya-Schreiers einen seltsamen Anblick gewähren; denn oft hielten die Bauern auf den Feldern in ihrer Arbeit inne und schauten ihm lachend nach, und in den Dörfern liefen schreiend die Kinder hinter ihm her.

Aber laufen tat der unritterliche Vierfüßler tüchtig, und das war dem Normannen, dem es ja nicht zum ersten Male begegnete ausgelacht zu werden, schließlich die Hauptsache. Wenn der brave Esel aber einmal Miene machen wollte, nachzulassen, wußte er ihn immer wieder nach dem Vorbilde der kairensischen Eseltreiber anzufeuern, indem er ihm mit der Schwertspitze in die Wunden stach, die schon der ebenso unbarmherzige Vorbesitzer dem Grautierchen beigebracht haben mochte.

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Der langbeinige Ritter gewährte auf dem Langohr einen gar seltsamen Anblick.

So gelangte er endlich noch vor Mitternacht nach Thamiatis, mußte aber hier zu seinem höchsten Schrecken erfahren, daß sein Schiff bereits am vergangenen Nachmittage nach Gazza weitergesegelt sei, wo es einige Tage liegen bleiben wolle, um dann ohne weiteren Aufenthalt über Kreta und Sizilien die Heimreise anzutreten.

Er sah sich nun vor die schlimme Wahl gestellt, entweder in Thamiatis zu warten, bis sich eine andere Gelegenheit zur Überfahrt finden würde, oder den Versuch zu machen, das nach Gazza gesegelte Schiff einzuholen.

Das erstere schien ihm bedenklich, weil die Wahrscheinlichkeit vorlag, daß Fürst Boemund ihn verfolgen lassen würde. Bei dem letzteren lief er Gefahr, dem bei Gazza liegenden Heere in die Hände zu fallen.

Da aber gerade eine nach Syrien bestimmte Barke im Begriff stand, den Hafen zu verlassen, beschloß er doch, sich ihr anzuvertrauen und nach Gazza zu fahren. Er vertauschte seine ritterliche Kleidung mit der Tracht eines abendländischen Kaufmanns und hoffte so unerkannt das Schiff nach Massilia erreichen zu können.

Die Barke brachte ihn auch wohlbehalten nach Gazza, das Schiff lag noch da und erklärte sich bereit, ihn mitzunehmen, und schon hatte er sich an Bord des ansehnlichen Fahrzeugs häuslich eingerichtet, als ihm der Zufall noch einen Strich durch die Rechnung machte.

Die bei Gazza lagernden Krieger benutzten die Gelegenheit, um den in die Heimat segelnden Schiffen Nachrichten an ihre Lieben mitzugeben, und so kam auch ein Knecht von Petra an Bord, der den Ritter trotz seiner Verkleidung erkannte und seinen Kameraden davon Mitteilung machte. Das Gerücht kam bald auch dem Führer der Heeresabteilung, dem Grafen von Nazareth, zu Ohren, und da dieser ein alter Waffengefährte Hermanns von Camp war, zögerte er nicht, selbst auf das Schiff zu gehen, um sich von der Wahrheit der wunderlichen Kunde zu überzeugen.

Guiscard hatte jedoch inzwischen Wind bekommen und die Schiffsleute bestochen, ihn zu verbergen und so bald als möglich in See zu gehen. Nachdem der Graf aber gedroht hatte, das Schiff als ein feindliches behandeln und von seinen Leuten plündern und in Brand stecken zu lassen, zogen sie es doch vor, ihn herauszugeben. In jämmerlicher Verfassung wurde der Normanne aus dem untersten Schiffsboden, wo er sich bei Ratten und Mäusen unter dem Ballast verkrochen hatte, hervorgeholt und vor den Grafen geführt.

»Ei, Herr Ritter!« redete dieser ihn an, während ringsumher die Schiffer und Soldaten mit höhnischen Gesichtern zuschauten. »Beim Turnier und Gottesgericht betrinkt Ihr Euch, und vor dem Feinde lauft Ihr davon? Bei einer solchen Aufführung hätte man wohl besser daran getan, Euch mit dem Rührlöffel, statt mit dem Schwerte zu bewaffnen!«

Aber mit dem großen Geschick, das der Normanne besaß, sich in alle Lagen zu finden und bei jedem Sturz, wie die Katze, immer auf die Beine zu fallen, war er auch diesmal um einen Ausweg nicht verlegen, und da es mit der Feigheit nicht hatte glücken wollen, versuchte er es nun mit der Frechheit, die ihm schon so oft im Leben über den Graben geholfen hatte.

»Wer gibt Euch ein Recht, so zu mir zu reden?« entgegnete er, dem Grafen mit kecker Stirn gegenübertretend. »Wenn mich auch die Verhältnisse gegenwärtig zwingen, in unwürdiger Kleidung einherzugehen und die Berührung mit meinesgleichen zu meiden, so trage ich doch nach wie vor den Handschuh, den ich Euch hiermit vor die Füße werfe!«

»Den Handschuh hebe ich ebenso auf, wie er geworfen ist,« antwortete der Graf, auf den der bestimmte und anscheinend würdige Ton seinen Eindruck nicht verfehlt hatte. »Und es sollte mich freuen, Euch auch einmal von einer besseren Seite kennen zu lernen. – Zunächst aber ersuche ich Euch doch, mir zu sagen, wie Ihr in solchem Aufzuge auf dieses Schiff kommt und welchen Grund Ihr hattet, Euch zu verbergen?«

»Ich wüßte nicht, wodurch ich verpflichtet wäre, Euch Rede zu stehen? Ich bin ein freier Ritter und niemand Rechenschaft schuldig.«

»Wem Ihr Rechenschaft schuldig seid, werdet Ihr wohl am besten wissen!« entgegnete der Graf mit scharfer Betonung. »Und ehe Ihr diese Rechenschaft nicht abgelegt habt, bin ich nicht gewillt, Euch als einen – freien – Ritter anzusehen. Ich habe vielmehr allen Grund anzunehmen, daß auch der Zustand, in dem ich Euch jetzt getroffen habe, durch einen Versuch hervorgerufen worden ist, Euch abermals jener Rechenschaft zu entziehen! – Aber hoffet nicht, mir zu entschlüpfen! – Die unerwiesenen Anklagen, die Ihr gegen Hermann von Camp gerichtet habt, haften an uns allen. Ihr seid jetzt in meiner Gewalt, und ich werde Euch nicht eher wieder herausgeben, bis Eure Sache in ritterlicher Versammlung nach Recht und Billigkeit geklärt und entschieden ist.«

»Das heißt so viel, als daß Ihr wagen wollt, mich gefangen zu nehmen?« rief der Normanne.

»Allerdings!«

»Nun denn, so wisset, daß Ihr Euch damit des schändlichsten Verrates an der ganzen Christenheit schuldig machen würdet!«

Der Graf stutzte.

»Wie das?« fragte er, den Ritter mit zweifelnden Blicken beobachtend; denn ob er gleich auf eine neue Tücke vorbereitet war, überraschte ihn doch die Sicherheit, mit der diese Drohung ausgesprochen wurde.

»Das Euch zu offenbaren, ist hier wohl kaum der geeignete Ort. Folget mir in mein Gemach; dort will ich Euch alles sagen,« gab Guiscard zurück, in dem plötzlich der Gedanke aufgestiegen war, den Grafen in das Schiff hinab zu locken, ihn dort irgendwo einzusperren und selbst durch eine der Luken das Weite zu suchen.

Aber der Graf war doch nicht vertrauensselig genug, auf diesen Vorschlag einzugehen. Der Normanne mußte sich vielmehr nach mancherlei Ausflüchten bequemen, ihm an Land zu folgen, wo er zunächst in einem der festen Hafentürme in sicheren Gewahrsam gebracht wurde.

Erst nachdem der Graf alle Vorkehrungen getroffen hatte, um einen neuen Fluchtversuch unmöglich zu machen, begab er sich zu ihm, um sich das Lügengericht auftischen zu lassen, das Guiscard inzwischen mit unerschöpflicher Erfindungsgabe für ihn zusammengerührt hatte.

Mit frecher Stirn erzählte er, so lebendig und wahrscheinlich, daß selbst ein größerer Zweifler, als der Graf einer war, davon hätte überzeugt werden können: Die ganze christliche Gesandtschaft sei in Ägypten erschlagen worden, er allein sei in seiner Verkleidung bis zur Küste entkommen, um nun in das Abendland zu eilen; denn er habe dem sterbenden Fürsten Boemund den Schwur leisten müssen, unverzüglich nach Rom zu gehen, um den heiligen Vater zu einem Rachezuge gegen die Ägypter zu bewegen. Wenn man ihn also jetzt verhindere, seinen Schwur zu erfüllen, so begehe man ein schmähliches Verbrechen an der ganzen Christenheit; denn die Macht der Ägypter sei so gewaltig, daß nur ein großes Kreuzheer es unternehmen könne, die ungeheure Untat der Ermordung so vieler christlicher Ritter zu rächen.

Der Graf war von dieser fürchterlichen Kunde zuerst so ergriffen, daß er gar nicht wußte, was er dazu sagen sollte.

Allmählich aber kam ihm zum Bewußtsein, daß manches in dieser Erzählung doch recht unwahrscheinlich klang und daß es deshalb nicht ratsam sei, auf die Angabe eines so unzuverlässigen Zeugen hin ohne weiteres an die Wahrheit einer so entsetzlichen Nachricht zu glauben.

Anderseits erschien es ihm aber auch undenkbar, daß sich ein Mensch so etwas ganz und gar sollte aus den Fingern saugen können. Wenn auch vielleicht nicht alles Wahrheit war, etwas mußte doch immerhin daran sein.

So beschloß er denn, auf alle Fälle der Gesandtschaft zu Hilfe zu eilen, die vielleicht in Gefahr war, an deren gänzliche Vernichtung er aber nicht zu glauben vermochte. Eine Schar von fast fünfzig Rittern und dreimal soviel wackeren Knechten erschlägt man nicht ohne weiteres. Zum mindesten würde der tapfere Fürst sein Leben sehr teuer verkaufen und sich so lange als irgend möglich zu halten suchen.

Er schickte also eilige Boten zum König und nach Joppe, mit der Bitte, die dort lagernden Truppen unverzüglich nach Thamiatis einzuschiffen, und rückte selbst, nachdem er sich noch einmal versichert hatte, daß Guiscard von Rouen diesmal keine Möglichkeit mehr haben würde, aus seinem Gefängnis im Hafenturm zu entkommen, mit seiner Heeresabteilung von über dreihundert Rittern und zwölfhundert Reisigen an der Küste entlang nach Elarisch vor, um von diesem letzten Orte des christlichen Königreiches aus die ägyptischen Grenzen zu überschreiten und alsdann in Eilmärschen geradeswegs auf Kairo loszumarschieren.

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