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Die Hinrichtung

Der verhängnisvolle Morgen brach an, den unsere Freunde doch so sehnlich herbeigewünscht hatten. Blutig rot ging die Sonne über dem Mokattamgebirge auf und sandte ihre flimmernden Strahlen durch das Gitterwerk des Fensters, hinter dem die beiden Sklaven trotz aller Sorgen so fest eingeschlafen waren, daß man sie kaum wach zu rütteln vermochte, als der Befehlshaber der Palastwache eingetreten war, um sie zu fragen, ob sie über Nacht anderen Sinnes geworden seien.

»Was ist?« rief der Junker, aus schweren Träumen plötzlich zum Bewußtsein erwachend, während Hen noch lange vergeblich gegen die Müdigkeit ankämpfte, die wie Blei in seinen Gliedern lag.

»Ungläubige Hunde!« brüllte der Befehlshaber, ein roher Kurde. »Ich werde euch lehren zu wachen, wenn euch ein hoher Herr die Ehre schenkt, mit euch zu reden. Auf die Knie, – oder ich lasse euch zu Tode prügeln!«

»Wir knien nur vor Gott,« entgegnete der Junker, ihn mit stolzen Blicken messend. »Spare deine Mühe und sage schnell, was du uns zu sagen hast.«

»Hund von einem Christen!« fuhr der Kurde auf ihn los, besann sich aber, daß er die Ungnade seines Herrn heraufbeschwören könnte, wenn er ihn durch vorzeitige Strenge um den Genuß des Schauspiels brächte, einen christlichen Ritter durch Christenhand gemordet zu sehen, und sagte im Ton überlegener Verachtung: »Daß ich an euch meine Zeit verschwenden sollte! – Entscheidet euch jetzt: Wollt ihr dem Befehl unseres erhabenen Herrn gehorchen und – –?«

»Ja!« antwortete der Junker, ohne ihn ausreden zu lassen. »Wir haben uns anders bedacht. Sage uns, was wir zu tun haben, – wir sind bereit.«

»Das ist auch euer Glück! Denn ich hätte euch schinden lassen, wie noch kein Mensch geschunden worden ist!« brummte der Kurde, innerlich doch froh, daß ihm dadurch Gelegenheit geworden war, sich aufs neue bei seinem Herrn in Gunst zu setzen. »Man wird euch fränkische Rüstungen senden. Ob ihr gleich elende Knechte seid, werdet ihr euch bemühen, sie mit Anstand zu tragen, damit ihr würdig vor dem Sprößling des Propheten erscheinet. In einer Sänfte wird man euch nach Bulak bringen. Dort werdet ihr Pferde bereit finden, um als Ritter in die Arena einzureiten. Hinter den Schranken steigt ihr ab und begebt euch zu Fuß nach dem Richtplatz. Das weitere wißt ihr. – Macht ihr eure Sache gut, so wird unser erhabener Herr euch die Freiheit schenken. – Habt ihr verstanden?«

»Jawohl! Verlaßt Euch auf unsere Geschicklichkeit!« rief der Junker, kaum im stande, sein Frohlocken zu verbergen, daß ihre Feinde sie selbst noch mit Rüstungen versehen wollten, um das Gelingen ihres Planes zu fördern.

Auch Hen war durch diese willkommene Botschaft vollends wach gerüttelt worden, und nachdem der Kurde sie allein gelassen hatte, sprang er so übermütig auf, daß er sich in den Ketten verfing und gewiß der Länge lang hingefallen wäre, wenn ihn sein Herr nicht aufgefangen hätte.

Nun ließ er aber seinen Jubel an dem Junker aus, preßte ihn an sich, küßte seine Hände und versicherte ein über das andere Mal, nun fehle ihm nichts mehr zum Glücke, als ein tüchtiger Humpen guten Weines.

Aber auch der sollte ihm werden; denn bald darauf erschien ein Pascha, der ihnen die Ketten abnehmen ließ, ihnen zwei prächtige Rüstungen mit Schwert und Sporen brachte und ihnen mitteilte, sie würden von nun ab in ritterlicher Haft gehalten werden und brauchten nur die vor der Tür ihrer Befehle harrenden Sklaven zu rufen, um alle ihre Wünsche erfüllt zu sehen.

Als die Gefangenen Wein begehrten, machten die Diener aber doch ein etwas verdutztes Gesicht. Ein so unheiliges und vom Koran so streng verbotenes Getränke mochte im Palast des Sprößlings des Propheten wohl schwerlich aufzutreiben sein. Da die Franken aber darauf bestanden, begaben sich die Diener doch auf die Suche und brachten nach einer Weile wirklich einen ansehnlichen Krug Cypernweines, der so vortrefflich war, daß sich dennoch irgend ein geheimer Kenner im Haushalt des Kalifen vermuten ließ.

.

»Entscheidet euch! Wollt ihr dem Befehl unseres erhabenen Herrn gehorchen?«

Auch ein paar Humpen wurden aufgetrieben, und bald ließen die beiden Deutschen sie aneinander klingen und tranken auf gutes Gelingen ihres Planes und auf glückliche Heimkehr.

Fast um dieselbe Zeit wurde auch Hermann von Camp, unten in Bulak, wieder aus seinem Gefängnis geführt, in dem er eine furchtbare Nacht verbracht hatte; gequält von der Ungewißheit, wer die beiden fränkischen Sklaven wären, und ob der große Schwarze doch nicht am Ende sein Sohn sei, den er nun unter so entsetzlichen Umständen wiedersehen sollte.

Je mehr er darüber nachsann, umso wahrscheinlicher erschien es ihm, während ihm gleichzeitig die Nachrichten, die ihm die mitgefangenen beiden Kopten aus der Heimat brachten, immer klarer werden ließen, daß er von den Ägyptern zum Werkzeug eines schändlichen Verrates hatte gemißbraucht werden sollen.

Der Graf lag krank in Jerusalem und das christliche Heer war fern im Norden beschäftigt. Deshalb hatte man Petra mit seiner Hilfe überrumpeln und den Christen in den Rücken fallen wollen. – Er durchschaute jetzt den ganzen abscheulichen Plan und dachte mit Schaudern daran, daß er nahe daran gewesen war, sich durch die Tücke des Wesirs zu einer Tat verleiten zu lassen, die namenloses Unglück über die ganze Christenheit gebracht und seinen Namen für ewige Zeiten mit Schmach und Schande bedeckt haben würde. Gegen diese entsetzliche Aussicht schien ihm der Tod gering, mit dem er sich als frommer Christ und tapferer Ritter bald genug abgefunden hatte.

So trat er vor den Wesir, dem die Nachricht, daß in der Tat eine fränkische Gesandtschaft von mehr als hundert Rittern gestern abend in Alexandrien gelandet und sofort nach Kairo aufgebrochen sei, aufs neue Veranlassung gegeben hatte, seinen Anschlag auf Petra doch noch so bald als möglich zur Ausführung zu bringen.

Es kam noch hinzu, daß sein eigenes Heer bereits in Kossar angelangt und zum Teil sogar schon nach Akaba in See gegangen war, so daß er nicht einmal die Möglichkeit hatte, den voraussichtlichen Forderungen der Gesandtschaft mit Waffengewalt entgegenzutreten.

In dieser Verlegenheit hatte er sich entschlossen, Mechthildis aus Memphis herbeiholen zu lassen, sie durch die Aussicht auf baldige Heimkehr für sich zu gewinnen und ihren Einfluß zu benutzen, um den Ritter doch noch umzustimmen. Gelang auch das nicht, so wollte er versuchen, die Gräfin allein zur Abreise zu bewegen und ohne den Ritter die Besatzung von Petra zu überrumpeln. Denn selbst wenn der Verrat mißglückte, würde die Anwesenheit eines ansehnlichen Heeres hart an den schwach beschützten Grenzen des Reiches einen starken Druck auf die Gesandtschaft ausüben und die Verhandlungen zu Gunsten des Kalifen beeinflussen.

Als der Ritter auf seiner Weigerung beharrte, geriet der Wesir nicht wie am Tage zuvor in Zorn, sondern suchte das Gespräch durch Redensarten hinzuhalten, bis Mechthildis aus Memphis anlangen würde. Aber statt ihrer erschien plötzlich in großer Aufregung ein Bote mit der Nachricht, daß die fränkische Fürstin mit einer Sklavin verschwunden sei. Man habe das ganze Schloß, den Park und die Umgegend nach ihnen abgesucht, aber es sei auch nicht die geringste Spur von ihnen zu entdecken gewesen. Ein aus Stoffen gewundenes Seil, das man an der ihrem Gemache benachbarten Galerie gefunden habe, lasse aber darauf schließen, daß sie entflohen sei.

Der Wesir geriet über diese Nachricht in förmliche Raserei.

Er schlug den Überbringer der Unglücksbotschaft, die alle seine Pläne zunichte machte, mit der Faust ins Gesicht, daß er zu Boden stürzte, und wollte dann auch auf den Ritter eindringen. Dieser kam ihm aber zuvor und schleuderte ihn trotz der Ketten, die seine Arme beschwerten, mit solcher Wucht beiseite, daß der allmächtige Stellvertreter des Königs aller Könige über den Boten zu Fall kam und selbst zu Boden stürzte.

Schäumend vor Wut, raffte sich der Wesir wieder auf, und mit drohend geballten Fäusten vor den Ritter hintretend, sagte er keuchend: »Das sollst du mir bezahlen! Du – und alle Christenhunde!«

Dann stürmte er davon, um alle Häscher zur Verfolgung der entflohenen Gefangenen aufzubieten, während der Ritter unter Beschimpfungen und Drohungen in das Gefängnis zurückgeschleppt wurde.

* * *

Inzwischen war oben auf dem Schlosse ein Bote nach dem anderen eingetroffen, um das Heranrücken der fränkischen Gesandtschaft zu melden. Jeder von ihnen wußte neue Wunderdinge über sie zu berichten. Aus dem einen Hundert von Rittern wurden bald deren fünf, und die Zahl der Reisigen stieg bis in die Tausende. Der eine wollte sie schon bei Athribis, kaum sechs Wegstunden von Kairo, gesehen haben, und ein anderer behauptete gar, sie wären bereits viel weiter und könnten noch vor dem Mittagsgebet die Tore der Hauptstadt erreicht haben.

Der Wesir kam eben noch rechtzeitig, um zu verhindern, daß alle diese Botschaften dem Kalifen zu Ohren gebracht wurden. Ihm war es jetzt ganz einerlei, was später mit der Gesandtschaft werden würde, wenn nur, bevor sie eintraf, seine Rachsucht gegen den Ritter Befriedigung gefunden hatte.

So gab er denn Befehl, die Vorbereitungen zu der Hinrichtung soviel als möglich zu beschleunigen, und wußte auch den Kalifen zu veranlassen, sich lange vor der Stunde, in der sonst die blutigen Schauspiele abgehalten zu werden pflegten, nach Bulak zu begeben.

In aller Stille ließ er auch die beiden Franken nach der Blutinsel bringen und die Arena, hinter deren Schranken sonst auch das Volk sich an den abscheulichen Mordtaten ergötzte, dicht mit Kriegern umstellen.

Als daher Hen neben seinem Herrn in voller Ritterpracht hoch zu Roß auf dem Platze erschien, bemerkte er mit Entsetzen, daß an der kleinen Pforte, der Tribüne des Kalifen gegenüber, statt der Kopten, die ihnen hier, wie verabredet, den Rückzug decken sollten, sarazenische Krieger standen.

»Herr!« flüsterte er dem Junker zu, nachdem sie bei dem Umritt, den sie zunächst unter Führung des Befehlshabers der Palastwache ausführen mußten, an der Tribüne des Kalifen vorüber waren, der mit höhnischem Lachen auf sie herabblickte, »Herr, haben die Maulwürfe von heute nacht nicht versprochen, da drüben an der kleinen Pforte unserer zu harren? Was fangen wir an, wenn sie uns im Stich lassen?«

»Du hast wieder ein Schwert an der Seite, und fragst noch?« antwortete der Junker, seinem Roß die Sporen eindrückend, daß es wiehernd stieg und gewiß mit seinem Reiter davongestürmt wäre, wenn dieser es nicht mit fester Hand und mächtigem Schenkeldruck so sicher in seiner Gewalt gehabt hätte. »Im geeigneten Augenblick werden sie schon dort sein. Anderenfalls sind wir drei Manns genug, uns den Ausgang selbst zu erkämpfen. Wenn nur das Schiff bereit steht, damit wir das Fräulein nicht verfehlen.«

»He! Holla! Was gibt's da zu schwatzen?« rief jetzt, heransprengend, der Kurde dazwischen, den des Junkers Reiterkunststückchen aufmerksam gemacht hatte. »Hierher mit euch! – Und dann herunter von den Pferden!«

Der Junker hatte nicht übel Lust, zum Schwerte zu greifen, um den frechen Sarazenen gleich jetzt vom Pferde herunter zu hauen. Aber Hen, der die verdächtige Bewegung seines Herrn bemerkte, kam noch rechtzeitig heran, um ihm schnell noch zuzuraunen, er möge sich bezwingen und nicht etwa schon vor der Zeit aus der Rolle fallen.

So ließ es sich der Junker dann wohl oder übel gefallen, daß ihm gleich darauf ein paar Knechte in die Zügel griffen und ihn nötigten, sich aus dem Sattel zu heben.

»Hier wartet ihr, bis man euch heißen wird, was ihr weiter zu tun habt,« brummte der Kurde, während die Pferde aus der Arena geführt wurden.

Unwillig blickte der Junker dem edlen Tiere nach, das er gerne bei würdigerer Gelegenheit zwischen den Schenkeln gehabt hätte.

Da sah er, wie aus einer gegenüberliegenden Pforte ein hochgewachsener Mann in Ketten herausgeführt wurde.

Sofort erkannte er den Vater, und unfähig, die gewaltige Bewegung in seinem Innern zu beherrschen, rief er, auf den Alten losspringend: »Er ist es! – Der Vater! O Gott, wie soll ich das ertragen!« –

»Ihr müßt es ertragen, wenn Ihr nicht alles verderben wollt. – Jetzt heißt es: Ruhig Blut haben, oder wir sind alle drei verloren,« entgegnete mahnend der Alte, dem selbst beim Anblick seines geliebten Ritters das Blut in den Adern stockte.

Aber auch der Ritter schien jetzt die beiden bemerkt und seinen Sohn erkannt zu haben; denn plötzlich sah der Junker, wie er sich losriß und über den Platz auf ihn zuzulaufen versuchte.

Doch im nächsten Augenblick hatten die Schergen den Ritter wieder gepackt und zu Boden geworfen, um ihn nach einem erhöhten Platz dicht vor der Kalifentribüne zu schleppen, der zum Hohn mit einem Tuche in den Farben des Ritters, Rot und Silber, bedeckt war.

Hier nahm man ihm die Ketten ab, band ihm aber die Hände auf den Rücken mit einem Strick zusammen und befestigte sie so an den ebenfalls mit Stricken gefesselten Füßen, daß der Gefangene in kniender Stellung verharren mußte, wenn er nicht wie ein hilfloses Bündel zu Boden rollen wollte.

In diesem Augenblick entstand auf der Tribüne eine lebhafte Bewegung. Man sah, wie die Würdenträger einer nach dem anderen, eifrig aufeinander einschwatzend, aufsprangen, und wie schließlich auch der Kalif seine Aufmerksamkeit von der Arena abwandte und mit zornigen Gebärden seinen Platz verließ.

Die Veranlassung hierzu hatte ein Bote gegeben, der trotz aller Vorsichtsmaßregeln des Wesirs doch bis in die Nähe des Kalifen gedrungen war und hier die Nachricht verbreitet hatte, die christliche Gesandtschaft stehe dicht vor den Toren der Stadt.

Der Kalif, der in keiner Weise auf eine so rasche Ankunft der Franken vorbereitet war, deren Ankündigung er in seinem Allmachtsdünkel gestern nicht einmal für Ernst genommen hatte, geriet in wilden Zorn darüber, daß man ihn so mangelhaft unterrichtet habe und rief wütend nach dem Wesir.

Aber der Wesir war nicht gewillt, sich in seinem Rachewerk stören zu lassen, und während man ihn vergeblich auf der Tribüne suchte, schlich er sich hinter den Schranken davon, um den Befehlshaber der Palastwache, der von dem, was in der Umgebung seines Herrn vorging, keine Ahnung hatte, selbst zur schleunigen Vollziehung der Hinrichtung anzutreiben.

Sofort wurde nun dem Junker das Richtschwert übergeben und ihm befohlen, dem vor der Tribüne knienden Gefangenen unverzüglich das Haupt abzuschlagen.

»Endlich!« rief der Junker, das krumme Schwert, das dem Vater nun bald als Waffe dienen sollte, in wilder Kampfeslust über dem Kopfe schwingend.

Dann stürmte er davon.

»Jetzt, heiliger Florian, steh uns bei!« wandte sich der Alte noch einmal an seinen himmlischen Beschützer und folgte, die Hand am Schwerte, seinem Herrn.

Eine Schar von Bewaffneten rückte nach. Sie hatte Befehl, die beiden sofort niederzuhauen, sobald sie Miene machen sollten, den Verurteilten zu schonen.

Aber bevor die Krieger noch am Richtplatz angelangt waren, hatte der Junker schon die Stricke durchschnitten und mit dem Rufe: »Hie gut Freund! – Ich bin es, Vater!« dem Ritter das krumme Schwert in die Hand gedrückt.

»Dietrich! – Junge!« rief der Ritter, auf die Beine springend. »Und du, Hen, alter Bursche!«

Aber es war jetzt keine Zeit, Wiedersehen zu feiern und sich Gefühlen hinzugeben. – Ein Händedruck – dann hieß es: Blutige Arbeit verrichten; denn schon kamen die Krieger von allen Seiten herangestürmt.

»Wir müssen uns nach der kleinen Pforte da drüben durchschlagen, Vater!« rief der Junker, das eigene Schwert aus der Scheide reißend.

»Schlagt sie nieder!« schrie der Anführer der Sarazenen, auf den Ritter eindringend.

Aber mit gewaltigem Hiebe spaltete dieser ihm den Schädel, noch ehe er Zeit gefunden hatte, den kleinen runden Schild zur Deckung zu erheben.

Auch der Junker und Hen fanden bald Gelegenheit, die Schwerter zu gebrauchen, zu denen ihnen ihre Feinde selbst verholfen hatten, nicht ahnend, daß sie statt dem Frankenritter zum Hohn, den eigenen Leuten zum Verderben gereichen würden.

Die beiden ersten Krieger, die sich heranwagten, bekamen ihre Schärfe so gründlich zu kosten, daß ihnen der Appetit für immer verging.

»Laßt uns ihre Schilde aufnehmen!« rief Hen. »Wir werden sie noch gebrauchen können.«

Dabei griff er schon nach dem Schilde des Soldaten, der sich, mit dem Tode ringend, vor ihm im Sande wälzte.

Die beiden Camper folgten dem guten Beispiel, fanden aber zunächst keine Gelegenheit, sie zu benutzen; denn die Krieger waren durch den Fall ihres Führers und ihrer beiden Kameraden so stutzig geworden, daß sie keinen weiteren Angriff wagten.

Diese Kampfpause benutzten die drei, um nach der kleinen Pforte hinüber zu laufen.

Des Junkers Erwartung, daß nun die Kopten ihr Versprechen einlösen und ihnen einen Weg zum Flusse bahnen würden, erfüllte sich aber nicht. – Es war kein Kopte zu sehen.

Die hier aufgestellten Krieger wurden zwar bald beiseite gedrängt. Aber die Pforte war fest verschlossen, und es blieb den Franken nun nichts übrig, als sie wenigstens als Rückendeckung zu benutzen und sich solange als möglich die jetzt mit wildem Geschrei eindringenden Sarazenen vom Leibe zu halten.

Das alles war so schnell gegangen, daß man auf der Tribüne bei der allgemeinen Aufregung kaum etwas davon bemerkt hatte. Als sich daher der Kalif endlich wieder nach der Arena umdrehte, sah er zu seiner nicht geringen Verwunderung, daß der Richtplatz, auf dem eben noch der Ritter gekniet hatte, leer war, und daß seine Krieger in wildem Durcheinander nach der gegenüberliegenden Seite der Schranke liefen.

Wieder rief er nach dem Wesir. Aber auch diesmal vergeblich; denn der Wesir, der sich trotz aller Vorsichtsmaßregeln in so unverhoffter Weise um seine Rache betrogen sah, wollte den Platz nicht verlassen, ohne wenigstens dafür gesorgt zu haben, daß die drei Franken im Kampfe den Lohn erhielten, den er ihnen auf dem Richtplatz zugedacht hatte.

Von allen Seiten trieb er die Soldaten auf sie los und drohte dem Befehlshaber der Palastwache, daß er ihn hinrichten lassen würde, wenn er einen von den drei Ungläubigen entwischen ließe und ihm nicht bis zum Mittagsgebet ihre drei Köpfe überbracht hätte.

Da ließ sich aus der Ferne fremdartiges Trompetengeschmetter vernehmen. – Die Gesandtschaft! – Und nun entschloß er sich endlich, nach der Tribüne zurückzukehren, wo die Würdenträger mit verzweifelten Gesichtern durcheinanderliefen und bald in ratloser Aufregung die Christenhunde verfluchten, bald Allah um seinen Beistand anriefen. Denn in üppigem Höflingsdienst, der eigentlich nur darin bestand, sich selbst den Bauch und die Taschen zu füllen und ihrem Gebieter zu schmeicheln, hatten sie sich längst daran gewöhnt, alle ernsthaften Staatsgeschäfte dem Wesir allein zu überlassen, der infolgedessen nach und nach alle Macht an sich gerissen hatte und das Knie nur noch zum Schein vor dem Kalifen beugte, mit dem er in Wirklichkeit machen konnte, was er wollte.

So war denn auch jetzt die Entladung des allerhöchsten Zornes nur ein kalter Schlag. Der Kalif hatte zwar in seiner Wut ein über das andere Mal geschworen, daß er den pflichtvergessenen Diener vor seinen Augen erdrosseln lassen wolle. Als der Wesir jetzt aber kam und sich mit demütigen Entschuldigungen ihm zu Füßen warf, vorbringend, nur die unermüdliche Sorge um die Sicherheit seines erhabenen Herrschers habe ihn so lange ferngehalten, war der Zorn des allmächtigen Herrschers bald verflogen. Er war vielmehr von Herzen froh, in dieser bedenklichen Lage seinen Beamten wieder zu haben, und vergaß darüber sogar zu rügen, daß man ihm die Ankunft der christlichen Gesandtschaft so lange verheimlicht hatte.

Allerdings war auch nicht viel Zeit mehr zu verlieren, wenn er den Franken in einer Weise gegenüber treten wollte, wie sie dem König aller Könige geziemte. Immer näher kamen die verhaßten Klänge der fränkischen Trompeten, und wenn man nicht von vornherein auf gütliche Verhandlungen verzichten wollte, auf die man doch bei der Schwäche der in Kairo versammelten Kriegsmacht angewiesen war, gab es keine Möglichkeit, der Gesandtschaft die Tore der Stadt zu verschließen, oder sie auch nur längere Zeit dort aufzuhalten.

So wurde denn der Rat des Wesirs, unverzüglich nach dem Palast zurückzukehren, ohne Widerspruch angenommen, und ohne sich weiter um die Vorgänge in der Arena zu kümmern, rückte der Kalif mit seinem ganzen Hofe in höchster Eile über die Brücke ab, die, über einen ziemlich breiten Nilarm führend, die Blutinsel mit dem Stadtgebiete verband.

Mittlerweile hatten unsere Freunde harte Arbeit gehabt. Nachdem der Wesir alle in der Arena aufgestellten Krieger auf sie gehetzt hatte, sahen sich die drei wohl an zweihundert Feinden gegenüber, und wenn diese auch nur einigermaßen geschickt geführt worden wären, hätte den drei braven Campern all ihre Tapferkeit wenig geholfen.

Aber der Kurde, der bei dem Gedanken an die Drohung des Wesirs schon den Kopf auf den Schultern wanken fühlte, suchte sein Heil einzig und allein in wildem Draufgehen, ohne zu bedenken, daß dabei doch immer nur wenige wirklich mit dem Gegner in Berührung kommen konnten, während die anderen in wüstem Nachdrängen den eigentlichen Kämpfern nur im Wege standen und so den Franken, statt ihnen zu schaden, vielmehr in die Hände arbeiteten.

Er selbst kämpfte eine Zeitlang in der vordersten Reihe, bis ihn ein Schwerthieb Dietrichs zu Boden streckte. Nun war die Horde ganz ohne Führer, und da sich die Sarazenen in blinder Kampfeswut nicht einmal die Zeit nahmen, ihre Toten und Verwundeten aus der Schlachtlinie zu entfernen, so bildeten die Gefallenen nur ein neues Hindernis für die Angreifer.

Dazu kam noch, daß die Schranke in der Umgebung der Pforte etwas eingebaut war, so daß die kämpfenden drei Franken nicht nur im Rücken, sondern zum Teil auch von den Seiten gute Deckung hatten und daß eigentlich immer nur vier oder fünf Mann gleichzeitig näher an sie herankamen, wenn nicht auch diese noch durch die von der Seite Herandrängenden aus der Richtung geschoben wurden.

So konnten sie denn in ziemlicher Ruhe die Speerwürfe mit den Schilden auffangen und sich der gar zu weit Vordringenden mit den Schwertern erwehren.

Das Schlimme war nur, daß an Stelle der unschädlich gemachten Feinde sofort immer wieder frische Kräfte in der ersten Reihe standen, daß also das Ende des Kampfes gar nicht abzusehen war, während sich bei den wackeren Streitern nach und nach eine Ermüdung bemerkbar zu machen begann, die ihnen bei der großen Zahl der Gegner schließlich verhängnisvoll werden mußte.

»Wenn doch die Kopten kämen!« dachte der Junker, mit besorgter Miene auf den Vater blickend, der, von den Sorgen der schrecklichen Nacht im Gefängnis erschöpft, bleich und bleicher wurde, das Schwert sinken ließ und schließlich nur noch mit sichtlicher Anstrengung im stande war, den Schild hochzuhalten, um sich wenigstens gegen die Speerwürfe zu decken.

Aber die Kopten ließen nichts von sich hören.

Und nun geschah etwas Schreckliches: Einige von den Ägyptern schienen doch endlich das Unzweckmäßige ihrer Kampfesweise eingesehen zu haben; denn plötzlich kamen von einem erhöhten Platze aus über die Köpfe der Angreifer hinweg Pfeile angesaust, erst vereinzelt, dann in Menge, so daß sich die drei nun auch hiergegen mit den Schilden schützen mußten und nicht mehr mit voller Aufmerksamkeit dem Schwertkampf obliegen konnten.

Der Ritter hatte sich jetzt zwar wieder erholt. Die Verzweiflung der Lage hatte ihm die Herrschaft über die schwindenden Kräfte zurückgegeben.

Wie zuvor sauste sein krummes Schwert auf die Schädel der Angreifer nieder und streckte jeden in den Sand, der ihm zu nahe zu kommen wagte.

Aber lange konnte man sich so unmöglich halten. Die Schilde waren schon förmlich mit Pfeilen bespickt, auch in den oberen Holzplanken der Pforte steckten sie zu Dutzenden; dem Alten hatte einer, glücklicherweise ohne ihn ernstlich zu verletzen, das Wams durchbohrt, und der Junker war nur dadurch dem Tode entgangen, daß er gerade das Schwert hochgehoben und damit den Pfeil aufgefangen hatte, der ihm sonst unfehlbar ins Auge gedrungen wäre.

Und es kam noch schlimmer. – Auf einmal hörte die Pfeilschießerei auf und gleichzeitig vernahm man hinter der Pforte ein lautes Gepolter.

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Tapfer verteidigten sich die drei Franken gegen die Sarazenen.

Der Junker dachte nicht anders, als daß jetzt endlich die Kopten herangekommen seien und ihnen von außen das Tor öffnen würden. Aber gleich darauf bemerkte er mit Entsetzen, daß ein Teil der Sarazenen sich hinter die Schranke gemacht und diese erklettert hatte und nun im Begriff war, von oben her mit Spießen nach ihnen zu werfen.

Jetzt waren sie gezwungen, die Pforte zu verlassen und ihre vortreffliche Rückendeckung aufzugeben. Es gab nur eine Rettung, sich durchzuschlagen und dann irgend wo anders eine neue Stellung zur Verteidigung zu suchen.

»Laßt uns versuchen, nach der Tribüne zu kommen. – Sie ist leer. – Vielleicht finden wir von dort aus einen Ausweg zum Flusse!« rief der Junker.

»Recht, mein Sohn!« stimmte der Ritter bei. »Dort links ist eben eine Lücke. Die wollen wir benutzen. Vorwärts!«

Sausend fuhren die Schwerter durch die Luft.

Erschreckt prallten die Sarazenen zurück, und schon hatten die drei die dünnen Reihen hier durchbrochen, als einer von den Kriegern, der jetzt die Führung übernommen zu haben schien, eine neue Schar in die Bresche warf.

Nun sahen sich die Deutschen von allen Seiten umringt, und selbst der Junker machte sich jetzt mit dem Gedanken vertraut, daß sie schließlich doch der ungeheueren Übermacht würden erliegen müssen.

»Vater!« rief er. »Es ist wenigstens im ehrlichen Kampf! – Leb wohl! – Das Fräulein weiß alles! – Gott wird sie in die Heimat führen! Sie wird schon dafür sorgen, daß unser Name wieder zu Ehren gebracht wird!«

Erst später erfuhr der Ritter den Sinn dieser im wilden Verzweiflungskampfe ausgestoßenen Worte. Aber in Verbindung mit allem, was er in der letzten Zeit gehört und erfahren hatte, im Zusammenhang mit dem seltsamen Benehmen Guiscards von Rouen neulich vor dem Tore des Kalifenschlosses, begann eine schreckliche Ahnung in ihm aufzudämmern, die sich jetzt wie ein lähmender Alp auf seine schon geschwächten Kräfte wälzte.

»Verrat? – Der Normanne? – Und darum all dieser Jammer?« keuchte er, zusammenbrechend. »O, Gott!«

Auch des Junkers Widerstandsfähigkeit erlahmte nun beim Anblick des stürzenden Vaters, und der brave Hen, der allein noch mit voller Wucht sein Schwert um sich schwang, wäre unmöglich im stande gewesen, das über ihn und seine Herren hereinbrechende Unheil auch nur noch für wenige Minuten aufzuhalten.

Aber Gott verläßt keinen Deutschen! –

In diesem Augenblicke der höchsten Not erklangen plötzlich von der Brücke her bekannte Fanfaren. – Im Nu war die ganze Sarazenenhorde auseinandergestoben.

An der Spitze seiner Ritter sprengte auf edlem, feurigem Rosse der junge Fürst von Antiochien auf den Plan.

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