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Am Throne des Kalifen.

Wie der Vogt von Weißenstein, der nicht nur ein gewaltiger Jäger, sondern auch ein einsichtsvoller Politiker war, vorhergesehen hatte, blieb der Zug der Christen gegen Damaskus den Ägyptern nicht verborgen. Schon lange bevor König Balduin von Jerusalem gen Norden aufgebrochen war, um sich den gegen die Nordgrenze seines Reiches anrückenden Scharen des Sultans Buzi von Damaskus entgegenzuwerfen, hatte der Kalif, oder vielmehr sein allmächtiger Wesir, der in Wirklichkeit die Geschicke Ägyptens lenkte, von den Absichten seiner Glaubensgenossen Kunde erhalten und zögerte nicht, sich die bedrängte Lage des verhaßten Nachbars zu nutze zu machen.

Da aber sein Heer gerade fern im Süden in Dongola gegen die Nubier kämpfte, die schon seit einem halben Jahrtausend jakobitische Christen waren und ihren Glauben tapfer gegen die Muselmänner verteidigten, konnte er an einen Kriegszug gegen das Königreich Jerusalem zunächst nicht denken. Er beschloß aber, sobald als möglich ein neues Heer zu sammeln und den Einfall durch List und Verrat vorzubereiten.

Zu diesem Zwecke hatte er auch die Entführung der schönen Mechthildis ins Werk setzen lassen. Er wußte, ein wie weicher Charakter der Graf war und mit wie zärtlicher Liebe er an seiner Tochter hing, und rechnete darauf, daß diese Liebe ihn zu verräterischen Verhandlungen geneigter machen würde. In dieser Annahme wurde er dadurch bestärkt, daß in der Tat schon christliche Befehlshaber sich hatten bereit finden lassen, mit den Sarazenen gemeinsame Sache zu machen; denn die enge Berührung mit den Mohammedanern und die Verlockungen der verweichlichenden Genüsse des Morgenlandes hatten bei manchem nur allzubald die erhebende Begeisterung für christliche Ideen abgeschwächt, die allein sie zu nachdrücklichem Widerstande hätte begeistern können. Es verging kein Jahr, ohne daß man nicht von dem einen oder dem anderen Ritter gehört hätte, der zu den Sarazenen übergegangen war, und diese Tatsache war auch vor allem schuld daran, daß Guiscards verleumderischer Bericht über Hermann von Camp hatte Glauben finden können.

Ein solcher Verrat war eben leider nichts Neues mehr, und deshalb konnte auch der Kalif einigermaßen darauf hoffen, mit seinem hinterlistigen Plan Erfolg zu haben. Heute wollte er nun versuchen, in feierlichem Kriegsrat das geraubte Christenfräulein für seine Absichten zu gewinnen, und damit er bei ihr mehr Erfolg habe, als bei dem halsstarrigen Ritter von Camp, den Guiscards Verrat ihm schon früher als Geisel in die Hände gespielt hatte, flehte er an geweihter Stätte, in der Amo-Moschee zu Fostât, dem heutigen Alt-Kairo, Allah um seinen Beistand an.

Diese Moschee, die noch heute mit ihren vielen Säulen und Bogen zu den schönsten und besterhaltenen Denkmälern altarabischer Kunst gehört, war von Amo ibn el Asi, der als Feldherr des Kalifen Omar im Jahre 641 Ägypten für die Lehre Mohammeds eroberte, selbst erbaut worden. In ihr stand die heilige Säule, die nach dem Glauben des Islam auf Befehl des Kalifen Omar von ihrem ursprünglichen Standort in Mekka durch die Luft nach dem Nilufer an ihre jetzige Stelle geflogen war.

Omar, so erzählt die Legende, lustwandelte eines Tages in der großen Moschee zu Mekka, dachte an seinen Feldherrn Amo und blickte in die Richtung von Ägypten. Da sah er plötzlich Amo, wie er die Arbeiten beim Bau seiner Moschee leitete, während die Arbeiter beschäftigt waren, vor der Kibla, der Gebetsmoschee, eine Säule zu setzen. Omar erkannte, daß diese schlecht gearbeitet war, und sofort befahl er einer der vor ihm stehenden Säulen, sich ungesäumt nach Fostât zu begeben und den Platz der schadhaften Säule einzunehmen.

Aber die Säule rührte sich nicht von der Stelle. Auch ein zweiter Befehl blieb wirkungslos. Da wurde der Kalif zornig, versetzte der Säule einen Peitschenhieb und rief: »Im Namen des barmherzigen Gottes, geh!«

»Warum vergaßest du, Gott anzurufen?« erwiderte die Säule, erhob sich in die Lüfte und ließ sich in der Moschee Amo ibn el Asis vor der Kibla nieder. Die Spur des Peitschenhiebes aber ist in einer eigentümlich geflammten weißen Ader des Säulenschaftes bis auf den heutigen Tag sichtbar und erinnert den frommen Moslem immer aufs neue daran, daß er nie vergessen darf, Gott anzurufen, wenn er bei einem Unternehmen Erfolg haben will.

Hier also verrichtete auch der listige Fatimide jetzt sein Gebet, während sich der Wesir und die anderen vornehmsten Beamten des Reiches im Schloß zu Kairo zum Kriegsrat versammelten.

Das Schloß lag oberhalb der Stadt auf einem Vorsprung des Mokattamgebirges, nicht weit von der Stelle, wo einige Jahrzehnte später der große Saladin die noch heute stehende Zitadelle anlegte. Es war ein ausgedehnter, prächtiger Bau, zu dem die Ruinen von Memphis die Bausteine hatten liefern müssen. Sämtliche Räume ordneten sich um einen riesigen Hof, der rings von Säulengängen umgeben war. Zierliche Spitzbogen, mit den eigenartigen Stalaktitenornamenten geschmückt, die für die arabische Baukunst so charakteristisch sind, verbanden die einzelnen Säulen untereinander. Diese waren von blendend weißem Alabaster, während die den Säulengang abschließenden Wandflächen mit herrlichen, bunten Kacheln bekleidet waren. In der Mitte des Hofes stand ein Brunnen mit immer laufendem Wasser, ebenfalls von einer zierlichen Säulenhalle überwölbt. Ein niedriger Torbogen bildete den einzigen Eingang, den niemand betreten durfte, ohne vorher vor den Befehlshaber der Palastwache, der ein besonderer Vertrauter des Kalifen war, geführt worden zu sein.

Dem Tore gegenüber befand sich das große Prunkgemach, in dem der Kalif die Würdenträger zu empfangen pflegte, was nicht allzuoft geschah. Denn während ihre Vorfahren die Zügel der Regierung mit starker Hand selbst geleitet hatten, überließen die letzten Sprößlinge des Fatimidengeschlechtes in schlaffer Verweichlichung die Staatsgeschäfte meist ihren Wesiren, so daß vierzig Jahre später Saladin, der anfangs auch nur ein Wesir gewesen war, leichte Mühe hatte, sich selbst zum Herrn zu machen.

Die Pforte des Prunkgemaches war noch mit einem kostbaren Teppich geschlossen, und die längst versammelten Großen standen schweigend auf den Mosaikfliesen des Säulenganges, des Augenblicks gewärtig, wo der Vorhang zurückgeschlagen und ihnen damit das Zeichen zum Eintritt gegeben werden würde. Seit sie der Befehlshaber der Palastwache an diese Stelle geführt hatte, mochte etwa eine halbe Stunde vergangen sein, als von dem Minarett, das neben dem Schlosse, hart am Rande des Abgrundes aufragte, die Stimme des Muezzins sich vernehmen ließ: » Allâhu akbar!« (Gott ist groß.)

Das war das Zeichen, daß der Kalif jetzt unten am Ufer des Nils in der Moschee des Amo sein Gebet verrichte und daß alle Gläubigen, obwohl es keine der vorgeschriebenen fünf Gebetstunden war, mit ihm ihre Herzen zu Allah erheben und ihre Knie vor ihm beugen sollten.

Auch die Würdenträger warfen sich auf die Fliesen nieder und verharrten so, ihre Gebete murmelnd, bis ein neuer Ruf des Muezzin kundgab, daß der Gebieter seine Andacht beendet und das heilige Gotteshaus verlassen habe.

Nun erhoben sie sich wieder. Aber niemand sprach ein Wort, bis endlich, nachdem abermals eine halbe Stunde vergangen war, der Teppich von zwei Sklaven zur Seite gehoben wurde, aber nur so hoch, daß man sich tief bücken mußte, um hindurch zu gelangen.

So schnell als möglich eilte nun der Wesir, als der Höchstgestellte, hinein und warf sich vor dem Kalifen nieder, der am anderen Ende des weiten, mit dicken Teppichen belegten Gemaches auf goldenem Throne saß. Die anderen folgten und blieben eine ganze Weile regungslos mit auf den Boden gedrückten Gesichtern liegen, bis der Kalif sie aufforderte, sich zu erheben.

Mit ebenso umständlichen Zeremonien begann nun die Beratung, die vom Kalifen mit der fürchterlichen Drohung eingeleitet wurde, er werde alle die säumigen Diener köpfen lassen, die nicht sofort ihr Schwert erheben würden, um das Gebot des Propheten zu erfüllen und die ungläubigen Hunde von dieser Erde zu vertilgen. Denn umso geringer in Wirklichkeit seine Macht und sein Einfluß auf die Geschicke des Landes waren, umsomehr gefiel er sich in der Rolle des Allgewaltigen, der nur zu winken brauchte, um die ganze Welt seinem Willen untertan zu sehen.

Der Wesir, dem nunmehr die Rede gestattet wurde, hatte denn auch nicht geringe Mühe, seine Worte so zu setzen, daß sie seine Bedenken zum Ausdruck brachten, ohne das Allmachtsbewußtsein seines Gebieters zu verletzen, auf das er trotz seiner fast unumschränkten Macht doch noch immer glaubte Rücksicht nehmen zu müssen, schon um nicht die Eifersucht der übrigen Großen zu erwecken.

»Erhabener Sprößling der Heiligen, großmütiger Stellvertreter des Propheten, den Gott selbst eingesetzt hat, um seine Wünsche zu erfüllen, Weisester aller Weisen, Fürst aller Fürsten!« begann er, sich immer aufs neue mit über der Brust verschränkten Armen verneigend. »Wer wüßte nicht, daß du nur die Lider deiner alles durchdringenden Augen zu erheben brauchtest, um alle Geschöpfe der Welt erzittern zu machen. Vor dem Hauch deines göttlichen Atems verstummt der Löwe in der Wüste, und die Söhne Adams sinken in die Knie. Du bist der Gebieter, und nur Gott der Allmächtige und Allbarmherzige ist über dir. – Aber wenn du deinem erbärmlichen Sklaven, der nicht wert ist, den Staub zu küssen, den dein erhabener Fuß berührt hat, – wenn du deinem armseligen Diener gestatten willst, zu offenbaren, was Allah seinem bettelhaften Verstand eingegeben hat, so wagt er dir in Demut zu künden, daß Allah deinen Kriegern Sieg verliehen hat über die ungläubigen Schakale des Südens und daß du diese alle ausrotten wirst, wenn du deine Feldherrn gewähren und das Schwert auch fürderhin in ihren Händen lassen willst, das du in unendlicher Weisheit ihnen anvertraut hast.«

Nachdem er dem Kalifen auf diese schonende Weise beizubringen versucht hatte, daß es unmöglich sei, gegenwärtig das in Nubien selbst hart bedrängte Heer zu schwächen und Kräfte für andere Unternehmungen frei zu bekommen, ging er auf diese Unternehmungen selbst ein und enthüllte unter einer ähnlichen Maskierung von Schmeicheleien und Beschönigungen seine Zweifel gegen die Durchführbarkeit eines gegen Jerusalem geplanten Angriffs.

Der Kalif war trotz aller Selbstgefälligkeit klug genug, sich aus der süßen Hülle den bitteren Kern herauszuschälen, ohne sich auch nur im geringsten anmerken zu lassen, wie unangenehm ihn dessen Geschmack berühre. Ohne seiner unantastbaren Unfehlbarkeit und Allmacht etwas zu vergeben, konnte so in der Tat eine Art von Verhandlung geführt werden, die allerdings nur sehr langsam vorwärts kam, und bei der die übrigen Würdenträger mehr oder weniger nur die Rollen von Pagoden spielten, die bei jeder Äußerung des Gebieters mit dem Kopfe nickten und ihre unendliche Bewunderung zu erkennen gaben.

Das Ergebnis war schließlich, daß der Kalif befahl, das Christenfräulein hereinzuführen.

Mechthildis war schon vorher in einer Sänfte von dem Palast auf der Insel Roda heraufgetragen worden, den ihr der Kalif mit allen seinen Kostbarkeiten und Sklavinnen zur Verfügung gestellt hatte. Denn da ihn die Absicht leitete, etwas durch sie zu erreichen, behandelte er sie mit der größten Zuvorkommenheit und hatte strengsten Befehl gegeben, nichts zu versäumen, um ihr den unfreiwilligen Aufenthalt in Ägypten so angenehm wie möglich zu machen und ihr eine recht hohe Meinung von seiner Großmut und königlichen Gesinnung beizubringen.

Die besten Märchenerzählerinnen, die lieblichsten Tänzerinnen waren auserlesen worden, um ihr die Zeit zu vertreiben, und Tag und Nacht stand auf dem Nil eine prächtige Barke bereit, um sie den Strom hinauf zu den Pyramiden zu führen, nach Memphis, oder wohin sonst ihr Wunsch nach Zerstreuung sie ziehen mochte.

In ein kostbares fränkisches Festkleid gehüllt, das ihr der Kalif mit vielen anderen von Alexandrien hatte herbeischaffen lassen, trat sie jetzt stolzen Schrittes in das Prunkgemach. Ihre schlanke, hohe Gestalt, ihr edles, kluges Gesicht mit dem vollen blonden Haar erschienen heute noch achtunggebietender als sonst; denn weit davon entfernt, durch das Unglück, das sie betroffen hatte, gebeugt worden zu sein, war sie fest entschlossen, ihre Würde den Sarazenen gegenüber nach jeder Richtung hin zu wahren. Alle Ehrerbietung, alle Huldigungen, die man ihr zollte, nahm sie als selbstverständlich entgegen und ließ ihre Umgebung in jedem Augenblick fühlen, daß sie eine christliche Grafentochter und als solche selbst dem Kalifen mindestens ebenbürtig sei. Sie wußte wohl, welchen Eindruck diese stolze Haltung auf die an Unterwürfigkeit gewöhnten Sarazenen machte und daß sie die beste Schutzwehr für sie sein würde.

Ehrfurchtsvoll traten denn auch jetzt die Großen zur Seite, während der Kalif durch einen Wink befahl, einen Sessel für sie herbeizutragen. Damit erkannte er selbst ihr öffentlich die Würde eines fürstlichen Gastes zu; denn niemand sonst wurde der Ehre teilhaftig, sich in Gegenwart des Kalifen setzen zu dürfen.

Sie dankte durch leichtes Neigen des Hauptes und ließ sich, ohne den dichten, feinen Schleier zu lüften, der von ihrer Haube bis auf die goldgestickten Schuhe niederfiel, auf die seidenen Kissen nieder, während die Sklavinnen hinter ihr auf dem Teppich den Mantel ausbreiteten, der ebenfalls reich mit Gold bestickt und mit Edelsteinen von unschätzbarem Wert besetzt, von ihren Schultern bis auf die Erde hing.

Nach kurzer Pause gab der Kalif dem Wesir ein Zeichen, daß er mit den Verhandlungen beginnen solle; denn diese selbst zu führen, hielt er einer Frau und noch dazu einer Christin gegenüber als Stellvertreter des Propheten für unter seiner Würde. Mechthildis fühlte sich dadurch auch keineswegs gekränkt. Sie kannte moslemische Sitte und wußte, daß man ihr schon unendlich viel mehr Achtung entgegenbrachte, als sonst ein weibliches Wesen hier zu gewärtigen hatte.

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Die besten Märchenerzählerinnen und Tänzerinnen waren auserlesen worden, Mechthildis die Zeit zu vertreiben.

In umständlicher, vielfach gewundener und mit Schmeicheleien und Höflichkeitsbezeigungen bis zum Überdruß gewürzter Rede suchte sie nun der Wesir durch eine möglichst schreckhafte Schilderung ihrer Lage einzuschüchtern. Sie sei durch Gottes Hand in die Macht des Kalifen gekommen, und dieser könne daher nach Gutdünken mit ihr verfahren. In seiner unendlichen Großmut lasse er ihr zwar eine milde Behandlung zuteil werden und überhäufe sie mit Güte und Freundlichkeit. Er erwarte aber auch von ihr, daß sie sich dafür erkenntlich zeigen und seine Wünsche erfüllen werde; denn keine Macht auf Erden sei im stande, sich seinem Willen zu widersetzen. Zur Bekräftigung dieser Behauptung warf er sich am Schluß seiner Rede vor dem Kalifen auf die Erde, und alle Würdenträger folgten seinem Beispiel, während der Stellvertreter des Propheten gleichzeitig eine ganz besonders hoheitsvolle und gebieterische Miene annahm.

Auf Mechthildis schien das alles aber wenig Eindruck zu machen. Während der Wesir sprach, verriet sie auch nicht durch die geringste Gebärde ihre innere Bewegung, und als sie jetzt das Wort zur Erwiderung nahm, klang ihre Stimme so hell und bestimmt, als sei sie in diesem Kreise diejenige, die zu entscheiden habe.

»Daß du ein mächtiger Gebieter bist und ein Herr, vor dem ungezählte Tausende sich in Ehrfurcht neigen, das weiß ich,« begann sie, sich unmittelbar an den Kalifen wendend und in der Form ihrer Rede die Weitschweifigkeit und Verbindlichkeit nicht außer acht lassend, die nach unseren Begriffen übertrieben, im Verkehr mit Orientalen aber unvermeidlich sind. »Ich weiß auch, daß du ein weiser und edler Fürst bist und daß unter deinen vielen Herrschertugenden gerade die Gerechtigkeit an erster Stelle steht. Aber weil ich das weiß, lebe ich der Überzeugung, daß du auch meine Lage mit den Augen der Gerechtigkeit ansehen und mich gegen deinen Diener in Schutz nehmen wirst, der vergeblich versucht, sie anders darzustellen, als sie ist. – Oder entspricht es etwa der Wahrheit, wenn er behauptet, ich sei durch Gottes Hand in deine Macht gekommen? Wahrlich, Herr! Ich denke von dem Gotte, dem ihr dient, zu hoch, als daß ich annehmen könnte, er werde sich in der Hülle eines Räubers offenbaren – und Räuber, Herr, waren es, die mich von der Seite meines Vaters rissen und mich in die Gefangenschaft schleppten! – Räuber waren es, die mich entführten, und Räuber sind es, die mich hier festhalten; und ich erwarte von deiner Gerechtigkeit, Herr, daß du sie bestrafen und mich sofort meinem Vater zurückgeben wirst.«

Sie hatte sich mehr und mehr in die Erregung hineingesprochen. Jetzt erhob sie sich und ging in leidenschaftlicher Haltung einige Schritte auf den Thron zu. Entsetzt sprangen die Würdenträger vor. Was wagte sie? Wußte sie nicht, daß der Sprößling der Heiligen selbst den Abstand bestimmte, in dem er jemand seiner geweihten Nähe teilhaftig werden lassen wollte, und daß es ein todeswürdiges Verbrechen war, diesen Abstand willkürlich zu verringern?

Aber Mechthildis selbst besann sich noch zur rechten Zeit darauf, daß sie im Begriff gewesen war, die Etikette zu verletzen, über deren Erfüllung die Orientalen so eifersüchtig wachen. Sie kehrte mit einer ungemein geschickten Bewegung, die, ohne daß sie sich etwas vergab, wohl als Bitte um Entschuldigung gedeutet werden konnte, nach ihrem Sessel zurück und nahm sich vor, sich nicht wieder von ihrem Temperament zu einer Aufgeregtheit verleiten zu lassen, die ihr in ihrer immerhin gefährlichen Lage leicht verhängnisvoll werden konnte.

Der Kalif war denn auch taktvoll oder klug genug, den ganzen Zwischenfall unbeachtet zu lassen, und da er durch keine Miene sein Mißfallen zu erkennen gab, fühlte auch der Wesir keine Veranlassung, den Gang der Verhandlung dadurch beeinträchtigen zu lassen.

Ohne auf Mechthildis' Verlangen, nach der Heimat zurückgebracht zu werden, oder auf ihre Anklage, daß man sie räuberischerweise festhalte, überhaupt einzugehen, begann er aufs neue, ihr die Ohnmacht ihrer Lage vor Augen zu halten, ließ dabei aber diesmal bereits deutlicher durchblicken, daß sie keine Schonung mehr zu erwarten haben werde, wenn sie es wagen sollte, die Absichten des Kalifen zu durchkreuzen.

»Die Absicht deines Herrn kann nur sein, mich so bald als möglich meinem Vater zurückzugeben,« erwiderte sie, sich diesmal der Vorsicht halber an den Wesir wendend.

Aber nur allzubald wurde sie inne, daß sie damit erst recht vom Regen unter die Traufe gekommen war; denn in der Kunst, die Worte zu setzen, war sie bei all ihrer Klugheit dem verschlagenen Sarazenen doch bei weitem nicht gewachsen, und so wußte dieser sie durch ihre eigenen Äußerungen bald so zu verstricken, daß sie wieder nur durch einen Ausbruch ihrer Empörung sich Luft zu verschaffen vermochte.

»Allerdings ist das die Absicht meines erhabenen Gebieters,« antwortete er, »und ich hoffe, daß du nie anders von ihm gedacht haben wirst, als daß sein edles Herz die Empfindungen einer Tochter zu schätzen weiß und nichts unversucht lassen wird, um dich von dem Schmerz der Trennung zu befreien. – Aber wie ich nicht minder hoffe, ist es dir auch ebenso klar, daß niemand als du selbst ihm die Möglichkeit geben kann, seine großmütige Absicht zu erfüllen.«

»Ich?« rief Mechthildis, über der gewundenen und hinterlistigen Redeweise, bei der man hinter jedem Wort einen Fallstrick wittern konnte, die Sicherheit verlierend. »Ich? Was sollte ich wohl dazu tun können, die ich wehrlos in euren Händen bin?«

»Wehrlos in unseren Händen!« fiel ihr der Wesir triumphierend ins Wort. »Das ist es, was ich bis jetzt vergeblich bestrebt war, dir zum Bewußtsein zu bringen. Es freut mich, daß du nun selbst davon überzeugt bist, und ich zweifle nicht, daß du dein Ohr jetzt williger den Mahnungen der Freundschaft öffnen wirst.«

»Aber ich bin ganz und gar nicht davon überzeugt!« entgegnete Mechthildis unwillig, rasch bemüht, die Blöße zu verdecken, die sie sich gegeben hatte. »Ich fühle mich durchaus nicht wehrlos. Ich stehe in Gottes Hand. Er wird das schändliche Unrecht nicht ungestraft lassen, das man mir angetan hat. – Unter seinem Schutze erhebe ich mich hier und frage: Wird dein Herr mich zu meinem Vater zurücksenden?«

»Er wird es, wenn du zuvor auch seinen Wunsch erfüllt haben wirst.«

»Dann sprich, was verlangt dein Gebieter von mir?«

»Er verlangt nichts als einen Brief von deiner Hand, in dem du deinem Vater deine Lage schilderst und ihn bittest, wegen deiner Auslösung mit meinem erhabenen Gebieter in Verhandlungen zu treten.«

»Auslösung? – Verhandlungen? – Wozu bedarf es da noch eines Briefes? – Ich weiß, daß meinem Vater kein Lösegeld zu hoch erscheinen wird, um sein einziges Kind zurückzukaufen.«

»Wenn das der Fall wäre, würdest du bald deine Heimat wiedersehen. Ich fürchte nur, daß du über die Gesinnung deines Vaters nicht ebenso sicher wirst verfügen können, wie über seine Schatzkammer.«

»Ah!« rief Mechthildis jetzt in wilder Empörung aus. »Also da wollt ihr hinaus? Verrat! – Jetzt erst verstehe ich alles! Die erste Schandtat war nur die Vorbereitung zu einer zweiten, zehnfach größeren! – Mit seiner Ehre soll mein Vater sein Kind zurückkaufen, und ich selbst soll die Hand dazu bieten! – Und das wagt mir der erste Diener eines großen Fürsten in dessen Gegenwart ins Gesicht zu sagen? – Beschütze mich, Herr, vor den Beleidigungen dieses Sklaven! Du weißt, daß ich eher den Tod erleiden, als um diesen Preis meine Freiheit erbitten werde. Dein edles Herz bietet mir Gewähr dafür, daß man mich in Zukunft mit so erniedrigenden Anerbietungen verschonen wird.«

Diese Wendung, die ihr Gott zur rechten Stunde eingegeben hatte, befreite das unglückliche Mädchen für diesmal aus ihrer peinlichen Lage. Da sie seine Großmut angerufen hatte, konnte der Kalif in diesem Augenblick nicht anders, als sich schonend ihrer annehmen und die Erreichung seines Zieles auf eine gelegenere Zeit verschieben. – Er winkte dem Wesir, zu schweigen, und gab durch Erheben von seinem Thron das Zeichen, daß er die Unterredung beendigt zu sehen wünsche.

Durch leichtes Neigen des Kopfes verabschiedete sich Mechthildis und verließ, gefolgt von ihren Dienerinnen, festen Schrittes das Prunkgemach. Lautlos, wie er sich geöffnet hatte, schloß sich der Teppich wieder hinter ihr.

Sie stand wieder draußen unter dem Säulengange des Hofes und atmete erleichtert auf, als sie die erfrischende Luft fühlte, die ein leichter Wind vom Brunnen herüberwehte.

Da sah sie neben sich einen Mann in verschlissener fränkischer Rittertracht stehen, der sie mit Verwunderung betrachtete.

Ein Schauer durchzuckte sie: Hermann von Camp!

Auch der Ritter schien sie trotz ihres Schleiers erkannt zu haben; denn er trat heran und beugte mit fragender Gebärde das Knie vor ihr.

Heiß stieg der Zorn in ihr auf. Wagte es der Verräter noch, sich ihr zu nahen?

Aber ein Blick auf sein vergrämtes Gesicht und seine armselige Kleidung brachte sie in Verwirrung. Sah so ein Mann aus, der sich von sarazenischem Golde hatte verlocken lassen? Wo war der Glanz, von dem er sich nach Guiscards Aussage hatte verführen lassen, seinem Glauben und seinen Freunden untreu zu werden? Und waren das die Züge eines Verräters?

»Ihr, Ritter? – Was macht Ihr hier?« fragte sie endlich, von diesen unverhofften Eindrücken überwältigt.

»Ich warte darauf, daß man mich heimholt, Fräulein,« antwortete der Ritter mit etwas bitterem Humor. »Aber wie es scheint, hat man es nicht sehr eilig damit. Seit Herr Guiscard von Rouen die Kunde nach Petra gebracht haben muß, unter welchen Bedingungen man mich hier als Geisel zurückbehielt, hat der Mond mehr denn zwölfmal zu- und abgenommen. – Aber was ist mit Euch? – Wie kommt Ihr so allein in dieses unselige Land?«

»So seid Ihr nicht freiwillig zurückgeblieben?« rief Mechthildis, ohne seine letzte Frage zu beachten.

»Der Kuckuck auch – freiwillig!« entgegnete der Ritter lachend. »Wenn Ihr nur einmal hinter jene Säulen blicken wollt, so werdet Ihr bald inne werden, wie der freie Wille aussieht, den man mir hier läßt.«

Mit Entsetzen bemerkte Mechthildis, daß unweit von ihnen am Boden des Hofes eine Schar von Kriegern kauerte, die mit drohenden Blicken jede Bewegung des Ritters beobachteten.

Es war also kein Zweifel mehr: Alles, was Guiscard von Rouen über den Ritter berichtet hatte, war erlogen! Er war, wie sie selbst, ein Opfer von Hinterlist und Tücke, und schien nicht einmal zu ahnen, daß ein Christ – sein eigener Gefährte! – ihn verraten hatte!

In tiefster Beschämung stand sie da. So leicht hatte sie, hatte ihr Vater, hatten sie alle sich von einem schändlichen Betrüger verleiten lassen, einen bewährten Ehrenmann der Verachtung preiszugeben?

Es drängte sie, ihm alles zu offenbaren, ihn in ihrem und ihrer aller Namen um Entschuldigung zu bitten. Aber sie brachte es nicht über die Lippen. Eine feinfühlige Erwägung, die plötzlich über sie kam, hielt sie davon zurück.

»Was entsteht daraus, wenn er jetzt die Wahrheit erfährt?« sagte sie sich. »Wird sie ihm nützen? – Nein. – Sie wird ihn nur verbittern und sein Los noch schwerer machen. Viel besser ist es, stillschweigend an seiner Befreiung zu arbeiten und ihm daheim die Genugtuung zu verschaffen, die das ungeheure Unrecht, das man an ihm getan hat, in so reichem Maße erheischt.« Ohne ihn also weiter mit Fragen zu quälen, die ihn schließlich noch hätten stutzig machen müssen, reichte sie ihm, indem sie den Schleier zurückschlug und ihn mit herzlichen Blicken anschaute, die Hand, die er ehrerbietig an seine Lippen drückte, und sagte: »Ich trage dasselbe Leid, wie Ihr, Ritter; ein Opfer sarazenischer Staatskunst. Aber mit Gottes Hilfe wird es uns beiden gelingen, in absehbarer Zeit glücklich heimzukommen.«

»So hat Euer Vater es übers Herz gebracht, Euch als Geisel den Sarazenen zu überliefern? O, Freund! Freund! – Ich verstehe dich nicht mehr!« rief der Ritter.

»Mein Vater? – Nein. Mit Gewalt hat man mich geraubt und hierhergeschleppt.«

»Dann wird er Euch auch mit Gewalt zurückholen. Gewiß ist er schon unterwegs und die Stunde der Freiheit nicht fern. – Fräulein! Noch trag' ich mein Schwert – das einzige, was man mir gelassen hat in dieser öden, trostlosen Haft! – Mir ahnt, daß ich es bald wieder werde gebrauchen können! – Wo hält man Euch? – Wo muß ich bereit stehen, um für Euch zu fechten, wenn es not tut?«

»Wißt Ihr die Stelle am Nil, Ritter, wo Moses von der Tochter Pharaos gefunden wurde?« flüsterte Mechthildis ihm eilig zu, indem sie den Schleier herabließ und sich scheinbar zu ihren Sklavinnen wendete; denn drüben unter dem Torbogen war eben die riesige Gestalt des Befehlshabers der Palastwache erschienen.

»Ja!« antwortete der Ritter, ebenfalls eine unauffälligere Stellung einnehmend. »Wann treffe ich Euch dort?«

»In der Stunde nach Sonnenuntergang. Laßt bald von Euch hören, und Gott behüte Euch!«

Der Ritter wollte den Abschiedsgruß erwidern. Aber schon hatten ihn auf einen Wink ihres Befehlshabers die Krieger umringt, und bald darauf wurde er vor den Kalifen berufen, wo seine Treue und Standhaftigkeit wieder einmal eine der vielen Prüfungen zu bestehen hatten, mit denen man ihn seit Jahresfrist quälte und die immer härter wurden, je länger er in seinem Widerstand beharrte.

Inzwischen war Mechthildis in ihrer Sänfte nach dem Schlosse auf die Insel Roda zurückgebracht worden.

Ihr erster Gang war nach der Stelle, die sie dem Ritter bezeichnet hatte. Eine kleine natürliche Felstreppe führte hier aus dichtem Papyrusgebüsch hinab an den Nil, und das Geheimnisvolle der Umgebung mochte wohl veranlaßt haben, daß die Überlieferung hierher den Ort verlegt hatte, wo Moses ausgesetzt und gefunden worden sein sollte.

Nachdem sie ihre Sklavinnen zurückgeschickt hatte, kniete sie nieder und flehte im Angesichte des ewigen Stromes in brünstigem Gebet zu Gott, er möge ihr und ihrem Vater verzeihen und ihnen Gelegenheit geben, wieder gutzumachen, was sie in Verblendung an dem Ritter verschuldet hatten.

Und auch des schwarzen Junkers gedachte sie, dem sie ebenfalls fortgesetzt bitteres, schweres Unrecht getan hatten, und sie bat inbrünstig Gott und die heilige Jungfrau, ihn zu schützen und ihn ausharren zu lassen in dem treuen Glauben an des Vaters Ehre, der ihr nun so groß und bewundernswert erschien.

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