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Das Wiedersehen

Als den Frauen die Binden wieder abgenommen wurden, befanden sie sich in einem kahlen, von zwei Fackeln nur dürftig erhellten Raum, in dem nichts zu erkennen war als die Umrisse zweier riesigen Steinsarkophage.

Dann ließen sich aus der Ferne Schritte vernehmen. Sie kamen näher. – Und endlich tauchten aus der Dunkelheit die Gestalten zweier Männer auf, die sich verwundert umschauten und von dem ungewohnten Licht so geblendet schienen, daß sie nicht zu unterscheiden vermochten, was sie vor sich hatten.

»Junker!« flüsterte Mechthildis, unfähig, länger an sich zu halten.

»Fräulein!« hallte es jubelnd zurück.

Plötzlich, vom Klang ihrer Stimme geleitet, hatte der Junker sie erkannt und warf sich, nicht im stande, ein Wort weiter hervorzubringen, ihr zu Füßen und drückte ihre Hand an seine Lippen.

Eine ganze Weile verharrten sie so, von Gefühlen überwältigt, in inhaltsvollem Schweigen, und Hen kniete neben seinem Herrn und küßte bald dessen Gewand, bald das der Gräfin, während ihm die dicken Tränen über die verwitterten Wangen herabliefen.

»Junker!« begann Mechthildis endlich, nachdem sie ihn aufgefordert hatte, sich zu erheben. »Das erste, was ich Euch zu sagen habe, ist, daß ich Euch aus tiefstem Herzen um Verzeihung bitte für all das schwere Unrecht, das ich Euch und Eurem edlen Vater in unseliger Verblendung angetan habe.«

»Wo ist mein Vater?« rief Dietrich in freudiger Überraschung.

»Ich weiß es nicht, und fürchte, es geht ihm nicht wohl. Seit uns der Zufall einmal im Schlosse des Kalifen zusammenführte, schleppt man ihn von Ort zu Ort im Lande umher, um zu verhindern, daß wir miteinander in Verbindung treten. – Aber ich weiß jetzt, daß er das Opfer eines schändlichen Betruges ist, und mit tiefster Beschämung habe ich eingesehen, wie leichtfertig wir uns in dem Glauben an die Treue eines bewährten Freundes haben beirren lassen. In heißen Gebeten habe ich hundertmal zu Gott um Verzeihung für diese große Schuld gefleht, und mein Herz wird keine Ruhe finden, bis meinem Vater und mir Gelegenheit geworden ist, sie wieder gut zu machen. – Eurem Vater konnte ich das nicht sagen; denn er ahnt nichts von dem schändlichen Verdacht, und es würde sein Leid nur noch vergrößert haben, wenn er jetzt davon erfahren hätte. – Aber Ihr sollt wissen, wie tief ich mich in Eurer Schuld fühle, und seit ich Euch, unfähig zu Euch zu gelangen, in so schrecklicher Lage auf dem Markte zu Atfih sah, habe ich mit blutendem Herzen die Stunde herbeigesehnt, in der ich es Euch würde sagen können. – Dietrich!« schloß sie mit leiser, vor Ergriffenheit zitternder Stimme, »Dietrich! Könnt Ihr mir verzeihen?«

Schweigend, von der Überfülle des Glückes wie betäubt, beugte der Junker sich über die Hand, die sie ihm dargereicht hatte, und sie fühlte, wie seine Tränen sie benetzten.

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Der Junker und Hen warfen sich Mechthildis zu Füßen.

Endlich richtete er sich auf, und sich gewaltsam zusammenraffend, sagte er: »Fräulein! – Viel Leids habe ich erfahren; denn meiner Jugend zum Trotz trug ich mein Dasein als eine unleidliche Last, und mit jedem Blick, den ich, halb bedauernd, halb verächtlich, auf mir ruhen fühlte, wurde diese Last unerträglicher! – Es muß ein klägliches Los sein, als Krüppel durch die Welt zu hinken. – Ein entsetzliches Geschick mag dem beschieden sein, der das Augenlicht verlor und die Herrlichkeit nicht mehr schauen kann, mit der Gott seine Schöpfung geschmückt hat. – Aber was ist das alles gegen die Qualen, die der Mann erduldet, dem man unschuldig die Ehre abgesprochen hat! – Gegen ihn ist der Unglücklichste glücklich, Und niemand kann es ihm verargen, wenn er verbittert wird. – So bin auch ich verbittert worden, Fräulein. – In dieser Stunde aber fühle ich den bösen Bann von mir weichen. – Wie schmelzendes Eis löst es sich von meiner Seele. – Zum ersten Male atme ich wieder frei, und wie eine himmlische Erlösung erhellt das Bewußtsein mein verdüstertes Herz: du darfst nun wieder jedermann frei in die Augen schauen, du bist nun wieder für alle, was du so lange Zeit nur vor dir selber sein konntest: der Sohn eines ehrlichen Mannes! – Niemand darf dich mehr über die Achsel ansehen und dir dein ritterliches Recht verwehren, rein ist dein Schild und ohne Makel der Name deiner Väter! – O, Fräulein! – Ich bin ausgezogen, um Euch zu befreien, und Ihr habt mich befreit! – Ihr habt mich befreit von einer Knechtschaft, die zehntausendmal schrecklicher war als die, die Ihr zu erdulden hattet. – Ihr habt mir die Freiheit in mir selbst wieder gegeben, und Gott, dessen unendliche Güte ich nun erst habe erkennen lernen, Gott sei mein Zeuge, daß ich Euch diese Stunde nie vergessen werde! – Ich habe Euch nichts zu verzeihen; denn auch Ihr standet unter einem furchtbaren Bann. – Lasset uns Gott preisen, der diesen Bann von uns allen genommen und das Unrecht hat offenbar werden lassen!«

Mit diesen Worten kniete er nieder, und mit ihm sanken auch die anderen auf die Knie, um in inbrünstigem Gebete ihre Herzen zu Gott zu erheben.

Dann erhob sich der Junker wieder. Aber Mechthildis blieb vor ihm liegen, und mit tränenfeuchten Augen zu ihm aufblickend, sagte sie: »Dietrich! – Wie klein erscheine ich nun vor Euch! – Aber in dieser heiligen Stunde gelobe ich Euch, den Stolz fahren zu lassen, und Euch von nun an nachzueifern in edler Demut.«

»Stehet auf, Fräulein!« entgegnete der Junker betroffen. »Nicht ziemt es mir, Euch so vor mir zu sehen. – Stehet auf und lasset uns die Zeit nützen. – Diese braven Leute haben, wie ich höre, alles zu Eurer Flucht vorbereitet. – Ich hatte zwar gehofft, Euch durch eigene Kraft zu befreien. Aber ich bin nicht so töricht, es denen zu neiden, die es für mich tun wollen, und ich weiß wohl, daß ich ohne sie nie diese glückliche Stunde erlebt haben würde. – Mit dankbarem Herzen nehme ich die Hilfe an, die sie uns bieten; denn nicht um Ruhm für mich zu gewinnen, sondern um Euch aufzusuchen und zu Eurem Vater zurückzubringen, bin ich ausgezogen. – Kommt denn, und so Gott will, erblicken wir in wenigen Tagen die Heimat!«

»Und Euer Vater!« rief Mechthildis.

»Mein Vater?«

Einen Augenblick kämpfte der Junker mit sich. Dann sagte er fest: »Mein Vater darf mich jetzt nicht kümmern. – Mich Eurem Dienst zu widmen, habe ich gelobt. – Bevor ich dieses Gelöbnis nicht erfüllt, bevor ich Euch nicht sicher heimgeleitet habe, darf ich an meine eigene Sache nicht denken. – Kommt!«

»Und Ihr glaubt, daß ich dieses Land verlassen werde, ohne auch nur den Versuch gemacht zu haben, den edlen Ritter zu lösen, der durch meines Vaters Schuld so schweres Leid erduldet? – Oder meint Ihr, daß ich es zugeben werde, daß Ihr um meinetwillen Eure Kindespflicht versäumt?«

»Mannentreue geht über Kindespflicht! – Ich habe gelobt, ihm seine Tochter zurückzubringen oder zu sterben. Ich darf nicht rechts und nicht links blicken, bis ich mein Wort erfüllt habe.«

»So entbinde ich Euch von dem Wort, das in der Erfüllung, die Ihr ihm geben wollt, ein unnatürlicher Frevel sein würde! – Groß ist meine Sehnsucht nach der Heimat. Aber größer das Gefühl der Verantwortung, das ich auf mich laden würde, wenn ich in schnödem Eigennutz auf Euren Vorschlag eingehen wollte. Soll Mannentreue höher stehen als Herrentreue? – Lieber will ich in der Fremde zu Grunde gehen, als den verlassen, der meinem Vater die Treue hielt!«

In diesem Augenblicke erschienen die Kopten wieder, die sich während der Unterredung der Franken zurückgezogen hatten.

»Die Nacht verrinnt und unsere Brüder warten,« sagte Zenab. »Wenn Ihr bis zum Morgen in Sicherheit sein wollt, müßt Ihr eilen.«

»Hört Ihr's, Fräulein!« rief der Junker. »Wollt Ihr die günstige Gelegenheit verstreichen lassen, die vielleicht nicht zum zweiten Male sich bietet? – Mein Vater hat so viele Monde ausgeharrt, er wird auch in den paar Tagen nicht verzagen. – Sobald ich Euch in Sicherheit weiß, werde ich umkehren, um ihn zu lösen oder mit ihm zu sterben, wenn anders nicht Euer Vater selbst jetzt im stande ist, ihn zurückzufordern. – Kommt jetzt, ich beschwöre Euch!«

»Nicht eher, als bis ich weiß, was aus dem Ritter geworden ist!«

»Nach dem frage lieber nicht,« sagte Zenab finster. »Wenn du den noch einmal sehen willst, mußt du warten, bis du vor Gottes Thron mit ihm zusammentriffst. Noch keiner, der in Bulak gefangen saß, hat die Blutinsel lebend wieder verlassen.«

»In Bulak?« rief Mechthildis voller Entsetzen. »Er ist in Bulak?«

»Und das sagst du mir erst jetzt, Grausamer?«

Zenab erwiderte: »Ich selbst habe es erst vorhin mit anderen Schreckenskunden erfahren, die für Euch nur neue Gründe enthalten, so bald als möglich dieses unglückselige Land zu verlassen. Irgend etwas Wichtiges muß vorgefallen sein. Der Kalif rast gegen die Christen. Am letzten Nachmittage ist eine fränkische Gesandtschaft in Kairo eingeritten. Ein Ritter und drei Knechte. Den Ritter sah man bald darauf in wilder Flucht in der Richtung auf Thamiatis von dannen sprengen. Die drei Knechte hat der Kalif in Ketten legen lassen und befohlen, alle Christen, deren man habhaft werden könne, zu fangen und vor seinen Augen hinzurichten.«

»Aber der Ritter! Was ist mit dem Ritter?« rief Mechthildis in banger Ungeduld.

»Er wird der erste sein, an dessen Blut der Tyrann seinen Zorn kühlt, wenn auch die Henker, die er ihm bestimmt hat, wie ich hoffen will, dann nicht mehr bei der Hand sein werden, seine fürchterliche Blutgier zu befriedigen.«

»Was ist's mit den Henkern? – Was willst du damit gesagt haben? – Weshalb siehst du uns dabei so vielsagend an?« rief der Junker in furchtbarer Aufregung.

»Waret Ihr nicht heute schon in Bulak? Wißt Ihr nicht, wen man Euch zwingen will, morgen zu töten?«

»Doch nicht den Vater? – Den eigenen Vater?« schrie der Junker voller Entsetzen auf.

»Ja, wenn der Ritter, der in Bulak gefangen sitzt, dein Vater ist?«

»Oh! Was du sagst, ist nicht auszudenken!«

Wie betäubt von diesem grauenvollen Gedanken, taumelte der Junker zurück, so daß Hen zusprang, um ihn zu stützen. Aber im nächsten Augenblick hatte der Junker sich wieder aufgerafft, und in wilder Verzweiflung auf die Kopten einstürmend, rief er: »Gebt mir ein Schwert! – Ein Sohn den eigenen Vater! – Zeigt mir den Weg zu diesem Teufel! – Gebt mir ein Schwert!«

»Was willst du mit dem Schwert?« antwortete Zenab. »Einer gegen tausend? – Willst du mit dem Schädel die Pyramiden einrennen? – Benutze lieber die Zeit, dich selbst und die anderen in Sicherheit zu bringen.«

»Gebt mir ein Schwert!« rief der Junker wieder und gebärdete sich wie ein Wahnsinniger. »Wenn ihr wirklich Menschen seid und menschliches Gefühl im Herzen tragt, so helft mir, den unglücklichen Vater zu retten.«

»Wer in Bulak liegt, ist nicht zu retten. Tausende unserer Brüder haben dort schon ihr Grab gefunden. Glaubst du nicht, daß wir sie befreit hätten, wenn es eine Möglichkeit dazu gäbe? – Aus den Tatzen des Löwen haben euch die Brüder gerissen. Aus dem Palaste des Kalifen, wo ihr in Ketten laget, haben sie euch hergeführt. – Aber aus Bulak kehrt niemand wieder! – Flehet zu Gott, daß er ein Wunder geschehen lasse. – Wir können dir nicht helfen.«

»Aber es muß eine Hilfe geben!« rief jetzt Mechthildis, die sich nur langsam von der gewaltigen Erschütterung zu erholen vermocht hatte, in die sie durch die ungeheuerliche Kunde versetzt worden war. »Es muß eine Hilfe geben! Der Kalif kann ein so empörendes Verbrechen nicht begehen. – Der Ritter ist als Geisel in diesem Lande. Die ganze Christenheit würde sich erheben, um diesen Frevel zu rächen!«

»Es wäre nicht der erste fränkische Bürge, der in Ägypten gemordet wäre. – Vor sechs Jahren, als der König von Jerusalem in Mesopotamien gefangen saß, hat der Kalif ein ganzes Dutzend fränkischer Ritter in Bulak töten lassen, ohne daß die Christenheit auch nur den Finger deshalb gerührt hätte.«

»Aber der Kalif ist gewiß nicht schuld daran gewesen. – Ich habe ihn kennen gelernt. Der Wesir ist ein heuchlerischer Unmensch. Aber der Kalif wird sich meinen Bitten nicht verschließen. – Ich will zu ihm gehen und für den Ritter sprechen.«

»Du willst zu ihm gehen und uns verraten!« rief Zenab jetzt in lebhafter Erregung, die von allen Kopten geteilt wurde. »Haben wir dich deshalb aus deinem Gefängnis geholt und unser Leben für dich aufs Spiel gesetzt?«

»Ich werde euch nicht verraten. – Ihr habt meinen Schwur,« entgegnete Mechthildis.

»Du kannst deinen Schwur gar nicht halten, wenn das Wortgefecht dir die Überlegung raubt. – Die Zungen der Weiber sind wie die Fohlen. Sie setzen über die Hürde, ob du ihnen gleich die Beine gefesselt hast. Wir sind schon verraten, wenn du nur dem Wesir noch einmal begegnest!«

»Nun denn, so sinnet auf etwas anderes!« rief Mechthildis ungeduldig. »Aber wisset, daß wir nie dieses Land ohne den Ritter verlassen werden! – Ich weiß, daß ihr klug seid und mit allen Schleichwegen vertraut. Sinnet auf ein Mittel, um den Ritter zu befreien. – Helft uns, ihn zu retten, wenn ihr nicht wollt, daß wir alle mit ihm sterben und daß auch die Fürsprache verloren geht, die ich euch gelobt habe und die gewiß nicht ohne Nutzen für euch gewesen wäre.«

Der Hinweis auf den Verlust der erhofften Vorteile verfehlte seine Wirkung bei den Kopten nicht. – Sie verhandelten eine Weile mit aufgeregten Gebärden leise untereinander. – Dann trat Zenab wieder vor und sagte: »Wartet hier. – Wir wollen uns bedenken.«

Hierauf verschwanden die Kopten in dem hinteren Teile der Gruft; eine Weile hörte man noch ihr erregtes Geflüster; dann war alles still. – Auch die Zurückgebliebenen verharrten lange Zeit in dumpfem Schweigen.

Das Gefühl der Ohnmacht, das auf dem Junker lastete, hatte ihm aufs neue das Furchtbare ihrer Lage zum Bewußtsein gebracht. Er sah wohl ein, daß er allein nichts würde ausrichten können und daß er sich selbst und seinem Gelöbnis untreu würde, wenn er sich jetzt eigensinnig und eigensüchtig darauf versteifen wollte, die Schandtat des Kalifen zu rächen, dessen Tod den Vater wahrscheinlich doch nicht retten würde.

Aber diese Überzeugung bereitete ihm namenlose Pein, und vergeblich drückte und streichelte der treue Hen, dem selbst das Herz bei diesem Jammer brechen wollte, ihm die Hand, um ihn zu beruhigen.

Auch Mechthildis war mit ihrer Kraft fast zu Ende. Immer und immer wieder trat ihr der entsetzliche Gedanke vor die Seele, daß der Sohn hatte gezwungen werden sollen, den eigenen Vater zu töten, und schluchzend barg sie ihr Gesicht an Katuschas Schulter, die mit bangen Augen in das Dunkel starrte, ob die Kopten noch immer nicht mit einem trostreichen Bescheid zurückkämen.

Aber alles blieb still, bis endlich der Junker das fürchterliche Schweigen brach und sagte: »Fräulein! Noch einmal beschwöre ich Euch: Trennt Euer Schicksal von dem unsrigen. – Lasset mich meine Pflicht erfüllen und Euch in Sicherheit bringen. Benutzet die Gelegenheit zur Flucht. – So bald als möglich kehre ich um; vielleicht gelingt es mir dann doch noch, den Vater zu retten.«

»Schweigt davon, Junker!« fiel ihm Mechthildis ins Wort. »Wie könnte ich ein Leben ertragen, das mit solchen Opfern erkauft worden wäre? Denkt Ihr so schlecht von mir? – Soll ich mich feige davonmachen, ehe noch das Äußerste versucht ist? – Noch gebe ich die Hoffnung nicht auf, noch nicht! – Und wenn die Kopten nicht helfen, werde ich mir selbst schon noch Rates wissen.«

»Ja, das meine ich auch,« erlaubte sich jetzt auch Hen bescheidentlich zuzustimmen. »Gott verläßt keinen Deutschen! Seit er uns heute nacht so unverhofft aus dem Kerker zu Euch geführt hat, erscheint mir nichts mehr unmöglich; und wenn mich die innere Stimme nicht trügt, die ich immer lauter und lauter vernehme, so werde ich nicht sterben, ohne meinem guten Herrn Ritter noch einmal in die Augen geschaut zu haben.«

»Nein! Nein! Und tausendmal nein!« rief der Junker. »Ich darf mich durch solche Gründe nicht bestimmen lassen! Ich habe Eurem Vater gelobt, kein anderes Ziel zu verfolgen, als Eure Befreiung. – Ich muß meine Pflicht erfüllen und wenn ich Euch mit Gewalt von hinnen tragen sollte!«

Und wirklich stürmte der Junker auf sie los, um seinen Worten die Tat folgen zu lassen. Aber mit gebieterischer Entschlossenheit trat Mechthildis ihm entgegen und sagte: »Halt, Junker! Ihr scheint zu vergessen, daß ich Eure Herrin bin und daß ich allein hier zu befehlen habe! – Kein Wort mehr davon, rate ich Euch!«

Jetzt endlich kamen die Kopten zurück, und Zenab berichtete, daß sie nach langem Überlegen zu folgendem Entschluß gekommen seien: Mechthildis und Katuscha sollten in sicherem Versteck bei den Kopten bleiben, der Junker und Hen dagegen in ihr Gefängnis zurückkehren und sich morgen scheinbar bereit erklären, die Hinrichtung zu vollziehen. Sobald man ihnen aber in der Arena das Richtschwert übergeben hätte, sollten sie die Fesseln des Ritters lösen und schnell mit ihm nach einer kleinen Pforte eilen, die, der Tribüne des Kalifen gegenüber, nach dem Nil hinausführte und gewöhnlich dazu benutzt wurde, die Leichname der Gerichteten nach dem Wasser zu schaffen. Hier wollten die Kopten mit Waffen bereit stehen und ihnen den Weg zu einem Schiffe bahnen helfen, in dem die beiden Frauen schon vorher verborgen sein sollten.

Bei dem starken Strom und der allgemeinen Verwirrung hofften sie, daß das mit zahlreichen tüchtigen Ruderern bemannte Schiff bald genügenden Vorsprung haben werde, um in einen der sieben Mündungsarme zu entkommen, in die sich der Nil wenige Stunden unterhalb Kairo teilte. Dort würde es leicht sein, die Verfolger zu täuschen und glücklich nach Thamiatis zu gelangen, wo jederzeit genug fränkische Geleeren vor Anker lagen, um die Flüchtlinge aufzunehmen.

Es war ein kühner Plan. Mißglückte er, so opferten die Kopten viele ihrer Brüder, und auch den Franken war die schrecklichste Rache des Kalifen gewiß.

Aber die Kopten scheuten das Opfer nicht, wenn sie nur für die Gemeinschaft ihrer Kirche die Vorteile damit erkaufen konnten, die sie von dem Einfluß der mächtigen Grafentochter mit Sicherheit erhofften, und der Junker zweifelte an dem Erfolge nicht, sobald sie nur erst wieder die Waffen in der Hand und die Möglichkeit hätten, sich durchzuschlagen.

Mechthildis endlich war entschlossen, sich auf irgend eine Weise ebenfalls Zugang zur Arena zu verschaffen, um sich im äußersten Notfall dem Kalifen zu Füßen werfen und unter Hinweis auf die Macht ihres Vaters und die Rache der ganzen Christenheit Gnade von ihm erwirken zu können.

Nachdem noch mancherlei Einzelheiten für die Durchführung des Planes besprochen worden waren, mahnten die Kopten endlich zum Aufbruch. Mit hoffnungsvollen Herzen verabschiedeten sich der Junker und Hen von der Gräfin, dann wurden sie mit verbundenen Augen wieder davongeführt.

Eine Stunde später langten sie auf demselben Wege, auf dem sie es verlassen hatten, im Schlosse zu Kairo wieder an. – Niemand hatte ihre Flucht bemerkt. – Der Kopte, welcher sie geführt hatte, legte ihnen die Ketten wieder an und verschwand dann ebenso geheimnisvoll wie er gekommen war.

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