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In Petra

In einem langgestreckten, engen Tale, eingeschlossen von fast senkrechten Felswänden, lag und liegt noch heute die alte Stadt Petra, das »Sela in der Wüste« des Propheten Jesajas.

Der Ort war einst ein wichtiger Handelsplatz gewesen, der den Verkehr Arabiens mit Jerusalem und den phönizischen Küstenstädten vermittelte, und als Hauptstadt der römischen Provinz des peträischen Arabien erlebte er einige Jahrhunderte hoher Blüte. Zur Zeit der Kreuzfahrer aber, als die begeisterten Scharen Gottfrieds von Bouillon und seines Bruders Balduin, des ersten Königs von Jerusalem, bis in diese entlegenen Gebiete und sogar noch weiter bis Akaba am Roten Meere vordrangen, war sein Glanz längst dahin. Der Handel hatte zum großen Teil andere Wege gefunden, und in den häufigen Kämpfen mit den Arabern und den von Sinai her vordringenden Horden der ägyptischen Kalifen war die Macht seiner einst zahlreichen Bewohnerschaft zu Grunde gegangen.

Jetzt war es eine Ruinenstadt. Zwischen den Trümmern der alten Tempel und Paläste hausten ein paar hundert Nachkommen der nabatäischen Urbevölkerung und daneben etwa ebensoviel arabische Eindringlinge, die sich überall in den Vordergrund schoben und die friedliche Gesinnung der vom Handel mit den Bauern und Hirten der benachbarten Täler lebenden Stammbevölkerung verdarben.

Diese hatte denn auch Jörg Baldung, der treue Wappenmeister, der im Kampf für seines Herrn Tochter unter den Streichen der krummen Sarazenenschwerter im Mosestale sein Leben lassen mußte, in erster Reihe im Auge gehabt, als er den Grafen vor der Unzuverlässigkeit der Petraenser warnte und ihm riet, so bald als möglich nach der Stadt zurückzukehren. Er kannte diese falsche, aufrührerische und raublustige Gesellschaft und wußte, daß, um sie im Zaum zu halten, ein ernsterer und entschlossenerer Mann nötig gewesen wäre, als der Ritter Guiscard von Rouen, von dem einige scharfe Zungen wohl nicht mit Unrecht behaupteten, er habe sich diesen Posten nur erbeten, um der Verlegenheit zu entgehen, im Kampf mit dem Löwen eine Probe seiner Tapferkeit und seines Mutes ablegen zu müssen.

Wie und warum der Ritter nach dem heiligen Lande gekommen war, wußte niemand so recht zu sagen. Manche behaupteten, es sei ihm in England, wohin seine Altvorderen mit Wilhelm dem Eroberer aus der Normandie gekommen waren, der Boden zu heiß geworden, und er habe sich deshalb die vom Papst erlassene Bestimmung zu nutze gemacht, daß alle Zinsen aufgehoben sein sollten, während ein Schuldner im heiligen Lande weilte. Andere gaben vor, erfahren zu haben, er habe sich durch sein eitles, heuchlerisches und ränkesüchtiges Wesen in der Heimat unmöglich gemacht. Etwas Bestimmtes wußte, wie gesagt, niemand zu bekunden.

Eines schönen Tages war er in Jerusalem aufgetaucht und hatte seitdem an den verschiedensten Höfen Unterschlupf gesucht, wo man um seiner gesellschaftlichen Gewandtheit und seiner Kunstfertigkeit im Singen und Lauteschlagen willen seine sonstigen, weniger angenehmen Eigenschaften für längere oder kürzere Zeit mit in den Kauf nahm.

Nach Petra war er gekommen, weil der Graf von Rheinberg einen guten Unterhalter suchte, um seiner Tochter den Aufenthalt in der entlegenen Wüstenstadt erträglicher zu machen. Diese Aufgabe wußte der schlaue Ritter so geschickt zu erfüllen, daß er bald großen Einfluß gewann, und zwar nicht nur auf Mechthildis, sondern auch auf den nur allzu leicht bestimmbaren Grafen, der so ganz in der Liebe zu seiner Tochter aufging, daß er auch ihre Zu- und Abneigungen zu den seinigen machte.

So wurde Guiscard von Rouen immer mehr der vertraute Ratgeber des Grafen, und um sich in dieser Stellung zu befestigen, wußte er nach und nach alle zu beseitigen, die neben ihm ebenfalls Einfluß zu haben schienen oder von denen er glaubte fürchten zu müssen, daß sie ihn durchschauten.

Unter diesen war ihm Hermann von Camp, der Vater des schwarzen Junkers, der Verhaßteste. Dieser arme, aber tapfere und in seinem Willen unbeugsame deutsche Ritter war in alter Freundschaft auf das innigste mit dem Grafen verbunden, der schon daheim am Niederrhein sein Lehensherr gewesen war.

Sie hatten beide am nämlichen Tage und von derselben Begeisterung für die heilige Sache durchdrungen das Kreuz genommen und waren in der Gefolgschaft Gottfrieds von Bouillon nach dem Morgenlande gekommen. Hier hatten sie in allen Nöten des gefahrvollen Zuges durch Kleinasien und Syrien, vor Nicäa und Antiochien, in Phrygien und im Libanon treue Waffenbrüderschaft gehalten und waren so endlich nach Jerusalem gekommen. Und als der Graf nach jahrelangen Kämpfen die Landschaft Petra zu Lehen erhalten hatte, war ihm Hermann von Camp auch hierher gefolgt, um Freud und Leid mit ihm zu teilen.

Hier hatte sie beide, wiederum fast gleichzeitig, das Schwerste getroffen: infolge der übergroßen Strapazen erkrankten ihre Frauen, die sie in treuer Hingabe auf dem ganzen Zuge begleitet hatten. Trotz aller Pflege starben sie beide und ließen jede ein unmündiges Kind zurück, die Gräfin eine Tochter und die Camperin einen Sohn.

Dieser gemeinsame Kummer führte die Freunde nur noch inniger zusammen, ebenso wie die beiden Kinder wie Bruder und Schwester miteinander aufwuchsen, bis das Dazwischentreten Guiscards auch sie mehr und mehr entfremdete.

Guiscard wußte wohl, daß er nicht eher fest im Sattel sitzen würde, bis das Freundschaftsband zwischen dem Grafen und dem Camper, der in seiner derben, ehrlichen Art wenig Federlesens mit dem »normannischen Windbeutel« machte, völlig zerrissen sein würde. Er sann deshalb auf ein Mittel, den lästigen Nebenbuhler in der Gunst des Grafen unschädlich zu machen, und fand es endlich, als der Graf Veranlassung hatte, eine Gesandtschaft nach Kairo an den Hof des ägyptischen Kalifen zu senden. Wie er vorausgesehen hatte, wurde mit dieser Gesandtschaft Hermann von Camp betraut, und nun wußte es der hinterlistige Normanne durchzusetzen, daß er diesem zur Begleitung mitgegeben wurde.

In Kairo veranlaßte er dann den Kalifen, den Camper, dessen Einfluß und Tapferkeit die Ägypter von jeher gefürchtet hatten, als Geisel zurückzubehalten, und berichtete, als er mit den vier bestochenen Knechten, die er aber auch bald unschädlich zu machen verstand, nach Petra zurückkam, Ritter Hermann habe sich von den Verlockungen des Kalifen bestechen lassen, sei der Sache Christi untreu geworden und habe in Ägypten ein reiches Gebiet zu Lehen genommen.

Der Graf sträubte sich lange dagegen, an die Treulosigkeit seines Freundes zu glauben. Aber da die vier Knechte die Aussage Guiscards bezeugten, und Mechthildis, die kurz zuvor sich durch das stolze Benehmen ihres einstigen Spielkameraden beleidigt gefühlt hatte, ihm in den Ohren lag, ließ er sich endlich dazu verleiten, die Liebe für den alten Kameraden aus seinem Herzen zu reißen und gegen Hermann von Camp die Acht auszusprechen.

Von nun an war Guiscard von Rouen der unumschränkte Vertraute des Grafen, und als solcher hatte er es auch erreicht, daß er während des Jagdzuges gegen den Löwen im Mosestal als Stellvertreter des Grafen in Petra zurückgelassen wurde.

Schon lange hatte er diese Gelegenheit herbeigesehnt, um sich über ein paar wohlhabende Bürger herzumachen, mit deren Vermögen er seinen immer leeren Beutel zu füllen gedachte.

Sobald er also das Heft in Händen hatte, ließ er die ahnungslosen Kaufleute gefangen nehmen und in den Turm werfen und legte ihnen nahe, daß sie nur gegen Zahlung eines hohen Lösegeldes und das Gelöbnis, sofort für immer die Stadt zu verlassen, ihr Leben retten und ihre Freiheit wiedererlangen könnten.

Die pfiffigen Bürger fanden aber Mittel und Wege, sich von ihrem Gefängnis aus mit ihren Landsleuten zu verständigen, und da diese, von den Arabern aufgestachelt, längst mit der christlichen Herrschaft unzufrieden waren, zettelten sie mit leichter Mühe einen Aufstand an und beschlossen, ihre Gefährten mit Gewalt zu befreien und wenn möglich die Franken für immer aus der Stadt zu verjagen.

Ritter Guiscard saß eben, die Laute schlagend, im Schatten der Oleandergebüsche auf der Terrasse der Burg, die der Graf auf den Überresten eines alten römischen Kastells, im Volksmunde Kasr Firaun, Pharaos Schloß, genannt, auf einem die Stadt im Südwesten beherrschenden Felsen hatte aufrichten lassen, als die ganze waffenfähige Bevölkerung lärmend vor den Mauern erschien und mit drohenden Gebärden Einlaß begehrte.

Erschreckt ließ er sein Instrument zur Erde fallen und lief zum Türmer, um sich durch diesen nach dem Begehr der Leute zu erkundigen.

»Sie wollen, daß man ihre Gefährten freilasse,« antwortete der alte Wächter, der sich bereits mit den Aufrührern zu verständigen versucht hatte. »Im Falle der Weigerung drohen sie die Burg mit Gewalt zu nehmen und alle Franken, die sie drin finden, totzuschlagen oder aufzuhängen.«

Der Ritter erbleichte. Diesen Fall hatte er in seiner Berechnung nicht vorgesehen. Um sich aber vor dem Knecht keine Blöße zu geben, nahm er sich zusammen und fragte ihn, was er dazu meine.

»Ich meine, Herr,« antwortete der Alte, »daß es eine üble Sache ist. Es sind ihrer mehrere hundert, und gefährliche Burschen darunter. Wir aber sind kaum unserer dreißig, Koch und Kellermeister eingerechnet, und werden wenig ausrichten können, wenn sie Pechkränze über die Mauer werfen und uns den roten Hahn aufs Dach setzen. Das beste, dünkt mich, wäre, Ihr gäbet die Gefangenen heraus und verschöbet die Bestrafung, bis der Herr Graf wieder daheim ist.«

Der Ritter überlegte. Sollte er die gute Beute, die er schon sicher zu haben gewähnt hatte, so ohne weiteres loslassen und sich dadurch womöglich noch dem Spott der Leute preisgeben? Wenn er es tat, war es um sein Ansehen nicht nur in der Stadt, sondern auch auf der Burg ein für allemal geschehen. Anderseits war an einen erfolgreichen Widerstand nicht zu denken, und zu einem kecken Handstreich, mit dem man vielleicht die Aufrührer hätte einschüchtern können, fehlte ihm der Mut.

Er beschloß daher, sein Heil in der List zu suchen, die ihm schon so oft im Leben aus der Klemme geholfen hatte, und befahl dem Türmer, drei der angesehensten Bürger zur Verhandlung mit ihm einzuladen.

Die Leute waren auch trotz des Einspruchs der Araber gutmütig genug, der Einladung Folge zu leisten, und nun fühlte sich der Normanne bald so in seinem Element, daß er nicht mehr daran zweifelte, ihnen das Fell über die Ohren schwatzen zu können.

»Sagt mir doch,« begann er, nachdem er sie hatte ihre Beschwerde vorbringen lassen, »sagt mir doch, verhandelt ihr wohl mit dem Diener, wenn ihr ein Geschäft abzuschließen habt, oder wartet ihr nicht vielmehr, bis der Herr selbst daheim ist?«

»Seht ihr, ihr wartet,« fuhr er, die gute Wirkung seiner Worte bemerkend, rasch fort. »Und ihr werdet also auch in diesem Falle warten, bis der Graf zurückkehrt.«

Er ergänzte sich dabei im stillen, daß er bis dahin schon Mittel und Wege gefunden haben würde, die Gefangenen auszuplündern und beiseite zu schaffen und dann dem Grafen gegenüber sein Fähnlein nach seinem Winde zu drehen. Die Petraenser aber hatten bei der Auswahl der Unterhändler die Vorsicht walten lassen, einen der ausgefeimtesten Araber mitzuschicken, und dieser nahm nun das Wort und entgegnete: »Dein Vergleich, Herr, ist leider wie ein lahmes Pferd, das zu nichts taugt, als unnütz den Stall zu füllen. Nicht der Herr hat das Geschäft angebahnt und unsere Freunde in den Turm geworfen, sondern du, der Diener; und deshalb halten wir uns an dich und werden schon wissen, auf unsere Kosten zu kommen, wenn du unsere Wünsche nicht selbst erfüllst.«

»Aber ihr hört doch, daß nicht ich die Strafe über eure Freunde verhängt habe, sondern der Graf, dessen Befehlen ich gehorchen muß,« sagte der Ritter schnell, um diesen Hieb zu parieren und die beiden anderen, die immer dem durch Kopfnicken zustimmten, der gerade sprach, wieder auf seine Seite zu bekommen. »Der Graf hat das strenge Urteil gefällt; denn ich, glaubt mir, wenn ich Recht zu sprechen hätte in dieser Stadt, ich würde ein milderer Richter sein und euch gern eure Freiheiten lassen.«

»Dann wärest du freilich ein guter Herr,« meinte jetzt der eine von den beiden nabatäischen Bürgern, und der andere fügte hinzu, daß sie sich so einen schon lange gewünscht hätten.

Diese Worte waren gewiß nur gesprochen, um irgend etwas zu sagen. Auf den gesinnungslosen, nur auf den eigenen Vorteil bedachten Normannen aber übten sie eine ungeheure Wirkung aus. Ein ganzes Heer von ruchlosen Plänen und ehrgeizigen Gedanken stürmte auf ihn ein: Wie, wenn er die Petraenser anstiftete, den Grafen zu ermorden? Er würde dann als Beschützer der verwaisten Tochter auftreten, sie heiraten und das Lehen für sich in Anspruch nehmen.

»Und was würdet ihr wohl dazu sagen, wenn ich wirklich euer Herr wäre?« fragte er nach kurzer Pause lauernd.

Die Bürger sahen ihn eine Weile verdutzt an und meinten dann, sie würden schon damit zufrieden sein. Dem stimmte sogar der Araber zu, der den Ritter wohl durchschaute, sich aber dachte, daß sie mit solch einem Herrn schon bald fertig werden würden.

Nun ging der Normanne geradeswegs auf sein Ziel los, gab in Erwartung größeren Gewinnes die gefangenen Kaufleute frei, beschenkte sie und die drei Unterhändler und verabredete mit ihnen, sie sollten mit den anderen Aufrührern den Grafen, der seine Rückkehr für den Abend angemeldet hatte, von einem Hinterhalte aus überfallen. Nachdem der Graf, der Wappenmeister und der Vogt, denen er es bei dieser Gelegenheit ebenfalls heimzahlen wollte, getötet sein würden, wollte er zum Schein als Retter hervorbrechen, das Fräulein befreien und sich dann von den Bürgern als neuem Herrn huldigen lassen.

Den einzigen Zugang zu der Stadt bildete im Südosten der sogenannte Sik, eine enge Kluft, die zu beiden Seiten von hohen Klippen eingefaßt war und an einer Stelle von einem an die dreißig Schuh hohen Brückenbogen überspannt wurde, der ebenso wie die Wasserleitung neben dem Bachbett im Grunde noch aus der Zeit der Römer stehen geblieben war.

In dieser Gegend sollten die Aufrührer der heimkehrenden Jagdgesellschaft warten und von der Brücke aus mit Pfeilschüssen den Grafen und die beiden Ritter niedermachen, wenn sie nichtsahnend unten vorüberzogen.

Der Ritter selbst wollte die Vorgänge von einem römischen Tempel aus beobachten, der, von den Eingeborenen Chaznet Firaun, Schatzkammer Pharaos, genannt, aus einem Felsen ausgehauen war, der etwas weiter talabwärts von Südwesten her in die Schlucht vorsprang. Von hier aus konnte er leicht im geeigneten Augenblicke nach der Brücke eilen, nachdem er zuvor, unter dem Vorwande, dem Grafen entgegenzugehen, auch die in der Burg befindlichen Leute hierhergeführt haben würde.

Der Plan fand bei den aufgeregten Bürgern allgemeinen Beifall, und lange vor Sonnenuntergang standen die Meuterer an der verhängnisvollen Brücke bereit.

Die erwartete Jagdgesellschaft aber kam nicht.

Die Sonne verschwand hinter den Kegeln des Berges Hôr. In der Schlucht wurde es so dunkel, daß man von der Brücke aus den Bach nicht mehr erkennen konnte. Das Geheul der Schakale und das Gewinsel der Hyänen hallte in den Klüften wider. Aber auf das Getrappel herankommender Rosse lauschte man vergebens.

Die Aufrührer wurden ungeduldig und begannen auf den Ritter zu schimpfen, von dem sie sich hintergangen wähnten. Aber noch wichen sie nicht von ihrem Platze. Bald nach Mitternacht kam der Mond, und es war immerhin möglich, daß der Graf, der sich auf der Jagd verspätet haben mochte, ihn abwarten würde, um nicht bei voller Dunkelheit durch das steinige Tal reiten zu müssen.

Doch auch in dieser Annahme sah man sich getäuscht. Der Mond kam und verschwand wieder, ohne daß die weiter talaufwärts ausgestellten Späher das Nahen der Jagdgesellschaft gemeldet hätten. Endlich, gegen Morgen, riß den Leuten die Geduld. Wutentbrannt zogen sie nach der Schatzkammer Pharaos, um ihren Ärger an dem falschen Ritter auszulassen.

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Die Späher der Aufrührer erwarteten ungeduldig das Nahen der Jagdgesellschaft.

Guiscard, dem inzwischen ebenfalls um den Ausgang seines Anschlages bange geworden war, hätte am liebsten abermals Verhandlungen angeknüpft. In Gegenwart seiner Leute aber wäre das schlecht angegangen, selbst wenn sich die Petraenser dazu hätten bereit finden lassen. Er mußte sich also wohl oder übel entschließen, sich nach Möglichkeit zur Verteidigung einzurichten, um zunächst erst einmal Zeit zu gewinnen und die erste Wut der Angreifer verrauschen zu lassen.

Das zweistöckige, mit herrlichen Skulpturen geschmückte Bauwerk bestand in seinem unteren Stockwerk aus einer von Säulen getragenen Vorhalle, hinter der eine geräumige, an die zwanzig Schritt im Geviert messende Felsenkammer sich öffnete.

In diesem hinteren Raum war man vollständig sicher. Wenn es also gelang, die Meuterer daran zu hindern, die zu der Vorhalle emporführende steile Felstreppe zu erklimmen, durfte man wohl hoffen, sie bis zum Abend hinzuhalten.

Eine Zeitlang hatten die Verteidiger denn auch leichte Mühe. Hinter den Säulen stehend, die sie gegen die Pfeilschüsse von unten her deckten, schleuderten sie so viele und wohlgezielte Steine auf die Emporklimmenden, daß keiner auch nur bis zur halben Höhe hinaufgelangte. Bald aber begann der Vorrat an Steinen in der Felskammer sich zu lichten, und vergebens sah sich der Ritter, der sich mit großer Vorsicht im Hintertreffen hielt und von einer sicheren Stelle aus seine Leute anfeuerte, nach Ersatz um.

Überdies hatten die Petraenser mittlerweile die gegenüberliegende Felswand erstiegen und begannen nun von dort aus so wirksam in das Innere des Tempels zu schießen, daß die Pfeile bis in die hintersten Winkel der Felsenkammer sausten und der tapfere Ritter seine ganze Aufmerksamkeit darauf verwenden mußte, ihnen aus dem Wege zu gehen.

Während aber ihr Führer im Hintergrunde mit größerem Eifer herumsprang, als er jemals entfaltet hatte, wenn er im Reigentanz um die Bewunderung holder Zuschauerinnen geworben hatte, erlahmte allmählich die Kraft der Knechte. Anderseits stieg die Erbitterung der Angreifer, die zahlreich genug waren, um immer neue Mannschaften ins Treffen führen zu können, nur noch mehr, und schon war es einigen gelungen, sich bis unter den vorspringenden Unterbau der Vorhalle emporzuarbeiten, als das Schmettern eines Hifthorns an den Felswänden widerhallte.

Gleich darauf wimmelte es unten im Tale von Schwertern und Lanzen. Die überraschten Bürger waren schnell überwältigt, und nun war es für den verschlagenen Normannen ein leichtes, sich auf den Helden hinauszuspielen.

Er erzählte, sich mit erstaunlicher Geschicklichkeit der neuen Lage anpassend und sie für sich auszunutzen suchend, eine wahre Wundergeschichte von Bedrängnissen, die er zu bestehen gehabt habe, und wußte die Dinge so darzustellen, daß selbst der Vogt von Weißenstein, der ihm im übrigen wenig grün war und nie anders von ihm sprach, als von dem »englischen Affen«, anerkennen mußte, er habe sich in diesem Falle wirklich einmal um seinen Herrn und die Christenheit verdient gemacht.

Der Graf selbst freilich hatte seinen Erzählungen kaum zugehört, und nachdem er geendigt hatte, drückte er ihm schweigend die Hand und ritt weiter nach der Burg, um sich, nur mit Gedanken über den Verlust seiner Tochter beschäftigt, in sein Gemach zurückzuziehen.

Die ganze Nacht hindurch waren sie im Gebirge herumgeirrt, ohne auch nur die Spur der Räuber entdecken zu können, und erst eine nähere Untersuchung der im Mosestal erschlagenen Sarazenen hatte wenigstens zu der Mutmaßung geführt, daß die Entführer den Horden des ägyptischen Kalifen zugehörten.

Wohin aber hatte man Mechthildis geschleppt? Was würde das Los des unglücklichen Kindes sein? Wie würde es möglich werden, etwas zu ihrer Befreiung zu unternehmen?

Und nachdem er sich lange Zeit vergeblich mit diesen Fragen das Gehirn zermartert hatte, drangen andere Gedanken auf ihn ein: Womit hatte er es verdient, daß Gott seine Hand so schwer auf ihn legte und ihm das entriß, was ihm auf dieser Welt das Teuerste gewesen war? – Und plötzlich trat die Gestalt Hermanns von Camp wieder vor seine Seele hin, – so deutlich, daß er die Augen schließen und sich gewaltsam davon losreißen mußte.

Aber wie er sich auch abzulenken suchte, das Bild des Freundes wollte nicht von ihm weichen, und immer furchtbarer wuchsen die Zweifel in ihm auf, ob er dem Ritter Guiscard nicht doch zu viel vertraut und an dem Freunde die Schuld auf sich geladen hätte, für die Gott nun so schwere Sühne heischte. – Dann aber suchte er sich zu vergegenwärtigen, wie Guiscard erst jetzt wieder eine Probe seiner Treue abgelegt habe, und dieses Bewußtsein schien ihm die Kraft verleihen zu wollen, die quälenden Gedanken von sich abzuwälzen, als ihm der Junker Dietrich von Camp gemeldet wurde.

Unter anderen Umständen würde er ihn sicher abgewiesen haben. Er mochte den Sohn des Mannes nicht mehr sehen, der ihm, wie er sich immer wieder einzureden suchte, die schmerzlichste Enttäuschung seines Lebens bereitet hatte. Mit derselben Lebhaftigkeit, mit der er ihn früher geliebt hatte, haßte er ihn jetzt. Und je weniger zuverlässig er sich in der Überzeugung fühlte, daß er an Hermann von Camp recht gehandelt habe, umso peinlicher war ihm der Anblick des Sohnes, dessen Nähe er wie einen ewigen Vorwurf empfand und den er längst ebenfalls von seiner Burg verbannt haben würde, wenn ihn nicht ein gewisses Gefühl der Unsicherheit und Verantwortlichkeit immer wieder davon zurückgehalten hätte.

Heute aber konnte er sich nicht entschließen, ihn von sich zu weisen. Bei der eigenen Unselbständigkeit und als ein Kind seiner mystischen Zeit, war er immer geneigt, in den Zufälligkeiten die Schickungen einer höheren Macht zu erblicken, und auch jetzt erschien es ihm wie eine Fügung Gottes, daß der Junker gerade in dieser Stunde Einlaß begehrte.

»Heiße den Junker kommen!« rief er dem Knechte zu, der ihn gemeldet hatte. Aber kaum war das Wort gesprochen, so bereute er schon wieder, daß er sich abermals von einer augenblicklichen Stimmung habe hinreißen lassen.

Was sollte ihm der Junker? Sein Anblick würde ihm in diesem Augenblick den Verlust der Tochter nur noch schmerzlicher empfinden lassen. Er wollte nichts mit dem Sohn des Mannes zu tun haben, den man bezichtigte, ihn und die heilige Sache so schnöde verraten zu haben.

Inzwischen war der schwarze Junker aber schon eingetreten. Bescheidentlich harrte er an der Tür, bis der Graf ihn nach seinem Begehr fragen würde.

In heftiger Erregung ging der Graf an ihm vorüber, ohne ihn zu beachten, und trat, ihm den Rücken kehrend, zum Fenster.

»Ist dort jemand?« fragte er endlich unwirsch, als wisse er gar nicht, daß der Gemeldete längst im Zimmer sei.

»Ja, Herr – Dietrich von Camp ist hier,« antwortete der Junker, ohne die in der Frage liegende Beleidigung, die er wohl empfand, zu beachten.

Beim Klang der Stimme zuckte der Graf zusammen. Er hatte sie nicht mehr vernommen, seit der Sohn vor mehr als Jahresfrist vergeblich versucht hatte, die Unschuld des Vaters zu beteuern und die Erlaubnis auszuwirken, zu seiner Rechtfertigung ausziehen zu dürfen. Diese Stimme tat ihm weh und erinnerte ihn doch an glückliche Tage der Vergangenheit. Herbe Rede schwebte ihm auf der Zunge. Aber bevor er sie ausgesprochen hatte, wurden sie ihm wieder leid, und freundlicher als zuvor, doch ohne sich umzuschauen, fragte er: »Was begehrt Ihr?«

»Ich begehre, die Sporen zu verdienen,« antwortete der Junker bescheiden, aber fest: »Ich bin nun bald dreiundzwanzig Jahre alt. Das ist mehr als die Zeit, in der man nach Ritterrecht den Schlag erteilt.«

»Man schlägt keine Ritter aus morschem Stamm!« brauste der Graf auf. »Bedankt Euch bei Eurem Vater, der Euch das Ritterrecht verwirkt und Euren Schild befleckt hat.«

»Meines Vaters Schild ist rein, Herr, wie der Eure!« rief der Junker, jetzt ebenfalls in erregtem Ton. »Und wenn Ihr mir nicht vorenthieltet, was mir zukommt, so sollte der mir Rede stehen, der es anders behauptet!«

»Wollt Ihr mit mir rechten, Junker?« entgegnete der Graf, sich zornig nach ihm umdrehend. »Dazu – wahrlich – habt Ihr die Stunde schlecht gewählt!«

Der Hinweis auf den schmerzlichen Verlust, den der Graf durch die Entführung seiner Tochter soeben erlitten hatte, brachte den Junker wieder zu sich selbst und erinnerte ihn daran, was er eigentlich vom Grafen hatte erbitten wollen.

»Verzeiht, Herr!« sagte er schlicht. »Ich vergaß mich. – Aber gebt mir endlich Gelegenheit, zu beweisen, daß ich das Mißtrauen nicht verdiene, das Ihr gegen mich hegt. – Laßt mich ausziehen, Eure Tochter zu befreien!«

Er war bei diesen Worten näher zum Grafen getreten und stand mit flehender Miene vor ihm.

Überrascht sah der Graf ihn an. Einen Augenblick war ihm, als müsse er die Hand annehmen, die sich ihm hier freiwillig darbot. Dann aber gewann der Groll wieder die Überhand in ihm, und mit ablehnender Handbewegung wandte er sich ab und sagte: »Wenn Ihr ziehen wollt, so zieht. Ich halte Euch nicht. Geht immerhin zu Eurem Vater. Werdet auch abtrünnig wie er. Laßt's Euch im Solde des Kalifen wohl sein. Die Sache Christi hat an Euch doch nichts mehr zu verlieren.«

»Also noch immer die üble Gesinnung!« entgegnete nach einer Pause der Junker traurig. »Noch immer dieselbe Antwort, mit der Ihr mich von jeher abgespeist habt, obwohl Ihr wißt, daß ich so nicht gehen werde, – nicht gehen kann! – Ihr nehmt mir meine Ehre und entzieht mir die Möglichkeit, sie wiederherzustellen? – Was frommte es mir wohl, wenn ich Euren Urlaub annähme und allein mich aufmachte, um den Vater zu suchen? Würdet Ihr mir glauben, wenn ich wiederkäme und sagte: Ich habe seine Spur gefunden, es ist alles erlogen, was man gegen ihn vorgebracht hat? – Ihr würdet mir nicht glauben, ebensowenig wie Ihr Eurem Herzen glaubt, das Euch – des bin ich gewiß! – oft etwas anderes sagt, als Ritter Guiscard, der falsche Normanne. – Und wenn ich nun nicht wiederkäme, sondern in dem gefahrvollen Zuge zu Grunde ginge, – würde es dann nicht heißen: Seht ihr, er ist ebenfalls zum Verräter geworden und bei den Fleischtöpfen Ägyptens sitzen geblieben? – In so schlimme Lage, Herr, hat mich Eure Weigerung gebracht, mich mit angemessener Begleitung ziehen zu lassen, die sich mit mir von der Wahrheit unterrichten und Euch zweifelsfrei Kunde bringen könnte. – Und doch würde dann erst Zeugnis wider Zeugnis stehen, wie es jeder Verdächtigte zu Recht verlangen kann, bevor man das Urteil über ihn fällt. – Ich zürne Euch deswegen nicht, Herr, denn ich liebe und verehre Euch trotz alledem, und ich werde das Gelübde halten, das ich in der schwersten Stunde getan habe: In christlicher Demut zu tragen, was Gott mir auferlegt hat, und Euch als Christ zu vergelten, was Ihr an mir tut. Aber wanken werde ich deshalb nicht, Herr! Ich bin ein Camp, und die beugen sich nicht. Ich weiche nicht von Eurer Seite, bis Ihr mir mein Recht gewährt haben werdet. Ich harre aus, bis meine Stunde schlägt; denn ich weiß, daß Gott den nicht verlassen kann, der im Recht ist. – Und ich fühle, daß diese Stunde jetzt gekommen ist. – Eine innere Stimme sagt mir, daß ich Euch Eure Tochter wiederbringen werde und daß dann auch der Tag erscheint, wo Ihr meine und meines Vaters üble Rechnung nachprüfen und für falsch erfinden werdet. – Noch einmal flehe ich Euch an, Herr: Laßt mich mit Eurem Segen ziehen, und ich schwöre Euch, daß Ihr ihn an keinen Unwürdigen verschwendet haben sollt! – Laßt diesen Zug meinen Prüfstein sein. Ich diene ja dann mir, wenn ich Euch diene. Ist Euch das nicht Bürgschaft genug, mir zu vertrauen? – Laßt mich ziehen, und Gott wird es Euch lohnen! Ich werde Euch die Tochter zurückbringen, Herr, oder sterben. Laßt mich ziehen, gewähret mir meine Bitte, ich beschwöre Euch!«

Mit immer wachsender Leidenschaft hatte der Junker gesprochen. Jetzt warf er sich dem Grafen zu Füßen, ergriff seine Hand und suchte sie an seine Lippen zu ziehen. – Und der Graf wehrte es ihm nicht.

In diesem Augenblick trat ein Knecht ein, um den Ritter Guiscard zu melden.

Der vorsichtige Ritter mochte wohl im Nebenzimmer gelauscht haben; denn er hatte es jetzt so eilig, die Unterredung zu unterbrechen, daß er, ohne die Rückkunft des Knechtes abzuwarten, in das Gemach trat und durch umständliche Verbeugungen den Grafen auf seine Anwesenheit aufmerksam zu machen suchte.

Ärgerlich sah der Junker, der sofort aufgestanden war, sich nach ihm um.

Aber mit süßlichem Lächeln sagte der Normanne: »Ah! Der Herr Junker von Camp! – Verzeihung! – Ich will nicht stören.«

Damit machte er eine Bewegung, als wolle er wieder zur Tür hinaus.

Doch der Graf hielt ihn zurück.

»Bleibt, Ritter!« rief er ihm, nicht ohne einen Anflug von Strenge, zu. »Ich habe mit Euch zu reden. – Und Ihr, Junker,« fuhr er, zu Dietrich gewendet, in milderem Tone fort, »geht jetzt und harret meiner Entschließung.«

Etwas verdutzt schaute Ritter Guiscard dem jungen Mann nach, der jetzt in hoffnungsvoller Stimmung das Gemach verließ. Aber mit dem feinen Instinkt des Intriganten hatte er sofort den Braten gewittert. Er wußte, wessen er sich von der Unterhaltung mit dem Grafen zu versehen hatte und richtete sogleich seine Maßnahmen darauf ein.

So gelang es ihm denn auch, den Grafen, der durch Dietrichs offene, überzeugende Sprache schon halb gewonnen gewesen war, bald wieder umzustimmen, und als der Junker sich später seinen Bescheid erbat, erhielt er die alte Antwort: Er möge ziehen, wohin es ihm beliebe; irgendwelche Bestätigung oder Unterstützung von seiten des Grafen aber oder gar eine Begleitung habe er nicht zu gewärtigen.

Der Normanne hatte also auch diesmal Dietrichs Plan zu vereiteln gewußt. Was er aber nicht hatte hindern können, war, daß der Graf jetzt von dem festen Entschluß eingenommen war, selbst auszuziehen, um seine Tochter aufzusuchen und wenn möglich zu befreien.

Dazu jedoch bedurfte er der Genehmigung des Königs, seines Lehnsherrn, dem er geschworen hatte, das Gebiet seines Lehns nicht ohne Urlaub zu verlassen, es sei denn unter besonderen Umständen im Bannkreis einer Tagereise. Da aber alle Zeichen darauf deuteten, daß Mechthildis nach Ägypten geschleppt worden sei, und der Zug also sicherlich längere Zeit in Anspruch nehmen würde, beschloß der Graf, sofort eine Botschaft an den König nach Jerusalem zu senden.

Noch in der nämlichen Stunde sprengte der Chevalier de Montpelier, der als der beste Reiter mit dem Auftrag betraut worden war, obwohl ihm seine Wunden einige Beschwerden machten, mit drei sicheren Knechten durch das Sik davon, um am Ende des Engpasses nach Nordwesten auf die Straße nach Hebron einzubiegen. Man rechnete auf den Weg von Petra bis Jerusalem und zurück für einen guten Reiter sieben Tage. Der Chevalier aber, der sich auf seine Reitkunst viel zu gute hielt, hatte sich verschworen, ihn spätestens in fünf Tagen zurückzulegen.

Doch auch diese fünf Tage waren eine lange Zeit für den Grafen, der sich in Sorge um seine Tochter verzehrte. Und diese Sorge wurde noch erhöht, als eine Schar von Pilgern, die auf der Rückkehr vom Sinai in Petra Rast machte, erzählte, sie haben unterwegs einen Trupp sarazenischer Reiter getroffen, der eine vornehme fränkische Frau mit sich geführt habe.

Der Graf ließ sogleich einen der Wallbrüder zu sich kommen, und aus dessen Beschreibung entnahm er bald, daß es niemand anderes als Mechthildis gewesen sein könne. Sie habe bleich und düster dreingeschaut und auf einem Pferde gesessen, das einer der Reiter am Zügel mit sich gezogen habe. Als sie die Pilger gesehen habe, sei sie vergeblich bemüht gewesen, sich loszureißen. Sie habe ihnen auch etwas zugerufen, was sie aber nicht hätten verstehen können. Dann hätten die Sarazenen ihre Rosse angetrieben und wären bald im Staub verschwunden gewesen. Über die Richtung, die sie eingeschlagen, wußte der Pilger nichts zu sagen, als daß er und seine Gefährten glaubten, sie seien nach Akaba geritten, wo sie Tags zuvor eine Anzahl ägyptischer Fahrzeuge auf der Reede hätten kreuzen sehen.

Die letztere Angabe erschien dem Grafen insofern zweifelhaft, als Akaba, das am nördlichsten Ende des die Halbinsel Sinai im Südosten einschließenden Älanitischen Meerbusens, im Nordwesten des Roten Meeres, lag, in den Händen der Christen und von einem Vicomte des Königs von Jerusalem besetzt war.

Dennoch sandte er sofort Boten dahin, die jedoch nach drei Tagen mit der Nachricht zurückkamen, es seien allerdings ägyptische Fahrzeuge dort gewesen und vor zwei Tagen wieder abgefahren. Da man aber mit dem Kalifen gegenwärtig in Waffenstillstand lebe und nichts Auffälliges zu bemerken gewesen sei, habe man sich nicht weiter um sie bekümmert, besonders da sie auf der Reede verblieben und gar nicht in den Hafen selbst eingelaufen seien, Von dem Fräulein habe man jedenfalls nichts erfahren, werde aber eifrig bemüht sein, nach ihrem Verbleib zu forschen.

Inzwischen hatte der Graf, der gar keine andere Antwort erwartet hatte, eifrig gerüstet, um sofort ausrücken zu können, sobald der Chevalier von Jerusalem zurück sein würde. Er zweifelte keinen Augenblick daran, daß der König den Zug zur Befreiung seiner Tochter genehmigen würde, und wollte alles daran setzen, um ihn so glänzend und achtunggebietend als möglich zu gestalten. Um die Zahl seiner Ritter und Knechte zu erhöhen, zog er auch einen Teil der Besatzung des benachbarten Schobôk heran, dessen von Balduin I. erbaute Burg, Mons regalis genannt, ebenfalls zu seiner Lehnsherrschaft gehörte. Wenn er die Besatzung von Petra auf das Notwendigste beschränkte, konnte er so immerhin mit einigen zwanzig Rittern, einem Dutzend Knappen und an die hundert Knechten ausrücken.

Auch Ritter Guiscard ließ sich diesmal die Erlaubnis angelegen sein, in des Grafen Begleitung mitreiten zu dürfen.

Da er den Zug nicht verhindern konnte, wollte er wenigstens dabei sein, um etwaige Nachforschungen nach Hermann von Camp verhindern und sich in dieser Sache rechtzeitig mit dem Kalifen verständigen zu können. Es erschien diese Vorsicht umsomehr unerläßlich, als der Graf es sich durchaus nicht ausreden lassen wollte, auch den schwarzen Junker mitzunehmen, der infolgedessen nicht weniger auf die königliche Genehmigung brannte, als der Graf selber.

Am vierten Tage bereits waren alle Vorkehrungen getroffen. Außer den Pferden für die Ritter und die Hälfte der Knechte, die ebenfalls abwechselnd beritten gemacht werden sollten, wurden Dutzende von Maultieren und Eseln aufgeboten, um den Proviant und die Wasservorräte zu tragen. Denn um so schnell als möglich zu seinem Ziel zu gelangen, war der Graf entschlossen, geradeswegs durch die große Wüste nach dem alten Kolzum, dem heutigen Suez, zu marschieren, von wo aus eine vielbetretene Heerstraße in wenig mehr als einer Tagereise nach Kairo, der Hauptstadt des Kalifen, führte.

Der Marsch quer durch die Wüste mit so vielen Menschen und Tieren war im Herbst ein gewagtes Unternehmen. Auf mehrere Tagereisen durfte man nicht darauf hoffen, auch nur ein Tröpfchen Wasser, auch nur einen Grashalm zu finden. Und vor Beginn der Regenzeit pflegten in der endlosen, steinigen Einöde furchtbare Sandstürme zu wüten, die alles Lebende, was in ihren Bereich kam, mit Vernichtung bedrohten.

Aber der Graf hätte in seiner Sehnsucht nach der geliebten Tochter noch Ärgeres gewagt, und die Streiter Christi im heiligen Lande waren an derartige Gefahren und außerordentliche Entbehrungen gewöhnt. Als er sie auf dem Burghof versammelte und sie fragte, ob sie ihm willig auf diesem Zuge folgen wollten, scholl ihm einstimmig das begeisterte »Gott will es!« entgegen, das seit der Eroberung Jerusalems allgemein zum Feldgeschrei der Kreuzfahrer geworden war.

So kam der fünfte Tag heran, seit der Chevalier die Stadt verlassen hatte. Bevor die Sonne untergegangen sein würde, durfte man, wie man hoffte, ihn zurückerwarten. Schon am frühen Morgen begann ein buntes Treiben in der Burg. Die Ritter ließen sich ihre Rosse vorführen und prüften Rüstung und Waffen. Die Knechte schnürten ihre Bündel und befrachteten die Tragtiere. Die Kaufleute aus der Stadt boten ihre Waren feil und machten so gute Geschäfte, daß sie an diesem Tag schwuren, der Graf sei doch ein vortrefflicher Herr, und sie wollten nie einen besseren haben. Dann las der Bischof in der Burgkapelle eine feierliche Messe, segnete die Ausziehenden und flehte zu Gott, er möge seine schützende Hand über sie halten, ihre Fahrt mit Erfolg krönen und sie glücklich heimkehren lassen.

Am Nachmittag vermochte der Graf seine Ungeduld nicht mehr zu zügeln. Er schwang sich aufs Pferd und ritt dem Chevalier auf dem Wege nach Hebron entgegen.

Aber der Tag verging und der sehnsüchtig Erwartete kam nicht. In banger Sorge kehrte der Graf zur Burg zurück, nachdem er auf den Bergen am Sik Wächter ausgestellt hatte, die sofort Feuerzeichen geben sollten, wenn sie die Herannahenden bemerken würden. In immer wachsender Erregung verbrachte er die Nacht. – Der Chevalier aber ließ vergeblich auf sich warten.

Statt seiner ritt am Morgen ein Herold in den Burghof ein. Er überbrachte ein königliches Schreiben, in dem der Graf unter Androhung von Acht und Bann aufgefordert wurde, alle persönlichen Angelegenheiten der allgemeinen Sache der Christenheit unterzuordnen und mit aller verfügbaren Heeresmacht unverzüglich nach Jerusalem aufzubrechen. Die Seldschucken von Damaskus seien in die Grenzen des christlichen Königreichs eingefallen und ihr Fürst, der Sultan Buzi, bedrohe Antiochien. Der König selbst sei dem Feinde bereits entgegengerückt. Dem Grafen aber wurde aufgegeben, so schnell als möglich als Nachhut über Jerusalem und Tiberias zu folgen.

Den Grafen traf diese Botschaft wie ein Donnerschlag – Mechthildis! – Was würde nun aus ihr werden? Der Vater weit im Norden auf dem Kriegszug, monatelang, vielleicht auf Jahre hinaus! – Und keine Möglichkeit, ihr Hilfe zu bringen und sie aus unwürdiger Gefangenschaft zu befreien, in der sie nun ihre Jugend verseufzen mußte!

Aber seiner Lehnspflicht eingedenk, war der Graf trotz seines unendlichen Kummers keinen Augenblick im Zweifel, was er jetzt zu tun habe. Fest und ruhig traf er seine Anordnungen und stand noch vor Mittag zum Abmarsch bereit, nachdem er dem Vogt von Weißenstein die Verwaltung seines Gaues übergeben hatte.

Schon saß er zu Roß und wollte eben nach dem Burghof sprengen, wo die Ritter und Knechte bereits marschfertig seiner harrten, als Junker Dietrich von Camp ihm entgegentrat und ihn ansprach: »Verarget es mir nicht, Herr Graf, daß ich mich unterfange, noch einmal vor Euch zu erscheinen. Aber Gott ist mein Zeuge, daß ich es treu mit Euch meine! Ich könnte Euch doch nicht in den Kampf begleiten als ein fragwürdiger Junker. Laßt mich die Zeit benutzen, Eure Tochter zu suchen! – Ich weiß, wo Euer Herz weilen wird auf diesem Zuge. Gönnet mir wieder ein kleines Fleckchen in diesem Herzen, das ich einst ganz besaß. – Habt Vertrauen, Herr, und laßt mich nach Ägypten ziehen!«

Einen Augenblick schwankte der Graf. Aber der Anblick des edlen Jünglings und die Verzweiflung seines Vaterherzens ließen ihn diesmal alle Bedenken überwinden.

Plötzlich sprang er aus dem Sattel, faßte des Junkers Hand, sah ihm ein paar Sekunden lang fest ins Auge und sagte mit vor Erregung bebender Stimme: »Ich kann Euch nicht viel Begleitung mitgeben, Dietrich von Camp. Wählet Euch einen treuen Knecht und ziehet mit Gott. – Ich vertraue Euch!«

Damit schwang er sich aufs Pferd und sprengte davon.

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