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In Memphis

In dem herrlichen Palmenhain, der das auf den Ruinen eines alten Tempels errichtete Kalifenschloß zu Memphis in üppiger Fülle umgab, saß Mechthildis und erwartete mit großer Ungeduld den Abend.

In dieser Nacht war Neumond, und vor der westlichen Pforte würde Zenab von Fostât, der rätselhafte Mann, der durch den Nil den Weg zu ihr gefunden hatte, wieder kommen, vielleicht um sie zur Freiheit zu führen.

Sie war jetzt entschlossen, das Äußerste zu wagen. Zwar behandelte man sie nach wie vor mit der größten Zuvorkommenheit, und auch ihren Wunsch, nach Memphis überzusiedeln, hatte man ohne weiteres erfüllt. Von einer Geneigtheit, sie zu entlassen, aber war jetzt weniger zu merken denn je, so daß sie mehr und mehr die Überzeugung gewann, sie werde, wie ihr schon jener Zenab gesagt hatte, vielleicht nie die Heimat wiedersehen, wenn es ihr nicht gelang, sich durch List einen Weg aus diesem Lande zu bahnen.

Aber wenn der Kopte auch nicht die Freiheit brachte, so würde er, der alles zu wissen schien, ihr doch wenigstens Auskunft über die beiden Sklaven geben können, die sie auf dem Markte zu Atfih gesehen hatte, und mit denen sich ihre Gedanken seitdem unausgesetzt beschäftigten.

Sie zweifelte zwar kaum noch daran, daß es ihre Landsleute waren. Sie meinte mit Bestimmtheit den schwarzen Junker und seinen alten Knecht erkannt zu haben, und Zenab hatte ihr ja auch gesagt, daß der Sohn des in Ägypten gefangenen Ritters ausgezogen sei, um sie aufzusuchen. Anderseits aber suchte sie es sich auch wieder auszureden, daß dem armen Junker, der schon so viel unverdientes Leid hatte ertragen müssen, auch noch solches Unglück um ihretwillen zugestoßen sein solle. Aber die Ungewißheit quälte sie von Tag zu Tag mehr, und die gute Katuscha hatte viel zu tun, um ihre Herrin, die sie jetzt ganz zu ihrer Vertrauten gemacht hatte, zu trösten und auf andere Gedanken zu bringen.

Auch jetzt hatte sie Mechthildis in den einsamen Hain begleiten dürfen. Auf einer alten Marmorbank, von der aus eine Doppelallee von seltsam gestalteten Sphinxen nach dem See hinunterführte, saßen sie und betrachteten in banger Erwartung die Schatten, die von den ehrwürdigen Götterbildern auf den von der Nachmittagsonne grell beleuchteten Weg geworfen wurden.

»Wie langsam die Schatten wachsen!« sagte Mechthildis, nachdem sie lange Zeit schweigend nebeneinander gesessen hatten. »Ich glaube, auch die Sonne hat sich heute wider mich verschworen und verzögert ihren Gang, um mich zu quälen.«

»Aber sie sind doch nur noch wenige Spannen von den Tatzen der Ungeheuer da drüben, Herrin!« entgegnete Katuscha munter. »Und wenn sie nur die Krallen erreicht haben, ist es Zeit für den Muezzin, zum Nachmittagsgebet zu rufen. Du sollst sehen, wie rasch dann die Zeit bis zum Abend verstreicht. Komm, laß uns hinab an den See zu den Schwänen gehen.«

»Schreien sie schon?« fragte Mechthildis, an das Zeichen denkend, das Zenab mit ihr verabredet hatte.

»Nein, sie schreien noch nicht. Aber sie sind so lustig anzusehen, wenn sie beim Untertauchen die langen Hälse wie Bogen über das Wasser spannen und sich dann plötzlich stolz aufrecken und schnell vorwärts schießen, ohne daß man sieht, wodurch sie sich bewegen. – Ob es wahr ist, was die Sage erzählt: daß die Schwäne weissagen können, und daß es Länder gibt, wo sie durch schönen Klagegesang den Menschen verkünden, daß der Tod sich ihnen naht? – Komm! Wir wollen sie danach fragen. Oder willst du lieber zu den beiden steinernen Riesen gehen, die dort unten vor dem Tore des alten Tempels Wache halten?«

Sie meinte die beiden Ramsesstatuen, die noch heute in jener Gegend am Boden liegen und die Bewunderung der Reisenden hervorrufen, während sonst von den in der Zeit der Kreuzzüge noch reichlich vorhandenen Trümmern der alten Wunderstadt Memphis nichts mehr übrig geblieben ist.

Aber alle ihre Bemühungen, die Herrin aufzuheitern und zu zerstreuen, wollten heute nicht verfangen. Sie schüttelte nur mit dem Kopfe, und man sah es ihr an, daß ihre Gedanken ganz wo anders waren.

Plötzlich aber stand sie auf und sagte leise: »Nein! – Nach der westlichen Pforte laß uns gehen und sehen, ob sie noch immer verschlossen ist.«

»Gewiß ist sie verschlossen, Herrin. Wir haben uns doch schon ein dutzendmal davon überzeugt. Wenn der Fremde dich dorthin beschieden hat, so wird er schon Mittel und Wege finden, sie zu öffnen. Laß nur die Pforte; du wirst dich noch verraten, wenn du dich so oft dort aufhältst.«

Aber Mechthildis war schon durch das Palmengebüsch davongeeilt, und der Dienerin blieb nichts übrig, als ihr zu folgen.

Da ließen sich Schritte vom Palaste her vernehmen.

»Hörst du nichts? – Man kommt!« flüsterte Katuscha noch rechtzeitig der Herrin zu, die eben in den kleinen Seitenpfad einbiegen wollte, der nach der Parkmauer führte.

Mechthildis blieb stehen und lauschte. – In der Tat: es ging jemand ganz in ihrer Nähe, aber die jungen Palmen waren so dicht belaubt, daß man niemand sehen konnte.

»Laß uns diesen Weg verfolgen. Er führt zum See. Wenn wir dort umherwandeln, wird man kein Arg daraus haben,« sagte Katuscha leise; und diesmal folgte ihr die Herrin.

Sie schritten rasch, aber behutsam vorwärts, und hatten längst den See erreicht, als der sie suchende Kämmerer ihrer ansichtig wurde. Er kam nun schnell auf sie zu und sagte, die Arme ehrfurchtsvoll über die Brust kreuzend, in der weitschweifigen Weise des Orients: »O edle Fürstin! Ich bringe dir eine Kunde, die deine Diener schmerzt, weil sie ihnen eure so gute Herrin entreißt, die dich aber sicherlich glücklich machen wird; denn wir alle wissen, wie sehr du dich nach der Heimat sehnst.«

»Aber so komm doch endlich zur Sache!« unterbrach ihn Mechthildis in freudiger Spannung. »Wenn anders du mich nicht mit falscher Hoffnung trügen und mich noch unglücklicher machen willst, als ich schon bin.«

»Soeben ist ein Bote vom Wesir eingetroffen,« fuhr der Höfling, sich größerer Kürze befleißend, fort. »Er läßt dich ersuchen, dich unverzüglich zur Abreise zu rüsten.«

»Zur Abreise?« rief Mechthildis mißtrauisch. »Wohin? – Vielleicht nur nach einem anderen Gefängnis? Vielleicht nur fort von Memphis?«

Plötzlich war der Gedanke in ihr aufgestiegen, daß ihr Geheimnis mit dem Kopten verraten sein könne, und voll entsetzlicher Befürchtungen griff sie nach Katuschas Hand, die ebenfalls in banger Erwartung den weiteren Worten des Kämmerers entgegensah.

Aber der Mann erklärte jetzt mit Bestimmtheit, daß die Reise in die Heimat gehen solle. Am anderen Nilufer ständen die Paschas, die den Zug begleiten sollten, schon mit großem Gefolge bereit, und der Wesir werde in kurzer Zeit selbst erscheinen, um die Fürstin aus dem Schlosse abzuholen. Sie möge also nicht säumen und sofort ihre Anordnungen treffen, welche Sklavinnen, Pferde und Kostbarkeiten sie mitzunehmen wünsche; denn alles, was der Kalif ihr habe überreichen lassen, solle sie als ihr Eigentum betrachten und darüber verfügen, wie es ihr beliebe.

Der Eindruck, den diese plötzliche und vollkommen unverhoffte Freudenbotschaft auf Mechthildis machte, war so gewaltig, daß sie trotz ihres starken Charakters ihm nicht gewachsen war. Einer Ohnmacht nahe, sank sie in Katuschas Arme zurück und erholte sich erst wieder, als die übergroße Freude sich in Tränen Luft zu machen begann. Dann sank sie auf die Kniee nieder und dankte Gott und der heiligen Jungfrau und allen Heiligen, zu denen sie während der langen Trauerzeit in ihrer Herzensangst um Hilfe gebetet hatte.

Endlich erhob sie sich wieder, und in dem Bedürfnis, ihr Glück mit jemand zu teilen, wandte sie sich nach Katuscha um, die schluchzend abseits stand.

»Warum weinst du denn, Katuscha?« sagte sie, das Mädchen mit inniger Zärtlichkeit an sich ziehend. »Glaubst du vielleicht, daß wir voneinander scheiden werden? Nein! du sollst das einzige sein, was ich von hier mitnehme. Als meine Freundin, als meine Schwester sollst du mich begleiten. Den anderen Sklavinnen werde ich die Freiheit schenken, und sie mögen sich in die Herrlichkeiten teilen, mit denen der Kalif sein schändliches Unrecht zu beschönigen versucht hat.«

Nun wurden schnell die Vorbereitungen zur Reise getroffen. Mechthildis legte das Jagdgewand wieder an, in dem sie damals im Mosestale bei der Löwenjagd von den sarazenischen Reitern fortgeschleppt worden war, und das sie längst für den Tag der Heimreise wieder hergerichtet hatte.

Der Muezzin hatte noch nicht lange zum Nachmittagsgebet gerufen, als man, schon vollkommen reisefertig, die Ankunft des Wesirs erwartete.

Aber man wartete vergeblich.

Es verging eine Stunde nach der anderen. Hinter den Säulen des alten Tempels flammte das Abendrot auf. Es kam die Nacht. Aber es erschien weder der Wesir, noch ein Bote von ihm, und der goldene Käfig, in dem das durch die ungeheure Enttäuschung bis auf den Tod verwundete Frankenvöglein schmachtete, blieb verschlossen, wie immer.

Aber Mechthildis war von viel zu starker Natur, um sich durch diesen Schlag gänzlich zu Boden schmettern zu lassen. Mit fester Willenskraft riß sie sich von der getäuschten Hoffnung der Vergangenheit los, um sich mit voller Energie dem hingeben zu können, was sie von der Zukunft erwartete.

»Es war ein rechter Sarazenenstreich!« sagte sie zu Katuscha. »Ein fein ausgesonnenes Stücklein des Wesirs, um mich seinen schändlichen Plänen gefügig zu machen; denn ich will darauf wetten, daß er morgen früh erscheinen wird, um die Früchte seines klugen Anschlags einzuheimsen. Er meint, nachdem ich die Freude gekostet habe, endlich wieder frei zu sein, werde ich den Schmerz der Enttäuschung nicht ertragen können. Aber er hat eine schlechte Meinung von einem deutschen Mädchen. Er soll nur kommen! Wenn er mich überhaupt noch hier findet, will ich ihm die Wahrheit einmal gründlich sagen. Aber ich hoffe doch, Zenab wird mich nicht im Stich lassen, und nun laß uns daran denken, wie wir ungesehen wieder in den Park kommen können.«

Katuscha war nicht so schnell über die furchtbare Enttäuschung fortgekommen wie ihre starke Herrin. Mit ihrer weichen, träumerischen Natur hatte sie sich schon so sehr in das Glück hineingelebt, das sie mit lieblichen Verheißungen so zuversichtlich umschmeichelt hatte, daß sie sich nicht so leicht in den Gedanken finden konnte, es nun doch wieder missen zu sollen. Außerdem fürchtete sie, daß sie, wenn Mechthildis mit Hilfe des Kopten ihre Flucht bewerkstelligte, zurückgelassen werden würde, und der Gedanke an ein unabsehbares Sklavenlos erschien ihr jetzt unerträglicher denn je.

Die Festigkeit, mit der Mechthildis der Zukunft entgegensah, erfüllte aber auch sie wieder mit Zuversicht, und in hingebender Liebe vergaß sie bald das eigene Leid, um wieder mit ganzer Kraft der Herrin dienen zu können.

Mit dem feinen Spürsinn ihres Stammes hatte sie bald ausfindig gemacht, daß aus dem Zimmer, in dem sie mit Mechthildis schlief, eine hinter Teppichen verborgene geheime Tür ins Freie führte, ohne daß man den Hof zu berühren brauchte, um den, wie bei allen von Frauen bewohnten orientalischen Gebäuden, die Gemächer angeordnet waren.

Nachdem sie sich also davon überzeugt hatte, daß alles im Schlosse zur Ruhe gegangen war, und daß an der Seite des geheimen Ausganges keine Wächter sich befanden, lüftete sie den Teppich, öffnete mit einer Spange das Schloß der leichten Tür und sah nun an den schwärzlichen Umrissen der aus der tiefen Dunkelheit sich abhebenden Palmen, daß sie wirklich das Freie vor sich hatte.

»Komm!« flüsterte sie Mechthildis zu, die inzwischen durch das nach dem Hofe führende Gitterfenster die Wächter beobachtet hatte.

Gleich darauf standen sie draußen, bemerkten nun aber mit Entsetzen, daß die Tür nicht in den Garten, sondern nur auf eine Galerie führte, die wohl an die zwanzig Schuh hoch über einer Erdsenkung lag.

Aber Mechthildis verzagte nicht.

»Laß uns ein paar Gewänder zerschneiden und ein Seil daraus drehen!« sagte sie leise, die zitternde Katuscha mit sich in das Gemach zurückziehend.

»Das ist unmöglich!« antwortete das Mädchen. »Wenn uns das auch hinunter hilft, wie sollen wir wieder hinaufkommen?«

»Ich will gar nicht wieder hinauf! Ich will nicht zurück!« entgegnete Mechthildis leidenschaftlich. »Lieber den Tod, als noch länger dieses Leben! Wenn du dich aber fürchtest, so bleibe zurück. Ich wage es, und wenn es mein Leben kosten sollte!«

»Und ich folge dir, wohin du willst. Ich bange ja nicht um meinetwillen. Was soll ich noch auf der Welt, wenn ich nicht mehr bei dir sein kann?«

Schnell war nun ein festes Seil hergestellt, und ohne daß die Wächter im Hofe, die immer innehielten und lauschten, sobald sie am Gitterfenster der ihnen anvertrauten hohen Gefangenen vorbeikamen, etwas gemerkt hatten, gelangten die beiden Frauen hinunter in den Park. Behutsam schlichen sie sich dann im Gebüsch weiter nach der westlichen Pforte und verbargen sich dort unter den dichten Wedeln der jungen Palmen, um das Zeichen des Kopten zu erwarten.

Ringsumher herrschte tiefe Stille. Nur das leise Plätschern eines Springbrunnens ließ sich vernehmen. Ab und zu klang aus der Ferne das Klappern eines Pelikans herüber, der wohl in den sumpfigen Revieren des weit und breit überschwemmten Landes beim Fischen sein mochte.

Plötzlich ein leises Rascheln hinter der Mauer. – Gleich darauf ein langgezogener seltsamer Schrei, wie nur die Schwäne ihn von sich geben, wenn sie beim Brüten gestört werden und das Männchen zum Schutze herbeilocken. Dann noch einer – und ein dritter. – Dann wieder tiefes Schweigen. –

»Er ist es!« sagte Mechthildis leise, nachdem sie eine Weile mit angehaltenem Atem gelauscht hatte. »Bleibe du zurück. Ich will hingehen und ihn fragen.«

Vorsichtig schlich sie sich zur Tür und flüsterte: »Bist du es, Zenab von Fostât?«

»Ich bin es. – Aber nenne meinen Namen nicht. Bist du bereit, mir zu folgen?«

»Ja. Aber ich bin nicht allein. Eine treue Dienerin ist mit mir.«

»So sei verflucht; denn du hast uns verraten!«

»Ich habe euch nicht verraten. Wir sind eins, und nie werde ich mich von ihr trennen.«

»Es ist unmöglich! Keines Ungläubigen Gegenwart darf unsere heilige Feier entweihen.«

»Aber sie ist Christin wie ihr. Sie ist eine Jakobitin aus Nubien und für ihren Glauben ins Unglück gegangen.«

»So sei es denn. Gott wird ihren Schwur hören, und auf dein Haupt die Verantwortung! Gehe mit ihr zu dem alten Tempel. Hinter der Säulenhalle am Eingang öffnet sich unter der Erde eine Kammer. In sie steiget hinab. Dort sollt ihr weiter von mir hören.«

Wieder ein leises Rascheln. – Es schien, daß der Mann sich entfernte.

Auch die beiden Frauen verließen nun ihr Versteck und tappten sich durch den dunklen Hain nach der Tempelruine hinüber, deren marmorne Säulenreste gespensterhaft in die Finsternis aufragten.

Mit bangem Schauder klammerte sich Katuscha an die Herrin. Aber entschlossen schritt Mechthildis weiter und hatte bald den Eingang zu der Kammer entdeckt, die einige Schuh tiefer auf der ursprünglichen Basis des Bauwerkes lag, während das Innere der vom Dach entblößten Säulenhalle im Laufe der Zeit durch Schuttmassen aufgehöht worden war.

»Ich fürchte mich!« flüsterte Katuscha. Als sie aber sah, daß Mechthildis ohne weiteres hinabstieg, schämte sie sich und folgte ihr.

Es war vollständig finster in dem dumpfen Raum. Nachdem sich ihre Augen aber an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sahen sie vor sich etwas Weißes auftauchen, in dem sie endlich ein beinernes Kruzifix erkannten. – Gleich darauf lösten sich aus der undurchdringlich scheinenden Nacht auch die Umrisse eines menschlichen Gesichtes ab. Unheimlich sah man zuerst nur das Weiße der Augen leuchten.

Aber endlich erkannte Mechthildis, daß es die milden Züge desselben Mannes waren, der sie in Roda aufgesucht und sich Zenab von Fostât genannt hatte.

»Tretet heran!« flüsterte der Kopte. »Kniet nieder, berührt mit den Händen das Bild des Gekreuzigten, das ein kunstfertiger Märtyrer aus dem Gebein des heiligen Jakob Baradai, unseres Schutzpatrons, selbst geschnitzt hat und in dem wir unser höchstes Heiligtum verehren. Berührt sein geweihtes Gebein und sprechet nach, was ich euch sagen werde.«

In bangem Schweigen gehorchten die Frauen, und Katuschas Hand bebte, als ihre Finger das heilige Zeichen berührten.

»Bei Christus, dem Gekreuzigten,« begann der Kopte mit feierlicher Stimme, »und bei allem, was mir heilig ist und teuer, bei dem Haupte meines Vaters und bei meiner Mutter, bei meiner eigenen Seele Seligkeit schwöre ich, nie einem Menschen zu sagen, was ich in dieser Nacht sehen und hören werde. Meine Zunge verdorre, meine Augen sollen erblinden, wenn ich je die verrate, die mir ihr Vertrauen geschenkt haben. Amen!«

Langsam, Satz für Satz, sprachen die Frauen diesen furchtbaren Schwur nach, dessen Worte ihre Herzen mit Grausen erfüllten, während ihre Lippen sie von sich gaben.

Nachdem sie geendet hatten, ergriff der Kopte das Kruzifix, das auf einem Säulenstumpf gestanden hatte, und sagte: »Nun haltet euch links dicht am Gemäuer und folget mir. Der ganze hintere Teil des Tempels liegt unter der Erde verschüttet, und nur wenige Landleute wissen, daß von ihm ein Gang außerhalb des Parkes ins Freie führt.«

»Halt!« rief Mechthildis plötzlich. »Ehe ich dir folge, eine Frage: Kürzlich auf dem Markte in Atfih sah ich zwei fränkische Sklaven. Kannst du mir, der du doch alles zu wissen scheinst, sagen, was aus ihnen geworden ist, wer sie sind und woher sie stammen?«

»Nein,« antwortete Zenab. »Aber es ist wohl möglich, daß einer von den Brüdern Auskunft darüber geben kann. Da dir daran gelegen scheint, will ich gleich Umfrage danach halten.«

»Wenn es eine Möglichkeit gibt, jenen beiden Sklaven Kunde zu bringen, oder sie vielleicht gar zu befreien und herbeizuschaffen, so versäume es nicht. Ich muß Gewißheit über sie haben! Und wenn es wirklich Landsleute sind, die ich in ihnen erkannt zu haben glaube, so werde ich Ägypten nicht verlassen ohne sie!«

»Es ist mehr edel als weise, die rettenden Arme nach anderen auszustrecken, wenn man selbst in Gefahr ist, zu ertrinken,« gab der Kopte zurück. »Aber auch unser Herr Christus handelte so, und deshalb will ich nichts unversucht lassen, um deinen Wunsch zu erfüllen.«

»So nimm auf alle Fälle dieses Zeichen. Wenn es die beiden Sklaven zu erreichen vermag, bin ich gewiß, daß der eine von ihnen es erkennen wird. Dann aber weiß ich, was ich zu tun habe.«

Sie übergab ihm mit diesen Worten einen kleinen Gegenstand, den sie am Halse verborgen getragen hatte.

»Gut denn,« antwortete der Kopte. »Gott gebe, daß deine Wünsche sich erfüllen mögen! – Aber kommt jetzt! Die Nacht ist kurz, und die Brüder warten.«

Damit hielt er das Kruzifix wieder hoch, und ihm folgten nun die beiden Frauen durch die Dunkelheit, bis sie endlich plötzlich die Sterne über sich funkeln sahen.

»Jetzt duckt euch nieder, daß eure Gestalten nicht über den Damm hervorragen,« flüsterte der Kopte. »In wenigen Minuten haben wir den Palmenhain erreicht, der unseren Pfad, der in die Wüste führt, verbirgt. Dann sind wir sicher.«

Die Frauen gehorchten und sahen bald darauf vor sich in dem fahlen Schein der mondlosen Sternennacht den gelblichen Streifen des Wüstenrandes aus der Wasserfläche des Überschwemmungsgebietes aufragen, an einer Stelle umsäumt von den hohen Stämmen eines kleinen Palmenwaldes. Nach diesem führte der Damm, und kaum hatten sie ihn verlassen, als ein zweiter Mann hinter einem Palmenstamm hervortrat.

»Seid ihr versammelt?« fragte ihn Zenab.

»Wir sind versammelt – bis auf Jussuf, den Schreiner, und Malek, den Tuchhändler, die heute nacht in Bulak zum letzten Male ihre Herzen im Gebet erheben. Es ist ruchbar geworden, daß sie in Jerusalem waren. Heute beim Nachmittagsgebet hat man sie eingefangen.«

»Gott sei ihnen gnädig,« sagte Zenab dumpf, kniete nieder und murmelte in einer unverständlichen Sprache ein Gebet vor sich hin, in das der andere, ebenfalls niederknieend, einstimmte.

Verwundert schauten sich die Frauen um. Vor ihnen ragte, nicht weit hinter dem Palmenwalde, eine seltsam geformte, stufenförmig ansteigende Pyramide aus der Wüste auf. Sonst war nichts zu sehen als Sandhügel, die sich in wellenförmigen Linien von dem mit Sternen besäten Horizonte abhoben.

Endlich richteten sich die Männer wieder auf, und Zenab sagte: »So wollen wir ihnen die Augen verbinden und gehen.«

Damit wickelte er sein Kopftuch von der Kappe, schlang es Mechthildis um die Stirne, nahm sie bei der Hand und forderte sie auf ihm zu folgen.

Der andere Kopte machte es mit Katuscha ebenso, und gleich darauf fühlten sie den weichen Wüstensand unter ihren Füßen.

Nach einer kleinen Weile wurde wieder haltgemacht. – Sie hörten, daß noch andere Leute in ihrer Nähe waren und daß geflüstert wurde. – Dann fühlte Mechthildis, daß sie losgelassen wurde, und daß eine andere Hand die ihrige umfaßte, eine die rauher war als Zenabs.

In der Tat führte sie jetzt ein anderer Mann, während Zenab nach einem nicht weit entfernten geheimen Platze eilte, wo sich die Kopten zu versammeln begannen und wo er bald einen Glaubensgenossen fand, der über das Schicksal der beiden fränkischen Sklaven unterrichtet war und sich bereit erklärte, sie herbei zu holen.

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