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Nachdem der große Drache, auf dem der Junker im Fiebertraume durch die Luft zu fliegen wähnte, ihn erdwärts getragen hatte, setzte er ihn in einer wilden Felsschlucht ab. Bis in die Wolken ragten die steilen Wände empor, so daß die Sonne keinen Zugang fand in das schauerliche Tal. Nichts Lebendes war rings umher, nur im Innern der Berge schienen unsichtbare Geister am Werke zu sein. Mit gewaltigen Hämmern schlugen sie gegen das Gestein, so daß dem Junker die Schläfen dröhnten.
Mühsam tappte er sich vorwärts. Plötzlich öffnete sich die Schlucht, und eine flimmernde Helligkeit drang mit solcher Macht auf ihn ein, daß er vollkommen geblendet war und die Augen schließen mußte.
Als er die Augen endlich wieder öffnen konnte, sah er in der Ferne vor sich eine Schar von Sarazenen davonsprengen, die eine Christenfrau mit sich schleppten.
Schnell entschlossen gab er seinem Fuchs, den er jetzt wieder unter seinen Schenkeln fühlte, die Sporen, zog sein Schwert und jagte mit dem Rufe: »Gott will es!« hinter ihnen her. Und wunderbar! – Auf einmal schienen dem Rosse Flügel zu wachsen. Ohne mit den Hufen die Erde zu berühren, trug es ihn mit Windeseile davon, und im nächsten Augenblick sah er die sarazenischen Reiter, die eben noch so fern gewesen waren, dicht vor sich.
Ein Regen von Pfeilen empfing ihn. Aber es waren keine gewöhnlichen Pfeile, sondern solche mit feurigen Spitzen. Er fühlte, wie sie ihn am ganzen Körper trafen, und wie sein eisernes Panzerhemd davon erglühte.
Dennoch blieb er unverletzt und sprengte mit solcher Gewalt mitten in die Feinde hinein, daß die Reiter nach rechts und links auseinanderstoben und ihm Raum gaben, sein Schwert zu gebrauchen. Mit dem ersten Hiebe schon schlug er vier von ihnen von ihren Pferden herunter, und obwohl sie jetzt ebenfalls von allen Seiten mit ihren krummen Schwertern auf ihn eindrangen, entfaltete seine Waffe eine so wundertätige Kraft, daß nach kurzem Kampfe sämtliche Sarazenen am Boden lagen.
Nun stieg er vom Rosse, um sich der Christenfrau zu nahen, die weinend am Ufer eines unendlichen Wassers saß, das aber immer mehr in die Ferne rückte, je näher man ihm kam. Verwundert folgte er dem seltsamen Schauspiel, das ihn bekümmerte, weil er durstig war und gern von dem Wasser getrunken hätte.
Er rief nach seinem Knecht, er möge hinlaufen und die Krüge füllen. Aber der Alte war nirgends zu sehen, obwohl er noch kurz vorher an seiner Seite gewesen war und geschwatzt hatte.
Plötzlich erhob sich die Christenfrau und wandte sich um, und mit jubelndem Herzen sah der Junker, daß es Mechthildis war. So hatte er sie also gefunden und aus den Händen der Ungläubigen befreit. Er würde sein Wort einlösen und sie ihrem Vater wiederbringen können. Nun hatte alle Not ein Ende. Nun würde ihn der Graf zum Ritter schlagen. Sein Schild war wieder rein, die Ehre seines Namens gerettet. In Schimpf und Schande lag Guiscard von Rouen vor ihm und flehte ihn in feiger Furcht vor dem Gotteskampf um sein Leben.
All diese Gedanken gingen ihm durch den Sinn, als er sich jetzt ehrerbietig dem Fräulein nahte und sich vor ihr auf das Knie niederließ.
Sie war bleich und blickte stolz und düster vor sich hin. Als sie aber den Junker, der sie errettet hatte, vor sich knieen sah, hellten sich ihre Züge auf, und freundlich sagte sie: »Stehet auf, Junker. Verzeihet mir, daß ich Euch unrecht getan habe, und führet mich zu meinem Vater.«
Der Junker gehorchte und sah sich nach seinem Begleiter um. Aber der Alte war noch immer nicht zurück, und nur der Fuchs weidete unweit im Grase, in dem so herrliche Blumen blühten, daß die Luft ringsumher mit lieblichen Wohlgerüchen angefüllt war.
So führte er denn das Roß selbst heran und hielt dem Fräulein den Bügel.
Im nämlichen Augenblick ging es aber auch schon wieder fort durch die Lüfte. Wie ein Vogel flog das Roß mit dem Fräulein dahin, daß ihre blonden Haare im Winde flatterten, und er selbst schwebte neben ihr so leicht über die Erde fort, daß es ihm fast leid tat, als er plötzlich wieder den Boden unter sich fühlte.
Sie standen jetzt vor dem Tor eines herrlichen Schlosses. Aber es war nicht das von Petra, sondern viel, viel größer und schöner. Gewaltige Türme ragten rings über die hohe Mauer empor, und der Pallas, dessen Dach von hellem Gold in der Sonne flimmerte, stieg noch hoch über sie fast in den Himmel auf. Dem Junker schwindelte, als er hinaufblickte.
Die Gegend ringsum war auch nicht kahl und wild zerklüftet wie bei der Hauptstadt des steinigen Arabien. Liebliche Hügel umgaben das Schloß. Jasmin und Oleander blühten auf ihnen, und dazwischen breiteten majestätische Palmen ihre mächtigen Wedel aus. Das alles aber spiegelte sich in einem großen See, dessen Anblick den Junker mit besonderer Freude erfüllte. Ach, wenn er doch hätte hineinspringen und sich einmal so recht von Herzen hätte satt trinken können!
Doch die Ehrfurcht vor dem Fräulein hielt ihn zurück, und im nächsten Augenblick öffnete sich auch schon das Schloßtor, und in feierlichem Zug kamen Ritter und Edelfrauen, Knaben und Diener daraus hervor, um die Ankömmlinge hineinzugeleiten und vor des Fräuleins Vater zu führen.
Gleich darauf kniete der Junker vor seinem Thron, der wieder von Gold blinkte, wie alles in dem herrlichen Saal, daß einem Hören und Sehen vergehen konnte. Es währte dann auch geraume Zeit, bis der Junker sich an diesen Glanz gewöhnt hatte, und nun sah er mit Verwunderung, daß es gar nicht der Graf von Rheinberg war, an dessen Seite sich das Fräulein niedergelassen hatte, sondern ein ganz anderer, viel Gewaltigerer, gewiß ein großer Fürst, oder gar ein König, denn auf seinem Haupt trug er eine funkelnde Krone, und das Schwert, auf das er sich stützte, blitzte von edlem Gestein.
Aber der Junker hatte nicht lange Zeit zum Staunen und Verwundern: denn plötzlich erhob sich der König, schritt auf den Knieenden zu, berührte mit dem kostbaren Schwert seine Schulter und sagte: »Ihr habt Euch treu bewährt, Junker, darum will ich Euch nicht länger vorenthalten, was Euch nach Recht und Geburt zukommt. Stehet auf, Ritter Dietrich von Camp.«
Dem Junker stand fast das Herz still, als er den lang ersehnten Schlag auf der Schulter fühlte. In Glückseligkeit beugte er sich vor, um dem König die Hand zu küssen. Doch schon hatte dieser sich zu ihm geneigt, und indem er ihn zu sich empor an seine Brust zog, sagte er: »Mein Sohn! – Du hast meine Tochter errettet aus schmachvoller Gefangenschaft. Dafür will ich dich mit einer Krone belohnen. Du sollst mein Nachfolger sein auf diesem Thron und der Erbe meines Reichs. Tritt zu mir, damit die Großen des Landes dir huldigen.«
Dem Junker schoß das Blut ins Gesicht, als er sich jetzt neben den Thron geführt sah, wo alle in Ehrfurcht das Knie vor ihm beugten.
»Verzeiht!« sagte er, bescheidentlich beiseite tretend, zum König. »Verzeiht, wenn ich Eure Gnade, für die ich Euch so reichen Dank schulde, jetzt von mir weise. Aber ich verdiene so große Huld nicht. Ihr habt mich zwar zum Ritter geschlagen, aber die Flecken auf meinem Schild sind dadurch nicht ausgetilgt. – Gebt mir Urlaub, Herr, und laßt mich ziehen, den Ritter Guiscard von Rouen aufzusuchen. – Schon zu lange säumte ich, denn die Ehre meines Vaters ist auch meine Ehre, und ich will nicht rasten, bis ich sie wiederhergestellt und ihren Schänder vernichtet habe!«
Diese Weigerung schien dem König sehr zu mißfallen, und plötzlich sah der Junker, daß einer von den Rittern, die dem Thron am nächsten standen, sich zu dem König drängte und ihm etwas zuraunte, und daß dieser Mann die Züge Guiscards von Rouen trug.
In wild aufflammendem Zorn griff er zum Schwert und wollte sich auf den Verräter stürzen, der nun auch hier wieder sein Glück untergraben zu wollen schien.
Doch der König hielt ihn zurück und sagte mit strenger Miene: »Ihr seid sehr stolz, junger Mann! Seit wann schlägt man eine Krone aus um eines Hirngespinstes willen? Guiscard von Rouen ist ein Ehrenmann, für den ich selbst bürge und dessen Treue ich erprobt habe. Die schändliche Tat Eures Vaters aber ist durch vier einwandfreie Zeugen beglaubigt. Er ist ein Verräter, und nichts in der Welt wird sein fluchwürdiges Verbrechen beschönigen können. Ihr aber seid verblendet, und deshalb muß man Euch die Augen öffnen und Euch zu Eurem Glück zwingen. Noch einmal biete ich Euch in Güte diese Hand. Schlaget ein und vergesset den Abtrünnigen, der Euer Vater war.«
»Wenn ich das tue, möge diese Hand verdorren, Herr!« rief der Junker. »Ich kenne meinen Vater besser als Ihr. Und wenn tausend Zeugen seine Schuld ausschreien wollten, so würde ich doch auftreten und ihnen ins Gesicht rufen: Ihr lügt! – Ich weiß, daß meinem Vater schmähliches Unrecht widerfährt, und niemand soll mich abhalten, dieses Unrecht an den Tag zu bringen und Sühne dafür zu verlangen!«
»Niemand? – Auch ich nicht?« fragte der König mit drohender Miene.
»Nein! Auch Ihr nicht, Herr!« entgegnete der Junker, ihm kühn ins Auge schauend.
»Nun denn; wenn Ihr also meine Gnade in törichtem Übermut von Euch weiset, meinem Zorn sollt Ihr nicht widerstehen können! – Ich habe die Macht, Euch meinem Willen zu beugen! Meine Henker richten nicht mit dem Schwert – sie richten mit Feuer! In langsam wachsender Glut werden sie Euren Starrsinn zerschmelzen, und wenn die Flammen Euch die Glieder versengen, das Gehirn ausdörren und das Blut in Euren Adern kocht, werdet Ihr schon anderen Sinnes werden. – Noch habt Ihr die Wahl, von Eurem Vater zu lassen oder in schrecklicher Qual zu sterben!«
»So werde ich sterben, Herr!« rief der Junker. »Wenn Ihr mich hindert, meine Ehre wieder herzustellen, hat das Leben doch keinen Wert für mich. – Meine Ehre ist mein Leben! – Und nun richtet mich, wenn Ihr könnt!«
Im nächsten Augenblick fühlte sich der Junker von starken Armen zu Boden gerissen. Von allen Seiten waren auf einen Wink des Königs die Schergen hervorgesprungen und hatten sich über ihn geworfen. Vergebens hörte er das Fräulein für ihn bitten. Er sah nur noch das grinsende, schadenfrohe Gesicht Guiscards von Rouen, dann schwanden ihm die Sinne.
Als er wieder zu sich kam, lag er in einem engen Gefängnis – so eng, daß er sich nicht darin bewegen konnte. Mit allen Gliedern berührte er die Wände, und die Mauern waren glühend. Vergeblich rang er nach Atem. – Die Luft war heiß und trocken und erhöhte nur die Qual. – Ächzend wand er sich in der entsetzlichen Enge. – Die brennenden Mauern schienen ihm die Brust eindrücken zu wollen, und es war ihm, als ob man einen glühenden Reifen um seine Stirn geschmiedet hätte.
Und immer heißer wurden die Wände, immer näher rückten sie auf ihn ein. – Jetzt berührten sie schon mit versengender Glut die Lippen. – Alles in seinem Innern schien in Flammen zu stehen. – Und noch immer türmte sich neue Last auf seine keuchende Brust. – Endlich war es gar der Teufel selbst, der auf seinem Leibe kniete und ihm den glühenden Atem ins Gesicht blies.
Aber plötzlich Erlösung! – Vorüber all diese ungeheure Qual! Verschwunden der Teufel, dessen funkelnde Augen er noch eben so deutlich dicht vor den seinen gesehen hatte. Verschwunden das glühende Gemäuer des fürchterlichen Gefängnisses. – Der See! Dort war ja der See wieder! – Und niemand hinderte ihn, sich hineinzustürzen. Ach! Wie er die kühlende Flut in sich hineinsog! – Wie das wohltat! Wie das erquickte! – Und ringsumher der schattige Hain – und die Orangen! War das ein Labsal! Und die liebliche Musik!
Es war ihm, als seien die Engel selbst vom Himmel niedergestiegen, um die Schönheit dieses Paradieses zu preisen. Ihm war so wohl, so wohl!
Ihren Gesängen lauschend, ließ er sich im blumigen Grase nieder und versank bald in einen tiefen, wonnigen Schlummer.