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Im Norden von Jerusalem, östlich des Weges nach Sichem, liegt eine breitrückige Anhöhe, Skopus genannt, auf der einst die Legionen des Titus lagerten. Dort waren heute die Schranken für den Turnierplatz aufgeschlagen.
Der Platz war, obwohl man ihn nach Möglichkeit von Steinen gesäubert und durch Aufschütten von Erdboden einigermaßen eben und gangbar gemacht hatte, für ein solches Kampfspiel nicht allzu günstig. Aber es gab keinen besseren in der gebirgigen Umgegend der heiligen Stadt, und da die Kreuzfahrer auf ihre ritterlichen Übungen nicht ganz verzichten wollten, hatten sie bald gelernt, sich auf dem felsigen Gelände einzurichten, das ihren Anforderungen denn auch jetzt vollkommen genügte.
Überdies waren die Turniergesetze mit Rücksicht auf den eigentlichen Zweck des Aufenthaltes der Ritter im gelobten Lande an und für sich wesentlich milder als im Abendlande, wo das Leben eines Streiters nicht so hoch im Werte stand.
Es durfte zum Beispiel fast nur mit sogenannten Höflichkeitswaffen gekämpft werden, das heißt mit Lanzen, an deren Spitze ein rundes Stück Holz befestigt war, während der Kampf » à outrance«, mit scharfen Waffen also, nur in seltenen Ausnahmefällen, wie beim Gottesgericht, gestattet war. Auch gab es bei den gewöhnlichen Turnieren den Einzelkampf nicht, der im Abendlande so manchem Ritter Leben und Gesundheit kostete. Es wurden vielmehr nur sogenannte Melées abgehalten, gemeinsame Kämpfe, an denen alle Ritter teilnehmen konnten, die sich hervorzutun wünschten, und bei denen die Streiter durch das Los in zwei gleich starke Parteien gesondert wurden, die auf ein Zeichen der Kampfrichter gegeneinander losstürmten. Derjenigen Partei, die von der anderen am meisten Reiter aus dem Sattel gehoben hatte, wurde der Sieg zugesprochen, und die vornehmste der zuschauenden Damen, die Turnierkönigin, hatte auf den Vorschlag der Kampfrichter zu entscheiden, welcher von den Rittern sich dabei am meisten auszeichnete. Ihm wurde dann von der Turnierkönigin der sogenannte »Dank« überreicht, der meist in einer goldenen Kette, einem Wehrgehenk, einem Schwerte oder einem kostbaren Ringe bestand.
Waren diese Kampfspiele im allgemeinen weniger blutig als die des Abendlandes, so erweckten sie trotzdem in nicht geringerem Grade die Teilnahme des Volkes, und auch um die Schranken auf dem Skopus drängte sich schon von Mittag ab eine unübersehbare Menschenmenge.
Obwohl es am Tage zuvor geregnet hatte, glühte der felsige Boden, und die Sonne brannte mit versengender Glut auf das schattenlose Feld nieder. Aber das störte die Schaulustigen nicht, und da sich bei diesen Gelegenheiten immer auch allerhand fahrendes Volk, Gaukler, Schlangenbeschwörer, Feuerfresser und so weiter, einzufinden pflegte, das im Orient von jeher noch zahlreicher und geschäftseifriger gewesen ist als in Europa, so hatte man Gelegenheit genug, sich die Zeit zu vertreiben und die allzu kräftige Wirkung der Sonnenstrahlen zu vergessen.
Besonderer Beliebtheit erfreute sich Abu Seid, ein arabischer Sahir oder Zauberkünstler aus dem Ostjordanlande, ein verschmitzter Bursche, der im häufigen Verkehr mit den Franken sogar einzelne deutsche und französische Brocken aufgeschnappt hatte und mit seinen Kunststücken umso größere Wirkung erzielte, als er dabei immer das Wort »Teifel«, das er irgendwo gehört haben mochte, im richtigen Augenblick anzuwenden wußte. Er konnte Nadeln, Steine und andere unverdauliche Gegenstände verzehren und sie durch die Nase oder die Ohren wieder erscheinen lassen. Er konnte Asse, kleine Kupfermünzen, in Blechstücke und Blechstücke in Asse verwandeln, und immer war es zur Erheiterung der staunenden Zuschauer der »Teifel«, der ihm hierzu verholfen hatte.
Sein Hauptstück aber war das mit den Küchlein. Er nahm dabei zunächst ein Hühnchen in die linke Hand und machte mit der rechten eine Bewegung, als wolle er dem Tierchen den Kopf abreißen. Die Frauen schrien dann auf und wollten ihn an der grausamen Hinrichtung hindern. Aber im selben Augenblicke piepsten auch schon zwei Küchlein in seiner Hand, ohne daß jemand sich hätte erklären können, woher das zweite gekommen war. Natürlich hatte wieder der »Teifel« seine Hand im Spiele gehabt, und mit seiner Hilfe setzte Abu Seid das Kunststück fort, bis ein halbes Dutzend munterer Küchlein ihm zwischen den Beinen herumhüpfte.
Auf mehr als sechs hatte er es jedoch noch niemals gebracht, und das veranlaßte einen protzigen englischen Knecht, Aymer mit Namen, der im Gefolge Roberts von der Normandie in das heilige Land gekommen war und jetzt in Jerusalem das Metzgerhandwerk betrieb, den armen Abu Seid in Verlegenheit zu setzen.
»He! Du ungläubiger Schuft!« brüllte er. »Wenn du nicht mehr als sechs machen kannst, so ist dein ›Teifel‹ ein recht abgeschmackter Esel. Mach zwölf, und ich will dir einen Silberdinar geben!«
Darauf schien Abu Seid in der Tat nicht vorbereitet zu sein. Er machte ein sehr bedenkliches Gesicht und rückte verlegen auf seinem Platze hin und her.
»Aha! Seht ihr!« rief nun Aymer, der sich vor Schadenfreude kaum zu lassen wußte. »Er ist ein Betrüger, der ungläubige Hund! Schlagt ihm den Schädel ein! Reißt ihm die verlogene Zunge aus dem Halse!«
Aber plötzlich hellten sich Abu Seids Züge auf. Er griff, unausgesetzt »Teifel!« rufend, ein paarmal durch die Luft, und ehe die Zuschauer sich dessen versehen hatten, war das lustige Hühnervölklein auf die gewünschten zwölf Köpfe angewachsen; denn der schlaue Araber war auf derartige Überraschungen wohl vorbereitet und hatte immer seine vierundzwanzig Küchlein bei sich im Kaftan, von denen er jedoch vorsichtigerweise jedesmal nur den vierten Teil zum Vorschein kommen ließ.
Der biedere Aymer war nun also der Geprellte. Trotz allen Sträubens mußte er den verheißenen Silberdinar locker machen und wurde, da sich die Geschichte bald auf dem ganzen Platze herumgesprochen hatte, überdies so weidlich geneckt, daß er schließlich die Geduld verlor und Händel anfing. Aus der kleinen Rauferei entwickelte sich aber bald eine allgemeine Schlägerei, bei der allerhand private Gehässigkeiten und Verstimmungen zum Austrag gebracht wurden, und so wurde heute auf dem Skopus ein tüchtiges Treffen geliefert, noch bevor die Ritter auf dem Plane erschienen waren.
Aber die Fanfaren der Herolde machten dieser Volksbelustigung ein Ende.
Die Turniervögte kamen herangesprengt und besetzten die Eingänge zu den Schranken, und die Prügelknechte brachten bald genug Ordnung in die aufgeregte Menge. Außerdem hatte nun auch jeder vor allem das Interesse, einen möglichst guten Platz zu bekommen, und so war der heitere Zwischenfall mit Abu Seid und seinem bösen Versucher schnell vergessen und aller Aufmerksamkeit auf den Turnierplatz gerichtet, der sich nun bald mit einer glänzenden Ritterschar füllte.
Auf der einen Langseite des Platzes, der etwa fünfhundert Schritte in der Länge und hundert Schritte in der Breite maß, ragte eine mit Sonnendach versehene Tribüne über die Schranken empor. Ihre Brüstung war mit kostbaren Teppichen bedeckt, bunte Wimpel flatterten an den Masten, die das Sonnendach trugen, und in ihrer Mitte bezeichnete ein purpurner Baldachin den Sitz König Balduins und seiner Töchter. Das Vorrecht, als Turnierkönigin dem Sieger die »Gabe« überreichen zu dürfen, das eigentlich Melisende, der älteren, zukam, hatte sie heute der jüngeren Schwester abgetreten, die sonst mit ihrem Gatten in Antiochia lebte und nur als Gast in Jerusalem weilte.
In unmittelbarer Nähe des Königs waren die Plätze für die Barone und die höchsten geistlichen und weltlichen Würdenträger. Dahinter die der sonstigen Ritter, die sich mit ihren Knechten sämtlich zu Pferd nach dem Turnierplatze begaben. Vor der Tribüne stiegen sie ab und wurden von den Marschällen auf ihre Sitze geführt, während die Knechte die Pferde in Empfang nahmen, um sich mit ihnen der Tribüne gegenüber auf einem für sie frei gehaltenen Platze hinter der Schranke aufzustellen.
War das ein großartiges, farbenprächtiges Schauspiel! All' die vielen Ritter in kostbaren Festgewändern, die Johanniter in ihren schwarzen und die Templer in ihren weißen Mänteln, dazwischen die Damen in reichbestickten, hellleuchtenden Schleppkleidern mit funkelnden Geschmeiden an Hals und Brust.
Und endlich erschien der König selbst, begleitet von seinen Töchtern und Schwiegersöhnen und gefolgt von den Baronen. Die Fanfaren schmetterten, tausend Hälse reckten sich über die Schranke und ein ungeheurer Jubel brach los, wie immer, wenn der geliebte Fürst sich dem Volke zeigte.
Sobald der königliche Zug vor der Tribüne angelangt war und die Knechte auch seine Rosse hinausgeführt hatten, wurden die Tore, die sich an den beiden Schmalseiten des Turnierplatzes befanden, geschlossen und von den Kampfrichtern und zahlreichen Bewaffneten besetzt, um erst den am Turnier beteiligten Rittern sich wieder zu öffnen, sobald das Zeichen zum Beginn des Kampfspieles gegeben sein würde. Die Ritter, die schon vorher von den Kampfrichtern zu zwei Parteien gesondert worden waren, sammelten sich nun hinter den Toren, trugen sich in die Turnierbücher ein, wiesen sich, soweit sie nicht bereits bekannt waren, als ritterbürtig und turnierfähig aus, prüften ihre Rosse, die, wie sie selbst, ganz in blinkende Eisenpanzer gehüllt waren, küßten auch wohl das Amulett, das ihre Dame ihnen vor dem Ausreiten anvertraut hatte, und bereiteten sich in allem auf den friedlichen Waffengang vor, bei dem ein jeder hoffte aus der Hand der schönen Fürstin von Antiochien die »Gabe« zu erringen.
Die Grießwärtel, denen es oblag, darüber zu wachen, daß der Kampf sich in den für das Turnier mit Höflichkeitswaffen vorgeschriebenen Grenzen hielt, ließen sich inzwischen von den Knappen die Lanzen vorweisen und vergewisserten sich, daß auch die Spitzen gut mit Holzscheiben verwahrt seien; denn ein Unglücksfall würde ihnen in hohem Grade die Ungnade des Königs eingetragen haben, der seine Ritter viel zu nötig zum Kampf gegen die Ungläubigen und zum Schutze seines stets von Feinden bedrohten Reiches brauchte, um ihr Leben im Turnier aufs Spiel zu setzen.
Endlich waren alle Förmlichkeiten erledigt und auf jeder Seite dreißig Ritter in die Turnierbücher eingetragen, und nun wurde von den Kampfrichtern durch das Los entschieden, in welcher Reihenfolge vom rechten Flügel ab die Reiter nebeneinander zu reiten hatten. Der erste war zugleich der Führer, der, nachdem sich alle in einer Reihe innerhalb der Schranken aufgestellt hatten, durch Hochheben der Lanze das Zeichen zum Anreiten zu geben hatte.
Auf der einen Seite traf den Chevalier de Montpelier das Los, den jungen Aquitanier, den wir schon in Petra als vortrefflichen Reiter kennen gelernt haben. Auf der anderen wurde Erwin von Falkenburg zum Anführer bestimmt, ein junger Ritter aus dem Gefolge des Fürsten Boemund. Beide hatten auch die »Parole« für ihre Partei auszugeben; sie lautete bei dem Aquitanier: »Alles für Gott,« bei dem Antiochier: »Heil der Fürstin!«
Mittlerweile hatten der Hof und die Barone ihre Sitze eingenommen, und nun gab der König den Herolden das Zeichen, die Turniergesetze zu verlesen. Sie bestanden im wesentlichen in einer Aufforderung an die Ritter, die Geheiße der Kampfrichter zu befolgen und tapfer, aber ohne List, Zauber und böse Hintergedanken zu kämpfen, und in einem Hinweis darauf, daß Elise, die erhabene Fürstin von Antiochien, dem Würdigsten einen Kranz aus goldenen Lorbeerblättern aufs Haupt setzen würde.
Die Bestimmung, daß der Besiegte dem Sieger Roß und Rüstung überlassen oder gar an ihn Lösegeld zahlen mußte, hatte König Balduin ebenfalls aus den Turniergesetzen gestrichen. Er mochte wohl ahnen, daß in ihr der Todeskeim für diese ganze Einrichtung lag, die ja später in der Tat bald der Verrohung anheimfiel, nachdem allerhand Glücksritter sich ihrer geschäftsmäßig bedienten, um mit dem Siegespreis ihre Beutel zu füllen.
Dagegen erhielt jeder, der seinen Gegner aus dem Sattel gehoben hatte, einen Ehrensold von hundert Byzantinern, während dem unglücklichen Kämpfer die Hälfte als Schmerzensgeld ausgezahlt wurde. Auf diese Weise verhinderte König Balduin, daß aus den Turnieren Feindschaften unter seinen Rittern entstanden, und erreichte anderseits, daß ihnen ihr ursprünglicher Charakter und Zweck als ritterliche Übungen rein erhalten wurde.
Nachdem die Herolde abgetreten waren, verkündeten Fanfaren den Beginn des Kampfspieles, und nun öffneten sich zu beiden Seiten die Tore, und einer nach dem anderen sprengten die Ritter in der vom Lose bestimmten Reihenfolge in die Schranken; denn vor dem gemeinsamen Lanzenstechen wurde jedem noch Gelegenheit gegeben, im einzelnen seine Kunst im Reiten zu zeigen, die bei der Verteilung der Gabe nicht unwesentlich mitsprach. Da auf diese Weise immer nur zwei Ritter, je einer von jeder Partei, gleichzeitig den Umritt ausführten, wobei sie ihre Rosse in den verschiedensten Gangarten gehen ließen, hatte man Zeit, jedes einzelnen Haltung zu prüfen.
Sobald sie beide vor der Mitte der Tribüne angelangt waren, machten sie Halt, wandten sich der Tribüne zu und neigten ihre Lanzen vor dem König und vor der Turnierkönigin. Hierauf wechselten sie dieselbe Höflichkeit untereinander, da sie nachher beim Stechen gegeneinander anzurennen hatten, und ritten zu ihrer Partei zurück, um sich vor dem Tore aufzustellen.
Nachdem so alle Kämpfer umgeritten waren, manche unter lauten Beifallsbezeigungen des Volkes und auch der bevorzugten Zuschauer, stellten sich die beiden Parteien, jede in einer Reihe, vor den Toren auf, während sich die Kampfrichter, die ebenfalls zu Pferd und von Kopf bis zu Fuß gerüstet waren, nach der Mitte des Platzes begaben, um von einer etwas erhöhten Stelle, der Tribüne gegenüber, aus den Verlauf des Lanzenstechens zu beobachten.
Ebendahin rückten nun auch die Grießwärtel, um sofort einspringen zu können, sobald irgend ein Kämpferpaar, von übergroßem Eifer hingerissen, heftiger aneinander geraten sollte, als die Turnierregeln es gestatteten.
Wieder erklangen die Fanfaren, und aller Augen waren nun auf die beiden Reiterzüge gerichtet, die mit ihren in der Sonne blitzenden Rüstungen und den bunten Wappenzeichen auf den Schilden und Helmen einen herrlichen Anblick darboten.
Freilich waren die Wappenzeichen noch nicht so mannigfaltig wie in späteren Zeiten, da zu Anfang des zwölften Jahrhunderts nur die selbständigen Barone berechtigt waren, eigene Farben zu führen, die dann zugleich ihren Lehnsträgern und Afterlehnsträgern als Abzeichen dienten. Immerhin boten die Symbole auf den dreieckigen Schilden Abwechslung genug; denn die Barone hatten es fast sämtlich so eingerichtet, daß ihre Wappen bei dem Kampfspiel vertreten waren.
Endlich sah man den Falkenburger seine Lanze heben. Gleich darauf antwortete der Chevalier, als Führer der anderen Partei, mit demselben Zeichen. Eine eigenartige, wilde Musik, aus Trompeten, Pauken, Zimbeln und Glocken bestehend, die man von den Sarazenen übernommen hatte, hub an, und im nächsten Augenblick setzten sich die beiden lebenden Eisenmauern gegeneinander in Bewegung.
In vollem Galopp, die Lanzen eingelegt, sprengten die beiden Parteien, die eine unter dem Rufe: »Heil der Fürstin!« die andere unter dem ihrigen: »Alles für Gott!« aufeinander los, daß die Erde dröhnte. – Dann ein gewaltiges Krachen und Knattern aus einem halb in Staub gehüllten Knäuel von Menschen und Pferden.
In atemloser Spannung folgten die Zuschauer. Endlich senkte sich die Staubwolke, und nun sah man, wie die Kampfrichter und Grießwärtel bemüht waren, die beiden Parteien wieder zu trennen und die Ergebnisse des ersten Anreitens festzustellen.
Von der Partei des Falkenburgers waren fünf Reiter aus dem Sattel gehoben worden, von der des Chevaliers drei; sechs Gegner hatten bei dem Anprall ihre Lanzen zersplittert, ohne sich gegenseitig in den Sand gestreckt zu haben; zwei hatten sich, weil ihre Rosse im letzten Augenblick ausgebogen waren, gänzlich verfehlt. Einem Ritter von der Partei des Chevaliers hatte die Lanze des Gegners das Visier zerschmettert und das Gesicht verletzt, so daß er ohnmächtig vom Platze getragen werden mußte, wobei ihm der Turniersitte gemäß der Sieger das Geleite gab.
Nachdem die Ordnung wieder hergestellt war, begaben sich die beiden Parteien an ihre Plätze zurück, ließen sich, soweit das nötig war, von ihren Knappen neue Pferde und Lanzen bringen und rüsteten sich zum zweiten Anreiten, das den Sieg endgültig zu Gunsten des Chevaliers entschied.
Auch diesmal lagen von seiner Seite nur drei Reiter am Boden, während drüben sechs Kämpfer die Bügel verloren hatten, und somit wurde seiner Partei der Sieg zugesprochen. Unter dem Jubel der Zuschauer zogen die Sieger noch einmal im Schauritt über den Plan, während die Kampfrichter vor der Tribüne zusammentraten, um sich mit der Turnierkönigin zu beraten, wem die »Gabe« zuerkannt werden solle.
Man einigte sich bald auf den Chevalier, und, von zwei Marschällen geleitet, durfte nun der glückliche Turnierheld, während die Fanfaren schmetterten und die Zuschauer ihm zujauchzten, die Tribüne betreten und sich vor der Turnierkönigin auf das Knie niederlassen. Die schöne Fürstin schmückte ihn, nachdem er das Haupt entblößt hatte, selbst mit dem goldenen Kranze und bot ihm dann, wie es die Sitte erheischte, den jugendlichen Mund zum Kusse.
Damit war das ritterliche Spiel beendet; denn mit Rücksicht auf den ernsten Kampf, der noch bevorstand, sollte das sonst übliche Gesellenstechen, das heißt der Übungsritt der Junker und Knappen gegeneinander, auf den nächsten Tag verschoben werden.
Die Veranstaltung nahm nun einen feierlicheren, fast düsteren Charakter an.
An den beiden Toren erschienen, sobald der Platz geräumt war, große Scharen von Reisigen, die vor der Schranke aufmarschierten und sich dort in ununterbrochener, dichter Reihe mit vorgestreckten Lanzen aufstellten, und zwar, um jede Störung unmöglich zu machen, mit dem Gesicht nach den Zuschauern. Gleichzeitig wurden an der Tribüne die bunten Wimpel eingeholt, und nur auf dem Mittelpfosten das Banner des Königs belassen, der sich das Schwert reichen ließ und das Barett, das er bis jetzt getragen hatte, mit dem Wappenhelm vertauschte.
Dann rückten von jedem Tore sechs Trompeter mit einem Herold an der Spitze vor, machten in halber Entfernung zur Tribüne Halt und schmetterten ihre Fanfaren nach allen Himmelsrichtungen, worauf die Herolde verkündeten, daß Ritter Guiscard von Rouen jeden zum Kampf auf Leben und Tod herausfordere, der an seiner Behauptung zweifle, daß Hermann von Camp ein schändlicher Verräter sei. Wer gewillt sei, für Hermann von Camp sein Leben einzusetzen, der möge in die Schranken reiten und den Schild des Herausforderers mit der scharfen Spitze seiner Lanze berühren.
Schwüle Stille folgte dieser Ankündigung. Das geheimnisvolle Grauen, das von dem Begriff des Gotteskampfes ausging, hatte sich aller Gemüter bemächtigt, und mit atemloser Erwartung blickte man auf die Tore, gespannt, welcher Ritter wohl die Herausforderung annehmen werde.
Aber es erschien kein Kämpfer in der Schranke. Die jüngeren Ritter kannten Hermann von Camp meist nicht persönlich und hatten kein Interesse daran, sich mit einem Gegner zu messen, der so wenig Ansehen genoß, wie der unkriegerische Normanne. Die älteren aber, die wohl gern für den braven Waffengefährten eingetreten wären, von dessen Ehrenhaftigkeit sie überzeugt waren, fürchteten, den Grafen von Rheinberg zu beleidigen, wenn sie trotz des von ihm gefällten Spruches als Verteidiger des Verurteilten auftraten.
»Ich hatte mir's vorgenommen, den Schurken zu zeichnen, der in so gemeiner Weise einen braven Ritter um Namen und Ehre gebracht hat,« flüsterte Schenk von Rosen seinem Nachbarn Heinz von Tenneberg zu. »Aber ich möcht's nicht, ohne mich vorher mit dem Grafen verständigt zu haben. Ich hatte ihn auch aufgesucht, nachdem wir von dem König entlassen worden waren. Aber als ich nur den Namen des Campers nannte, geriet er dermaßen in Aufregung, daß mich der Templer, der bei ihm stand, schleunigst zur Tür hinauskomplimentierte.«
»Glaubt Ihr, mir sei es besser ergangen?« antwortete der von Tenneberg. »Mich hat man überhaupt nicht vorgelassen. Der Graf hätt' wieder das Fieber, hieß es, und man solle ihn in Frieden lassen. Ich werd' mich hüten, mich in die Nesseln zu setzen. Der König hätt' sollen warten, bis der Graf wieder genesen.«
»Ja, ja,« meinte der Schenk wieder dagegen. »Aber eine Schande ist es doch. Der Camper, so ein braver Ritter! Dreißig Jahre hat er der Sache Christi treu gedient, und nun faßt keiner zum Schwert, um die Verleumdung von ihm abzuwehren. Dem Sohn aber, dem schwarzen Junker, der mir gar nicht danach aussieht, als ob er mit sich spaßen ließe, hat man die Sporen noch immer vorenthalten und ihn noch obendrein nach Ägypten geschickt, damit er sich irgendwo den Hals brechen soll.«
»Ei freilich ist's eine Schand'. Aber mir scheint, mit dem Gotteskampf wär' es auch so eine eigene Sach' gewesen. – Seht Ihr schon etwas von dem Normannen, Ritter?«
»Nein, wahrlich, Ihr habt recht. Wie es scheint, hat der Herausforderer es mit dem Totschlagen auch nicht eiliger als sein Gegner.«
In der Tat war auch Ritter Guiscard selbst noch immer nicht in der Schranke erschienen, und als er gar nicht kommen wollte und man die Marschälle und Kampfrichter unruhig an den Toren hin und her laufen sah, begann die ernste Stimmung mehr und mehr zu weichen und einer spottlustigen Heiterkeit Platz zu machen, die bald allgemein wurde, nachdem man bemerkt hatte, daß auch der König zu lachen und mit seiner Umgebung scherzhafte Bemerkungen zu tauschen begonnen hatte.
Endlich kam ein Turniervogt auf schaumbedecktem Rosse in die Schranke gesprengt und überbrachte dem König eine Botschaft, die diesen und seine ganze Umgebung zu hellem Lachen veranlaßte. Gleich darauf verkündeten die Herolde, daß der beabsichtigte Kampf heute nicht stattfinden könne, weil der Herausforderer plötzlich erkrankt sei.
Die Krankheit aber bestand, wie bald bei hoch und niedrig bekannt wurde, darin, daß der edle Ritter Guiscard sich zur Feier des Tages gründlich bezecht hatte und, des süßen Weines mehr als voll, schlafend auf der Fensterbank seiner Kammer lag.
Mit Rücksicht auf einen so heiteren Ausgang ließ der König die bunten Wimpel wieder aufziehen und das Gesellenstechen doch noch abhalten; ein Entschluß, der von den Junkern und Knappen mit lautem Jubel begrüßt wurde. Sie machten ihre Sache dann auch ganz vortrefflich und ernteten reiche Anerkennung vom König und den Baronen, wie vom Volke, das den Tag mit einem großen Feste beschloß, bei dem auch die auf dem Ölberge lagernden Krieger nicht leer ausgingen.
* * *
Als Ritter Guiscard am nächsten Morgen seinen Rausch ausgeschlafen hatte und erfuhr, daß auf seine Aufforderung hin gar kein Ritter erschienen sei, war er anfangs nicht wenig erbost, daß er sich die gute Gelegenheit hatte entgehen lassen, sich als tapferer Ritter aufzuspielen. Er verwünschte den Wein, mit dem er sich hatte aus der Klemme ziehen wollen, und der ihn nun ganz unnötigerweise der Lächerlichkeit preisgegeben hatte.
Später aber fiel es ihm ein, daß sich auch hieraus Kapital schlagen ließe, und als er dann vor den König gefordert wurde, erklärte er mit frecher Stirn, er habe sich erst betrunken, nachdem seine Herausforderung unbeantwortet geblieben sei, aus Ärger über eine Nichtachtung, die jeden echten Ritter auf das tiefste hätte kränken müssen. Inzwischen aber habe er sich die Sache anders überlegt und sie dahin aufgefaßt, daß eben niemand im stande gewesen sei, für einen Menschen einzutreten, an dessen Verräterei nun wohl keiner mehr zweifeln werde. Diese Tatsache aber sei ebensogut eine Genugtuung für ihn, als wenn er im Gotteskampf seinen Gegner zu Boden geschmettert hätte, und da er nun als ein untadeliger Ritter aus diesem Streite hervorgegangen sei, wolle er nicht zögern, seine lange gehegte Absicht auszuführen und in die Heimat zurückzukehren.
Nachdem er diese Rede, ohne sich durch die Blicke und Bemerkungen, die der König und die Barone miteinander tauschten, stören zu lassen, vom Stapel gelassen hatte, verbeugte er sich mit einem etwas scheuen Seitenblick auf den Grafen Fulco, der ihn jedoch gar nicht zu beachten schien, und wollte sich aus dem Saale entfernen, als ein zorniges »Halt!« des Königs ihn zurückhielt.
Wohl oder übel mußte er sich nun dem König wieder zuwenden, der ihn eine Weile mit verächtlichen Blicken maß, sich dann aber zurückhielt und mit ruhiger Würde sagte: »Herr Ritter, wie es scheint, habt Ihr ganz vergessen, daß Ihr uns noch den Beweis für Eure ungeheuerlichen Behauptungen schuldig geblieben seid, die durch Euer Benehmen gestern und heute wahrlich nicht stichhaltiger geworden sind. Daran, daß Ihr diesen Beweis nicht mit der Waffe in der Hand liefern konntet, mögt Ihr unsertwegen zum Teil unschuldig gewesen sein. Wir wollen Euch deshalb nun aber Gelegenheit geben, ihn auf andere unzweifelhafte Weise zu führen. Ihr wißt, daß der erlauchte Fürst von Antiochien noch heute an der Spitze einer Gesandtschaft nach Ägypten aufbrechen wird. Wenn Ihr Euch ihm anschließet, wird es Euch keine Mühe machen, an Ort und Stelle nachzuweisen, daß Eure Behauptung, der Ritter von Camp habe uns verraten und sei in die Dienste des Kalifen getreten, auf Wahrheit beruht. Wir bitten Euch also, Eure Heimreise zu verschieben und die Gesandtschaft nach Ägypten zu begleiten.«
Damit winkte der König, daß er die Unterredung beendet zu sehen wünsche, und ohne noch einmal zum Wort gekommen zu sein, mußte Ritter Guiscard von Rouen abtreten und sich zu der schlimmen Fahrt nach Ägypten rüsten, der er sich, wie er einsah, nun auf keine Weise mehr zu entziehen vermochte.