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Hermann von Camp

Tiefe Stille herrschte weit und breit in der einförmigen Landschaft. Nur das gleichmäßige Knarren einer Sakije ließ sich vernehmen, eines Schöpfwerkes, wie es schon die Bauern der Pharaonenzeit benutzten und wie es auch heutzutage noch überall in Ägypten gebräuchlich ist, um die höher liegenden, von der Überschwemmung nicht berührten Felder zu bewässern. Es besteht aus zwei Rädern, einem horizontalen und einem vertikalen.

Das erstere wird von einem Ochsen getrieben und überträgt seine Bewegung auf das aufrecht stehende, an dessen Speichen Tonkrüge das Wasser aus einem mit dem nächsten Kanal in Verbindung stehenden Graben schöpfen und es oben in eine auf das Feld führende Rinne ausschütten.

Dort, wo das Wasser den von der Sonnenglut zerborstenen Erdboden aufgeweicht hatte, streute ein brauner Fellache in blauem Hemd aus einem Bastkorbe, den er im linken Arm trug, Samen über das schlammige Feld aus, während dicht neben ihm ein anderer Mann bemüht war, das noch nicht bewässerte Land mit einer Haue zu lockern.

Auch die starken Glieder dieses Mannes waren in ein leichtes Fellachengewand gehüllt, und auf dem graubärtigen Kopfe trug er die landesübliche kleine braune Filzkappe. Aber seine Hautfarbe war nicht braun, sondern hell, an der Seite hing ihm ein breites Schwert, und die ganze Bildung seines Körpers und Gesichtes ließ erkennen, daß seine Vorfahren nicht von den Erbauern der Pyramiden abstammten.

»Herr!« sagte der Ägypter, nachdem er ihm eine Weile kopfschüttelnd zugeschaut hatte, »Herr! die Sonne brennt heiß, und es wäre besser, jetzt in der Hütte zu liegen, als sich den Buckel rösten zu lassen. Ich wollte mich wohl hüten, einen Finger zu rühren, wenn mir nicht die Peitsche des Steuerschechs auf dem Nacken säße, und du mühst dich ab, obgleich du es gar nicht nötig hast?«

»Bei der Arbeit vergißt man die Sorgen,« antwortete der andere, ohne sich in seiner Beschäftigung stören zu lassen. »In meiner Heimat gibt es ein Sprichwort. Es heißt: ›Arbeit macht das Leben süß.‹ Ich habe nie so wie jetzt gefühlt, wie wahr es ist. Was sollte ich wohl den ganzen Tag über anfangen, wie sollte ich wohl dieses Leben ertragen, wenn du mich nicht als Gehilfen angenommen und mir gestattet hättest, auf deinem Felde die alten Knochen zu rühren, die in ihrem Leben das Stillsitzen nicht haben vertragen können. Mit jedem Schweißtropfen, den ich verliere, siehst du, fällt eine Sorge von mir, und wenn ich die müden Glieder des Abends zur Ruhe lege, bin ich so viel von dem Sorgenbündel losgeworden, daß ich schlafen kann. – Gönne mir also die Arbeit, guter Murak, sie ist das köstlichste Geschenk Gottes für den, der unglücklich ist!«

.

Durch die Stille ließ sich das Knarren einer Sakije vernehmen.

»Ja, ja, mag sein,« warf der Ägypter lachend ein, »aber der Glückliche kommt ohne sie aus.«

»Das sage nicht! – Für den Glücklichen ist sie die gute Freundin, die ihn vor Übermut und Verweichlichung bewahrt. Das höchste Gut, das uns armen Erdenpilgern beschert sein kann, ist ja doch die Gesundheit. Die aber erhält man sich nur, wenn man tüchtig zugreift – und ich würde meine gesunden Glieder nicht mit dem dicken Bauche des reichsten Paschas vertauschen wollen. Seit ich hier in Ägypten gefangen bin, habe ich mich noch nie so wohl gefühlt, als hier bei dir. – Arbeiten und den lieben Gott preisen: Was darüber ist, sage ich dir, Murak, ist vom Übel! – Aber ich fürchte nur, die gute Zeit wird nicht mehr lange dauern. – Siehst du dahinten den Boten, der auf dem weißen Esel so schnell über den Damm auf uns loskommt? Es sollte mich sehr wundern, wenn seine Eile nicht mir gelten, wenn er meinen guten Freunden dahinten nicht den Befehl bringen würde, mich wieder von hier fortzuschleppen; wer weiß wohin?«

Erschreckt hielt der Bauer, der seinen Gast nicht nur deswegen lieb gewonnen hatte, weil er umsonst für ihn arbeitete, mit Säen inne und blickte nach dem Reiter hinüber, der auf seinem flinken Langohr in flotter Gangart heraufkam.

»Ja, ja,« sagte er beklommen. »Vom Steuerschech ist er nicht. Es ist schon möglich, daß er zu dir kommt. Aber weshalb sollten sie dich denn schon wieder von hier fortholen? Du bist doch kaum seit Vollmond hier und morgen ist erst wieder Neumond.«

»Das sind auch bald vierzehn Tage! Was meinst du, was ein gefährlicher Staatsgefangener in vierzehn Tagen nicht alles aushecken kann!« antwortete der Franke mit heiterem Spott. »Seit ich damals den Versuch gemacht habe, meine Herrin zu sprechen, die sie auf der Insel Roda gefangen halten, gelte ich nämlich für einen Erzschelm und Ränkeschmied, und seitdem werde ich herumgejagt wie ein Schiff, das in den Wirbelsturm geraten ist. Es ist nur gut, daß das Steuer bei mir von so derbem Holze ist. So leicht sollen sie mich nicht aus dem Kurse bringen, und der Tag wird schon kommen, wo der Wind wieder anders weht!«

Dabei hatte er sich hoch aufgerichtet und erwartete mit entschlossener Miene die Ankunft des Boten, der jetzt von dem großen Damm ab in den Feldweg eingebogen war, der nach Muraks einsam hart am Rande der Wüste liegender Hütte führte.

Gleich darauf wurden vor dem Zelte, das dicht hinter der Hütte im Schatten einer kleinen Gruppe von Dattelpalmen stand, kriegerische Gestalten sichtbar. Der eine von den Soldaten lief dem Boten entgegen, und man hörte, wie dieser ihm schon von weitem zurief, sie sollten sofort ihr Zelt abbrechen und den fränkischen Ritter noch heute nach der Hauptstadt zum Kalifen führen.

»Siehst du wohl, guter Murak,« sagte der Franke, die Haue in den Boden schlagend. »Der Sturm bläst aufs neue in die Segel, und diesmal geht es wieder schnurstracks auf die Klippen los, in denen sie mich gern festhalten möchten. Aber sie sollen sich auch diesmal verrechnet haben! – Leb wohl! Und wenn aus deinen Äckern die Saat aufsprießt, so denke an den, der sie dir hat umgraben helfen. – Ich möchte dir wohl ein Gastgeschenk zurücklassen. Aber ich habe nichts als dieses Schwert und das alte Wams, das ich nun wieder gegen deinen Kittel vertauschen muß. – Nimm also mit diesem Händedruck vorlieb und mit der Versicherung, daß ich Gott bitten werde, dir deine Freundlichkeit zu lohnen und deine Felder zu segnen.«

Wenige Stunden darauf stand Hermann von Camp am Vordermast des schnell den Strom hinabfahrenden Nilschiffes, mit klopfendem Herzen die Bananengärten der Insel Roda erwartend. Es brannte ihm auf der Seele, daß er sein Versprechen, die Tochter seines Herrn aufzusuchen, nicht hatte einlösen können, und er hoffte, ihr im Vorüberfahren ein Zeichen geben zu können.

Endlich tauchte links neben ihnen der kleine Kiosk auf, in dem der Kalif Sulêmân im Jahre 716 n. Chr. den Nilmesser hatte anlegen lassen, einen mit dem Strom in Verbindung stehenden Brunnen, in dem eine mit Maßen versehene Säule den Wasserstand des Nils bezeichnete. Hier war die Südspitze der Insel Roda, und gleich darauf leuchtete aus dem üppigen Grün der Gärten die goldene Kuppel des Schlößchens auf, das Mechthildis ihm damals als ihren Aufenthaltsort bezeichnet hatte.

Aber der Ritter blickte vergeblich nach ihr aus, und bald erfuhr er, daß die fränkische Fürstin gar nicht mehr auf der Nilinsel hause, sondern schon vor mehreren Tagen nach dem Palast in Memphis übergesiedelt sei.

* * *

Oben im Serai zu Kairo herrschte große Aufregung. Ein Kundschafter hatte die Nachricht gebracht, daß der Sultan Buzi sich mit den Christen verglichen habe, und daß das Heer des Königs von Jerusalem nun nach Joppe und Gazza gerückt sei, um bei nächster Gelegenheit gegen Ägypten aufzubrechen.

Der Kalif raste, und in seinem ersten Zorn gegen seine Ratgeber, die ihn verhindert hatten, den Christen zuvorzukommen und selbst in ihre Grenzen einzufallen, solange diese von Kriegern entblößt waren, hatte er befohlen, sie alle, den Wesir in erster Reihe, hinzurichten.

Später allerdings hatte er sich überlegt, daß dieser Befehl ihm selbst leicht Krone und Leben kosten könnte; denn trotz allen Scheines von Selbstherrlichkeit fühlte er wohl, daß sich die eigentliche Macht längst nicht mehr in der Hand des Kalifen, sondern in der des Wesirs befand, der es wohl verstanden hatte, das Heer für sich zu gewinnen.

Er nahm also den Befehl auf die Vorstellungen des Befehlshabers der Palastwache wieder zurück und begnügte sich damit, zur Besänftigung seines Grimmes einigen armen Leuten von Fostât, die des geheimen Christentums verdächtigt worden waren, die Köpfe abschlagen zu lassen und zu verkündigen, daß es allen ebenso ergehen würde, die es wagen sollten, seinen Befehlen zuwider zu handeln.

Aber auch der Wesir hatte seine Meinung geändert. Der Feldzug in Nubien hatte mit einem entschiedenen Siege der Ägypter geendet. Das Heer befand sich bereits auf dem Rückmarsche und konnte bei dem günstigen Stande der Nilschiffahrt binnen wenigen Tagen bei Kairo versammelt sein. Er hielt also die Zeit jetzt für gekommen, dem Wunsche seines Herrn zu willfahren und einen Einfall in das christliche Königreich zu unternehmen.

Die Tatsache, daß ein Teil des christlichen Heeres noch kriegsbereit bei Joppe und Gazza stand, störte den Wesir dabei nicht. Seit die venezianischen und genuesischen Flotten vor der syrischen Küste kreuzten, war an einen erfolgreichen Angriff vom Meere her nicht mehr zu denken. Wohl aber ließ sich vom Sinai her ein Einfall bewerkstelligen, wenn es gelang, Petra in Besitz zu nehmen und von dort aus, im Rücken der christlichen Heere, mit schnell vorgeworfenen Reiterscharen nach Jerusalem vorzudringen. Und dazu erschien die Gelegenheit jetzt günstiger denn je.

Der Graf befand sich, wie der Kundschafter ebenfalls gemeldet hatte, noch immer bei den Templern in Jerusalem.

Sein Aufgebot war mit den anderen Truppen nach Joppe gezogen. In Petra selbst lag also nur eine kleine Besatzung, die freilich bei der großen Enge der Gebirgspässe, ohne deren Besitz ein Vormarsch nach Norden unmöglich war, immerhin ausreichte, um selbst einer bedeutenden Übermacht den Durchmarsch zu verwehren.

Diese Besatzung aber war leicht unschädlich zu machen, wenn eine List gelang, die der Wesir ausgesonnen hatte, und um diese List ins Werk zu setzen, war Hermann von Camp so eilig nach Kairo gebracht worden.

Der Ritter erwartete nicht anders, als daß er in gewohnter Weise gedrängt werden würde, seine Landsleute zu verraten. Er kannte die Drohungen, mit denen man ihn dabei gefügig zu machen suchte, und war vollkommen gefaßt darauf, daß sich infolge seiner abermaligen Weigerung sein Los noch mehr verschlechtern würde.

An seiner Gesinnung vermochte das alles nichts zu ändern. Mehr als sein Leben konnten sie ihm ja doch nicht nehmen, und das war sowieso seit mehr als dreißig Jahren der Sache Christi geweiht.

Seine Antwort stand fest, und nur die Sorge um Mechthildis beunruhigte ihn. Gewiß hatte man sie nur deswegen nach Memphis gebracht, weil man fürchtete, er könne bei seiner Anwesenheit in Kairo doch Mittel und Wege finden, um mit ihr in Verbindung zu treten. Die Ungewißheit über ihr Schicksal und die Unmöglichkeit, ihr zu helfen, peinigten ihn, und deshalb quälte ihn der Gedanke, daß er auch diesmal wieder als ein wehrloser Gefangener vor dem Kalifen stehen sollte.

Dazu kam noch, daß er seit vielen Monden fast ohne jede Nachricht aus der Heimat geblieben war.

Das einzige waren die paar Worte gewesen, die er damals mit Mechthildis hatte wechseln können. Sie hatten ihn zwar über eine Frage beruhigt, die ihn früher oft mit Bitterkeit erfüllte, über die Frage nämlich, warum nichts geschehen war, um ihn auszulösen? Wenn man nicht einmal im stande war, die Tochter des Grafen zurückzufordern, war es nur allzu erklärlich, daß er, der Vasall, so lange in der fremden Haft hatte bleiben müssen.

Aber in dieser Erklärung barg sich eine neue und größere Beunruhigung: Lag die Sache der Christenheit so im argen, daß man ruhig zusehen mußte, wie die Sarazenen christliche Fürstinnen raubten? Wie mochte es um den König stehen und um den Grafen? Und wo war Dietrich, sein Sohn, der doch gewiß nichts unversucht gelassen haben würde, um den Vater zu befreien?

All diese Gedanken gingen dem Ritter durch den Kopf, während er an den verlassenen Gärten von Roda vorüberfuhr, und mit ihnen beschäftigt, achtete er kaum darauf, daß das Schiff an dem Hafen der gewöhnlichen Nilboote vorüberglitt und erst eine Strecke weiter stromabwärts in einer kleinen Bucht am Südende der Insel Bulak anlegte, wo nur die Fahrzeuge des Kalifen vor Anker zu gehen pflegten.

Erst als er den Ruck des auffahrenden Kieles fühlte, wurde er darauf aufmerksam, und da er mit der Örtlichkeit wohl vertraut war, dachte er nicht anders, als daß man ihn nun in das gefürchtete Gefängnis schleppen werde, in das man gewöhnlich die heimlichen Christen steckte, bevor sie in den grausamen Kampfspielen auf der Insel Bulak vor den Augen des Kalifen von wilden Tieren zerrissen wurden.

Wie groß aber war sein Erstaunen, als ihn am Land ein feierlich gekleideter Hofbeamter erwartete, um ihm unter einem Schwall von Höflichkeitsbezeigungen und Schmeicheleien zu verkünden, sein erhabener Herr, der Kalif, bedaure aufrichtig, daß durch eine Reihe von Mißverständnissen dem edlen Ritter eine Behandlung zu teil geworden sei, die seinem hohen Stande und seiner berühmten Tapferkeit nicht gebühre. Der Kalif habe aber Sorge getragen, daß dergleichen nicht wieder vorkomme, und lade den edlen Ritter ein, bis zum Abschluß der bevorstehenden Verhandlungen sein Gast zu sein.

Der Ritter wußte zuerst kaum, was er zu dieser plötzlichen Veränderung sagen sollte. In seiner Biederkeit, die immer annahm, daß alle Menschen es so ehrlich meinten wie er selbst, und in der ihn auch die vielen schlimmen Erfahrungen, die er in dieser Beziehung während seiner Haft schon mit den Sarazenen gemacht hatte, nicht hatten beirren können – in seiner Biederkeit kam er gar nicht auf den Gedanken, daß es sich hierbei nur um eine neue Hinterlist des Wesirs handle.

Er erklärte sich in seiner unverwüstlichen Seelenfreudigkeit, die stets geneigt war, die Dinge von der besten Seite zu sehen, den Umschwung vielmehr dadurch, daß die Christen irgendwelche großen Vorteile errungen und den Kalifen gezwungen hatten, klein beizugeben und vielleicht gar die Geiseln zurückzuschicken.

Er sah sich im Geiste schon auf der Heimreise mit seiner jungen Herrin und malte sich die Freude des Grafen aus, wenn er seine Tochter wiedersehen würde. Auch an seinen Sohn dachte er, wie jetzt in letzter Zeit so oft, und dabei wurde ihm das Herz so warm und das Auge so feucht, daß er darüber ganz den Höfling vergaß, der noch immer in ehrfurchtsvoller Haltung dastand und die Antwort auf seine überraschende Botschaft erwartete.

»Ach so!« rief der Ritter, sich endlich seiner erinnernd, mit fröhlichem Lachen aus. »Ich vergaß ganz, dir für die angenehme Kunde zu danken. Natürlich ist mir die Aussicht auf eine ritterliche Behandlung lieber als das Hundeleben, das man mich bisher hier hat führen lassen, und wenn sie wirklich ernsthaft gemeint ist, nehme ich die Gastfreundschaft deines Herrn mit Freuden an, obwohl ich nicht recht weiß, wie ich in diesem Aufzuge« – dabei wies er auf sein verschlissenes Wams – »würdig vor ihm erscheinen soll, um ihm meinen Dank abzustatten.«

»O Herr!« antwortete der Höfling unter fortgesetzten Verbeugungen. »Diese Sorge darf dein erhabenes Herz nicht bedrücken. In dem Gemache, das dein edler Fuß mit seiner Berührung auszeichnen wird, liegen kostbare Gewänder genug für dich bereit. Wenn du nur die Gnade haben willst, dich jetzt diesen Trägern anzuvertrauen.«

Damit lud er den Ritter ein, in einer mit Purpur ausgeschlagenen, reich vergoldeten Sänfte Platz zu nehmen, in die er dann ebenfalls einstieg, um den Ritter, sich ehrfurchtsvoll auf dem Rücksitz haltend, nach dem Kalifenpalaste zu geleiten.

Auch hier wurde dem Ritter heute ein anderer Empfang zu teil, als er ihn sonst gewohnt war, und selbst der gewaltige Befehlshaber der Palastwache, der ihn früher immer sehr von oben herab behandelt hatte, erwartete ihn diesmal mit über der Brust gekreuzten Armen und einer Flut von demutsvollen Redensarten.

Was den Ritter aber besonders freute, war, daß man es nicht mehr für nötig zu halten schien, ihn mit einer Wache zu umgeben.

Was hatte er sich oft über diese aufdringlichen Burschen geärgert, die immer wie die Spürhunde an ihm herumschnüffelten und sich so unverschämt an seine Sohlen hängten, daß er einmal zu Murak in bitterem Scherz gesagt hatte: »Was bin ich doch für ein glücklicher Mann! Ich habe elf Schatten statt einen!«

In seiner Freude schickte er, nachdem man ihn in sein Gemach geführt hatte, auch die Sklaven fort, die ihm zur Bedienung beigegeben waren. Er wollte das Glück, endlich einmal wieder allein zu sein, ordentlich genießen.

Die Arme reckend, als wären sie eben von lange getragenen Ketten frei geworden, ging er geraume Weile mit großen Schritten in dem weiten Zimmer auf und ab und warf sich endlich auf die Knie, um aus inbrünstigem Herzen Gott für diese Gnade zu danken.

Dann machte er sich daran, unter den Gewändern zu wählen, die auf einem Tische am Fenster ausgebreitet lagen.

Es waren kostbare Hofkleider darunter, wie sie die Venezianer in den Hafenstädten des Morgenlandes feilboten: das Wams von buntem flandrischem Samt und reich mit Gold bestickt. Daneben lagen aber auch einfachere aus gediegenem Hirschleder mit eisernen Buckeln und Schnallen, und das einfachste unter ihnen dünkte dem Ritter gerade schlicht genug.

»Das wäre so nach meinem Sinn,« dachte er dabei, »wie der Ritter Guiscard als Modeheld herumlaufen und sich in Bänder und Schleifen zu verfangen, wenn man nach dem Schwert greifen will!«

Er mußte laut auflachen bei diesem Gedanken, wie es meist der Fall war, wenn ihm der eitle Normanne in den Sinn kam; er ahnte ja nicht, was dieser Mann ihm angetan hatte!

Aber auch so wurde es ihm noch schwer genug, sich von seinem alten Wams zu trennen, das in so vielen schweren Tagen getreulich mit ihm ausgehalten hatte, und während er es zögernd ablegte, mußte er wieder aller der Sorgen gedenken, die er durchlebt hatte, seit der brave alte Hen es ihm damals vor der Abreise von Petra zugenestelt hatte.

Schon in Petra hatte es angefangen. Eine innere Stimme hatte ihn damals davor gewarnt, in Begleitung Guiscards zu reisen. Aber der Graf hatte darauf bestanden.

»Mein tapferster Kriegsmann und mein gewandtester Redner,« hatte er gemeint, »die beiden werden sich am besten ergänzen und am leichtesten das Ziel erreichen, das ich mit dieser Botschaft im Auge habe.«

»Der gewandteste Redner – pah! Er hat was Schönes angerichtet mit seiner albernen Salbaderei,« dachte der Ritter, während er sich abmühte, das neue Wams seiner Gestalt anzupassen.

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Der Ritter warf sich a»f die Knie, um aus inbrünstigem Herzen Gott für die empfangene Gnade zu danken.

Die ritterliche Alltagstracht zu Anfang des zwölften Jahrhunderts war noch nicht von so umständlicher Bauart wie die heutigen Herrenmoden. Ein solches Gewand saß schließlich an jedem Körper, der an Länge und Breite nicht gar zu sehr von dem Durchschnitt abwich und Kopf und Arme hatte, um sie durch die dafür bestimmten Löcher zu stecken. Aber der wackere Camper hatte seit dem Tode seiner Gattin nicht allzuviel Sorgfalt mehr auf seine Toilette verwendet, und es gab für ihn nichts Unbehaglicheres als ein neues Gewand. Endlich kam er aber doch damit zu stande, und als der Kämmerer eintrat, um ihn zum Kalifen zu bescheiden, hielt sich der Ritter für geschniegelt genug, um vor den Augen seines hohen – »Gastfreundes« mit Ehren bestehen zu können.

Der Empfang fand mit großem Pomp in dem Prunksaale statt, in dem vor einigen Wochen auch Mechthildis vor dem Sprößling des Propheten erschienen war. Auch die dabei beobachteten Förmlichkeiten vollzogen sich in ganz ähnlicher Weise, nur daß der Ritter nicht der Ehre für würdig befunden wurde, vor dem König der Könige zu sitzen, und daß dieser seine Verbeugung nur durch eine leichte Handbewegung erwiderte.

Der Ritter machte allerdings auch keine allzu großen Umstände und fragte, nachdem er sich in schlichten Worten für die erwiesenen Freundlichkeiten, die freilich etwas lange auf sich hätten warten lassen, bedankt hatte, rund heraus, was man von ihm wünsche.

»Mein erhabener Herr wünscht einen Dienst von dir, edler Ritter, der ihm sehr am Herzen liegt,« antwortete der Wesir, der auch diesmal wieder das Wort für den Kalifen nahm. »Die große Fürstin, deine Herrin, die als Gast im Lande meines erhabenen Herrn weilt, begehrt in die Heimat zurückzukehren, und da mein erhabener Herr nichts ungeschehen lassen möchte, die Erinnerung zu verschönen, die sie von hier mit sich nimmt, so erscheint ihm niemand würdiger, sie zu ihrem erlauchten Vater zurückzugeleiten, als du, edler Ritter.«

»Was? – Nach Hause?« rief der Ritter, unfähig, die Derbheit seines Freudenausbruches zu dämpfen, während ihm die Tränen in die Augen traten. »Habe ich wirklich recht gehört? Wir sollen – nach Hause? – O, Herr! Ich habe dir oft gegrollt, wenn deine Schergen mich herumhetzten, als wäre ich ein rechtloser Gefangener, und nicht ein ritterlicher Bürge, dessen Unverletzlichkeit durch die ewigen Gesetze der Völker besiegelt ist. Aber dieses eine Wort – nach Hause! – macht alles wieder gut. – Sage, wann wir reiten sollen, und diese Augen sollen sich nicht eher wieder zum Schlummer schließen, als bis sie ihre junge Herrin an der Brust ihres Vaters haben liegen sehen!«

»Wenn es dir genehm ist, so brecht ihr noch heute von Memphis auf,« entgegnete der Wesir. »Denn dort weilt deine erlauchte Herrin, und dort stehen am anderen Ufer des Stromes, an der Straße nach Kolzum, auch die Paschas bereits, die euch begleiten sollen.«

»Die Paschas?« fragte der Ritter, stutzend. »Wozu braucht es der Paschas? Gebt uns ein paar Knechte, die uns die Zelte aufschlagen. Im übrigen finden wir unseren Weg schon selbst.«

»Es würde sich wohl wenig ziemen, eine so edle Fürstin mit ein paar Knechten reisen zu lassen,« antwortete der Wesir. »Mein erhabener Herr wünscht vielmehr, daß dieser Zug mit all dem Glanze ausgestattet sei, der einer Tochter des großen Grafen von Petra zukommt. Deshalb werden zehn der angesehensten Würdenträger dieses Landes mit ihren Kriegern euch das Geleit geben.«

»Zehn Paschas mit ihren Kriegern?« wiederholte der Ritter leise vor sich hin.

Hätte er geahnt, daß der Graf mit seinem Heerbann weit von Petra fern war, und daß die zehn Paschas mit ihren Kriegern nur den Vortrab eines großen Heeres bildeten, dem sie durch Verrat die Tore der sicheren Bergfeste öffnen sollten, er hätte die Ränke des schlauen Wesirs bald durchschaut.

Da er aber annehmen mußte, daß daheim alles im gewohnten Gange war und daß bei der Stärke der Besatzung von Petra die zehn Paschas mit ihren paar hundert Kriegern in der Tat keinen anderen Zweck haben konnten, als den einer fürstlichen Ehrung und einer wohlverdienten Genugtuung, so überwand er die Bedenken, die sich ihm anfangs unwillkürlich aufgedrängt hatten, und wollte eben erklären, daß er, wenn es nicht anders sein solle, auch damit einverstanden sein wolle, als der Teppich am Eingang zum Saale hastig zurückgeschlagen wurde und das Erscheinen eines in großer Aufregung hereinstürzenden Boten die Verhandlung unterbrach.

Zornig erhob sich der Kalif und rief: »Wer wagt es, sich ohne Befehl meinem Angesichte zu nahen?«

»Ein treuer Diener, Herr!« antwortete der Bote, indem er sich vor dem Kalifen auf den Boden niederwarf. »Ein treuer Diener, großer Gebieter, dessen Kunde keinen Aufschub duldet.«

»So rede,« sagte der Kalif. »Aber wehe dir, wenn die Wichtigkeit deiner Nachricht nicht deine Kühnheit rechtfertigen sollte!«

»Ich komme von Alexandrien, Herr,« begann der Bote, ohne sich vom Teppich zu erheben. »So schnell, als mein Pferd mich nur tragen wollte. Denn dort sind heute morgen drei venezianische Schiffe gemeldet worden. Sie sollen von Joppe kommen, und man sagt, daß sich eine große Gesandtschaft vom König von Jerusalem auf ihnen befände, an die hundert Ritter und –«

»Schweig, du elender Schwätzer!« unterbrach ihn plötzlich mit drohender Gebärde der Wesir, nachdem er mit dem Kalifen, der wieder in heftiger Erregung aufgesprungen war, einige Blicke gewechselt hatte. »Willst du deinem erhabenen Gebieter die venezianischen Galeeren melden, die er selbst nach seinem Lande beschieden hat und die keine Ritter, sondern Kaufleute bringen? – Hinaus mit ihm! Und fünfzig Rutenhiebe für seine Frechheit!«

Im Nu hatte sich ein halbes Dutzend Sklaven über den unglücklichen Boten geworfen, um ihn hinauszuschleppen und die über ihn verhängte Strafe zu vollziehen.

Kopfschüttelnd blickte ihm der Ritter nach, und es wollte ihn bedünken, als habe dem armen Boten weniger sein übergroßer Eifer die Ruten eingetragen, als der Umstand, daß er seine Nachricht in Gegenwart eines Fremden vorgebracht hatte, der sie nicht hätte hören sollen. Aber man ließ dem Ritter nicht lange Zeit, darüber nachzudenken.

Kaum war der Bote hinaus, so wandte sich der Wesir wieder an ihn und sagte mit lächelnder Miene, als wäre inzwischen gar nichts vorgefallen: »Verzeihe, daß die Ungeschicklichkeit eines elenden Sklaven dich in deiner Antwort unterbrochen hat, edler Ritter. Aber ich nehme an, daß sie nicht anders lauten wird, als die unendliche Großmut meines erhabenen Gebieters es verlangt. – Wenn du dich also von dem großen Fürsten verabschieden willst, der dir in so reichem Maße seine Gnade hat zu teil werden lassen, so steht deiner Abreise nichts mehr entgegen. Das schnellste Roß soll dich nach Memphis tragen, und es hängt nur von dem Wunsche deiner edlen Herrin ab, daß ihr noch heute den Heimweg antretet.«

Aber der Ritter war durch die übergroße Bereitwilligkeit, sie jetzt plötzlich so schnell in die Heimat gelangen zu lassen, nachdem man es vorher so wenig eilig damit gehabt hatte, nur noch mehr in der Annahme bestärkt worden, daß es mit der Ankunft der Gesandtschaft doch seine Richtigkeit habe und daß in der eiligen Heimsendung irgend eine sarazenische Hinterlist verborgen sei.

Er beschloß also, zunächst erst einmal abzuwarten, ob sich die Nachricht aus Alexandrien bestätigen würde, und erklärte in seiner Antwort so vorsichtig, als es seiner offenen, derb zugreifenden Natur nur irgend möglich war, er könne seiner Herrin einen so plötzlichen Aufbruch doch nicht zumuten und erbitte sich wenigstens Gelegenheit, sich vorher mit ihr darüber beraten zu können.

Diese Antwort schien aber in hohem Grade das Mißfallen des Kalifen zu erregen; denn der Gewaltige entschloß sich jetzt selbst, das Wort an den Ungläubigen zu richten und ihm in drohendem Tone zuzurufen, ob er nicht gehört habe, daß er, der Abkömmling des Propheten, ihre sofortige Abreise wünsche, und ob er nicht wisse, daß der Wunsch des Königs aller Könige ein Befehl sei, auf dessen Nichtbefolgung der Tod stehe.

Dadurch ließ sich der Ritter jedoch nicht einschüchtern.

»Mir hat hier niemand etwas zu befehlen als meine Herrin!« antwortete er stolz. »Und bevor man mir nicht Gelegenheit gegeben hat, ihren Willen kennen zu lernen, werde ich mich in dieser Sache nicht entscheiden.«

»Du wagst also, dich meinem Gebote zu widersetzen?« rief der Kalif in wildem Zorn, während die Würdenträger mit erschreckten Gesichtern den kühnen Franken anstarrten. »Noch einmal frage ich dich, ob du meinem Befehl gehorchen und noch heute dich auf den Weg machen willst?«

»Ich werde reiten, sobald meine Herrin es bestimmen wird, und keine Stunde eher!« antwortete der Ritter fest.

»So sollst du wissen, ungläubiger Hund, wie man in diesem Lande Ungehorsam ahndet. – Legt ihn in Ketten! Hinab mit ihm nach Bulak! – Was ich weiter über ihn beschließe, werdet ihr später erfahren!«

»Ich erhebe Einspruch gegen dieses Verfahren! – Ich lebe als Geisel des Grafen von Petra in diesem Lande. Niemand hat ein Recht, mich anzurühren!« rief der Ritter, das Schwert aus der Scheide reißend.

Aber im nächsten Augenblicke hatte man es ihm von hinten entwunden und ihm die Arme auf dem Rücken gefesselt. Und ohne daß er noch einmal zu Worte kommen konnte, sah er sich von einer großen Schar von Kriegern umringt, die ihn mit sich aus dem Saale schleppten.

Als der Ritter, der, der Übermacht weichend, sich bald in sein Schicksal ergeben und dadurch wenigstens erreicht hatte, daß ihn die Schergen ruhig in ihrer Mitte gehen ließen, eben aus dem Tore des Palastes getreten war, bemerkte er vier Reiter den Weg von der Stadt heraufkommen: einen Ritter und drei Knechte.

Sofort schnellte die Hoffnung wieder in ihm auf, die er überhaupt noch nicht ganz verloren hatte. Denn wer konnte das anders sein als der Vortrab der Gesandtschaft, die vielleicht schon vor den Toren der Stadt hielt und ihn mit leichter Mühe befreien würde. So rasch seine Umgebung es erlaubte, eilte er vorwärts und erkannte nun, daß es Guiscard von Rouen war.

In der Tat war es dem Normannen auch diesmal gelungen, sich bei dem Führer der Gesandtschaft, dem jungen Fürsten von Antiochien, einzuschmeicheln und die Erlaubnis von ihm zu erlangen, schon in Thamiatis, dem heutigen Damiette, an Land zu gehen und im voraus nach Kairo zu reiten, angeblich, um die Gesandtschaft bei dem Kalifen anzumelden, in Wirklichkeit aber, um nach dem Opfer seines schändlichen Verrates Umschau zu halten und nötigenfalls Vorkehrungen zu treffen, um den Camper beiseite zu schaffen und durch neue Ränke die Spur seiner Untat zu verwischen.

Als er jetzt aber den Ritter auf sich zukommen sah, erbleichte er, und erst als er bemerkte, daß er in Ketten ging, gewann er die Fassung wieder, wandte sich, um sich den Anschein zu geben, als habe er den Ritter nicht gesehen, nach seinen Knechten um und suchte auf diese Weise an ihm vorbeizukommen.

Aber schon hatte der Camper ihm den Weg verstellt, und ohne auf die drohenden Mienen der Krieger zu achten, rief er ihm zu: »Ei, Herr Ritter! Sind Eure einst so scharfen Augen inzwischen so schwach geworden, daß Ihr Euren alten Gefährten nicht mehr erkennt? Ich hätte einen anderen Gruß von Euch erwartet, nachdem Ihr mich damals so tüchtig in die Patsche geschwatzt habt.«

Jetzt blieb dem Normannen nichts übrig, als ihn zu erkennen. Er spielte also den Überraschten und sagte: »Was seh' ich, Ritter von Camp, Ihr hier, und in Ketten? Man erzählte doch daheim, Ihr wäret in Ägypten ein großer Mann geworden und hättet wohl verstanden, Euch die Gunst des Kalifen zu erringen.«

»Die Gunst ist freilich groß genug!« antwortete der Ritter, der den eigentlichen Sinn dieser Worte ja nicht verstehen konnte, mit bitterem Lachen. »Ihr seht doch, daß man mich sogar mit einer Leibwache umgeben hat, und wenn Ihr nicht bald etwas für mich tut, wird der Kalif schon dafür sorgen, daß ich der Mühe enthoben werde, meinen Kopf noch länger durch dieses irdische Jammertal tragen zu müssen. Aber ich hoffe, daß Ihr der gefangenen Gräfin und mir endlich die Freiheit bringen werdet.«

»Wo ist die Gräfin?« rief der Normanne, plötzlich erschreckend.

»Sie ist, wie ich denke, wohlbehalten in Memphis. Es sind mehrere Wochen vergangen, seit ich sie sah.«

»Aber Ihr habt sie gesehen und gesprochen?«

»Freilich habe ich sie gesprochen,« antwortete der Ritter, über die angstvolle Hast verwundert, mit der der Normanne diese Frage an ihn richtete.

In diesem Augenblick kam vom Palast her ein sarazenischer Reiter angesprengt, der unter furchtbaren Drohungen mit der Peitsche auf die Krieger einhieb und ihnen ankündigte, sie würden alle geköpft werden, weil sie ihre Pflicht versäumt und ihrem Gefangenen gestattet hätten, mit einem feindlichen Unterhändler zu sprechen.

Infolgedessen wurde der Ritter nun wieder von allen Seiten gepackt und unter wildem Geschrei so schnell vorwärts geschleppt, daß er den Normannen im Nu aus dem Gesicht verloren hatte. Erst eine große Strecke weiter gelang es ihm, sich noch einmal umzuschauen, und nun sah er, daß Guiscard verschwunden war, und daß die drei Knechte allein nach dem Palaste des Kalifen weiterritten.

Bald darauf lag der Ritter im Gefängnis zu Bulak, zugleich mit zwei Eseltreibern, die wegen Beraubung eines Reisenden zum Tode verurteilt waren und nun ebenfalls die Erfüllung ihres Schicksals erwarteten.

Nach einer Weile versuchten die Burschen ein Gespräch mit ihm anzuknüpfen. Aber ganz in Betrachtungen über das seltsame Benehmen des Normannen versunken, achtete er kaum auf sie. Er ließ sich auch dadurch nicht aus seinen Gedanken reißen, daß bald darauf zwei weitere Leidensgefährten in das enge, finstere Loch geschoben wurden, die, wie es schien, koptische Christen waren, denn sie begannen sofort zu beten und Kirchenlieder zu singen.

Endlich wurde die Tür abermals geöffnet, und der Ritter erkannte die Stimme des Wesirs, der ihn in höflichen Worten ersuchte, herauszukommen.

Der Ritter folgte der Aufforderung, und wurde nun in ein benachbartes Gemach geführt, wo ihm sofort die Fesseln abgenommen wurden, während der Wesir sich mit einem großen Aufwand von schönen Redensarten bemühte, die Gewalttat seines Herrn zu entschuldigen und den Ritter doch noch zu überreden die gute Gelegenheit zur Befreiung zu ergreifen und sofort die Heimreise mit seiner Herrin anzutreten.

Der Wutausbruch des Kalifen hatte ihm einen bösen Strich durch seine Rechnung gemacht; denn wenn der so fein ausgeklügelte Anschlag auf Petra nicht vor Ankunft der Gesandtschaft ausgeführt war, ging die günstige Gelegenheit, einen entscheidenden Schlag gegen die Christen auszuführen, ein für allemal verloren, und in der sicheren Erwartung, daß der Ritter und seine Herrin in die Falle gehen würden, hatte er das aus Nubien heimkehrende Heer bereits nach Kosser am Roten Meere beordert, von wo es auf Schiffen sogleich nach Akaba befördert werden sollte. Ohne den Ritter aber schien ihm die Durchführung des Planes unmöglich, weil die Besatzung von Petra schwerlich einer größeren Zahl von sarazenischen Kriegern Einlaß gewähren würde, wenn nicht die Begleitung eines befreundeten Ritters ihre friedliche Absicht zu gewährleisten schien.

So hatte er sich denn hinter dem Rücken des Kalifen aufgemacht, um sein Heil doch noch einmal bei dem Ritter zu versuchen.

Aber der Ritter ließ sich, von der bevorstehenden Ankunft der Gesandtschaft überzeugt, jetzt auf gar nichts mehr ein und sagte dem Wesir auf den Kopf zu, daß er ihn mit dieser plötzlichen Heimreise nur zum Werkzeug seiner hinterlistigen Absichten habe machen wollen, deren Zweck er zwar nicht durchschauen könne, zu deren Erfüllung er sich aber nun und nimmer hergeben werde. Wenn der Kalif es wagen sollte, das geheiligte Recht der Völker, das die Unverletzlichkeit der Geiseln verbürge, anzutasten, so werde die Sühne nicht ausbleiben. Im übrigen solle man tun, was man wolle, und ihn ungeschoren lassen.

Als der Wesir einsah, daß er mit aller seiner Beredsamkeit nichts ausrichten würde, zog er ebenfalls wieder andere Saiten auf, ließ den Ritter aufs neue fesseln und in das Gefängnis werfen, nachdem er dafür gesorgt hatte, daß die mitgefangenen Eseltreiber darüber unterrichtet waren, ihn erwarte ein ganz besonders schreckliches und schimpfliches Schicksal. Denn mit der Zähigkeit seiner Rasse hielt er noch immer an dem Gedanken fest, daß der Franke schließlich doch noch zu bewegen sein, und daß die Todesfurcht bewirken würde, was die Überredungskunst nicht zu erreichen vermocht hatte.

In der Geschwätzigkeit der Eseltreiber hatte sich der Wesir denn auch nicht geirrt. Kaum war der Ritter in das Gefängnis zurückgekehrt, so fielen sie mit der Nachricht über ihn her, er solle bei dem nächsten Schauspiel in Bulak ganz wie ein gemeiner Mann vor den Augen des Kalifen geprügelt und dann geköpft werden.

Der Eindruck aber, den diese Schreckenskunde nach den Erwartungen des Wesirs auf den Ritter machen sollte, blieb aus, und das einzige, was ihn beunruhigte, war, daß dabei von zwei fränkischen Kriegern gesprochen wurde, die vor einigen Tagen auf dem Markt von Atfih als Sklaven gekauft worden seien und nun gezwungen werden sollten, die Hinrichtung an ihm zu vollziehen.

Zwei fränkische Krieger und als Sklaven verkauft? Was mochte es damit für eine Bewandtnis haben? – Er fand keine Erklärung, mußte dabei aber unwillkürlich immer an seinen Sohn denken.

Diese Nachricht schien auch die Aufmerksamkeit der beiden Kopten zu erregen, die sich bisher, unausgesetzt mit Singen und Beten beschäftigt, um ihre Mitgefangenen nicht im mindesten gekümmert hatten.

»Hast du gehört, Jussuf, was die da von zwei fränkischen Kriegern erzählen?« sagte der eine, der von seinem Gefährten Malek genannt wurde, zu dem anderen. »Ob das am Ende die beiden sind, die mit uns auf dem Schiffe fuhren?«

»Schon möglich,« antwortete Jussuf. »Ich habe mir's gleich gedacht, daß sie in Ägypten nicht weit kommen würden. Sie wären wohl auch ohne die Seeräuber dem Teufel in den Rachen gelaufen.«

»Was sind das für zwei fränkische Krieger?« fragte der Ritter von banger Ahnung getrieben. »Verzeiht, daß ich mich in euer Gespräch mische, aber ihr werdet euch denken können, daß ich begierig bin, etwas Näheres über meine Landsleute zu erfahren.«

»Etwas Näheres wissen wir auch nicht,« entgegnete Malek. »Sie bestiegen mit uns zu Tur ein Schiff, das uns nach Kolzum bringen sollte. Der eine war, wenn ich mich recht entsinne, ein kleiner, breitschulteriger Alter, der andere ein großer junger Mann mit schwärzlichem Haar und Bart.«

»Ein großer junger Mann mit schwärzlichem Haar und Bart?« wiederholte der Ritter in banger Spannung. »Wie trug er sich?«

»Er trug sich als ägyptischer Kaufmann.«

»Als ägyptischer Kaufmann! – Nein! – dann ist es nichts.«

»Aber man sah es ihm auf den ersten Blick an, daß er ein fränkischer Krieger war, vielleicht sogar ein Ritter; denn er trug den Nacken so stolz, daß man sich trotz des Kaftans den Panzer von selbst hinzudenken mußte.«

»Und weißt du nicht mehr über ihn zu sagen?« fragte der Ritter ungeduldig.

»Nein. Ich habe nur mit dem Alten ein paar Worte gesprochen. Aber auch von dem erfuhr ich nur, daß sie mit den Waren, die sie zum Schein mit sich führten, nach Kairo wollten. Dann überfielen uns die Seeräuber. Als wir geknebelt in den Schiffsraum geschafft wurden, sahen wir noch, daß sie am Mast standen und mit den Räubern kämpften. Wir sind dann bald von unseren Freunden ausgelöst worden und wissen nicht, was aus den anderen geworden ist. Es ist aber wohl möglich, daß man die beiden Franken nach Atfih zu Markt gebracht hat und daß es dieselben sind, die dem Kalifen ein so besonderes Schauspiel bereiten sollen. – Sonst muß er sich mit christlichen Opfern begnügen,« fügte er bitter hinzu. »Nun wird er auch einmal christliche Henker haben!«

Mit Entsetzen hatte der Ritter bei Erwähnung des großen schwarzen jungen Mannes sofort wieder an seinen Sohn gedacht. Aber als er hörte, daß er in Kaufmannstracht reiste, wurde er daran wieder irre. Eine Verkleidung? Nein; das war nicht Dietrichs Art. – Aber weshalb ließ er gar nichts von sich hören? Es war doch kaum denkbar, daß er seinen Vater so lange in der Gefangenschaft schmachten lassen konnte, ohne etwas für ihn zu unternehmen. – Wenn er es doch wäre? Paßte nicht auch die Beschreibung des kleinen breitschulterigen Alten auf Hen?

So quälten den Ritter Hermann von Camp die Zweifel der Ungewißheit viele Stunden lang, bis endlich die Müdigkeit ihn erlöste und ein fester Schlummer alle Sorgen von ihm nahm.

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