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Die Gesandtschaft

Nachdem Guiscard von Rouen unter dem Vorwande, die Gesandtschaft bei dem Kalifen anmelden zu wollen, ihn bei Thamiatis verlassen hatte, war Fürst Boemund von Antiochien nach Alexandrien weiter gesegelt und hier unbehelligt an Land gegangen. In der Meinung, daß der Normanne ihm auf halbem Wege entgegenkommen würde, um über den Ausfall seiner Sendung und den Eindruck, den er von der Stimmung am Hofe von Kairo gewonnen habe, Bericht zu erstatten, war er dann unverzüglich aufgebrochen, um über Sais und Tanta nach der ägyptischen Hauptstadt zu reiten.

In seiner Begleitung befanden sich außer hundertundfünfzig auserlesenen Knechten der Abt von Jericho und mehr als vierzig Ritter, unter ihnen Erwin von Falkenburg, der Chevalier von Montpellier, der sich als Belohnung für seinen Sieg im Turniere eigens vom Grafen von Rheinberg die Gnade ausbedungen hatte, nach Ägypten mitziehen zu dürfen, um als erster Petraenser dem Fräulein seine Glückwünsche zu ihrer Befreiung darbringen zu können, ferner der Schenk von Rofen und Heinz von Tenneberg, des Campers alte Waffengefährten, und je zehn Ritter von jedem der beiden Orden, dem der Templer und dem der Johanniter.

Es war eine stattliche Schar, die umsomehr das Staunen der Bewohner von Alexandrien erregte, als eine so bedeutende fränkische Gesandtschaft nie zuvor in Ägypten gesehen worden war. Wohin sie kam, lief weit und breit das Volk zusammen, die abenteuerlichsten Gerüchte gingen ihr voraus, und es war kein Wunder, daß die in Kairo eintreffenden Boten so übertriebene Nachrichten von ihr brachten; ließ doch das Blinken der vielen Rüstungen die Schar von weitem noch viel größer erscheinen, als sie in Wirklichkeit war.

Der Fürst hatte gemeint, in Tanta den Normannen vorzufinden. Als er aber diese Stadt erreicht hatte, war von Guiscard nichts zu sehen. Trotzdem ritt er weiter, in der Annahme, daß der Abgesandte in Kairo länger, als man anfänglich berechnet hatte, aufgehalten worden sein könne.

Aber Stunde um Stunde verrann, und der Normanne ließ noch immer nichts von sich vernehmen.

Ebensowenig erschienen sarazenische Abgesandte, um ihn im Namen des Kalifen zu begrüßen, was die Höflichkeit wohl verlangt haben würde, nachdem er seine Ankunft durch einen besonderen Boten hatte anmelden lassen.

So wurde der Fürst denn allmählich ungeduldig, umsomehr, als seine Ritter ihm in den Ohren lagen, er habe dem Normannen zu leicht vertraut, und der Falsche habe wahrscheinlich seinen Auftrag gar nicht ausgeführt, sondern die Gelegenheit nur dazu benutzt, sich den schimpflichen Folgen seiner Verleumdung zu entziehen.

Der Schenk von Rofen namentlich vertrat diese Meinung mit solchem Nachdruck, daß der junge, heißblütige Fürst gewiß in ernsthafte Händel mit ihm geraten wäre, wenn sich der Abt nicht ins Mittel gelegt und die Herren beschworen hätte, sich um der heiligen Sache willen persönlicher Empfindlichkeiten zu enthalten.

Der Fürst beschleunigte nun den Marsch, von Ungeduld getrieben, immer mehr. Er mochte es sich nicht eingestehen, daß er sich von dem Normannen hatte hinters Licht führen lassen, und hoffte immer noch, daß Guiscard und die Boten des Kalifen ihn am Tore der Hauptstadt erwarten würden.

Aber auch diese Erwartung erfüllte sich nicht. Er fand vielmehr das Tor verschlossen und mußte erst seine Herolde blasen lassen, um sich bei den Wächtern Gehör zu verschaffen. Es verging geraume Zeit, bevor überhaupt der Türmer sich bequemte, nach ihrem Begehr zu fragen, und nachdem der Fürst ihm den Zweck ihrer Ankunft hatte mitteilen lassen, wurde ihm die Antwort zu teil, man werde beim Wesir deswegen anfragen und sie möchten sich inzwischen die Zeit nicht lang werden lassen.

Boemund schäumte vor Zorn über diese Demütigung. Am liebsten hätte er das Tor im Sturm genommen, um den frechen Sarazenen von vornherein zu zeigen, daß er nicht geneigt sei, mit sich spaßen zu lassen.

Aber der König, der das überschäumende Temperament seines Schwiegersohnes wohl kannte, hatte dafür gesorgt, daß dem allzufeurigen Roß die Zügel nicht fehlten. Er hatte ihm eine Reihe erfahrener und besonnener Männer zur Begleitung mitgegeben, und diesen gelang es auch jetzt, ihren jugendlichen Führer von einer übereilten Gewalttat zurückzuhalten, die den Erfolg ihrer Sendung von vornherein hätte in Frage stellen müssen.

Der Fürst mußte sich wohl oder übel bequemen, zu warten, nahm sich aber vor, es dem Kalifen bei der nächsten Gelegenheit gründlich heimzuzahlen und sann, ohne das zahlreiche Volk zu beachten, das ihn und die Ritter dicht umdrängte, in nagendem Grimm darüber nach, was er tun könnte, um sich für diese Kränkung Genugtuung zu verschaffen.

Da fühlte er, daß jemand ihn am Mantel zog.

Unwillig blickte er sich um und bemerkte nun dicht neben sich einen wild aussehenden Mann mit auffallend entschlossenem und fanatischem Gesicht.

»Was hast du an meinem Mantel zu schaffen?« herrschte er ihn an. »Schere dich fort, oder ich werde meinem Pferd die Sporen geben und dich niederreiten!«

»Ich kümmere mich nicht um deinen Mantel!« antwortete der Mann trotzig, fuhr aber gleich darauf, nachdem er sich scheu nach allen Seiten umgeblickt und sich überzeugt hatte, daß ihn von den anderen Neugierigen niemand beobachtete, leise fort: »Mache dir an deinem Steigbügel zu schaffen, damit ich unauffällig mit dir sprechen kann. Ich habe dir Wichtiges mitzuteilen.«

Der Fürst zögerte eine Weile. Aber die ganze Erscheinung des fremden Mannes schien ihm beachtenswert genug, um seine Kunde nicht von der Hand zu weisen.

Er beugte sich also zur Seite nieder und fragte: »Nun, was willst du?«

»Herr!« flüsterte der Fremde. »Reite nicht sogleich auf das Schloß, sobald man das Tor geöffnet haben wird. Drei deiner Landsleute sind in schwerer Gefahr. Der eine ist der Ritter aus Petra, der hier seit Monden gefangen gehalten wird. Bringe ihnen schleunige Hilfe, oder sie sind verloren. Biege gleich hinter dem Tore nach rechts ab und reite an der Stadtmauer hin, bis du zu einer Brücke kommst. Sie führt auf die Insel Bulak, dort – –«

»Nun, was ist dort?« fragte der Fürst ungeduldig, erhielt aber keine Antwort; und als er sich umsah, war der Mann, der eben noch dicht neben ihm gestanden hatte, spurlos verschwunden.

Vergebens suchte er unter der Menge, die sich inzwischen immer zahlreicher angesammelt hatte. Von dem Mann war nichts zu entdecken.

Dennoch erschien ihm die Nachricht beachtenswert, und als sich endlich das Tor auftat und zwei Abgesandte des Kalifen erschienen, um in weitschweifigen Redensarten die Verzögerung zu entschuldigen und die Meldung zu überbringen, der Sprößling des Propheten heiße die fränkischen Herren in seiner Stadt willkommen und sei bereit, sie sogleich in seinem Palaste zu empfangen, ließ er sie, ohne sie zu Ende gehört zu haben, stehen und sprengte unter dem Geschmetter der Fanfaren mit seinen Begleitern an der Stadtmauer hin auf die Brücke zu.

Den anderen Rittern blieb nun trotz aller Bedenken nichts übrig, als ihm zu folgen, und so kam es, daß den schwerbedrängten Kämpfern auf der Blutinsel noch im letzten Augenblicke Hilfe wurde.

Von den fremdartigen Signalen erschreckt, ließen die Sarazenen ab, und als sie die Ritter auf den Platz sprengen sahen, liefen sie hurtig nach allen Seiten davon.

Gleich darauf war die ganze Gesandtschaft in der Arena versammelt und umstand in Verwunderung die Camper, die neben dem ohnmächtig am Boden liegenden Ritter auf die Knie gesunken waren, um Gott für die wunderbare Errettung zu danken.

Dann nahte sich der Junker dem Fürsten, ließ sich vor ihm auf das Knie nieder, um sich auch bei ihm zu bedanken und ihm in Kürze Bericht zu erstatten.

Mit Staunen und Entsetzen hörten der Fürst und die Ritter zu, und nachdem der Junker geendet hatte, reichte ihm Boemund die Hand und sagte: »Ihr habt Euch treu bewährt, Junker, und ich würde es mir zur Ehre schätzen, Euch auf dieser Stelle zum Ritter zu schlagen, wenn ich nicht fürchten müßte, damit meinem Herrn und König vorzugreifen. Aber ich bestimme, daß Ihr schon jetzt sollet wie ein echter Ritter angesehen und gehalten sein.«

Dann stieg er vom Roß und trat zu Hermann von Camp, dessen sich bereits heilkundige Knechte angenommen hatten. Sie lockerten ihm die schwere Rüstung, rieben ihm die Schläfe mit Wein und gaben ihm zu trinken, bis endlich die erschöpften Lebensgeister sich wieder zu regen begannen.

Der Ritter schlug die Augen auf, war aber noch immer zu schwach, um sich aufzurichten und vermochte dem vor ihm stehenden Fürsten nur durch leichtes Neigen des Kopfes seine Ehrfurcht zu bezeigen.

Da ließ sich Boemund neben ihm auf die Knie nieder, ergriff seine Hand und sagte: »Im Angesichte Gottes und im Namen vieler, die sich von der Tücke eines schändlichen Verräters haben verleiten lassen, an dem edelsten Manne irre zu werden, bitte ich Euch um Verzeihung. – Euch ist schweres Unrecht widerfahren, Ritter, aber wenn es möglich ist, Euch Entschädigung dafür zu bieten, so bürge ich Euch mit meiner Ritterehre, daß nichts, was geschehen kann, ungeschehen bleiben soll.«

»Ich danke Euch, edler Fürst!« antwortete der Ritter mit schwacher Stimme. »Ob ich Euch gleich nicht ganz verstehe. Aber ich ahne wohl, daß ich das Opfer schnöden Verrates geworden bin und daß Guiscard von Rouen, den ich gestern traf –«

»Ihr habt ihn gesehen?« unterbrach ihn Boemund verwundert.

»Ja. – Als ich gefangen vom Schloß geführt wurde, – kam er mit drei Knechten daher. – Als er mich erkannte, erschrak er und stand mir nur widerwillig Rede. – Dann wurde ich fortgeführt. – Als ich mich aber wieder nach ihm umschaute, war er verschwunden, und die drei Knechte ritten allein nach dem Schlosse weiter. – Wollt Ihr mir das alles nicht erklären, Herr?«

»Das mag Euer Sohn tun, Ritter, wenn Ihr Euch vollends erholt haben werdet. Jetzt freut Euch der Gnade Gottes, die uns noch rechtzeitig zu Eurem Beistand herbeigeführt hat.«

Damit stand der Fürst auf, wandte sich zu Schenk von Rofen und sagte, ihm die Hand reichend: »Auch Euch, Ritter, habe ich unrecht getan. Aber wenn Ihr auch Grund haben möget, mich allzuschnellen Urteils zu zeihen, so soll mich doch niemand unbillig schelten dürfen. Haltet mir's nicht zu ungut. – Und nun auf's Schloß, ihr Ritter! Wir wollen mit dem Kalifen ein kräftig Wörtlein reden, daß ihm fürderhin die Lust vergehen soll, Christenfrauen zu rauben und fränkische Ritter in Unehren gefangen zu halten! – Laßt die Fanfaren erschallen!«

Wieder schmetterten die Trompeten, und nachdem man Hermann von Camp, der sich mittlerweile wieder etwas erholt hatte und darauf bestand mitzureiten, auf ein Pferd gehoben hatte, setzte sich der Zug in Bewegung.

Als man aber die Arena verlassen hatte, sah man mit Schrecken, daß die Brücke über den Nilarm in Flammen stand und daß man auf der Insel abgeschnitten war, an deren Rand auf Spießen die blutigen Köpfe der drei Knechte steckten, die der Fürst dem Normannen von Thamiatis aus zur Begleitung mitgegeben hatte.

Als nämlich die beiden Abgesandten mit der Meldung in das Schloß zurückgekehrt waren, die Franken hätten sie gar nicht zu Ende gehört, sondern wären, ohne die Einladung ihres erhabenen Herrn zu beachten, nach Bulak geritten, hatte der Kalif in wildem Zorn geschworen, alle Christen zu vertilgen, deren er habhaft werden könne.

Zunächst ließ er die drei Knechte, die gleich nach ihrer Ankunft ins Gefängnis geworfen, sonst aber bis jetzt nicht weiter behelligt worden waren, vor seinen Augen enthaupten und ihre Köpfe nach Bulak tragen. Dann befahl er, die Brücke zu vernichten, um so die ganze Gesandtschaft auf der Insel auszuhungern, und endlich wurden alle Häscher zur Entdeckung des Verräters aufgeboten, der ohne Zweifel die Franken nach der Insel geführt haben mußte.

Der Verdacht lenkte sich ganz von selbst auf die Kopten, und nun wurden Hunderte von Unglücklichen ins Gefängnis geschleppt und alle Häuser in Fostât durchsucht, so daß auch Mechthildis und Katuscha sicherlich den Wüterichen in die Hände gefallen wären, wenn der unermüdliche Zenab das Unglück nicht vorausgesehen und sie rechtzeitig in Sicherheit gebracht hätte.

Der Wesir sah sich diesmal nicht veranlaßt, die leidenschaftlichen Befehle seines Herren abzuschwächen. Der Verlust so vieler Ritter und Krieger war immerhin ein schwerer Schlag für die Christen, und bis sie in der Lage sein würden, ihn zu rächen, war man selbst wohl so gut gerüstet, um ihnen mit Erfolg entgegentreten zu können. Noch standen die christlichen Heere ohne Nachricht bei Gazza und Joppe, während er hoffte, die eigenen Truppen binnen wenigen Tagen nach Kairo heranziehen zu können.

So willigte er denn ohne weiteres in den Plan, die ganze Gesandtschaft zu vernichten, in dem er eine gute Entschädigung für den fehlgegangenen Anschlag auf Petra erblickte, und traf sogleich alle Anordnungen, um die Befehle des Kalifen zur Ausführung bringen zu lassen.

Fürst Boemund machte sich wegen der zerstörten Brücke zunächst nicht allzuviele Sorgen.

»Es sind höfliche Leute! Sie wollen uns gleich Gelegenheit geben, unsere Künste vor ihnen zu zeigen. Auf! durch den Fluß!« rief er spöttisch und gab seinem Roß die Sporen, um als erster den Nilarm zu durchschwimmen.

Aber bald genug überzeugte ihn die reißende Gewalt der unergründlichen Flut, daß es eine Unmöglichkeit war, mit Roß und Rüstung durch diesen Strom hindurchzukommen, und gleichzeitig belehrte ihn ein Hagel von Pfeilen, der vom jenseitigen Ufer rings um ihn her in das Wasser niederprasselte, darüber, daß die Sarazenen auch noch andere Vorkehrungen getroffen hatten, um ihnen das Durchschwimmen des Flusses zu verleiden.

Mit Mühe brachte er sein Roß aus der gewaltigen Strömung, die es im Nu eine ganze Strecke weit mit sich fortgerissen hatte, und kehrte enttäuscht und zornerfüllt nach der Insel zurück, deren Ufer nun fortwährend mit Pfeilen überschüttet wurden.

Dennoch verlor er die Hoffnung nicht. Er sandte sofort nach allen Seiten Knechte aus, um nach Booten zu suchen. Aber die Ägypter hatten schon vorher unbemerkt alle Fahrzeuge entfernen lassen.

Auch diese Aussicht war mithin verschlossen, und der Fürst mußte endlich einsehen, daß er wirklich mit seinen sämtlichen Rittern und Leuten auf der kleinen Insel gefangen saß, auf der nichts sich befand als die Arena und der feste Turm, in dem die Verurteilten vor ihrer Hinrichtung eingesperrt wurden und in dem auch Hermann von Camp die letzte Nacht zugebracht hatte.

An sie mußte der Ritter, als er den Fürsten jetzt zum Turm begleitete, wieder denken, und dabei erinnerte er sich seiner Mitgefangenen. Schnell sprengte man die Türen, und nun wurden die Unglücklichen herausgeführt, die nicht wenig verwundert waren, statt der erwarteten Henker fränkische Ritter vor sich zu sehen.

Die Hoffnung des Campers, daß sie Rates wissen würden, erfüllte sich aber nicht. Aus Bulak, meinten sie, sei nun einmal kein Entrinnen, und wenn Gott kein Wunder geschehen lasse, so müßten sie alle sterben.

Aber auch diese kleinmütige Antwort vermochte den Fürsten nicht niederzudrücken, und ohne sich über die Zukunft den Kopf zu zerbrechen, gab er Befehl, sich auf der Insel nach Möglichkeit häuslich einzurichten und alles übrige in Gottes Hand zu legen, der sie wohl nicht auf so schnöde Weise zum Spott der Sarazenen werden lassen würde.

Auch bei den Rittern und Reisigen herrschte trotz der bedenklichen Lage guter Mut. Die meisten hielten es für ganz ausgeschlossen, daß die Sarazenen es wagen könnten, sich im Ernste an ihnen zu vergreifen, und alle blickten mit festem Vertrauen auf ihren kühnen jungen Führer, der so munter dreinschaute, daß auch den Zaghafteren das Herz bald wieder leicht wurde.

Rüstig wurde nun die Tribüne niedergerissen und in einen Unterstand für die Pferde verwandelt, während die vielen Polster und Kissen, auf denen sonst der Kalif und seine Würdenträger bei den Schauspielen zu sitzen pflegten, bequeme Pfühle genug abgaben, um ein doppelt so großes Heer darauf zu betten.

Bald saßen überall fröhliche Gruppen beieinander, um bei Speise und Trank die Unbilden des Tages zu vergessen; denn noch hatte man Wegzehrung für Mensch und Pferd in Hülle und Fülle.

Größere Kreise bildeten sich um die Camper. Sie mußten alle ihre Erlebnisse und alle Einzelheiten ihrer wunderlichen Fahrt erzählen, und da Hen nichts versäumte, um die Verdienste seines Junkers in das rechte Licht zu setzen, so wurde besonders Dietrich bald Gegenstand begeisterter Huldigungen, namentlich von seiten der jüngeren Ritter.

Er wehrte diese Auszeichnungen bescheidentlich von sich ab, freute sich aber im stillen doch darüber und war überhaupt, nachdem der Vater seine alte Frische wieder erlangt hatte, guten Mutes. Hat Gott so weit geholfen, dachte er mit dem leichten Sinn der Jugend, die ja überstandene Sorgen schnell vergißt, so wird er auch weiter helfen.

Nur eines trübte seine zuversichtliche Stimmung, und das war die Ungewißheit über das Schicksal Mechthildis'.

Die Erzählung des Fürsten von dem fremden Manne, der sich am Tore an ihn gedrängt und ihn nach der Insel gewiesen habe, beruhigte ihn zwar einigermaßen. Wer konnte jener Fremde mit dem wilden Gesicht und den fanatischen Augen anders gewesen sein, als derselbe Kopte, der bei den geheimnisvollen Verhandlungen der letzten Nacht das Wort geführt und sie veranlaßt hatte, in ihr Gefängnis zurückzukehren und den Vater auf so kühne Weise zu befreien?

Die Kopten hatten sie also nicht im Stich gelassen. Wahrscheinlich waren sie durch irgendwelche unvorhergesehenen Ereignisse verhindert worden, rechtzeitig an der kleinen Pforte zu erscheinen, und hielten die Gräfin jetzt in sicherem Versteck, bis sich eine günstigere Gelegenheit bieten würde, sie wieder mit ihnen zu vereinen.

Aber volle Ruhe konnte dem Junker doch erst dann werden, wenn ihre Gegenwart ihm Gewißheit bot, daß er sein Wort einlösen und sie ihrem Vater zurückbringen könne.

Sobald es also die Schicklichkeit erlaubte, verließ er den Kreis der Ritter und zog sich mit Hen nach einem einsamen Platze in der Nähe des Tores zurück, durch das sie am Morgen so schweren Herzens in die Arena eingeritten waren, um mit ihm noch einmal alles zu überdenken.

Sie hatten noch nicht lange beieinander gesessen, als auch der Vater sich zu ihnen gesellte. Es ließ ihm keine Ruhe mehr, zu wissen, was eigentlich in seiner Abwesenheit daheim vorgegangen sei und was es mit den Andeutungen Dietrichs und des Fürsten für eine Bewandtnis habe.

»Daß mich der falsche Normanne, dem ich nie über den Weg getraut habe, verraten hat, weiß ich ja nun,« meinte er. »Aber es steckt noch mehr dahinter. Wer hat mir noch unrecht getan? – Was hat das alles mit meiner Ehre und mit meinem Namen zu schaffen? – Sprich! – Ich will alles wissen!«

Der Junker suchte noch eine Weile Ausflüchte zu machen. Er brachte es nicht übers Herz, dem Vater all diese Dinge zu sagen, die ihn so tief verletzen mußten. Hatte Mechthildis nicht dieselbe Empfindung gehabt und es auch nicht getan?

Endlich aber platzte Hen in wieder erwachendem Groll mit den heftigsten Anklagen gegen den Grafen heraus, und da nun doch die Hauptsache offenbar geworden war, zögerte auch der Junker nicht länger, dem Vater rund heraus die ganze Wahrheit zu sagen.

Schweigend hörte der Ritter alles an. – Nur zuweilen rang sich ein dumpfes, schmerzliches Stöhnen aus seiner Brust hervor, und plötzlich sah der Junker, daß ihm die dicken Tränen über die Wangen rollten.

»Vater!« rief er, sich in tiefster Ergriffenheit an seine Brust werfend. »Vater! Ich kann dich nicht weinen sehen! – Sei doch wieder fröhlich. Nun wird ja alles wieder gut werden!«

»Es ist ja nicht um mich,« antwortete der Ritter nach einer Weile düster. »Aber um den Grafen ist mir's! – Dreißig Jahre in treuer Freundschaft Schulter an Schulter, – und dann – so leicht – so schnell! – Nie – nie werde ich das überwinden!«

»Doch, Vater, doch! Wenn nur das Fräulein erst da wäre! O, Vater, wenn du wüßtest, wie leicht es ist, zu verzeihen, wenn sie darum bittet!«

»Dietrich!« rief der Ritter aufspringend und ihn mit zornigen Blicken messend. »Treu in Liebe und treu in Haß: So haben's die Camper allezeit gehalten. Ich will nicht hoffen, daß mein einziger Sohn aus der Art geschlagen ist?«

Mit niedergeschlagenen Augen stand der Junker schweigend da. Zum ersten Male in seinem Leben fühlte er, daß er mit seinen Empfindungen mit dem Vater, den er doch über alles liebte und verehrte, nicht übereinstimmen konnte. Und doch vermochte er sich von dem, was ihn in diesem Augenblick bewegte, selbst keine Rechenschaft zu geben.

Zum Glück wurde das Gespräch jetzt durch das Herantreten einiger anderen Herren unterbrochen, und auch in den nächsten Tagen fand der Ritter keine Gelegenheit, oder vermied sie vielleicht auch absichtlich, auf diesen Gegenstand zurückzukommen.

Aber der Junker wurde von jetzt ab das schmerzliche Gefühl nicht mehr los, daß nun irgend etwas zwischen ihn und seinen Vater getreten war, und erst viele Tage später löste sich auch dieser Alp von seiner Brust.

Die Ägypter ließen nichts weiter von sich hören, und ebensowenig versuchten die Franken an ihrer Lage etwas zu ändern. Der anstrengende Ritt und die Strapazen der letzten Tage hatten allgemein das Bedürfnis nach Ruhe wachgerufen, und kaum war von den Minarets der gegenüberliegenden Stadt der Ruf der Muezzin zum Abendgebet verklungen, so suchten sich, nachdem an den Ufern Wachen ausgestellt waren, alle Gelegenheit zum Schlaf.

Nur der Junker konnte keinen Schlummer finden. Das Gespräch mit dem Vater und die Sorge um die Gräfin gingen ihm im Kopfe herum, und sinnend ging er lange Zeit am äußeren, der Stadt abgekehrten Rande der Insel auf und ab.

Da glaubte er vom Wasser her ein Geräusch wie von eintauchenden Rudern zu vernehmen. – Er blieb stehen und lauschte. – Das Geräusch wiederholte sich, aber die Nacht war so finster, daß nichts zu erkennen war.

Er wartete eine Weile; denn sofort war ihm der Gedanke gekommen, daß es vielleicht die Kopten sein könnten, die Nachricht von Mechthildis oder gar diese selbst brächten.

Doch jetzt war alles still, und nur das gleichmäßige Rauschen des Stromes war zu hören und aus der Ferne das Gebell einiger Hunde.

Schon wollte er weitergehen, als er eine Strecke stromabwärts die Umrisse eines Bootskieles aus der Dunkelheit auftauchen sah.

Schnell lief er hin und erkannte nun, daß es in der Tat ein kleines Fahrzeug war, das sich von der Strömung an das Ufer treiben ließ.

Gleich darauf fuhr es auf. – Lautlos stiegen drei in dunkle Mäntel gehüllte Gestalten an das Land, worauf das Boot sofort wieder abstieß, um gleich darauf in der Dunkelheit zu verschwinden.

Es war alles so schnell und so leise vor sich gegangen, daß die in der Nähe lagernde Wache nichts davon bemerkt zu haben schien.

Der Junker war hinter ein Gebüsch getreten.

Aber die drei mußten ihn wohl schon vom Wasser aus gesehen haben; denn sie kamen gerade auf ihn zu, und nun sah er bald, daß es der Koptenhäuptling mit den beiden Frauen war.

Er trat nun hervor und sagte: »Hier gut Freund! – Seid Ihr es, Fräulein? O! Wie glücklich bin ich, Euch wiederzusehen.«

»Seid Ihr es, Junker?« gab Mechthildis zurück, den Mantel abwerfend, der sie auf dem Wasser hatte vollends unsichtbar machen sollen. »Auch ich atme auf, daß ich wieder bei Euch bin, obwohl die guten Leute zehnmal ihr Leben aufs Spiel gesetzt haben, um uns in sicherer Obhut zu halten. – O! wenn Ihr wüßtet, was ich in den letzten Stunden habe sehen müssen! – Zu Hunderten fortgeschleppt, diese armen Menschen! Greise, Frauen, Kinder! Viele in ihren Häusern gemordet. – Wir von Ort zu Ort geflüchtet, und überall dasselbe Grauen! – Ich konnte es nicht länger mit ansehen.«

»Aber warum seid Ihr nicht schon am Morgen gekommen, Fräulein, wie es verabredet war?«

»Weil der Kalif uns zuvorgekommen ist! Unsere Freunde hatten angenommen, daß das schreckliche Schauspiel erst mehrere Stunden später stattfinden würde. Als wir Kunde davon erhielten, war es zu spät, und der wackere Zenab hatte eben noch Zeit, Euch den Fürsten zu Hilfe zu senden.«

»Also bist du es, dem wir unsere Rettung verdanken?« sagte der Junker, dem Kopten die Hand reichend. »Ich dachte mir's wohl und danke dir.«

»Aber führt uns nun zum Fürsten,« fuhr Mechthildis fort. »Die guten Leute haben schon so viel für uns getan, daß es an der Zeit ist, ihnen auch einmal unseren guten Willen zu bezeigen.«

»Ich will den Fürsten sogleich aufsuchen,« antwortete der Junker, »und bitte Euch hier zu gedulden, bis ich zurückkehre.«

Er eilte nun zu dem Turm, in dem man in der Kammer der Wächter dem Fürsten sein Lager bereitet hatte.

Man weckte den Fürsten, und als er den Grund der Störung vernahm, machte er sich sofort bereit, den Junker zu begleiten, um das Fräulein zu begrüßen.

»Ei,« rief er freudig aus. »Da hätten wir ja unsere Aufträge erfüllt, ohne die schuftigen Sarazenen auch nur gesehen zu haben. Und alles das verdanken wir dem tapferen Junker?«

»Nein, Herr!« antwortete Dietrich. »Der Dank gebührt diesem Manne hier und seinen Freunden, die ich in Ehrfurcht Eurer Huld empfehlen möchte.«

»Was?« rief der Fürst, erst jetzt die unheimliche Gestalt des Kopten bemerkend. »Ist das nicht derselbe Mann, der mich heute morgen am Tore hieß, nach dem Steigbügel zu schauen?«

»Ja, Herr!« antwortete Zenab, sich vor ihm niederwerfend. »Und ich beschwöre dich bei Christus, dem Gekreuzigten, unserem Tröster und Heiland, hilf uns! – Hilf uns, Herr! Laß uns nicht umkommen unter den Schwertern der Heiden! Laß unsere heilige Kirche nicht untergehen in ewiger Finsternis! – Aus tiefster Not flehen wir dich an: Hilf uns! – Hilf uns, Herr!«

Verwundert blickte der Fürst auf den seltsamen Mann, dessen Bitten er nicht verstand, bis Mechthildis ihm die Erklärung dazu gab.

Mit beredten Worten schilderte sie die unendliche Not der unglücklichen Kopten, rühmte ihre unerschütterliche Treue im Glauben und die Aufopferung, mit der sie sich ihrer angenommen hätten, berichtete, was sie ihnen als Gegenleistung für ihre Dienste gelobt habe, und beschwor den Fürsten, ihr behilflich zu sein, ihre Versprechungen einzulösen.

Mit Freuden versprach der Fürst, alles zu tun, was in seinen Kräften stehe, und nun warf sich der Kopte abermals vor ihm nieder, küßte seine Schuhe und den Saum seines Gewandes und rief: »O Herr! Wenn dein mächtiger Schutz uns sicher ist, brauchen wir nicht zu verzagen. Dich hat Gott gesandt, um unsere Trübsal zu enden!«

»Erwarte nicht zu viel, guter Freund!« unterbrach ihn der Fürst. »Vorläufig wäre uns selbst ein mächtiger Schutz vonnöten, und zum mindesten ein zuverlässiger Bote, den wir um Entsatz an die Küste senden könnten; denn wie mich dünkt, hat man nichts Gutes mit uns im Sinn!«

»Der Bote, Herr, liegt hier zu deinen Füßen!« rief der Kopte. »Heiße mich, wohin ich gehen soll, und kein Schlummer soll über mich kommen, bis ich deinen Auftrag erfüllt habe.«

»So eile nach Alexandrien, wo meine Schiffe liegen, – es sind Venezianer, – du erkennst sie an dem Löwen, den sie am Bug führen. – Dort lasse dich zu ihrem Führer bringen – dieser Ring wird dir Eingang verschaffen, – und melde ihm alles, was du von uns weißt und daß wir ihn dringend ersuchen, so schnell als möglich die Heere heranzuschaffen, die bei Gazza und Joppe bereit stehen. – Hilfst du uns so die Übermacht gewinnen, so will ich auch eure Sache bei den Verhandlungen nicht vergessen, und bescheret uns Gott eine glückliche Heimkehr, so soll meine erste Aufgabe sein, euch die Kapelle zurückzuverschaffen, von der ich ja selbst weiß, daß sie euch zukommt!«

»Herr!« rief der Kopte in leidenschaftlicher Freude. »Wenn Gott seine Hand über mir hält, so bin ich schon morgen früh in Alexandrien. Ein Boot steht bereit und die Strömung ist gut. Haltet euer Versprechen und betet für mich!« – Damit sprang er auf, stürzte sich in den Strom und war im nächsten Augenblick in den sich überschlagenden Wogen verschwunden.

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